"Me-too" einmal anders: Frauen als Sexualstraftäterinnen
Sigrun Roßmanith, Wien (Austria)
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Autor:in:
Sigrun Roßmanith, Wien (Austria)
Einführung: Zwischen den Jahren 2003-2014 wurden 33 Sexualstraftäterinnen (in Österreich verurteilt wegen strafbarer Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung) in der Begutachtungsstation der Dokumentations- und Koordinationsstelle für Sexualstraftäter in Wien (BEST) nachuntersucht. Davon wurden 14 Täterinnen wegen Vergewaltigungsdelikten verurteilt.
Methode: Anhand der Kasuistiken der Vergewaltigerinnen werden Tatbegehung, Motive, Persönlichkeitsstruktur sowie Gemeinsamkeiten und Unterschiede mit männlichen Sexualstraftätern beleuchtet.
Ergebnisse/Diskussion: Die Vergewaltigungstäterinnen ähnelten den Gewalttäterinnen, die sexuelle Motivation war nachgeordnet bzw wurde verleugnet, sexuelle Devianz kaum fassbar. Broken home, Vorstrafen und eigener Opferstatus waren gehäuft. Alkohol- und Substanzeinfluss spielte keine Rolle. Eigene sexuelle Erregung wurde nicht zugegeben. Bestrafung und Schmerzzufügung hatten „Unterhaltungswert“ mit Machtgewinn und Selbstwerterhöhung, erfolgten mehrheitlich in Gruppendelikten. Die Opfer waren den Täterinnen bekannt bzw mit ihnen verwandt. Auffallend grausame Taten fanden sich in „girlie gangs“. Die Täterinnen litten an Persönlichkeitsstörungen (Cluster B), vereinzelt wurden hirnorganische Störungen und Intelligenzminderungen diagnostiziert, mehrheitlich zeigten sich psychopathische Züge.
Schlussfolgerungen: Der Terminus „Vergewaltiger“ legt unausgesprochen eine männliche Täterschaft nahe. Weltweit sind Frauen an 2-6% der Sexual(straf)taten beteiligt. Das Verhältnis von männlichen zu weiblichen Sexualstraftätern beträgt weltweit etwa 20:1. Die Rückfallsquoten von Vergewaltigerinnen sind sehr gering. Entgegen ihrer vordergründigen Selbstdarstellung in der Begutachtungspraxis dürften Vergewaltigerinnen weit öfters als zugegeben an einer Störung der sexuellen Entwicklung leiden, auf die auch in der Therapie spezifisch eingegangen werden sollte.
Frauen im Maßregelvollzug gem. § 64 StGB – sind Frauen die besseren Patienten?
Dörte Berthold, Rehburg-Loccum (Germany)
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Autor:innen:
Dörte Berthold, Rehburg-Loccum (Germany)
Christian Riedemann, Rehburg - Loccum (Germany)
Stefan Randzio, Rehburg - Loccum (Germany)
Bisher liegen nur wenige Untersuchungen zu Frauen im Maßregelvollzug gem. §64 StGB vor. Die meisten bisherigen Veröffentlichungen stützen sich auf Einzelfallanalysen oder sehr geringe Stichprobengrößen, was allgemeingültige Aussagen zur spezifischen Population fast unmöglich macht.
Der vorliegenden Untersuchung lagen die Daten der Stichtagserhebung aus dem Jahr 2017 zugrunde. Es erfolgte eine statistische Auswertung. Die Daten wurden in Bezug zur männlichen Population gestellt.
Frauen stellten 6,8% (n = 171) der Gesamtstichprobe dar (N = 2518). Bei 51,8% von ihnen wurde als primäre Suchtdiagnose eine Polytoxikomanie gestellt. Die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung erhielten 42,1%. Wobei die emotional-instabile Persönlichkeitsstörung mit 1/3 aller diagnostizierten Persönlichkeitsstörungen am häufigsten vergeben wurde. Die dissoziale Persönlichkeitsstörung machte bei den Frauen circa 5% aller Persönlichkeitsdiagnosen aus. Im Vergleich zu den Männern zeigt sich diesbezüglich ein umgekehrtes Verhältnis. Bei 77,3% der Patientinnen kam während der Unterbringung zu keinem Suchtmittelrückfall. Die Patientinnen weisen eine signifikante geringere Anzahl an Vordelikten, geringere Hafterfahrung und kürzere Parallelstrafen als die männliche Vergleichsstichprobe auf. Das Anlassdelikt der Frauen war seltener ein Gewaltdelikt (w: 36,3%; m: 56,4%). Bei 91,2% lag zum Zeitpunkt der Erhebung noch keine Entlassungsprognose vor. Bei 4,1% der Patientinnen wurde die Erledigung der Maßregel und bei 4,7% eine Bewährungsentlassung angestrebt. Bei den Männern zeigte sich hier ein Verhältnis von 2/3 zu 1/3 zwischen Erledigungs- und Entlassungsempfehlung.
Trotz gleicher Unterbringungsvoraussetzungen und Behandlungsmaßnahmen zeigen sich zwischen den Frauen und Männern viele Unterschiede. Zusammenfassend ergibt sich, alle Patienten profitieren von der Behandlung. Das Ziel der positiven Legalprognose wird von den Frauen jedoch deutlich häufiger erreicht. Sind Frauen die bessere Patienten?
Prävalenz psychischer Erkrankungen bei Sexualstraftätern
Daniel Turner, Mainz (Germany)
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Autor:innen:
Daniel Turner, Mainz (Germany)
Martin Rettenberger, Wiesbaden (Germany)
Reinhard Eher, Wien (Austria)
Einleitung: Psychische Erkrankungen bei Sexualstraftätern haben eine große Bedeutung für die Erfassung des individuellen Risikos sowie für psychotherapeutische und pharmakotherapeutische Therapien.
Methode: In der aktuellen Untersuchung wurden zwischen 2001 und 2017 insgesamt 1511 Sexualstraftäter aus dem österreichischen Justizvollzug mit dem Strukturierten Klinischen Interview für Achse I und Achse II Störungen (SKID) untersucht. Dies entspricht in etwa 60% aller Sexualstraftäter in Österreich, die im entsprechenden Zeitraum aufgrund einer Sexualstraftat zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurden.
Ergebnisse: Bei N = 1250 (92,9%) aller Sexualstraftäter konnte mindestens eine psychische Erkrankung diagnostiziert werden. Am häufigsten konnte die Diagnose missbräuchlicher Gebrauch von Alkohol (40%), eine paraphile Störung (43,3%) oder eine Persönlichkeitsstörung (53,6%) diagnostiziert werden. Hierbei konnte bei Männern, die ein Vergewaltigungsdelikt begangen haben, signifikant häufiger eine Persönlichkeitsstörung diagnostiziert werden, während Männer, die ein Kindesmissbrauchsdelikt begangen haben, signifikante häufiger die Diagnose einer paraphilen Störung erhielten.
Diskussion: Die Prävalenz psychischer Erkrankungen bei Männern, die ein Kindesmissbrauchsdelikt begangen haben, ist erheblich. Die Behandlung psychischer Störungen bei Sexualstraftätern kann einen deliktpräventiven Effekt entfalten, hierbei sollte aber auch auf die sozialen Folgeerscheinungen der psychischen Erkrankung eingegangen werden.
Wirkung der Beratung für Stalkingtäter*innen bei Stop-Stalking Berlin
Olga Siepelmeyer, Berlin (Germany)
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Autor:innen:
Olga Siepelmeyer, Berlin (Germany)
Katharina Seewald, Berlin (Germany)
Im Jahr 2018 wurde die erste Evaluation der Wirkung psychotherapeutischer Beratung für Stalkingtäter*innen bei Stop-Stalking Berlin durchgeführt. Klient*innen von Stop-Stalking, die in den Jahren 2014-2017 an längeren Beratungsprozessen (mehr als 5 Sitzungen) teilgenommen haben, haben einen schriftlichen Fragebogen beantwortet.
Aus den Rückmeldungen von 31 Stalkingtäter*innen folgt, dass 74,2 % von ihnen nach Abschluss der Beratung nicht rückfällig geworden sind. Dabei haben sich 62.5% Rückfalltäter*innen nach dem Rückfall die Berater*innen von Stop-Stalking erneut aufgesucht, um weitere Unterstützung zu bekommen. 70% der befragten Klient*innen gaben an, dass sie es im Laufe der Beratung gelernt haben, ihre Stalkingimpulse zu kontrollieren. Relationale Aspekte der Beratung (z.B. „verstanden werden“, „nicht abgelehnt werden“, „Unterstützung in der seelischen Krise bekommen“) wurden von den Täter*innen als besonders hilfreich für die Überwindung ihres Stalkingverhaltens wahrgenommen. Kritische Rückmeldungen von den Befragten spiegelten in erster Linie ihr Bedürfnis nach längerer psychotherapeutischer Unterstützung wieder.
Das forensische Bedürfnismodell (FNM) – Bewusstsein für die Praxis schaffen
Isabelle Scharnojahn, Taufkirchen (Vils) (Germany)
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Autor:in:
Isabelle Scharnojahn, Taufkirchen (Vils) (Germany)
Die Forschung zu untergebrachten Täterinnen ist vergleichsweise gering, während gerade diese Zielgruppe einer Berücksichtigung frauenspezifischer Eigenschaften in der Behandlung bedarf. Aufgrund vielfacher Einschränkungen die mit einer Langzeitunterbringung im Maßregelvollzug einhergehen, wurde im Rahmen von Grundlagenforschung eine bundesweite qualitative Untersuchung zur Lebensqualität und Bedürfnissen von langzeituntergebrachten Frauen (§ 63 StGB) durchgeführt. Hierzu wurden leitfadengestützte Interviews in drei Bundesländern durchgeführt, dessen Einrichtungen jeweils verschiedene strukturelle Unterschiede aufweisen.
Die Bedürfnisse mitsamt der Lebensbereiche des klinischen Alltages in denen sie besonders relevant werden, sind identifiziert und können in einem ersten gendergerechten Bedürfnismodell für die Forensische Psychiatrie, dem Forensic-Needs-Model, dargestellt werden. Das Modell kann insbesondere dazu dienen, ein grundsätzliches Bewusstsein für die Lebenswirklichkeit von Untergebrachten zu schaffen, sowie alltägliche Situationen zu analysieren. Des Weiteren kann es auch als eine Orientierungshilfe für weiterführende Interventionen hinzugezogen werden.
Das Potential der Fremdsprache Deutsch für die Therapie schizophrener Patienten im Maßregelvollzug
Maximilian Lutz, Günzburg (Germany)
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Autor:innen:
Maximilian Lutz, Günzburg (Germany)
Judith Streb, Günzburg (Germany)
Nadja Riemat, Hadamar (Germany)
Susanne Nöcker, Wiesbaden (Germany)
Manuela Dudeck, Günzburg (Germany)
Patienten, die gemäß §63 StGB im deutschen Maßregelvollzug untergebracht sind, können in der Regel erst dann entlassen werden, wenn eine substanzielle Verbesserung der Kriminalprognose erreicht wurde. Mangelnde Deutschkenntnisse stellen hierbei ein erhebliches Problem für die Therapie dar. In Hadamar wurde deshalb eine Station für Spracherwerb und Integration (SPRINT) eingerichtet, auf der die Patienten intensiven Deutschunterricht erhalten. Das Ziel besteht darin, den Patienten innerhalb eines Jahres das Sprachniveau A2 zu vermitteln, so dass eine Therapie in der Fremdsprache Deutsch begonnen werden kann.
Die auf dieser Station erworbenen Fortschritte im Erwerb der deutschen Sprache wurden im Rahmen einer wissenschaftlichen Untersuchung begleitend erfasst. Ein halbes Jahr nach Rückverlegung auf eine normale Station wurde überprüft, ob das erworbene Sprachniveau zur Teilnahme an der Regelbehandlung ausreicht. Dazu wurden sowohl die Patienten als auch ihre Therapeuten befragt. Erste Ergebnisse zeigen, dass das Sprachniveau A2 von den vorwiegend schizophrenen Patienten innerhalb eines Jahres erreicht und sogar übertroffen wurde. Die qualitative Auswertung der Patienten- und Therapeutenbefragung legt nahe, dass eine Therapie in der Fremdsprache Deutsch im Maßregelvollzug grundsätzlich stattfinden kann.
Freiheitsbeschränkende Zwangsmaßnahmen und medikamentöse Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug und in der Allgemeinpsychiatrie: ein Vergleich
Erich Flammer, Ravensburg (Germany)
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Autor:innen:
Erich Flammer, Ravensburg (Germany)
Gisbert Frank, Ravensburg (Germany)
Tilman Steinert, Ravensburg (Germany)
Einführung:
In Baden-Württemberg ist die Erhebung von Daten zu freiheitsbeschränkenden Zwangsmaßnahmen und medikamentösen Zwangsbehandlungen in forensischen und allgemeinpsychiatrischen Kliniken, sowie die Übermittlung dieser Daten an ein zentrales Register seit 2015 verpflichtend.
Ziel dieser Studie ist es, den Einsatz freiheitsbeschränkenden Zwangsmaßnahmen und medikamentösen Zwangsbehandlungen in Allgemeinpsychiatrie und forensischer Psychiatrie zu vergleichen.
Methode:
Daten zur psychiatrischen Hauptdiagnose, Art und Dauer einer Zwangsmaßnahme und Belegung nach Diagnosen und kumulierter Anzahl von Behandlungstagen aller 8 forensischen Einrichtungen Baden-Württembergs, die ein Einzugsgebiet mit etwa 11 Millionen Einwohnern abdecken und die entsprechenden Daten von 32 allgemeinpsychiatrischen Kliniken aus Baden-Württemberg wurden verglichen.
Ergebnisse:
In den acht forensischen Kliniken wurden im Jahr 2017 1.431 Patienten behandelt. Bei 324 Fällen (22,6%) kam es zu Isolierungen und in 54 Fälle (3,8%) zu Fixierungen. Von medikamentöser Zwangsbehandlung waren 27 Fälle (1,9 %) betroffen. In den 32 allgemeinpsychiatrischen Kliniken wurden 2017 115.011 Fälle behandelt. Von Isolierungen waren 3.281 Fälle (2,9 %) betroffen, von Fixierungen 5.421 Fälle (4,7 %) und von medikamentöser Zwangsbehandlung waren 734 Fälle (0,6 %) betroffen.
Diskussion
Mehr als jede(r) fünfte Patient*in im Maßregelvollzug war Isolierungen oder Fixierungen ausgesetzt. Verglichen mit Patient*innen in der Allgemeinpsychiatrie ist das Risiko einer freiheitsbeschränkenden Zwangsmaßnahme mehr als drei Mal so hoch. Dies ist am ehesten Ausdruck der Patientenselektion: In forensische Unterbringung eingewiesen werden nur Personen, bei denen von Gerichten erhebliche rechtswidrige Taten aufgrund der psychischen Störung oder des Suchtmittelkonsums erwartet werden.
Frauen im Maßregelvollzug
Hans-Joachim Traub, Aulendorf (Germany)
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Autor:in:
Hans-Joachim Traub, Aulendorf (Germany)
Hintergrund: Für eine Übersicht zum teilweise mystifiziert dargestellten Thema „Frauen im Maßregelvollzug“ erscheint eine Wiedergabe der Datenlage zu diesem Thema sinnvoll. Über-greifende, klinische Angaben zum Maßregelvollzug in Deutschland liegen nicht aktuell vor. Der juristische Datensatz zu den Neuanordnungen kann wie bei den anderen Forschungsprojekten der Forensischen Psychiatrie herangezogen werden.
Forschungsfragestellung: Unterscheiden sich Frauen in der Häufigkeit oder in den Fallmerkmalen von männlichen Patienten im Maßregelvollzug? Ergeben sich Hinweise aus dem Strafvollzug auf parallele Effekte, die als übergreifende kriminologische Zusammenhänge begriffen werden können?
Methoden: Für einen Überblick zur Datenlage werden die juristischen Neuanordnungen von Männern und Frauen in die §§63 und 64 StGB von 1995 – 2015 gegenübergestellt. Datengrundlage sind die Standardisierten Off-Site-Files der Strafverfolgungsstatistik (EVAS 24311) des Forschungsdatenzentrums der Statistischen Landesämter. Es wird der aktuelle Stand für Deutschland beschrieben sowie die Entwicklung von 1995 – 2015 für die alten Bundesländer. Zum Vergleich mit dem Strafvollzug werden alle Delikte ab einer Verurteilung zu 2 Jahren Haft herangezogen.
Ergebnisse: Die allgemein bekannten Unterschiede zwischen Frauen und Männern bilden sich auch in der vorliegenden Untersuchung ab. Frauen zeigen in allen Gruppierungen eine weit geringere erhebliche Kriminalität als Männer, die Deliktstruktur in den einzelnen Gruppierungen (Maßregeln §§ 63 und 64 StGB, erhebliche Delikte im Strafvollzug) ergibt aber ein jeweils ähnliches Muster wie bei den Männern. In der Maßregel gemäß §63 StGB steigt der Anteil der Frauen von 8% auf 13% an. In den Fallmerkmalen der Frauen kann zunehmend ein Muster beschrieben werden, das für schizophrene Patientinnen (Schuldunfähigkeit, impulsive Gewaltdelinquenz, höheres Alter) zutreffend erscheint.