In der Diagnostik und Therapie von Belastungsreaktionen ist es unverzichtbar, zwischen verschiedenen Typen und Entstehungskontexten zu differenzieren. Es gibt kurzfristige wie überdauernde Angstzustände nach Bedrohungserlebnissen, Trennungsgefühle nach Verlusten oder Erschöpfungserleben nach Überforderung. Epidemiologisch wie klinisch von besonderer Bedeutung sind soziale Stressoren im Sinne von Ungerechtigkeit, Herabwürdigung oder Vertrauensverlust, die typischerweise zu Verbitterungsreaktionen führen. Verbitterung ist eine jedem Menschen geläufige komplexe Emotion, die mit Herabgestimmtheit, Hilflosigkeit, Aggressivität, sozialem Rückzug oder phobischen Reaktionen gepaart ist und bei größerer Intensität und Dauer für die Betroffenen wie ihre Umwelt mit erheblichem Leiden einhergeht. Ungerechtigkeitserleben kann auf der Basis von individuellen zwischenmenschlichen Ereignissen entstehen, jedoch auch durch gesellschaftliche Bedingungen hervorgerufen werden, wie beispielsweise Auseinandersetzungen mit juristischen, sozialrechtlichen, beruflichen oder politischen Gegebenheiten. In dem geplanten Symposium sollen Verbitterungsreaktionen im Kontext gesellschaftlicher Rahmenbedingungen diskutiert werden, wie sie beispielsweise vorkommen können bei der Ausgrenzung von Bevölkerungsgruppen, Migration, betrieblichen Reorganisationen oder Rentenverfahren. Es sollen die individuellen und gesellschaftlichen Folgen, wie auch Resilienzfaktoren diskutiert werden.
Psychische Folgen von Auswanderung oder Flucht – eine Untersuchung an iranischen Emigranten/Exilanten
Michael Linden, Berlin (Germany)
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Michael Linden, Berlin (Germany)
Hintergrund: Migration ist stets ein Stressor, der mit dem Risiko psychischer Probleme einhergeht. Zu unterscheiden ist zwischen Exilanten, die gezwungen sind ihr Land zu verlassen und Emigranten, die ihr Land verlassen, um sich andernorts eine bessere Existenz aufzubauen. Die Frage ist, inwieweit Menschen auf beide Lebensereignisse gleich oder unterschiedlich reagieren und inwieweit sie sich von Menschen unterscheiden, die ihr Land nicht verlassen.
Methode: Es konnten 14 iranische Emigranten, 36 Exilanten und 50 Residente befragt warden mt dem “General Health Questionnaire (GHQ)”, der allgemeine psychische Belastetheit abbildet, der “PTED Selbeurteilungsskala, die nach reaktiver Verbitterung fragt, dem “Berner Verbitterungsinventar (BEI)”, das allgemeine Verbittertheit mißt und der “Differentiellen Lebensbelastungs-Skala”, die allgemeine Lebensprobleme erfasst.
Ergebnisse: Residente Iraner, Emigrants and Exilanten unterschieden sich nicht hnsichtlich soziodemographischer Variablen. Alle Gruppen zeigten ähnliche Werte auf dem GHQ. Exilnten and Residente zeiogten significant erhöhte Werte auf der PTED Skala and dem BEI. Eine Regressionsanalyse zeigte, dass der Exilantenstatus, Heimweh und Arbeitslosigkeit signifikant Verbitterung vorhersagten.
Schlussfolgerung: Die Ergebnisse sprechen dafür, dass Exilanten vor allem durch Verbitterung gekennzeichnet sind und weniger durch ein allgemeines psychisches Stresserleben. Dies ist plausibel da Verbitterung die wesentliche Reaktion auf Ungerechtigkeitserleben ist. Sie ist vor allem auch eine Emotion, die über Generationen tradiert werden kann. Im Umgang mit Flüchtlingen sollte diese Emotione daher therapeutisch wie prophylaktisch mehr Aufmerksamkeit erfahren.
Verbitterungsreaktionen im Rentenverfahren
Alexandra Kaminski, Clausthal-Zellerfeld (Germany)
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Alexandra Kaminski, Clausthal-Zellerfeld (Germany)
Konfliktlagen mit Anspannung, Ärger und Verbitterung finden sich nicht nur in den Lebensbedingungen der Patienten im Vorfeld der psychosomatischen Rehabilitation, sie begleiten vielfach auch die gesamte Reha-Maßnahme und können sich in typischen Dissenskonflikten niederschlagen: Verordnung der Reha-Maßnahme als Verpflichtung zur Mitwirkung, Einschätzung der Schwere der Störung und der resultierenden Beeinträchtigung, schließlich Dissens um die Entlassungsbeurteilung. Häufig äußern sich Verbitterungsgedanken in einer besonderen beruflichen Problemlage der Patienten. Erste Analysen weisen darauf hin, dass sich solche Patienten als stärker beruflich eingeschränkt einschätzen und eine höhere Symptombelastung angeben, als Patienten ohne einer besonderen beruflichen Problemlage. Beispielhaft werden Daten einer Studie an Schmerz-Angst-Patienten vorgelegt, mit Fokus auf schwere der Beeinträchtigung, Verhaltensveränderungsmotivation, Qualität des Antwortverhaltens in Fragebögen sowie dem Freistellungswunsch. Die Teilstichprobe der chronischen Schmerzpatienten, welche erhöhte Angstvermeidungstendenzen angab (83.3%), zeichnete sich aus durch eine geringe Verhaltensveränderungsmotivation (Stadium Precontemplation und Vorbereitung), ein höheres Lebensalter, höhere Depressionswerte sowie auffällige Werte in einer Beschwerdenvalidierungsskala im Vergleich zu Patienten, die keine schmerz-angst-bezogenen Gedanken angaben. Das dazugehörige Konfliktfeld wird beleuchtet.