Unter Elektrokonvulsionstherapie (EKT) kommt es bei manchen Patienten zu vorübergehenden kognitiven Defiziten. Ihr Ausmaß, ihr zeitlicher Verlauf und Ihre Bedeutung im Alltag werden seit mehreren Jahrzehnten leidenschaftlich diskutiert.
Um die Thematik zu verdeutlichen, wird in unserem Symposium zunächst eine Betroffene berichten. Vor einigen Jahren wurde sie wegen einer therapieresistenten Depression erfolgreich mit EKT behandelt. Ihr Zustand hat sich seither erfreulich gut stabilisiert. Allerdings leidet sie auch heute noch unter Beeinträchtigungen des autobiographischen Gedächtnisses und fühlt sich damit nicht ausreichend ernst genommen.
Danach wird Alexander Sartorius die wissenschaftliche Evidenz zusammenfassen. Mit den heute bekannten Methoden lassen sich keine strukturellen Schäden des Gehirns finden. Im Gegenteil legen Befunde inzwischen eine Regeneration von Hirngewebe nahe, das im depressiven Krankheitsverlauf zuvor beeinträchtigt war. Neuropsychologische Untersuchungen konnten bisher trotz intensiver Bemühungen keine langanhaltenden Gedächtnisstörungen nach EKT nachweisen.
NNB wird die Sicht der Angehörigen auf die EKT darlegen. Deren Beobachtungen könnten den Behandlern Hinweise geben, wie sie den Patienten mit länger andauernden Gedächtnisbeschwerden besser gerecht werden können.
Ein weiterer interessanter Aspekt ist der Umgang der Öffentlichkeit mit dem Thema EKT und Gedächtnisstörungen. Im Lauf der vergangenen Jahrzehnte haben sich in Film und Literatur skurrile Beispiele angesammelt, die verdeutlichen, wie stark das Thema die Phantasie anregt und Voyeur-artige Interessen weckt. Möglicherweise deshalb waren einige sehr erfolgreich wie der Film "Einer flog übers Kuckucksnest“ mit Jack Nicholson von 1975. Diesen Mythos haben EKT-Kritiker als Steilvorlage genutzt, um unrealistische Ängste zu wecken. Aus der Diskussion zum Symposium erhoffen wir uns einige Vorschläge im Umgang mit den Patienten und zu therapeutischen Möglichkeiten.
Erinnerungen einer Betroffenen
Martina Helling, Rüsselsheim (Germany)
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Autor:in:
Martina Helling, Rüsselsheim (Germany)
Mein Name ist Martina ich bin 45 Jahre alt und leide seit ca. 13 Jahren an einer wiederkehrenden Depression, die durchgehend, anfangs aber ausschließlich mit Medikamenten behandelt wurde.
Ende 2015, Anfang 2016 ging es mir so schlecht, dass ich stationär behandelt werden musste. Ich wurde erfolgreich mit einer EKT-Serie, 12 Mal in 4 Wochen, behandelt und nach 7 Wochen entlassen.
Nach drei Monaten war mein Zustand wie vorher. Ich erhielt weitere 12 EKT-Behandlungen in 4 Wochen, die Entlassung erfolgte nach 7 Wochen, diesmal mit Erhaltungs-EKT, die ich in immer größeren Abständen – zuletzt alle 5 Wochen – erhielt. Im Januar 2018 erfolgte auf meinen Wunsch die letzte EKT.
Man sagte mir, es könne vorübergehend zu leichten Gedächtnisverlusten kommen, die sich jedoch wieder geben würden.
Tatsächlich ist mein Gedächtnisverlust längerfristig. Ich kann mich nicht mehr an meine Hochzeit vor 15 Jahren, die Geburt meines Sohnes vor knapp 8 Jahren und an fast alle Urlaube erinnern. Den Zeitraum, in dem ich vieles vergessen habe, nehme ich mit ca. 20 Jahren an.
Ich kann mich eher an Fakten erinnern, manchmal fallen mir auch wieder welche ein. Was mir fast komplett fehlt, sind die Erinnerungen. Ich kann mir die Bilder nicht mehr ins Gedächtnis rufen. Selbst wenn mir einfällt, wo wir in einem bestimmten Jahr im Urlaub waren, fehlt mir die Erinnerung daran, wie es dort aussah.
Anfangs war meine Orientierung komplett weg. Ich wusste nicht mehr, wie ich zu meinem gewohnten Supermarkt komme. In meinem Wohnort kannte ich die Straßennamen nicht mehr.
Ich erkenne Menschen nicht mehr bzw. weiß nicht mehr, wer derjenige ist und woher ich ihn kenne.
Jetzt, 11/2 Jahre nach der letzten EKT geht es mir immer noch so. Neue und alte Dinge kann ich wieder lernen, aber mein Gedächtnis funktioniert nicht mehr so gut wie früher. Auch leide ich seit den EKTs unter stärkeren Wortfindungsstörungen.
EKT und Gedächtnisstörungen – eine Literaturübersicht
Alexander Sartorius, Mannheim (Germany)
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Autor:in:
Alexander Sartorius, Mannheim (Germany)
Die am häufigsten diskutierte und vielleicht schon deshalb wichtigste Nebenwirkung der EKT sind reversible kognitiv-mnestische Störungen, von denen in einer klinisch relevanten und neuropsychologisch nachweisbaren Ausprägung mindestens ein Drittel, vor allem der älteren Patienten betroffen sind. Trotz der weltweit hohen Anwendungsfrequenz der EKT (ca. 3 Million EKT-Behandlungen pro Jahr) bleiben Beschreibungen irreversibler (d.h. über einen Zeitraum von über 6 Monaten nach der letzten EKT-Behandlung hinausgehend) z.B. autobiographischer Gedächtnisstörungen anekdotisch und es ist letztendlich unklar, ob nicht andere Faktoren hierfür ursächlich sind.
Diesbezüglich werden die aktuelle Literatur und entsprechende Meta-Analysen diskutiert. Zudem sollen die Unterschiede zwischen subjektiven und objektiven Gedächtnisstörungen, sowie der Verlauf bei pseudodementiellen Syndromen und bereits vorbestehenden Demenzen dargestellt werden. Wichtig ist auch das Ergebnis einer großen epidemiologischen Untersuchung, dass das –bei affektiven Erkrankungen ja erhöhte Risiko an einer Demenz zu erkranken, durch eine EKT Behandlung sinkt.
In seltenen Fällen können die reversiblen kognitiv-mnestischen Einbußen so ausgeprägt sein, dass sie behandlungslimitierend sind. In solchen Fällen sollten u.a. Behandlungsfrequenz, Behandlungstechnik, Komedikation, die Wahl des Narkosemittels und andere Maßnahmen kritisch überprüft werden.
Insgesamt sollte unbedingt darauf geachtet werden, dass Patienten über das Auftreten möglicher Nebenwirkungen aufgeklärt sind und dass aufgetretene Nebenwirkungen mit den Patienten (und ggf. mit ihren Angehörigen) ausführlich besprochen werden. Nur so lässt sich oftmals ein Vertrauensverlust vermeiden und die Fortführung einer EKT-Serie gewährleisten.
Aus der Sicht eines Angehörigen- und eines Betroffenenvertreters
Thomas Voigt, Bonn (Germany)
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Autor:in:
Thomas Voigt, Bonn (Germany)
EKT – Foltermethode oder seriöse Therapie?
Gedanken und Sichtweisen eines Angehörigen- und Betroffenen-Vertreters
Die Elektrokonvulsionstherapie (EKT) ist in der nichtfachlichen Öffentlichkeit eher negativ konnotiert, was sicherlich durch psychiatriekritische Filme bedingt ist, die die äußere Ähnlichkeit zu entsprechenden Foltermethoden hervorheben und daher Horrorphantasien bei den Zuschauern generieren.
Diese Einflüsse erscheinen nachvollziehbar als Erklärung für die allgemein eher negative Konnotation der EKT zu sein, jedoch manifestieren sich in den Einstellungen auffällige kognitive Verzerrungen, die dadurch nicht erklärt werden: So wird i.d.R. ignoriert, dass die Ambition des Folterers darin besteht, gezielt Leiden zu erzeugen, während sich die des Arztes auf dessen Linderung bzw. Auflösung fokussiert. Die Wahrnehmung der Methode als Folter impliziert aber eine patientenfeindliche Haltung seitens des Arztes, für die sich grundsätzlich keine plausiblen kontextimmanenten Motive finden lassen.
Weiterhin wird die EKT beharrlich als „Elektroschocks“ bezeichnet, wodurch die stereotypen Einstellungen gegenüber der EKT systematisch aufrechterhalten werden.
Außerdem erfahren andere vergleichbare Horrorszenarien in der medizinischen Therapie nicht die gleiche Aufmerksamkeit. Sind denn Phantasien über die Eröffnung des Brustraumes mittels einer „Geflügelzange“ für eine Herzoperation oder die Operation am offenen Gehirn bei vollem Bewusstsein wirklich weniger schauderhaft?
Eine weitere Auffälligkeit zeigt sich im Unterschied des üblicherweise in medizinischen Fragen „aufgeklärten Medizinverbrauchers“ zum vergleichsweise eher unzulänglich informierten „Hobbybeurteiler psychiatrischer Fachfragen“. Es bestehen massive Vorurteile und Berührungsängste gegenüber der Psychiatrie einschließlich ihrer Patienten, und so kontrastiert die klare (zumeist ablehnende) Haltung gegenüber der EKT der meisten medizinischen Laien zu deren diffusen bis hin zum „alternativfaktischen“ Wissen über die tatsächlichen medizinischen Fakten.
Und wie sehen es die betroffenen Patienten selbst? Welche Ein- und Vorstellungen herrschen bei ihnen vor und bestimmen dadurch über die persönliche Bereitschaft zur Behandlung mit einer EKT und damit ggf. über die Chance einer Leidenslinderung oder gar Heilung?
Der Vortrag versucht auf der Grundlage einer eigens hierfür durchgeführten Mitgliederbefragung der Deutschen DepressionsLiga e.V. Antworten zu geben.
EKT und Gedächtnisstörungen – von Movies und Mythen
Michael Grözinger, Aachen (Germany)
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Autor:in:
Michael Grözinger, Aachen (Germany)
Die Elektrokonvulsionstherapie (EKT) hat im Lauf ihrer Geschichte Anlass für viele Mythen gegeben. So wird immer wieder behauptet, dass ihr Wirkmechanismus unbekannt sei. Tatsächlich steht die EKT den anderen psychiatrischen Therapien wissenschaftlich in keiner Weise nach. Das zeigt eine Vielzahl von Studien und Ergebnissen. Auch ist EKT keine veraltete Methode, sondern hat sich über 80 Jahre in technischen und nicht-technischen Aspekten gemeinsam mit der Psychiatrie entwickelt. Sie ist nicht mit Gewalt und Zwang assoziiert wie Kritiker gerne behaupten und war kein Folterinstrument des Nazi-Regimes.
Kognitive Störungen kommen besonders in der akuten Behandlungsphase vor, eine Zerstörung des Gedächtnisses aber nicht. Trotz vieler Untersuchungen konnten keine strukturellen Hirnschäden nachgewiesen werden. Im Gegenteil finden sich mit verschiedenen Methoden Hinweise, dass atrophiertes Hirngewebe sich unter EKT regeneriert. Das steht in gutem Einklang mit der Besserung der neuropsychologischen Befunde im Lauf der EKT. Trotzdem gibt es Patienten, die im Zeitraum der Behandlung unter objektivierbaren Gedächtnisproblemen leiden. Darüber hinaus sind die glaubhaft geschilderten Defizite bisher schwer fassbar. Solche Beschwerden zu charakterisieren und zu therapieren, sollte eine vordringliche Aufgabe werden.
EKT-Gegner, aber auch Medien, die Aufmerksamkeit suchen, setzen Gedächtnisprobleme unter EKT für ihre Zwecke ein. Dafür gibt es zahlreiche Belege. EKT ist sehr biologisch orientiert, in der Anwendung wenig attraktiv und ein Nischenverfahren. Diese Eigenschaften prädestinieren sie als Kristallisationspunkt antipsychiatrischer Kritik wie das italienische Beispiel zeigt. Dort hat sich die EKT bis heute nicht von den Angriffen der antibiologischen Bewegung der 1970er Jahre erholt. Demgegenüber sind die skandinavischen Länder deutlich weniger betroffen. In Deutschland haben sich die Vorbehalte gegenüber der EKT in den letzten 35 Jahren erheblich gebessert.