Eine zunehmend kultur-, religions- und migrationssensible Psychotherapie prägt die psychiatrische Praxis in Deutschland. Das hat dazu geführt, klassische religiöse Themen wie Schuld und Vergebung stärker im psychotherapeutischen Kontext zu reflektieren. Exemplarisch am Schuldbegriff und seiner praktischen Verarbeitung werden in diesem Symposium mit Hilfe eines interdisziplinär-interkulturellen Denkansatzes säkulare wie religiöse Bewältigungsversuche vorgestellt.
Das Empfinden von Schuld gehört zum Mensch-Sein, begleitet das alltägliche soziale Miteinander und kann ein Indikator für Achtsamkeit, Empathiefähigkeit und soziale Intelligenz sein. Die Wahrnehmung kann aber auch in tiefe Krisen, quälende Selbstabwertung und eine Blockade für Selbstentfaltung und Kommunikation mit anderen führen. Schuld und ihre praktische Bewältigung spielt daher im therapeutischen Alltag eine zentrale Rolle. Parallel dazu gibt es eine Fülle von religiösen Bewältigungsansätzen.
In diesem vom Referat für Religiosität und Spiritualität der DGPPN organisierten Symposium wird es um folgende Inhalte gehen: M. Utsch wird über aktuelle, europäisch-psychologische Vergebenstechniken berichten; I. Ohls den Dialog aus christlicher Theologie und neuen geisteswissenschaftlichen Strömungen ( ‘medical humanities‘ & ‚healing arts‘) vorstellen; U. Anderssen-Reuster wird darlegen, wie Mitgefühl i.R. des buddhistischen Geistestrainings systematisch trainiert wird; und P. Kaiser in einer transkulturell-politischen Dimension von seiner Arbeit mit Geflüchteten im Bezug auf den Schuldbegriff und seine Bewältigung sprechen.
Im Rückgriff auf weltweites Kulturgut und verschiedene Behandlungsmethoden möchte dieses Symposium aufzeigen, wie die therapeutische Praxis von diesen Impulsen konkret bereichert werden kann. Säkulare wie religiöse Wege des Verzeihens und Loslassens können zu einer gelingenden Auseinandersetzung mit dem Schulderleben beitragen.
Praxis des Verzeihens im Abendland: Christliche Theologie, medical humanities und healing arts
Isgard Ohls, Hamburg (Germany)
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Autor:in:
Isgard Ohls, Hamburg (Germany)
Alltagsschuld wird zumeist auf moralisch-religiöser Grundlage definiert, vom Individuum aber ganz unterschiedlich bewältigt. Psychologische Techniken sind eine Möglichkeit. Welche Hilfe bieten die Geisteswissenschaften und Künste in diesem Prozeß?
Das Thema Schuld wirft Fragen nach Verursachung, nach Tat, Täter und Opfer, nach Gerechtigkeit (Tun-Ergehen) und Kompensation (Sühne) auf und spielt in Ethik und Recht eine zentrale Rolle. Im psychiatrisch-therapeutischen Alltag stellt sich zugleich die Frage nach moralischer Schuld, menschlicher Verantwortung und Willensfreiheit. Menschen sehen sich mit kollektiv historischer Schuld und ontologischer Schuld (Erbsünde) sowie dem Bestreben nach Kompensation und Wiedergutmachung konfrontiert.
Schuld und Sünde bzw. Verzeihen und das Aufheben der menschlichen Entfremdung sind elementare Kernthemen des christlichen Glaubens. In der christlichen Tradition sind Schuld und ihre Vergebung zwei Seiten einer Medaille und finden ihre dogmatische Entsprechung in der Lehre von Gesetz und Evangelium bzw. Kreuz und Auferstehung. Schuld will durch Seelsorge, Rituale, Sakramente und Symbolhandlungen zur Versöhnung und Vergebung geführt werden. Versöhnung als sozialer Prozess kann sich beispielsweise im allgemeinen kirchlichen Handeln vollziehen (Verkündigung, Gemeinschaft, Hilfe). Vergebung ist dagegen ein individueller Akt, als persönlich aus- und zugesprochenes Wort (Seelsorge, Psychotherapie). Orientierungspunkte sind heilige Schriften, Lehrtraditionen und individuelle Glaubenserfahrungen. Die abendländischen christlichen Traditionsstränge werden in diesem Vortrag in einen Dialog mit modernen, internationalen Wissenschaftsströmungen, vertreten durch die medical humanities und healing arts, geführt. Welche Aspekte können aus diesen abendländischen Traditionen in einer zunehmenden säkularen Umwelt für die psychiatrisch-psychotherapeutische Alltagspraxis gewonnen werden?
Mitgefühl im Buddhismus und asiatischen Kulturkreis
Ulrike Anderssen-Reuster, Dresden (Germany)
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Autor:in:
Ulrike Anderssen-Reuster, Dresden (Germany)
Im Buddhismus geht man davon, dass positive, prosoziale und wohltuende Geisteszustände kein Zufall sind, sondern das Ergebnis einer systematischen Übungspraxis. Mitgefühl zählt in diesem Zusammenhang zu den vier unermesslichen Geisteszuständen, wie auch Freude, Gleichmut und Liebe. Wie diese inneren Qualitäten gefördert werden können und wie sie in die Psychotherapeutische Praxis integriert werden können, soll in dem Vortrag vermittelt werden.
Transkulturelle Schuldverarbeitung bei Migranten/Geflüchteten
Peter Kaiser, Wabern (Switzerland)
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Peter Kaiser, Wabern (Switzerland)
Die Konfrontation mit existentiellen Fragen, Werten und Einstellungen, stellt nicht nur ein ubiquitäres menschliches Phänomen dar, sondern hat auch durch den Hintergrund unterschiedlicher soziokultureller Traditionen dazu geführt, dass diese Themen zunehmend auch in die psychotherapeutische Praxis Einzug halten. Bezüglich unseres Wissens von Denkweisen und Handlungsgewohnheiten in den Herkunftsländern von Menschen, die freiwillig und unfreiwillig ihre Heimat verlassen haben kommen wir schnell an unsere Grenzen. Der Beitrag beschäftigt sich mit den Thema Schuld bei Migranten und Flüchtlingen:
- Was bedeutet Schuld in der Sprache und Interpretation der Betroffenen?
- Mit welchen Auslösern von Schuld, mit welchen Wertevorstellungen und welchen Coping-Strategien wird man in der Psychotherapie konfrontiert?
- Mit welchen Probleme darf sich der Therapeut / die Therapeutin mit dem Betroffenen / der Betroffenen auseinandersetzen, wo ist ggf. die Unterstützung von oder Delegation an einen Seelsorger indiziert?
- Inwieweit belastet ein vorhandenes Schuldbewusstsein den Integrations- und psychischen Gesundungsprozess von Flüchtlingen?
Der Vortragende, Univ.-Prof. Dr. med. Dr. phil. Peter Kaiser ist Leiter des Ambulatoriums für Folter- und Kriegsopfer des Schweizer Roten Kreuzes in Bern und wird täglich mit diesen Fragen konfrontiert. Er ist Tropenmediziner, Ethnologe, Religionswissenschaftler, Psychiater und Traumatherapeut und seit rund 20 Jahren in Flüchtlingslagern und -einrichtungen insbesondere in Afrika, Vorderasien und Südostasien tätig.