Psychodynamische Therapien und Psychoanalyse
Rainer Matthias Holm-Hadulla, Heidelberg (Germany)
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Rainer Matthias Holm-Hadulla, Heidelberg (Germany)
Psychodynamische Verfahren gehen von der Bedeutung lebensgeschichtlicher Ereignisse, unbewusster Konflikte und menschlicher Beziehungen für die psychische Gesundheit aus. Sie beruhen auf der Psychoanalyse, die neurowissenschaftliche, psychologische und kulturwissenschaftliche Erkenntnisse integriert. Viele ihrer Grundannahmen wie die bedeutende Rolle der therapeutischen Beziehung, die Dynamik unbewusster Konflikte und der Einfluss dysfunktionaler Beziehungsschemata sind in kognitiv-verhaltenstherapeutische Verfahren eingegangen. Umgekehrt berücksichtigt die moderne Psychoanalyse in ihrer Praxis durchaus auch kognitiv und verhaltensorientierte Behandlungselemente. Diese Dimensionen spielen besonders in psychodynamischer Beratung und Kurztherapie eine große Rolle, werden jedoch auch in der psychoanalytischen Langzeittherapie je nach Störung und Behandlungsphase eingesetzt (Holm-Hadulla 2015). Auf dem Boden einer reflektierten therapeutischen Beziehung werden unbewusste Konflikte bewusst und führen zu Verbesserungen des Befindens und Verhaltens. Das Freud‘sche Modell der Integration von Emotionen (Es), Kognitionen (Ich) und sozialpsychologischen Werten (Über-Ich) lässt sich mit modernen neurowissenschaftlichen Kohärenz- und Konnektivitätsmodellen vereinbaren (Holm-Hadulla 2013). Das strukturdynamische Konzept der Psychoanalyse ist hilfreich, um neurobiologische, psychologische und kulturelle Konzepte sowie unterschiedliche Therapiemethoden zu integrieren. Trotz der Öffnung psychodynamischer Verfahren für „transdiagnostische, modulare and common-factor-approaches“ (Fonagy & Luyten 2019) zeichnen sie sich nach wie vor durch eine spezifische Dimension aus: das Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten unbewusster Konflikte auf dem Boden einer reflektierten therapeutischen Beziehung. Durch die freie Assoziation von Gefühlen, Gedanken und Erlebnissen können häufig kreative Lösungen entdeckt werden. Dies kann in Beratung und Kurztherapien geschehen, ist aber häufig nur im Rahmen einer langfristigen und hochfrequenten Therapie möglich. Dabei kann das Couch-Setting die Kreativität der emotionalen, kognitiven und sozialen Entdeckungen begünstigen (Holm-Hadulla 2004).
Fonagy P. & Luyten P.: Fidelity vs. Flexibility in the Implementation of Psychotherapies. World Psychiatry, 2019. Holm-Hadulla, R. M.: Integrative Psychotherapie. Klett-Cotta, 2015. Ders.: The Dialectics of Creativity. Creativity Research Journal, 2013. Ders.: Psychoanalysis as a Creative Shaping Process. International Journal of Psychoanalysis, 2004.