Psychische Erkrankungen sind in wesentlicher Hinsicht durch Störungen der sozialen Interaktion charakterisiert, welche Krankheitsverläufe bei verschiedenen diagnostischen Gruppen maßgeblich beeinflussen. In diesem Symposion sollen diese sozialen Interaktionsstörungen aus transdiagnostischer Perspektive beleuchtet werden, um störungsspezifische und störungsübergreifende Mechanismen zu charakterisieren, die soziale Beeinträchtigungen erklärbar machen. Weiterhin werden interaktionsbasierte, psychotherapeutische Ansätze und deren klinischer Einsatz bei verschiedenen Patientengruppen vorgestellt.
In einem ersten Vortrag berichtet Marie Bartholomäus vom Konzept und der Arbeit in der Ambulanz für Störungen der sozialen Interaktion am Max-Planck-Institut für Psychiatrie sowie Erfahrungen mit dem Einsatz einer Autismus-spezifischen Gruppenpsychotherapie. Weiterhin berichtet Felicitas Richter von Ergebnissen der klinischen Aktivitäten in der transdiagnostisch ausgerichteten Tagklinik für Störungen der sozialen Interaktion am Max-Planck-Institut für Psychiatrie, in der gezielt Personen mit sozialen Interaktionsstörungen aufgenommen und behandelt werden. Anschließend berichtet Martin Rein über die Relevanz von sozialen Interaktionsstörungen für die Konzeption der Schematherapie und stellt die OPTIMA-Studie vor, die am am Max-Planck-Institut für Psychiatrie zum Vergleich der Wirksamkeit von kognitiver Verhaltenstherapie und Schematherapie in der Behandlung der Depression durchgeführt wird. Im letzten Vortrag präsentiert Elisabeth Schramm Ergebnisse einer randomisiert-kontrollierten Studie zum Vergleich von spezifischer und transdiagnostischer Psychotherapie bei chronisch depressiven Patienten mit frühen interpersonellen Traumatisierungen.
Münchner Autismus-Therapiegruppe für Erwachsene in der Ambulanz für Störungen der sozialen Interaktion am Max-Planck-Institut für Psychiatrie
Marie Bartholomäus, München (Germany)
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Autor:in:
Marie Bartholomäus, München (Germany)
Hintergrund: Die „Ambulanz für Störungen der sozialen Interaktion“ des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München bildete von 2016 bis 2019 eine wichtige Anlaufstelle für Menschen mit ausgeprägten Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion zur diagnostischen Einordnung. Im Rahmen der Diagnostik fand eine Anamneseerhebung statt, die Durchführung der Diagnostischen Beobachtungsskala für autistische Störungen (ADOS-2), ein Abschlussgespräch und ggfs. ergänzte apparative Untersuchungen. Neben der Diagnostik wurde die „Münchner Autismus Therapiegruppe für Erwachsene“ (MATE) angeboten. Vorgestellt wird das Konzept der Ambulanz sowie therapeutische Erfahrungen mit der MATE-Gruppe im ambulanten Setting.
Inhalt: Von 1319 angemeldeten Patienten wurden 770 Patienten in die vollständige Diagnostik eingeschlossen. Der Ablauf der Diagnostik und die deskriptiven Ergebnisse der Diagnostik werden vorgestellt. Das gruppentherapeutische Angebot bestand inhaltlich aus den Komponenten Psychoedukation, Stressbewältigung und dem „schematherapie-informierten sozialen Interaktionstraining“ (STISI). Der Fokus von STISI lag einerseits auf dem Erkennen (non-)verbaler Interaktionsparameter und andererseits auf der Verbesserung des Verständnisses intrapsychischer Prozesse. In einem zwölfwöchigen Programm nahmen die Patienten einmal pro Woche an der 90-minütigen ambulanten Gruppentherapie teil.
Ergebnisse: In der „Ambulanz für Störungen der sozialen Interaktion“ erhielten ca. ein Drittel der Patienten die Diagnose einer Autismus-Spektrum-Störung (F84.0, F84.1, F84.5). Darüber hinaus treten Störungen der sozialen Interaktion bei einer Vielzahl anderer psychischer Erkrankungen auf.
Schlussfolgerungen: In der Ambulanz fanden Patienten mit sozialen Interaktionsstörungen eine Anlaufstelle zur Abklärung ihrer Beschwerden, welche Ähnlichkeiten über Störungsbilder hinweg zeigen und einer sorgfältigen transdiagnostischen psychiatrisch-psychotherapeutischen Untersuchung und Behandlung bedürfen.
Tagklinik für Störungen der sozialen Interaktion am Max-Planck-Institut für Psychiatrie: erste Erfahrungen mit einem neuen, transdiagnostisch ausgerichteten Behandlungskonzept
Felicitas Richter, München (Germany)
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Felicitas Richter, München (Germany)
Hintergrund: Die Tagklinik für Störungen der sozialen Interaktion des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München bildete von April 2017 bis Juni 2019 eine wichtige Anlaufstelle für Menschen mit ausgeprägten Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion im Alter von 18 bis 65 Jahren, u.a. mit hochfunktionalem Autismus. Während der 6-wöchigen Behandlungsphase erhielten Patient*innen eine umfangreiche Diagnostik, Einzel- und Gruppenpsychotherapie, sowie Angebote zur beruflichen Unterstützung. Kernstück bildet dabei die eigens entwickelte Gruppentherapie, die Münchner Autismus Therapiegruppe für Erwachsene (MATE), welche sich mit Autismus-spezifischen Schwierigkeiten auseinandersetzt.
Methode: Eingeschlossen in die Analysen werden alle Patient*innen, welche zwischen 2017 und 2019 in der Tagklinik in Behandlung waren (N=185). Vorrangige Diagnosen waren hochfunktionaler Autismus, ADHS, Schizophrenie, schwere Angststörungen und Depressionen sowie Persönlichkeitsstörungen. Die Prozess-Evaluation der MATE-Therapie erfolgt anhand eines Subsamples (N=41) mit Hilfe des Stundenbogens für die Allgemeine und Differentielle Einzelpsychotherapie (STEP). Psychopathologisch wurden Werte des Beck-Depressions-Inventars (BDI), der Liebowitz Soziale Angst-Skala (LSAS), der Toronto-Alexithymie Skala (TAS) und des Asperger-Quotienten (AQ) berichtet.
Ergebnisse: Patient*innen zeigten signifikante Verbesserungen in zwei der drei Wirkfaktoren des STEP über die 12 bzw. 24 Sitzungen. Die Verbesserungen waren unabhängig vom Geschlecht und der Ausprägung der TAS- und AQ-Werte und weisen darauf hin, dass die MATE-Therapie transdiagnostisch für Patient*innen mit unterschiedlichen Störungen der sozialen Interaktion hilfreich sein kann.
Schlussfolgerungen: Die gleichbleibend hohen Patientenzahlen und die kontinuierliche Nachfrage nach Therapieplätzen zeigten einen anhaltend hohen Bedarf nach individualisierter und spezialisierter Therapie für Menschen mit Störungen der sozialen Interaktion.
Soziale Interaktionsstörungen bei depressiven Patienten: Welchen Einfluss haben maladaptive Schemata auf den Therapieerfolg? Erste Daten aus der OPTIMA-Studie
Martin Rein, München (Germany)
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Martin Rein, München (Germany)
Hintergrund:
Trotz ihrer prominenten Rolle in kognitiven Ätiologiemodellen der Depression werden in der Praxis negative Selbst-Schemata nur selten systematisch erfasst und in die Behandlung mit einbezogen (Clark und Beck 1999; Liu und Alloy 2010). Was insofern erstaunlich ist, als diese mit hochrelevanten negativen Prädiktoren wie emotionaler Labilität, Neurotizismus und Persönlichkeitsstörungen assoziiert sind (Bach et al. 2015; Bucher et al., 2019; Newton-Howes et al., 2006; Thimm 2010).
Methode:
Im Rahmen der OPTIMA-Studie vergleichen wir in einem RCT-Design die Wirksamkeit von kognitiver Verhaltenstherapie, Schematherapie und individuell supportiver Therapie in der Akutbehandlung depressiver Patienten im stationären sowie teilstationären Setting. Alle Studienteilnehmer (N=139) erhielten 2 Einzel- sowie 2 Gruppensitzungen pro Woche und eine antidepressive Medikation. Die Depressionsschwere wurde wöchentlich über 7 Wochen und nach 6 Monaten mittels Becks-Depressions-Inventar II und der Montgomery–Åsberg Depression Rating Scale gemessen. Als relevante Moderatorvariable für den Therapieerfolg untersuchten wir das Vorliegen von frühen negativen Selbstschemata bei Therapiebeginn mit dem Young Schema Questionaire (YSQ-S3).
Ergebnisse:
In einer Latent-Class-Analyse ließen sich 2 Muster an negativen Selbstschemata identifizieren, die über den Verlauf von 7 Wochen mit einem unterschiedliche Therapieansprechen assoziiert waren. Insbesondere im späteren Verlauf der Therapie sowie nach Therapieende unterscheiden sich die Gruppen mit hoher und geringerer Schemabelastung in ihrem weiteren Krankheitsverlauf.
Schlussfolgerungen: Die Ergebnisse liefern erste Daten zum Vorliegen individueller Muster an negativen Selbst-Schemata bei depressiven Patienten, die prädiktiven Wert für den Therapieverlauf sowie das Rückfallrisiko haben könnten. Neben einem wissenschaftlichen Ausblick werden mögliche Implikationen der Studienergebnisse für die therapeutische Praxis diskutiert.
Spezifische vs. transdiagnostische Psychotherapie bei chronisch depressiven Patienten mit frühen interpersonellen Traumatisierungen: Ergebnisse einer randomisiert-kontrollierten Studie
Elisabeth Schramm, Freiburg im Breisgau (Germany)
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Autor:in:
Elisabeth Schramm, Freiburg im Breisgau (Germany)
Das Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy (CBASP) ist eine spezifisch für chronisch depressive Patienten mit frühem Beginn entwickelte Psychotherapie. Das Ziel von CBASP ist es, Defizite in den Interaktionsfertigkeiten abzubauen, welche chronisch depressive Patienten vor dem Hintergrund von belastenden Erfahrungen mit prägenden Bezugspersonen entwickelt haben. Die britische NICE-Leitlinie und die European Psychiatric Association (EPA) empfehlen den Einsatz von CBASP bei chronischer Depression. Welche Patienten profitieren im Vergleich zu einem unspezifischen, transdiagnostischen Verfahren am besten von CBASP und wie lange hält die Wirkung der Behandlung an? Die Beantwortung dieser Fragen basieren auf Daten einer multizentrischen Studie mit 268 Patienten, in der CBASP mit Supportiver Psychotherapie (SP) verglichen wurde. Es werden die Akutergebnisse sowie die Ergebnisse einer naturalistischen Nachbeobachtung zwei Jahre nach Ende der Akut-Behandlung vorgestellt. Dabei werden Analysen berichtet, in welcher der Einfluss von früher Traumatisierung auf die therapeutische Beziehung und auf den Therapieerfolg untersucht wurden. Bei Patienten mit hoher Traumatisierung wirkt sich CBASP besser auf den Verlauf der therapeutischen Beziehung aus als die unspezifische Supportive Therapie. Abschließend wird referiert, welche Patienten besonders gut von CBASP profitieren: entsprechend dem Störungsmodell von CBASP sind es insbesondere Patienten, die von frühem emotionalen Missbrauch berichten und Patienten, die an einer komorbiden sozialen Phobie leiden.