Die große Bedeutung von Psychoedukation in Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik ist heutzutage unumstritten, was sich auch in den Empfehlungen der Therapieleitlinien ausdrückt. Die Psychoedukation erhielt in den 2019 erschienenen S3-Leitlinien für „Psychosoziale Therapien“ wie auch „Schizophrenie“ den Empfehlungsgrad A, was bedeutet, dass genügend Studien vorliegen, die die Wirksamkeit belegen. Neuere Forschungen zur Psychoedukation in Deutschland beziehen sich daher auf andere Krankheitsbilder, spezielle Subgruppen sowie auf Implementierungs- und Präventionsstrategien. Da trotz hohem Empfehlungsgrads die Angehörigen nach wie vor nicht ausreichend in die Behandlung mit einbezogen werden und kaum psychoedukative Gruppen erhalten, ist es notwendig, die Angehörigenperspektive in Forschung und Praxis immer wieder zum Thema zu machen.
Josef Bäuml stellt die Ergebnisse einer Befragung von Angehörigen (n=400) zur Behandlung der Schizophrenie und anderer Erkrankungen ihrer eigenen Rolle im Umgang mit der Erkrankung und dem Erkrankten vor und vergleicht diese mit den Ergebnissen einer ebenfalls Fragebogen gestützten Untersuchung mit einem analogen Frageset bei psychiatrisch Tätigen (n=1430).
Ursula Berninger berichtet erste Ergebnisse einer Fokusgruppenuntersuchung zur Gestaltung und Implementierung elternschaftsbezogener, psychoedukativer Interventionen in die klinisch-psychiatrische Routineversorgung der Erwachsenenpsychiatrie im Rahmen der PEDE-Studie.
Gabriele Pitschel-Walz stellt Konzept und erste Ergebnisse einer Pilotstudie zur Peer-to-peer Psychoedukation bei Angststörungen vor, die in Kooperation mit der Münchener Angst Selbsthilfe (MASH) durchgeführt wird.
Matthias Bender stellt dar, wie in Vitos Kurhessen alle psychoedukativen Interventionen im KIS für alle Stationen und Tageskliniken erfasst und mit outcome-Parametern im Rahmen der Qualitätsindikatoren ausgewertet werden und präsentiert die Auswertung eines 1-Jahres-Zeitraumes.
Die Angehörigenperspektive in der psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung
Josef Bäuml, München (Germany)
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Autor:in:
Josef Bäuml, München (Germany)
Einleitung:
Die Einbeziehung der Angehörigen bei der Behandlung psychisch schwer kranker Menschen wird in S-3-LL gefordert, die Durchführung psychoedukativer Gruppen für Angehörige wurde bereits vor langer Zeit auf das Level A – „soll“ – hochgestuft (Riedel-Heller, et al, 2013/2019; Falkai et al, 2005/2019). Die konkrete Einbeziehung der Angehörigen in den praktischen Versorgungsalltag und vor allem die Einbeziehung in psychoedukative Gruppen aber nach wie vor keine Routine in vielen Einrichtungen. Deshalb Befragung bei professionellen Helfern und Angehörigen durchgeführt zum „Ist-Zustand“ der Angehörigeneinbeziehung und zum Abgleich relevanter Behandlungsaspekte aus Sicht der Profis und Angehörigen.
Methodik:
Fragebogen gestützte Befragung von professionellen Helfern (2011–2014) und Angehörigen (2014-2018), pseudonymisierte Auswertung. Austeilung der FB an Teilnehmer von Vorträgen und Workshops des Erstautors; Ausgabe der inhaltlich gleichen FB auch an Angehörige von Patienten in der Indexklinik sowie Besuchern von Angehörigengruppen und Vorträgen des Referenten. SPSS-Auswertung.
Ergebnisse:
Rücklaufquote: 35% Profis (1340 von ca. 4000), 55% bei Angehörigen (400 von 700). „Starke Belastung der Angehörigen“: Hohe Zustimmung bei beiden: 98% bei Profis, 97% bei Angehörigen. „Schweigepflicht verhindert Einbeziehung der Angehörigen“: 55% bei Profis, 67% der Angehörigen der Meinung, dieses Argument begründe häufig ihre Nichteinbeziehung. „Zwangsmaßnahmen manchmal nicht zu vermeiden“: 72% der Profis, aber nur 52% der Angehörigen. Befürwortung von Zwangsmaßnahmen im konkreten Einzelfall – z. B. „Auffälliges öffentliches Verhalten“ – war aber bei Angehörigen mit 64% deutlich höher als bei Profis mit 37%. Die konkrete Sorge um die Würde und die Stellung ihrer Familienmitglieder innerhalb der Gesellschaft scheint bei den Angehörigen eine deutlich höhere Bedeutung zu besitzen als bei den Profis. Zahlreiche weitere Befunde werden dargestellt.
Ausblick:
Angehörige werden noch immer nur sehr stiefmütterlich bei der psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung einbezogen. Eine gezielte und systematische Einbeziehung würde die Versorgung gerade von schwerst kranken Patienten deutlich verbessern.
Die PEDE-Studie – elternschaftsbezogene Psychoedukation im klinischen Behandlungskontext
Ursula Berninger, Würzburg (Germany)
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Autor:innen:
Ursula Berninger, Würzburg (Germany)
Herrmann Faller, Würzburg
Anastasiya Mykolenko, Würzburg (Germany)
Jasmin Schuster, Würzburg (Germany)
Jürgen Deckert, Würzburg (Germany)
Eva-Maria Bitzer, Freiburg im Breisgau (Germany)
Einleitung
Elternschaft in psychiatrischer Behandlung ist kein seltenes Phänomen. Auf der Basis von Studien ist davon auszugehen, dass ein Viertel unserer psychiatrischen Patienten eine aktive / passive Elternrolle von versorgungspflichtigen Kindern einnimmt.
In der klinischen Versorgung fehlen bislang regelgeleitete, routinebasierte Bausteine,
die sowohl den akuten Belastungen der erkrankten Eltern gerecht werden als auch präventiv betrachtet die transgenerationalen Transmissionseffekte, die mit der Erkrankung (bezogen auf den Nachwuchs) einhergehen können, berücksichtigen.
Methode
In einer Universitätsklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie wurden im Rahmen einer qualitativen Studie nach Erteilung eines Votums durch die Ethikkommission sieben leitfadenbasierte Fokusgruppen mit insgesamt N = 40 Teilnehmern durchgeführt. Die Gruppendiskussionen wurden mit Hilfe eines Audiorekorders aufgezeichnet, transkribiert und durch den Einsatz eines qualitativ-inhaltsanalytischen Verfahrens ausgewertet.
Ergebnisse
Vorgestellt werden erste Ergebnisse der Fokusgruppenuntersuchung (multiprofessionelle Teams Erwachsenenpsychiatrie / Kinder- und Jugendpsychiatrie; Patienten als Mütter und Väter) hinsichtlich Be- und Entlastungsfaktoren durch Elternschaft während der klinischen Behandlung und hinsichtlich der Identifikation von Elementen zur Gestaltung und Implementierung elternschaftsbezogener, psychoedukativer Gruppeninterventionen in die klinisch-psychiatrische Routineversorgung der Erwachsenenpsychiatrie.
Schlussfolgerungen
Sowohl klinische Behandler (Erwachsenenpsychiatrie; Kinder- und Jugendpsychiatrie) als auch sich in klinischer Behandlung befindende Väter und Mütter attestieren der Erwachsenenpsychiatrie einen Nachholbedarf an adäquaten elternschaftsbezogenen Gruppenangeboten, welche erkrankten Vätern und Müttern sowohl eine krankheits- und elternschaftsbezogene Wissensvermittlung als auch eine emotionale, systembezogene Entlastung bieten können.
Peer-to-peer–Psychoedukation bei Angststörungen
Gabriele Pitschel-Walz, München (Germany)
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Autor:innen:
Gabriele Pitschel-Walz, München (Germany)
Yvonne Kussinger, München (Germany)
Kerstin Schäffer, München (Germany)
Die Psychoedukation hat inzwischen einen hohen Stellenwert bei zahlreichen psychischen Erkrankungen und auch für Angststörungen liegen Programme und Manuale zur strukturierten Umsetzung vor. Allerdings sind die bisherigen Psychoedukationsmanuale darauf ausgelegt, von einer geschulten Fachperson durchgeführt zu werden.
In Zusammenarbeit mit der Münchner Angstselbsthilfe (MASH) wird in einer Pilotstudie (Prä-post-Design) die Wirksamkeit und Durchführbarkeit von Peer-to-peer Psychoedukationsgruppen zum Thema Angst geprüft. Grundlage dafür ist ein psychoedukatives Konzept, das sich im stationären Setting bereits bewährt hat.
Psychoedukative Inhalte beziehen sich auf die biologische Funktion von Angst, das Spektrum der Angsterkrankungen, die Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten, sowie die interaktive Erarbeitung von Selbsthilfestrategien. Es sind drei Peer-to-peer Psychoedukationsgruppen geplant (N=30), die sich jeweils zu fünf wöchentlichen Sitzungen von 90 Minuten Dauer treffen. Sowohl die teilnehmenden, als auch die leitenden Personen füllen jeweils vor und nach den Gruppentreffen ein Fragebogen-Set aus. Dabei wird die Wirksamkeit der Gruppe anhand der drei Parameter „Angst“ (STAI), „Depression“ (BDI-II) und „Selbstwirksamkeitserwartung“ (SWE) geprüft. Die Durchführbarkeit und Akzeptanz, sowie Verbesserungsmöglichkeiten werden mithilfe eines Feedback-Fragebogens abgefragt.
Das psychoedukative Konzept und erste Studienergebnisse werden dargestellt.
Nach Abschluss der ersten Gruppe und Rückmeldung der Gruppenleiter und Teilnehmer zeichnet sich ab, dass Peer-to-peer Psychoedukationsgruppen durch geschulte Selbsthilfegruppenleiter gut durchführbar sind und als hilfreich erlebt werden. Vertiefendes Informationsmaterial zur Biochemie der Angst und zur Generalisierten Angststörung wurde von den Gruppenleitern gewünscht.
Systematische Erfassung psychoedukativer Interventionsformen im KIS in der Versorgungspsychiatrie – Konzept, psychoedukative Interventionen, Implementierung und Auswertung eines Einjahreszeitraums
Matthias Bender, Kassel (Germany)
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Autor:innen:
Matthias Bender, Kassel (Germany)
Yvonne Kussinger, München (Germany)
Monika Kohl, München (Germany)
Kerstin Schäffer, München (Germany)