Die Einbeziehung von Peers, im weiteren Verlauf EX-IN-Genesungsbegleiter*innen genannt, in der psychiatrischen Landschaft ist weit vorangeschritten. Sie arbeiten in zahlreichen Institutionen, SGB übergreifend. Es wird deutlich, dass ein Bedarf nach neuen Methoden, anderen Behandlungsansätzen in der Praxis vorhanden ist. Die Selbsthilfe Bewegung ist dabei maßgeblich an der Entwicklung von alternativen Methoden und „Grundhaltungen“ beteiligt. Deren Bedürfnisse nach einer adäquaten Unterstützung spiegeln sich in den neuen Ansätzen. Der Mensch steht im Mittelpunkt der Behandlung. Es geht um den Prozess des persönlichen Wachstums und das Wiedererlangen von Handlungsautonomie. Dazu gehört eine neue Form der Beziehungsgestaltung, hin zu einer Begegnung auf Augenhöhe.
Diese neuen, auch aus gesundheitspolitischer Sicht, notwendigen Veränderungen werden derzeit u. A. durch EX-IN Genesungsbegleiter*innen transportiert. Themen wie Empowerment, Recovery, Teilhabe, und Partizipative Entscheidungsfindung werden in die psychosozialen Behandlungsansätze aufgenommen. Methoden, die diesen Ansprüchen an einen veränderten Focus gerecht werden, etablieren sich in der Praxis. In der überarbeiteten S3 Richtlinie „Psychosoziale Maßnahmen bei schweren psychischen Erkrankungen“, die im Herbst erscheinen wird, finden diese Themen Berücksichtigung. Deren Evidenz ist somit deutlich. Der Begriff des Experten aus Erfahrung, der sich in der Praxis etabliert hat, verdeutlicht ebenfalls den gestiegenen Stellenwert des Einsatzes von Peers mit Erfahrungswissen in der Versorgungslandschaft. Die Umsetzung dieser Konzepte erfordert eine gemeinsame Auseinandersetzung über vorhandene und zukünftige Haltungen. Es wird in der Zukunft darum gehen, die Form der therapeutischen Beziehung zu überdenken. Die Veränderung der Grundhaltung der therapeutischen Beziehung in Richtung einer professionellen Nähe, im Gegensatz zur professionellen Distanz, kann dabei nur eine gemeinsame Entwicklung sein.
Neben der Neugestaltung der therapeutischen Beziehungen, sollte eine Neubewertung / Ergänzung der Behandlungssysteme stattfinden. Diese kann ebenfalls nur eine gemeinsame Angelegenheit aller Beteiligten sein. Insbesondere die Betroffenen und Angehörigen Verbände sollten dabei einbezogen werden. Deren kritische Impulse können die Diskussion über Werte bereichern.
Derzeit gibt es zahlreiche Erfahrungswerte bezüglich der Umsetzung der „Neuen Konzepte“. Am Beispiel der Implementierung von EX-IN Genesungsbegleiter*innen können Fallstricke und Chancen der neuen Entwicklung verdeutlicht werden. Der Prozess der Integration von EX-IN-Genesungsbegleiter*innen in der Praxis stößt erfahrungsgemäß auch auf Grenzen bei der Umsetzbarkeit.
Die Schwierigkeiten im institutionellen Alltag, sind sowohl individuell als auch strukturell bedingt. Sie hängen in der Regel von der individuellen Einstellung der handelnden Personen ab. Es gibt derzeit wenig transparente Erfahrungen, die bei der Umsetzung des Konzeptes unterstützend genutzt werden könnten. In der bisherigen Praxis wird deutlich, dass die neuen Konzepte dann gut einzubinden sind, wenn die Umsetzung gemeinsam geplant wird. Wir werden in unserem Symposium die unterschiedlichen Bedarfe der EX-IN-Genesungsbegleiter*innen und der Institutionen beschreiben und Konfliktbereiche erörtern, die unterschiedlichen Erfahrungen reflektieren und somit Anstöße für die Umsetzung in der Praxis geben.
EX-IN Genesungsbegleitung in betrieblichen Strukturen – Chancen und Schwierigkeiten
Werner Holtmann, Norden (Germany)
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Autor:in:
Werner Holtmann, Norden (Germany)
EX-IN Deutschland hat sich auf den Weg gemacht die Psychiatrielandschaft zu erweitern. Die dazugehörigen Ideen, Theorien und Aspekte werden auf breiter Basis diskutiert. Eine Zukunft, ohne Integration von EX-IN Genesungsbegleiter*innen in die psychiatrische Versorgungslandschaft ist nicht mehr vorstellbar. Doch die Implementierung von Genesungsbegleiter*innen in der psychiatrischen Versorgungslandschaft verläuft nicht immer reibungslos.
Derzeitiger Stand der Entwicklung
In dem Zeitraum von 13 Jahren ist es gelungen eine Öffentlichkeit für den Bereich der Peer Beratung zu schaffen. Motor dafür war der Wandel eines Zusammenschlusses einiger ausgebildeter EX-IN Trainer*innen mit dem Ziel EX-IN Genesungsbegleitung zu etablieren, hin zu einem gesellschaftspolitisch anerkannten Verein, der in der Versorgungslandschaft und in den politischen Gremien angekommen ist. Durch den Verein EX-IN Deutschland e.V. wurde eine Plattform ins Leben gerufen, mit dem Ziel Informationen über die Ausbildung, Beratung von Betroffenen zu den Kursen, Beratung / Unterstützung von Institutionen bei der Implementierung von Ausbildungskursen anzubieten. Die derzeitige Situation stellt sich wie folgt dar.
An 35 Standorten werden Genesungsbegleiter*innen ausgebildet
• Zahlreiche Genesungsbegleiter*innen sind in der psychiatrischen Versorgung oder als Dozent tätig
• Sie sind sowohl im Tätigkeitsfeld des SG 5 als auch denen des SGB 9 tätig.
• Darüber hinaus in der Selbsthilfe
• Das Zertifikat „EX-IN Genesungsbegleiter“ / „Experte aus Erfahrung des“ Vereins ist deutschlandweit anerkannt
• Es hat sich zu einem Qualitätssigel entwickelt
• Ex-In Deutschland ist in zahlreichen regionalen Gremien vertreten und gestaltet Psychiatriepolitik mit
• Einige Länder haben die Aufnahme von Peers in die Versorgungsstruktur als Aufgabe in ihre Psychiatriepläne aufgenommen
• Ex-In Genesungsbegleitung ist Bestandteil der neuen S3 Leitlinie „Psychosoziale Maßnahmen bei schweren psychischen Erkrankungen“
Nach 10 Jahren ist die Einstellung von Genesungsbegleiter*innen regional sehr unterschiedlich ausgeprägt. Der Prozess der Integration von EX-IN Genesungsbegleiter*innen in der Praxis stößt auf Grenzen. Die Implementierung von Genesungsbegleiter*innen in Institutionen, ist auf individueller und struktureller Ebene mit Schwierigkeiten verbunden. Sie hängt in der Regel von der individuellen Einstellung der handelnden Personen ab. Notwendig ist eine Haltung, die den Ansprüchen einer Psychiatrie auf Augenhöhe gerecht wird und versucht Arbeitsansätze wie Recovery, Empowerment, Partizipative Entscheidungsfindung etc. gemeinsam auf den Weg zu bringen. In der bisherigen Praxis wird deutlich, dass die neuen Konzepte dann gut einzubinden sind, wenn eine gemeinsame Planung, an der die Mitarbeiter beteiligt sind sehr sinnvoll ist. Wir werden in unserem Symposium die unterschiedlichen Bedarfe der Genesungsbegleiter*innen, der Institutionen, sowie des Ex-In Verbandes erläutern und somit Anstöße für die Umsetzung in der Praxis geben.
EX-IN Genesungsbegleitung in betrieblichen Strukturen – aus Sicht einer EX-IN-Genesungsbegleiterin
Catharina Flader, Karlsbad (Germany)
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Catharina Flader, Karlsbad (Germany)
Bis 2014 hatte ich noch nie von EX-IN gehört. Darauf aufmerksam wurde ich, als eine Therapeutin meinte „Ich hätte Sie gern bei uns im Team.“ und diesen Gedanken, der so abwegig erschien, verfolgte. Sie hatte da mal etwas gehört.... Tatsächlich gab es in meiner Umgebung bereits diese Bewegung und zeitnah konnte ich, nach zu bewältigbaren Hürden, den Kurs starten.
Bereits im Praktikum wurde deutlich, dass der Einbezug von Erfahrenen als Kollegen eine neue Denkweise ist. Ich erlebte sehr viel Offenheit und Neugierde, und spürte auch Skepsis und Bedenken, die zunächst leider selten geäußert wurden.
Nahtlos fand ich eine Beschäftigung. Dies war einem Chefarzt und seinem Kollegen, Leiter einer Reha-Einrichtung am gleichen Standort, zu verdanken. Sie implementierten zwei Stellen für EX-IN-Genesungsbegleiter*innen, insbesondere auf der finanziellen Ebene. Weiter behielten sie uns als Mitarbeiter immer im Auge und unterstützten den Aufbau dieser Tätigkeit, die das Team um eine andere Perspektive erweiterte.
Für mich und meine Kollegin eine geniale Chance mit einigen Herausforderungen.
Keiner, weder die Chefs noch die Mitarbeiter, kannten EX-IN in der Praxis, und selbst ich hatte nach dem Kurs nur eine grobe Ahnung, wie meine Arbeit aussehen könnte. Es ging also für alle Seiten darum, sich auf einen Prozess einzulassen und auszuprobieren.
Ist es uns gelungen, und wenn, wie?
Es zeigte sich mir, dass es ein Auf und ein Ab war, und sich im Laufe der Zeit immer wieder andere Fragen ergeben haben. Ich selbst kämpfte mit dem neuen Alltag und Herausforderungen, die sich auch auf die private Ebene auswirkten. Hinzu gab es in meiner Tätigkeit immer wieder neue Aspekte und Unsicherheiten. All dies musste ich für mich zusammenbringen.
Mit und bei den Kollegen kamen Fragen, Sorgen und Ideen auf. Weil wir stets im offenen, ehrlichen und kritischen Austausch geblieben sind, konnte weitere gute Arbeit gelingen. Ich spüre ihre Wertschätzung meiner Aufgaben, so wie ich deren Arbeit mit Respekt betrachte.
Wir sehen uns nicht als Konkurrenten, auch wenn ich nach wie vor mich irgendwie zwischen den Stühlen stehe und genau damit auch diese Lücke schließe. Hierfür gilt es nicht nur die Perspektive der Profis zu erweitern, sondern auch bei den Erfahrenen den Blick in andere Richtungen zu öffnen.
Aktuell erreichen mich vermehrt Anfragen zu meiner Tätigkeit und das Interesse EX-IN-Genesungsbegleiter*innen zu beschäftigen wächst. Umso wichtiger halte ich es im Austausch zu verdeutlichen, wie es für alle Seiten gut gelingen kann und wir damit die Unterstützungsangebote für Betroffene erweitern und verbessern können.
EX-IN Genesungsbegleitung in betrieblichen Strukturen – aus einer professionellen Perspektive
Wolfgang Pohlmann, Bielefeld (Germany)
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Wolfgang Pohlmann, Bielefeld (Germany)
Psychiatrieerfahrene als Kollegen im multiprofessionellen Team war noch vor 15 Jahren undenkbar. Im Trialog, klar, aber im Team, bei der Arbeit im psychiatrischen Bereich?
Ist es heute anders?
Seitdem 2005 das EX-IN Projekt gestartet wurde, wird manche Denkweise auf den Kopf gestellt. Auf beiden Seiten gibt es Vorurteile, Erwartungen, Befürchtungen und Hoffnungen.
Die Bereicherung durch Genesungsbegleitung im Arbeits - und Behandlungsprozess wird, so glaube ich zumindest, kaum mehr öffentlich angezweifelt.
Sind Profis und Genesungsbegleiter*innen für das Gelingen im Arbeitsalltag gut aufgestellt?
Für noch viele Profis scheint die Hürde groß, Genesungsbegleiter*innen als gleichwertige Kollegen*innen sehen zu können. Wir Profis denken in unseren eigenen Ansprüchen an Arbeit, Belastbarkeit Professionalität und Umsetzung.
Genesungsbegleiter*innen haben einen eigenen Blickwinkel, einen anderen Erfahrungshintergrund, auch ein eigenes Tempo, eine andere Herangehensweise.
Genesungsbegleiter*innen scheint es manchmal schwer zu fallen ihre Rolle zu finden.
Sie sehen sie sich oft näher beim Patienten.
Die eigenen, oft negativen Erfahrungen Institutioneller „Zwänge“ machen es Genesungsbegleiter*innen schwer, sich in diesem Arbeitskontext als Mitarbeiter zu definieren.
In der Qualifizierung zum Genesungsbegleiter*innen erfahren und erlernen sie alternative Wege in der Behandlung. Die Diskrepanz zu manchen Realitäten im Arbeitsalltag führen zu einem Spannungsfeld. Dieses haben auch Mitarbeiter*innen anderer Berufsgruppen.
Mit einem häufig kleinen Stellenanteil von ca. 7 Std. die Woche ist es schwerlich möglich wirklich in einem Team anzukommen, noch sich wirksam einzubringen.
Eigenen Belastungsgrenzen zu erkennen und danach zu handeln ist für manchen Profi eine große Hürde. Genesungsbegleiter*innen leben oft mit der Befürchtung auf Erkrankung reduziert zu werden. Tragen wir Profis dazu bei?
Es bedarf viel Vertrauen und Überwindung aller Mitarbeiter dieses sensible Thema anzugehen.
Durch offenen Austausch all dieser Vorurteile, Erwartungen, Befürchtungen und Hoffnungen kann es gelingen fruchtbar im Team zusammenzuarbeiten. Hierfür gibt es viele gute Beispiele.