Die Weiterentwicklung der psychiatrischen Versorgung zu einem regional verfügbaren, niederschwelligen und patientennahen Angebot hat der Gesetzgeber im PsychVVG vorgesehen und wird aktuell von Krankenhausverbänden und Fachgesellschaften unterstützt. Mit der stationsäquivalenten Behandlung (StäB) hat ein neuer Bereich der Krankenhausbehandlung in das SGB V und damit in die Regelversorgung Eingang gefunden Dabei ergeben sich neue Möglichkeiten, die stationäre an das Bett gebundene Behandlung durch den StäB-Ansatz mit mobilen multiprofessionellen Teams zu ergänzen. Zudem kann StäB auch ein wichtiger Impulsgeber für sektorübergreifende Versorgungsansätze mit unterschiedlicher Ausgestaltung in den Versorgungsregionen sein. Zudem zeigen die Erfahrungen aus den Modellvorhaben nach § 64b SGB V interessante Möglichkeiten einer flexiblen Ressourcennutzung und patientenzentrierten Behandlung. Während die inhaltlichen Vor- und Nachteile vielfältig diskutiert werden und Eingang in die fachliche Diskussion gefunden haben, stehen die organisatorischen, personellen, strukturellen und qualitativen Voraussetzungen in der Debatte oft im Hintergrund. In diesem Symposium referieren und diskutieren Mitglieder des Arbeitskreises der Chefärztinnen und Chefärzte der Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie an Allgemeinkrankenhäusern in Deutschland (ackpa) die Voraussetzungen und die Erfahrungen mit unterschiedlichen psychiatrischen Versorgungsformen. Die Zielgruppen und Behandlungsschwerpunkte in den unterschiedlichen Settings werden dargestellt. Die sehr unterschiedlichen Bedingungen zwischen urbanen und ländlichen Regionen werden zur Diskussion gestellt.
Regionale Versorgung in Modellprojekten nach § 64b SGB V – Chancen und Risiken
Bettina Wilms, Querfurt (Germany)
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Bettina Wilms, Querfurt (Germany)
Seit 2013 besteht für Krankenkassen und Leistungserbringer die Möglichkeit, Verträge für Modellvorhaben nach § 64b SGB V abzuschließen. Auftrag ist die Weiterentwicklung der Versorgung von Menschen mit psychischen Störungen. Die Vertragsregionen werden vorgestellt mit Vertragslaufzeiten, spezifischen Besonderheiten und Entwicklungslinien. Aktuell steht die Behandlung mit den Mitteln des Krankenhauses im voll- und teilstationären sowie im institutsambulanten Bereich und ihre Vernetzung zu anderen ambulanten Behandlungsangeboten im Focus. Nachdem einzelne Projekte unter Berücksichtigung ihrer Vorläuferprojekte inzwischen schon über 15 Jahre die Regelversorgung in ihrer Region gewährleisten, kann eine erste Bilanz gezogen werden. Chancen und Risiken werden in Bezug auf das Thema der Regionalen Versorgung konkret beleuchtet: Hierbei steht insbesondere die etablierte Versorgungspraxis im Mittelpunkt. Jenseits von Aktivitäten im Vorfeld, im Rahmen der Vertragsverhandlungen und im Verlauf der Veränderungen von Klinikstrukturen und Kooperationsbeziehungen zu anderen Akteuren im psychiatrisch-psychotherapeutischen Kontext geht es um die Zielpunkte des Veränderungsmanagements: sowohl in der Region als auch im Kontext der konkreten Behandlung mit den Mitteln des Krankenhauses. Hierbei können die Herausforderungen zum Beispiel auf der Ebene der Organisation in gleichem Maße Chancen und Risiken in sich vereinigen: insbesondere Nutzerinnen scheinen von Flexibilisierungen der Angebotsstruktur zu profitieren, wohingegen gerade diese eine maximale Herausforderung für Mitarbeitende insbesondere im ländlichen Raum darstellen können. Besonders engagierte Kollegen und Kolleginnen wird dieses möglicherweise anziehen. Gerade nicht muttersprachlich deutsche MitarbeiterInnen kann eine solch komplexe Organisationsstruktur auch überfordern, wenn nicht geeignete Unterstützungsformen angeboten werden.
Wie viel stationäre Versorgung ist nötig, um die regionale Versorgung sicherzustellen?
Carsten Konrad, Rotenburg (Wümme) (Germany)
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Autor:innen:
Carsten Konrad, Rotenburg (Wümme) (Germany)
Thorsten Langwich, Rotenburg (Germany)
Andreas Thiel, (Germany)
Stationsersetzende Versorgungsformen spielen in der aktuellen Diskussion zur Weiterentwicklung der Psychiatrie in Deutschland eine zunehmende Rolle, während die Bedeutung der stationären Versorgung gleichzeitig abzunehmen scheint. Alternative Versorgungsmodelle entstehen häufig in Bereichen, in denen stationäre Betten abgebaut und die Budgetanteile entsprechend verschoben werden können.
Die psychiatrisch-psychotherapeutischen Ressourcen sind in verschiedenen Bundesländern und Versorgungsbezirken sehr heterogen verteilt. Die detaillierte Betrachtung zeigt, dass die Anzahl vorhandener stationärer Betten keine objektive Berechnungsgrundlage für die Einrichtung einer sektorenübergreifenden psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgung sein kann. Regionen mit geringer Bettenziffer müssen mit weniger Budget für die Versorgung der Patienten auskommen und haben daher kaum Chancen, alternative stationsersetzende Versorgungsformen budgetneutral aufzubauen. In Abhängigkeit davon, ob das bislang vorhandene Budget bzw. die Zahl der bislang vorhandenen Krankenhausbetten ausreichend oder mangelhaft war, werden die Chancen für die Einrichtung neuer sektorenübergreifender Versorgungsformen begünstigt oder blockiert.
Die heterogene Verteilung psychiatrisch-psychotherapeutischer Ressourcen und die sich daraus ergebenden Chancen und Probleme werden am Beispiel des Bundeslandes Niedersachsen analysiert. Einflussfaktoren auf die regionale Versorgung und Lösungsansätze werden diskutiert.
Ansätze aufsuchender Behandlung: Bausteine der psychiatrischen Regelversorgung
Christian Kieser, Potsdam (Germany)
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Christian Kieser, Potsdam (Germany)
In der psychiatrischen Regelversorgung werden Strukturelemente der klinischen Psychiatrie mit den voll- und teilstationären Bereichen sowie den Psychiatrischen Institutsambulanzen vorgehalten, die gemeinsam mit den niedergelassenen Kollegen die Behandlung psychisch kranker Menschen in der Region sicherstellen. Nun gibt es seit mehreren Jahren im Rahmen von Modellprojekten nach §64b SGB V Möglichkeiten, die starren strukturellen Grenzen des Krankenhauses aufzuweichen und settingübergreifend flexible Behandlungsansätze mit aufsuchenden mobilen Teams umzusetzen. Patientenpräferenzen, die lebensfeldorientierte Perspektive und der Einbezug der Angehörigen stehen dabei im Mittelpunkt. International etablierte Konzepte wie Hometreatment, Assertive Community Treatment oder Crisis Resolution Teams kommen dabei in unterschiedlicher Zusammensetzung zur Anwendung.
Seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Versorgung und Vergütung für psychiatrische und psychosomatische Leistungen (PsychVVG) am 1. Januar 2018 ist nunmehr auch in der Regelversorgung eine aufsuchende Behandlung von Patienten, bei denen die Indikation für eine stationären psychiatrischen Behandlung gegeben ist, nach § 115d SGB V möglich. Die Stationsäquivalente Behandlung (StäB) ist damit erstmals als ein Baustein der Regelversorgung im SGB V verankert. Dieser Ansatz kann dazu beitragen, die starren Settinggrenzen aufzuweichen und innovative Versorgungsansätze umzusetzen. Herausforderungen sind die einzelnen Versorgungsbausteine nach dem balanced care Ansatz nach Thornicroft und Tansella den regionalen Gegebenheiten anzupassen und im Sinne der regionalen Gesamtverantwortung mit den anderen Akteuren der psychosozialen Versorgung abzustimmen. Koordination und Steuerung der Angebote spielen dabei eine wichtige Rolle.
In dem Vortrag werden die Möglichkeiten und Grenzen von aufsuchender Behandlung vorgestellt. Insbesondere wird auf die Stationsäquivalente Behandlung als Baustein der Regelversorgu
Aufgaben des psychiatrischen Versorgungssystems
Felix Böcker, Naumburg (Germany)
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Autor:in:
Felix Böcker, Naumburg (Germany)
Wenn nicht die Strukturen, sondern die Funktionen eines Systems zur regionalen Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen betrachtet werden, ergeben sich zehn Aufgaben, die zwingend erfüllt werden müssen:
- Prävention
- Notfallversorgung (niedrigschwellig zugänglich, jederzeit verfügbar, aufsuchend und hinreichend spezialisiert)
- Planung und Steuerung auf der Fallebene (Lotsenfunktion)
- Diagnostik und Therapie
- Rehabilitation (Beseitigung oder Kompensation von "Fähigkeitsstörungen")
- Hilfen zur Teilhabe (bei anhaltend gestörter Teilhabefähigkeit)
- Pflege (Aktivitäten des täglichen Lebens)
- Planung und Steuerung auf der Systemebene (einschließlich regionsbezogener Forschung)
- Begutachtung
- Aus-, Weiter- und Fortbildung
Ob und inwieweit die Gefahrenabwehr zu den Aufgaben des Versorgungssystems gehört, ist umstritten. Einige Teilaufgaben wie der Maßregelvollzug oder universitäre Forschung werden überregional organisiert bleiben.
Wenn die Funktionen definiert sind, können nach dem Designprinzip des „form follows function“ die Strukturen beschrieben werden, die erforderlich und am besten geeignet sind, um lebensfeldbezogen wohnortnah und vernetzt die anfallenden Aufgaben optimal zu erfüllen. Eine solche funktionale Betrachtung führt auch zu einer neuen Bewertung der Rolle der Klinik, von der die regionale Versorgungsverpflichtung getragen wird. Mancherorts wird sie zum „Gravitationszentrum“ des Systems, andernorts eher an den Rand rücken. Krankenhausbehandlung findet zunehmend in alternativen Formen statt, ohne dass die stationäre Behandlung obsolet wird. Immer größere Bedeutung gewinnt die Feinabstimmung – bei jedem einzelnen Patienten und auf der Systemebene.