Raum:
Saal New York 1
Topic:
Wissenschaftliches Programm
Topic 13: Bildgebung, Neurophysiologie, Neuropsychologie
Topic 18: Stimulationsverfahren, internetbasierte Interventionen und andere psychiatrische Therapieformen
Topic 12: Epidemiologie, Risikofaktoren und krankheitsübergreifende Mechanismen
Format:
Symposium
Dauer:
90 Minuten
Alle psychiatrische Erkrankungen gehen mit Störungen sozialer Interaktionen einher. Je nach Erkrankungsbild können basale Prozesse der Wahrnehmung und Motorik oder höhere Funktionen wie verbaler Ausdruck oder die Interpretation sozialer Situationen beeinträchtigt sein. Störungen sozialer Interaktionen führen zu individuellem Leidensdruck, reduziertem Funktionsniveau und Exklusion; die Wiederherstellung sozialer Interaktionsfähigkeit wiederum stellt einen wichtigen Bestandteil therapeutischer Bemühungen dar. Daher ist das Verständnis der zugrundeliegenden Mechanismen sozialer Interaktion für die Psychiatrie und Psychotherapie von besonderer Bedeutung. Dieses Symposium wird eine Zusammenfassung relevanter Forschungsbereiche geben. Zwei Vorträge widmen sich der nonverbalen Kommunikation mittels Gesten bei Störungen des Schizophreniespektrums und affektiven Erkrankungen. Diese Patienten haben unter anderem Mühe, die übergeordnete metaphorische Bedeutung von Gesten richtig zu erfassen. Veränderte neuronale Kopplungsprozesse im Sprachsystem scheinen dafür verantwortlich zu sein. Auch die Nutzung von Handgesten durch Patienten mit Schizophrenie ist verändert, wobei gleichzeitig ein Defizit im zerebralen Praxisnetzwerk auftritt. Diese Defizite in Gestenproduktion und –verarbeitung sind durch nicht-invasive Hirnstimulationsmethoden veränderbar. Ein Vortrag fokussiert auf die Wechselseitigkeit von Bewegungen während sozialer Interaktionen, wodurch sich charakteristische Auffälligkeiten bei Störungen des Autismusspektrums messen lassen. Der vierte Beitrag thematisiert die Bewertung sozialer Situationen, z.B. wie die Meinung des Gegenübers soziale Interaktionen bei Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörung moduliert. Dieses Symposium thematisiert somit die Grundlagen von Störungen der sozialen Interaktionen bei verschiedenen psychischen Erkrankungen und gibt Ausblicke hinsichtlich der klinischen Relevanz dieses Ansatzes.
Verarbeitung von Gesten und Sprache bei Schizophrenie und Depression
Benjamin Straube, Marburg (Germany)
Details anzeigen
Autor:in:
Benjamin Straube, Marburg (Germany)
Das Gefühl, angesprochen zu werden, ist der erste Schritt in einem komplexen Verarbeitungsfluss, der eine erfolgreiche soziale Kommunikation ermöglicht. Soziale Beeinträchtigungen sind ein relevantes Merkmal von Patienten mit Schizophrenie (SZ) und Depression (MDD). Hier untersuchten wir einen zugrundeliegenden neuronalen Mechanismus, der zur sozialen Isolation bei SZ und MDD beitragen könnte. Dieser umfasst, die Interpretation von sozialen Hinweisen wie Körperorientierung und Geste als ersten Schritt zu einer gelungenen Interaktion.
Während der fMRI-Datenerfassung sahen sich 33 Patienten mit MDD, 46 Patienten mit SZ und 42 gesunden Probanden (HS) Videoclips eines sprechenden Schauspielers an. Diese umfassten jeweils eine Version mit und eine ohne Gestik, die gleichzeitig aus zwei verschiedenen Blickwinkeln aufgenommen wurden. Entweder schaute der Schauspieler direkt zum Betrachter oder der Körper und Blick war zur Seite ausgerichtet. Nach jedem Clip mussten die Teilnehmer beurteilen, ob sie sich angesprochen fühlten oder nicht.
Trotz vergleichbarer Verhaltensleistung und großer Überlappung der Aktivierungsmuster bei MDD und HS sowie SZ und HS zeigten sich auch signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen. Bei Patienten mit MDD waren der vordere zinguläre Kortex (ACC), der bilaterale obere / mediale frontale Kortex und der rechte Gyrus Angularis für die frontale Bedingung stärker aktiviert als bei HS. Patienten mit SZ zeigten ebenfalls eine stärkere Aktivierung als HS im ACC, aber auch in der bilateralen insula und den motorischen Arealen für die frontale Bedingung. Interaktionsanalysen ergaben allerdings, dass beide Patientengruppen eine niedrigere Aktivierung aufwiesen, wenn der Schauspieler mit Gestik zu ihnen sprach.
Daraus schließen wir, dass Patienten mit SZ und MDD offenbar nur durch den Einsatz von mehr neuronalen Ressourcen in der Lage sind soziale Hinweise wie Gestik oder Körperorientierung zu interpretieren.
Problematische Nutzung von Handgesten bei Psychosen: klinische Bedeutung und Therapieansätze
Sebastian Walther, Bern (Switzerland)
Details anzeigen
Autor:in:
Sebastian Walther, Bern (Switzerland)
Störungen der sozialen Interaktion betreffen bei Patientinnen und Patienten mit Schizophrenie sowohl verbale als auch nonverbale Informationen. So weisen mehr als die Hälfte der Betroffenen mit Schizophrenie deutliche Schwierigkeiten bei der Benutzung von Handgesten auf. Diese Schwierigkeiten beeinträchtigen das Verständnis und sind über das gesamte Spektrum nonverbaler Kommunikation generalisiert. Wir haben Gestendefizite in mehreren separaten Kohorten nachweisen können. Schwere Defizite in der Gestik sind klinisch bedeutsam, denn sie hängen mit schlechterem sozialen Funktionsniveau zusammen und sagen ungünstige Krankheitsverläufe vorher. Mittels struktureller und funktioneller Hirnbildgebung gelang es zudem, die zugrundeliegende Netzwerkstörung bei den Betroffenen zu beschreiben. Insbesondere Minderaktivierungen im Gyrus frontalis inferior und im inferioren Parietallappen (IPL) kommen dabei besondere Bedeutung zu. Diese Regionen sind relativ nah unter der Schädelkalotte lokalisiert und somit Hirnstimulationstechniken zugänglich. In einer doppelblinden, randomisierten, plazebokontrollierten Studie mit transkranieller Magnetstimulation konnten wir zeigen, dass einmalige hemmende Stimulation des rechten IPL zu einer deutlichen Verbesserung der Gestik bei Schizophrenie führt. Es bleibt zu erwarten, dass durch wiederholte transkranielle Hirnstimulation die Gestenleistung und damit die sozialen Fertigkeiten verbessert werden können. Entsprechende Untersuchungen laufen aktuell.
Interaktions-basierte Phänotypisierung mittels Motion Tracking zur Charakterisierung von Störungen der sozialen Interaktion bei psychischen Erkrankungen
Leonhard Schilbach, München (Germany)
Details anzeigen
Autor:in:
Leonhard Schilbach, München (Germany)
Psychische Erkrankungen können als Störungen der sozialen Interaktion rekonstruiert werden und psychopathologische Phänomene werden als Abweichung von intersubjektiv konstituierten Normen definiert. Weiterhin können sozialen Interaktionen und Störungen derselben für die Entstehung und Aufrechterhaltung von psychischen Beschwerden, aber auch für die Genesung von wesentlicher Bedeutung sein. Allerdings fehlen quantitative Methoden, um soziale Interaktionen im klinischen Alltag messen zu können. In diesem Vortrag wird ein non-invasives Motion Tracking-System vorgestellt, was zu diesem Zweck entwickelt und validiert wurde. Der Einsatz in einer "Ambulanz für Störungen der sozialen Interaktion" zeigt, dass sich anhand dieser Methode der Interaktions-basierten Phänotypisierung interpersonelle Bewegungsmuster und die Reziprozität der sozialen Interaktion quantifizieren und z.B. im Rahmen einer Autismus-Diagnostik verwenden lassen.
Der Einfluss der Meinung anderer auf soziale Interaktionen bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung
Haang Jeung-Maarse, Heidelberg (Germany)
Details anzeigen
Autor:in:
Haang Jeung-Maarse, Heidelberg (Germany)
Die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) ist durch instabile zwischenmenschliche Beziehungen gekennzeichnet. Experimentelle Daten deuten vor allem auf eine Überempfindlichkeit gegenüber möglichen Zurückweisungen und Bedrohungen hin, insbesondere bei der Wahrnehmung des emotionalen Ausdrucks von Gesichtern. In diesem Beitrag stellen wir Ergebnisse von zwei Studien vor, die weitere Aspekte von sozialen Interaktionen in interaktiven Experimenten untersucht haben: a) emotionale Reaktion auf Feedback und b) soziale Entscheidungsprozesse.
In der ersten Studie erhielten Patientinnen mit BPS und gesunde Kontrollprobandinnen (n=42) Feedback (positiv, negativ, neutral) zu ihrer eigenen Meinung in einem Chatroom und gaben nach jedem Feedback Rückmeldung über die Intensität von Emotionen (Freude, Trauer, Ärger und Scham). In der zweiten Studie konnten Patientinnen mit BPS und gesunde Kontrollprobandinnen (n=55) die Anzahl von Interaktionspartner (Dyade oder Triade) auswählen und Geld untereinander aufteilen. Weiterhin beobachteten sie Interaktionsverhalten von anderen und konnten diese sowohl in ihrer Fairness einschätzen als auch die anderen als Interaktionspartner aussuchen.
Insgesamt reagierten Patientinnen mit BPS mit negativeren Emotionen auf soziales Feedback von anderen. Darüberhinaus zeigten gesunde Probandinnen einen „Positivbias“ für jede Art des sozialen Feedbacks, während Patientinnen mit BPS in Reaktion auf die Qualität des Feedbacks abgestuft reagierten. Beide Gruppen bevorzugten eine Triade über einer Dyade, wobei das Aufteilungsverhalten der Patientinnen mit BPS fairer war als das der gesunden Kontrollprobandinnen.
Insgesamt deuten unsere Befunde darauf hin, dass in soziale Interaktionen negative Emotionen als Reaktion auf die Meinung anderer vorherrschen und dass Patientinnen mit BPS trotz eines ähnlichen Fairness-Empfinden wie gesunde Kontrollprobandinnen sich für sie ungünstige Interaktionspartner entscheiden würden.