Raum:
Saal A4
Topic:
Wissenschaftliches Programm
Topic 01: Neurokognitive Erkrankungen, organische psychische Störungen, Demenz, F0
Topic 22: Versorgungsforschung und Versorgungsmodelle
Format:
Symposium
Dauer:
90 Minuten
Besonderheiten:
Q&A-Funktion
Leichte kognitive Störungen in der ambulanten haus- und fachärztlichen Versorgung - gegenwärtige und zukünftige Versorgungsperspektiven
Die Versorgung von Patienten mit Demenzen steht vor großen Herausforderungen. Zukünftig werden frühe Krankheitsstadien im Fokus der Versorgung stehen. Insbesondere wird die Einbeziehung von Patienten mit leichten kognitiven Störungen und der darin enthaltenen Gruppe der durch Biomarker objektivierten prodromalen Alzheimer Krankheit die Zahl der zu versorgenden Patienten mehr als verdoppeln. Die Demenz-Prävalenz in Deutschland wird auf etwa 1,7 Millionen Patienten geschätzt. Eine aktuelle Prävalenz-Schätzung der leichten kognitiven Störung geht für 2019 von 3,7 Mio. Patienten aus. Die Versorgung dieser Patienten wird unterschätzt. Meist werden diese Patienten nur in universitätsklinischen Ambulanzen versorgt. In den vergangenen 10 Jahren finden diese Patienten aber auch in der Routineversorgung Beachtung. Ein Diagnose- und Therapie-Leitfaden fehlt aktuell.
Das Symposium widmet sich dem Thema aus vier Perspektiven.
1. Wie sieht die aktuelle Versorgung von Patienten mit MCI aus?
J. Bohlken (Berlin) berichtet über die Versorgung von MCI-Patienten mit Daten aus Haus- und Facharztpraxen. Offene Fragen zur Versorgungspraxis sollen überleiten zu den folgenden Referaten.
2. Wie komplex ist das Erscheinungsbild und was sind die Ursachen der MCI?
S.Teipel (Rostock) stellt Ausprägungstypen der MCI und Beziehungen zu Ausprägungen von Biomarkern sowie internistisch/psychiatrischer Komorbidität vor.
3. Was ist aus einem Demenz-Präventionsprogramm für die MCI-Behandlung übertragbar?
S. Riedel-Heller (Leipzig) stellt das für Hausarztpraxen entwickelte Demenz-Präventionsprogramm AGEWELL vor. Dabei wird die Übertragbarkeit der Interventionsbausteine auf die MCI-Behandlung diskutiert.
4. M. Rapp (Potsdam): Welche nicht-medikamentöse Strategien gibt es für Patienten mit MCI und wie lassen sich diese in die Versorgungspraxis umsetzen?
Ambulante Versorgung von Patienten mit MCI in deutschen Haus- und Facharztpraxen
Jens Bohlken, Berlin (Germany)
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Autor:in:
Jens Bohlken, Berlin (Germany)
Hintergrund: In Deutschland wird ein Anwachsen der Demenzprävalenz auf über 3 Mio (2030) Patienten mit Demenz (PmD) erwartet. Präventive Maßnahmen und neue medikamentöse und nicht-medikamentöse Therapien zielen auf frühe Phasen der Demenz. Hierzu zählt die leichte kognitive Störung ICD 10 F 06.7 (MCI). Daten zur Routineversorgung von PmMCI sind gegenwärtig spärlich. Es werden Ergebnisse aus drei Versorgungsstudien zur Behandlungsprävalenz (1), zur Leistungsdichte (2), zu Therapieerwartungen (3) von Patienten mit MCI (PmMCI) vorgestellt.
Methoden: zu 1, 2: Auswertung vertragsärztlicher Abrechnungsdaten: zu 3. Befragung von 51 PmMCI einer Facharztpraxis.
Ergebnisse: 1. Behandlungsprävalenz: Die MCI-Prävalenz stieg von 2009 zu 2016 von 0,13% auf 0,42%, die der PmD von 2,52% auf 3,55%. Die Anzahl der PmMCI wuchs von 50.760 (2009) auf 166.919 (2016), die der PmD von 1.014.381 (2009) auf 1.416.319 (2016). 2. Leistungsdichte: Zwischen 2011 zu 2016 nahm die Bildgebungsrate bei PmMCI von 36% auf 29% ab. Bei PmD blieb sie mit 22% konstant. Die testpsychologische Leistungsdichte nahm bei PmMCI (von 49% auf 70%) und bei PmD (von 36% auf 72%) zu. Liquoruntersuchungen wurden 2016 in beiden Gruppen selten durchgeführt (PmMCI: 0,25%; PmD: 0,20%). 3.Versorgungserwartungen: 36% bzw. 8% erlebten die Gedächtnisstörungen als mittelschwer bzw. schwerwiegend und 27% bzw. 8% fühlten sich im Alltag häufig bzw. andauernd beeinträchtigt. Therapieerwartungen waren sportliche Aktivierung (63%), Gedächtnistraining (51%) und Ernährungsberatung (37%). Der Wunsch nach psychotherapeutischen Gesprächen (27%) war mit höheren Depressionswerten assoziiert.
Schlussfolgerung: Die Behandlungsprävalenz von PmMCI bleibt weit unter der bevölkerungsbezogenen Prävalenz. Die diagnostische Leistungsdichte bei PmMCI ist höher als bei PmD aber optimierungsbedürftig. Die Behandlungserwartungen von PmMCI übersteigen vermutlich die Behandlungsangebote. Ungedeckte Versorgungsbedarfe sind wahrscheinlich.
Ausprägungstypen und Ursachen der leichten kognitiven Störung
Stefan Teipel, Rostock (Germany)
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Autor:in:
Stefan Teipel, Rostock (Germany)
Der Begriff "Leichte kognitive Störung" bezeichnete ursprünglich eine Vielzahl altersassoziierter kognitiver Veränderungen, die noch nicht das Vollbild einer Demenz erreichten. Seit Mitte der 90er Jahre führten die weltweit etablierten Mayo-Kriterien zu einer Operationalisierung des Begriffes LKS (mild cognitive impairment - MCI); sie unterschieden amnestische Formen mit Assoziation zur Alzheimer Krankheit und nicht-amnestische Formen mit Assoziation zu Nicht-Alzheimer-Demenzerkrankungen. Die Nutzung krankheitsdefinierender Biomarker seit 2007 führte zu einem Wandel des MCI-Konzeptes von einem klinischen Risikosyndrom zu einem Risikostadium der biomarker-definierten Krankheit Alzheimer: das klinische Syndrom MCI plus Nachweis Alzheimer-definierender Amyloid-Biomarker entspricht einer prodromalen Alzheimer Krankheit. Dies hat Folgen für die Auswahl von Risikoprobanden für klinische Studien. Zugleich wird das Konzept MCI auf andere Demenzursachen übertragen, wie MCI bei Parkinson, bei vaskulärer Demenz oder kognitive Defizite bei ALS. Zweifellos nützlich für das Design klinischer Studien und den Zugang zu prodromalen Erkrankungsstadien ist die Bedeutung der Diagnose MCI (LKS) in der Versorgung aktuell gering. Dies verwundert nicht, angesichts der Tatsache, dass selbst das Vollbild eine Demenz nur in weniger als 50% der Fälle in der Versorgung erkannt wird. Die Diskrepanz zwischen differenzierter prodromaler Diagnostik in der tertiären Versorgung und in Forschungssettings und deren weitgehenden Fehlen in der Versorgung fordert die klinische Forschung heraus, die Relevanz dieser differenzierten Diagnostik für die verbesserte Versorgung des einzelnen Patienten in der Routineversorgung nachzuweisen. CME-Studien, wie IDEAS, weisen auf einen potentiellen Effekt einer frühen Ursachendiagnostik bereits im MCI-Stadium auf Behandlungsentscheidungen, aber eine umfassende Evidenz fehlt bislang.
Was ist aus einem Demenz-Präventionsprogramm für die MCI-Behandlung übertragbar?
Steffi G. Riedel-Heller, Leipzig (Germany)
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Autor:in:
Steffi G. Riedel-Heller, Leipzig (Germany)
Der Beitrag fasst einleitend das Wissen zur Primärprävention von Demenzen zusammen. Die Evidenz generiert sich oft aus Kohortenstudien, in denen große Kollektive über lange Zeiträume beobachtet wurden. Damit etablierte Risiko- und Schutzfaktoren haben Eingang in Strategien zur Risikoreduktion gefunden, wie z.B. die WHO-Leitlinie Risk Reduction of Cognitive Decline in Dementia oder in Vorschläge für Brain-Health-Agenden in einzelnen Ländern u.a. für Deutschland (Hussenöder & Riedel-Heller 2018; doi: 10.1007/s00127-018-1598-7). In ersten randomisierten und kontrollierten Studien kommen sogenannte Multikomponenten-Interventionen bei Risikopopulationen zum Einsatz, die mehrere dieser Risiko- oder Schutzfaktoren gleichzeitig adressieren. Beispiele wie z.B. der FINGER-Trial, zeigen ermutigende Ergebnisse. AgeWell.de (Zülke et al. 2019; doi: 10.1186/s12877-019-1212-1) ist die erste deutsche multizentrische, cluster-randomisierte, kontrollierte Multikomponenten-Interventionsstudie zur Prävention kognitiver Abbauprozesse. Mehr als 1000 Allgemeinarztpatienten (60-77 Jahre), die eine Risikopopulation entsprechend ihres CAIDE-Scores darstellen, werden randomisiert und erhalten entweder eine einfache Gesundheitsinformation oder eine Multikomponenten-Intervention. Die definierten AgeWell.de-Interventionsbausteine wie z.B. Förderung der körperlichen Aktivität, Tablet-basiertes kognitives Training, Ernährungsberatung, Optimierung der Medikation/ Management kardiovaskulärer Risikofaktoren, soziale Aktivierung und ggf. spezifische Interventionen im Falle von Verlusten oder Depression werden vorgestellt. Die Übertragbarkeit dieser lebensstilbasierten Interventionen auf die Behandlung von MCI-Patienten wird vor dem Hintergrund der aktuellen Literatur zur Beeinflussung der Konversionsrate von MCI zu Demenz diskutiert.
Welche nicht-medikamentösen Strategien gibt es für Patienten mit MCI und wie lassen sich diese in die Versorgungspraxis umsetzen?
Michael Rapp, Potsdam (Germany)