Abnehmende Fallzahlen bei pädosexuellen Delinquenten im Maßregelvollzug – werden diese Patienten inzwischen „in den Strafvollzug begutachtet“?
Hans-Joachim Traub, Aulendorf (Germany)
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Hans-Joachim Traub, Aulendorf (Germany)
Hintergrund: Für den Maßregelvollzug gemäß §63 StGB stellen die Patienten mit pädo-sexuellen Delikten eine besondere Herausforderung dar. Die Anzahl dieser Patienten geht in Baden-Württemberg seit Jahren zurück. Da auch in der Diskussion um die Schuldfähigkeit inzwischen eher eine höhere individuelle Verantwortlichkeit der Delinquenten angenommen wird, wäre eine Verlagerung dieser Patienten in den Strafvollzug anzunehmen. Dazu sollen die Neuanordnungen wegen pädosexueller Delikte in Deutschland verglichen werden.
Methoden: Für einen Überblick zur Datenlage werden alle juristischen Neuanordnungen in den §63 StGB wegen pädosexueller Delikte von 1995 – 2015 untersucht. Datengrundlage sind die Standardisierten Off-Site-Files der Strafverfolgungsstatistik (EVAS 24311) des Forschungsdatenzentrums der Statistischen Landesämter. Es wird der aktuelle Stand (N = 2.319) für Deutschland beschrieben sowie die Entwicklung von 1995 – 2015 (n= 10.718) für die alten Bundesländer. Für den Vergleich mit dem Strafvollzug werden dabei alle pädo-sexuellen Delikte ab einer Verurteilung zu 2 Jahren Haft herangezogen.
Ergebnisse: Die Anzahl aller juristisch abgeurteilten Pädosexuellen Delikte ab 2 Jahren Haft bzw. §63 StGB ist nach einem Maximum um das Jahr 2005 etwa wieder auf dem Stand von 1995 angekommen. Der Anteil der Neuanordnungen in den §63 StGB geht dabei kontinuierlich zurück. Die inzidenzraten der einzelnen Bundesländer folgen diesem Trend. In einzelnen Bundesländern (z.B. Berlin) erfolgen Neuanordnungen in den §63 StGB nur noch in Einzelfällen. Eine Verlagerung der Delinquenten in den Strafvollzug ist nur regional erkennbar.
Neuropsychologische Defizite bei Männern, die aufgrund eines Kindesmissbrauchsdeliktes verurteilt wurden
Daniel Turner, Mainz (Germany)
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Daniel Turner, Mainz (Germany)
Martin Rettenberger, Wiesbaden (Germany)
Einleitung: Defizite in höheren kognitiven Funktionen, wie beispielsweise Entscheidungsverhalten, kognitive Flexibilität oder Inhibition können alle zu Einschränkungen im Entscheidungsverhalten bei Sexualstraftätern beitragen. Dies insbesondere in Anwesenheit von sexuellen Reizen, was wiederum die Wahrscheinlichkeit einen sexuellen Übergriff zu begehen, erhöhen könnte. Der derzeitige empirische Wissensstand zu diesem Zusammenhang ist jedoch noch sehr übersichtlich.
Methode: Insgesamt wurden n = 63 Männer, die aufgrund eines Kindesmissbrauchsdeliktes verurteilt wurden (Kindesmissbraucher) und n = 63 heterosexuelle gesunde Männer als Kontrollpersonen mit der Iowa Gambling Task (IGT) und einem Go/No-Go Task untersucht. Während die IGT impulsives Entscheidungsverhalten experimentell erfasst, wird mit dem Go/No-Go Task die Fähigkeit der motorischen Inhibition erhoben. Im Gegensatz zu den ursprünglichen Versionen der beiden Testverfahren, wurden in der aktuellen Untersuchung Bilder von computer-generierten nackten Menschen (Erwachsene vs. Kinder) als Stimuli verwendet.
Ergebnisse: Es wurden keine Unterschiede im Entscheidungsverhalten im IGT zwischen den beiden Gruppen gefunden. Innerhalb der Gruppe der Kindesmissbraucher zeigten diejenigen eine schlechtere Leistung, die eine pädophile sexuelle Neigung aufwiesen. Im Go/No-Go Task zeigten Kindesmissbraucher signifikant mehr impulsives Verhalten im Sinne einer eingeschränkten Fähigkeit ihre Reaktion zu stoppen im Vergleich zu den Kontrollpersonen.
Diskussion: Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung geben erste Hinweise auf spezifische Defizite im Entscheidungsverhalten und der Impulskontrolle bei Kindesmissbrauchern. Diese Defizite, wenn durch weitere Untersuchungen bestätigt, könnten in psychotherapeutischen Interventionen stärkere Berücksichtigung finden.
Emil Kraeplin und „Die Abschaffung des Strafmaßes“ – ein Beitrag zur Debatte um die Strafrechtsreform
Christian Prüter-Schwarte, Köln (Germany)
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Christian Prüter-Schwarte, Köln (Germany)
Im späten 19. Jahrhundert wollten einige Psychiater im Rahmen der Debatte um die Straf-rechtsreform die Rolle ihres Fachgebietes in der Strafjustiz erweitern. Dieses Ziel fand einen frühen Ausdruck in dem Buch Die Abschaffung des Strafmaßes von Emil Kraepelin aus dem Jahr 1880. Kraepelin forderte die Abschaffung fester Strafmaße zugunsten indi-vidualisierter Behandlung und eine Reorganisation des Strafrechts nach dem Muster psychiatrischer Kliniken. Die traditionell antagonistische Beziehung zwischen Strafjustiz und Psychiatrie sollte in eine symbiotische umgewandelt werden, in der die Psychiater maßgeblich über die Behandlung von Straftätern bestimmen würden. Aus medizinischer Sicht sei der Schuldbegriff haltlos. Die Tat ist für Kraeplin determiniertes Verhalten, für das der Täter aus naturwissenschaftlicher Kausalauffassung nicht als verantwortlich angesehen werden kann. Am Beispiel dieser Arbeit läßt sich zeigen, welchen Einfluss die deutschen Psychiater vor dem Hintergrund eines naturwissenschaftlich geprägten Wissenschaftspositivismus auf die Entwicklung der Gesellschaft nehmen wollten.
Gefängnis und Psychiatrie – ein dynamischer Tango zwischen den Welten
Michel A. Schulte Ostermann, Kiel (Germany)
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Michel A. Schulte Ostermann, Kiel (Germany)
Mara Grandisch, Kiel (Germany)
Christian Huchzermeier, Kiel (Germany)
Das Zentrum für integrative Psychiatrie ist seit 2013 in der JVA Neumünster (Schleswig Holstein) im psychiatrischen Konsiliardienst tätig. Untersuchungen zum Behandlungsbedarf zeigten, dass viele Patienten intensiverer Behandlung benötigten. Diese war zumeist durch unzulängliche Ressourcen sowie das intramurale Setting nicht realisierbar; eine Situation die in den meisten Gefängnissen bekannt ist. Für die Mitarbeiter des Vollzuges wiederum ist die Arbeit mit psychisch erkrankten Inhaftierten oftmals eine Quelle der Überforderung. Gemäß dem Äquivalenzprinzip ist zu fordern, psychisch erkrankten Inhaftierten die gleichen Behandlungsmöglichkeiten anzubieten, welche der Allgemeinbevölkerung zur Verfügung stehen- ein Prinzip, dessen Erfüllung noch viel Zeit und Entwicklungsarbeit benötigen wird.
Zur Verbesserung der bereits bestehenden Behandlungsmöglichkeiten und zur Entlastung des Vollzuges wurde 2016 eine intramurale Tagesklinik eröffnet, in Kooperation zwischen Vollzug und Psychiatrie; ein neuartiges Konzept für das hiesige Justizsystem und einmalig in dieser Gestaltung in Deutschland.
Die Begleitforschung der Tagesklinik zeigte eine hoch belastete Patientenpopulation, viele der Patienten wiesen multiple Diagnosen auf. Psychoreaktive, psychotische und affektive Störungen stellten die größten Behandlungsschwerpunkte dar, Suchterkrankungen lagen oft komorbid vor.
Die vorliegenden Ergebnisse bekräftigen den hohen Bedarf an psychiatrischen Behandlungsmöglichkeiten im Vollzug. Gleichzeitig ist trotz initialer Schwierigkeiten eine bedeutsame Verbesserung der psychiatrischen Versorgung und somit eine gewisse Annäherung an das Äquivalenzprinzip geschaffen worden. Dieser Beitrag stellt den herausfordernden Entwicklungspfad eines Modellprojektes dar, welches sich zum Ziel gesetzt hat, die Welten der Psychiatrie mit der des Vollzuges erfolgreich zu verbinden. Somit soll die Diskussion zur stetigen Verbesserung der psychiatrischen Versorgung von Inhaftierten angeregt werden.
Warum es fachlich und ethisch geboten ist, Versorgungs- und Prognoseforschung in der forensischen Psychiatrie durchzuführen
Christian Prüter-Schwarte, Köln (Germany)
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Autor:in:
Christian Prüter-Schwarte, Köln (Germany)
Die forensische Psychiatrie und insbesondere ihr klinischer Bereich, der Maßregelvollzug, sind im Hinblick auf Forschung noch weitgehend eine terra incognita. Steigende Unterbringungszahlen und Gesetzesreformen belasten die klinische Arbeit des Maßregelvollzugs. Zugleich hat der Fall Mollath Fragen an der Zuverlässigkeit forensisch-psychiatrischer Prognosen aufgeworfen. Gerade im zentralen Arbeitsbereich der Kriminal- und Gefährlichkeitsprognose fehlen epidemiologische und Verlaufsdaten. Auch zur Effizienz der Therapieprogramme und der Frage, welche Maßnahmen letztlich zu einer Verbesserung der Prognose bei Maßregelvollzugspatienten führen, gibt es keine einheitlichen Daten. Vor dem Hintergrund des Doppelmandates der Besserung und Sicherung und des Anspruchs der Gesellschaft, vor gefährlichen, psychisch kranken Straftätern geschützt zu werden, ist es sowohl fachlich wie ethisch geboten, über die Frage der Effizienz der forensisch-psychiatrischen Arbeit zu forschen. Hiermit will sich die vorliegende Arbeit auseinandersetzen und die fachlichen sowie ethischen Aspekte diskutieren. Ansätze aus der Sozialethik können hier Argumente für eine ethisch verantwortbare Forschung auf diesem Gebiet lie-fern.