Für Patient*innen geeignet.
Das deutsche Gesundheitssystem ist teilweise stark fragmentiert. Grenzen zwischen den Sektoren sind Herausforderungen und stellen erhebliche Hürden in der Inanspruchnahme dar. Diese Session stellt Lösungsmöglichkeiten für die Überwindung dieser Hürden in der sektorenübergreifenden Versorgung dar. Ein Beitrag stellt die Patientenperspektive hinsichtlich einer möglichen Unterstützung durch Navigatoren bei chronischen Erkrankungen dar. Weiterhin wird in einer anderen Untersuchung der Frage nachgegangen, wie Hausärzte in der Adressierung sozialer und sozialrechtlicher Beratungsanlässe von multimorbiden Patient*innen unterstützt werden können und welche Kooperationen mit bereits bestehenden Strukturen vorstellbar sind.
Ein weiterer Beitrag untersucht die Frage, welche Perspektiven Versorgungsakteure, die an der akuten und ambulanten Versorgung von ehemaligenPatient*innen der Intensivtherapiestation beteiligt sind, äußern in Bezug auf ein mögliches Versorgungsmodell in Form einer Intensiv-Nachsorgeambulanz.
Ein weiteres Forschungsprojekt, welches definierte Kernkomponenten eines patienten-orientierten Navigationsmodells für Lungenkrebs- und Schlaganfallpatienten in Deutschland definiert, wird vorgestellt. Schließlich wird eine Studie vorgestellt, die untersucht, ob es mithilfe von Koordinationsstellen möglich ist, entzündlich-rheumatische Erkrankungen so früh wie möglich zu erkennen und ob dadurch die Versorgungsqualität verbessert werden kann.
Hintergrund:
Das deutsche Gesundheitssystem ist stark fragmentiert und stellt Patienten oft vor organisatorische und bürokratische Herausforderungen. Patienten-Navigation ist ein innovatives Versorgungsmodell, welches Patienten dabei unterstützen soll, patientenorientierte Gesundheitsversorgung zu erhalten und sich im komplexen Versorgungsgeschehen zurechtzufinden. Dabei ist laut Studienlage noch unklar, welche Patienten besonders von persönlichen Navigatoren profitieren würden und welche Barrieren und Lücken in der Versorgung damit verringert werden können. Zudem bleibt bei der Entwicklung und Implementierung solcher Navigationsmodelle die Perspektive der Patienten als Zielgruppe bisher nicht ausreichend berücksichtigt.
Fragestellung:
Ziel unserer Studie ist es, die Patientenperspektive hinsichtlich einer möglichen Unterstützung durch Navigatoren bei chronischen Erkrankungen abzubilden. Es wird der Frage nachgegangen, welche Formen an Unterstützung sich Patienten von Navigatoren wünschen und welche Anforderungen ein solches Versorgungsmodell aus Patientensicht erfüllen sollte, damit es die Betroffenen erreicht und von ihnen angenommen wird.
Methode:
Es handelt sich um eine longitudinale qualitative Interviewstudie mit jeweils 20 Lungenkrebs- und Schlaganfallpatienten. Die Befragungen der einzelnen Patienten finden zu drei Zeitpunkten statt: nach Diagnosestellung, nach 3-6 Monaten und nach 6-12 Monaten. Befragung 1 ist als offenes Leitfaden-Interview konzipiert. Bei den Befragungszeitpunkten 2 und 3 handelt es sich um personalisierte semi-strukturierte Leitfaden-Interviews. Die Interviewdaten werden mithilfe des Softwareprogramms MAXQDA verwaltet und mittels thematischer Analyse ausgewertet.
Ergebnisse:
Patienten wünschen sich als Navigatoren konstante Ansprechpartner, die Zeit haben und die sie bei Bedarf und über verschiedene Kommunikationskanäle (Telefon, E-Mail, persönlich) kontaktieren können. Dabei sollen Patienten-Navigatoren die Betroffenen und auch ihre Angehörigen durch den „Versorgungsdschungel“ führen, indem sie über bereits existierende Unterstützungsangebote sowie sozialrechtliche Ansprüche informieren. Unterstützungsbedarf haben Patienten zudem bei organisatorischen (z.B. Terminbeschaffung und -koordination) und bürokratischen (Anträge, Kostenerstattungen etc.) Angelegenheiten, die die Betroffenen oft als sehr belastend empfinden. Wichtig ist vielen Patienten, dass sie aktiv auf das Angebot der Navigatoren aufmerksam gemacht werden und für sie möglichst keine zusätzlichen Wege entstehen, um das Angebot nutzen zu können.
Als unterstützungsbedürftig schätzen die befragten Patienten vor allem alleinstehende, ältere und kognitiv und/oder körperlich eingeschränkte Betroffene ein. Patienten mit einem gut funktionierenden sozialen Netzwerk sehen für sich häufig nur einen geringen Bedarf an Unterstützung durch Navigatoren.
Nicht alle Patienten bewerten das Versorgungsmodell der Navigatoren positiv. Einige Betroffene äußerten Bedenken, dass sie sich dann bevormundet fühlen könnten und würden sich daher nicht von Navigatoren unterstützen lassen.
Diskussion:
Navigatoren könnten aus Sicht vieler Patienten einen wichtigen Beitrag zur patientenorientierten Versorgung leisten, indem diese besonders unterstützungsbedürftige Betroffene durch die oft unübersichtliche Versorgungslandschaft führen und praktische und beratende Hilfestellungen anbieten. Es bleibt allerdings zu untersuchen, wie und wo im Versorgungsalltag vulnerable Patientengruppen wie alleinstehende und kognitiv und/oder körperlich eingeschränkte Patienten identifiziert und erreicht werden können. Zudem ist zu diskutieren, wie die Navigatoren in die bestehenden Versorgungsstrukturen effektiv und nachhaltig eingebettet werden können.
Praktische Implikationen:
Die Interviewstudie mit Patienten liefert im Hinblick auf die Entwicklung, Implementierung und praktische Umsetzung eines Navigationsmodells wichtige Hinweise und Vorschläge aus der Perspektive derjenigen, die von diesem neuen Versorgungsangebot profitieren sollen.
Dieses Projekt wurde im Rahmen der BMBF Förderlinie für Strukturaufbau Versorgungsforschung durchgeführt.
Hintergrund
Durch den demographischen Wandel mit steigenden Zahlen älterer, multimorbider Patient*innen und gleichzeitig bevorstehendem Hausärztemangel gewinnen neue Versorgungskonzepte in der Hausarztpraxis an Bedeutung. Die stärkere Koordinierung der Versorgung, bessere Vernetzung mit weiteren Versorgungsangeboten sowie auch die weitere Delegation von ärztlichen und nicht ärztlichen Leistungen an Versorger*innen innerhalb oder außerhalb der Hausarztpraxis sind denkbare Ansätze, um Hausärzt*innen zu entlasten.
In einem Teilprojekt im Rahmen eines BMBF (-Strukturförderung Versorgungsforschung) geförderten Forschungsverbundes werden Möglichkeiten untersucht, die Versorgung multimorbider Patient*innen in Hausarztpraxen zu verbessern und gleichzeitig Hausärzt*innen zu entlasten. Dabei stehen die Perspektiven von Hausärzt*innen, medizinischen Fachangestellten (MFAs) und Patient*innen im Vordergrund. In den ersten Projektstadien wurden zunächst Interviews mit Hausärzt*innen und MFAs geführt und eine Fragebogenerhebung mit Berliner Hausärzt*innen durchgeführt. Es zeigte sich, dass ein großer Anteil der hausärztlichen Tätigkeit mit nicht-medizinischen Aufgaben wie Koordinationsleistungen oder Adressierung sozialer Beratungsanlässe befasst ist. Die Hausärzt*innen wünschen sich insbesondere Unterstützung für soziale Fragestellungen. In Fokusgruppen wurden diese Ergebnisse erneut mit Hausärzt*innen diskutiert. Das Ziel war, zu erarbeiten, durch wen und in welchem Rahmen diese Unterstützung erfolgen könnte.
Fragestellung
Wie können Hausärzt*innen in der Adressierung sozialer und sozialrechtlicher Beratungsanlässe von multimorbiden Patient*innen unterstützt werden und welche Kooperationen mit bereits bestehenden Strukturen sind vorstellbar?
Methode
Als Abschluss des mixed-methods Designs des dreijährigen Projektes wurden zwei Fokusgruppen mit insgesamt elf Berliner Hausärzt*innen durchgeführt. Basis der ersten Hälfte der Diskussion war die Vorstellung der komplexen Versorgungsproblematik eines älteren Ehepaares mit sich verschlechternder Situation in der Häuslichkeit. Der zweite Teil der Fokusgruppen befasste sich konkret mit der Kooperation zwischen Hausärzt*innen und Pflegestützpunkten. Die Fokusgruppen wurden aufgezeichnet, transkribiert und inhaltsanalytisch ausgewertet.
Ergebnisse
Komplexe Versorgungsprobleme ergeben sich oftmals aus dem Zusammenwirken medizinischer, sozialer und familiärer Aspekte. In wieweit dabei Versorger*innen außerhalb der Hausarztpraxis einbezogen werden ist erwartungsgemäß abhängig vom Wissen über sowie dem Zugang zu bestehenden Angeboten vor Ort.
Eine wichtige Barriere für die Nutzung bestehender Strukturen besteht in der Unklarheit über Kompetenzen, Zuständigkeiten und Ressourcen der Anbieter*innen. Die diskutierenden Hausärzt*innen befürchten außerdem einen Informationsverlust, wenn sie sich nicht selber auch um soziale Fragestellungen kümmern. Sie wünschen sich eine/n niedrigschwellige/n kurzfristige erreichbare/n verbindliche/n Ansprechpartner*in für sich und ihre Patient*innen und Rückmeldung zu dem Beratungsergebnis. Pflegestützpunkte können nach Erfahrung einiger weniger Hausärzt*innen koordinative Aufgaben übernehmen und aufsuchende umfassende Unterstützung anbieten.
Diskussion
Nicht-medizinische Tätigkeiten wie die Koordination und die Adressierung sozialer Fragestellungen nehmen einen hohen Stellenwert in der hausärztlichen Praxis ein.
Möglichkeiten der Delegation sowie der Zusammenarbeit mit sozialen Einrichtungen, wie beispielsweise Pflegestützpunkten sind bekannt; jedoch werden sie noch nicht umfänglich genutzt. Die Zusammenarbeit könnte durch Austausch über Kompetenzen, Ressourcen sowie über informelle Vereinbarungen zu Kommunikationswegen intensiviert werden. Dies ist in einer folgenden Interventionsstudie geplant.
Praktische Implikationen
Durch eine Zusammenarbeit von Hausarztpraxen mit bereits bestehenden sozialen Einrichtungen im Bezirk können Patient*innen kompetente Ansprechpartner*innen außerhalb der Hausarztpraxis genannt werden. Hausärzt*innen können dadurch von nicht-medizinischen Beratungsanlässen entlastet werden.
Hintergrund
Personen, die lange auf einer Intensivtherapiestation (ITS) versorgt werden mussten, leiden häufig unter körperlichen, psychischen und kognitiven Folgebeeinträchtigungen, die als Post Intensive Care Syndrom (PICS) zusammengefasst werden. In Deutschland gibt es bisher kein etabliertes Versorgungsmodell der Nachsorge, welches PICS in seiner Gesamtheit ausreichend adressiert. Internationale Studien konnten bis heute keine Belege für ein effektives Versorgungskonzept zur Verbesserung der langfristigen Gesundheitsoutcomes vorlegen. Das Projekt PINA entwickelt und pilotiert ein Versorgungskonzept für eine Intensiv-Nachsorgeambulanz (INA). Dabei sind u.a. die Perspektiven der beteiligten Versorgungsakteure von zentraler Bedeutung.
Fragestellung
Welche Perspektiven äußern Versorgungsakteure, die an der akuten und ambulanten Versorgung von ehemaligen ITS-Patienten beteiligt sind, bezgl. eines möglichen neuen Versorgungsmodells in Form einer INA?
Methode
Wir führten für diese qualitative Studie leitfadengestützte Fokusgruppen-und Einzelinterviews mit Versorgungsakteuren durch, welche vorwiegend aus der Region Regensburg stammten. Relevante Akteure der Versorgung wurden hierbei möglichst heterogen zusammengestellt. Wir befragten die Teilnehmer zu den Themen Erfahrungen in der Nachsorge mit Patienten nach längerem ITS-Aufenthalt, eigene Vorstellungen zu einer INA, Herausforderungen in der interdisziplinären Zusammenarbeit, konkrete Durchführbarkeit einer INA am Standort sowie über Informationen, die durch eine INA vermittelt werden sollen. Fokusgruppen und Interviews wurden aufgezeichnet, wörtlich transkribiert und mit Hilfe von Atlas.ti einer qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring unterzogen. Dabei bildeten wir die Hauptkategorien theoriegeleitet (deduktiv) basierend auf den Themen im Leitfaden; die Unterkategorien indes wurden induktiv anhand der vergebenen Codes gebildet.
Ergebnisse
Wir führten sechs Fokusgruppen mit 41 Teilnehmern und sechs Einzelinterviews mit Experten durch. Die Teilnehmer (w=23) waren im Mittel 45 (Spannweite 29-69) Jahre alt und hatten eine mittlere Berufserfahrung von 13 (Spannweite 1-31) Jahren. Insgesamt wurden Personen aus neun unterschiedlichen Professionen befragt, wobei ein Drittel der Teilnehmer Ärzte waren, gefolgt von Pflegekräften (23%) und Physiotherapeuten (17%). Der Versorgungsbedarf begründete sich hauptsächlich durch den als sehr komplex und variabel beschriebenen Gesundheitszustand der Patienten. Fast alle Teilnehmer betonten die große psychische Belastung der Patienten, die vorwiegend erst nach dem ITS-Aufenthalt eintrete. Bei den Angehörigen verursache die psychische Belastung von Beginn an einen Versorgungsbedarf, der auch nach der Entlassung anhalte. Sehr häufig wurde bei diesem Thema von einer Versorgungslücke und folglich einem großen Bedarf an Unterstützung gesprochen. Häufig bemängelt wurden die Entlassbriefe, welche meist kaum Informationen zu therapeutischen Maßnahmen beinhalten, jedoch als wichtiges Kommunikationsmedium gesehen werden. Hinsichtlich der Erwartungen an die praktische Umsetzung einer INA waren für die Teilnehmer verschiedene Versorgungsmodelle denkbar. Das favorisierte Modell war eine Kombination aus Diagnostik und gezielter Weiterleitung der Patienten. Der Fokus sollte auf die psychologische Nachsorge gelegt werden. Die meisten Versorger hielten auch die Versorgung von Angehörigen für anstrebenswert. Häufig wurde eine gewisse Flexibilität der INA gewünscht. So sollte es auch die Möglichkeit von Telefonaten, Hausbesuchen oder Telemedizin geben. Eine weitere Aufgabe der INA sollte die Informationsvermittlung an Patienten, Angehörige und Versorger sein. Die größten Herausforderungen und zugleich die größten Chancen bzw. Aufgaben (z.B. Aufbau eines ambulanten Netzwerkes) der INA wurden hinsichtlich der intersektoralen- und interdisziplinären Zusammenarbeit gesehen. Insgesamt betonten die Teilnehmer den großen Bedarf einer strukturierten Nachsorge und stuften die Durchführung der INA als machbar ein. Bedenken gab es hinsichtlich der Finanzierbarkeit und der räumlichen Knappheit an Kliniken.
Diskussion
Insgesamt wurde die Nachsorge von Überlebenden eines ITS-Aufenthalts als lückenhaft bezeichnet und ein großer Versorgungsbedarf bestätigt, vor allem hinsichtlich der psychischen Komponente. Die INA wird als Chance gesehen, diese Lücke zu schließen. Dafür wurden verschiedene Modelle vorgeschlagen, die meist auch den Einbezug von Angehörigen inkludierten. Das favorisierte Modell (Diagnostik & gezielte Weiterleitung) funktioniere laut Aussagen der Versorger nur mit Einbindung aller Disziplinen, die idealerweise im Aufbau eines ambulanten Netzwerks gipfeln sollte.
Praktische Implikationen
Im nächsten Schritt werden die Ergebnisse zu den Perspektiven der Versorgungsakteure zusammen mit den Ergebnissen zu den Perspektiven der Patienten und Angehörigen im Rahmen eines partizipativen Workshops in die konkrete Konzeptentwicklung der INA integriert.
Hintergrund:
In einer älter werdenden deutschen Gesellschaft kommt der Versorgung von Patienten mit altersassoziierten Erkrankungen, wie Lungenkrebs oder Schlaganfall, eine große Bedeutung zu. Durch eine Fragmentierung des Gesundheitssystems sowie der Versorgungslandschaft können für die Patienten Barrieren und Schwierigkeiten im Zugang zu optimaler Versorgung und Unterstützung entstehen. Patientennavigation stellt hier ein patienten-orientiertes Versorgungsmodell dar, um die Patienten individuell und entsprechend ihrer Präferenzen entlang ihres kompletten Versorgungsverlaufes zu unterstützen und zu begleiten.
Fragestellung:
Ziel dieses Forschungsprojektes war es, definierte Kernkomponenten eines patienten-orientierten Navigationsmodells für Lungenkrebs- und Schlaganfallpatienten in Deutschland zu definieren.
Methode:
Im Rahmen einer Mixed-Methods-Studie wurden durch quantitative und qualitative Methoden Barrieren einer optimalen Versorgung von Lungenkrebs- und Schlaganfallpatienten untersucht. Diese beinhaltete die Untersuchung bereits bestehender Unterstützungsangebote, die Durchführung von Patienteninterviews zu wahrgenommenen Versorgungsbarrieren aus Patientenperspektive, sowie Sekundärdatenanalysen zur Identifikation vulnerabler Patientenpopulationen suboptimaler Versorgung. Durch regelmäßige Treffen der durchführenden Wissenschaftler wurden erhaltene Ergebnisse zusammengeführt und folgende zuvor definierte Kernkomponenten eines Patienten-Navigationsmodells definiert: Aufgaben des Navigators, Zielpopulation, Interaktionsform, krankheitsspezifische/-übergreifende Komponenten, beruflicher Hintergrund des Navigators und Integration ins Gesundheitssystem.
Ergebnisse:
Es wurde ein patienten-orientiertes Navigationsmodell für zwei prototypische altersassoziierte Krankheiten, Schlaganfall und Lungenkrebs, entwickelt. Als Aufgaben des Navigators wurden die Unterstützung der Patienten bei administrativen Hürden, bei der persönlichen Versorgungsorganisation und -koordination sowie die Vermittlung der Patienten an spezifische Unterstützungs- und Beratungsangebote definiert. Neben krankheitsspezifischen Unterstützungsbedarfen der Patienten zeigten sich auch krankheitsübergreifende Bereiche der Navigation, wie z.B. die Unterstützung bei administrativen Aufgaben. Entsprechend der genannten Aufgaben des Navigators wurde ein beruflicher Hintergrund der sozialen Arbeit mit zusätzlichem krankheitsspezifischem Training als ideal für den Navigator definiert. Vulnerable Patientengruppen einer suboptimalen Versorgung und somit Zielpopulation der Navigation waren unter anderem ältere Patienten, Patienten ohne ein unterstützendes soziales Netzwerk und multimorbide Patienten. Es wurde zudem anhand der erhobenen qualitativen Daten deutlich, dass der Navigator aus Sicht der Patienten ein konstanter Ansprechpartner mit der Möglichkeit flexibler Interaktionsformen zwischen Navigator und Patient sein sollte.
Diskussion:
Im Rahmen der vorliegenden Studie konnte auf Grundlage von qualitativen und quantitativen Daten einer Mixed-Methods-Studie ein patienten-orientiertes Navigationsmodell für Patienten der zwei prototypischen altersassoziierten Erkrankungen Lungenkrebs und Schlaganfall entwickelt werden. Die Umsetzbarkeit und Effektivität des Navigationsmodells in Bezug auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität und die Zufriedenheit mit der Versorgung der Patienten muss in Folgestudien evaluiert werden.
Praktische Implikationen:
Durch eine alternde Gesellschaft in Deutschland ist ein Anstieg altersassoziierter Erkrankungen zu erwarten, deren Versorgung häufig durch das Vorkommen von Komorbiditäten sehr komplex ist oder durch das Fehlen sozialer Unterstützung der Patienten erschwert wird. Patientennavigatoren können Patienten bei der Organisation und Koordination ihrer Versorgung in einem fragmentierten deutschen Gesundheitssystem unterstützen und somit entstehende Barrieren im Versorgungsverlauf abbauen.
Dieses Projekt wurde im Rahmen der BMBF Förderlinie für Strukturaufbau Versorgungsforschung durchgeführt.
Hintergrund
Die Rheumatoide Arthritis (RA), die Psoriasis Arthritis (PsA) und die Spondylarthritis (SpA) zählen zu den häufigsten entzündlich-rheumatischen Erkrankungen. Bei allen drei Erkrankungsbildern scheint sich das „window of opportunity“ [1,2,4] im Zuge der Therapie als ausschlaggebend herauszukristallisieren. Daher ist eine möglichst frühe Diagnose entscheidend.
Fragestellung
Die prospektive Studie verfolgt das Ziel, entzündlich-rheumatische Erkrankungen (RA, PsA und SpA) so früh wie möglich zu erkennen. Es stellt sich die Frage, ob dies mithilfe von Koordinationsstellen möglich ist und ob die Versorgungsqualität dadurch verbessert werden kann.
Methode
Der primäre Endpunkt ist der Anteil von Fällen mit tatsächlicher Indikation für eine unverzügliche Facharztüberweisung an allen gemeldeten Fällen.
Insgesamt kooperieren die Universitätsmedizin Mainz, die Medizinische Hochschule Hannover, das Rheumazentrum Niedersachsen, das Rheumazentrum Saarland des Universitätsklinikums des Saarlandes, das ACURA Rheumazentrum Rheinland-Pfalz, die niedergelassenen rheumatologischen Spezialisten, die Hausärzteverbände und die Landesverbände der Deutschen Rheuma-Liga e.V. und der Deutsche Vereinigung Morbus Bechterew e.V., um die ca. 13 Millionen Einwohner zu erreichen.
Hierzu erhalten Primärversorger Zugang zu Screeningbögen, um eine mögliche Verdachtsdiagnose von Rheumatoider Arthritis, Psoriasis Arthritis und Spondylarthritis zu dokumentieren. Diese werden in der bundeslandspezifischen Koordinationsstelle gesichtet und der Patient bei manifestiertem Verdacht schnellstmöglich an den Facharzt weitervermittelt. Dieser bestätigt oder verwirft die Diagnose. Bei einer diagnostizierten rheumatischen Erkrankung erhalten die Ärzte und Patienten Fragebögen zu den Bereichen Soziodemografie, Lebensqualität, Funktionalität, Medikation, Diagnose, Wohlbefinden und Depressiver Symptomatik, um die sekundären Endpunkte zu überprüfen.
Um die Zuweisungsqualität weiter zu steigern, wurde für alle Patienten aus Rheinland-Pfalz, deren Verdachtsdiagnose durch die Koordinationsstelle bestätigt wurde, eine 15-minütige rheumatologische Sichtungssprechstunde im ACURA Rheumazentrum eingeführt. Die Fragebögen werden nach einem zwölfmonatigen Follow-up erneut ausgefüllt und mit einer gematchten Referenzgruppe des deutschen Rheumaforschungszentrums abgeglichen.
In der seit Oktober 2017 angelaufenen 30-monatigen Erhebungsphase sollen bis zu 8700 Personen gescreent werden.
Ergebnisse
Es werden vorläufige Daten (28.02.2019) vorgestellt. In Rheinland-Pfalz, im Saarland und in Niedersachsen wurden mittlerweile fast 2750 Verdachtsdiagnosen von 1191 unterschiedlichen Zuweisern gemeldet. Insgesamt wurden 1402 Patienten durch die drei Koordinationszentralen zu einem der 49 teilnehmenden rheumatologischen Spezialisten überwiesen. Bei 547 Patienten wurde eine der drei Erkrankungen diagnostiziert. Rund 45 Patienten haben bereits den Follow-up- Termin nach einem Jahr wahrgenommen. Im Zuge der Sichtungssprechstunden wurden bis dato 182 Patienten gesichtet. Die Patienten warten durchschnittlich 41 Tage von der Verdachtsdiagnose bis zur verworfenen oder bestätigten rheumatologischen Diagnose. Aktuelle Ergebnisse werden auf der Tagung präsentiert.
Diskussion
Obwohl die durchschnittliche Wartezeit aktuell fast doppelt so lang ist wie die 23,9 Tage im rheinland-pfälzischen Vorgängerprojekt ADAPTHERA, sind die gegenwärtigen Studienergebnisse im Vergleich zum bundesweiten Durchschnitt als sehr positiv zu bewerten [3]. Ziel ist es, weiterhin die Screeningqualität und Screeningzahlen vor allem im 1-Jahres-Follow-up zu steigern.
Praktische Implikation
Bisherige Studien zeigen positive Ergebnisse. So befanden sich innerhalb des landesweiten Netzwerks ADAPTHERA ca. 75 Prozent der diagnostizieren Früharthritis-Kohorte nach 2 Jahren in Remission (DAS28 < 2,6) [3]. Entsprechende Entwicklungen werden bei allen Erkrankungsbildern innerhalb von Rheuma-VOR erwartet. Bei erfolgreicher Evaluation der Studie ist geplant, das Rheuma-VOR-Modell auf weitere Bundesländer auszudehnen.
Literatur
1. Boehncke WH, Menter A (2013) Burden of disease: psoriasis and psoriatic arthritis. Am J Clin Dermatol 14:377-388
2. Claudepierre P (2014) Spondyloarthritis: a window of opportunity? Joint Bone Spine 81:197-199
3. Lauter A, Triantafyllias K, Leiß R et al. (2019) ADAPTHERA - Landesweit transsektorales Versorgungsnetzwerk für Patienten mit früher rheumatoider Arthritis zeigt anhaltende Remissionen in der Regelversorgung. Wunder Punkt: Die Triage. Zeitschrift für Rheumatologie (In Print)
4. O'dell JR (2002) Treating rheumatoid arthritis early: a window of opportunity? Arthritis Rheum 46:283-285
Der Aufbau von Rheuma-VOR wird aus Mitteln des Innovationsfonds über drei Jahre gefördert.Der Innovationsausschuss beim Gemeinsamen Bundesausschuss fördert in den Jahren 2016 – 2019 neue Versorgungsformen, die über die bisherige Regelversorgung hinausgehen und diese nachhaltig verbessern.
Register in der Versorgungsforschung beobachten prospektiv und spiegeln ausgewählte Aspekte der medizinischen Versorgung unter Routinebedingungen wider. Durch die systematische Sammlung von Daten zu Erkrankungsmerkmalen, medizinischen Interventionen sowie zur Behandlungs- und Lebensqualität und können Register wertvolle Hinweise über den Einsatz und die Wirksamkeit therapeutischer oder präventiver Maßnahmen liefern und Ergebnisse aus klinischen Studien unter real-life-Bedingungen verifizieren. Zudem lassen sich Aussagen zur Patientensicherheit ableiten. Register stellen damit eine wichtige Voraussetzung für eine evidenzbasierte Gesundheitsversorgung dar. Die Vortragssession befasst sich mit den Erfordernissen einer zielführenden Nutzung der Möglichkeiten der Registerforschung für die Untersuchung und Bewertung der Umsetzung von Forschungsergebnissen in die klinische und gesellschaftliche Praxis und stellt ausgewählte Beispiele erfolgreicher klinischer Registerforschung vor.
Zielsetzung: Zur Versorgung des intakten Bauchaortenaneurysmas (iAAA) stehen das endovaskuläre Vorgehen (EVAR ) und die offene Versorgung (OR) zur Verfügung. Die Entscheidung, welches Vorgehen zu wählen ist, wird wesentlich durch die zu erwartende Operationsletalität beeinflusst. Ziel der vorliegenden Analyse war es, einen Risikoscore zu entwickeln, der die Operationsletalität in Abhängigkeit von der individuellen Risikokonstellation des Patienten für beide Vorgehensweisen vorhersagen lässt.
Methodik: Zur Modellerstellung wurden die Daten des BAA-Registers des Deutschen Instituts für Gefäßmedizinische Gesundheitsforschung (DIGG) der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin (DGG) der Jahre 2013-2015 herangezogen [1-3]. Es handelte sich um 10.404 Patienten, die entweder mit EVAR (n= 7878) oder mit OR (n= 2534) wegen eines iAAA versorgt wurden. Für beide Subgruppen wurden alle präoperativ vorliegenden Risikovariablen auf eine signifikante Korrelation zur Letalität untersucht. Diese Items wurden in eine binäre logistische Regressionsanalyse eingesetzt und anschließend alle Variablen aus der Regressionsanalyse entfernt, bis nur noch Variablen inkludiert waren, die auch im Kontext der Regression ihren signifikanten Korrelationseffekt nachweisen ließen. Es folgte ein additives Risikovorhersagemodell für EVAR, welches aus den Modellfaktoren abgeleitet wurde und 7 Risikogruppen erkennen ließ. Die Risikospanne für die Operationsletalität lag hierbei zwischen 0,2% und 44,4%. Analoges geschah für OR und anschließend wurden beide Modelle fusioniert. Um die Vorhersagequalität des Gesamtmodells zu prüfen, wurde der Gesamtdatensatz einer ROC- Analyse unterzogen und die AUC bestimmt. Es fand sich eine AUC von 0,817 (+0,014) mit hoher Signifikanz (p<0,001). Das 95% Konfidenzintervall lag zwischen 0,789 und 0,844.
Ergebnisse: Der Risikoscore für EVAR umfasst: Alter > 85 Jahre, Geschlecht weiblich, juxtarenale Pathologie, BAA-Durchmesser > 65 mm, Diabetes mellitus, ASA >3 (alle je 2 Punkte), Kardiale Begleiterkrankung (3 Punkte) und GFR < 30 ml/min (5 Punkte). Für OR gehen ein: Alter > 80 Jahre, Geschlecht weiblich, juxtarenale Pathologie , Z. n. Myokardinfarkt , Z. n. Apoplex (alle je 2 Punkte), ASA > 3 (3 Punkte), jedwede renale Begleiterkrankung (3 Punkte).
Folgerung: Mit dem DIGG-Vorhersagemodell lässt sich die Operationsletalität bei endovaskulärer und offener Versorgung des intakten Bauchaortenaneurysma für bestimmte Patientenkonstellationen verlässlich vorhersagen, wie eine Validierung des Datensatzes anhand von 3831 Fällen mit intakten AAA des Jahrgangs 2016 demonstrierte.
Literatur:
1. Grundmann RT (2015) Versorgung des abdominellen Aortenaneurysmas (AAA) 2014. Registerbericht des DIGG der DGG. Gefässchirurgie 20: 376–384
2. Schmitz-Rixen T, Steffen M, Grundmann RT (2017) Versorgung des abdominellen Aortenaneurysmas (AAA) 2015. Registerbericht des DIGG der DGG. Gefässchirurgie 22: 180–188
3. Schmitz-Rixen T, Steffen M, Grundmann RT (2018) Versorgung des abdominellen Aortenaneurysmas (AAA) 2016. Registerbericht des DIGG der DGG. Gefässchirurgie 23: 174-184
Hintergrund: Die Zulassung des ersten Biologikums zur Therapie der mittelschweren bis schweren atopischen Dermatitis (AD) eröffnet eine neue Therapieoption für Patienten, bei denen die Erkrankungsschübe und die Einschränkungen der gesundheitsbezogenen Lebensqualität durch äußerliche Therapien und Meidung von Triggerfaktoren allein nicht ausreichend kontrolliert werden kann. Die Inanspruchnahme der neuen Therapieoption und ihre Wirksamkeit unter Routinebedingungen sind bislang unklar.
Ziel/Fragestellung: Untersuchung der Wirksamkeit von Dupilumab unter real-life-Bedingungen der Regelversorgung in der Therapie der mittelschweren bis schweren AD.
Methoden: Das multizentrische klinische Register TREATgermany erhebt unter Schirmherrschaft der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft prospektiv klinische Daten und patientenbezogene Outcomes von erwachsenen Patienten mit mittelschwerer bis schwerer AD. Zwischen Juni 2016 und Januar 2019 wurden 612 Patienten (Durchschnittsalter 42,6 Jahre, 38,2% weiblich) in 32 Kliniken und dermatologischen Praxen in das Register eingeschlossen. Die primären Outcome-Marker sind die Schwere der klinischen Symptome (Eczema Area and Severity Index, EASI, und objektiver SCORAD, oSCORAD), die patientenbezogene Symptomschwere, (Patient Oriented Eczema Measure, POEM), die Lebensqualität (Dermatology Life Quality Index, DLQI) sowie die Kontrolle der Schübe (Anzahl der schubfreien, komplett kontrollierten Wochen).
Ergebnisse: Von den 612 eingeschlossenen Patienten zeigten sich 523 Patienten zum Einschluss in das Register in Bezug auf eine Therapie mit Dupilumab therapienaiv. Hiervon wurden nach Einschluss 174 Patienten (33%) auf Dupilumab eingestellt (mittleres Alter 44,5 Jahre, 33,9% Frauen). 137 der mit Dupilumab behandelten Patienten (78,7%) hatte zuvor noch keine Systemtherapie erhalten (“first-line-Therapie”). 53 Patienten wurden unter der Therapie mit Dupilumab bis zum aktuellen Zeitpunkt über mindestens 2 Folgevisiten nachbeobachtet (bis Woche 24). Zum Zeitpunkt der Einstellung auf Dupilumab hatten die Patienten einen höheren oSCORAD (49,1±14,9) als alle anderen Patienten zur Baseline-Visite (40,8±16,3). Auch der EASI-Score war vor Therapiebeginn mit Dupilumab deutlich höher mit 23,2±13,7 als bei dem Gesamtkollektiv aller Registerpatienten (15,8±12,6). Die Lebensqualität zur Baseline-Visite war bei den im Verlauf mit Dupilumab-behandelten Patienten stärker beeinträchtigt (13,4±6,9) als bei allen Registerpatienten (11,3±7,5), auch zeigten die Patienten, die mit Dupilumab behandelt wurden, eine sehr geringe Anzahl von komplett kontrollierten Wochen (0,8±1,7 von 12 Wochen) im Vergleich zu allen anderen Registerpatienten mit 2,0±3,4 von 12 komplett kontrollierten Wochen.
Bei der ersten follow-up-Visite zeigte sich bei den mit Dupilumab behandelten Patienten eine deutliche Besserung des oSCORAD um 55%. Dieser Effekt wurde auch 6 Monate nach Therapiebeginn mit Dupilumab stabil beobachtet. Auch beim EASI-Score konnte nach 3 Monaten eine deutliche Besserung gezeigt werden mit einem EASI-75 bei 50%; der EASI-75 war ebenso nach 6 Monaten weiterhin stabil bei 51,9%. Die Patienten berichten 6 Monate nach Therapiebeginn über einen komplett kontrollierten Hautbefund in 6,3±4,5 von 12 Wochen (Baseline: 0,6±1,1). Die deutliche Besserung des Hautbefundes spiegelt sich in den Angaben zur Lebensqualität der Patienten wider: Als Ausgangswert lag der DLQI bei 11,6±7,2, bei der ersten follow-up-Visite nach 3 Monaten fiel der Wert auf 4,1±4,7 Punkte. Auch der POEM zeigte sich nach 3 Monaten um 48,1% reduziert mit 7,9±6,3 vs. 18,4±6,5. Innerhalb von 3 Monaten nach der Verordnung von Dupilumab wurde bei 13% der Patienten eine Konjunktivitis beobachtet (14/105).
Diskussion: Im TREATgermany Register wurde binnen eines Jahres bei 137 Patienten mit moderater bis schwerer AD eine Therapie mit Dupilumab als „first-line-Therapie“ initiiert. Patienten, die auf Dupilumab eingestellt wurden, fielen vor der Einstellung durch ausgeprägteren Hautbefund und vermehrte Schübe der AD auf. Die Therapie mit Dupilumab war auch unter real-life-Bedingungen ähnlich effektiv wie in den publizierten klinischen Zulassungsstudien. Sowohl der Hautbefund (oSCORAD und EASI-Score) als auch Lebensqualität und Symptomerleben (DLQI und POEM) waren unter der Therapie über 6 Monate signifikant gebessert.
Praktische Implikation: Die Effektiveness von Dupilumab scheint in der Routineversorgung mit den im Rahmen von Zulassungsstudien ermittelten Daten zu Dupilumab an einer ausgewählten Studienpopulation vergleichbar zu sein. Das erste in der Therapie der AD zugelassene Biologikum könnte den Beginn einer neuen Ära weiterer effektiver Therapieoptionen bedeuten. TREATgermany wird perspektivisch Informationen zur Langzeit-Sicherheit und -Wirksamkeit von Dupilumab sowie zu weiteren neuen Therapieoptionen liefern können.
* TREATgermany wird von der Firma Sanofi finanziell unterstützt.
Hintergrund und Fragestellung
In einem sich ständig verändernden Spektrum von antipsoriatische Systemtherapien wird die kurzfristige Wirksamkeit und Sicherheit der verschiedenen Behandlungen in kontrollierten klinischen Studien nachgewiesen. Das deutsche Psoriasisregister PsoBest zielt darauf ab, langfristige Beweise für Sicherheit und Wirksamkeit in der Routineversorgung zu gewinnen. Es werden aktualisierte Zwischenergebnisse (bis Juni 2018) über die langfristige Sicherheit der biologischen und nichtbiologischen Behandlung von Psoriasis präsentiert.
Methoden
Das nicht-interventionelle deutsche Psoriasis-Register PsoBest beobachtet erwachsene Patienten mit mittlerer bis schwerer Psoriasis mit oder ohne psoriatische Arthritis. Die Patienten werden beim naiven systemischen Behandlungsbeginn registriert und bis zu 15 Jahre in der Routineversorgung beobachtet. Die Daten werden in dermatologischen Praxen und Kliniken sowie in postalischen Zwischenvisiten erhoben. Die Meldungen scherwiegend unerwünschter Ereignisse (SUE) werden umgehend per Sonderformular und (nichtschwerwiegende) unerwünschte Ereignisse (UE) mit der regulären Visitendokumentation an PsoBest übermittelt. Die eingegangenen Meldungen werden nach MedDRA® (Medical Dictionary for Regulatory Activities) kodiert und einer Systemorganklasse (SOC) zugewiesen. Diese Ereignisse werden einer Therapie zugeordnet, falls es zwischen Beginn und Ende der Therapie (plus 90-Tage- Risikofenster) auftrat (as-observed-Analyse). Für Todesfälle und maligne Neuerkrankungen erfolgt die Zuordnung zu allen Therapien, deren Beginn vor dem Ereignis lag (ever-exposed-Analyse).
Das Update umfasst Berichte bis Juni 2018. Dabei werden auf 100 Patientenjahre (PJ) standardisierte Patientenzahlen unter Exposition präsentiert.
Ergebnisse
Von allen bis zum 30. Juni 2018 registrierten Patienten wurden 6.654 Patienten in die Analysen eingeschlossen. Die Patienten waren überwiegend männlich (58,8 %), hatten ein Durchschnittsalter von 47,7 Jahren (SD 14,5) und 30,2 % der Patienten litten an psoriatischer Arthritis. Die Mehrheit der Patientenjahre (PJ) wurde bei nicht-biologischen Behandlungen beobachtet (7.597 PJ, Apremilast, Ciclosporin, Fumarsäureester = FSE, Leflunomid, Methotrexat = MTX, Skilarence, Retinoide, systemische PUVA = Psoralen plus UV-A). 5.751 Patientenjahre wurden bei den Biologika erfasst (Adalimumab, Brodalumab, Certolizumab, Efalizumab, Etanercept, Golimumab, Guselkumab, Infliximab, Ixekizumab, Ustekinumab, Secukinumab). Für die Biosimilars wurden bereits 11 Patientenjahre registriert.
Bei den Behandlungen mit Biologika wurden nicht schwerwiegende Infektionen häufiger beobachtet als bei den Nicht-Biologika (6,8 vs. 4,9 Patienten/ 100 PJ, p ≤ 0,05). Nicht schwerwiegende unerwünschte Ereignisse (UE) innerhalb der SOCs Erkrankungen der Haut und des Unterhautgewebes, Erkrankungen des Blutes und des Lymphsystems, Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts, Erkrankungen des Nervensystems, Gefäßerkrankungen sowie Untersuchungen waren in der Behandlung mit Biologika seltener als in der mit Nicht-Biologika (2,4 vs. 5,2, 0,4 vs. 2,4, 2,6 vs. 11,6, 1,5 vs. 2,9, 1,3 vs. 2,2 und 2,1 gegenüber 3,6 Patienten/100 PJ, p ≤ 0,05).
Die höchsten SUE-Raten wurden in der SOC Chirurgische und medizinische Eingriffe mit einem häufigeren Auftreten in der Biologika Kohorte beobachtet (4,2 vs. 3,0 Patienten/ 100 PJ bei Biologika bzw. Nicht-Biologika, p ≤ 0,05). Die Ereignisse der SOC Infektionen und parasitäre Erkrankungen wurden ebenfalls unter Biologika häufiger registriert (1,9 vs. 1,2 Patienten/ 100 PJ, p ≤ 0,05). Für Todesfälle, maligne Neuerkrankungen und andere schwerwiegende Ereignisse gab es keine signifikanten Unterschiede zwischen den Behandlungskohorten.
Bei den zuletzt zugelassenen Behandlungen Brodalumab, Certolizumab, Guselkumab, Ixekizumab, Skilarence und den Biosimilars gab es keine Abweichungen vom bisher beobachteten Sicherheitsprofil anderer systemischer Therapien.
Diskussion und Praktische Implikationen
Im Allgemeinen wurde kein erhöhtes Risiko für die Behandlung mit Biologika, Nicht-Biologika oder Biosimilars beobachtet. Die spezifischen Unterschiede zwischen nicht schwerwiegenden und schwerwiegenden Nebenwirkungen werden in zukünftigen Analysen näher untersucht. Für robuste Daten über kürzlich zugelassene Therapeutika ist mehr Beobachtungszeit erforderlich, insbesondere bei einem sich ständig ändernden Behandlungsspektrum.
Background
Many publications theoretically discuss possible differences in effect estimates from randomized controlled clinical trials (RCT) and non-randomized studies (NRS) performed under routine care conditions (i.e. effectiveness-efficacy gap). The potential drivers for the difference in routine care are patient characteristics, organization of intervention (e.g. required expertise), flexibility of intervention delivery, adherence/fidelity and context/setting. In addition to these drivers for the effectiveness-efficacy gap, differences in effect estimates may arise because of methodological aspects, in particular unmeasured confounding, selection bias and analyses that rather examines the effect of starting and adhering to intervention than allocation to intervention in NRS.
Objective
Our objective was to empirically analyze differences between effect estimates from RCT and NRS performed under the usual circumstances of health care practice (uc-NRS).
Methods
We performed a systematic literature search in Pubmed (02/2019). We included studies that reported data enabling us to compare risk ratios from RCTs with risk ratios from uc-NRS for binary incidence measures (e.g. diseases specific mortality). We defined “uc-NRS” as studies in which the allocation was not investigator controlled and that were based on routinely collected health care data (e.g., registries or insurance claims). Studies were selected by two reviewers independently. Data were extracted by one reviewer and verified by a second reviewer.
We assessed the agreement between RCT and uc-NRS with a variety of measures. We counted the number of conflicting effect directions and the number of overlapping 95% confidence intervals (CIs). We performed these comparisons for unadjusted as well as adjusted uc-NRS estimates.
Further meta-epidemiological measures (e.g. expected vs observed overlap of CIs) and an exploration of possible reasons for difference (e.g. confounding bias, selection bias, analysis perspective) will be presented at the conference.
Results
We included eleven studies. The studies encompassed orthopedics (n=2), heart diseases (n=6), colorectal cancer (n=1), diabetes (n=1) and congenital diseases (n=1). Three studies considered a drug therapy, three a medical device and five a medical procedure/technique. The data base was a registry in seven studies and administrative health care data in four studies. Patient characteristics often differed between uc-NRS and RCT.
In four studies, pooled effects of uc-NRS were compared with pooled effects of RCTs.
The comparison of unadjusted effect measures included eight clinical questions. The effects were in same direction for all clinical questions (8 of 8) and CIs overlapped in most cases (6 of 8).
The comparison of adjusted effect measures included seven clinical questions. The effects were in the same direction in most cases (5 of 7). CIs overlapped in all but one case (6 of 7). As expected, the adjusted uc-NRS estimates were closer to RCT estimates than the unadjusted estimates (4 of 4 that reported unadjusted as well as adjusted measures).
Discussion
In theory, differences between RCTs and uc-NRS are well justified. We found a difference between RCT and uc-NRS, which would have resulted in a different conclusion, in only two unadjusted effect estimates and in no adjusted effect estimate. This finding is in accordance with a large amount of previous meta-epidemiological research comparing NRS and RCT effect estimates. Our finding is limited by the small sample size.
Implications for practice
Further meta-epidemiological research, in particular an in-depth analysis of drivers for differences between uc-NRS and RCT is necessary. Such research could increase the knowledge on when and how uc-NRS can be set-up that could mirror or extrapolate the effects from RCTs. A better understanding of the premises and requirements for using uc-NRS as an alternative or complement to RCT would increase the value of uc-NRS for decision-making.
Hintergrund: Mit einer 9-monatigen Konzeptentwicklungsphase förderte das BMBF den Aufbau modellhafter Patientenregister in der Versorgungsforschung in 16 Vorhaben. Die Vorhaben wurden durch ein Begleitprojekt (Förderkennzeichen 01GY1720A und 01GY1720B) hinsichtlich der Einhaltung methodischer, organisatorischer sowie technischer Richtlinien und Standards unterstützt. Am Ende der Konzeptentwicklungsphase konnten die Vorhaben eine mehrjährige Weiterförderung für die Realisierungsphase beantragen, sechs Vorhaben wurden für diese Anschlussförderung ausgewählt. Eine Aufgabe des Begleitprojekts bestand in der Bereitstellung eines Werkzeuges für die Verwaltung aller Metadaten der geförderten Vorhaben.
Fragestellung: Es soll dargestellt werden, wie das Begleitprojekt den Einsatz eines Werkzeugs zur Verwaltung der Metadaten vorbereitet hat.
Methode: Zu Beginn der Konzeptentwicklungsphase wurde in Abstimmung mit den 16 Vorhaben eine Struktur zur Erfassung aller Merkmale entwickelt (Merkmalskatalog). Diese Struktur ermöglichte die Definition von Dokumentationseinheiten wie z. B. „Patient“ oder „Lebensqualität“ und von Merkmalen dieser Dokumentationseinheiten wie „Geschlecht“ oder „visuelle Analogskala“. Dokumentationseinheiten und Merkmale konnten durch verschiedene Eigenschaften weiter definiert werden, z. B. einer Bezeichnung, einer ausführlicheren Beschreibung oder der Zuordnung zu Modulen. Für ein Merkmal konnte zudem ein Datentyp oder eine Liste von erlaubten Ausprägungen bestimmt und Kodierungen für Ausprägungen und Plausibilitätsprüfungen vorgesehen werden. Die Merkmalskataloge wurden zunächst in eine gemeinsame Datenbank eingelesen und anschließend in das Metamodell der ISO/IEC 11179 „Information technology - Metadata registries (MDR) - Part 3: Registry metamodel and basic attributes“ (3. Edition) überführt. In der ISO 1179 wird ein DATA_ELEMENT durch eine Verknüpfung eines DATA_ELEMENT_CONCEPTs mit einer VALUE-DOMAIN definiert. Dabei beschreibt eine VALUE_DOMAIN entweder eine Liste von erlaubten Ausprägungen (ENUMERATED_VALUE_DOMAIN) oder eine Regel bzw. einen Wertebereich (DESCRIBED_VALUE_DOMAIN). Als konzeptuelles Pendant zur VALUE_DOMAIN kennt die ISO/IEC 11179 die CONCEPTUAL_DOMAIN, die wiederum mit dem DATA_ELEMENT_CONCEPT verbunden ist. Die für ein Merkmal im Katalog vergebenen Wertelisten stellten eine ENUMERATED_VALUE_DOMAIN dar, allen anderen Merkmalen wurde eine DESCRIBED_VALUE_DOMAIN zugeordnet. Es zeigte sich, dass eine weitere Zusammenfassung von CONCEPTUAL_DOMAINs als CONCEPT_DOMAIN_GROUP sinnvoll war.
Ergebnisse: Zum Ende der Konzeptentwicklungsphase wurden dem Begleitprojekt 15 ausgearbeitete Merkmalskataloge zur Verfügung gestellt. Die Kataloge wurden entweder nur in Deutsch, nur in Englisch oder in beiden Sprachen verfasst. Insgesamt wurden 352 Dokumentationseinheiten mit einer Anzahl pro Projekt zwischen 8 und 27 (Median 16, Variationskoeffizient 0,31 - ohne Berücksichtigung eines Ausreißers mit 127 Dokumentationseinheiten) und 4777 Merkmale definiert. Die Anzahl der Merkmale pro Projekt betrug zwischen 48 und 756 (Median 196, Variationskoeffizient 0,73). Für die Bezeichnungen wurden vor allem Phrasen, aber auch Fragen, einzelne Worte oder Variablennamen verwendet. Bei der Überführung der Merkmale in das Modell der ISO/IEC 11179 wurden 814 CONCEPTUAL_DOMAINs und 46 CONCEPTUAL_DOMAIN_GROUPs festgelegt. 2414 Merkmale repräsentierten eine ENUMERATED_VALUE_DOMAIN, 2363 eine DESCRIBED_VALUE_DOMAIN. Für die sechs geförderten Vorhaben wurde eine spezifische Rückmeldung relevanter Überlappungen mit anderen Projekten zusammengestellt.
Diskussion: Die Transformation der Merkmalskataloge in die Struktur des Metamodells der ISO/IEC 11179 ermöglichte einen Vergleich der Merkmale zwischen den Projekten und damit das Aufzeigen von Ähnlichkeiten zwischen Merkmalen, von Unterschieden bei Wertelisten und einer Verwendung von Standards. Bei der Analyse der zur Verfügung gestellten Merkmalskataloge fiel eine erhebliche Verschiedenartigkeit auf, die nicht nur durch unterschiedliche medizinische Sachverhalte, sondern auch durch verschiedene Modellierungsansätze bedingt war. Die Bereitstellung eines geeigneten Dokumentationsstandards reichte noch nicht aus, um Gleiches gleich zu modellieren. Die Ergebnisse verdeutlichen daher eindrücklich den Bedarf eines zentralen Werkzeuges in Form eines Metadata Repository.
Praktische Implikationen: Die gewonnenen Erkenntnisse unterstützen eine Harmonisierung von Metadaten und die Verwendung etablierter Standards in der Fördermaßnahme. Eine nachhaltige Verwaltung der Metadaten ist jedoch nur bei Einsatz eines zentralen Metadata Repository zu erwarten.
Ausgehend von verschiedenen Krankheitsbildern werden in der Session mit Hilfe von Routinedaten Faktoren identifiziert, warum Patient*innen einerseits bestimmte Leistungen in Anspruch nehmen und andererseits bestimmte Therapieoptionen von Ärzten verschrieben bekommen. Diese Entscheidungen wirken sich letztlich sowohl auf medizinische Endpunkte als auch auf die abgerechneten Kosten im Gesundheitssystem aus.
Hintergrund: Brustkrebs ist die häufigste krebsassoziierte Todesursache bei Frauen. Mammographie-Screening-Programme (MSP) zur Früherkennung von Brustkrebs zielen darauf ab, die Mortalität an Brustkrebs zu reduzieren. Für ein Qualitätsmonitoring von MSP ist es hilfreich, individuelle und kontextuelle Determinanten der MSP-Teilnahme zu kennen. Diese können im Kontext regionaler Unterschiede in der MSP-Teilnahme identifiziert werden. Routinedaten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bieten eine potenzielle Datenquelle für entsprechende Analysen. Ein besonderer Vorteil von GKV-Routinedaten besteht darin, dass sie auf individueller Ebene Informationen sowohl für MSP-Teilnehmerinnen als auch für Nichtteilnehmerinnen enthalten. Ein weiterer Vorteil liegt darin, dass sich die individuellen Daten mit externen Strukturdaten auf Kreisebene anreichern lassen. Inwiefern GKV-Routinedaten für die Beschreibung und Erklärung regionaler Unterschiede in der Teilnahme am deutschen MSP geeignet sind, wurde bislang jedoch nicht untersucht.
Fragestellung: Erstmals wurde systematisch und anhand eines Vergleichs mit Ergebnissen eines externen Goldstandards untersucht, inwiefern sich GKV-Routinedaten für die Beschreibung und Erklärung regionaler Unterschiede in der Teilnahme am deutschen MSP unter Einbeziehung externer Strukturdaten eignen.
Methode: Die Datengrundlage bildeten GKV-Routinedaten der BARMER mit 147.325 MSP-Teilnahmen in Niedersachsen und Daten der acht Screening-Einheiten (SE) in Niedersachsen mit 1.181.212 MSP-Teilnahmen im Zeitraum 2011 bis 2014. Für die Beschreibung regionaler Unterschiede in der MSP-Teilnahme wurden auf Ebene der 46 Kreise in Niedersachsen standardisierte Teilnahmeverhältnisse (Standardized Participation Ratios; SPR) in 2011 bis 2014 sowohl mit GKV-Daten als auch mit SE-Daten ermittelt. Die Ergebnisse der unterschiedlichen Datenquellen wurden in einer Bland-Altman Analyse auf ihre Übereinstimmung überprüft. Für die Erklärung regionaler Unterschiede wurde eine auf GKV-Daten von 96.273 in Niedersachsen wohnhaften Frauen im zur MSP-Teilnahme berechtigenden Alter basierende Mehrebenenanalyse durchgeführt. Die MSP-Teilnahme im Zeitraum 2011 bis 2014 wurde als abhängige Variable definiert. Als erklärende Variablen wurden auf individueller Ebene Alter und die 31 Elixhauser-Erkrankungen berücksichtigt. Auf Kreisebene wurden Strukturdaten des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung zu Arbeitslosigkeit, mittlerem Haushaltseinkommen, Anteilen Beschäftigter ohne Berufsabschluss bzw. mit akademischer Qualifikation, Ausländeranteil und siedlungsstrukturellem Kreistyp verwendet.
Ergebnisse: Die SPR variierten zwischen 0,80 und 1,24 (GKV-Daten) bzw. 0,79 und 1,22 (SE-Daten). Statistisch signifikante regionale Unterschiede in der MSP-Teilnahme wurden für 27 Kreise (GKV-Daten) bzw. 39 Kreise (SE-Daten) identifiziert. Die mittlere Abweichung zwischen GKV und SE-Daten betrug -0,02 mit 95% Übereinstimmungsintervallgrenzen von -0,12 und 0,08. In der auf GKV-Daten basierenden Mehrebenenanalyse wurde das Vorhandensein von regionalen Unterschieden in der MSP-Teilnahme bestätigt. Obwohl 10 Erkrankungen negativ und 11 Erkrankungen positiv mit einer MSP-Teilnahme assoziiert waren, trugen diese, genau wie Alter, nicht zur Erklärung regionaler Unterschiede bei. Auf kontextueller Ebene war eine höhere Arbeitslosigkeit negativ und ein höherer Anteil an akademisch qualifizierten Beschäftigten positiv mit einer MSP-Teilnahme assoziiert. Insgesamt erklärten die kontextuellen Variablen zu Arbeitslosigkeit, Haushaltseinkommen, beruflicher und akademischer Qualifikation, Ausländeranteil und siedlungsstrukturellem Kreistyp 58,5% der regionalen Unterschiede in der MSP-Teilnahme.
Diskussion: Regionale Unterschiede in der MSP-Teilnahme lassen sich mit GKV-Routinedaten repräsentativ abbilden. Unter Einbeziehung externer Strukturdaten lässt sich mehr als die Hälfte der regionalen Unterschiede in der MSP-Teilnahme erklären. Inwiefern auch der individuelle sozioökonomische Status, Lebensstilfaktoren, psychologische Faktoren und die Lebensqualität mit einer MSP-Teilnahme assoziiert sind, sollte zukünftig untersucht werden. Da diese Informationen in Routinedaten der GKV jedoch größtenteils nicht enthalten sind, müssten diese separat erhoben und mit den GKV-Daten auf individueller Ebene verknüpft werden.
Praktische Implikationen: GKV-Routinedaten eignen sich zur Beschreibung und Erklärung regionaler Unterschiede in der Teilnahme am deutschen MSP. Um das vorhandene Potenzial von GKV-Daten für die Erklärung regionaler Unterschiede in der MSP-Teilnahme vollständig auszuschöpfen, sind jedoch weitere Daten auf individueller Ebene erforderlich.
Background: In 2015, there were 17.5 million new cases of cancer and 8.7 million cancer deaths worldwide. Cancer was therefore the second leading cause of death after cardiovascular diseases. Information on the current burden of cancer in Germany is scarce, but necessary to predict the future burden of cancer and healthcare facilities needed for appropriate care.
Methods: We utilized anonymized longitudinal data of a large statutory health insurance of approximately 2.3 million persons living in the German federal state of Saxony.
Results: Applying case definitions based on in- and outpatient diagnosis we identified 167,712 prevalent and 75,360 new onset cancer patients in general within the years 2010 to 2015. Altogether, sex ratio was almost 1:1 and about eight in hundred people were classified as having prevalent cancer in the study period of six years. The average age of the cancer population was at 73.64 (SD 14.1) years. The age-standardized rates of new onset cancer cases of women ranged between 568 and 690 per 100,000 persons, that of men were higher and ranged between 807 and 978 per 100,000 persons. Standardized all-cause mortality rates ranged from 94 to 108 per 1,000 persons for women and from 133 to 152 per 1,000 persons for men (background mortality around 1%). Relative 5-year survival for the year 2015 was 71.5% for women and 63.4% for men. Altogether, the prevalent cancer cases accounted for more than 750 thousand inpatient cases between 2010 and 2015, and caused about 26% of hospital costs of the health insurance collective within the study period.
Discussion: Based on routine healthcare data, we were able to make a comprehensive assessment of the actual cancer burden and medical care in Saxony. However, there is a need for further research in Saxony. In particular, the comparative analysis of different types of cancer could provide information on regional cancer dynamics and differences in medical cancer care as well as on possible deficits.
Keywords: Cancer Prevalence, New onset cancer, Mortality and Survival; Saxony
Hintergrund: Die koronare Herzkrankheit (KHK) gehört in den Industrieländern, einschließlich Deutschland, nach wie vor zu den häufigsten Todes- und Krankheitsursachen, obwohl sie durch präventive Maßnahmen potenziell vermeidbar ist. Neben lebensstilverändernden Maßnahmen ist die medikamentöse Therapie zentraler Bestandteil der Empfehlungen aktueller Leitlinien zur Prävention bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit (KHK), da sie zur Verbesserung der Prognose und Linderung der Symptome beiträgt. Diese stellt eine weitverbreitete Therapieform in der ambulanten Versorgung dar und gehört unter Berücksichtigung evidenzbasierter Empfehlungen zu den effektivsten und effizientesten Instrumenten der medizinischen Behandlung.
Methode: Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, die Umsetzung sowie Faktoren der Umsetzung der in einschlägigen Leitlinien empfohlenen medikamentösen Therapie bei Patienten mit stabiler KHK vor einer perkutanen Koronarintervention (PCI) in Deutschland anhand von Routinedaten der gesetzlichen Krankenversicherung abzubilden und die Möglichkeit und Limitationen des Ansatzes zu diskutieren. Die Analyse basiert auf einer retrospektiven Kohorte verknüpfter bundesweiter Abrechnungsdaten der AOK, Barmer und Techniker Krankenkasse für die Jahre 2014 bis 2016, die Patienten umfasst, die sich im Jahr 2016 im Krankenhaus oder ambulant einer PCI unterzogen haben. Patienten mit bekannter KHK, die auf Grund einer chronischen ischämischen Herzkrankheit, stabilen Angina oder Brustschmerzen behandelt wurden, waren eingeschlossen. Die Auswertung konzentriert sich auf die Verwendung prognoseverbessernder Therapien und Medikamente zur Symptomkontrolle, die innerhalb eines Jahres vor der PCI verordnet wurden. In einem Mehrebenen-Modell wird anschließend der Einfluss von Patientencharakteristika und regionalen Einflussfaktoren untersucht.
Ergebnisse: 75,58 % der Patienten erhalten einen Lipidsenker, 47,45 % einen Thrombozytenaggregationshemmer (TAH) und 87,04 % einen Betablocker oder empfohlene Alternativen. Dabei wird die Mehrheit der Patienten mit einer Therapie der ersten Wahl behandelt. 68,61 % der Patienten erhalten mindestens einen Lipidsenker und eine symptomatische Therapie. Jedoch erhalten, weniger als die Hälfte der Patienten mind. zwei Wirkstoffe der symptom-orientierten Therapie. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Alter und Geschlecht der Patienten, deren Inanspruchnahme, die Vorgeschichte der KHK und vorangegangene Revaskularisation, sowie bestimmte Begleiterkrankungen mit der Umsetzung der Verordnung assoziiert sind. Jedoch verbleibt nach Berücksichtigung der patientenindividuellen Faktoren bei ausgewählten Substanzklassen eine regionale Variation, die teilweise mit den untersuchten regionalen Einflussfaktoren assoziiert ist.
Zusammenfassung: Evidenzbasierte Leitlinien bieten Entscheidungskorridore, aus denen die Anwendbarkeit spezifischer Empfehlungen unter Berücksichtigung der bestehenden Umstände im Einzelfall zu prüfen ist. Dennoch zeigen die Routinedaten, dass die Verordnung empfohlener Therapien in der Versorgungsrealität nicht zu vernachlässigenden Abweichungen unterworfen ist und Raum für Verbesserung der Versorgung von Patienten mit KHK besteht.
Hintergrund
Im internationalen Vergleich ist der Anteil der Peritonealdialyse- (PD) Patienten im Gegensatz zu den Hämodialyse- (HD) Patienten in Deutschland eher gering. Als Ursachen hierfür kommen sowohl patientenindividuelle aber auch versorgungsstrukturelle Faktoren in Frage. Diese Ursachen näher zu erforschen, hat sich das multidimensionale Innovationsfonds-Projekt MAU-PD zum Ziel gesetzt.
Fragestellung
Die vorliegende Arbeit untersucht die Verbreitung der beiden Dialysemodalitäten HD und PD im ambulanten Setting. Der Fokus liegt auf der Analyse der Bedeutung von Patienten- und Praxismerkmalen auf die inzidente Dialysemodalität.
Methode
Die Studienpopulation bilden niereninsuffiziente dialysepflichtige Patienten ab 18 Jahren zwischen 2013 und 2017. Anhand der vertragsärztlichen Gebührenordnungspositionen zur Abrechnung einer Dialyse werden die Patienten nach ihrer vorherrschenden Dialysemodalität (HD oder PD) eingeteilt. Als inzidente Fälle werden Personen ohne Dialyse in den letzten 2 Jahren vor Untersuchungsbeginn definiert. Die Patienten werden hinsichtlich ihrer individuellen Merkmale (z.B. Alter, Geschlecht, Komorbidität) charakterisiert und die Chance einer inzidenten PD wird unter Hinzunahme von Praxismerkmalen anhand einer logistischen Mehrebenenregression modelliert.
Ergebnisse
Im Jahr 2016 werden insgesamt knapp 67.000 prävalente Dialysepatienten in den vertragsärztlichen Abrechnungsdaten identifiziert. 92,5% dieser Patienten erhielten eine HD und 6,5% eine PD (1,0% andere). Im Hinblick auf inzidente Dialysepatienten liegt der Anteil der PD bei 9,6% im Inzidenzquartal. PD-Patienten sind tendenziell jünger und weiblich, weisen eine geringere Morbidität auf und wohnen seltener in Großstädten als HD-Patienten. Ergebnisse des Mehrebenenmodells weisen neben den zuvor genannten individuellen Faktoren einen bedeutenden Zusammenhang mit der behandelnden Dialysepraxis auf. So variiert die Chance auf eine PD um das mehr als 3-Fache auf der Praxisebene. Patienten in größeren Praxen mit mehreren Ärzten und einem hohen Anteil PD-Patienten haben dabei die größte Chance auf eine PD.
Diskussion
Die vorliegende Studie zeigt, dass die Wahl der Dialysemodalität für inzidente Dialysepatienten nicht nur von individuellen, sondern auch von praxisstrukturellen Merkmalen abhängt. Limitationen bestehen allerdings im Hinblick auf die begrenzten Möglichkeiten zur Identifikation relevanter individueller Merkmale (bspw. Wohnsituation der Patienten) in Routinedaten. Zu den weiteren Auswertungsinhalten des MAU-PD Projektes gehört u.a. eine Befragung von ambulant tätigen Nephrologen. Dadurch können weitere relevante Einflussfaktoren, wie z. B. die Auslastung der apparativen Ausstattung der Praxis, personelle Aspekte, aber auch Erfahrungen und Einstellungen zur HD und PD zur umfänglichen Beantwortung der Fragestellung herangezogen werden.
Praktische Implikationen
Die vorliegenden Ergebnisse – insbesondere in Kombination mit Ergebnisse aus den anderen Teilbereichen des MAU-PD Projektes – können dabei helfen, Ursachen für die relativ niedrigen PD-Raten in Deutschland aufzudecken. Die Erkenntnisse können dann zum Abbau von Hemmnissen und eine Optimierung der Versorgung von Dialysepatienten herangezogen werden.
Onkologische Erkrankungen erfordern aufgrund der zugrundeliegenden Komplexität und des sich vielmals erschwerenden Verlaufs eine sektorenüberübergreifende, zielgerichtete sowie patientenorientierte Gesundheitsversorgung. Vor dem Hintergrund der verschiedenen onkologischen Versorgungsaspekte werden die Effektivität sowie das Inanspruchnahmeverhalten konkreter Programme der onkologischen Versorgung vorgestellt.
Hintergrund:
Krebsbetroffene sind starken psychischen Belastungen ausgesetzt, die negative Auswirkungen auf die Lebensqualität und das Überleben haben können. Psychoonkologische Angebote stellen somit wichtige Instrumente der Krebsversorgung dar und sind deshalb in von der Deutschen Krebsgesellschaft e. V. zertifizierten Zentren für jeden Patienten obligatorisch. Auch bei vielen Prostatakrebspatienten, die häufig von beeinträchtigter sexueller Funktionsfähigkeit und Inkontinenz nach chirurgischen und hormonellen Eingriffen betroffen sind, gibt es psychoonkologischen Beratungsbedarf. Allerdings variiert die psychoonkologische Inanspruchnahme zwischen Prostatakrebszentren stark.
Fragestellung:
Inwieweit können strukturelle Zentrumsmerkmale und Patienteneigenschaften die Inanspruchnahme psychoonkologischer Beratung in Prostatakrebszentren erklären?
Methode:
Für einen risikoadjustieren Vergleich der Prostatakrebszentren wurde eine Mehrebenenanalyse durchgeführt. Dazu wurden die Daten von n = 2.766 lokal behandelten Prostatakrebspatienten aus 43 zertifizierten Prostatakrebszentren in Deutschland genutzt, die im Rahmen der Prostate Cancer Outcome (PCO)-Studie erhoben wurden.
Ergebnisse:
Es zeigen sich große Unterschiede zwischen den Prostatakrebszentren (ICC=0,58). Patienten mit lokal-begrenzt hohem Risiko nehmen psychoonkologische Beratung signifikant häufiger in Anspruch als Patienten mit lokal-begrenzt mittlerem Risiko (p=0,043). Hinsichtlich der Behandlungsart nutzen strahlentherapierte (p=0,000) sowie Active Surveillance (AS)/Watchful Waiting (WW)-Patienten (p=0,000) seltener psychoonkologische Angebote als Patienten, die sich einer Radikalen Prostatektomie (RPE) unterziehen. In Bezug auf die strukturellen Zentrumsmerkmale ist die psychoonkologische Inanspruchnahme in Universitätskliniken systematisch niedriger als in akademischen Lehrkrankenhäusern (p=0,018). Bildungs- und Versicherungsstatus der Patienten zeigen sich nicht als signifikante Prädiktoren für die Nutzung psychoonkologischer Beratung.
Diskussion:
Die Ergebnisse bestätigen zunächst, dass die Inanspruchnahme psychoonkologischer Beratung zwischen Prostatakrebszentren variiert, wobei angemerkt werden sollte, dass sich auch die Studieneinschlussquote zwischen den Zentren stark unterscheidet. Des Weiteren ist hinsichtlich der Ergebnisvalidität auf die Unterrepräsentanz Strahlentherapierter in der Stichprobe im Vergleich zu Patienten mit RPE hinzuweisen. Keine Aussagen können wir über mit dieser Analyse über die Bedarfsgerechtigkeit der psychoonkologischen Beratung treffen.
Praktische Implikationen:
Die Risikogruppe des Patienten, die Behandlungsart und der Lehrstatus des Zentrums konnten als Prädiktoren für die Varianz bei der Inanspruchnahme von psychoonkologischen Angeboten in Prostatakrebszentren identifiziert werden. Dies sollte jedoch unter Berücksichtigung der genannten Limitationen interpretiert werden. In zukünftigen Untersuchungen gilt es demzufolge, den Ursachen der Unterschiede zwischen den Behandlungsarten auf den Grund zu gehen und zu klären, inwieweit diese auf die Behandlungseffekte oder auf die geringe Studienteilnahme in der Strahlentherapie zurückzuführen sind. Ferner sollte zukünftig geklärt werden, inwieweit die Unterschiede zwischen akademischen Lehrkrankenhäusern und Universitätskliniken Defizite einer bedarfsgerechten Beratung widerspiegeln.
Möglichkeiten und Limitationen der sektorenübergreifenden, standardisierten Programmdokumentation eines nationalen Brustkrebsfrüherkennungsprogramms zur Bestimmung des Effekts von Mammografie, Ultraschall und Doppelbefundung auf die Programmsensitivität
Hintergrund
Gemäß der derzeitigen Evidenzlage und internationalen Empfehlungen ist die Mammografie die primäre Screeningmethode zur Brustkrebsfrüherkennung [BKF]. Ergänzende Maßnahmen wie Doppelbefundung oder ergänzendem Ultraschall [US] sollen die Programmperformance verbessern, wobei deren Effekte widersprüchlich diskutiert werden. Einerseits wird ein breiter US-Einsatz gefordert, um auch mammografisch okkulte Tumoren zu entdecken. Andererseits wird befürchtet, dadurch die Falsch-Positiv-Rate zu erhöhen. Die wissenschaftliche Literatur kann diesen Disput aufgrund der Heterogenität der verschiedenen Früherkennungsprogramme nur bedingt klären.
Fragestellung
Im vorliegenden Beitrag soll der Einfluss von Mammografieerstbefund, Mammografiezweitbefund und US auf die Programmsensitivität und -spezifität unter Routinebedingungen eines nationalen Brustkrebsfrüherkennungsprogramms [BKFP] geschätzt werden. Zudem sollen Probleme und Limitationen der verwendeten Datenbasis diskutiert werden.
Methode
Das BKFP verfügt über eine standardisierte Dokumentation aller radiologischen Früherkennungsuntersuchungen (inkl. Einzelbefunde, Endbefund und Brustdichte). Zudem beinhaltet die Datenbasis eine zu wenigstens 90 % vollzählige Dokumentation der therapierten Tumore der Brust (DCIS, invasiver Brustkrebs, andere Malignome), was die Identifikation von Intervallkarzinomen erlaubt. Es wird die Zahl der Karzinome bestimmt, die allein dem Mammografieerstbefund, Zweitbefund oder US-Befund zuzurechnen sind. Es wird der Einfluss der Einzelbefunde auf die Programmperformance geschätzt. Zudem wird versucht, die Endbefunde auf Basis der Einzelbefunde mittels Entscheidungsbaum vorherzusagen.
Ergebnisse
Bei 543.447 in den Jahren 2014 bis 2017 an 45 bis 69-jährigen Frauen durchgeführten BKF-Untersuchungen stimmten 98 % der Endbefunde effektiv (d.h. hinsichtlich ihrer Konsequenz) mit dem Mammografieerstbefund überein, wovon 1,6 % in eine Abklärungsuntersuchung mündeten. Bei 64 % der BFK-Untersuchungen wurde ein US durchgeführt, wovon 32 % mit dichtem Brustgewebe der Frau begründet wurden. Bei 10.351 BKF-Untersuchungen mit einem hinsichtlich der Konsequenz dominanten US-Befund wurden bei 11,2 % Abklärungsuntersuchungen veranlasst und 182 (1,8 %) invasive Karzinome entdeckt. Bei 1.847 Untersuchungen mit dominantem Mammografiezweitbefund wurden bei 13,2 % Abklärungsuntersuchungen veranlasst und 34 (1,8 %) invasive Karzinome entdeckt. Mittels Entscheidungsbaums aus effektivem Mammografieerstbefund und US-Befund können 99 % der Endbefunde korrekt klassifiziert werden.
Die für das gesamte Teilnahmeintervall berechnete Programmsensitivität (inkl. aller invasiven Intervallkarzinome) des Mammografieerstbefunds ist 65 %. Durch den US-Einsatz steigt die Programmsensitivität um rund 6 Prozentpunkte und durch die Doppelbefundung um etwa 1 Prozentpunkt. Die Falsch-Positiv-Rate und damit die Programmspezifität verändern sich nur marginal.
Diskussion
Durch den US-Einsatz unter Routinebedingungen konnte die Programmsensitivität leicht gesteigert werden, wobei diese berechnete Sensitivitätsverbesserung geringer ausfällt als in früheren Pilotstudien. Gleichzeitig wurde keine bedeutsame Verschlechterung der Spezifität beobachtet, was sich u.a. dadurch erklären ließe, dass abklärungsbedürftige Früherkennungsdiagnosen seltene Ereignisse sind.
Der erwartete Nutzen der Doppelbefundung konnte auf Basis der vorliegenden Routinedaten nicht bestätigt werden. Auffälligkeiten in einer einfachen Simulationsstudie stellen die Datenvalidität jedoch zumindest teilweise in Frage. Dies verdeutlicht, dass die Daten nicht dokumentenecht in einer einheitlichen, kontrollierten Umgebung erarbeitet, sondern die übermittelten Daten dezentral aus heterogenen, routinemäßig erstellten Basisdaten unterschiedlicher Qualität extrahiert werden.
Praktische Implikationen
Die vorliegenden Routinedaten können aufgrund der vielfältigen, nicht dokumentierten Einflussfaktoren nicht dazu verwendet werden, den Effekt von US und Doppelbefundung in Studienqualität zu messen und somit den Disput zwischen konfligierenden Hypothesen definitiv zu klären. Dafür bräuchte es trotz einer vollzähligen Datenbasis eine speziell auf das BKFP zugeschnittene kontrollierte Studie. Unter Berücksichtigung der Datenlimitationen lassen sich jedoch Effekte für das Routinegeschehen schätzen und so Hypothesen für kontrollierte Folgestudien generieren.
Objective: To analyze the prescription of protein kinase inhibitors (PKIs) for therapy of solid tumors in Saxony with a focus on translation of innovations to outpatient care. A downstream analysis further aims to determine off-label use, guideline concordance and drug survival of PKIs.
Background: PKIs are effective in the targeted treatment of various tumor entities. Since imatinib was the first to be introduced in 2001, several PKIs followed. In 2017, five new PKIs were approved for the german market. A main advantage to classic tumor treatment (e.g. chemotherapy) is the oral application of PKIs leading to reduced inpatient appointments and ambulance visits. Cancer treatment is being moved to the outpatient sector. However, the therapy is highly dependent on the patient’s adherence. Several studies showed a high correlation between deficient therapy adherence and poor therapy outcome. In addition, the physician plays an important role in terms of patient motivation and therapy support.
Methods: The analysis uses claims data from the health insurance company AOK PLUS in Saxony between 2010 and 2017 including 2.3 million insured persons. The data includes detailed information regarding diagnosis and drug prescriptions, physicians involved in the treatment, patient comorbidities and co-medication without documentation gaps.
At present, 36 different PKIs are approved for several tumor entities. In the present analysis, we focus on the following tumor entities due to high prevalence and guideline recommendations: renal cell carcinoma, colon carcinoma, melanoma, mamma carcinoma, bronchial carcinoma, prostate carcinoma, gastric adenocarcinoma, pancreatic cancer, liver cell carcinoma, urinary bladder carcinoma.
The analysis of guideline-concordant treatment is defined as the accordance of the medicinal therapy recommended in the guideline and the therapy in routine supply. In the example of renal cell cancer where several PKIs are recommended for therapy, guideline adherence is operationalized as follows: sunitinib or pazopanib are recommended as 1st line therapy of advanced and/or metastasized renal cell carcinoma. A stationary diagnosis of renal cell carcinoma along with a diagnosed metastasis within the same inpatient stay without another cancer diagnosis is used as the definition of the advanced and/or metastasized renal cell carcinoma. In addition, procedures (OPS-codes) and drug therapy except PKIs (ATC-codes) are used for validation and operationalization of the guideline adherence of other tumor entities.
Drug survival is the analysis of the accordance of the prescription prevalence and the recommended therapy duration in the guideline. It will be operationalized via ATC-code/pharmaceutical registration number where information of package size and daily defined doses are used to calculate the therapy duration.
Prospect: The data analysis offers to evaluate the quality and guideline concordance of drug supply in oncology in Saxony and provides important indications for translation of innovations to outpatient care. Detailed information on the quality of drug supply of cancer patients in Germany is only available to a limited extent and has so far been lacking for many entities.
Keywords: oncology, saxony, protein kinase inhibitors, claims data analysis
Hintergrund
Beim Cervix-Ca-Screening wurden bislang eine Abstrichuntersuchung (sog. Pap-Test) für Frauen ab dem 20. Lebensjahr einmal jährlich durch die GKV gemäß GBA-Früherkennungsrichtline übernommen. Dieser dient zur Erkennung von Vorstufen eines Gebärmutterhalskrebs, wobei als häufigste Ursache eine Infektion mit bestimmten Typen des humanen Papillomvirus (HPV) gilt.
Ab dem 01.01.2020 wird durch Beschluss des Gemeinsamen Bundesauschuss die Krebsfrüherkennung beim Gebärmutterhals neu geregelt. Wichtige Elemente sind dabei u.a. die Verbesserung der Qualitätssicherung, die Durchführung eines organisierten Einladungsverfahrens, eine Anpassung des Screeningintervalls und Regelungen zum Follow-up auffälliger Befunde. Zukünftig können Frauen von 20 bis 34 Jahren jährlich das zytologiebasierte Screening in Anspruch nehmen, während für Frauen ab 35 Jahren alle drei ein Anspruch auf ein kombiniertes Screening aus zytologischer Untersuchung und HPV-Test besteht.
Fragestellung
Es wurde untersucht, ob und inwiefern die bislang geltenden GBA-Vorgaben zur Krebsfrüherkennung beim Cervix-Ca in der Versorgungswirklichkeit aktuell umgesetzt werden. Dabei wurde sowohl nach regionalen Aspekten (Wohnort der Versicherten) als auch nach altersspezifischen Einflüssen (Alters-gruppen 20-34, 35-49, 50-64 sowie > 65 Jahre) differenziert. Zusätzlich wurden die Veränderungen im (Lang-) Zeitverlauf detailliert analysiert und es wurde überprüft, inwiefern Korrelationen zu Versorgungsstrukturen (gynäkologische Facharztdichte) und therapeutischen Konsequenzen (u.a. Konisation) existieren.
Methodik
Datengrundlage sind sektorenübergreifende Abrechnungsdaten der Techniker Krankenkasse (n = 10 Millionen Versicherte) im Zeitraum 2013-2018. Operationalisiert wurde für die Inanspruchnahme mit entsprechenden EBM-GOPs (u.a. 01733, 32820) sowie für die Ca-Diagnosen und die damit verbundenen Interventionen mit entsprechenden ICD-Diagnosen (u.a. C53.8, N87, D06.7) und OPS-Codes (u.a. 1-471.2, 1-472.0, 5671.0/5671.1).
Ergebnisse
In 2017 beträgt die durchschnittliche (jährliche) Screening-Inanspruchnahme 55,2%, wobei diese in der jüngeren Altersgruppe (20-34 Jahre) am höchsten (62,7%) und in der ältesten (> 65 Jahre) am niedrigsten (36,9%) ist. In Sachsen kommen auf einen gynäkologischen Vertragsarzt im Mittel 190 TK-Versicherte Frauen > 20 Jahre, in Hamburg durchschnittlich 600. Von den 2.277.579 Frauen > 20 Jahre, die 2017 an der Krebsvorsorge teilgenommen haben, war die Screening-Inanspruchnahme im Saarland am geringsten (48,3%) und in Brandenburg (59,9%), Mecklenburg-Vorpommern (59,2%) und Sachsen (59,9%) am höchsten. Bei diesen drei Bundesländern gab es im Zeitverlauf von 2013 zu 2017 die größten Abnahmen bei der jährlichen Inanspruchnahme (-9,0% vs. -5,4% vs. -4,1%) während zeitgleich in Hamburg der größte Zuwachs (+3,4%) erfolgt ist.
Gynäkologische Interventionen an der Gebärmutter erfolgten im Durchschnitt von 2014 bis 2017 in Schleswig Holstein (1,02% aller weiblichen TK-Versicherten über 20 Jahre) und Hamburg (1,01%) deutlich mehr als in Bremen (0,55%) und Sachsen (0,64%). Im Jahr 2017 waren Cervix-Carcinome in Baden Württemberg am niedrigsten (0,54%) und in Mecklenburg-Vorpommern am höchsten in den GKV-Routinedaten dokumentiert (0,84%).
Diskussion
Beim Cervix-Ca lassen sich Screening-Maßnahmen mit GKV-Routinedaten transparent darstellen. Im Gegensatz zu anderen medizinischen Indikationen (z.B. Colon-Ca) können durch das jährliche Wiederholungsintervall Inanspruchnahmequoten bei anspruchsberechtigten Versicherten exakt ausgewiesen werden. Hinsichtlich der Leistungsinanspruchnahme gibt es eine regionale Streuung, die mit der gynäkologischen Facharztdichte vor Ort und den medizinischen Konsequenzen bei positiven Screening-Befunden korreliert. In weiteren Untersuchungen ist noch zu analysieren, inwiefern die regionale Varianz bei der Krebsfrüherkennung durch (sozioökonomische) Alterspräferenzen auf Patientenseite und Präferenzen für bestimmte Screeningintervalle auf Ärzteseite erklärt werden kann.
Praktische Implikationen
Im Rahmen einer Politikfolgenforschung sind GKV-Routinedatenanalysen geeignet, zeitnah Hinweise auf Veränderungen bei der Teilnahme an Krebsfrüherkennungsprogrammen zu geben. Die regionale Variabilität der Inanspruchnahme von Leistungen zur Krebsfrüherkennung sollte bei der Einführung von strukturierten Einladungsprogrammen berücksichtigt werden.
Die positiven Effekte eines körperlich aktiven Lebensstils bei Frauen, die eine Brustkrebserkrankung überlebt haben, sind wissenschaftlich gut belegt. Entsprechend bewegungsaktiv gestaltet sich die medizinische Rehabilitation. Dennoch gelingt es vielen Rehabilitandinnen nicht, den während der Rehabilitation hohen Bewegungsumfang längerfristig aufrecht zu erhalten.
Ziel dieser Studie ist es, eine Intervention zur nachhaltigen Verbesserung der körperlichen Aktivität bei körperlich wenig aktiven Frauen (< 60 Minuten) nach Brustkrebs, zu entwickeln, in Rehabilitationskliniken zu implementieren sowie die Wirksamkeit der Intervention zu prüfen.
Die Intervention basiert auf dem motivationalen-volitionalen Prozessmodell und heißt Motivational-volitionale Intervention – Bewegung nach Brustkrebs (MoVo-BnB). Die Entwicklung beinhaltete die systematische Zusammenstellung bestehenden Wissens, Definition des Curriculums, Entwicklung der Arbeitsmaterialien und Manualisierung (Spörhase 2019). Die Implementierung der Intervention umfasste die Elemente Trainerfortbildung, sukzessive Einführung der einzelnen Einheiten in zwei Rehabilitationseinrichtungen sowie zwei Visitationen im Rahmen der formativen Evaluation.
Die Wirksamkeitsprüfung erfolgte als prospektive kontrollierte, bi-zentrische Interventionsstudie mittels standardisierter schriftlicher Befragungen zu Reha-Beginn (T0) und -ende (T1) sowie sechs (T2) und zwölf Monate (T3) nach der Rehabilitation. Zielgruppe waren Frauen nach einer Brustkrebserkrankung. Primäres Zielkriterium war die Erhöhung der körperlichen Aktivität (BSA, Fuchs 2015) zu T2 im Vergleich zur Kontrollgruppe. Sekundäre Zielkriterien waren patientenberichtete Endpunkte (u.a. EORTC-QLQ C30, EORTC – QLQ BR23, EORTC-QLQ-FA12). Die statistische Auswertung des primären Endpunktes erfolgt durch den Intergruppenvergleich zu den T2 und T3 mittels Kovarianzanalyse unter Kontrolle der Ausgangswerte zu T0. Die Studie ist registriert (DRKS-ID: DRKS00011122), das Studienprotokoll publiziert (Adams 2019) und es liegt ein Ethikvotum der Landesärztekammer Baden-Württemberg vor (AZ: F-2014-091).
Kurzbeschreibung der Intervention: Die Intervention MoVo-BnB besteht aus vier Einheiten à 60 Minuten und wird von physiotherapeutischem oder gesundheitspädagogischem Personal angeleitet. Zu den Inhalten zählen u.a. Informationen zu Bewegung und Sportaktivitäten nach einer Brustkrebserkrankung, Identifizieren geeigneter Sportarten, Planen von Sportaktivitäten und Umgang mit Barrieren. Die Durchführung erfolgt in geschlossenen Kleingruppen. Jede Einheit folgt einem methodischen Grundrhythmus: (1) Einstieg, (2) Erarbeitung und Ergebnissicherung, (3) Vertiefung- und Reflexion, (4) Abschluss. Die Teilnehmerinnen ehrhalten neben einem Begleitheft ein Bewegungstagebuch für die Rehabilitation als auch für die Zeit danach.
Akzeptanz, Praktikabilität: Nach der mehrperspektivisch durchgeführten formativen Evaluation sind Inhalte, Vermittlungsmethoden und Begleitmaterialien manualgetreu umsetzbar und praktikabel. Die zusätzlich erhobene Interventionsbewertung durch die Teilnehmerinnen (n=418) fällt insgesamt mit einem Summenwert von 81 (Wertebereich 0-100: höhere Werte weise auf eine bessere Bewertung hin) ebenfalls gut aus.
Wirksamkeit: In die statistische Auswertung konnten aus den vier Messzeitpunkten insgesamt n=545 (57%) Fragebögen einbezogen werden [Interventionsgruppe (IG) n=279, Kontrollgruppe (KG) n=266]. Hinsichtlich der soziodemografischen und medizinischen Angaben bestehen keine signifikanten Unterschiede zwischen IG und KG, das mittlere Alter beträgt in beiden Gruppen 57 Jahre (SD: 9,9).
Der selbstberichtete zeitliche Umfang körperlicher Aktivität in Minuten pro Woche der IG beträgt zu T0, T1, T2, T3 (12, 202, 98, 98) und in der Kontrollgruppe (12, 197, 85, 75). Die IG ist zu T3 im Mittel 22 min/Woche (95%-CI 2,6 bis 41,5) sportlich aktiver als die KG (p=0,02). 49,1% der IG ist zu T3 mindestens 60 Minuten pro Woche sportlich aktiv, gegenüber 37,6% der KG (p < 0,01). Hinsichtlich der sekundären Zielkriterien (Lebensqualität, Fatigue, Depression, Angst, Teilhabe) unterscheiden sich IG und KG zu keinem der Erhebungszeitpunkte substanziell.
Fazit: Die Intervention MoVo-BnB erhöht die sportlichen Aktivität bei zuvor wenig sportlich aktiven Frauen nach einer Brustkrebserkrankung im ersten Jahr nach Abschluss einer medizinischen Rehabilitation nachhaltig.
Literatur: Adams L et al. Effectiveness of a motivational-volitional group intervention to increase physical activity among breast cancer survivors compared to standard medical rehabilitation - study protocol of a prospective controlled bi-centered interventional trial 2018; Eur J Cancer Care 2019 (accepted for publication)
Fuchs R et al. Messung der Bewegungs- und Sportaktivität mit dem BSA-Fragebogen. Z Gesundheitspsychol 2015; 23(2):60–76.
Spörhase U et al. Bewegung nach Brustkrebs aufnehmen und aufrechterhalten - ein Schulungsmanual. 2019: Tübigen: dgvt.
Hintergrund: Da Arbeit sinn- und identitätsstiftend sein kann sowie finanzielle Sicherheit und soziale Teilhabe ermöglicht, ist deren Wiederaufnahme ein wichtiger Teil des Genesungsprozesses von (Brust-)Krebspatientinnen und -patienten. Neben dem individuellen Nutzen geht die berufliche Wiedereingliederung mit gesellschaftlichen Vorteilen einher, da Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit mit Kosten für soziale Sicherungssysteme verbunden sind. Durch steigende Überlebensraten und verlängerte Erwerbsbiographien aufgrund des erhöhten Renteneintrittsalters, ist eine zunehmende Anzahl von (Brust-)Krebspatientinnen und -patienten mit der Herausforderung des beruflichen Wiedereinstiegs konfrontiert. Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, Rückkehrprozesse nachzuvollziehen, um Betroffene bestmöglich zu unterstützen.
Bislang sind diese Prozesse von (Brust-)Krebspatientinnen und -patienten jedoch noch nicht vollständig verstanden. Aktuell liegen wenige qualitative Untersuchungen vor, die die Perspektive der Betroffenen in den Fokus rücken, stattdessen mehr quantitative Analysen zu Zeitpunkt und Determinanten der Rückkehr. Besonders die Forschungslage zur beruflichen Wiedereingliederung von männlichen Brustkrebspatienten ist mangelhaft, da Stichproben häufig nur weibliche Betroffene umfassen.
Fragestellung: Wie nehmen männliche Brustkrebspatienten den Prozess der beruflichen Wiedereingliederung wahr?
Methode: Für die Analyse werden die Daten einer Mixed-Methods-Studie (Sekundärdatenanalyse der N-MALE-Studie) verwendet, in der sowohl quantitative Befragungsdaten (n=100), als auch qualitative Interviewdaten (n=27) männlicher Brustkrebspatienten erhoben wurden. Im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung stehen die Daten der leitfadengestützten Interviews, die mittels einer qualitativen Inhaltsanalyse untersucht wurden. Anhand von arbeitsbezogenen Schlagwörtern (z. B. Arbeit, Kollegen, Job) wurden n=14 relevante Interviews identifiziert, die in die vorliegende Analyse einbezogen wurden.
Ergebnisse: Mit Hilfe der qualitativen Inhaltsanalyse konnten acht Motive für eine Wiederaufnahme der Arbeit identifiziert werden: der Wunsch nach Normalität; Ablenkung; das Bedürfnis nach Aktivität; der Wunsch, soziale Kontakte aufrechtzuerhalten; Spaß an der Arbeit; finanzielle Gründe; sich nicht als krank wahrzunehmen; sowie die Tatsache, dass eine Arbeit ohne körperliche Anstrengung zur Rückkehr animiert. Auch die Erfahrungen mit der Brustkrebserkrankung im Kontext der Arbeit wurden untersucht. Die Erfahrungen bei der Rückkehr an den Arbeitsplatz wurden als vorwiegend positiv beschrieben – es wurden aber auch negative, stigmatisierende Vorkommnisse berichtet. Die Auswirkungen der Erkrankung bzw. Therapie führten bei den männlichen Brustkrebspatienten zu vielfältigen Veränderungen der Leistungsfähigkeit, u. a. limitierten Fatigue, Vergesslichkeit oder emotionale Belastungen die gefühlte Produktivität.
Diskussion: Die Betrachtung der Rückkehrprozesse zeigt, dass die berufliche Rückkehr männlicher Brustkrebspatienten ein sehr individueller Prozess ist, der durch vielfältige Motive geprägt ist. Die analysierten Motive geben Hinweise darauf, dass die befragten Brustkrebspatienten ihre Arbeit und deren Wiederaufnahme als einen selbstverständlichen Bestandteil des Lebens wahrnehmen. Die Auswirkungen der Krebserkrankung auf den späteren Arbeitsalltag sind umfassend und längerfristig. Neben einigen Erkenntnissen, die sich mit Ergebnissen des aktuellen Forschungsstandes für Krebspatientinnen und -patienten decken, konnte zusätzliches Wissen über spezifische Erfahrungen von männlichen Brustkrebspatienten generiert werden.
Praktische Implikationen: Hinweise auf spezielle Bedürfnisse bei der beruflichen Wiedereingliederung der Zielgruppe männlicher Brustkrebspatienten können im Rahmen dieser explorativen Untersuchung sichtbar gemacht werden.
Die Untersuchung von Kosten und Kosteneffektivität von Maßnahmen und Modellprojekten sind auch in der Versorgungsforschung unverzichtbar. Es muss gründlich überlegt und Evidenzen geschaffen werden, an welchen Stellen unsere begrenzten Ressourcen eingesetzt werden können. Erst dann kann gewährleistet werden, dass eine optimale Versorgung mit den verfügbaren Mitteln erreicht wird. Ein Beitrag in dieser Session stellt eine Auswertung zu Kosten der Leistungserbringer gesetzlich versicherter HIV-Patient*innen dar. Ein anderer Beitrag behandelt die GKV-Gesundheitsausgabe von Überlebenden und Versterbenden. Weiterhin wird eine Kosteneffektivitätsanalyse zu Kosten und Nutzwerten der Kreuzschmerzbehandlung durch Physiotherapie und Akupunktur bei chronischen Rückenschmerzen vorgestellt. Ein weiterer Beitrag untersucht ein Verfahren der Datenvergleiche mittels „statistischer Zwillinge“ aus Kassendaten zur ökonomischen Evaluation neuer Verfahren. Zudem wird in dieser Session eine Studie vorgestellt, die den Zusammenhang zwischen Drogen-bezogenen Problemen und Menschen mit Demenz in Bezug zu Kosten untersucht. Schließlich wird eine Untersuchung dargelegt, die Kosten zwischen verschiedenen Finanzierungsprogrammen im Bereich der psychiatrischen Gesundheitsversorgung in Baden-Württemberg vergleicht.
Hintergrund: Ende 2016 lebten in Deutschland ca. 88.000 Menschen mit HIV oder AIDS (RKI 2017). Die moderne HIV-Therapie ermöglicht den Patienten ein nahezu normales und vergleichbar langes Leben wie die nicht betroffene Bevölkerung. Dabei liegen aber nur wenige Daten über die HIV-Krankheitskosten in Deutschland vor.
Fragestellung: In dieser Auswertung werden die Kosten der Leistungserbringer der gesetzlich versicherten HIV-Patienten der PROPHET-Kohorte dargestellt. Hierbei erfolgt eine Aufgliederung der Ergebnisse entlang der Therapiestrategie.
Methode: Mittels standardisierter Fragebögen wurden klinische und gesundheitsökonomische Daten von HIV-Patienten mit Erstbehandlung bei einer Beobachtungsdauer von 24 Monaten mit fünf Folgeerhebungen (Monate 3, 6, 12, 18, 24) gewonnen. Eingeschlossen in die Kostenanalyse wurden alle Patienten, die zu allen Erhebungszeitpunkten in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) versichert waren, von denen mindestens einer von vier gesundheitsökonomischen Fragebögen im Verlauf vorliegt und die nicht im Laufe der Studie ausgetreten sind. Die Preise wurden aus GKV-Perspektive für das Basisjahr 2017 zugrunde gelegt.
Ergebnisse: 292 von 434 Patienten erfüllten die Einschlusskriterien. 42% davon wurden bei Therapiebeginn als Late Presenter (CD4-Zellzahl < 350/µl und/oder vorliegende AIDS-definierende Erkrankung) eingestuft. Die Patientencharakteristika unterscheiden sich zwischen den Therapiearmen (basierend auf einem Nicht-Nukleosidische Reverse-Transkriptase-Hemmer (NNRTI), einem geboosterten Proteasehemmer (PI) oder einem Integrasehemmer (INI)) signifikant: Anteil Late Presenter: NNRTI-Arm 26%, PI-Arm, INI-Arm 41%. Bei 10% der Patienten lag zu diesem Zeitpunkt eine AIDS-Manifestation vor (NNRTI 1%, PI 20%, INI 10%). Durchschnittlich ergaben sich aus Perspektive der GKV annualisierte Kosten in Höhe von 356€ pro Patient bei HIV-Schwerpunktbehandlern. Bei 26% der Patienten kam es aufgrund der HIV-Infektion zu weiteren ambulanten Arztkontakten. Die jährlichen Kosten hierfür beliefen sich über alle 292 Studienteilnehmern auf insgesamt 21€ pro Person. 84% der Patienten berichteten weitere ambulante Arztkontakte aufgrund von Komorbiditäten. Hierbei summierten sich die annualisierten durchschnittlichen Kosten auf 133€ pro Studienteilnehmer. Krankenhauskontakte bedingt durch die HIV-Infektion betrafen 5% der Patienten und kosteten durchschnittlich 252€ pro Studienteilnehmer. Krankenhauskontakte aufgrund von Komorbiditäten betrafen 21% der Patienten mit durchschnittlichen Kosten in Höhe von 466€ pro Studienteilnehmer. Dabei zeichnet sich im Vergleich der ersten beiden Therapiejahre kostenartenübergreifend eine Entwicklung zu abnehmenden Krankheitskosten ab.
Diskussion: Es weisen Patienten in dem NNRTI-Studienarm, verglichen mit dem Referenzarm innerhalb der gesundheitsökonomischen Analyse (INI), signifikant niedrigere Kosten für Hospitalisierung aufgrund von HIV auf. Die erklärt sich über die signifikant geringere Krankheitslast (weniger Late Presenter, weniger Patienten mit AIDS) in dem NNRTI-Arm und unterstreicht die Bedeutung eines frühen Therapiestartes und einer guten Krankheitskontrolle. Eine Besonderheit bezüglich der Vergleichbarkeit der Ergebnisse liegt in der Eigenschaft der PROPHET-Studie, dass der Baseline Zeitpunkt deckungsgleich mit dem Beginn der antiretroviralen Therapie (ART) ist. So ist es möglich, die Kostenentwicklungen im Verlauf der ersten beiden Therapiejahre darzustellen. Die Kosten der ART, die weiter den Großteil der Kosten darstellen, werden gesondert veröffentlicht.
praktische Implikationen: Die gewonnenen Ergebnisse liefern einen detaillierten Überblick über den Ressourcenverbrauch des hier untersuchten Patientenkollektivs der PROPHET-Kohorte bei verschiedenen Leistungserbringern aus Perspektive der GKV und lassen zusammen mit den Kosten für die ART Rückschlüsse auf die ökonomische Bedeutung der Erkrankung und ihrer Therapie zu.
Robert-Koch-Institut (RKI): Epidemiologisches Bulletin 47/2017.
Hintergrund: In der Diskussion um den demographischen Wandel und die steigende Lebenserwartung sowie deren Auswirkungen auf die Gesundheitsausgabenentwicklung wird immer wieder vor einer bevorstehenden Kostenexplosion gewarnt. Verschiedene Studien zeigen jedoch, dass weniger das kalendarische Alter, sondern viel mehr die Nähe zum Tod das entscheidende Kriterium für die stark ansteigenden Ausgaben im Alter ist. Die Nichtberücksichtigung der Sterbekosten resultiert somit in einer deutlichen Überschätzung der Auswirkungen des demographischen Wandels bei der Prognose der Gesundheitsausgabenentwicklung. Dies kann allerdings für einzelne Leistungsbereiche eine sehr unterschiedliche Rolle spielen.
Methodik: Auf Basis von GKV-Abrechnungsdaten der AOK Niedersachsen wurden alle durchgängig Versicherten Personen des Jahres 2017 identifiziert und in „Verstorbene“ und „Überlebende“ eingeteilt. Nachfolgend wurden die Bruttokosten pro Versicherten im 1-Jahreszeitraum vor Tod bzw. Kalenderjahr 2017 für die Leistungsbereiche Krankenhausbehandlungen, ärztliche Behandlungen, Arzneimittel, Hilfsmittel, Heilmittel, Krankengeld, häusliche Krankenpflege, Fahrkosten und Rehabilitation extrahiert. Diese Leistungsbereiche machen mehr als 90 % der Gesamtleistungsausgaben aus. Die Ergebnisse wurden nach Alter und Geschlecht entsprechend der GKV-Altersstruktur nach KM-6 Statistik und der Mortalität nach offiziellen Sterbetafeln des Statistischen Bundesamtes standardisiert.
Ergebnisse: Die standardisierten Pro-Kopf-Ausgaben für die GKV-Population betragen 2.970 €. Mit durchschnittlich 22.400 € verursachen Verstorbene achtmal so hohe Kosten wie ein Überlebender (2.750 €). Während die GKV-Ausgaben von Überlebenden mit dem Alter ansteigen (z.B. von 1.950 € bei 40- bis 44-Jährigen auf 6.200 € bei 80 bis 84-Jährigen), sinken die Kosten von Verstorbenen mit dem Alter (z.B. von 35.100 € bei 40- bis 44-Jährigen auf 21.900 € bei 80- bis 84-Jährigen). Krankenhausleistungen sind bei Verstorbenen aller Altersklassen der Hauptkostenfaktor, wobei die Relevanz bei Hochaltrigen abnimmt. Versterbende sind in allen Leistungsbereichen teurer als Überlebende. wobei sich erhebliche Unterschiede zwischen den Leistungsbereichen zeigen. Bei Angleichung der Alters- und Geschlechtsstruktur zwischen Versterbenden und Überlebenden erhöhen sich die Ausgaben je Überlebenden auf 5.580 €. Eine differenziertere Betrachtung für die Leistungsbereiche zeigt sechsfach so hohe Kosten im stationären Bereich, doppelt so hohe Kosten im ambulant-ärztlichen Bereich und 3,4-fach so hohe Kosten für Arzneimittel.
Diskussion: Circa 825.000 Verstorbene (1,1 % der GKV-Population) verursachen fast 9 % der gesamten jährlichen GKV-Ausgaben. Im Zuge des demographischen Wandels wird die Anzahl der Versterbenden weiter ansteigen. Vor diesem Hintergrund ermöglichen die vorliegenden Daten eine differenzierte Betrachtung und Prognose der GKV-Ausgaben und damit eine Erweiterung bereits vorhandener Erkenntnisse über die Kosten vor dem Tod und in Zusammenhang mit dem demografischen Wandel.
Hintergrund und Fragestellung
Die 1-Jahres-Prävalenz (ab 18) von chronischen Rückenschmerzen (chronic low back pain, cLBP), also Schmerzen, die mit wechselnder Intensität länger als 12 Wochen anhalten, beträgt 21% (RKI 2015). Patienten mit unspezifischem cLBP erhalten neben Physiotherapie oft auch eine von vielen Patienten gewünschte Akupunktur. Einige randomisiert kontrollierte Studien (RCTs), mit direktem Vergleich zwischen Akupunktur und Physiotherapie, bewirkten aufgrund positiver Studienergebnisse, dass Akupunktur bei cLBP Kassenleistung wurde. Die größte dieser RCTs (gerac) ermöglicht anhand der publizierten Daten eine Cost-Effectiveness Analyse (Kostenwirksamkeits-Analyse) zu Wirksamkeit und Kosteneffektivität der beiden Therapiealternativen.
Methode
Der Therapieerfolg wurde mittels des Funktionsfragebogens Hannover Rücken (HFAQ) erhoben, der den Grad der schmerzbedingten Behinderung von Alltagsaktivitäten auf einer Skala von 0-100% (volle, unbehinderte Funktionsfähigkeit) erfasst. Die auf Rückenschmerz bezogenen QALYs (quality adjusted life years) wurden aus dem Unterschied des zeitlichen Verlaufs der HFAQ-Änderungen berechnet (Salomon 2017; Richardson et al. 2004). Ein Lebensjahr mit perfekter Gesundheit (ein QALY) entspräche einem HFAQ von 100%. Die ökonomische Analyse umfasst ein Jahr, mit je einem Behandlungszyklus pro Quartal. Die Analyse berücksichtigte die cLBP-spezifischen Behandlungskosten pro Quartal, entsprechend den Angaben in der Studie. Die Berechnungen basieren auf einem Markov-Modell. Jeder Patient im Modell kann sich innerhalb eines Markov-Zyklus (Quartal) nur in einem Gesundheitszustand aufhalten, (weiterhin) Schmerzen oder Behandlungserfolg oder Verstorben (absorbierender Zustand). Alle Änderungen des Gesundheitszustandes von einem Zyklus zum nächsten wurden als Übergänge mit entsprechenden Übergangswahrscheinlichkeiten modelliert. Jede Übergangswahrscheinlichkeit beruht auf den Wahrscheinlichkeitsverteilungen der zugrundeliegenden Merkmale (z.B. Wahrscheinlichkeit des Therapieerfolges), basierend auf den Angaben in der Studie oder allgemein zugänglichen Populationsstatistiken (destatis). Für die Analyse wurden Monte Carlo Simulationsberechnungen mit jeweils 1000 Patienten pro Studie und insgesamt 100 simulierten Studien durchgeführt. Eine Zielgröße war das inkrementelle Cost-Effectiveness-Ratio (ICER), die Mehrkosten zur Verbesserung des Gesundheitszustandes eines Patienten im Vergleich zur Alternativtherapie. Bei einer linearen Beziehung zwischen Gesundheitszuwachs und wachsenden Therapiekosten ist das ICER gleichbedeutend mit der Geradensteigung, also der Kostensteigerung pro zusätzlich gewonnenen QALY.
Ergebnisse
Von den cLBP-Patienten (18-86 Jahre) erhielten 387 Verumakupunktur und 388 Physiotherapie, jeweils zehn 30-minütige Sitzungen innerhalb von 6 Wochen (Haake et al. 2007). Der mittlere HFAQ-Wert verbesserte sich zwischen Baseline und 3 Monaten von 46,3% auf 65,4% (Akupunktur) und von 46,7% auf 56% (Physiotherapie). Akupunktur war zu allen Messzeitpunkten erfolgreicher. Allerdings waren auch die Kosten pro Quartal für Akupunktur (557 €) höher als für Physiotherapie (372 €). Die Simulationsberechnungen über ein Behandlungsjahr (vier Zyklen) ergaben einen ICER von rund 3.900 €. Dieser Betrag kann auch als unterste Willingness to Pay (WTP) Grenze gesehen werden, um ein zusätzliches QALY zu erreichen. Eine two-way Sensitivitäts-Analyse, mit Änderungen in den Übergangswahrscheinlichkeiten für erneute Rückenschmerzen oder Therapie-Erfolgsraten, führte nicht zu einer Änderung der Therapiepräferenzen.
Diskussion
Patienten mit cLBP schnitten in der Akupunkturgruppe zwar signifikant besser ab, aber bei deutlich höheren Kosten. Das zeigt sich an den 3.900 € (ICER) die nötig sind, um ein zusätzliches QALY durch den Therapiewechsel von Physiotherapie zu Akupunktur zu gewinnen. Es ist fraglich, ob für cLBP eine WTP von fast 4.000 € akzeptiert werden würde, auch wenn in der Literatur häufig die vom NICE 2004 erwähnte, aber nicht allgemein akzeptierte WTP-Obergrenze von 20.000 £ pro QALY genannt wird (NICE 2016). Limitierend bei ökonomischen Berechnungen mittels Markov-Modellen ist, dass nicht alle Faktoren, die für Übergangswahrscheinlichkeiten von Gesundheitszuständen von Bedeutung sind (z.B. Lebensstiländerungen), berücksichtigt werden können, und dass ein Zeitfenster von einem Jahr keine Rückschlüsse auf längerfristig angelegte Behandlungsstrategien zulässt.
Praktische Implikation
Die Ergebnisse aus RCTs müssen grundsätzlich vorsichtig interpretiert werden. Ein signifikant besseres Behandlungsergebnis durch eine Therapie bedeutet nicht, dass die unterlegene Therapiealternative keine Behandlungserfolge zeigt. Das signifikant bessere Abschneiden bedeutet nur, dass die überlegene Therapie die Chance anbietet, einen zusätzlichen Gesundheitsgewinn zu erhalten, der allerdings auch mit Zusatzkosten verbunden ist, die vom Individuum oder der Gesellschaft (WTP-Grenze) getragen werden müssen.
Hintergrund
Einige neue Verfahren in der Medizin versprechen einen besseren Outcome, gehen jedoch häufig mit höheren Behandlungskosten einher. Die Nachweisführung des Zusatznutzens erfolgt meist mit randomisiert-kontrollierten Studien (RCT) als Goldstandard, welche aufwändig sind und kaum den ökonomischen Nutzen betrachten. Sicherheit und Wirksamkeit werden eher in Studien untersucht, welchen ein prospektiver Kontrollarm fehlt.
Ein Lösungsweg aus diesem Innovationsdilemma kann das Matching von einer bestehenden „single-arm“-Studie mit Versichertendaten unter Verwendung eines Propensity-Score-Matchings sein. Mit diesem neuen Ansatz können statistische Zwillinge aus verschiedenen Datenquellen ermittelt werden, um ökonomische Einschätzungen treffen zu können. Aktuelles Beispiel ist die Studie der inspiring-health GmbH mit der Gesundheitsforen Leipzig GmbH, welche ein neues Verfahren zur Anlage eines Dialyseshunts auf seine ökonomischen Vorteile gegenüber der herkömmlichen Therapie hin untersucht.
Fragestellung
Die Studienlage der endovaskulären Arterio-Venösen-Fistel (endoAVF) zeigt eine hohe primäre Erfolgsrate bei geringen Folgekomplikationen. Ist diese auch eine wirtschaftlichere Alternative gegenüber der herkömmlichen chirurgischen Shunt-Anlage (chir. AVF)? Daten zur klinischen Wirksamkeit und Sicherheit der endoAVF liegen aus dem „Novel Endovascular Access Trial“ (NEAT) vor. Hierbei wurden 60 Patienten mit endoAVF behandelt und 1 Jahr nachverfolgt. Deren Ergebnisse sollen nun für Deutschland anhand von Sekundärdaten aus der Analysedatenbank der Gesundheitsforen Leipzig evaluiert werden. Diese beruhte zum Zeitpunkt der Durchführung auf einem repräsentativen Datenbestand von über 1,5 Mio. GKV-Versicherten verschiedener Kassen. Endpunkte der Analyse sind Häufigkeit und Kosten postoperativer Ereignisse sowie Gesamtkosten der Patienten in einem Jahr. Darüber hinaus soll die Zeit bis zum ersten postoperativen Ereignis für die beiden Verfahren verglichen werden.
Methode
Die Studiendaten der NEAT-Population wurden zunächst in ICD-10- GM, DRG- bzw. OPS-Codes übersetzt. Darauf basierend wurden n=290 volljährige Versicherte mit chir. AVF und Dialyse innerhalb eines Nachbeobachtungsjahres aus der Analysedatenbank der Gesundheitsforen Leipzig ermittelt. Mit Hilfe eines Propensity Scores wurde jedem der 60 Probanden aus der NEAT-Studie ein statistischer Zwilling aus der Grundpopulation der Analysedatenbank zugeordnet (1:1-Matching ohne Zurücklegen). Matchingkriterien waren verschiedene Patientencharakteristika mit Fokus auf Risikofaktoren, die bei einem Individuum die Expositionswahrscheinlichkeit für ein postoperatives Ereignis beeinflussen (Confounder).
Ergebnisse
Es erfolgte ein Outcomevergleich postoperativer Komplikationen zwischen NEAT und Vergleichsgruppe. Es zeigte sich eine signifikant höhere Anzahl postoperativer Komplikationen für Patienten mit chir. AVF bei Infektionen durch Katheter (pFDR < 0,05), Revisionen (pFDR < 0,01) und der Gesamtanzahl postoperativer Komplikationen (Fälle, pFDR < 0,001), wobei der pFDR-Wert einen für multiples Testen mittels Benjamini-Hochberg-Methode korrigierten Signifikanzwert darstellt.
Der Kostenvergleich bestätigte zunächst signifikant höhere Kosten des Ersteingriffs bei endoAVF gegenüber chir. AVF (Median 7.278 € vs. 3.303 € mit pFDR < 0,001), aber zeigte signifikant niedrigere Kosten für postoperative Komplikationen im ersten Jahr nach Behandlung (Median 0€ vs. 3.148 € mit pFDR < 0,01). In Summe ergab sich kein signifikanter Gesamtkostenunterschied zwischen endoAVF und chir. AVF (Median 6.709 € vs. 7.325 €).
Der Vergleich der Dauer bis zum Eintreten des ersten postoperativen Ereignisses zeigte, dass bei Patienten mit endoAVF postoperative Ereignisse signifikant später eintreten (Mittelwert 257,9 Tage (endoAVF) vs. 146,7 Tage (chir. AVF)).
Diskussion
Das neue Verfahren endoAVF weist im deutschen Versorgungssystem nur halb so viele Komplikationen wie chir. AVF auf. Die Behandlung von Komplikationen ist in der chir. AVF Gruppe signifikant teurer. Insgesamt gibt es keinen signifikanten Kostenunterschied zwischen beiden Methoden, sodass man mit endoAVF zu gleichen ökonomischen Bedingungen geringere Komplikationsraten und Patientensicherheit zu verzeichnen hat.
praktische Implikationen
Das Verfahren der Datenvergleiche mittels „statistischer Zwillinge“ aus Kassendaten ist geeignet, um klinische und ökonomische Evaluationen neuer Verfahren durchzuführen. Die Versichertendaten bilden einen Kontrollarm zu Studiendaten in Anlehnung an ein RCT und Confounder lassen sich durch das aufwändige Propensity-Score Matching-entsprechend kontrollieren. Die Methode stellt eine solide Möglichkeit dar, um bei ähnlichem Versorgungskontext der Studien- und Versichertendaten auch die Wirtschaftlichkeit neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu bewerten, wobei zunächst immer eine medizinische Bewertung erfolgen sollte.
Background
Drug-related problems (DRP) are common in the elderly population, especially in people living with dementia (PWD). DRP are associated with adverse outcomes that could result in increased costs. The objective of the study was to analyze the association between DRP and healthcare costs in PWD.
Methods
The analysis was based on the cross-sectional data of the DelpHi trial (Dementia: Life- and person-centered help) and 424 PWD. Prescribed and over-the-counter drugs taken as well as compliance, adverse effects and drug administration were assessed at the PWD´s homes during an extensive medication review. DRP were identified and classified by pharmacists using an adapted German version of “PIE-Doc®”. Healthcare utilization was assessed retrospectively using standardized and computer-assisted face to face interviews with the participants, their caregivers, and service stuff. Healthcare costs were calculated using standardized unit costs, representing cost from the public payers’ perspective. The associations between DRP and healthcare costs were analyzed using multiple linear regression models.
Results
93% of the participants had at least one DRP. An inappropriate drug choice was significantly associated with higher total costs (b=2,718.10€; CI95% 1,448.06 to 3,988.15). This was due to significantly higher costs for hospitalization (b=1,936.21€; 670.02 -3,202.40) and for medication (b=417.04€; 68.78 to 765.30). Problems with medication dosage and drug interaction were as well significantly associated with higher medication costs (b=679.80€; 31.41 to 1,328.18; and b=630.36€; 259.68 to 1,001.05, respectively). Contrary to this, formal care costs significantly decreased with a higher number of adverse drug events (b=-1,022.43€; -1,893.65 to -151.20).
Conclusions
An inappropriate drug choice, problems with the dosage and with drug interaction could significantly lead to higher cost for healthcare payers. Those problems are manageable to a certain extent using medication management. However, further research is needed to clarify how DRP could efficiently be avoided, saving already scarce healthcare resources.
Mental and neurological disorders are widespread, debilitating and associated with high direct and indirect costs. Usual care for patients with such disorders in Gemany is considered to be poor in coordination and cooperation between providers. Since 2013, the AOK Baden-Würtemberg gradually extended its general practitioners (GP) program (“Hausarztvertrag”) with selective contracts that change regulations in the outpatient sector. One of these contracts, the PNP program (“Facharztvertrag”), aims to improve treatment for acute and chronic patients in the fields of psychiatry, neurology and psychotherapy by promoting collaborative care networks and evidence-based treatment. Studies from the United States suggest that collaborative care models may favorably influence cost-effectiveness, but the evidence for similar models in Germany is limited. The purpose of this study was to compare costs between the collaborative PNP program, the GP program and usual care from the perpective of the health insurance. Additionally, sick leave days were analyzed.
We used claims data from 2014-2016 of 55,472 adults with an index sick leave in 2015 due to a disorder addressed by PNP (i.e. affective, anxiety, somatoform, adjustment, alcohol use disorder, schizophrenia, multiple sclerosis). The individuals were grouped according to the program enrolled in the quarterly period of their index sick leave diagnosis as either usual care, GP or PNP patients. We applied entropy balancing to balance the groups regarding potentially confounding covariates. We employed two-part generalized linear models to compare groups with respect to outpatient, inpatient and medication costs as well as sick pay by the AOK during 12 months after the index sick leave. In addition, we compared the number of sick leave days using a censored negative binomial model.
The PNP program significantly (p < .05) reduced average sick pay by 164€, compared to usual care, and by 177€, compared to GP. Consistently, in PNP the number of sick leave days was 3.84 days (p < .05) lower than in usual care and 3.99 days (p < .05) lower than in GP. We found significantly (p < .05) lower inpatient costs in PNP than in usual care (-194€) and in the GP program (-177€). However, we did not find a significant reduction in psychiatric or neurological inpatient costs.
Our results indicate that the PNP program reduces costs from the health insurance perspective as well as sick leave days. However, the observed reduction of inpatient costs in the PNP group was likely due to other regulations, as the share of the specific inpatient costs due to psychiatric/neurological disorders was not reduced. Future research on subgroups, the quality of care and the underlying mechanisms are needed to recommend the implementation of similar programs.
Im Gesundheitswesen interagieren zahlreiche Akteure miteinander. Dabei nimmt sowohl die Professionalisierung der Gesundheitsberufe als auch die Komplexität der medizinischen Versorgung immer weiter zu. Um in diesem teils recht komplexen Netzwerk eine bestmögliche Gesundheitsversorgung zu erreichen, liegt ein starker Fokus auf der Organisation der interprofessionellen Zusammenarbeit und Aufgabenteilung. In der Session werden einerseits Begrifflichkeiten abgegrenzt und andererseits die Auswirkungen interdisziplinärer Versorgungsansätze und Etablierung von Netzwerkstrukturen auf klinische Outcomes sowie die Teilhabe und Lebensqualität der Patient*innen diskutiert.
Nominiert als herausragende Arbeit im Fachgebiet Unfallchirurgie durch die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie
Nominiert als herausragende Arbeit im Fachgebiet Kardiologie
durch die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und
Kreislaufforschung
Hintergrund
Die Zusammenarbeit zwischen den Berufsgruppen des Gesundheitswesens gilt als ein wichtiger Bedingungsfaktor für eine nutzer- und nutzerinnenorientierte Versorgung und wird als ein Lösungsansatz für die Bewältigung der Herausforderungen im Gesundheitswesen angesehen (Robert Bosch Stiftung, 2013). In der englischsprachigen (internationalen) Fachliteratur wird in diesem Zusammenhang von „interprofessional collaboration“ (IPC) gesprochen. In der deutschsprachigen Literatur hingegen pluralisiert sich die Verwendung von IPC zu Begriffen wie Zusammenarbeit, Teamarbeit, Kollaboration, Kooperation, Koordination und Netzwerk in unterschiedlicher Weise. Aber die sowohl in der internationalen als auch in der nationalen Literatur verwendeten Begriffe zur Beschreibung von Zusammenarbeit sind heterogen und es existiert eine breite Debatte über unterschiedliche Terminologien. Vor diesem Hintergrund erscheint eine konzeptionelle Klärung dieser Begriffe angebracht, um sie künftig in Forschung und Versorgungspraxis eindeutiger anwenden zu können. Ziel der Literaturarbeit ist es die im nationalen und internationalen Kontext verwendeten Begriffe zur Zusammenarbeit der Berufsgruppen des Gesundheitswesens zu analysieren.
Fragestellung
• Wie werden die Begriffe C(K)ollaboration, Teamwork/Teamarbeit/Zusammenarbeit, C(K)ooperation, C(K)oordination, Networking/Netzwerk in der Forschungsliteratur verwendet?
• Wie können die Begrifflichkeiten voneinander abgegrenzt werden?
• Welches konzeptionelle Verständnis steht hinter der Verwendung dieser Begriffe?
Methode
Zur Beantwortung der Fragestellung wurde eine systematische Literaturrecherche in den Datenbanken Pubmed, CINAHL, Livivo, Psyndex sowie PsycINFO im Zeitraum von 1/2000 bis 2/2019 durchgeführt. Zusätzliche Referenzen konnten durch eine Handsuche ergänzt werden. Die Suchhistorie orientierte sich an der Vorgabe des PRISMA-Statements (Moher et al., 2009). Als Einschlusskriterien wurden die Berücksichtigung einer Definition und Merkmalsbeschreibung des Begriffs mit Fokus Gesundheitsversorgung in englischer oder deutscher Sprache festgelegt. In den eingeschlossenen Artikeln wurde gezielt nach Definitionen und konzeptionellen Ansätzen zu den jeweiligen Begriffen gesucht. Die Auswertung des Textmaterials erfolgte mittels qualitativer Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2016). Zunächst wurde durch das Forscher*innenteam ein Leitfaden für die Kodierung entwickelt. Daran anschließend erfolgte die Anwendung des Kodierleitfadens auf das Textmaterial. Leitend für die Kategorienbildung ist das Input-Prozess-Output-Modell.
Ergebnisse
In die Analyse konnten 132 Artikel zu den verschiedenen Begriffen eingeschlossen werden. In einer ersten Sichtung der Artikel zeigt sich, dass auch in der englischsprachigen Literatur die Begriffe keine eindeutige Anwendung erfahren. Vor allem die Begriffe „Teamwork“ und „Collaboration“ werden inflationär verwendet. Werden die einzelnen Definitionen im Rahmen der Analyse prozesshaft betrachtet und in einem Input-Prozess-Output-Modell kategorisiert, lassen sich verschiedene gemeinsame Merkmale für alle Kategorien der jeweiligen Begriffe identifizieren. Die Gemeinsamkeiten, wie z.B. das mehr als zwei unterschiedliche Gesundheitsberufe zusammenarbeiten, lassen sich allerdings in ihrer prozesshaften Umsetzung (z.B. Rollenzuweisung, Teilung von Verantwortung) unterschiedlich auslegen. Auch variiert zwischen den Begriffen der Grad an Formalität auf einem Kontinuum von formell bis hin zu informell, wobei Networking die informellste Form der Zusammenarbeit darstellt. Es zeigt sich, dass die Begrifflichkeiten sich erst in ihrer spezifischen Zusammensetzung und unterschiedlichen Gewichtung voneinander abgrenzen lassen.
Diskussion
Die vorliegende Analyse stellt Gemeinsamkeiten und Abgrenzungen der Begriffe zur Diskussion und schlägt eine systematisierte Beschreibung von Bedeutungsaspekten von Zusammenarbeit für den deutschen Sprachraum vor.
Praktische Implikationen
Mit der Analyse wird eine Verständigung über die Begriffe, die in Zusammenhang mit Zusammenarbeit stehen angeregt, um eine eindeutige Nutzung für Forschung und Versorgungspraxis zu erreichen.
Abstract ist im Rahmen der AG Zusammenarbeit in der Gesundheitsversorgung entstanden.
Hintergrund: Eine umfassende Gesundheitsversorgung entsteht erst durch das Zusammenspiel unterschiedlicher Akteure. Informelle Versorgungsnetzwerke basierend auf gemeinsam behandelten Patient*innen (Patient Sharing Networks) bilden Muster aus der realen Versorgung ab. Sie können dazu genutzt werden, häufig an der Behandlung einzelner Personen beteiligte Leistungserbringende in Gruppen zusammenzufassen, um Determinanten einer erfolgreichen Versorgung zu erforschen. Wir untersuchen, wie sich die Morbiditätsstruktur so abgegrenzter Cluster im Vergleich untereinander sowie im Zeitverlauf darstellt.
Fragestellung: In welchem Ausmaß unterscheiden sich durch Patient Sharing Networks gebildete Cluster aus Leistungserbringenden aller Sektoren in Bezug auf die Morbidität der versorgten Personen und wie stark ist die zeitliche Variation innerhalb und zwischen den Clustern?
Methode: Daten von ca. 7 Mio. AOK-Versicherten über 65 Jahren aus dem Zeitraum von 2006 bis 2016 wurden genutzt, um ein Patient Sharing Network zu konstruieren. Hierbei werden Verbindungen zwischen Leistungserbringenden durch gemeinsam behandelte Patient*innen hergestellt. Das Netzwerk umfasste ca. 220.000 Leistungserbringende aus den Bereichen ambulant-ärztliche Versorgung, stationäre Versorgung, Rehabilitation und Heilmittel. Mittels des Community Detection Algorithmus SLPA wurden 419 Cluster von Leistungserbringenden innerhalb des gesamten Netzwerkes identifiziert, die besonders starke Verbindungen untereinander aufwiesen.
Aus einer Stichprobe von 346.930 Patien*innen wurde jede Person dem Cluster zugeordnet, welches für diese im jeweiligen Kalenderjahr die meisten Behandlungsfälle erbrachte. Für jedes identifizierte Cluster wurden dann quartalsweise Indikatoren für Morbidität berechnet. Es wurden lediglich Cluster mit mindestens 50 zugeordneten Patient*innen berücksichtigt. Die Darstellung erfolgt beispielsweise an Hand des Anteils der Personen mit Diabetes mellitus Typ 2, des Anteils der Personen mit Hypertonie sowie der durchschnittlichen Anzahl von Erkrankungen eines auf 11 ausgewählten Erkrankungen (Asthma, COPD, Demenz, Depression, Diabetes mellitus Typ 2, Bluthochdruck, Herzinsuffizienz, Schlaganfall, KHK, Arthrose, Osteoporose) basierenden Komorbiditätsindex. Für jedes Kalenderjahr wurden die Ergebnisse jedes Clusters in Tertile aufgeteilt. Die Kontinuität der Indikatorausprägungen wird deskriptiv an Hand der Tertile dargestellt.
Ergebnisse: Vorläufige Ergebnisse zeigen, dass in Bezug auf den Anteil der Personen mit Diabetes mellitus Typ 2 20 % der Leistungserbringenden-Cluster über den betrachteten Zeitraum von 11 Jahren im gleichen Tertil verblieben, während 49 % im Zeitverlauf in zwei unterschiedlichen Tertien vorgefunden werden konnten. 31 % der Cluster fanden sich in mindestens einem Quartal jeweils im Tertil mit der höchste, einer mittleren und der niedrigsten Diabetes mellitus Typ-2-Prävalenz wieder. Die Spanne zwischen dem Cluster mit dem niedrigsten und dem höchsten Anteil an Personen mit Diabetes mellitusTyp 2 betrug dabei durchschnittlich 33 Prozentpunkte (10 % bis 43 %).
Eine größere Variation im Zeitverlauf zeigt sich beim Anteil der Personen mit Hypertonie, in dem lediglich 14 % der Cluster im gleichen Tertil verbleiben, während 45 % in zwei und 41 % in allen drei Tertilen gefunden werden konnten. Hier betrug der Unterschied zwischen dem höchsten und niedrigsten Cluster im Durchschnitt 35 Prozentpunkte (47 % bis 82 %). Auch in Bezug auf die Komorbidität der versorgten Patient*innen variierten die Cluster: 18 % verblieben im gleichen Tertil, während 50 % sich in zwei bzw. 32 % drei Tertile im Beobachtungszeitraum aufwiesen. Die Cluster versorgten Personen mit durchschnittlich 1,5 bis 2,8 Erkrankungen aus dem Komorbiditätsindex.
Diskussion: Die vorläufigen Ergebnisse zeigen eine große Variation sowohl im Zeitverlauf als auch zwischen den identifizierten Clustern unterschiedlicher Leistungserbringender auf. Unabhängig von der allgemeinen Morbiditätsentwicklung und relativ zu allen anderen Clustern verbleiben lediglich zwischen 15 und 20 % der Cluster über einen Zeitraum von 11 Jahren innerhalb des gleichen Tertils und verändern somit ihre Rangordnung gegenüber den anderen Clustern in Bezug auf die vorzufindende Morbidität der versorgten Patient*innen nur geringfügig. Zugleich stellt sich auch eine große Diskrepanz in der Morbiditätsstruktur der einzelnen Cluster dar, welche weiterer Untersuchungen bedarf.
Praktische Implikationen: Beim Vergleich zwischen Leistungserbringenden in Netzwerk sind Unterschiede in der zugrundeliegenden Morbiditätsstruktur und auch stärkere Variationen im Zeitverlauf zu berücksichtigen.
Background: Effective transmission of patient information is fundamental to quality and safety of patient care. Postsurgical handover of paediatric patients from operating rooms to intensive care units is a critical moment. This process is susceptible to errors and inefficiencies particularly if poor teamwork in this multi-disciplinary and ad-hoc collaboration occurs. To the best of our knowledge, multi-method assessments that contrast expert evaluations and provider self-assessments are missing. Particularly in the context of actual post-operative patient transfers in naturalistic hospital care settings and care delivery processes.
Objective: Through concurrently combining provider- and observer-rated team performance, we aimed to determine agreement levels on team performance and associations with mental demands, disruptions, and stress.
Method: An observational and multi-source study of provider and concomitant expert-observer ratings was established. In an Academic Paediatric Hospital, we conducted standardized observations of postsurgical handovers to PICU. We applied established observational and self-reported teamwork tools. Nested fixed- and mixed-models were established to estimate agreement within teams, between providers’ and observer’s ratings, as well as for estimations between team performance and mental demands, disruptions, and stress outcomes.
Results: 31 postsurgical patient handovers were included with overall 109 ratings of involved providers. Provider-perceived team performance was rated high. Within the receiving sub-team, situation awareness was perceived lower compared to the handoff sub-team [F(df=1)=4.41, p=.04]. Inter-provider agreement on handover team performance was low for the overall team, yet higher within handover sub-teams. We observed that high level of distractions during the handover was associated with inferior team performance rated by observers (B=-.72, 95% CI: -1.44, -.01).
Discussion: Efficient teamwork and comprehensive transfer of patient information across disciplines and clinical area is essential for safe and reliable patient handovers. We observed significant differences and disagreements on how the transfer was perceived by the involved professionals. Our findings advocate further that handovers should be performed under low levels of distractions. Future studies should carefully consider if provider and/or observer assessments without prior training and development of shared understandings are a feasible and reliable way to evaluate teamwork in paediatric care.
Implications: Our findings corroborate that a common handover language should be established and mandatory before jointly evaluating this process. Moreover, our findings call for further health services research and tool development in the domain of intra-hospital patient transfers to establish consistent observational and self-report measures that facilitate application in naturalistic hospital care environments.
Hintergrund
Kooperationen in der Gesundheitsversorgung sind seit geraumer Zeit international sowie national ein großes Thema. Das politische Bestreben Vernetzung im Gesundheitswesen zu stärken, wird vor allem seit dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz (GMG) 2004 umgesetzt. Vernetzung zwischen den Leistungserbringern soll die starren Grenzen zwischen den einzelnen Sektoren des Gesundheitswesens auflösen und dazu beitragen, den gegenwärtigen Herausforderungen wie begrenzten finanziellen Ressourcen, dem demografischen Wandel und dem damit einhergehenden erhöhten Vorkommen von chronischen Erkrankungen adäquat und effizient zu begegnen. In diesem Zusammenhang wurde im Rahmen dieser Forschungsarbeit, die kollaborative Zusammenarbeit am Beispiel der Versorgung in der Unterstützten Kommunikation (UK) definiert und untersucht. Die Versorgung von Menschen ohne Lautsprache, die auf Maßnahmen der UK (z.B. Symbolkarten, Sprachcomputer) angewiesen sind, ist durch mehrere Versorgungsprobleme geprägt. Diese Probleme entstehen u. a. aus der uneinheitlichen und nicht standardisierten Versorgung sowie den heterogenen Stakeholdern, dessen Zuständigkeiten in der Versorgung weitestgehend ungeklärt sind. Andererseits ist die Zusammenarbeit verschiedener Stakeholder notwendig für den Einsatz und Erfolg von UK-Maßnahmen. Das Ziel der UK-Versorgung ist es, Alltagskommunikation und somit auch Teilhabe zu ermöglichen. Dies kann nur erreicht werden, wenn die Stakeholder der verschiedenen Settings zusammen arbeiten und dieses Ziel gemeinsam patientenorientiert verfolgen.
Fragestellung
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit der an der UK-Versorgung beteiligten Stakeholder?
Methode
Zur Beantwortung der Forschungsfrage wurde preformativ eine Ist-Analyse der kollaborativen Zu-sammenarbeit in der UK-Versorgung durchgeführt. Es sollte vor allem herausgearbeitet werden, wie die Zuständigkeiten der verschiedenen Stakeholder verteilt sind und welche potentiellen Probleme in der Zusammenarbeit bestehen. Hierfür wurden aus der Evaluationsstudie des Innovationsfonds-Projekts „Erweiterung des Selektivvertrags zu Maßnahmen der Unterstützten Kommunikation“ (MUK) die Daten von fünf Fokusgruppeninterviews verwendet. Die Zusammensetzung der Fokusgruppen war heterogen, da private Bezugspersonen (z. B. Eltern) sowie fachliche Bezugspersonen (z. B. Leh-rer*innen, Erzieher*innen) der betreuten Personen mit UK-Bedarf teilnahmen. Interviews wurden mit-hilfe eines halbstandardisierten Interviewleitfadens durchgeführt und dauerten ca. 90 Minuten. Die Transkripte wurden unabhängig von zwei Forschenden in Form der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz mit MAXQDA ausgewertet. Die Transkripte wurden zunächst deduktiv anhand der Leitfragen kategorisiert. Darauf folgte in induktiver Form eine Differenzierung der Hauptkategorien in Subkategorien.
Ergebnisse
Es konnte herausgearbeitet werden, dass die Zusammenarbeit der an der Versorgung beteiligten Stakeholder als nicht ausreichend wahrgenommen wird. Oftmals bestünde kein Austausch zwischen den privaten und den fachlichen Bezugspersonen. Als zentrale Gründe wurden u. a. genannt, dass die Zusammenarbeit sehr vom jeweiligen Wissen der Stakeholder abhängig sei und die fachlichen Bezugspersonen zu wenig Zeit für die Zusammenarbeit hätten. Überwiegend negativ wurde insbesondere die Zusammenarbeit mit den Krankenkassen und den medizinischen Leistungserbringern bewertet. Dies wurde insbesondere in fehlendem Wissen über UK sowie ausbleibender Kostenübernahme seitens der Krankenkassen begründet.
Diskussion
Die Ergebnisse der Fokusgruppeninterviews führen potentielle Probleme der Zusammenarbeit auf, die negative Konsequenzen auf den Versorgungsablauf haben können. Da sehr viele Stakeholder an der UK-Versorgung beteiligt sind, konnten unterschiedlichste Formen der Zusammenarbeit und demzufolge eine Vielzahl von Problemsituationen erhoben werden. Somit treten Probleme in der Zusammenarbeit mit der Ärzteschaft auf, die z.B. kein Rezept für ein UK-Hilfsmittel ausstellt, mit den Krankenkassen, die z. B. das Hilfsmittel nicht bewilligen oder mit den Bildungseinrichtungen, die z. B. das UK-Hilfsmittel im Unterricht nicht verwenden.
Praktische Implikationen
Insgesamt weisen die Ergebnisse der Fokusgruppeninterviews auf einen Interventionsbedarf bzgl. der Stärkung der Zusammenarbeit der beteiligten Stakeholder hin. Eine funktionierende Zusammenarbeit kann potentiell zu einem besseren Versorgungsablauf beitragen und die Umsetzung von UK positiv beeinflussen. Demzufolge sollten Strukturen und Prozesse geschaffen werden, die diese Zusammenarbeit ermöglichen und stärken. Dies könnte u. a. durch Wissensvermittlung über UK sowie die Sensibilisierung der Stakeholder für die Relevanz von UK erreicht werden. Insbesondere die Begleitung der Versorgung durch eine UK-Beratungsstelle, die Case Management leistet, könnte die Zusammenarbeit stärken.
Für Patient*innen empfohlen.
Unter Gesundheitskompetenz wird die Fähigkeit verstanden, Informationen zur eigenen Gesundheit zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und anzuwenden. Ziel ist dabei, im Alltag angemessene Entscheidungen zur Erhaltung der Gesundheit zu treffen. Gesundheitskompetenz gehört zur Bildung und umfasst Wissen, Motivation und die, Kompetenz ein entsprechend gesundheitsorientiertes Handeln an den Tag zu legen. Ziel der Session ist, den besonderen Stellenwert der Gesundheitskompetenz für die Versorgungsforschung herauszuarbeiten.
Anhand von Beispielen im Zusammenhang mit der Versorgung medizinischer Krankheitsbilder sowie im Bereich der organisationalen Gesundheitsförderung sollen Erkenntnisse vermittelt und Schlussfolgerungen für die zukünftige Praxis und Ausrichtung der Gesundheitsversorgung gezogen werden.
Hintergrund
Gesundheitskompetenz bildet ein komplexes Gefüge aus individuellen Ressourcen und Fähigkeiten, situativen Faktoren und Umweltbedingungen, und den Anforderungen des Gesundheitssystems, in dem eine Person interagiert. Diese sozial-relationalen Prozesse kulminieren in der Behandlungssituation. Die gelungene Interaktion zwischen Behandelnden und Patient*innen ist demnach ein zentraler Bestandteil organisationaler und individueller Gesundheitskompetenz. Für Behandelnde kann die Interaktion mit Personen mit Migrationshintergrund aufgrund sprachlicher und kultureller Barrieren besonders herausfordernd sein; zusätzlich kann auch ihr eigener Migrationshintergrund eine wichtige Rolle dabei spielen.
Fragestellung
Ziel der Studie ist die Identifikation von Herausforderungen, Bedarfen und Lösungsansätzen in der Interaktion mit Menschen mit Migrationshintergrund im Behandlungssetting aus Sicht der Behandelnden. Insbesondere der Einfluss des Migrationshintergrundes von Patient*innen und Behandelnden sowie die Bewertung bereits angewendeter Strategien zum Umgang mit diesen Herausforderungen sind dabei von besonderem Interesse.
Methode
In fünf Fokusgruppendiskussionen mit Behandelnden aus dem Gesundheitswesen (n=30) wurden die Herausforderungen, Bedarfe und angewendeten Lösungsansätze in der Interaktion mit Männern und Frauen mit Migrationshintergrund diskutiert. Mittels selektiven Samplings wurden die Teilnehmer*innen rekrutiert. Einschlusskriterien waren eine professionelle Tätigkeit im Gesundheitswesen, mindestens zweijährige Berufserfahrung und regelmäßiger medizinisch-therapeutischer Umgang mit Menschen mit Migrationshintergrund. Der semi-strukturierte Leitfaden wurde in zwei Pretests überprüft und fortlaufend adaptiert. Die gewonnen Daten wurden in einer qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018) ausgewertet. Eine unabhängige Kategorienbildung durch zwei Wissenschaftler*innen sowie die fortlaufende Adaption des im Prozess konsentierten Kategoriensystems gewährleistete die Intercoder-Reliabilität in der Datenanalyse. Divergente Interpretationen des Datenmaterials wurden durch Hinzuziehung einer dritten Wissenschaftlerin konsolidiert.
Vorläufige Ergebnisse
Sprachbarrieren, systemisch bedingter Zeitmangel und Unsicherheit im Umgang mit Menschen mit Migrationshintergrund wurden als Hindernisse für eine gelungene Interaktion benannt. Insbesondere der Umgang mit der von Menschen mit Migrationshintergrund antizipierten Diskriminierung durch Akteur*innen des Gesundheitswesens wurde von den Behandelnden als herausfordernd erlebt. Einen eigenen Migrationshintergrund erlebten die Teilnehmer*innen dabei überwiegend als hilfreiche Zugangsmöglichkeit und förderlichen Faktor für ihre eigene Gesundheitskompetenz als Behandelnde. Als Schlüsselkomponenten für gelungene Interaktion mit und Behandlung von Menschen mit Migrationshintergrund wurden die gezielte Investition zeitlicher Ressourcen — auch über systemische Vorgaben hinaus — sowie die herkunftsunabhängige Würdigung aller Patient*innen als Individuen genannt. Als essentielle Hilfsmittel zur Überbrückung von Sprach- und Kulturbarrieren forderten die Teilnehmer*innen den abrechenbaren Einsatz von Videodolmetscher*innen und Sprach- und Kulturmittler*innen. Die Hinzuziehung von unbeteiligten Ärzt*innen oder Pfleger*innen mit Migrationshintergrund als Laiendolmetscher*innen in einer (stationären) Behandlungssituation wurde kritisch eingestuft, da sie aufgrund mangelnder Zeit für die eigentlichen Aufgaben oder Patient*innen mit erheblichen Belastungen verbunden sein können.
Diskussion
Aus Sicht der Behandelnden kann der Einsatz von Videodolmetscher*innen, Sprach- und Kulturmittler*innen dazu beitragen, die Gesundheitskompetenz im Sinne einer gelungenen Gestaltung der Behandlungssituation zu fördern. Ein geteilter Migrationshintergrund kann nicht nur Beziehungsgestaltung und Informationsvermittlung vereinfachen, sondern auch zu einer höheren Zufriedenheit von Behandelnden und Patient*innen mit Migrationshintergrund beitragen. Dahingegen kann der Einsatz von medizinischem Personal als Laiendolmetscher*innen die allgemeine Zeitknappheit und Belastungssituation im Gesundheitswesen verschärfen. Hierbei handelt es sich um Zwischenergebnisse der noch andauernden Datenanalyse. Diese spiegeln ambulante und stationäre Behandlungssituationen in einer deutschen Großstadt wider und sind somit nicht uneingeschränkt übertragbar.
Praktische Implikationen
Interventionen zur Überwindung der Sprachbarrieren sollten weiterentwickelt, evaluiert und deren Implementierung in die Regelversorgung kritisch geprüft werden. Wenn es sich nicht vermeiden lässt, Behandelnde mit Migrationshintergrund außerhalb ihres eigentlichen Behandlungsauftrages als Dolmetscher*innen einzusetzen, sollten sie dafür freigestellt und entsprechend weitergebildet werden.
Dieser Teilaspekt wurde im Rahmen eines vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekts exploriert (FKZ: 01GL1723).
Hintergrund: Die Teilnahme von Patientinnen in der multidisziplinären Tumorkonferenz (MTK) ist eine neu diskutierte und in einigen Brustkrebszentren in Nordrhein-Westfalen bereits praktizierte Möglichkeit, Patientinnenpräferenzen verstärkt in die Behandlung einzubeziehen. Bislang ist unklar, welche Patientinnen an MTK teilnehmen und ob die Teilnahme zwischen Brustkrebszentren variiert. In einer vorherigen Studie konnten wir erste Hinweise für eine Assoziation zwischen der Teilnahme von Patientinnen und deren Soziodemografie finden. Jedoch wurde bisher die Gesundheitskompetenz der Patientinnen nicht mit der Teilnahme an MTK in Verbindung gebracht, obwohl vielfach gezeigt wurde, dass die individuelle Gesundheitskompetenz eine zentrale Voraussetzung für die Beteiligung von Patienten in der Gesundheitsversorgung darstellt.
Fragestellung: Um die Forschungslücke für Deutschland schließen zu können, wird in dieser Studie analysiert, ob die individuelle Gesundheitskompetenz, soziodemografische und krankheitsbezogene Variablen mit der Patientinnenteilnahme an MTK assoziiert sind und ob die Patientinnenteilnahme zwischen Brustkrebszentren variiert.
Methode: In einer prospektiven, multizentrischen und deutschlandweiten Kohortenstudie wurden neu diagnostizierte Brustkrebspatientinnen mithilfe eines Fragebogens direkt nach der OP (T1), 10 Wochen (T2) und 40 Wochen (T3) nach OP befragt. Gesundheitskompetenz wurde in T1 mithilfe des HLS-EU-Q16 Fragebogens erfasst. Neben einer deskriptiven Analyse und t-Tests wurde eine logistische Mehrebenen-Regressionsanalyse mit n=863 Patientinnen und n=43 Brustkrebszentren durchgeführt, um die Assoziation zwischen der Patientinnenteilnahme an MTK zu T1 und Gesundheitskompetenz, soziodemografischen und krankheitsbezogenen Variablen sowie der Variation zwischen den Brustkrebszentren zu berechnen.
Ergebnisse: Die deskriptiven Ergebnisse zeigen, dass 6,8% der Brustkrebspatientinnen an der MTK teilnehmen. Die logistische Mehrebenen-Regressionsanalyse ergibt, dass die Patientinnen mit einer inadäquaten Gesundheitskompetenz eine signifikant geringere Wahrscheinlichkeit der Teilnahme an MTK aufweisen (OR = 0,31, 95%-CI = 0,1 – 0,9) und dass die Patientinnenteilnahme zwischen den Brustkrebszentren variiert (ICC = 0,161).
Diskussion: Die Ergebnisse zeigen erstmals für Deutschland signifikante Unterschiede der Patientinnenteilnahme an MTK, die mit individuellen (Gesundheitskompetenz) und organisationalen (Brustkrebszentrum) Faktoren assoziiert sind. Für die zukünftige Forschung zur Patientinnenteilnahme an MTK und Gesundheitskompetenz sollten Vor- und Nachteile der Patientinnenteilnahme Beachtung finden. Hierbei sind insbesondere die möglichen positiven und negativen Erfahrungen der teilnehmenden Patientinnen und Versorger in Abhängigkeit von der Gesundheitskompetenz der Patientinnen relevant.
Praktische Implikationen: Die Berücksichtigung der Gesundheitskompetenz im Versorgungsalltag bedeutet eine an die jeweilige Patientin angepasste Kommunikation zum Thema MTK. Dies könnte im Rahmen eines strukturierten und eng begleiteten MTK-Versorgungpfades erfolgen und folgende Maßnahmen beinhalten: eine einfach verständliche mündliche und schriftliche Definition von MTK, eine gemeinsame Evaluation der Teilnahme, ein Vor- und Nachbereitungsgespräch der MTK einschließlich der Berücksichtigung medizinischer und emotionaler Aspekte. Die Prozess- und Outcomequalität der Versorgung von Frauen mit Brustkrebs in MTK könnte durch die verstärkte Berücksichtigung der individuellen Gesundheitskompetenz verbessert werden.
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1: Teile der zu präsentierenden Ergebnisse wurden bereits veröffentlicht in „Health literacy and patient participation in multidisciplinary tumor conferences in breast cancer care: a multilevel modeling approach. BMC Cancer 2019, 19:330, https://doi.org/10.1186/s12885-019-5546-z.“
Hintergrund
Komplexe Umweltprozesse wie der Klimawandel stellen auf globaler, nationaler und kommunaler Ebene wichtige Herausforderungen des 21. Jahrhunderts für die Gesundheitswissenschaften (Public Health) dar. Um diesen zu begegnen, benötigen die Menschen die Kompetenz, Umwelt- und Gesundheitsinformationen zu finden, zu verstehen, zu bewerten und anzuwenden, damit sie gesundheitsförderliche Entscheidungen treffen und entsprechend handeln können. Es wird jedoch immer klarer, dass der ausschließliche Blick auf die individuelle Gesundheitskompetenz zu kurz greift. Einrichtungen, Behörden und Organisationen, die eine Rolle in der Gesundheitsversorgung der Menschen spielen, müssen ebenso aktiv werden und ihren Nutzern helfen, Informationen und Angebote zu finden und in Anspruch zu nehmen. Für diese Form der sog. „organisationalen Gesundheitskompetenz (OHL)“ wurden, basierend auf den „Zehn Attributen gesundheitskompetenter Krankenbehandlungsorganisationen“ des US Institute of Medicine, international mehrere theoretische Modelle entwickelt. Die meisten der existierenden Modelle beziehen sich jedoch auf Krankenhäuser und andere Versorger für Individualmedizin.
Der Deutsche Aktionsplan Gesundheitskompetenz fordert im Handlungsfeld „nutzerfreundliche Gestaltung des Gesundheitssystems“ die Kommunikation zwischen den Gesundheitsprofessionen und Nutzern verständlich und wirksam zu gestalten. Diese Forderung trifft auch auf den öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) in Deutschland zu, der auf Bevölkerungsebene für den Bereich Umwelt und Gesundheit zuständig ist. Entsprechende Informationen zur Gesundheitskompetenz von Gesundheitsämtern/-behörden in Deutschland liegen bisher nicht vor – ein Umstand, der dem oft beschriebenen Mangel an Theorien in den Gesundheitswissenschaften geschuldet ist.
Im Sinne einer Stärkung der umweltbezogenen Bevölkerungsgesundheit und vor dem Hintergrund der drängenden Aufgaben im gesundheitsbezogenen Umweltschutz gilt es, die zahlreichen Schnittstellen zwischen Gesundheits- und Umweltverwaltung besser zu nutzen, Ressourcen zu bündeln und die Gesundheitskompetenz der Organisationen insgesamt zu stärken.
Fragestellung
Wie können Gesundheitsbehörden ihre OHL erhöhen und welche Umstände hindern sie daran? Wie können vorhandene Synergien zwischen Umwelt- und Gesundheitsbehörden gezielter identifiziert und genutzt werden, um knappen Ressourcen, Fachkräftemangel und fehlendem politischen Gehör zu begegnen?
Methoden
Einbezogen in die Studie wurden Gesundheits- und Umweltämter von der kommunalen Ebene bis hin zu Landesbehörden. Im Zentrum standen leitfadengestützte Interviews mit den Experten unterschiedlicher Hierarchieebenen in den jeweiligen Behörden, die im Schnellballsystem rekrutiert wurden. Die Interviews wurden zwischen Oktober 2018 und April 2019 durchgeführt. Nach der Transkription der Audioaufnahmen wurden die anonymisierten Interviews einer qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring unterzogen.
Ergebnisse
Leitfadengestützte Interviews wurden mit insgesamt zwölf Sachbearbeitern/ Referenten (n=4), Sachgebiets-/ Referatsleitern (n=6) sowie Amtsleitern (n=2) von Gesundheits- (n=7) und Umweltbehörden (n=5) durchgeführt. Insgesamt 10,4 Stunden Audioaufnahmen wurden transkribiert und qualitativ analysiert. Bei der Auswertung der Interviews fanden sich einige aus früheren Studien bekannte Barrieren wieder. Zusätzlich wurden neue Hindernisse wie z. B. fehlende Bürgernähe identifiziert. Als vorläufige Ergebnisse konnten auf der Basis der Studie Handlungsempfehlungen zur Verbesserung der OHL und zur Optimierung der Kooperation zwischen den Behörden formuliert werden.
Diskussion
Vor dieser Studie existierten keine Daten zur organisationalen Gesundheitskompetenz von Gesundheitsbehörden in Deutschland. Interviews mit Experten aus Gesundheits- und Umweltämtern ergaben eine Reihe von Barrieren, die diese davon abhalten, ihre OHL zu erhöhen. Ebenfalls konnten Hemmnisse identifiziert werden, die einer besseren Kooperation zwischen den Behörden und der Nutzung von Synergien entgegenstehen. Diese Barrieren zu überwinden, könnte wesentlich dazu beitragen den Umweltschutz zu verbessern und zugleich die umweltbezogene Gesundheit in der Bevölkerung zu erhöhen und damit einen entscheidenden Beitrag für Public Health zu leisten. Ein perspektivisches Ziel der Studie ist es, auf der Basis der vorliegenden Ergebnisse ein theoretisches Modell für gesundheitskompetente Gesundheitsbehörden zu entwickeln.
Praktische Implikationen
Interviews mit Experten aus Gesundheits- und Umweltbehörden in Deutschland förderten zahlreiche Hindernisse zutage, die die Organisationen davon abhalten, ihre OHL zu erhöhen. Diese Barrieren mit Hilfe der aus der Studie abzuleitenden Handlungsempfehlungen zu überwinden, wäre ein erster Schritt zur Erhöhung der OHL und damit ein positives Zeichen für einen verbesserten gesundheitsbezogenen Umweltschutz und eine erhöhte umweltbezogene Gesundheit der Bevölkerung.
Hintergrund
Die Stärkung der Gesundheitskompetenz ist in Deutschland und Österreich im Rahmen nationaler Aktionspläne und Strategien zunehmend fest verankert. Auch in der Schweiz wurde die Stärkung der Gesundheitskompetenz inzwischen als nationales Ziel definiert. Bei der Umsetzung der Strategien und Massnahmen zur Förderung der Gesundheitskompetenz nehmen die Organisationen des Gesundheitssystems sowie die darin tätigen Fachpersonen eine zentrale Rolle ein. Besonders durch ihre Reichweite können sie einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung leisten. So können sie beispielsweise die Handlungsfähigkeit von Nutzern und Nutzerinnen fördern, indem sie Anforderungen reduzieren und den Aufbau persönlicher Kompetenzen und Wissen unterstützen. Im Rahmen eines im April 2019 gestarteten Projekts wird ein Selbstcheck-Tool entwickelt, mit dem Organisationen der Grundversorgung (Arztpraxen und ambulante Pflegeorganisationen) zu gesundheitskompetenten Organisationen befähigt werden sollen.
Fragestellung
Wie können Leistungserbringer in der Grundversorgung ihren Entwicklungsstand als Gesundheitskompetente Organisation systematisch prüfen und fördern?
Methode
Mit Hilfe des Selbstcheck-Tools sollen die Organisationen und ihre Mitarbeitenden eigenständig beurteilen können, wie sie in verschiedenen Bereichen die Gesundheitskompetenz ihrer Patienten und Patientinnen stärken (z.B. Selbstmanagementfähigkeiten, Patientenorientierte Information, Kommunikation). Basierend auf dieser Selbstbeurteilung werden die Organisationen und ihre Mitarbeitenden angeleitet, Handlungsbedarf zu identifizieren, Verbesserungsmassnahmen zu definieren, zu planen und diese entsprechend umzusetzen. Dabei werden sie von einem speziell dafür entwickelten Handbuch mit Massnahmen unterstützt.
Das entwickelte Tool wird in Pilotbetrieben bestehend aus Ärztenetzwerken und ambulanten Pflegeorganisationen des Kantons Zürich eingesetzt. Im Rahmen dieser Pilot-Anwendung wird das Instrument gleichzeitig hinsichtlich diverser Aspekte (Inhalte, Anwenderfreundlichkeit, Nützlichkeit, Wirkungen etc.) mittels Fokusgruppen evaluiert.
Ergebnisse und Diskussion
Das für die Grundversorgung (eine Version für Arztpraxen, eine Version für ambulante Pflegeorganisationen) entwickelte Selbstcheck-Tool wird bis im Herbst 2019 fertiggestellt und soll im Rahmen des Beitrags präsentiert werden. Ebenso vorgestellt werden Ergebnisse der Fokusgruppen mit diversen Fachpersonen aus der Praxis, die zur Erarbeitung und Evaluation des Tools durchgeführt wurden. Ergänzt werden diese Resultate durch Erkenntnisse aus Interviews mit Experten und Kooperationspartnern.
Praktische Implikationen
Organisationen des Gesundheitssystems können ihren Entwicklungsstand als gesundheitskompetente Organisation identifizieren und sind befähigt, sich organisational weiterzuentwickeln. Sie stärken damit die Autonomie und die Handlungsfähigkeit ihrer Nutzer und Nutzerinnen und unterstützen die persönlichen Kompetenzen und das Wissen im Bereich der Gesundheit. Damit werden die Nutzer und Nutzerinnen wiederum befähigt, informierte und eigenständige Entscheidungen zu treffen und schliesslich eine aktive Rolle bezüglich Gesundheitsförderung und Krankheitsbewältigung zu übernehmen.
Förderung
Dieses Projekt wird durch die «Gesundheitsförderung Schweiz» gefördert.
Mit dem Innovationsfonds wurde ein einzigartiges Instrument zur qualitativen Weiterentwicklung einer lernenden, innovationsoffenen Gesundheitsversorgung geschaffen. Dieses Instrument ist mittlerweile etabliert und der Zwischenbericht März 2019 zur wissenschaftlichen Auswertung vom der vergebenen Fördermittel bestätigt, dass der Innovationsfonds geeignet ist, die Versorgung mit weiterzuentwickeln. Daher ist diese Session speziell dem Innovationsfond mit dem Schwerpunkt auf den Projekten der Neuen Versorgungsformen(NVF) gewidmet.
Hintergrund:
Die IKK gesund plus führt zur Verbesserung der bedarfsgerechten, sektorenübergreifenden Versorgung ihrer Versicherten nach Herzinfarkt und Schlaganfall die Intervention IKK IVP-Innovation, Versorgungspartner, Patient (IKK IVP; Förderer: Innovationsfonds, Förderkennzeichen: 01NVF17039, Laufzeit: 01.04.2018 – 31.03.2021) in Sachsen-Anhalt durch. Das Projekt soll eine prozessorientierte kontinuierliche Begleitung der Patienten und eine abgestimmte Kommunikation zwischen den Versorgungsebenen gewährleisten.
Fragestellung:
Mittels einer Versichertenbefragung soll untersucht werden, ob eine optimierte Versorgung durch IKK IVP Einfluss auf die Entwicklung der Lebensqualität nach Herzinfarkt und Schlaganfall hat.
Methode:
Der Evaluation des Projektes IKK IVP liegt ein Kontrollgruppendesign zugrunde. Die Interventionsgruppe bilden die Teilnehmer am Programm. Als interne Kontrollgruppe dienen Versicherte der IKK gesund plus, die nicht an IKK IVP teilnehmen. Als externe Kontrollgruppe dienen Versicherte der strukturähnlichen IKK classic mit Wohnort in Sachsen oder Thüringen. Zur Messung der Lebensqualität wird die Short Form- 12 Version 2 des Sozioökonomischen Panels (SF12v2 des SOEP) genutzt. Die Versichertenbefragung erfolgt in der ersten Welle zehn Wochen nach Akutbehandlung sowie erneut sechs Monate nach Entlassung aus dem Krankenhaus. Angeschrieben werden alle Versicherten, die im Zeitraum vom 01.06.2018 bis 31.12.2020 u.a. einen Herzinfarkt oder Schlaganfall erleiden. Zusätzlich zur Fragebogenerhebung erstellen die Kassen eine Merkmalsliste aller angeschriebener Patienten mit soziodemografischen und krankheitsbezogenen Angaben, solchen zur Erstversorgung und Merkmalen der Intervention, die im weiteren Verlauf der Evaluation eine vertiefende Analyse von Teilpopulationen ermöglichen. Über eine nicht-sprechende Studien-ID können diese Informationen mit den Primärdaten verknüpft werden. Der SF12v2 des SOEP umfasst zwölf Items, die zu zwei übergeordneten Kategorien physische (Summary scale Physical: pcs) und psychische (Summary scale Mental: mcs) Gesundheit zusammengefasst werden und deren Arithmetisches Mittel (MW) bestimmt wird. Zur Auswertung werden lediglich Befragte berücksichtigt, die für alle zwölf Items gültige Angaben aufweisen. Je höher der erreichte Wert der übergeordneten Skalen ist, desto besser ist die körperliche bzw. psychische Gesundheit der Befragten einzuschätzen.
Ergebnisse:
Mit Stichtag 28.02.2019 wurden 1878 Fragebögen ausgesendet, von diesen sind 715 ausgefüllte Fragebögen eingegangen. Die Rücklaufquote beträgt 38,1 %. Dabei nehmen vermehrt Männer (69,3 %) an der Befragung teil. Am häufigsten sind die 10er-Altersgruppe der 60-69jährigen (30,0 %) und der 70-79jährigen (29,6 %) vertreten. Die Interventionsgruppe bilden dabei 209 Teilnehmer, während in der internen Kontrollgruppe 186 und in der externen Kontrollgruppe 320 angeschriebene Versicherte geantwortet haben. Nach Auswertung des SF12v2 des SOEP ergibt sich für die Interventionsgruppe für Welle 1 (n=619) eine physische Gesundheit von 41,1 (MW) und eine psychische Gesundheit von 43,0 (MW). Die interne und die externe Kontrollgruppe weisen in Welle 1 eine physische Gesundheit von 41,3 (MW) und eine psychische Gesundheit von 43,2 (MW) auf. Männer schätzen ihr Gesundheit (pcs: 41,6; mcs: 43,9) höher ein als Frauen (pcs: 39,8; mcs: 41,61) (U-Test: pcs: p= 0,037; mcs: p=0,036). Mit dem Alter nimmt die physische Gesundheit signifikant ab (Kruskal-Wallis-Test (K-W): p < 0,001). Die psychische Gesundheit ist in der Gruppe der 60-69jährigen (MW: 45,0) am höchsten, in der Gruppe der über 79jährigen am niedrigsten (MW: 40,4) (K-W: p=0,006). Erste Ergebnisse für die 2. Welle sind im Herbst 2019 zu erwarten.
Diskussion:
Die Rücklaufquote zeigt eine hohe Response sowohl in der Interventionsgruppe als auch den Kontrollgruppen. Dass Männer häufiger an der Befragung teilnehmen, ist auf deren höhere Inzidenz der Zielerkrankungen zurückzuführen. Die ersten Fragebögen zeigen keinen Unterschied der Lebensqualität zwischen der Interventionsgruppe und den Kontrollgruppen. Die Ausgangslage hinsichtlich der Lebensqualität aller Befragten ist damit gleich. Die vermutete Strukturgleichheit zwischen Interventions- und externer Kontrollgruppe wird jedoch explizit untersucht. Bei Vorliegen der ergänzenden soziodemographischen und krankheitsbezogenen Merkmale sind vertiefende Subgruppen- und multivariate Analysen geplant entsprechend einem vorab konsentierten Feinkonzept. Ob das Programm IKK IVP Wirkung zeigt, wird sich vor allem im Vergleich des Outcomes in Welle 2 zeigen.
praktische Implikationen:
Die Evaluation liefert erste Hinweise darüber, inwieweit sich der Effekt des Interventionsprojekts auf die Lebensqualität von Patienten mit Herzinfarkt und Schlaganfall auswirkt. Mit Voranschreiten des Projektes können gesicherte Ergebnisse getroffen werden. Bei Erfolg der Intervention kann diese auf andere Bundesländer übertragen werden.
Hintergrund
Problemfelder und Herausforderungen der derzeitigen Demenzversorgung sind u.a. a) eine leitliniengerechte, zeitnahe Diagnostik und Therapie, b) die Sicherstellung einer multiprofessionellen und multimodalen Versorgung unter Einbezug medizinischer, pflegerischer, sozialer, psychologischer und auch rechtlicher Maßnahmen bzw. Beratungen, c) das Eingehen auf die angesichts der hohen Variabilität der Versorgungsprobleme sehr individuellen Bedarfe und d) die Verfügbarkeit effektiver Strukturen zur ambulanten Krisenintervention in Versorgungskrisen (z.B. aufgrund von Erschöpfung von pflegenden Angehörigen oder sich entwickelnden Verhaltensauffälligkeiten). Erforderlich sind innovative Versorgungsmodelle, die diese Probleme berücksichtigen und routinetaugliche Lösungen bereitstellen.
Fragestellung
DemStepCare stellt ein hausarztbasiertes Versorgungskonzept dar mit dem Ziel, eine sowohl leitliniengerechte als auch patientenzentrierte Versorgung von Patienten mit dementiellen Erkrankungen und deren pflegenden Angehörigen zu ermöglichen. Hierdurch sollen die medizinische und psychosoziale Versorgungsqualität nachhaltig verbessert und häufige Fehlversorgungen (Krankenhauseinweisungen - demenzbezogen oder aufgrund von nicht leitliniengerechter ambulanter Diagnostik und Behandlungen - Doppeluntersuchungen, Einsatz von risikoreichen Psychopharmaka) reduziert werden. Die DemStepCare-Intervention wird implementiert und wissenschaftlich evaluiert. Primäre Versorgungsziele sind die Reduktion der stationären Behandlung, die verbesserte Lebensqualität von Patienten mit Demenz und eine reduzierte Belastung der pflegenden Angehörigen.
Methode
Es wird eine prospektive clusterrandomisierte Studie durchgeführt. 120 Hausärzte werden mit ihren Patienten (N=13-15 pro Hausarzt) stratifiziert nach der Demenzsensibilität des Arztes in die Interventions- oder Kontrollgruppe (IG/KG) randomisiert (1:1, ca. 800 Fälle pro Gruppe). Alle Hausärzte (also unabhängig von der Zuordnung IG und KG) erhalten ebenso wie die Medizinischen Fachangestellten, MFAs, eine Fortbildung zum neuen Versorgungsnetz und regionalen Unterstützungsmöglichkeiten. Zudem werden fortlaufende Qualitätszirkel eingerichtet. Hausärzte und MFAs der Interventionsgruppe erhalten zusätzlich eine Schulung zu leitliniengerechter Demenzdiagnostik und -therapie. Alle Patienten erhalten eine Risikostratifizierung bzgl. der Versorgungsstabilität, in der Interventionsgruppe erfolgt diese durch Case Manager. In der IG wird zudem eine pharmazeutische Medikationsanalyse bei allen Patienten, ein pflegerisches Case Management für Patienten mit erhöhtem Versorgungsrisiko und eine Behandlung durch die aufsuchende 24-Stunden-Krisenambulanz eingeführt.
Eine zweite Kontrollgruppe besteht aus Routinedaten der Gesetzlichen Krankenkassen und bezieht sich allein auf gesundheitsökonomische Analysen (Budget-Impact-Analyse und Kosten-Effektivitäts-Analysen, gesamt und getrennt nach Risikogruppen).
Primäre Endpunkte sind: 1. Zahl der stationären Behandlungstage, 2. Lebensqualität von Patienten und 3. Pflegebezogene Belastung der Angehörigen. Sekundäre Endpunkte sind Akzeptanz der Intervention (bei Patienten und Angehörige); Verordnungen von Psychopharmaka und Polypharmazie; leitliniengerechte Demenzdiagnostik und -therapie; Akzeptanz, Adhärenz und Demenzsensibilisierung der Hausärzte; Nutzungsgrad von ambulanten Unterstützungsangeboten; Akzeptanz bei Case Managern und Pflegeexperten sowie Versorgungsstabilität. Zur Datenanalyse werden u.a. hierarchische lineare Modelle mit Berücksichtigung des Clustereffekts auf Praxisebene eingesetzt.
Diskussion und praktische Implikationen
In Deutschland leben gegenwärtig rund 1,7 Millionen Menschen mit Demenz, wobei aufgrund der demografischen Veränderungen weitaus mehr Neuerkrankungen als Sterbefälle auftreten; d.h. die Zahl der Demenzkranken steigt kontinuierlich an. Die Krankenzahl könnte sich bis zum Jahr 2050 auf rund 3 Millionen erhöhen. Diesem drängenden Versorgungsproblem steht ein Mangel an bedarfsgerechten, versorgungsrisikoadaptierten und wissenschaftlich evaluierten Interventionsmöglichkeiten gegenüber. Das Modell DemStepCare besitzt das Potential, diese Lücke zu schließen. Hinsichtlich der koordinierten Kooperation und Koordinationsleistungen wird auf der Rechtsgrundlage des §140 a SGB V ein IV-Vertrag angestrebt. Die Patientenversorgung durch die Krisenambulanz und das Case Management sollen nach der Projektlaufzeit z.B. mit Pauschalen nach § 120 SGB V, die mit den Kostenträgern verhandelt werden, vergütet werden.
Die Studie (Antrags-ID: NVF1_2018-104) wurde vom Innovationsausschuss beim Gemeinsamen Bundesausschuss unter Auflagen zur Förderung ausgewählt; der endgültige Förderbescheid wird für Ende März 2019 erwartet. Der geplante Projektbeginn ist 01.04.2019.
Hintergrund: Operative Interventionen bergen das Risiko von Wundinfektionen, insbesondere wenn multiresistente Erreger Verursacher sind. Schwerwiegende Infektionen bis hin zur Sepsis, verlängerte stationäre Krankenhausaufenthalte, einen gesteigerten Antibiotikaverbrauch sowie zusätzliche Arztbesuche können hierbei die Folge sein. Die vom Innovationsfonds geförderte Studie STAUfrei (01NVF17042) untersucht, ob eine Sanierung von MRSA (Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus) und MSSA (Methicillin-sensibler Staphylococcus aureus) im häuslichen Umfeld die damit zusammenhängenden Risiken bei elektiven Operationen im Krankenhaus verringert. Im Projekt wird die Sanierung maßgeblich durch in Hausarztpraxen angestellte Link Nurses koordiniert und unterstützt.
Link Nurses sind speziell im Bereich Hygiene und Erregerprävention geschulte Pflegekräfte oder medizinische Fachangestellte (MFA). Dabei werden Leistungen von Ärzten an Link Nurses delegiert und entsprechend honoriert. Neben den Screenings übernimmt die Link Nurse im Projekt das Fallmanagement positiv gescreenter Patienten, informiert diese über die notwendige Sanierungsmaßnahme und koordiniert notwendige Nachuntersuchungen. Sie agieren als Bindeglied zwischen den Sektoren und Einrichtungen und sind untereinander durch Fallbesprechungen vernetzt.
Fragestellung: Am Beispiel der Link Nurse, die eine zentrale Rolle bei der Intervention spielt, soll die Implementierbarkeit und der Mehrwert der Delegation ärztlicher Leistungen bei der ambulanten Sanierung von Problemkeimen untersucht werden.
Methode: STAUfrei ist eine prospektive, kontrollierte Interventionsstudie mit vorher-nachher Vergleich. Teilnehmer sind Patienten (>18 Jahre) mit einem elektiven Eingriff im Klinikum Heidenheim. Die Einteilung der Patienten zur Interventions- oder Kontrollgruppe basiert auf der Teilnahme der Haus- oder Facharztpraxen im bereits bestehenden MRSA Netzwerk, d.h. nur Interventionspraxen rekrutieren Patienten für die Intervention. Bei Interventionspatienten findet schon in der einweisenden Praxis ein Screening und ggf. eine prästationäre Sanierung sowie die Nachkontrolle (MRSA Testung bei Entlassung, 3 und 6 Monate post-OP sowie Wundkontrolle 3 Monate post-OP) statt. In der Kontrollgruppe wird wie bislang im stationären Kontext gescreent und saniert. Die Nachsorge findet ambulant in der Klinik statt. Die Intervention ist im April 2019 gestartet und dauert bis einschließlich März 2021. Neben der Reduktion von MRSA und MSSA Kolonisationen bei stationärer Aufnahme (Hauptzielparameter) wird die Wundinfektionshäufigkeit, Praktikabilität und Akzeptanz beim medizinischen Team sowie die Zufriedenheit mit dem Behandlungsprozess bei Patienten und Angehörigen erfasst. Ebenso wird die Wirtschaftlichkeit der neuen Versorgungsform evaluiert.
Ergebnisse: Es konnten 155 MFAs aus 52 Arztpraxen rekrutiert und erfolgreich zur Link Nurse geschult werden. Erste Erfahrungen mit der Umsetzung der Intervention und deren Integration in den Praxisalltag werden auf dem Kongress präsentiert.
Diskussion: Bei der Vorstellung der Intervention wird insbesondere auf die Rolle der geschulten Link Nurse eingegangen. Link Nurses können die niedergelassenen Ärzte entlasten und als kompetenter Berater der Patienten im Sanierungsprozess fungieren. Sie sind somit zu großen Teilen für die Umsetzung der Intervention verantwortlich.
Praktische Implikationen: Zeigt das in STAUfrei erprobte Konzept positive Effekte, kann eine deutschlandweite Implementierung dieser neuen Versorgungsform empfohlen werden. Dazu gehört die Entwicklung und Einführung einer standardisierten Schulung für Link Nurses in Praxen sowie die Erweiterung der Vergütung für diese Maßnahmen.
*Hinweis: Abstract stammt aus der AG Zusammenarbeit in der Gesundheitsversorgung
Hintergrund: Pflegebedürftige Menschen haben im Vergleich zu nicht Pflegebedürftigen eine schlechtere Mundgesundheit, die zu einem erhöhten zahnmedizinischen Versorgungsbedarf führt. Da Pflegebedürftige im Vergleich zu Nichtpflegebedürftigen jedoch eine niedrigere Inanspruchnahme zahnmedizinischer Leistungen aufweisen, wird davon ausgegangen, dass ein Teil der Pflegebedürftigen zahnmedizinisch unterversorgt ist. Barrieren der zahnärztlichen Versorgung ergeben sich insbesondere bei ambulant versorgten Pflegebedürftigen. Diese liegen sowohl auf Seiten der Pflegebedürftigen selbst als auch auf Seiten der Leistungserbringer. Während Pflegebedürftige aufgrund ihrer Einschränkungen häufig Schwierigkeiten haben, zahnmedizinische Versorgungsbedarfe zu kommunizieren und eine zahnärztliche Praxis aufzusuchen, ist die Versorgung Pflegebedürftiger für Zahnärztinnen und Zahnärzte oftmals mit einem erhöhten Aufwand verbunden. Zur Behebung des bestehenden zahnmedizinischen Versorgungsdefizits ambulant versorgter Pflegebedürftiger bedarf es daher innovativer Ansätze, die sowohl die Barrieren auf Seiten der Pflegebedürftigen als auch auf Seiten der Leistungserbringer adressieren.
Fragestellung: In dem mit Mitteln des Innovationsausschusses beim Gemeinsamen Bundesausschuss geförderten Projekt wird untersucht, ob eine neue Versorgungsform in Form einer zugehenden, niedrigschwelligen und aufsuchenden zahnärztlichen Statuserhebung der Mundgesundheit von ambulant versorgten Pflegebedürftigen und einer Schulung zur individuellen Mundgesundheit unter Einbezug der Pflegepersonen durch fortgebildete Zahnmedizinische Fachangestellte im Vergleich zur Regelversorgung zu einer Verbesserung der Mundgesundheit führt.
Methode: Die Evaluation der neuen Versorgungsform erfolgt in einer zweiarmigen randomisierten kontrollierten Studie. Acht kooperierende Betriebskrankenkassen (BKK) rekrutieren ambulant versorgte Pflegebedürftige, die in Bremen oder Niedersachsen wohnen und bei der jeweiligen BKK versichert sind. Die rekrutierten Versicherten werden nach BKK stratifiziert im Verhältnis 1:1 in die Interventions- und Kontrollgruppe randomisiert. In der Interventionsgruppe wird zum Zeitpunkt t1 die neue Versorgungsform erbracht. Die Kontrollgruppe erhält die neue Versorgungsform nicht. Nach 6 Monaten wird zum Zeitpunkt t2 sowohl in der Interventions- als auch in der Kontrollgruppe eine zahnärztliche Erhebung der Mundgesundheit durchgeführt.
Ergebnisse: Von 9.637 angeschriebenen Pflegebedürftigen wurden 527 (5,5%) Pflegebedürftige rekrutiert. 259 Pflegebedürftige wurden in die Interventions- und 268 in die Kontrollgruppe randomisiert. In der Interventionsgruppe konnte mit 135 der 259 Pflegebedürftigen (52,1%) ein Termin für die Erbringung der neuen Versorgungsform vereinbart werden. Die Statuserhebung der Mundgesundheit wurde bei 126 Pflegebedürftigen durchgeführt. Bei Pflegebedürftigen mit eigenen Zähnen wurde deren Zustand in 14,2% der Fälle als schlecht beurteilt. Der Zustand von Mundschleimhaut, Zunge und Zahnfleisch wurde in 10,3% der Fälle als schlecht beurteilt. Bei Pflegebedürftigen mit Zahnersatz wurde dessen Zustand in 21,1% der Fälle als schlecht beurteilt. Zahnmedizinischer Behandlungsbedarf wurde bei 62,7% der Fälle festgestellt. Dieser bezog sich am häufigsten auf Zahnersatz, gefolgt von der Kategorie Zahnfleisch/Mundschleimhaut sowie Füllungen. Von den untersuchten Pflegebedürftigen benötigten 15,1% teilweise und 10,3% volle Unterstützung bei der Mund-, Zahn- und Prothesenpflege. Zahnbelag wurde bei 46,8% der Fälle identifiziert. Eine Schulung zur individuellen Mundgesundheit wurde bei 92,1% der Fälle durchgeführt. Zudem wurde bei 65,1% der Fälle eine weiterführende Versorgung in Zahnarztpraxen koordiniert.
Diskussion: Die Bereitschaft der ambulant versorgten Pflegebedürftigen an der Studie teilzunehmen war gering und es konnte nur mit etwas mehr als der Hälfte der teilnehmenden Pflegebedürftigen ein Termin für die Erbringung der neuen Versorgungsform vereinbart werden. Die Ergebnisse der Baseline-Erhebung bestätigen, dass ein Teil der ambulant versorgten Pflegebedürftigen eine schlechte Mundgesundheit hat. Durch die neue Versorgungsform ist es gelungen, einen Großteil der teilnehmenden Pflegebedürftigen zur individuellen Mundgesundheit zu schulen. Bei zwei Dritteln der teilnehmenden Pflegebedürftigen wurde darüber hinaus eine weiterführende Versorgung in Zahnarztpraxen koordiniert.
Praktische Implikationen: Mit der neuen Versorgungsform in Form eines zugehenden, niedrigschwelligen und aufsuchenden Ansatzes wurde ein kleiner Teil der ambulant versorgten Pflegebedürftigen erreicht. Mehr als die Hälfte der erreichten Pflegebedürftigen wies zahnmedizinischen Behandlungsbedarf auf. Die erreichten Pflegebedürftigen wurden geschult und es wurden weiterführende zahnärztliche Versorgungsleistungen koordiniert. Inwiefern die neue Versorgungsform zu einer qualitativen Verbesserung der Mundgesundheit führt, wird ab Sommer 2019 untersucht.
Für Patient*innen geeignet.
Die Herausforderungen in der Pflege und Rehabilitation werden immer vielfältiger. Diese stellen somit eine Belastung sowohl der professionell Versorgenden als auch der Angehörigen dar. Entsprechend besteht hier erheblicher Forschungsbedarf. In der Session wird diskutiert, ob eine neue Versorgungsform zu einer verbesserten Mundgesundheit bei Pflegebedürftigen führt, wie sich die Dekubitusprävention durch Entwicklung eines Core Outcome Sets verbessern lässt, wie Ergebnisqualität in der Rehabilitation valide verglichen werden kann und wie sich eine Doppelrolle bei Gesundheitsfachpersonen mit privater Angehörigenpflege auswirkt. Zudem wird ein Instrumentenkatalog zur Umsetzung diversitätssensibler Versorgung präsentiert.
Hintergrund: In der internationalen Literatur sind vielfältige Prädiktoren für einen Eintritt in die stationäre Langzeitpflege beschrieben u.a. [1]. Für ältere Menschen mit Pflegebedarf wurde dieser Zusammenhang in Deutschland bislang nicht unter Verwendung von Krankenkassen-Routinedaten in Kombination mit Pflegebegutachtungsdaten ausführlich abgebildet. Um dem Wunsch vieler Menschen mit Pflegebedarf eines möglichst langen Verbleibs in der eigenen Häuslichkeit [2] und damit dem politischen Grundsatz „ambulant vor stationär“ nachzukommen, haben Kenntnisse über Prädiktoren für eine dauerhafte Unterbringung in einem Pflegeheim eine hohe politische und gesellschaftliche Relevanz.
Fragestellung: Welche Prädiktoren für einen Eintritt in die stationäre Langzeitpflege lassen sich aus Krankenkassen-Routinedaten und Pflegebegutachtungsdaten ermitteln?
Methode: In eine retrospektive Kohortenstudie im Längsschnittdesign wurden ältere Personen (ab 65 Jahren), die im Jahr 2006 inzident pflegebedürftig wurden, in die Sekundärdatenanalyse eingeschlossen. Die Population wurde über einen Beobachtungszeitraum von zehn Jahren nach dem Baselinejahr 2006 bis einschließlich 2016 betrachtet. Herangezogen wurden Krankenkassen-Routinedaten aus den Datenjahren 2006-2016 und Pflegebegutachtungsdaten aus dem Jahr 2006. Die Datenauswertung erfolgte mittels SAS® 9.4 unter Anwendung von bivariaten und multivariaten Ereigniszeitanalysen (Kaplan-Meier-Schätzer und Cox Regressionsanalysen). In den multivariaten Modellen wurde für Variablen, die Einfluss auf die Zensur durch Versterben haben, kontrolliert.
Ergebnisse: Die Betrachtung von 49.110 Personen in den bivariaten Analysen zeigt ein signifikant (p < .0001) höheres Verhältnis des Eintritts in die stationäre Langzeitpflege beim Vorliegen von Frakturen, die stationär im Krankenhaus versorgt wurden (Hazard Ratio = 1,8), einer Demenzdiagnose, der Verschreibung von Antipsychotika sowie bei zum Baseline-Zeitpunkt alleine lebenden Personen (jeweils Hazard Ratio = 1,6). Ein im Zeitverlauf geringeres Verhältnis an Heimeintritten wiesen pflegebedürftige Menschen mit bösartigen Neubildungen der Lippe, der Mundhöhle und des Pharynx sowie der Atmungsorgane und sonstiger intrathorakaler Organe auf (jeweils Hazard Ratio = 0,6). Ergebnisse der multivariaten Analysen liegen zum Kongress vor.
Diskussion: Die Ergebnisse zeigen Gemeinsamkeiten mit denen in der Literatur für andere Personengruppen beschriebenen Prädiktoren, so beispielsweise für Demenz [3]. Zur näheren Betrachtung vermeintlicher Protektoren wie ausgewählter Krebserkrankungen für einen Heimeintritt, wären weitere Informationen zur ärztlichen und pflegerischen Versorgung sowie sozialen Unterstützungssituation hilfreich, welche jedoch nicht in der Datengrundlage verfügbar sind. Mögliche Ursachen hierfür könnten in einer qualitativ hochwertigen und eng betreuten ärztlichen sowie pflegerischen Versorgung bei spezifischen Krankheitsbildern oder unbekannten Determinanten des häuslichen Umfelds sowie in einem Versterben vor einem Heimeintritt begründet sein.
Praktische Implikationen: Die Analysen ermittelten Prädiktoren für die stationäre Langzeitpflege, die als Ansatzpunkte für Präventionsmaßnahmen und Interventionen dienen können, um das Leben pflegebedürftiger Menschen in der eigenen Häuslichkeit zu fördern oder zu sichern. Primärpräventive Maßnahmen zur Krankheitsprävention beispielsweise durch Sturzprophylaxe in der Häuslichkeit trügen möglicherweise zur Vermeidung oder Verzögerung von Heimeintritten bei.
Literatur
1. Wang SY, Shamliyan TA, Talley KM et al. Not just specific diseases: systematic review of the association of geriatric syndromes with hospitalization or nursing home admission. Archives of gerontology and geriatrics 2013; 57: 16-26
2. Spangenberg L, Glaesmer H, Brahler E et al. [Considering housing arrangements in elderly life: factors influencing plans concerning future housing arrangements and preferences in a representative sample of 45+ year olds]. Z Gerontol Geriatr 2013; 46: 251-259
3. Kurichi JE, Bogner HR, Streim JE et al. Predicting 3-year mortality and admission to acute-care hospitals, skilled nursing facilities, and long-term care facilities in Medicare beneficiaries. Archives of gerontology and geriatrics 2017; 73: 248-256
Die Studie wird gefördert aus Mitteln des Innovationsfonds zur Förderung von Versorgungsforschung, Förder-kennzeichen: 01VSF16042.
Hintergrund: Diabetes mellitus Typ 2 zählt zu den häufigen chronischen Erkrankungen in Deutschland insbesondere in höherem Alter. Aufgrund einer häufig hohen Komorbidität und möglichen schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen ist eine qualitativ hochwertige und passende Versorgung insbesondere bei älteren, pflegebedürftigen Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2 notwendig. Die qualitativ hochwertige Versorgung ist auch notwendig, um dem Paradigma „ambulant vor stationär“ und dem Wunsch vieler pflegebedürftiger Personen möglichst lange in der eigenen Häuslichkeit zu verbleiben nachzukommen. Deshalb sind Erkenntnisse über die Versorgungsqualität und ihren Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit für einen Eintritt in die stationäre Langzeitpflege von besonderer Relevanz.
Fragestellung: Welchen Einfluss hat eine leitliniengerechte Versorgung von pflegebedürftigen Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2 auf den Eintritt in die stationäre Langzeitpflege?
Methode: In eine retrospektive Kohortenstudie im Längsschnittdesign wurden ältere Personen (65 Jahre oder älter), die im Jahr 2006 inzident pflegebedürftig wurden und im Verlauf des Beobachtungszeitraums mindestens einmalig Diabetes mellitus Typ 2 diagnostiziert bekamen, in die Sekundärdatenanalyse von Krankenkassen-Routinedaten eingeschlossen. Die Population wurde über einen Beobachtungszeitraum von zehn Jahren nach dem Baselinejahr 2006 bis einschließlich 2016 betrachtet. Als Qualitätsindikatoren wurden unter anderem Indikatoren der leitliniengerechten Versorgung aus dem Qualitätsindikatorensystem für die ambulante Versorgung (QISA) und den Nationalen Versorgungsleitlinien verwendet. Die Datenauswertung erfolgte mittels SAS® 9.4 unter Anwendung von bivariaten und multivariaten Cox Regressionsanalysen durch die Ermittlung von Hazard Ratios (HR).
Ergebnisse: 23.416 pflegebedürftige Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2 wurden für die Analysen betrachtet. Alle untersuchten Qualitätsindikatoren waren in den bivariaten Analysen auf einem Signifikanzniveau von p < .0001 signifikant. Personen mit HbA1c-Kontrolle (HR = 1,2), die stationär im Krankenhaus behandelt wurden (HR = 1,4), mit Kontrolle der Triglyceride, des LDL- und HDL-Cholesterins (HR = 1,5) und mit Kontrolle von Serumkreatinin (HR = 1,7) traten zu einer höheren Wahrscheinlichkeit in ein Heim ein. Bei einer Inanspruchnahme einer jährlichen augenärztlichen Untersuchung (HR = 0,9) sowie jährlicher Augenhintergrunduntersuchung (HR = 0,8) waren im Verhältnis seltener Heimeintritte zu verzeichnen. Ergebnisse multivariater Modelle werden auf dem Kongress präsentiert.
Diskussion: Leitliniengerechte Versorgung in Bezug auf regelmäßige Kontrolle von Laborwerten zeigt sich wider Erwarten als ein Prädiktor für Heimeintritt. Unbekannt sind die Ergebnisse der Laborwerte, welche zusätzliche Hinweise auf protektive oder prädiktive Einflüsse geben könnten. Ebenso bleibt offen, ob ein regelmäßiger Kontakt zu einzelnen Leistungserbringern vielmehr frühzeitig Defizite in der häuslichen Lebenssituation aufdeckt, die einen Heimeintritt erforderlich machen. Das unerwünschte Ereignis einer stationären Krankenhausbehandlung von Diabetikern weist ebenfalls auf eine höhere Heimeintrittswahrscheinlichkeit hin. Anhaltspunkte für einen protektiven Effekt auf einen Eintritt in die stationäre Langzeitpflege finden sich im Sinne empfohlener augenärztlicher Untersuchungen für Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2. Für eine umfassendere Betrachtung der Einflüsse leitliniengerechter Versorgung müssen weitere Determinanten fokussiert werden, so zum Beispiel Angaben zum DMP Diabetes mellitus Typ 2, die in den zu Grunde liegenden Daten nicht verfügbar waren.
Praktische Implikationen: Qualitätsindikatoren, die protektive Einflüsse auf einen Heimeintritt vermuten lassen wie empfohlene augenärztliche Untersuchungen, unterstreichen die Notwendigkeit einer leitliniengerechten Versorgung von pflegebedürftigen Personen mit Diabetes mellitus Typ 2. Durch die Vermeidung von Komplikationen und Folgeerkrankungen bei Diabetikern sollen stationäre Krankenhausaufenthalte minimiert werden, welche sich als Prädiktor für einen Heimeitritt darstellten. Aus spezifischen Qualitätsindikatoren, die eine leitliniengerechte Versorgung abbilden, jedoch auf eine erhöhte Heimeintrittswahrscheinlichkeit hinweisen, ergibt sich weiterer Forschungsbedarf.
Die Studie wird gefördert aus Mitteln des Innovationsfonds zur Förderung von Versorgungsforschung, Förder-kennzeichen: 01VSF16042.
Hintergrund
Demenzpatienten sind eine besondere Herausforderung für das Gesundheitssystem. Durch fortschreitende Einschränkungen im Alltag ist meist eine zusätzliche Unterstützung notwendig. Der große Versorgungsbedarf führt dazu, dass ein Teil der Patienten nicht mehr in der eigenen Häuslichkeit leben kann und auf die Versorgung in stationären Pflegeeinrichtungen angewiesen ist. Da das Aufsuchen der Arztpraxis für die dementen, teils immobilen Patienten im Kontext ihrer meist bestehenden Multimorbidität häufig große Herausforderungen darstellt, sind sie oft auf Hausbesuche angewiesen. Gerade Patienten in Pflegeheimen ist ein Besuch der Praxis meist nicht mehr möglich, sodass 96,9% der Arztkontakte im Hausbesuch stattfinden.
Fragestellung
Wie wird die Unterstützung im Alltag von Patienten mit Demenz im Hausbesuch eingeschätzt?
Gibt es einen Zusammenhang zwischen Gemeindegröße und Wohnsituation bei der Versorgung von Demenzpatienten?
Methoden
Im Rahmen einer Studie unter Hausarztpraxen eines ostdeutschen Bundeslandes wurden von 303 teilnehmenden Praxen in einem Zeitraum von einem Jahr 4286 Hausbesuche mittels Fragebogen dokumentiert. Jede Praxis erhob die Hausbesuche innerhalb einer randomisiert zugewiesenen Woche. Zusätzlich zu den Merkmalen der Hausbesuche wurden auch Informationen über die Praxis, wie regionale Lage, Hausbesuchsstruktur und Patientenzahlen, erfasst. Die alltägliche Unterstützung der Patienten wurde von den Durchführenden des Hausbesuchs mittels Schulnoten bewertet. Die Daten wurden mit SPSS 25 ausgewertet und hinsichtlich der Grunderkrankung Demenz gruppiert (ICD-10-Codes F00 bis F03). Des Weiteren wurden die fünf meist dokumentierten Dauerdiagnosen in der Kohorte als Diagnose-Vergleichsgruppen herangezogen. Ergänzend zu bivariaten Testungen wurde ein arztzentriertes Modell auf Basis einer linearen Regression erstellt, um die Ursachen einer unterschiedlichen Bewertung multivariat zu überprüfen.
Ergebnisse
Die Prävalenz von Demenz betrug im Hausbesuchssample 27,5%. Bei Bewohnern von Pflegeheimen lag diese bei 47,3%, in der eigenen Häuslichkeit lebende Patienten hatten zu 15,3% eine Demenzdiagnose. 72,6% der dementen Patienten bewohnten ein Pflegeheim oder betreutes Wohnen. Die Durchführenden des Hausbesuchs (Ärzte, MFA, MFA mit Zusatzweiterbildung) schätzten die alltägliche Unterstützung von Demenzpatienten im Heim signifikant besser ein, als in der eigenen Häuslichkeit (Schulnote 1,5 vs. 2,1). Gerade in städtischen Gebieten, wo signifikant mehr Patienten in Pflegeheimen wohnten (27% vs. 51%), wurde die Versorgung im Heim auch signifikant besser eingeschätzt (1,8 vs. 2,3). Im Vergleich mit anderen häufigen Dauerdiagnosen hatte dabei nur die Demenz signifikanten Einfluss auf die Wohnform. Im multivariaten Model war die Einschätzung der Versorgung vor allem durch die Demenz und die Wohnform signifikant beeinflusst.
Diskussion
Mehr als ein Viertel der Hausbesuchspatienten hatte eine Demenzdiagnose. Somit stellt diese Gruppe einen zentralen Bestandteil der hausärztlichen Versorgung dar. Die Einschätzung der alltäglichen Unterstützung dementer Hausbesuchs-Patienten wird vom betreuenden Personal überwiegend als gut bewertet, wobei Demenzpatienten im Pflegeheim vergleichsweise besser versorgt sind, als in der eigenen Häuslichkeit. Dies kann durch einen hohen Versorgungsbedarf der Demenzpatienten erklärt werden. Der Kontrast zwischen ruralen und urbanen Gebieten ist durch infrastrukturelle, aber auch durch organisatorische Unterschiede in ländlichen Bereichen erklärbar, wo signifikant häufiger eine Mitbetreuung durch Angehörige erfolgt. Dabei zeigt sich in der multivariaten Analyse, dass die unterschiedlichen Wohnformen als Haupteffekt im Vordergrund stehen. Da bei Demenzpatienten vor allem kognitive Defizite die alltägliche Selbstständigkeit und Patientenautonomie beeinträchtigen, werden alternative Wohnformen wie (betreute) Demenz-WGs zukünftig mehr in den Fokus rücken.
Praktische Implikationen
- Demenzpatienten sind im Pflegeheim vergleichsweise besser versorgt als in der eigenen Häuslichkeit.
- In urbanen Gebieten sind Patienten mit Demenz häufiger in einer stationären Einrichtung untergebracht.
- Hausärzte sollten frühzeitig Unterstützungsangebote aufzeigen, um ein Versorgungsdefizit in der Häuslichkeit zu vermeiden.
Hintergrund: Durch den anhaltenden demographischen Wandel wird in Deutschland die Zahl der Pflegeheimbewohner in Zukunft weiter steigen. Aufgrund eines insgesamt schlechteren Gesundheitszustandes verglichen mit in der eigenen Häuslichkeit lebenden Senioren erfolgen bei Pflegeheimbewohnern häufig Notfallbehandlungen. Diese Anzahl ist in Deutschland zusätzlich höher als in anderen westlichen Ländern. Existierende Studien betrachteten jedoch meistens nur einzelne Akteure der Notfallversorgung oder sind aufgrund von unterschiedlichen Gegebenheiten nicht auf das deutsche Gesundheitssystem übertragbar.
Fragestellung: Wie häufig werden Pflegeheimbewohner durch den kassenärztlichen Bereitschaftsdienst (KAB) sowie ambulant in Notaufnahmen (NFA) und als Akuteinweisungen in Krankenhäusern (AKH) behandelt und wie unterscheiden sich die jeweiligen Behandlungen und Bewohner?
Methode: Für diese Kohortenstudie wurden anonymisierte Krankenkassendaten der AOK Bremen/Bremerhaven der Jahre 2014 und 2015 verwendet. Zur Berechnung von Inzidenzraten mit 95% Konfidenzintervallen (KI) wurden für Personen, die ab dem 01. Januar 2014 erstmals vollstationäre Dauerpflege erhielten und wohnhaft im Bundesland Bremen waren, alle Inanspruchnahmen von KAB, NFA und AKH ausgewertet. Die Inzidenzen wurden nach Alter, Geschlecht und Pflegestufe stratifiziert und zusätzlich wurden die drei Bereiche hinsichtlich der zugrundeliegenden Diagnosen sowie der Verteilung der Behandlungen auf die Wochentage miteinander verglichen.
Ergebnisse: Für die Analysen konnten 1.665 Bewohner eingeschlossen werden (Durchschnittsalter: 80,5 Jahre; 66,3% weiblich). 3.576 Notfallbehandlungen (44,2% AKH; 35,8% KAB; 20,0% NFA) resultierten in eine Gesamtinzidenz von 2,7 Ereignissen pro Personenjahr (95% KI: 2,6–2,8). Männer hatten eine deutlich höhere Inzidenz als Frauen (3,2 vs. 2,4). Ebenfalls für alle drei Akteure fanden sich höhere Inanspruchnahmen durch Personen mit höherer Pflegestufe. Insbesondere AKH traten mit steigendem Alter weniger häufig auf. Hinsichtlich der Verteilung der Behandlungen auf die Wochentage konnten für KAB-Kontakte deutliche Unterschiede festgestellt werden mit den höchsten Werten am Wochenende. Während zu Inanspruchnahmen der NFA mit Abstand am häufigsten Verletzungen führten (insb. Kopfverletzungen), zeigte sich bei KAB-Kontakten und AKH ein breiteres Spektrum an Diagnosen.
Diskussion: Obwohl Krankenhausbehandlungen für Pflegeheimbewohner mit Belastungen verbunden sind und erwünschte Folgen haben können, finden diese bei akuten Zustandsverschlechterungen häufig statt, was auch die Ergebnisse dieser Arbeit zeigen. Unterschiede hinsichtlich der den Behandlungen zugrundeliegenden Diagnosen sind vermutlich in großen Teilen auf die Behandlungsdringlichkeit zurückzuführen. Da Bremen das einzige Bundesland ist, wo für ambulante NFA-Besuche separate Abrechnungsziffern zur Verfügung stehen, war die Studienpopulation im Vergleich mit anderen Studien kleiner. Jedoch konnten mit dieser Analyse erstmals teils erhebliche Unterschiede zwischen den Inanspruchnahmen von KAB, NFA und AKH durch Pflegeheimbewohner gezeigt werden.
Praktische Implikationen: Die internationale Studienlage zeigt, dass viele NFA-Besuche und AKH von Pflegeheimbewohnern unangebracht oder potenziell vermeidbar sind. Die vorliegende Arbeit zeigt das Ausmaß von Krankenhaustransporten für eine deutsche Population, eine Einschätzung zur Angemessenheit ist unter Verwendung von administrativen Daten allerdings nicht möglich. Die gewonnenen Erkenntnisse werden jedoch eine Unterstützung in der Ausgestaltung von Primärdatenerhebungen sein, um Pflegeheimbewohner in Akutsituation genauer charakterisieren zu können, den Entscheidungsprozess zum Krankenhaustransfer näher zu beleuchten und zu versuchen, die Angemessenheit von Krankenhausbehandlungen dieser vulnerablen Bevölkerungsgruppe einzuschätzen.
Für Patient*innen geeignet.
Die Versorgung von Patient*innen mit Demenz erfolgt in enger interdisziplinärer Zusammenarbeit der medizinischen Leistungserbringer. In dieser Session wird in zwei Beträgen die zentrale Zusammenarbeit zwischen Hausärzten und Pflegepersonal fokussiert.
Darüber hinaus wird in der Session auf mögliche Unterstützungsprogramme sowie der Nutzung von ambulanten Pflegediensten eingegangen. Aus einer gesundheitsökonomischen Perspektive wird die Versorgung von Patient*innen mit Demenz mit zusätzlicher Morbiditätsstruktur analysiert.
Titel
„Was uns weiterhilft!“ Multiperspektivische Evaluation eines aufsuchenden Unterstützungsprogramms für Personen mit Demenz (PmD) und ihren Angehörigen
Hintergrund
Die Sicherung einer stabilen häuslichen Pflegesituation für PmD ist eine der drängenden gegenwärtigen Herausforderungen der Gesundheitsversorgung. Inwieweit dies gelingt, hängt entscheidend von der gemeinsamen Krankheits- und Alltagsbewältigung Betroffener und ihrer Angehörigen ab. Im Gegensatz zu bisherigen Konzepten der Pflegeberatung und Patientenedukation, die sich meist an pflegende Angehörige richten, verfolgt das DYADEM-Programm (Häußler et al., 2010) einen konsequent dyadischen Ansatz: Das modular aufgebaute Unterstützungsprogramm bezieht PmD und pflegende Angehörige gemeinsam ein. In einem Modellprojekt wurde dieses Programm modifiziert und von Pflegeexpert*innen Demenz als aufsuchende Intervention durchgeführt. Die hier vorgestellte qualitative Evaluation ist ein Teilprojekt im Rahmen des Modellprojektes.
Fragestellung
Ziel der qualitativen Evaluation ist es den persönlichen Nutzen, die Akzeptanz und ggf. Veränderungsbedarfe für das von Pflegeexpert*innen durchgeführte dyadische Unterstützungsprogramm aus Betroffenen- und Akteursperspektive zu erfassen.
• Wie wird der Nutzen der Intervention für die gemeinsame Alltagsbewältigung und Verbesserung der Lebensqualität aus Sicht der Teilnehmenden (PmD, Angehörige, Pflegeexpert*innen bewertet?
• Inwieweit zeigen sich gewonnene Handlungsspielräume, aber auch mögliche weitere Unterstützungsbedarfe in den Beschreibungen des gegenwärtigen Alltags von PmD und ihren Angehörigen?
Methode
Das Modellprojekt ist durch einen Mixed Method Ansatz gekennzeichnet. Die qualitative Teilevaluation fokussiert die lebensweltliche Perspektive der Dyaden und den Beitrag zur Krankheits- und Krisenbewältigung im häuslichen Umfeld. Mit 11 beteiligten Dyaden wurden episodische Interviews geführt (gemeinsame und Einzelinterviews) Zusätzlich wurden zwei Focusgruppen (eine mit 5 Angehörigen, die andere mit den Pflegeexpert*innen) durchgeführt.
Ergebnisse
Die Befunde belegen eine hohe Akzeptanz des Programms von beiden Dyadenpartnern. Das dyadische Setting wird überwiegend als hilfreich angesehen, insbesondere, wenn es um die Lösungsfindung für konflikthafte Themen geht. Von entscheidender Bedeutung ist der aufsuchende Ansatz, sowohl zur Stressreduktion, als auch zur verbesserten Handlungssicherheit auf Seiten der PmD.
Insbesondere Angehörige geben an, durch das Programm eine Erweiterung ihres Handlungsspielraums erfahren zu haben. Je nach dem Stadium der Krankheitsbewältigung, in dem sich die Dyade befindet, werden unterschiedliche Module als nutzbringend hervorgehoben: der Wissenszuwachs über Erkrankung, Verlauf und Unterstützungsmöglichkeiten, das offene, moderierte Gespräch, die Unterstützung der Selbstsorge der Angehörigen oder die Stärkung von Ressourcen (z.B. Gestaltung positiver Alltagssituationen).
Die Beziehungsgestaltung und das aufgebaute Vertrauensverhältnis zwischen Dyaden und Pflegeexpert*innen sind bedeutsame Faktoren für den wahrgenommenen Nutzen und den Alltagstransfer bei beiden Dyadenpartnern. Eine zentrale Aufgabe aus Perspektive der Pflegeexpert*innen ist es, die Balance im dyadischen Setting zu erhalten bzw. herzustellen.
In der retrospektiven Bewertung des Programms kommt vor allem die Angehörigenperspektive zum Tragen, da ein Großteil der befragten PmD allenfalls vage Erinnerungen daran hat. In den Erzählungen zum gegenwärtigen Alltag zeigt sich dagegen, dass die PmD sehr intensiv in der Aufrechterhaltung eines aktiven, möglichst normalen Lebens engagiert sind. Demgegenüber sind sich Angehörige ihrer im progredienten Krankheitsverlauf wachsenden Verantwortung bewusst. Während für den gegenwärtigen Zeitpunkt ein Gewinn an Handlungssicherheit erlebt wird, wird mit Blick auf die Zukunft häufig die Frage gestellt: Werde ich auch dann mit den Herausforderungen umgehen können? Die Tatsache, dass die Pflegeexpert*innen im Rahmen einer Ambulanztätigkeit auch zukünftig ansprechbar sind, wird hier als Erleichterung erlebt.
Diskussion
Es ergeben sich vielfältige Herausforderungen in der Arbeit mit Dyaden, abhängig von deren Beziehungsqualität, erlebten Belastungen und Erwartungen an das Programm. Dabei erweist sich das Programm DYADEM als gut handhabbares und effektives Konzept, um die durchaus divergierenden Lebenswelten von Betroffenen und Angehörigen und deren jeweilige Bedarfe zu adressieren. Zu erfassen, wo die Dyaden in der Krankheitsbewältigung stehen, kann zukünftig helfen, die einzelnen Module noch gezielter anzuwenden.
Praktische Implikationen
Ein von Pflegeexpert*innen durchgeführtes aufsuchendes dyadisches Unterstützungsprogramm leistet einen wichtigen Beitrag zur Krankheits- und Alltagsbewältigung von Dyaden. Über das Trainingsprogramm hinaus ist eine bedarfsorientierte längerfristige Begleitung der Dyaden wünschenswert, um die häusliche Situation auch im weiteren Erkrankungsverlauf zu stabilisieren.
Hintergrund
Der demografische Wandel ist geprägt von einem Anstieg der Lebenserwartung sowie einer Zunahme altersassoziierter Erkrankungen, wie zum Beispiel der Demenz. Die derzeitige Versorgung von Menschen mit Demenz (MmD), welche vor allem von den Hausärzten sowie der Pflege geleistet wird, steht vor der Herausforderung, die stetig steigende Anzahl an MmD optimal zu versorgen und den Betroffenen damit so lange wie möglich ein selbstständiges Leben zu ermöglichen. Innovative Versorgungsansätze, wie das Advanced Nursig Practice, die auf eine Erweiterung der Rolle der Pflege abzielen, könnte entlastend die derzeitige und zukünftige Versorgungssituation verbessern.
Fragestellung
Das Ziel der Studie war es, das aktuelle Meinungsbild zu einer Aufgabenneuverteilung zwischen Hausärzten und Pflegefachpersonen zu erfassen und insbesondere zu ermitteln, wie zukünftig die ambulante Versorgung von MmD in einer kooperativen Arbeitsteilung von Pflegefachpersonen und Hausärzten gestaltet werden kann.
Methode
Die Analyse ist Teil der AHeaD Studie (Künftige Aufgabenteilung von Pflegefachpersonen und Hausärzten in der ambulanten Demenzversorgung: Aufgaben, Akzeptanz, Qualifikation), eine Mixed Methods Beobachtungsstudie mit einem sequentiellen Vertiefungsdesign. Die schriftliche quantitative Datenerhebung bei Hausärzten, Pflegefachkräften, MmD und deren Angehörigen erfolgte mittels eines Fragebogen, welcher die Möglichkeit der Delegation und Substitution von bislang ärztlichen Tätigkeiten durch die Pflegefachpersonen, die dazu erforderliche Qualifikation für Pflegefachpersonen sowie Fragen zur Akzeptanz und Finanzierung der Aufgabenneuverteilung beinhaltete. Insgesamt wurden 4.598 Fragebögen deutschlandweit verschickt und 865 zurückgesendet (19 %).
Ergebnisse
Angaben von n=225 Hausärzte, n=232 Pflegefachpersonen, n=211 MmD und n=197 Angehörige konnten ausgewertet werden. Hausärzte gaben eine Aufgabenübertragung in Delegation (41,3 %) häufiger an, als eine Übertragung in Substitution (33,3 %). Die grundsätzliche Bereitschaft zu Delegation und Substitution von Hausärzten war mit 76,0 % größer als die direkte Befürwortung der Aufgabenneuverteilung (70,7 %). Das Verhältnis zwischen substituierbaren (33,3 %) und delegierbaren (35,4 %) Tätigkeiten war bei Pflegefachpersonen hingegen ausgeglichen. MmD (56,6 %) und Angehörige (40,7 %) gaben jeweils mehrheitlich die Aufgabenübertragung in Substitution an.
Für die Delegation sahen die befragten Hausärzte und Pflegefachkräfte keine oder lediglich eine demenzspezifische Weiterbildung als erforderlich an (Hausärzte 34,2 %; Pflegefachperson 39,2 %). Für die Substitution wurde hingegen eine Weiterbildung oder aber ein Pflegestudium vorausgesetzt.
Sowohl Hausärzte (82,7 % Delegation; 74,4 % Substitution) als auch Pflegefachpersonen (68,4 % Delegation; 65,4 % Substitution) sahen mehr Vor- als Nachteile in der Aufgabenneuverteilung. Vorteile wurden von beiden Professionen vor allem für die MmD gesehen (77,9 %). Laut Angaben aller Befragten führt eine Aufgabenneuverteilung zudem zu keiner Schwächung der Arzt-Patienten-Beziehung. Der Hausarzt bleibt für Menschen mit Demenz und Angehörige der erste Ansprechpartner.
Diskussion
In vielen Ländern gibt es bereits eine große Anzahl von Advanced Nursing Practice Modellen, welche eine neue Rolle der Pflege im Versorgungssystem implementiert haben. Trotz der Notwendigkeit die Pflege in Deutschland zu stärken, können derzeit nur wenige medizinische Aufgaben von Allgemeinärzten delegiert werden. In den letzten Jahrzehnten wurden zwar mehrere Konzepte entwickelt, jedoch beinhaltet keines eine systematische Substitution von ärztlichen Tätigkeiten. Die Ergebnisse der AHeaD Studie liefern empirisch fundierte Erkenntnisse zur zukünftigen Delegation und Substitution für die Entwicklung eines zeitgemäßen Versorgungskonzeptes für die ambulante Demenzversorgung und zeigen, dass die Erweiterung der Pflegerolle heute bereits große Akzeptanz findet sowie Vorteile für die Betroffenen mit sich bringt.
Praktische Implikationen
Auf Basis der Ergebnisse dieser Studie wird ein Versorgungskonzept für die Praxis erstellt, welches in einem weiteren Schritt in Zusammenarbeit mit den Kostenträgern modellhaft in die ambulante Regelversorgung überführt werden soll. Wird dieses Modellprojekt erfolgreich evaluiert, kann dieses in die Praxis transferiert werden und ggf. auf weitere in der G-BA Richtlinie genannten Krankheitsbilder (Hypertonie, chronische Wunden, Diabetes mellitus Typ 1 und 2) übertragen werden.
Einleitung: Die meisten Menschen mit Demenz (MmD) leiden gleichzeitig an mehreren Erkrankungen. Das Vorhandensein von Multimorbidität kann zu komplexen medizinischen Herausforderungen und schlechten gesundheitlichen Outcomes führen. Beides kann hohe Gesundheitskosten zur Folge haben. Ziel der Studie war es, die Prävalenz von Multimorbidität bei MmD zu beschreiben und die Assoziation zwischen der Multimorbidität und den Gesundheitskosten aus der Perspektive der Kostenträger zu analysieren.
Methoden: Die Querschnittsanalyse basierte auf n=362 MmD der DelpHi-MV-Studie ("Demenz: lebenswelt- und personenkonzentrierte Hilfen in Mecklenburg-Vorpommern"). Die Multimorbidität wurde mit Hilfe des Charlson-Komorbiditäts-Index ermittelt und in niedrige (Score = 1), hohe (Score = 2-3) und sehr hohe Multimorbidität (Score> 3) eingruppiert. Die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen sowie die Einheitskosten wurden zur Berechnung der Gesundheitskosten verwendet. Multivariable lineare Regressionsmodelle wurden genutzt, um den Zusammenhang zwischen Multimorbidität und Kosten zu analysieren.
Ergebnisse: 47% (n = 171) der MmD wiesen eine sehr hohe und 37% (n = 134) eine hohe Multimorbidität auf. Die häufigsten Komorbiditäten neben Demenz waren Diabetes mellitus (42%), periphere vaskuläre Erkrankungen (28%) und zerebrovaskuläre Erkrankungen (25%). Die Gesamtkosten stiegen mit jeder weiteren Komorbidität signifikant um 528 € (SE = 214, CI95 = 109 - 947, p = 0,014) an. Aufgrund eines signifikanten Zusammenhangs mit der Multimorbidität der MmD erhöhten sich die Kosten für die medizinische Versorgung mit jeder weiteren Komorbidität signifikant um 455 € (SE = 174, CI95 = 114 –795, p = 0,009). Verglichen mit einer niedrigen Multimorbidität war eine sehr hohe Multimorbidität mit 818 € (CI95 = 489 - 1147, SE = 168; p < 0,001) höheren Medikationskosten und 336 € (CI95 = 20 - 652; SE = 161,21, p = 0,037) höheren Kosten für medizinische Hilfsmittel verbunden.
Fazit: Multimorbidität bei MmD stellt eine erhebliche Belastung für die Kostenträger und damit für das gesamte Gesundheitssystem dar. Innovative Ansätze sind erforderlich, um eine bessere, patientenorientiertere, interdisziplinäre Behandlung bei Demenz und den bestehenden Nebenerkrankungen zu erzielen. Dies könnte wiederum langfristig zu Kosteneinsparungen führen.
Hintergrund:
In der häuslichen Versorgung eines Menschen mit Demenz (MmD) tragen professionelle Unterstützungsangebote dazu bei, Belastungen pflegender Angehöriger zu reduzieren und eine vorzeitige Institutionalisierung der MmD zu vermeiden [1]. Trotz vorhandener Unterstützungsangebote werden diese von den pflegenden Angehörigen von MmD jedoch nur in geringem Maße genutzt [2]. Anzuführen sind personenbezogene sowie angebotsbezogene Barrieren [3]. Insbesondere im ländlichen Raum ist es wichtig, die begrenzten Unterstützungsangebote so bedarfsgerecht wir möglich zu gestalten und für deren Inanspruchnahme zu motivieren [4]. Für das Versorgungsangebot mobile Pflege, das in der ambulanten Versorgung von MmD eine wichtige Rolle einnimmt, liegen bislang für den deutschsprachigen Raum erst wenige Studien zu Prädiktoren der Inanspruchnahme vor [5].
Fragestellung:
Vor diesem Hintergrund werden Teilergebnisse aus dem Forschungsprojekt PAiS (Pflegende Angehörige von Menschen mit Demenz in Salzburg) präsentiert, das die häusliche Versorgungssituation von MmD und deren pflegender Angehöriger im ländlichen Raum Salzburgs untersucht hat. Dabei wird der Frage nachgegangen, welche Variablen und Charakteristika des MmD und der pflegenden Angehörigen eine Inanspruchnahme ambulanter Pflegedienste beeinflussen?
Methode:
Im Rahmen einer quantitativen Querschnittserhebung wurden pflegende Angehörige von MmD im ländlichen Raum Salzburgs anhand eines anonymen standardisierten Fragebogens postalisch befragt. Die Belastungen pflegender Angehöriger wurden über die Häusliche-Pflege-Skala (HPS-k), die Einschränkungen der MmD in den Aktivitäten des täglichen Lebens über den Barthel-Index, sowie deren alltagsrelevante Verhaltensweisen mittels der Nurses' Observation Scale for Geriatric Patients (NOSGER) erfasst. Mittels binär logistischer Regression wurden Prädiktoren für die Inanspruchnahme ambulanter Pflegedienste geprüft. Die Studie wurde von der Ethikkommission des Landes Salzburg geprüft und positiv beschieden (27.07.2016; E-Nr.: 2055).
Ergebnisse:
Von den 115 an der Befragung teilnehmenden pflegenden Angehörigen von MmD nahmen 64 eine Unterstützung durch eine ambulante Pflege in Anspruch. 43 nutzten dieses Angebot nicht und 8 pflegende Angehörige machten keine Angaben zur Inanspruchnahme. Als Prädiktoren der Inanspruchnahme ambulanter Pflege erwiesen sich ein höheres Alter der pflegenden Angehörigen sowie ein weibliches Geschlecht der MmD als signifikant. Für die Variable herausforderndes Verhalten zeigte sich eine Tendenz. Kein Zusammenhang konnte für die Aktivitäten des täglichen Lebens der MmD und dem täglichen Pflegeaufwand in Stunden festgestellt werden.
Diskussion:
Die Ergebnisse zeigen eine im Vergleich zu anderen Studien hohe Inanspruchnahme ambulanter Pflegedienste durch die pflegenden Angehörigen [6]. Variablen, die als Prädiktoren der Inanspruchnahme ambulanter Pflege in der häuslichen Versorgung von MmD herangezogen werden können, wurden dabei aufgezeigt.
Praktische Implikationen:
Um die Nutzung ambulanter Pflegeleistungen zu befördern ist auf eine bedarfsgerechte Gestaltung zu achten und die Information über das bestehende Angebot zu forcieren. Weitere Forschungen könnten neben den Prädiktoren auch die Barrieren der Inanspruchnahmen ambulanter Pflegedienste untersuchen.
Literatur:
1. Gaugler, J. E., Kane, R. L., Kane, R. A., & Newcomer, R. (2005). Early community-based service utilization and its effects on institutionalization in dementia caregiving. Gerontologist, 45(2), 177-185.
2. Lamura, G., Mnich, E., Wojszel, B., Nolan, M., Krevers, B., Mestheneos, L., Döhner, H., & EUROFAMCAREKonsortium*, F. d. (2006). Erfahrungen von pflegenden Angehörigen älterer Menschen in Europa bei der Inanspruchnahme von Unterstützungsleistungen. Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, 39(6), 429-442.
3. Pieniak, S. (2017). Die Inanspruchnahme von Beratungs- und Entlastungsleistungen durch pflegende Angehörige von an Demenz erkrankten Familienmitgliedern in der häuslichen Versorgung. Pflegewissenschaft, 19(1/2), 29-40.
4. Morgan, D. G., Semchuk, K. M., Stewart, N. J., & D'Arcy, C. (2002). Rural families caring for a relative with dementia: barriers to use of formal services. Soc Sci Med, 55(7), 1129-1142.
5. Gräßel, E. (1998). Häusliche Pflege dementiell und nicht dementiell ErkrankterTeil I: Inanspruchnahme professioneller Pflegehilfe. Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, 31(1), 52-56.
6. Nagl-Cupal, M., etal. (Hrsg.). (2018). Angehörigenpflege in Österreich. Einsicht in die Situation pflegender Angehöriger und in die Entwicklung informeller Pflegenetzwerke. Wien: Universität Wien.
Neben den Potenzialen zur Verbesserung der Qualität der deutschen Gesundheitsversorgung werden unter anderem die Messung, Darstellung und der Vergleich der Behandlungsqualität unter Zuhilfenahme von Qualitätsindikatoren seit einigen Jahren breit diskutiert. Vor dem Hintergrund eines öffentlichkeitswirksamen und vergütungs- wie planungsrelevanten Einsatzes von Qualitätsindikatoren ist eine evidenzbasierte, transparente und konsequent angewendete Entwicklungsmethodik notwendig. In dieser Session werden hierbei unter anderem unterschiedliche Einflussgrößen, methodische Herausforderungen und Erfahrungen bei der Entwicklung von Qualitätsindikatoren dargestellt und diskutiert.
Hintergrund
Subjektiver Behandlungserfolg und Behandlungszufriedenheit sind in der trägerübergreifende Qualitätssicherung der medizinischen Rehabilitation der Deutschen Rentenversicherung (DRV) seit langem etablierte und wichtige patientenberichtete Qualitätsindikatoren (QI), die indikationsspezifische Qualitätsvergleiche auf Ebene der Fachabteilungen ermöglichen. Beide QI sind Bestandteil des in 2018 rentenversicherungseinheitlich eingeführten Strukturierten Qualitätsdialogs (SQD). Der SQD ist eine direkte, persönliche Rückmeldung fachabteilungsbezogener Qualitätsergebnisse an die einzelne Reha-Einrichtung. Ausgelöst wird der SQD durch die Unterschreitung zuvor festgelegter Schwellenwerte in den QI. Bei rechnerisch auffälligen QI fordert der federführend belegende Rentenversicherungsträger (RV-Träger) die betroffene Fachabteilung auf, schriftlich zu Gründen für die Auffälligkeit und bereits eingeleiteten Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung Stellung zu nehmen. Der RV-Träger beurteilt die Stellungnahme und entscheidet, ob ein SQD eingeleitet wird. In einem gemeinsamen Dialog werden Ziele und Arbeitsschritte für eine Qualitätsverbesserung festgelegt.
Die Bedeutung der QI für die Reha-Einrichtungen ist mit der Einführung des SQD gestiegen. Zeigt sich nach einem zweiten SQD keine Verbesserung in den auffälligen QI, entscheidet der federführende Rentenversiche-rungsträger über die weitere Belegung der Fachabteilung.
Fragestellung
Wie begründen die Fachabteilungen die rechnerische Auffälligkeit der patientenberichteten QI subjektiver Behandlungserfolg und Behandlungszufriedenheit? Von welchen Maßnahmen erhoffen sich die Fachabteilungen eine Steigerung der Qualität?
Methode
Datenbasis unsere Analysen bilden die von den auffälligen Fachabteilungen im Zusammenhang mit dem SQD 2018 verfassten und von der DRV bereitgestellten Stellungnahmen. Insgesamt liegen 25 Stellungnahmen aus 20 Reha-Einrichtungen zur Analyse vor. Die Auswertung der Stellungnahmen erfolgte in Anlehnung an die qualitative Inhaltsanalyse nach Kuckartz induktiv mit MAXQDA 2018.
Ergebnisse
Die Stellungnahmen beziehen sich auf insgesamt 34 rechnerisch auffällige QI, in mehr als der Hälfte handelt es sich dabei um den subjektiven Behandlungserfolg (n=20, 58,8%), 14mal um die Behandlungszufriedenheit (41,2%).
(1) Die in den Stellungnahmen genannten Gründe für auffällige QI lassen sich fünf Kategorien zuordnen: Aussagekraft der QI, Personal, Therapieangebot, PatientInnen und Reha-Einrichtung. Die Mehrheit der Reha-Einrichtungen stellt die Eignung der patientenseitigen QI für Einrichtungsvergleiche in Frage und macht dafür methodische Unzulänglichkeiten verantwortlich (u.a. unzureichend seien Adjustierung, Stichprobengröße, Rücklauf, es gäbe Diskrepanzen zwischen patientenseitiger und ärztlicher Beurteilung des Behandlungserfolges). Es werden aber auch andere Gründe für auffällige QI genannt, die sich auf die fehlende Kompensation von Personalausfällen, Personalwechsel oder Defizite im Therapieangebot beziehen.
(2) Von den Reha-Einrichtungen wurden 157 Maßnahmen initiiert. Diese sind von unterschiedlicher Reichweite und lassen sich fünf verschiedenen Kategorien zuordnen: Therapieangebot, Personal, Reha-Management, Qualitätssicherung und PatientInnen. Die meisten Maßnahmen befassen sich mit Änderungen des „Therapieangebots“. Dazu gehören inhaltliche und organisatorische Veränderungen und Anpassungen des Angebots während der Reha, der Reha-Nachsorge sowie der Ernährungsplanung. Zu den Interventionen in der Kategorie „Personal“ gehören Aufstockung, Umstrukturierung, Qualifizierung und Maßnahmen zur Personalbindung. Darüber hinaus arbeiten die auffälligen Reha-Einrichtungen an einer Optimierung und Neustrukturierung von Arbeitsprozessen. Zur frühzeitigen Identifikation von Qualitätsdefiziten implementieren die Reha-Einrichtungen interne Patientenbefragungen und ein umfangreiches Beschwerdemanagement. Auch an der Kommunikation mit den PatientInnen wird gearbeitet.
Diskussion und praktische Implikation
Die erste Analyse der von Reha-Einrichtungen beschriebenen Gründen für auffällige Ergebnisse in den patien-tenberichteten Qualitätsindikatoren offenbart Ambivalenzen: zwar wird die Aussagekraft der QI Subjektiver Behandlungserfolg und Behandlungszufriedenheit angezweifelt, trotzdem liefern die Reha-Einrichtungen auch eine Reihe plausibler Ursachen für mangelnde Qualität. Die Behebung der Qualitätsdefizite nehmen die Reha-Einrichtungen ernst, das verdeutlichen die Ausführungen zu den bereits getroffenen Maßnahmen. Die in den Reha-Einrichtungen initiierten Interventionen setzen dabei an der Struktur- und Prozessqualität an und scheinen grundsätzlich zur Qualitätsverbesserung geeignet. Es bleibt abzuwarten, ob, und wenn ja, wie sich diese Aktivitäten in der Auswertung der QI in 2020 zeigen.
Hintergrund: Die Messung und die vergleichende Darstellung von medizinischer Qualität in Krankenhäusern gewinnen zunehmend an öffentlicher und politischer Bedeutung. Hierfür wird häufig auf Qualitätsindikatoren zurückgegriffen, welche aus Routinedaten gewonnen werden. Die Konstruktion solcher Indikatoren erfolgt zunehmend unter Einsatz von Risikoadjustierungsverfahren, welche die unterschiedliche Verteilung von patientenspezifischen Risikofaktoren zwischen den Krankenhäusern berücksichtigen sollen. Eine in diesem Kontext gebräuchliche Kennzahl ist die standardized mortality ratio (SMR). Zur Berechnung der SMR stehen verschiedene etablierte Methoden zur Verfügung, darunter nichtparametrische Ansätze, logistische Regressionen und Mixed-Effects-Modelle. Allen genannten Verfahren liegt hierbei implizit die Annahme der Unkorreliertheit der unbeobachteten Behandlungsqualität der Krankenhäuser mit relevanten, beobachteten Risikofaktoren zugrunde. Verletzungen dieser potentiell kritischen Annahme können z.B. bei der Adjustierung für Komorbiditäten ohne Berücksichtigung des Status‘ „present on admission“ (POA) vorliegen. Eine Berücksichtigung dieses Status‘ ist bei Verwendung von Routinedaten i.d.R. nicht möglich, da diese zumeist keine Angabe zu POA enthalten. Dieser Beitrag untersucht das Verzerrungspotential entsprechender Szenarien und schlägt mit der logistischen Fixed-Effects-Regression inklusive Firth-Korrektur (Firth 1993; Varewyck et al. 2014) eine Methode zur Elimination möglicher Verzerrungen im Rahmen von Risikoadjustierungen vor. Des Weiteren wird die Eignung von Model-Fit und prädiktiver Kraft als Kriterien zur Auswahl von Risikoadjustierungsmodellen kritisch hinterfragt.
Fragestellung: Inwieweit induziert die Korrelation zwischen Behandlungsqualität und Risikofaktoren eine Verzerrung der Ergebnisse von Risikoadjustierungen? Kann eine solche Verzerrung mittels logistischer Fixed-Effects-Regression inklusive Firth-Korrektur vermieden werden? Welche Bedeutung kommt dem Model-Fit und der prädiktiven Kraft statistischer Modelle im Rahmen von Risikoadjustierungen zu?
Methode: Die Verzerrungspotentiale von Risikoadjustierungen durch Korrelation von Behandlungsqualität und Risikofaktoren wurden mittels Monte-Carlo-Simulationen untersucht. Hierbei wurden Risikoadjustierungen basierend auf nicht-parametrischen Ansätzen, logistischen Regressionen und Mixed-Effects-Modellen mit Adjustierungen auf Basis von logistischen Fixed-Effects-Regressionen inklusive Firth-Korrektur verglichen. Die Bemessung des Verzerrungspotenzials erfolgte über einen Vergleich der simulierten mit der geschätzten Qualitätsrangfolge. Model-Fit und prädiktive Kraft wurden anhand des Pseudo-R-Quadrats und der Area under the curve (AUC) quantifiziert.
Ergebnisse: Eine Korrelation zwischen Behandlungsqualität und Risikofaktoren führt zu einer Verzerrung einer Qualitätsmessung, welche auf nichtparametrischen Ansätzen, logistischen Regressionen oder Mixed-Effects-Modellen basiert. Die Simulationen belegen, dass der Einsatz von logistischen Fixed-Effects-Regressionen inklusive Firth-Korrektur eine bessere Abbildung der Rangfolge der Krankenhäuser nach Behandlungsqualität ermöglichen kann. Dies gilt sogar bei Abwesenheit von Korrelation zwischen Behandlungsqualität und Risikofaktoren. Der beste Fit und die höchste prädiktive Kraft eines statistischen Modells gehen mit einer erheblichen Verzerrung der Qualitätsmessung einher.
Diskussion: Gängige Verfahren zur Risikoadjustierung von Qualitätsindikatoren beruhen implizit auf der Annahme der Unkorreliertheit von Behandlungsqualität und Risikofaktoren. Diese Annahme kann in realen Anwendungsfällen verletzt sein. Die im Rahmen dieses Beitrages präsentierten Simulationsergebnisse für nichtparametrische Verfahren, logistische Regressionen und Mixed-Effects-Modelle belegen, dass sich diese Annahmeverletzung in einer schlechteren Abbildung der Behandlungsqualität niederschlägt. Die logistische Fixed-Effects-Regression inklusive Firth-Korrektur erweist sich dahingegen als robuster. Eine Validierung dieser Ergebnisse in zusätzlichen Szenarien ist anzustreben.
Praktische Implikationen: Zur Vermeidung von Verzerrungen der Ergebnisse von Risikoadjustierungen von Qualitätsindikatoren sollten Fixed-Effects-Modelle in Erwägung gezogen werden. Erklärungsgehalt und prädiktive Kraft statistischer Modelle sollten nicht als primäre Kriterien zur Auswahl der Risikoadjustierungsmodelle verwendet werden.
Literatur
Firth, D. (1993). Bias reduction of maximum likelihood estimates. Biometrika, 80(1), 27-38.
Varewyck, M., Goetghebeur, E., Eriksson, M., & Vansteelandt, S. (2014). On shrinkage and model extrapolation in the evaluation of clinical center performance. Biostatistics, 15(4), 651-664.
Titel: Patienten- und krankenhausspezifische Einflussfaktoren auf die Mortalität von Patienten mit Beatmung > 24 Stunden: eine explorative Multilevel-Analyse im Rahmen der IMPRESS-Studie.
Hintergrund: Patienten mit Beatmung > 24 Stunden weisen mit durchschnittlichen Mortalitätsraten von über 30% eine hohe Krankenhaussterblichkeit auf. Vor diesem Hintergrund kommt Maßnahmen zur Reduktion der Mortalität von Beatmungspatienten eine hohe Relevanz zu. Das IQM-Peer Review zur Beatmung > 24 Stunden zielt als Instrument zur Qualitätssicherung und –verbesserung auf die Reduktion eben jener Sterblichkeit. Die Studie „Effektivität des IQM-Peer Review Verfahrens zur Verbesserung der Ergebnisqualität – eine pragmatische cluster-randomisierte kontrollierte Studie“ (IMPRESS) untersucht die Effektivität des IQM-Peer Review Verfahrens im Rahmen eines cluster-randomisierten, kontrollierten Studiendesigns. Neben der Schätzung des kausalen Effektes des IQM-Peer Reviews zur Beatmung > 24 Stunden werden Einflussfaktoren auf die Sterblichkeit von Beatmungspatienten sowie von Patienten mit weiteren Erkrankungsbildern mittels explorativer Analysen untersucht. Dieser Beitrag präsentiert die Ergebnisse der explorativen Untersuchung zur Sterblichkeit von Beatmungspatienten.
Fragestellung: Welche Faktoren sind mit der Krankenhausmortalität von Patienten mit Beatmung > 24 Stunden assoziiert?
Methode: Die Analysen basieren auf Sekundärdaten gemäß §21 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG). Eingeschlossen wurden IQM-Mitgliedskliniken, welche der Teilnahme an der IMPRESS-Studie zustimmten. Zur Abgrenzung von der Datengrundlage der konfirmatorischen Analyse wurden lediglich solche Kliniken in die explorative Analyse einbezogen, welche vor Studienbeginn in die Beobachtungsstudie allokiert wurden. Zur Schätzung der Effekte von Patientencharakteristika, von Umständen der Aufnahme und des Aufenthalts im Krankenhaus sowie von Krankenhausmerkmalen auf die Sterblichkeit der Patienten wurden robuste Multilevel-Poisson-Regressionen sowie logistische Regressionsmodelle verwendet.
Ergebnisse: Die explorativen Analysen basieren auf 95 672 Krankenhausfällen von Patienten mit Beatmung > 24 Stunden in den Jahren 2016 und 2017, welche in insgesamt 163 IQM-Mitgliedskliniken behandelt wurden. Ein höheres Alter des Patienten, die Aufnahme als Notfall sowie die Zuverlegung von einem anderen Krankenhaus waren mit einem statistisch signifikant höheren Sterberisiko assoziiert. Die Regressionsergebnisse liefern lediglich schwache Evidenz für ein höheres Sterberisiko von weiblichen relativ zu männlichen Patienten. Die Krankenhausaufnahme an Freitagen und Samstagen war mit einem höheren Sterberisiko relativ zur Aufnahme an Sonntagen assoziiert. Während Patienten in Krankenhäusern mit hoher Bettenzahl ein im Mittel höheres Sterberisiko aufwiesen als Patienten in Häusern mit niedriger Bettenzahl, ergeben die Analysen einen negativen Zusammenhang zwischen dem individuellen Sterberisiko und der kumulierten Behandlungszeit von Beatmungspatienten in dem jeweiligen Krankenhaus. Kliniken, welche einen höheren Anteil ihrer Beatmungspatienten in andere Krankenhäuser verlegten, verzeichneten eine niedrigere Sterblichkeit. Die Ergebnisse der Regressionsanalysen geben keine Hinweise auf systematische Unterschiede in Hinblick auf die Trägerschaft (öffentlich/privat/frei-gemeinnützig) und die Lokalisation (städtischer/ländlicher Raum) der Krankenhäuser. Gegenüber dem Jahr 2016 war eine Erhöhung des adjustierten Sterberisikos im Jahr 2017 festzustellen. Das Merkmal „Universitätsklinikum“ stellt insbesondere in Hinblick auf Notfallaufnahmen und Zuverlegungen von anderen Krankenhäusern einen Effektmodifikator dar: sowohl Notfallaufnahmen als auch Zuverlegungen sind in Universitätskliniken mit einer stärkeren Erhöhung des Sterberisikos assoziiert als in Nicht-Universitätskliniken.
Diskussion: Die Ergebnisse der explorativen Analysen liefern Evidenzen für Zusammenhänge zwischen der Mortalität von Patienten mit Beatmung > 24 Stunden und verschiedenen patientenindividuellen und krankenhausbezogenen Merkmalen. Die vorgefundenen Interkationen zwischen Notfallaufnahmen und Zuverlegungen mit dem Merkmal „Universitätsklinikum“ könnten auf Unterschiede zwischen diesen Klinikgruppen in Hinblick auf den Case-Mix und die Erkrankungsschwere der Patienten hindeuten. Zusätzlich könnten diese Befunde Unterschiede im Kodierungsverhalten widerspiegeln. Als potentielle Limitation zu diskutieren ist der Zusammenhang zwischen Mortalität und Beatmungsdauer.
Praktische Implikationen: Die in dieser explorativen Untersuchung erzielten Ergebnisse geben Anhaltspunkte für relevante Einflussgrößen auf die Mortalität von Patienten mit Beatmung > 24 Stunden. Diese Einflussgrößen können im Rahmen geeigneter Sensitivitätsanalysen der konfirmatorischen Analyse zur Schätzung des kausalen Effektes des IQM-Peer Review Verfahrens berücksichtigt werden.
Hintergrund
Die Messung der Ergebnisqualität erfolgt innerhalb von QS-Verfahren für einzelne Leistungsbereiche i.d.R. einheitlich. Für die geriatrische Rehabilitation wurde ein Messverfahren entwickelt, das von diesem Prinzip abweicht. Für jeden geriatrischen Patienten wird hier eine individuelle Auswahl an für ihn relevanten Leistungsaspekten erhoben. Damit wird ein individualisiertes Messverfahren realisiert.
Fragestellung
Wie lässt sich die Ergebnisqualität in der geriatrischen Rehabilitation für ein Benchmark-Verfahren messen, bei dem das Patientenklientel durch Inhomogenität der Beschwerdebilder sowie durch hohes Alter und Multimorbidität gekennzeichnet ist?
Methode
Konzept
Die Grundidee des Verfahrens besteht darin, für jeden Patienten individuell nur die Leistungsmerkmale in die Messung einzubeziehen, die bei ihm therapeutisch bearbeitet wurden. Dazu wird für hier anzutreffende Beschwerdenklassen, z.B. Gehen, Treppensteigen, Greifen, Schlucken, ein separates Instrument vorgehalten. Für jeden Patienten werden dann die für ihn relevanten Instrumente entsprechend den angesetzten Therapien ausgewählt und zur Beschreibung seines Therapieerfolges angewendet.
Die Ergebnisqualität wird durch Befragung von Patienten im prä-post-Design gemessen. Die Messungen erfolgen auf Basis gradueller Leistungseinschätzungen gut beobachtbarer Merkmale, die auch Bezugspersonen reliabel vornehmen können. Jeder Patient erhält also zu zwei Messzeitpunkten einen für ihn individuell zusammengestellten Fragebogen.
Exploration
In vier Reha-Einrichtungen wurden Therapeuten unterschiedlicher Professionen befragt, um
• einen standardisierten Ablauf für das QS-Verfahren abzuleiten, der den Auswahlprozess der relevanten Beschwerdenklassen für einen Patienten beschreibt,
• eine Klasseneinteilung der therapeutischen Maßnahmen zu entwickeln und
• substanzielle Leistungsstufen innerhalb bestimmter therapeutischer Maßnahmen zu ermitteln, die für Laien gut beobachtbar sind.
Erhebungen
Die empirische Überprüfung der Messeigenschaften der entwickelten Instrumente erfolgte durch ihre Anwendung in zwei unabhängigen Stichproben. Zuvor wurden Kognitive Pretests zur Prüfung der Fragebögen auf Verständlichkeit an 38 Patienten aus sechs Reha-Einrichtungen durchgeführt.
In Studie 1, die innerhalb des prä-post-Designs als Parallelerhebung angelegt war, wurde zudem geprüft, inwieweit Patienten- und korrespondierende Bezugspersonenangaben übereinstimmen. Die Messeigenschaften der revidierten Instrumente wurden an einer weiteren Stichprobe (Studie 2) überprüft.
Im Erhebungsdesign wurden Patienten, Bezugspersonen und Behandler sowie die Messzeitpunkte Reha-Beginn und zwei Wochen nach Reha-Ende differenziert. Erhoben wurden die Ergebnisqualität sowie diverse Patientenmerkmale. Zur Messung der Ergebnisqualität standen 33 Instrumente zur Auswahl.
Ergebnisse
In Studie 1 haben 13 teilnehmende Reha-Einrichtungen 629 Fälle akquiriert und vollständig dokumentiert, wovon für 255 Patienten und 72 Bezugspersonen ausgefüllte Fragebögen zur prä-post-Messung vorlagen. Die Rücklaufquoten (RQ) lagen bei 41,3 bzw. 30,1%. In 60 Fällen lagen parallele Ergebnisse für Patienten und Bezugspersonen vor. Pro Patient wurden im Mittel 6,1 therapierelevante Beschwerdenklassen ausgewählt, am häufigsten die der Mobilität (Gangsicherheit, Gehen in Innenbereich, Treppensteigen, Gehen im Außenbereich) sowie die für Schmerzen mit Anteilen von 50 bis 70%. Die Reliabilität der Scores ist gut und die Scores einzelner Leistungsaspekte von Patienten und Bezugspersonen korrelieren hoch miteinander.
In Studie 2 haben 12 teilnehmende Einrichtungen 464 Fälle vollständig dokumentiert, wovon für 201 Patienten und 9 Bezugspersonen Fragebögen zur prä-post-Messung vorlagen (RQ: 44,6%, 15,5%). Die Ergebnisse aus Studie 1 zur Auswahl der Beschwerdenklassen sowie zur Reliabilität und Validität der Instrumente konnte repliziert werden.
Diskussion
Das Konzept eignet sich, die Ergebnisqualität patientenspezifisch valide und reliabel zu messen. Auch die alternative Befragung von Bezugspersonen hat sich bewährt. In beiden Studien wurden übereinstimmend gute Ergebnisse der Messeigenschaften gefunden. Das Verfahren hat sich für Patienten wie für Einrichtungen als praktikabel erwiesen.
Die berichteten Ergebnisse basieren auf den Auswertungen der am häufigsten ausgewählten Beschwerdenklassen. Weitere Erhebungen erfolgen derzeit, so dass auch die bisher nicht geprüften Instrumente überprüft werden können.
Praktische Implikationen
Das Messverfahren kann als bundesweit verpflichtendes Benchmark-Verfahren verwendet werden. Das Konzept der individualisierten Ergebnisqualitätsmessung lässt sich auch auf andere inhomogene Indikationsbereiche übertragen. Der Ansatz eignet sich zudem für die einrichtungsübergreifende Qualitätssicherung sowie zur Messung langfristiger Behandlungserfolge durch zusätzliche Follow-Up-Erhebungen.
Die Digitalisierung bietet viele Möglichkeiten, die Zukunft der hausärztlichen Versorgung patientengerecht zu gestalten. Dabei kommt es auf die planvolle Umsetzung, sinnvolle Einbettung und Funktionalität im Praxisalltag an. Digitale Anwendungen sollten Zeit sparen und Abläufe im Praxismanagement und in der Kommunikation mit anderen Ärzt*innen und Krankenhäusern vereinfachen; sie sollten den Arzt/die Ärztin unterstützen und benutzerfreundlich gestaltet sein.
Die Vorträge der Session widmen sich verschiedenen Fragen zum Thema „Digitalisierung in der hausärztlichen Versorgung“: Wie bewerten Hausärzt*innen und Patient*innen den Einsatz digitaler Lösungen? Unterstützen systematisierte Dienstleistungsvorschläge den Hausarzt bei seinen Versorgungsentscheidungen? Wie werden die Machbarkeit und Akzeptanz von Videokonsultationen im Rahmen eines integrierten psychosozialen Versorgungsmodells bewertet? Wie häufig haben Hausärzte mit Patient*innen zu tun, die durch Internetrecherchen über Krankheiten Ängste entwickeln und welche Vorgehensweisen sind sinnvoll, darauf angemessen zu reagieren? Ist die Feldforschung ein geeignetes Mittel für die benutzerorientierte Entwicklung telemedizinischer Anwendungen?
Hintergrund: Immer wieder wird das Phänomen beschrieben, dass in Arztpraxen Patienten in Erscheinung treten, die aufgrund von online recherchierten Gesundheitsinformationen stark verunsichert und infolgedessen von anhaltenden Zweifeln und Sorgen betroffen sind. Unter bestimmten Bedingungen können sich solche Gesundheitsängste langfristig verfestigen und stellen dann eine Herausforderung für den Arzt dar. Bislang fehlt es an Studien, die beleuchten, welche Erfahrungen Mediziner mit internetassoziierten Gesundheitsängsten gemacht haben und wie sie auf dieses durch die Internetsuche zweifelnde oder nervöse Patientenklientel reagieren. Dieses Forschungsdesiderat gilt v.a. für die hausärztliche Versorgung, die aufgrund ihrer Bandbreite an Gesundheits- und Krankheitsthemen in besonderer Weise tangiert ist.
Fragestellung: Folgende Fragen sollten von der vorzustellenden Studie beantwortet werden:
• Welche Ansichten vertreten hausärztlich tätige Mediziner in Bezug auf Patienten, die sich regelmäßig im Internet über Gesundheit und Krankheit informieren? Welche Auswirkungen hat die Recherche nach Ansicht bzw. Erfahrung der Ärzte?
• Wie häufig haben hausärztlich tätige Mediziner im Praxisalltag mit Patienten zu tun, die aufgrund von vorangegangenen Internetrecherchen Ängste entwickeln?
• Welche Vorgehensweisen werden für sinnvoll befunden, um angemessen auf entsprechend verunsicherte Patienten zu reagieren?
Methode:
Mittels schriftlicher Befragung wurden zwischen April und Juni 2018 insgesamt 844 Allgemeinmediziner und hausärztlich tätige Internisten in Südhessen (Regierungsbezirk Darmstadt) und zusätzlich in den Landkreisen Gießen, Marburg-Biedenkopf, Kassel und der kreisfreien Stadt Kassel befragt.
Es handelt sich um eine explorative Studie, die nicht darauf abzielt, Hypothesen zu testen. Der Fragebogen wurde auf Grundlage einer Literaturrecherche sowie mithilfe von Vorgesprächen mit Hausärzten entwickelt.
Ergebnisse:
• Zweidrittel der Befragten gehen davon aus, dass 15% oder mehr der eigenen Patienten sie wiederkehrend mit Ergebnissen eigener Internetrecherchen zu Symptomen und Krankheitsbildern konfrontieren.
• 73% sehen das Aufkommen von internetassoziierten Gesundheitsängsten als zunehmendes Problem in der Patientenversorgung, allem voran mit Blick auf die psychische Stabilität von Patienten und die Erwartungen gegenüber dem Arzt, aber auch die Bereitschaft zur Selbstmedikation und die Compliance.
• Knapp jeder fünfte Arzt (18%) hat bereits den Abbruch von Betreuungsverhältnissen aufgrund ausgeuferter Internetrecherchen von Patienten erlebt.
• Um auf verunsicherte Patienten einzugehen, bauen die befragten Mediziner auf eine ausführliche Erläuterung der Diagnose und/oder Therapie und empfehlen Internetseiten, die sie als seriös erachten. Ärzte mit Zusatzbezeichnung Psychotherapie oder Psychoanalyse zeigen eine größere Bereitschaft, sich mit den Online-Vorrecherchen von Patienten zu beschäftigen und auf Chancen und Gefahren einer Internetrecherche hinzuweisen.
Diskussion: Inzwischen gehört es für Ärzte zum Versorgungsalltag, dass Patienten sich vor und nach dem Arztbesuch online Informationen zu Gesundheit und Krankheit beschaffen. Wie die Befragung bestätigt, treten in hausärztlichen Praxen zunehmend Patienten in Erscheinung, die aufgrund von online recherchierten Gesundheitsinformationen stark verunsichert sind. Negative Folgewirkungen für die psychische Stabilität und das Arzt-Patient-Verhältnis wurden bereits von den befragten Medizinern beobachtet. Zugleich weisen die Ergebnisse auch darauf hin, dass (Haus)Ärzte begonnen haben, sich auf die Problematik internetassoziierter Gesundheitsängste einzulassen und nach Lösungen zur (präventiven) Stabilisierung von Patienten zu suchen. Hierzu zählt etwa, dass sie sich ausreichend Zeit für eine Erläuterung von Diagnose und/oder Therapie nehmen und zur Nachbereitung oder weiteren Recherche bestimmte Internetseiten empfehlen.
Praktische Implikationen: Um mögliche negative Auswirkungen auf das Arzt-Patient-Verhältnis sowie die psychische Stabilität des Patienten zu verhindern, plädieren die Autoren dafür, in der täglichen Sprechstunde aktiv auf internetbasierte Gesundheitsrecherchen einzugehen, deren Potenziale und Risiken zu thematisieren und für die Arzt-Patient-Beziehung zu nutzen. Indem der Arzt auf die Recherchen des Patienten eingeht, kann er möglichen Verunsicherungen zum einen besser vorbeugen, zum anderen wird auch Wertschätzung signalisiert. Beides kommt der Patientenbindung zugute. Vor diesem Hintergrund wäre auch darüber nachzudenken, die Anamnese um die Dimension der (Online-)Informationssuche zu erweitern. Weiter sollte berücksichtigt werden, dass gesundheitsängstliche oder durch widersprüchliche Informationen im Internet verunsicherte Patienten ggf. mehr Beratungszeit benötigen. Nicht zuletzt wäre darüber nachzudenken, die Bekanntheit guter, seriöser Informationsangebote nicht lediglich bei Laien, sondern auch in Fachkreisen zu stärken.
Hintergrund:
Studien, die den bedachten Einsatz von Antibiotika in der Primärversorgung fokussieren, setzen edukative, digitale Lösungen zur Informationsvermittlung für Arzt, Praxis-Team und Patient zugleich ein. Dazu zählen E-Learning Module, Tablets für Wartebereiche, informative Webseiten und entscheidungsunterstützende Praxissoftwarekomponenten. Im Kontext von zwei aktuell in Deutschland durchgeführten Studien werden solche digitalen Lösungen genutzt, um Gesundheitskompetenzen zu stärken, Therapieentscheidungen zu optimieren und darüber den Antibiotikaverbrauch bei akuten unkomplizierten Infektionen im primärärztlichen Bereich nachhaltig zu verringern.
Fragestellung:
Wie schätzen Ärzte, Medizinische Fachangestellte und Patienten den Einsatz digitaler Informationsbereitstellungen (a) im Allgemeinen und (b) im Hinblick auf einen reduzierten Einsatz von Antibiotika ein und welche Perspektiven ergeben sich daraus für künftige praxisrelevante Maßnahmen?
Methoden:
Eine 3-armige, randomisierte kontrollierte Studie wird in 14 Praxisnetzen mit 193 Praxen und 303 Ärzten in Bayern und Nordrhein-Westfalen durchgeführt. In der begleitenden Prozessevaluation wurden teilnehmende Ärzte, Medizinische Fachangestellte sowie Interessensvertreter in semi-strukturierten Interviews zu Eindrücken aus der Studienteilnahme befragt. Diese Daten wurden insgesamt auf Basis des Tailored Implementation for Chronic Disease Framework thematisch analysiert. In einer zweiten Studie, die in Mecklenburg-Vorpommern und Baden-Württemberg durchgeführt wird, sollen mittels Regionalintervention Patienten zielgruppenadaptiert über mediale Zugänge befähigt werden, sich intensiver in ihre Versorgung einzubringen. Mit dem Ziel einer praxisinternen Prozessoptimierung wird zusätzlich eine Praxisteam-Intervention mit einer Kontrollgruppe in jeweils 57 Hausarztpraxen durchgeführt. In der begleitenden Prozessevaluation wurden semi-strukturierte Interviews mit Ärzten, Medizinischen Fachangestellten und Patienten geführt und in thematischer Inhaltsanalyse basierend auf dem Theoretical Domains Framework ausgewertet.
Ergebnisse
In der randomisierten kontrollierten Studie (1) wurden 27 Ärzte, 11 Medizinische Fachangestellte und 7 Interessensvertreter interviewt. In der Studie mit Regional- und Praxisteam-Intervention (2) wurden 16 Ärzte, 16 Patienten und 7 Medizinische Fachangestellte interviewt. Vorgestellt werden Ergebnisse der Analysen zur Akzeptanz von digitalen Lösungen zur Bereitstellung gesundheitsrelevanter Informationen bei primärärztlichen Versorgern und Patienten und zur Einschätzung des Einflusses auf den indikationsgerechten, rationalen Einsatz von Antibiotika bei akuten unkomplizierten Infekten. Erste Auswertungen deuten darauf hin, dass für den Einsatz digitaler Lösungen in Arztpraxen diverse Barrieren bestehen und diese eher zögerlich angeboten und akzeptiert werden. Patienten sprechen Aspekte der Zielgruppenadäquanz, Hygiene und Angemessenheit von Ort, Zeit und Formulierung der Informationsbereitstellung an und unterbreiten Vorschläge zu Alternativen. Ärzte und Medizinische Fachangestellte benennen Barrieren, die sich aus der eigenen Medienkompetenz, Praxisabläufen sowie aus patientenabhängigen Faktoren ableiten. Um auf digitale Informationsangebote aufmerksam zu machen, die nach einem Arztbesuch vertiefend genutzt werden können, empfehlen die Befragten unterschiedliche analoge Medien, TV- und Radio-Sendungen sowie die Nutzung der sozialen Medien.
Diskussion
Der Beitrag digitaler edukativer Lösungen zur Bereitstellung von gesundheitsrelevanten Informationen in und außerhalb von Arztpraxen zu einer nachhaltigen Verbesserung von Gesundheitskompetenz, optimierten Therapieentscheidungen und reduziertem, rationalem Antibiotika-Einsatz soll diskutiert werden.
Praktische Implikationen
Digitale Informationsbereitstellungen können Primärversorger bei der Vermittlung gesundheitsrelevanter Informationen unterstützen. Barrieren, die die Nutzung solcher Lösungen erschweren, müssen bei der Planung von Interventionen stärker fokussiert werden, damit eine Übertragbarkeit in die Regelversorgung ermöglicht wird.
Hintergrund
Der Anteil multimorbider Patienten in der hausärztlichen Versorgung steigt. Dabei sind die Kombinationen der chronischen Erkrankungen und die damit verbundenen Einschränkungen sehr verschieden und der entsprechende Versorgungsbedarf sehr heterogen. Die hausärztliche Versorgung, welche ganzheitlich die Sicherstellung der präferierten Behandlungsziele (u.a. Erhalt der Patientenautonomie und Selbstständigkeit, Verbleib im eigenen Zuhause oder die Vermeidung von Krankenhauseinweisungen) fokussiert, sollte parallel zur medizinischen Versorgung bedarfsorientiert auch eine Versorgung mit externen Dienstleistungsanboten integrieren. Systematisierte digitale Dienstleistungsvorschläge können den Hausarzt bei seinen Versorgungsentscheidungen unterstützen, indem Vielfalt und neue Entwicklungen aufgezeigt werden.
Fragestellung
Unterstützt das in ATMoSPHÄRE entwickelte „patientendatenbasierte Vorschlagssystem (PDVS) von externen Dienstleistungsangeboten“ die hausärztliche individuelle Versorgung multimorbider Patienten?
Methoden
Das PDVS wurde innerhalb des Telemedizinprojektes ATMoSPHÄRE entwickelt. Zur Generierung bedarfsgerechter Dienstleistungsvorschläge (bspw. Ergotherapie oder Hausnotruf) kommt ein Algorithmus zur Anwendung, welcher Ergebnisse der geriatrischen Basisassessments und Dienstleistungsbeschreibungen über eine ICF-Zuordnung zusammenführt. Im Rahmen der Plausibilitätsprüfung des PDVS wurden ein mehrstufiges schriftliches Delphi-Verfahren (n=8) sowie qualitative Interviews (n=4) mit Studienhausärzte (HÄ) durchgeführt. Für das Delphi-Verfahren wurden zwei multimorbide Patienten-Fallvignetten definiert, welche ausgewählte Subgruppenmerkmale aufwiesen. Diese Merkmale wurden auf Grundlage einer Subgruppenanalyse festgelegt, welche die häufigsten Versorgungsbedarfe der Patientenkohorte untersucht hat. In den Interviews wurden mit den HÄ zwei Patienten aus der eigenen HA-Praxis besprochen, welche ebenfalls die ausgewählten Subgruppenmerkmale aufzeigten. Für die Plausibilitätsprüfung haben die HÄ für diese Patienten angegeben, welche Dienstleistungsangebote sie für notwendig erachten und inwieweit sie die PDVS-Vorschläge als passend empfinden. Signifikante quantitative Unterschiede zwischen HÄ- und PDVS-Vorschlägen wurden mit dem Test nach Wilcoxon für zwei verbundene Stichproben geprüft.
Ergebnisse
Im Delphi-Verfahren zeigte sich sowohl eine hohe inhaltliche als auch eine hohe quantitative Variabilität der angegebenen Vorschläge durch die HÄ. Sie schlugen 1 bis 10 (MW=5,6; SD=2,8) Dienstleistungen verschiedenster Art vor. Die Anzahl der als passend bewerteten PDVS-Vorschläge lag zwischen 7 und 17 von insgesamt 20 (MW=11,9; SD=2,5). Die HÄ haben signifikant mehr Vorschläge als passend erachtet (p=0,011), als sie selbst für den Patient angegeben haben. Diese quantitativen Ergebnisse spiegelten sich ebenfalls in den Interviewaussagen wider. Hier lag die Anzahl der Vorschläge der HÄ zwischen 0 und 6 (MW=2,1; SD=2,4) und es wurden ebenfalls signifikant (p=0,018) mehr PDVS-Vorschläge als passend erachtet (Anzahl: 3-9; MW=6,3; SD=2,3). In den qualitativen Interviews zeigte sich außerdem, dass die zusätzlich als passend bewerteten PDVS-Vorschläge speziell in der Versorgung mit sozialen Dienstleistungsangeboten (bspw. Hausnotruf) verortet waren.
Diskussion
Das in ATMoSPHÄRE entwickelte PDVS ist als hilfreiche Ergänzung für die hausärztliche Versorgung multimorbider Patienten zu bewerten, da es passende Vorschläge aufzeigt, welche in der Vielzahl von Versorgungsangeboten und Dienstleistern nicht bekannt sind oder eher selten Beachtung finden. Das PDVS kann somit bei der ganzheitlichen Versorgung dieser vulnerablen Patientengruppe unterstützend wirken.
Praktische Implikation
Ein patientendatenbasiertes Vorschlagssystem für Dienstleistungen kann die bedarfsorientierte Versorgung multimorbider Patienten hilfreich ergänzen, indem die jeweils aktuell verfügbare Dienstleistungsvielfalt für hausärztliche Entscheidungen zur Verfügung gestellt wird.
Hintergrund
Im Rahmen des Projekts „TelePraCMan“ wird ein digitales Symptomtagebuch in Form einer App für das Smartphone entwickelt. Diese App soll multimorbiden Patienten die Möglichkeit bieten regelmäßig Tagebuch zu führen und die erhobenen Daten der Hausarztpraxis zur Verfügung zu stellen. Auf diese Weise soll das Selbstmanagement der Patienten gestärkt und die Kommunikation mit dem Praxisteam vereinfacht werden.
Für die Entwicklung soll die Nutzerperspektive eingebracht werden. Daten zur Nutzung von mHealth-Interventionen bzw. gesundheitsbezogenen Apps durch ältere Menschen sind im deutschsprachigen Raum nur begrenzt vorhanden. Die Samples zeichnen sich zusätzlich durch eine überdurchschnittlich hohe Bildung und eine relativ hohe Technikaffinität aus. Ob dies den Großteil der Patienten – und vor allem multimorbide Patienten – widerspiegelt, darf bezweifelt werden. Hier setzt die Idee der Feldforschung an: Um der Heterogenität von Patienten gerecht zu werden und Patientengruppen zu erreichen, die normalerweise nicht in Studien oder Interventionen einbezogen sind, sollen Feldforschungstage in mehreren Hausarztpraxen durchgeführt werden. Es soll so ermöglicht werden, die Erwartungen und Bedürfnisse der (potenziellen) Nutzer zielgenauer in die Entwicklung der App einfließen zu lassen.
Frühe Phasen der Entwicklung von mHealth-Produkten greifen oftmals alleinig auf Fokusgruppen mit Vertretern der erwarteten Zielgruppe zurück, um die Sichtweisen, Bedürfnisse und Erwartung auf und an die Funktionen und das Design zu erfassen. Entsprechend aufwendig ist die Auswertung der gewonnenen Daten. Das von uns angedachte Vorgehen soll einen einfachen, schnellen und niedrigschwelligen Zugang zu für die Entwicklung verwertbaren Ergebnissen innerhalb eines für die Probanden „natürlichen“ Umfeldes ermöglichen.
Fragestellung
Es stellt sich daher die Frage, ob die von uns geplante Feldforschung ein geeignetes Mittel für die benutzerorientierte Entwicklung von telemedizinischen Anwendungen ist.
Methoden
Rekrutierung: Es sollen drei Hausarztpraxen für jeweils einen Tag als Forschungsfeld rekrutiert werden. Als potenzielle Probanden gelten alle Personen, die in die Praxis eintreten. Damit wird nicht nur die Zielgruppe der multimorbiden Patienten einbezogen, sondern auch mögliche Angehörige oder Bekannte von Patienten.
Datenerhebung: Es erfolgt eine quantitative und qualitative Erhebung. Neben anonymen Fragebögen zur allgemeinen Technikaffinität und Smartphone-Nutzung werden zusätzlich kurze – ebenfalls anonyme – Interviews zu Erwartungen, Wahrnehmungen und Bewertungen zu „TelePraCMan“ anhand von Mock-ups, Storyboards oder erster Prototypen geführt. Die Fragebögen werden an alle in der Praxis befindlichen und eintretenden Patienten verteilt. Die Interviews werden mit Personen geführt, die sich hierfür freiwillig zur Verfügung stellen. Neben den Aussagen bei den Interviews werden ggf. die Handhabung des Prototyps durch den Befragten sowie seine Reaktionen protokolliert. Die Erhebung erfolgt mittels durch zwei Forscher parallel durchgeführter Protokollierungen, um eine Validität und Sättigung der Daten zu ermöglichen.
Datenauswertung: Die Daten aus den Befragungen werden nach Mayring inhaltsanalytisch mithilfe des Programms MAXQDA ausgewertet und mit den durch die Statistik-Software SPSS deskriptiv ausgewerteten Ergebnissen der Fragebögen in Verbindung gesetzt. Hierdurch soll ein Vergleich der allgemeinen Technikaffinität und Smartphone-Nutzung mit den Ergebnissen aus den Interviews ermöglicht werden.
Ergebnisse
Der Zeitpunkt der Datenerhebung befindet sich zwischen März und Mai 2019. Entsprechend sind zum Zeitpunkt der Einreichung des Abstracts noch keine empirischen Daten vorhanden. Auf dem Versorgungsforschungskongress werden erste Auswertungen präsentiert. Ziel soll es sein, darzulegen, wie erfolgreich die Feldforschung war und ob diese für technische Entwicklungsprozesse dienlich ist.
Diskussion
Feldforschungen finden eine wachsende Anwendung im Bereich der technischen Entwicklung, um die Bedienbarkeit und Akzeptanz der Gerätschaften im „natürlichen“ Setting zu ermitteln. In der Telemedizin – und speziell im Bereich mHealth – stellt dies jedoch noch eine Seltenheit dar. Ob sie gegenüber anderen methodischen Vorgehensweisen bei Zugang, Auswertung und Repräsentativität einen Vorteil bietet, wird sich zeigen.
Praktische Implikationen
Mit dem dargelegten Vorgehen sollen Personen erreicht werden, die in Studien zu mHealth-Interventionen unterrepräsentiert sind sowie eine niedrigschwellige Möglichkeit zur Gewinnung von für die Entwicklung verwertbaren Ergebnissen bieten. Im Rahmen des Kongresses soll das gewählte methodische Vorgehen vorgestellt und Erfahrungswerte sowie Nutzen diskutiert werden.
Hintergrund: Psychische Störungen sind in der Hausarztpraxis sehr häufig und treten oft in Kombination mit chronisch-körperlichen Erkrankungen auf. Bekannt ist, dass sie jedoch häufig übersehen werden bzw. dass, sofern sie erkannt werden, unter anderem Vermittlungsschwierigkeiten beim Übergang in spezialisierte psychosomatisch-psychotherapeutische Versorgung auftreten. Die im Rahmen des Aktionsplans Versorgungsforschung geförderte BMBF-Nachwuchsgruppe PROVIDE (www.provide-project.de; DRKS-ID: 00012487) hat daher zum Ziel, die psychosoziale Versorgung von Patienten mit depressiven und/oder Angststörungen in der Hausarztpraxis zu verbessern. Untersuchungen haben gezeigt, dass an dieser Stelle integrierte Versorgungsmodelle, die Psychotherapeuten und Hausärzte zusammenbringen, zur Überwindung solcher Probleme beitragen können. In PROVIDE werden Videokonsultationen, die durch Psychotherapeuten durchgeführt werden, bei in der Hausarztpraxis vorstelligen Patienten mit depressiven und Angststörungen eingesetzt. Diese Konsultationen beinhalten v. a. Diagnostik und Behandlungsplanung sowie Krisenintervention oder ggf. Kurzzeitpsychotherapie.
Ziel der Studie: Es soll ein integriertes psychosoziales Versorgungsmodell in der Hausarztpraxis auf Machbarkeit unter Studienbedingungen geprüft werden, bei dem ein Teil der Patienten mit depressiven und Angststörungen zeitlich begrenzt Videokonsultationen mit Psychotherapeuten erhält.
Studiendesign und -durchführung: Es handelt sich um eine individuell randomisiert-kontrollierte Machbarkeitsstudie zur Vorbereitung einer größeren randomisiert-kontrollierten pragmatischen Effectiveness-Studie mit Symptomlast als primärem Endpunkt (Depressivität/Ängstlichkeit). Da in der Pilotstudie die Prüfung der Machbarkeit im Vordergrund steht, handelt es sich um eine deskriptive Studie ohne Hypothesentestung. Hauptzielkriterium ist die Machbarkeit und Akzeptanz unter Studienbedingungen. Auch werden negative Effekte der Intervention systematisch erfasst. Zur Prozessevaluation werden sowohl Fragebogeninstrumente als auch qualitative Interviews eingesetzt. Die Auswertung erfolgt für die quantitativen Daten weitgehend deskriptiv, für die qualitativen Daten per softwaregestützter Inhaltsanalyse.
Ergebnisse: Zur Zeit der Abstracteinreichung waren die Rekrutierung und Datenerhebung noch nicht abgeschlossen. Die Durchführung erschien jedoch unter logistischen und technischen Gesichtspunkten machbar, da bereits ein Drittel der geplanten Fallzahl rekrutiert werden konnte. Zum DKVF 2019 sind weiterführende Ergebnisse (Rekrutierungsverlauf, erste deskriptive Ergebniss zu Outcomedaten) erwartbar.
Ausblick: Im Anschluss an diese Machbarkeitsstudie beinhaltet die dritte Phase des PROVIDE-Projekts die Durchführung einer großen, regional angesiedelten cluster-randomisierten Studie im Hinblick auf den Transfer des vorgeschlagenen Versorgungsmodells in die Routineversorgung.
Mit der aktuellen Veröffentlichung des DNVF-Memorandum III – Methoden für die Versorgungs-forschung, Teil 4 – Konzept und Methoden der organisationsbezogenen Versorgungsforschung - wird die Bedeutung dieses in der Versorgungforschung in Deutschland noch vergleichsweise neuen Forschungsbereiches unterstrichen und in der Zukunft ist ein weiterer Bedeutungsgewinn zu erwarten. Somit greift diese Session die verschiedenen Aspekte der professionellen Interaktion zwischen Leistungserbringern auf. Drei Vorträge werden sich detailliert mit der Organisation der Mitarbeiterführung befassen. Zudem wird in der Session den Fragen nachgegangen wie verschiedene Organisationen mit personellen Ressourcen umgehen und wie multimodale Intervention zur Reduktion psychischer Belastungen eingesetzt werden können.
Hintergrund
Auch im Gesundheitsbereich mangelt es seit vielen Jahren an qualifizierten Arbeitskräften. Zusätzlich wird ein Trend zu erhöhten Fehlzeiten und einer Zunahme der Arbeitsunfähigkeit dokumentiert. Im Kontext Arbeitsumfeld und Gesundheit werden neben physischen Faktoren zunehmend psychische Belastungen berücksichtigt. In der Literatur werden zahlreiche psychische Belastungsfaktoren identifiziert, die für die psychische Gesundheit besonders relevant sind (z. B. Arbeitsintensität, Arbeitszeiten, Führungsstil).
KMU (nach EU-Definition < 250 Beschäftigte) stellen in Deutschland einen bedeutenden Anteil an Arbeitsplätzen. Dabei verfügen KMU häufig über begrenzte finanzielle und personelle Ressourcen, um potentielle arbeitsbedingte Belastungsfaktoren zu vermeiden oder darauf zu reagieren. Hausarztpraxen sind etablierte Kleinstunternehmen mit erheblicher sozioökonomischer und politischer Bedeutung. Dabei zeigen Studien zu Stressbelastungen in Hausarztpraxen ein überdurchschnittliches Stressempfinden von Ärzten, Ärztinnen und Medizinischen Fachangestellten (MFA). Stellvertretend für KMU werden daher im Rahmen dieser Studie Führungsaspekte und psychische Belastungsfaktoren in Hausarztpraxen untersucht.
Es werden führungsbezogene Aspekte zum Themenfeld Arbeitsorganisation (Arbeitszeit) und Arbeitsumgebung (Arbeitsplatzgestaltung/Rückzugsmöglichkeiten) vorgestellt. Dabei werden potentielle Belastungen ausgewählt, die sich auf weitere KMU außerhalb des Gesundheitsbereiches übertragen lassen.
Die Daten der vorliegenden Studie wurden im Rahmen des vom BMBF-geförderten Verbundvorhabens IMPROVEjob (FKZ: 01GL1751A) erhoben.
Fragestellung
Wie gestalten Führungskräfte Pausenregelungen und Dienstzeiten in KMU und wodurch können dabei Fehlbelastungen resultieren?
Methode (inkl. Studiendesign, Datenerhebung und –auswertung)
Mittels eines ethnographischen Forschungsdesigns werden spezifische Belastungen in KMU erforscht, die zu psychischen Beanspruchungen führen. Die Datenerhebung erfolgte zwischen Februar und Mai 2018 in fünf Hausarztpraxen, indem teilnehmende Beobachtungen an jeweils fünf Arbeitstagen durch zwei Forscherinnen durchgeführt wurden. Im Laufe der Beobachtungswochen fanden zusätzlich Einzelinterviews mit Führungskräften sowie Fokusgruppendiskussionen mit Angestellten statt. Die Methodenkombination bietet eine umfassende Sicht auf Arbeitskontexte, Arbeitsbedingungen und Prozesse innerhalb der KMU aus sich gegenseitig ergänzenden Perspektiven.
Die Beobachtungsprotokolle und Transkripte werden gemäß der Grounded Theory im interdisziplinären Team analysiert. Die Analysen werden bis zur Tagung abgeschlossen sein, so dass detaillierte Ergebnisse vorliegen werden.
Ergebnisse
Die Analyse fokussiert insbesondere auf Belastungsfaktoren, die in Hausarztpraxen beobachtet oder geäußert wurden, aber branchenübergreifend relevant sein können. Im Datenmaterial werden u. a. Personalführung und Gestaltung von Dienstzeiten als potentielle Belastungen genannt. Es zeigt sich, dass Hausärzte/Hausärztinnen Führungsverhalten nicht im Rahmen der Ausbildung, sondern erst in der praktischen Anwendung erlernen. Unternehmensaspekte werden seitens der Führungskräfte mitunter als herausfordernd wahrgenommen. Aufgrund des methodenpluralen Zugangs wurden darüber hinaus auch unbewusste oder zumindest nicht artikulierte Führungsaspekte sichtbar, die ebenfalls das Stressempfinden – sowohl von Führungskräften als auch von Angestellten – erhöhen können. Dazu gehört u. a. die Pausenkultur eines Unternehmens. Dabei ist es z. B. relevant, inwiefern die räumliche und zeitliche Gestaltung von Pausen durch die Führungskraft ermöglicht, organisiert und vorgelebt wird. Haben Führungskräfte und Angestellte einen ausgewiesenen Pausenraum zur Verfügung? Können Pausen während der Dienstzeit planmäßig oder nach individuellem Bedarf in Anspruch genommen werden? Diese und weitere Fragen werden im Beitrag verfolgt. In ähnlicher Weise soll die Aufbereitung zur Dienstzeitgestaltung erfolgen.
Diskussion
Anhand der ausgewählten Beispiele aus dem Datenmaterial wird der Mehrwert der Methodentriangulation deutlich. Die Ergebnisse einzelner Methoden ergänzen sich insbesondere hinsichtlich bewusster und unbewusster Belastungen, die artikuliert oder beobachtet wurden.
Vor dem Hintergrund bestehender Modelle zu psychischen Belastungen und Arbeitszufriedenheit (z. B. Arbeitsplatzgestaltung, Arbeitszeit), werden die Ergebnisse bezüglich ihrer Übertragbarkeit auf weitere KMU diskutiert.
Praktische Implikation
Die Ergebnisse dienen der Vorbereitung für eine empirische Anschlussstudie zu Prozessen und Faktoren psychischer Belastungen in weiteren KMU anderer Branchen. Diese empirische Studie wird die Prüfung von Transferoptionen für die derzeitig zu entwickelnde multimodalen Intervention des Forschungsverbundes in andere KMU unterstützen und ergänzen.
Der Beitrag wird von den Autorinnen und Autoren stellvertretend für den Forschungsverbund IMPROVEjob präsentiert.
Hintergrund: Psychische Fehlbelastungen sind für Betriebe und die Gesellschaft mit gravierenden Konsequenzen verbunden, u.a. aufgrund der gesundheitlichen Folgen und der damit verbundenen krankheitsbedingten Folgekosten (EU-OSHA 2014). In der Arbeitswelt soll die Gesundheit der Beschäftigten u.a. durch das Arbeitsschutzgesetz gewährleistet werden. Detaillierte Studien zur Umsetzungspraxis des gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitsschutzes sind allerdings rar. Dabei obliegt die Initiierung und Organisation des Arbeitsschutzes in erster Linie den Arbeitgebern und Führungskräften. Führungskräfte sind in zweifacher Weise betroffen. Sie sind einerseits selbst den (psychischen) Belastungen in ihrem Betrieb ausgesetzt, andererseits sind sie hauptverantwortlich für die Einhaltung des Arbeitsschutzes, einschließlich der Prävention psychischer Belastungen. Gleichermaßen kann ihr Führungsstil positive oder negative Folgen für die Gesundheit der Mitarbeitenden haben. Bislang werden im Arbeitsschutz psychische Belastungen häufig nur unzureichend berücksichtigt. Analysen zeigen, dass im Vergleich zu klassischen physischen Gefährdungsfaktoren psychische Faktoren hier nach wie vor eine untergeordnete Rolle spielen (Lenhardt und Beck 2016; Leitao & Greiner 2017). Das Ziel dieser Studie ist eine Bestandsaufnahme, wie Führungskräfte ihre Verantwortung im Arbeitsschutz wahrnehmen und dieser nachkommen.
Fragestellungen: Wie kommen Führungskräfte ihrer Verantwortung im Arbeits-schutz nach? Wie können Führungskräfte in ihrer Verantwortung gestärkt werden?
Methode: Die Fragestellungen sollen mit Hilfe eines systematischen Literaturreviews beantwortet werden. Die Literaturrecherche findet in ausgewählten Datenbanken (Medline, Cochrane Database, PsycInfo, Business Source Premium) statt und wird durch Handsuche in ausgewählten deutschsprachigen Fachzeitschriften sowie Veröffentlichungen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) und der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) ergänzt. Der Aufbau des Suchstrings orientiert sich am PEO-Schema. Das Studienscreening und die -bewertung finden nach dem Vier-Augen-Prinzip statt. Es werden sowohl quantitative Studien als auch qualitative Studien eingeschlossen.
Ergebnisse: Aktuell wird die systematische Suche durchgeführt, sodass im Oktober die Ergebnisse des systematischen Reviews vorliegen werden.
Diskussion und Schlussfolgerungen: Neben den Ergebnisse werden auch der methodische Zugang und die Übertragbarkeit in die Praxis diskutiert. Der Praxisbezug des Reviews ist durch die Einbettung in den vom BMBF geförderten transdisziplinären Forschungsverbund IMPROVEjob gegeben. Ziel des Projektes ist die Entwicklung einer Intervention zur Prävention psychischer Belastungen von Beschäftigten in KMU. Die Ergebnisse des Reviews werden mit den Erkenntnissen des Projekts zusammengeführt um praktische Implikationen ableiten zu können.
Praktische Implikationen: Der Schwerpunkt des Arbeitsschutzgesetzes liegt auf der Verhältnisprävention, die auf Veränderung von Arbeitsbedingungen abzielt (§4 ArbSchG) und für dessen Umsetzung die Einbindung der Führungskräfte unerlässlich ist. Deshalb liegt der Fokus dieser Studie darauf, die Rolle von Führungskräften für den Arbeitsschutz - und hier insbesondere mit Blick auf die psychosozialen Belastungen - besser zu verstehen und Interventionsinhalte zur Stärkung der Führungsverantwortung abzuleiten. Maßnahmen zur Verbesserung sollten nicht nur betriebliche Strukturen in den Blick nehmen, sondern auch die Möglichkeiten und Handlungsfähigkeit von Führungskräften stärken. Daraus soll eine verbesserte Verhältnisprävention am Arbeitsplatz entstehen.
Der Beitrag wird von den Autorinnen stellvertretend für den Forschungsverbund IMPROVEjob präsentiert.
Literatur
EU-OSHA – European Agency for Safety and Health at Work (2014) Calculating the cost of work-related stress and psychosocial risks – European Risk Observatory Literature Review. Publications Office of the European Union, Luxembourg
Leitão S, Greiner, BA (2017) Psychosocial, Health Promotion and Safety Culture management–Are Health and Safety Practitioners involved? Safety science 91:84-92.
Lenhardt U, Beck D (2016) Prevalence and quality of workplace risk assessments – findings from a representative company survey in Germany. Safety Science 86:48-56.
Hintergrund
Eine Studie unter deutschen Hausärzten/innen und Medizinischen Fachangestellten (MFA) beschrieb den Anteil an Personen, die eine hohe chronische Stressbelastung angaben, in diesen Berufsgruppen als doppelt so hoch wie in der Allgemeinbevölkerung Deutschlands (Viehmann et al., 2017). Hierbei waren besonders weibliche Beschäftige von hohem chronischem Stress betroffen. In Hausarztpraxen wirken die Herausforderungen des Gesundheitssystems (u.a. demographischer Wandel, Multimorbidität, Migration und Innovation wie eHealth) besonders stark.
Ziel des BMBF-geförderten Verbundvorhabens IMPROVEjob ist die partizipative Entwicklung eines neuartigen multimodalen Ansatzes zur Verhältnis- und Verhaltensprävention psychischer Belastungen am Arbeitsplatz Hausarztpraxis.
Fragestellung
Untersuchung der Machbarkeit (Relevanz, Akzeptanz, Umsetzungsbereitschaft, Implementierung) einer neuartigen multimodalen Intervention zur Reduktion psychischer Belastungen von Hausarztpraxisteams
Methode
Ein interdisziplinäres Forscherteam entwickelt partizipativ, d.h. in regelmäßigem Austausch mit der Zielgruppe, eine neuartige, multimodale Intervention aus drei Komponenten:
1) Präsenzworkshops für Hausärzte/innen und MFA zu den Themenschwerpunkten Führung, Kommunikation, Arbeitsabläufe und Arbeitsschutz. Der Workshop zum Thema Führung richtet sich ausschließlich an Führungskräfte, während die anderen Workshops von Ärzten und MFA besucht werden.
2) Unterstützende Materialien für die Teilnehmer.
3) Persönliche Begleitung der teilnehmenden Praxen durch sogenannte IMPROVEjob-Unterstützer. Diese Unterstützer stehen nach den Präsenzworkshops in regelmäßigem Kontakt mit den teilnehmenden Praxen.
Im Rahmen einer Machbarkeitsstudie werden im Sommer 2019 insgesamt 6 Hausarztpraxen im Großraum Bonn an der Intervention teilnehmen. Unmittelbar nach den Workshops und im Zeitraum von drei Monaten werden alle Teilnehmenden regelmäßig zu ihren Erfahrungen hinsichtlich Relevanz und Umsetzbarkeit der Intervention befragt (formative Evaluation). Auch soll eine summative Evaluation verschiedener Parameter (z.B. Veränderung in der Arbeitszufriedenheit) durchgeführt werden.
Ergebnisse
Basierend auf den Ergebnissen der summativen und formativen Evaluation findet ggf. eine Anpassung der Intervention statt, sodass die Intervention im weiteren Projektverlauf im Rahmen einer Cluster-randomisierten kontrollierten Studie auf ihre Wirksamkeit hin überprüft werden soll (summative Evaluation).
Erste Erfahrungen aus der Machbarkeitsstudie werden bis zum Kongress vorliegen.
Diskussion
Die Besonderheit der IMPROVEjob-Studie ist die partizipative Interventionsentwicklung, bei der ein Forschungsbegleitkreis aus Hausärzten und MFA die Wissenschaftler fortlaufend praxisorientiert zur Relevanz und Realisierbarkeit der vorgeschlagenen Interventionsinhalte berät.
Praktische Implikationen
Das übergeordnete Ziel des IMPROVEjob Projekts ist die Dissemination einer auf ihre Wirksamkeit hin überprüfte multimodale Intervention in weitere Hausarztpraxen. Außerdem soll die Übertragbarkeit der Interventionsinhalte auf andere kleine und mittlere Unternehmen überprüft werden.
Hintergrund
Emotionale Erschöpfung bei examinierten Pflegefachpersonen ist häufig und kann sowohl zu negativen Patientenergebnissen als auch Unzufriedenheit mit der Arbeitsstelle führen, was zu einem vorzeitigen Berufsausstieg beitragen kann. Der Berufsausstieg führt zu einem Verlust von Fachwissen und Erfahrung und hat damit Auswirkungen sowohl auf die Versorgungsqualität, aber auch Kosten durch einen immer wiederkehrenden Aufwand bei der Rekrutierung von Pflegefachpersonal. Strukturelle Faktoren wie die Personalausstattung, aber auch die psychosoziale Arbeitsumgebung wie die Führungsqualität der Vorgesetzten, beeinflussen das Ausmaß an emotionaler Erschöpfung. Bisher haben wenige Studien das Zusammenspiel von Personalausstattung, Führungsqualität und Personalergebnissen, wie die emotionale Erschöpfung, untersucht. Gerade aus Sicht des Pflegemanagements stellt sich die Frage, ob und wie weit Führungsqualität oder Personalausstattung für Defizite des jeweils anderen Faktors substituieren kann, um die emotionale Erschöpfung der Pflegenden zu kontrollieren.
Forschungsfrage
Wie hängen die Führungsqualität von Vorgesetzten und die pflegerische Personalausstattung mit dem Ausmaß an emotionaler Erschöpfung bei examinierten Pflegefachpersonen zusammen.
Methode
Querschnittsanalyse der multizentrischen MatchRN (Matching Registered Nurse Services with Changing Care Demands)-Studie. Es wurden 2,408 examinierte Pflegefachpersonen von 158 Abteilungen aus 26 Krankenhäuser aller Sprachregionen der Schweiz in die Analyse eingeschlossen. Die Fragebogenerhebung fand 2018 statt. Die emotionale Erschöpfung wurde mit neun Items des Maslach Burnout Inventory gemessen. Die Führungsqualität (vier Items der Practice Environment Scale of the Nursing Work Index) wurde auf der Abteilungsebene aggregiert. Die Personalausstattung wurde durch empirical Bayes unter Berücksichtigung des Fachbereiches (z.B. Chirurgie, Medizin), der Patientenmerkmale (z.B. Pflegebedürftigkeit und Bedarf an stündlicher Überwachung) und des Schichttyps (früh, spät, nacht) mit einem generalisierten linearen gemischten Modell (GLMM) geschätzt. Für die Zusammenhangsanalyse wurde ein lineares Modell mit festen und zufälligen Effekten für den Schnittpunkt und die Steigung berechnet.
Ergebnisse
Das Durchschnittsalter der examinierten Pflegefachpersonen lag bei 36 Jahren und 89 % waren Frauen mit einer durchschnittlichen Berufserfahrung von 12,3 Jahren. Die Führungsqualität auf Abteilungsebene lag bei 3,1 (Minimalwert 2,3, Maximalwert 3,7) auf einer 4-Punkte-Likert-Skala (1 = stimme nicht zu, 4 = stimme zu). Die emotionale Erschöpfung auf individueller Ebene betrug 1,6 (SD 1,1) auf einer 7-Punkte-Likert-Skala (1 = nie, 7 = täglich). In diesem Modell wurden Führungsqualität (b = -0,66 [-0,47-0,85]), Personalausstattung (b = 1,09 [0,14-2,05]) und eine Interaktionswirkung von Personalausstattung und Führungsqualität (b = -5,92 [-2,64-9,20]) mit emotionaler Erschöpfung assoziiert.
Diskussion
Der Interaktionseffekt zeigt, dass mit hoher Führungsqualität und besserer Personalausstattung die emotionale Erschöpfung abnimmt. Bei geringer Führungsqualität steigt die emotionale Erschöpfung selbst bei besserer Personalausstattung. Die Ergebnisse sind für das Pflegemanagement und die Gesundheitspolitik von hoher Relevanz. Um das Ausmaß an emotionaler Erschöpfung bei Pflegenden wirksam zu reduzieren, ist neben einer angemessenen Personalausstattung, die Führungsqualität der Vorgesetzten unerlässlich.
Keiner der beiden Faktoren alleine scheint das Ausmaß an emotionaler Erschöpfung zu reduzieren bzw. bei keinem Faktor alleine ist der Zusammenhang deutlich reduziert. Das Zusammenspiel beider Faktoren sollte bei der Entwicklung und Implementierung von entsprechenden Maßnahmen berücksichtigt werden. Ob es der gezielte Aufbau der Führungskompetenz von Vorgesetzten oder das Einführen von verbindlichen Personalschlüsseln ist, die einseitige Fokussierung auf einen der beiden Faktoren scheint das Ausmaß an emotionaler Erschöpfung weniger effektiv zu reduzieren.
Schlussfolgerung
Eine bessere Personalausstattung alleine ist wahrscheinlich keine effektive Maßnahme, um die emotionale Erschöpfung bei examinierten Pflegefachpersonen zu reduzieren. Nur im Zusammenspiel mit hoher Führungsqualität lässt sich das Ausmaß an emotionaler Erschöpfung reduzieren. Darüber hinaus zeigen die Ergebnisse, dass Führungsqualität und Personalausstattung in der Forschung emotionaler Erschöpfung oder anderen stressbedingten Gesundheitsprobleme berücksichtigt werden sollten. Auch wenn das Design der Studie keine klare Zuordnung von Ursachen und Effekten zulässt, zeigt die Studie mögliche Ansatzpunkte, um entsprechende Interventionstrategien zu entwickeln.
Hintergrund: Der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen führt zu vermehrter Personalknappheit in Versorgungsorganisationen. Die Resource-Dependency-Theory geht davon aus, dass (Versorgungs-) Organisationen in Zeiten knapper Ressourcen und hoher Unsicherheit in der Organisationsumwelt dazu streben, Ressourcen zu erhalten, dazuzugewinnen und den Verlust von Ressourcen zu verhindern (Yeager et al. 2014). Danach richte die Organisation ihre Entscheidungen aus. Der Umgang von Versorgungsorganisationen mit der allgegenwärtigen Knappheit personeller Ressourcen sowie Unterschiede nach Organisationstyp sind in der Versorgungsforschung bisher wenig behandelt worden. Die Erforschung des Einflusses der Organisationsumwelt auf Versorgungsorganisationen kann dazu beitragen, Strategien zum Umgang mit Ressourcenknappheit zu verstehen und daraus zu lernen. Die OrgValue-Studie untersucht diese und weitere Zusammenhänge in Versorgungsorganisationen der Stadt Köln.
Fragestellung: Inwiefern sind Versorgungsorganisationen unterschiedlicher Typen durch Einflüsse in der Organisationsumwelt - insbesondere knappe personelle Ressourcen - belastet?
Methode: In einer Querschnittstudie wurden Entscheidungsträger*innen in Versorgungsorganisationen der Stadt Köln postalisch mit einem standardisierten Fragebogen befragt. Von n=1790 Versorgungsorganisationen sendeten n=236 einen ausgefüllten Fragebogen zurück (13%). Die Befragung umfasste Instrumente zur Erhebung von Förderfaktoren und Barrieren der Implementierung von Patientenorientierung und Ressourcenorientierung in Versorgungsorganisationen. Zur Beantwortung der Fragestellung wurden Angaben zum Umgang mit personellen Ressourcen stratifiziert nach Organisationstyp deskriptiv ausgewertet, um Unterschiede zwischen den Organisationstypen untersuchen zu können.
Ergebnisse: Die befragten Organisationen umfassen n=19 stationäre Pflegeeinrichtungen & Hospize (8,1%), n=14 Krankenhäuser (5,9%), 6 Rehabilitationseinrichtungen (2,5%), n=79 Haus- und Facharztpraxen (33,5%), n=22 ambulante Pflegedienste & Hospizdienste (9,3%) und n=96 therapeutische Einrichtungen (40,7%). Insgesamt geben etwa 50% der Organisationen an, Kapazität für die Aufnahme neuer Patienten zu besitzen. Diese Kapazität wird von stationäre Pflegeeinrichtungen & Hospizen sowie therapeutischen Einrichtungen (z.B. Psychotherapiepraxen) als deutlich geringer eingeschätzt als von Krankenhäusern und Rehabilitationseinrichtungen. Insgesamt fühlen sich die Versorgungsorganisationen mäßig bis sehr stark unter Druck in Bezug auf Personalgewinnung, Wirtschaftlichkeit, Zeitdruck und Dokumentationsaufgaben, während der Veränderungsdruck durch starken Wettbewerb als weniger belastend wahrgenommen wird. Die stärkste Belastung durch Probleme bei der Personalgewinnung nehmen stationäre und ambulante Pflegeeinrichtungen sowie Krankenhäuser wahr. Diese drei Organisationstypen fühlen sich auch insgesamt am stärksten durch die genannten äußeren Einflüsse belastet. Zudem geben 85% der Krankenhäuser und 68% der stationären Pflegeeinrichtungen & Hospize an, in den letzten 12 Monaten Fremdpersonal eingesetzt zu haben (z.B. Honorarkräfte, Leiharbeiter); für die anderen Organisationstypen trifft dies nur auf 9-23% zu. Daneben lagern 92% der Krankenhäuser und 72% der stationären Pflegeeinrichtungen & Hospize Leistungen ihrer Organisation aus (Outsourcing) gegenüber 12-33% bei den übrigen Organisationstypen.
Diskussion: Entscheidungsträger*innen von Versorgungsorganisation in der Stadt Köln berichten insgesamt über einen hohen Druck auf die Organisation durch äußere Einflüsse, die je nach Organisationstyp stark variieren. Neben der Personalgewinnung stellen der Dokumentations- sowie Zeitdruck die zentralen Belastungen dar. Der Druck Ressourcen aufrecht zu erhalten (z.B. schwarze Zahlen schreiben) und neue Ressourcen dazuzugewinnen (z.B. Personal zu gewinnen) scheint für Versorgungsorganisationen eine kontinuierliche Herausforderung zu sein. Größere stationäre Einrichtungen versuchen die Personalknappheit vermehrt durch den Einsatz von Fremdpersonal und Outsourcing zu bewältigen, was für kleinere Versorgungsorganisationen wie Arztpraxen keine praktizierte Bewältigungsstrategie zu sein scheint. Limitationen der Erhebung ergeben sich aus der geringen Rücklaufquote sowie der Begrenzung auf das Kölner Stadtgebiet.
Praktische Implikationen: Die Ergebnisse unterstützen die Relevanz gesundheitspolitischer Maßnahmen zur Eingrenzung des Fachkräftemangels im Gesundheitswesen. Sie machen auch deutlich, dass Versorgungsorganisationen unterschiedlichen Typs unterschiedliche Belastungen erleben, die vermutlich spezifischer organisationaler und politischer Bewältigungsstrategien bedürfen.
Yeager V et al. Using resource dependency theory to measure the environment in health care organizational studies. A systematic review of the literature. Health care management review, 2014, 39 (1), S. 50–65.
Für Patient*innen empfohlen.
Unter Gesundheitskompetenz wird die Fähigkeit verstanden, Informationen zur eigenen Gesundheit zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und anzuwenden, um im Alltag angemessene Entscheidungen zur Gesundheit treffen zu können. Ziel der Session ist es, einen präventiven Blick auf die Gesundheitskompetenz zu werfen und anhand von verschiedenen Beispielen Ansätze zu vermitteln, wie Gesundheitskompetenz konkret gefördert werden kann. Neben Themen zu Patientenschulung und Lehrpraxis im Zusammenhang mit der Gesundheitskompetenz werden Erkenntnisse konkreter Forschungsprogramme vorgestellt und deren Praxis- und Versorgungsrelevanz diskutiert.
Hintergrund
Die Gesundheitskompetenz (GK) ist – wie vorliegende Studien in großen Teilen der Bevölkerung zeigen – in den deutschsprachigen Ländern (D-A-CH) eher gering ausgeprägt. Der Stärkung der Gesundheitskompetenz kommt daher eine zunehmend hohe Bedeutung zu – dies wird u. a. im deutschen Nationalen Aktionsplan (NAP) betont. Health Professionals (HP) wird eine Schlüsselfunktion zugeschrieben, um die GK von Nutzer/-innen und ihren Angehörigen zu stärken. Das Thema GK sollte daher in Aus-, Fort- und Weiterbildung von HP verankert werden. Nach dem Kenntnisstand der Autorinnen existiert bislang kein Gesundheitskompetenz Curriculum für alle Health Professionals im deutschsprachigen Raum.
Ziel der Careum Stiftung ist es, ein solches Mustercurriculum GK (MC-GK) zu erarbeiten.
Fragestellung
In einem ersten Schritt haben die Autorinnen mit Hilfe von vier Kriterien einen Bezugsrahmen erstellt. Dazu wurden entsprechende Leitfragen formuliert:
• Welche Zielgruppen soll das MC-GK adressieren?
• Welche Themen sollen vermittelt werden?
• Welche Kompetenzen soll das MC-GK abdecken?
• Welche Didaktik ist für die Vermittlung geeignet?
Material und Methode
Mittels explorativer Literaturrecherche in MEDLINE, CINAHL und Embase wurden Publikationen identifiziert und die Ausprägungen der Kriterien in den enthaltenen Konzepten inhaltsanalytisch gemappt.
Die Ergebnisse werden mittels Befragung mit www.mentimeter.com mit den Experten und Expertinnen auf dem Deutschen Kongress für Versorgungsforschung reflektiert und im Sinne einer externen Evaluation diskutiert.
Ergebnisse
Die Resultate werden anhand der vier Kriterien 1) Zielgruppen, 2) Themen, 3) Kompetenzen und 4) Didaktik vorgestellt und interaktiv erörtert.
Diskussion
Im Rahmen des Beitrags werden damit erste Vorarbeiten zur Erarbeitung eines MC-GK präsentiert und grundlegende Überlegungen und Inhalte für die weitere Umsetzung konkretisiert. Die Rolle der HP’s als Vorreiter für die Förderung der Gesundheitskompetenz soll dadurch gestärkt und geschärft werden.
Praktische Implikationen
HP sind wichtige Kommunikations- und Vermittlungsinstanz gesundheitsbezogener Informationen. Ein deutschsprachiges MC soll helfen die GK der HP als Multiplikatoren für die Patienten zu fördern. Zudem soll die didaktische Anlage des MC-GK grundlegende lern- und denkstrategische Skills wie beispielsweise kritisches Denken aufbauen.
Hintergrund: Die Inanspruchnahme von Verfahren der Komplementärmedizin (KM) ist bei Krebspatienten mit einer durchschnittlichen Rate von ca. 40 % weit verbreitet (Horneber, 2012). Die Verfügbarkeit von zuverlässigen Informationen zu KM wird dabei seitens der Krebspatienten häufig als unbefriedigend empfunden (Verhoef et al., 2009). Eine entsprechende Beratung im Rahmen der ärztlichen Konsultation wird bevorzugt, findet jedoch selten statt (Weis, Gschwendtner, 2018). Krebsselbsthilfegruppen bieten neben der psychosozialen Unterstützung auch die Möglichkeit, Informationen zu KM auszutauschen und sich durch die Erfahrungen Gleichbetroffener Orientierungshilfen zu holen. Bisher ist jedoch wenig bekannt, in welcher Form und Qualität dieser Austausch in den Selbsthilfegruppen (SHGs) erfolgt.
Fragestellung: Das Ziel der vorliegenden Studie war es, die in einem Vor-Projekt entwickelte Schulung von SHG-Leitern (GL) zur Diskussion und Vermittlung der Thematik KM qualitätsgesichert in den SHGs umzusetzen. Die inhaltlichen Schwerpunkte der Schulung sind die Förderung des offenen Austauschs zu KM, die Vermittlung seriöser Quellen zur KM und die Sensibilisierung für potentiell unseriöse Angebote.
Methode: Es handelt sich um eine multizentrische explorative Implementationsstudie mit zwei Messzeitpunkten, die im Rahmen des Verbundprojekts KOKON (Kompetenznetz Komplementärmedizin in der Onkologie, Förderprojekt der Deutschen Krebshilfe) durchgeführt wird. Das Schulungskonzept bestehend aus vier Modulen wurde in Kooperation mit Vertretern vier großer Selbsthilfeverbände und verschiedenen Gesundheitsexperten (Mediziner mit Expertise in KM, Psychoonkologe, Sozialarbeiter) in einer Pilotphase entwickelt. Dabei werden GL durch die Forschungsgruppe geschult mit dem Ziel, die Schulung in ihren SHGs umzusetzen. Die Evaluation des Schulungskonzepts erfolgt durch schriftliche Befragungen zu zwei Messzeitpunkten unmittelbar im Anschluss an die Durchführung der Schulung in der SHG (T1) sowie in einer follow-up-Untersuchung nach sechs Monaten (T2). Die Evaluationskriterien beinhalten die Auswahl und Verständlichkeit der Inhalte, Gruppenatmosphäre, Gestaltung der Schulungsmaterialien, Möglichkeit des Erfahrungsaustauschs (T1) sowie die Nutzung der empfohlenen Informationsquellen und eine Änderung der Einstellung gegenüber KM (T2). Die vorgestellten Ergebnisse basieren auf der Evaluation zum Zeitpunkt T1.
Ergebnisse: Von 577 geschulten Selbsthilfe-Gruppenleitern haben N = 53 (64,2 Jahre alt, SD = 9,5; weibl.: 51,9 %; FSH = 53,8 %, BPS = 26,9 %, ILCO = 19,2 %) die Schulung in ihren SHGs umgesetzt und insgesamt 386 Teilnehmer (TN) geschult (65,6 J., SD = 11, 0; weibl.: 69,0 %). Hinderungsgründe für die Durchführung in der eigenen Gruppe aus Sicht der geschulten GL waren beispielsweise das hohe Durchschnittsalter und das als zu gering eingeschätzte Interesse der SHG-Mitglieder, die eigene Unerfahrenheit in der Durchführung von Schulungen sowie organisationale Probleme. Die GL fühlten sich sicher in der Moderation der Schulung und beurteilten die Unterstützung durch die bereitgestellten Schulungsmaterialien, das TN-Interesse und die Gruppenatmosphäre als gut. Die Hälfte der TN nutzen KM, wobei sich 84,3 % aller TN auch in der SHG darüber informieren. Die Zufriedenheit mit den einzelnen Modulen war insgesamt hoch. Der Nutzen der vermittelten Inhalte für die eigene Situation wurde im Durchschnitt mit „gut“ bewertet (Schulnotenskala „sehr gut“ – „ungenügend“), 92,7 % der TN würden die Schulung weiterempfehlen.
Diskussion: Nach Kenntnisstand der Autoren ist es das erste Mal, dass ein Informationsangebot zum Umgang mit KM für Selbsthilfegruppen implementiert und evaluiert wurde. Die Evaluation der Schulung zeigte bei GL und TN eine hohe Zufriedenheit mit der Auswahl und der Verständlichkeit der Inhalte.
Praktische Implikationen: Unsere Ergebnisse zeigen, dass eine Schulung zum Thema KM über trainierte Gruppenleiter ein geeignetes Format in Ergänzung zur ärztlichen Beratung zum Umgang mit KM darstellen kann. Zugleich ergeben sich Hinweise, dass sich ein Teil der GL in der Umsetzung der Schulung in den SHGs überfordert fühlt. Nach Einbeziehung der Daten zur Evaluation der Nachhaltigkeit (Messzeitpunkt T2) wird das Schulungskonzept abschließend bewertet werden können.
Literatur
Horneber, M., Bueschel, G., Dennert, G., Less, D., Ritter, E., Zwahlen, M. (2012): How Many Cancer Patients Use Complementary and Alternative Medicine: A Systematic Review and Metaanalysis. Integr. Cancer Ther., 11. 187–203.
Verhoef, M.J., Trojan, L., Armitage, G.D., Carlson, L., Hilsden R.J. (2009). Complementary therapies for cancer patients: assessing information use and needs. Chronic Can, 29. 80 - 88.
Weis, J., Gschwendtner, K. (2018): Welche Informationsbedürfnisse haben Menschen mit Krebs? In: Kompetenznetzwerk Komplementärmedizin in der Onkologie KOKON (Hrsg.). Ergebnisse der ersten Förderphase (2012-2015). September 2018. 7-15.
Background: Heart failure (HF) is a clinical and public health issue associated with morbidity, mortality and increased healthcare expenditure. Although international guidelines recommend on-going self-care as part of routine HF management, and despite evidence supporting positive outcomes related to self-care, patients are frequently unable to adhere to self-care behaviour recommendations. Current interventions aiming to improve self-care have shown inconsistent results, because of a lack of underlying theoretical models. This precludes identification of underlying causal mechanisms, and lacks a detailed description of the active ingredient(s) driving the intervention. Thus, a detailed intervention manual to designing evidence-based behaviour change interventions (BCIs) could serve to improve the effectiveness of interventions, and contribute to enhancing self-care in HF patients.
Research question: Can a detailed intervention manual for designing theory-based BCIs based on the COM-B behaviour model and behaviour change techniques (BCTs) improve self-care in HF patients?
Methods: The overall study design involves application of the COM-B behaviour model, 15-17 qualitative semi-structured interviews, and a consensus development method (Delphi technique). A participatory planning group of key stakeholders (patients, healthcare professionals) is involved throughout the development process to provide real world input. The study consists of four stages:
Stage 1 (complete): One qualitative and one quantitative meta-review were selected to identify determinants associated with adherence/non-adherence to HF self-care. Behaviour extraction was conducted by two researchers independently; notes were compared to create a final list of behavioural determinants.
Stage 2 (complete): The list of behaviours was mapped onto the COM-B model to determine relevant target behaviours.
Stage 3 (complete): Target behaviours were then mapped onto BCTs according to the Taxonomy of Behaviour Change Techniques, including advice from the participatory planning group.
Stage 4 (to be conducted): Semi-structured interviews will be conducted with patients and healthcare professionals using Normalization Process Theory, in combination with the Delphi technique, to fine-tune BCI content and help ensure the BCIs are applicable for the German health system.
Results: The selected BCTs provide the basis for an intervention manual containing well-defined, theory-based BCIs that are relevant for enhancing adherence to HF related self-care recommendations. All BCIs will be described according to the following eight descriptors to ensure future reproducibility of the intervention: (1) content of elements of the intervention, (2) characteristics of self-care tutors (e.g. health professionals, lay tutors), (3) characteristics of target population (e.g. adults, children), (4) delivery location (e.g. hospital, GP practice, home environment), (5) mode of delivery (e.g. group based, individual approaches), (6) format (e.g. lectures, manual), (7) intensity (e.g. contact time) and (8) duration (e.g. number of sessions over a given period).
Discussion: In a subsequent study, the final intervention manual will be piloted to test its feasibility and acceptance, followed by the execution of a full randomised controlled trial. In addition, an economic evaluation (cost-effectiveness analysis) will be conducted as part of evaluating the BCIs compared to an appropriate alternative.
Practical Implications: Successful implementation of self-care interventions requires enabling patients to overcome their barriers and make use of available techniques to enhance self-care adherence. The manual that will be produced from this study can provide guidance in practice regarding which interventions are most applicable to overcome certain self-care barriers. For patients, learning how to effectively engage in self-care can dramatically increase illness outcomes and quality of life. For practitioners, the ability to facilitate self-care in patients can help improve patient outcomes.
Hintergrund
Erkrankungen und Beschwerden des Haltungs- und Bewegungsapparats zählen zu den häufigsten Leiden in Deutschland und verursachen hohe volkswirtschaftliche Kosten. Zugleich gehören Beeinträchtigungen der Bewegungsfähigkeit, z. B. der Gehfähigkeit zu den zentralen Risikofaktoren für Pflegebedürftigkeit und sind mit weiteren Risikofaktoren wie Übergewicht bzw. Adipositas und Herz-Kreislauferkrankungen assoziiert. Bei Menschen mit geistiger Behinderung (MmgB) treten im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung zahlreiche Beeinträchtigungen und Erkrankungen häufiger und oftmals früher im Lebensverlauf auf. Auch ist die Lebenserwartung von MmgB in den letzten Jahrzehnten gestiegen. Somit kann eine erhöhte Präsenz für altersbedingte Erkrankungen in dieser Bevölkerungsgruppe nachgewiesen werden. In der Folge kommt es zu einem steigenden Pflegebedarf und zu einem wachsenden Bedarf an pflegerischer Betreuung bei der Versorgung dieser Zielgruppe. Durch die Heterogenität von MmgB und durch ihren Unterstützungsbedarf ist die Zielgruppe aus vielen Gesundheitsprogrammen ausgenommen. An dieser Leerstelle setzt das Forschungsprojekt „Förderung der Bewegungskompetenzen von Menschen mit geistiger Behinderung“ partizipativ an.
Fragestellung
Interventionen zur Förderung von Bewegungskompetenzen und körperlichen Aktivität im Alltag führen zu positiven Effekten auf das Bewegungsverhalten und somit auf die Bewegungsfähigkeit, den Haltungs- und Bewegungsapparat. Die Fragestellung lautet: Wie kann ein nachhaltiges Interventionskonzept zur Förderung von Bewegungskompetenzen unter dem Fokus von Partizipation und Lebensweltbezug der Zielgruppe entwickelt und implementiert werden?
Methoden
Vier Forschungsmodule zur Erfassung individueller und institutioneller Eigenschaften werden umgesetzt: a) internationales Scoping Review zu Konzepten und Interventionen zur Förderung von Bewegungskompetenzen und körperlicher Aktivität bei MmgB, b) Befragung von 25 MmgB als potentielle Nutzer*innen zu Kompetenzen, Erfahrungen und Strategien im Alltag, c) Teilnehmende Beobachtung der Zielgruppe und d) Dokumentenanalyse (Sozial- und Verlaufsberichte) beim Praxispartner. Auf Grundlage der Ergebnisse erfolgt die bedarfsorientierte Entwicklung des Interventionskonzepts. Die Forschung und Entwicklung wird durch zwei partizipative Arbeitsgruppen befördert (Planungs-Gruppe und Forscher-AG).
Ergebnisse
Zum Konferenzzeitpunkt werden Ergebnisse zu folgenden Themen präsentiert:
• Übersicht über aktuellen Forschungsstand und –desiderata (Scoping Review),
• Ergebnisse über zielgruppenspezifische Vorstellungen, Sinn- und Relevanzstrukturen von Bewegung und Gesundheit,
• Analyseergebnisse von Interventionselementen zur Entwicklung eines multimodalen Interventionskonzepts (Module basieren u.a. auf dem Modell der bewegungsbezogenen Gesundheitskompetenz).
Diskussion
Das Wissen über die evidenzgeleitete Entwicklung und Implementierung von Maßnahmen ist eine wichtige Ressource der Versorgungsforschung. Gerade Gesundheitsförderung und Prävention nehmen perspektivisch eine besondere Bedeutung ein. Benötigt werden Ansätze, die der Heterogenität von MmgB Rechnung tragen und darauf ausgerichtet sind, Gesundheit nachhaltig zu fördern. In mehreren Studien ist bei dieser Bevölkerungsgruppe im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ein ungesunder Lebensstil gerade im Bereich Bewegung nachgewiesen. Der Ansatz der Kompetenzförderung erscheint daher vielversprechend.
Durch die Förderung von gesundheitsbezogenen Bewegungskompetenzen und körperlicher Aktivität im Alltag können für MmgB Krankheitsrisiken minimiert, bestehende Erkrankungen besser bewältigt und Krankheitsverläufe positiv beeinflusst werden. Es ist davon auszugehen, dass Präventionskonzepte eine höhere Akzeptanz in der Zielgruppe finden, wenn lebensweltliches Wissen und Bedürfnisse im gesamten Prozess einbezogen werden und im Alltag gut umsetzbar sind (Treppe statt Aufzug). Es stehen in der Diskussion Fragen der Implementierung im Vordergrund; Passung zur Lebenswelt der Nutzer*innen und zur Alltagskultur der Einrichtungen, Akzeptanz und Anwenderfreundlichkeit sowie Nachhaltigkeit. Anhand der vorzustellenden Ergebnisse wird diskutiert: a) durch welche konkreten Maßnahmen und Angebote die Zielgruppe befähigt wird; b) ob, wie und wodurch das Interventionskonzept wirkt.
Praktische Implikationen
Erstmalig liegt eine multimodale, partizipativ entwickelte Intervention zur Steigerung der körperlichen Aktivität für MmgB vor, die sowohl Gesundheitskompetenz als auch das Handeln der MmgB adressiert. Diese unterstützt MmgB und MitarbeiterInnen der Eingliederungshilfe mit dem Ziel, die Gesundheit durch körperliche Aktivität zu steigern. Hierdurch werden nachhaltige Effekte auf die Bewegungsfähigkeit wie Erhalt von Muskeln, Koordinationsfähigkeit sowie Reduktion von Stürzen und Sturzfolgen erwartet sowie das spätere Eintreten von Pflegebedürftigkeit bzw. die Minimierung deren Ausprägung.
Studierende mit einem Bezug zur Versorgungsforschung haben auf dem Deutschen Kongress für Versorgungsforschung (DKVF) in diesem Jahr das erste Mal die Möglichkeit, studentische Arbeiten in einer eigenen Postersession zu präsentieren. Die acht Beiträge von Studierenden u.a. aus Köln (Versorgungswissenschaft), Heidelberg (Versorgungsforschung und Implementierungswissenschaft im Gesundheitswesen) und München (Angewandte Versorgungsforschung) geben einen Überblick über die Themenbreite der Studiengänge und Abschlussarbeiten.
Hintergrund:
Elektronische Gesundheitsakten (EGAs) können sowohl das Therapiemanagement als auch die Interaktion zwischen Arzt und Patient unterstützen. Insbesondere die Erfassung patientenberichteter Ergebnisse (patient-reported outcomes; PROs) kann die Patientenbeteiligung im Therapieprozess erhöhen. Diese Aspekte sind bei der Behandlung von Psoriasis als komplexe, chronische Erkrankung unerlässlich, weshalb der Einsatz von EGAs unter Einbezug von PROs für diese Patientengruppe vielversprechend ist. Der Umgang mit Gesundheitsdaten und insbesondere die Dateneingabe durch Patienten erfordert jedoch die Akzeptanz der Patienten. Daher zielt diese Studie darauf ab, die Einstellungen von Patienten mit Psoriasis zur Verwendung elektronischer Gesundheitsakten zu untersuchen und Unterschiede zwischen einzelnen Patientenuntergruppen zu identifizieren.
Fragestellung:
Welche Einstellung haben Patienten gegenüber dem Einsatz von PROs in der Behandlung? Welche Einstellungen haben Patienten gegenüber der Nutzung von EGAs bei der Behandlung? Gibt es Unterschiede zwischen Subgruppen von Patienten bezüglich der Einstellung zu EGAs und PROs?
Methode (inkl. Studiendesign, Datenerhebung und -auswertung):
Es handelt sich um eine beobachtende Querschnittsstudie. Die Daten wurden mithilfe eines standardisierten Fragebogens erfasst, der auf Grundlage von Ergebnissen aus Fokusgruppen mit Patienten mit Psoriasis entwickelt wurde. Die Teilnehmer wurden persönlich in einer Studienambulanz angesprochen sowie online über die Webseiten von Patientenorganisationen und in einer Psoriasis-Gruppe in sozialen Medien rekrutiert. Sie füllten Papier- oder Online-Versionen des Fragebogens aus. Die Auswertung erfolgte mithilfe deskriptiver Statistik sowie bivariater Analysen, welche Kreuztabellen, Chi²-Test und Fisher’s Exact Test umfassten.
Ergebnisse:
Die Stichprobe umfasste 187 Teilnehmer. Die Mehrheit der Teilnehmer betrachtet PROs als Entscheidungshilfe und als Möglichkeit für den Arzt, weitere Beschwerden des Patienten zu erkennen. Allerdings sind 60,6% der Patienten unsicher, ob PROs ihre Gefühle richtig widerspiegeln oder verneinen dies. Trotz des patientenzentrierten Fokus von PROs denken Patienten häufiger, dass Ärzte (85,5%) diese Daten eintragen sollten anstelle von Patienten selbst (74,7%). Während 88,2% der Teilnehmer der Meinung sind, dass die Verwendung einer EGA die Kommunikation zwischen Patient und Arzt verbessern kann, erwarten nur 64,5% Verbesserungen in der Beziehung zwischen Patient und Arzt. Die Teilnehmer betrachten die Visualisierung (z.B. durch Grafiken) von Daten als unterstützende Maßnahme für Gespräche zwischen Patienten und Ärzten (94.0%). Im Gegensatz dazu haben die Patienten sehr unterschiedliche Meinungen darüber, ob ein Vergleich ihrer Daten mit den Daten anderer Patienten hilfreich wäre. Insgesamt gehen 56,8% davon aus, dass sich ihr Aufwand durch die Verwendung einer EGA reduzieren kann, während 82,2% eine verbesserte Behandlungsqualität erwarten. Unterschiede zwischen einzelnen Patientengruppen können insbesondere bezüglich der Visualisierung von Daten sowie dem Vergleich mit Daten anderer Patienten ausgemacht werden.
Diskussion:
Die Ergebnisse zeigen, dass Patienten mit Psoriasis der Nutzung von PROs als auch EGAs generell optimistisch gegenüberstehen. Dies unterstützt die Ergebnisse anderer Studien, die Patienten als treibende Kraft für die Digitalisierung im Gesundheitswesen identifizieren. Diese Ergebnisse sind vielversprechend für die Entwicklung und Umsetzung von EGAs in die Routineversorgung.
Praktische Implikationen:
Ein Großteil der Patienten kann sich vorstellen, Daten in eine EGA einzutragen und sich somit aktiv am Behandlungsprozess zu beteiligen. Dabei ist es notwendig, dass dem Patienten die eigene Rolle klar beschrieben wird. Von Seiten der Ärzte und Leistungserbringer sind Bemühungen notwendig, damit sich der Patient als Partner im Behandlungsprozess und als Besitzer seiner Gesundheitsdaten versteht.
Hintergrund:
Durch zahlreiche Projekte in der Versorgungsforschung werden eHealth-Innovationen entwickelt und getestet. Die Ergebnisse sollen u.a. genutzt werden, um die Versorgungspraxis im Pflege- und Gesundheitswesen zu optimieren. Bei der Entwicklung, Einführung sowie der Evaluation von eHealth- Interventionen ist es wichtig verschiedene Perspektiven einzuschließen. Neben Faktoren des Implementierungskontexts, wie beispielsweise der Organisationskultur, spielt die Einstellung der Anwenderinnen und Anwender für den Implementierungsprozess und dessen Erfolg eine wesentliche Rolle. Die Nutzer von Interventionen können durch ihre Einstellungen, wie beispielsweise die Akzeptanz des Systems, die Umsetzung und Integration der Intervention in die Versorgungspraxis wesentlich beeinflussen. Dies kann sich letztlich positiv oder negativ auf Interventionseffekte auswirken.
Im Rahmen des Projekts „solimed ePflegebericht“, welches auf eine Optimierung der sektorenübergreifenden Kommunikation im Pflege- und Gesundheitswesen abzielt, wird u.a. eine nutzenorientierte Erprobung eines elektronischen Pflegeberichts (ePB) in einem regionalen Versorgungsnetzwerk durchgeführt. Ein Bestandteil des Evaluationskonzepts des Projekts ist es, die Mitarbeitereinstellungen zum Einsatz des ePB zu erfassen und zu analysieren.
Fragestellungen:
Welche Einstellungen haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Pflege- und Gesundheitswesen bzgl. der Anwendung des ePB? Wie stellen sich die Veränderungsbereitschaft und Akzeptanz für den ePB aus Sicht der Anwender im Versorgungsnetzwerk dar?
Methode:
Um die Fragestellungen zu beantworten, wird eine standardisierte Datenerhebung mittels Fragebogen durchgeführt. Der Datenerhebungszeitraum beginnt im Juni 2019. In die Befragung eingeschlossen werden alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der am Projekt beteiligten Pflege- und Gesundheitseinrichtungen, die die Intervention im Versorgungsalltag zukünftig nutzen sollen. Zu den Projektpartnern gehören insgesamt drei ambulante Pflegedienste, drei stationäre Pflegeinrichtungen, drei Krankenhäuser der Akutversorgung sowie über 20 Hausarztpraxen. Um eine möglichst große Response zu erreichen, werden verschiedene Zugangswege für die Befragung zur Verfügung gestellt (online und papierbasiert). Der Fragebogen wird zurzeit in Anlehnung an bereits bestehende Instrumente, wie beispielsweise das Organizational Readiness to Change Assessment (ORCA), entwickelt. Neben der deskriptiven Analyse werden die Daten explorativ ausgewertet, um Zusammenhänge und Unterschiede in Subgruppen zu untersuchen. Dafür werden vorab relevante Subgruppen definiert.
Ergebnisse:
Die Ergebnisse der Befragung werden zunächst deskriptiv dargestellt. Dabei werden die Ergebnisse für verschiedene Gruppen, wie z.B. Sektorenzugehörigkeit, Alter und Geschlecht, zusammengefasst abgebildet. Darüber hinaus wird erwartet, dass weitere Zusammenhänge bzw. Unterschiede in der Akzeptanz sowie Veränderungsbereitschaft zwischen den einzelnen Gruppen durch die explorative Analyse aufgezeigt werden können.
Diskussion:
Die Ergebnisse der standardisierten Befragung stellen Selbstberichte der Anwenderinnen und Anwender dar. Die Selbstberichte aus den Anwenderbefragungen sollen mit Parametern anderer Datenerhebungen in Verbindung gesetzt werden, um die Akzeptanz und Nutzung des ePB ganzheitlich abzubilden und im Zusammenhang mit den Effekten der Intervention betrachten zu können. Da der Status der Implementierung des ePB in den einzelnen Einrichtungen des Projekts variiert, wird angenommen, dass auch der Anwenderstatus zum Zeitpunkt der Befragung unterschiedlich ist. Das bedeutet, dass an der Befragung sowohl potenzielle Anwender teilnehmen als auch Fachkräfte, die bereits Erfahrungen mit dem Einsatz des ePB im Versorgungsalltag gesammelt haben. Inwiefern dies eine Limitation der Ergebnisse darstellt und welche weiteren Parameter für einen Abgleich mit den Selbstberichten zum Einsatz des ePB geeignet erscheinen, soll diskutiert werden.
Praktische Implikation:
Durch die Befragung zur Veränderungsbereitschaft und Akzeptanz des ePB wird sichergestellt, dass die Anwenderperspektive in der Implementation und Evaluation der eHealth-Intervention berücksichtigt wird. Dies ist zum einen wichtig, um den potentiellen Einfluss der Anwender auf die Interventionseffekte des ePB zu untersuchen. Zum anderen können die Ergebnisse der Anwenderbefragung genutzt werden, um potentielle Maßnahmen anzustoßen, die zur Optimierung des Implementierungsprozesses und der eHealth-Intervention dienen. Eine Weiterentwicklung der Intervention auf Basis der Befragungsergebnisse kann die Akzeptanz der Intervention steigern und somit die Anwendung in der Versorgungspraxis positiv beeinflussen.
Hintergrund
Wie andere Gesellschaftsbereiche ist das Gesundheitssystem vom weitreichenden Prozess der Digitalisierung betroffen. Bisher wenig erforscht ist die Frage, wie sich diese Prozesse nicht nur auf die praktischen Tätigkeiten, sondern auch auf das berufliche Selbstverständnis der Betroffenen auswirken. In der qualitativen Teilstudie des Verbundforschungsvorhabens „MySUPPORT“ (Leitung: Prof. Dr. Gerhild Becker, Klinik für Palliativmedizin, Universitätsklinikum Freiburg; Laufzeit: 2016-2019) wurden im Vorfeld der Entwicklung eines Tablet/APP-basierten elektronischen Screening-Systems für palliative Patienten*innen die Haltungen, Befürchtungen und Wünsche der palliativmedizinisch Beschäftigten zu einem derartigen elektronischen Screening-System erforscht. Aus den Aussagen wurden zudem die dahinterliegenden Professionsverständnisse der Behandler*innen rekonstruiert.
Fragestellung
In diesem Beitrag soll ein Teil der Ergebnisse der Rekonstruktion des Professionsverständnisses palliativer Behandler*innen präsentiert werden. Außerdem soll es gezeigt werden, welche erweiterten oder einschränkenden Handlungsspielräume die Befragten durch die Einführung eines elektronischen Screening-Systems sehen.
Methoden
Im Rahmen des Teilprojektes wurden 19 Expert*inneninterviews mit Behandler*innen geführt (10 Ärzt*innen, 9 Pflegende), transkribiert und mittels der Qualitativen Inhaltsanalyse nach Schreier (2012) ausgewertet. Um tieferliegende Konzepte bezüglich des Professionsverständnisses zu analysieren, wurden im Anschluss 8 der 19 Interviews (4 Ärzt*innen, 4 Pflegende) ausgewählt und mit dem Integrativen Basisverfahren (Kruse 2014) durch zwei Forscherinnen ausgewertet. Mittels der Analyse von Semantik, Grammatik und Metaphorik ermöglichte es Zugang zu latenten Konzepten. Alle 8 Interviews wurden in Fallexzerpten aufgearbeitet und diese im Anschluss miteinander verglichen.
Ergebnisse
Die Befragten sehen ihre Handlungsmacht innerhalb des jeweiligen Settings durch verschiedenste Einflüsse begrenzt. Dabei handelt es sich um Rahmenbedingungen wie etwa ökonomische Zwänge, Zeitdruck, die Notwendigkeit der Priorisierung auf Grund begrenzter Ressourcen, aber auch das palliativmedizinische Setting als solches, bei dem klar ist, dass bestenfalls Linderung, aber nicht mehr Heilung möglich ist. Hinzu kommen zwischenmenschliche Faktoren: Mit Verweis auf die eigene Selbstfürsorge begrenzen die Behandler*innen ihre Handlungsspielräume, indem sie deutlich machen, dass sie nicht zu jeder Zeit und allen ein „Mehr“ zukommen lassen können, um sich selbst nicht dauerhaft zu überlasten. Auch die Behandler-Patient-Beziehung begrenzt die Handlungsmacht der Behandler*innen, da aus Sicht der Befragten die eigene Handlungsmacht auch von der Mitarbeit der Patient*innen abhängt. Gleichzeitig suchen sich die Befragten immer wieder Wege, ihre eigene Handlungsmacht zu erweitern, etwa durch flexible Strategien beim Erkennen der Bedarfe und Bedürfnisse der Patient*innen oder durch ein „Mehr“ an Aufwand, das für Patient*innen jenseits der Basisversorgung betrieben wird.
In der Einführung eines Screening-Systems sehen die Behandler*innen die Möglichkeiten sowohl zur Erweiterung als auch Einschränkung ihrer Handlungsspielräume. Das von den Patient*innen selbst ausgefüllte Screening erlaubt eventuell verborgene nicht-behandelte Probleme aufzudecken und somit neue Perspektiven auf Gesprächsführung und Anpassung der Versorgung eröffnen. Befragte sehen das als mögliche Unterstützung für noch unerfahrenen Behandler*innen. Auf der anderen Seite kritisieren Befragte, dass das geplante Screening-System zur Überfokussierung auf erhobene Outcomes und einzelne Themen führen kann. Sie befürchten, dass somit situatives Aushandeln der Prioritäten eingeschränkt wird und auch der ganzheitliche Blick auf Patient*innen verloren geht. Auch wird das System laut den Befragten ohnehin knappe personelle Ressourcen möglicherweise stärker beanspruchen oder neue zusätzliche Aufgaben schaffen.
Diskussion
Die Ergebnisse zeigen, dass die Befragten konstant die Grenzen und Möglichkeiten ihrer Handlungsmacht ausbalancieren. Die Haltungen zum Screening-System hängen vor allem davon ab, wie sehr die Befragten ihre eigene Handlungsmacht dadurch in Frage gestellt fühlen. Zum Zeitpunkt der Befragung steht die Akzeptanz des Screening-Systems im Zusammenhang mit den antizipierten Auswirkungen auf das Professionsverständnis der Behandler*innen. Jene, die es als Einschränkung der eigenen Handlungsmacht verstehen, lehnen es eher ab.
Praktische Implikationen
Das Verstehen der möglichen Auswirkungen auf den erlebten Handlungsspielraum der Behandler*innen ist ein wichtiger Schritt und Voraussetzung für die Entwicklung, Implementierung und Akzeptanz digitaler Innovationen, etwa in der Palliativmedizin.
Finanzierung
Das Verbundforschungsvorhaben MySUPPORT wird durch das Land Baden-Württemberg im Rahmen der Sonderlinie Hochschulmedizin gefördert.
Hintergrund. Aktuell gibt es nur wenige umfassende Studien zur Akzeptanz von TMA bei multimorbiden, älteren Patienten. Im Projekt ATMoSPHÄRE wurden die Adhärenz und Akzeptanz einer Telemonitoring-Anwendung durch multimorbide Patienten über 65 Jahre im häuslichen Umfeld evaluiert.
Fragestellungen.
Sind Studienpatienten adhärent hinsichtlich der hausärztlich verordneten Vitaldatenmessungen über telemedizinische Messgeräte?
Welche demographischen Variablen haben einen Einfluss auf die Nichtakzeptanz einer TMA?
Methoden. Studienteilnehmer bekamen in einer longitudinalen multizentrischen Studie ein Tablet und Messgeräte, über welche sie im häuslichen Umfeld Vitalwerte versenden und Versorgungsinhalte abrufen konnten. Studienhausärzte verordneten den Patienten Vitaldatenmessungen (Blutdruck (RR), Herzfrequenz (HF), Sauerstoffsättigung (SpO2), Körpergewicht (KG)) und Messfrequenzen (täglich, wöchentlich, mehrmals wöchentlich). Adhärenzdaten wurden wöchentlich individuell erhoben und mittels Mehrebenenanalysen ausgewertet. Gründe für Nichtakzeptanz der TMA wurden über computerbasierte Telefoninterviews mit Studienabbrechern erhoben und subgruppenspezifisch analysiert.
Ergebnisse. 177 Patienten wurden in die Studie eingeschlossen, wovon 34,5% (n=61) Studienabbrecher sind. Patienten, die 1xwöchentlich RR/HF messen sollten, haben weniger gemessen, als sie sollten. Patienten, die täglich und mehrfach wöchentlich messen sollten, haben mehr gemessen. Hauptsächlich Frauen, signifikant mehr alleinlebende/verwitwete Patienten, Patienten über 75 Jahre und Patienten mit niedrigem Schulbildungsgrad gaben Schwierigkeiten im Umgang mit dem Tablet und der Tablet-Software Motiva an.
Diskussion. Die Übermessung der täglich messenden Patienten kann an der Fehleranfälligkeit der Tablets oder an der mangelnden/fehlenden Internetverbindung liegen, wodurch Patienten gezwungen waren, Messungen mehrmals vorzunehmen, um die Datenübertragung sicherzustellen. Patienten könnten ein gesteigertes Interesse an der Messung eigener Vitaldaten haben oder Ängste könnten diesen Übermessungen zugrunde liegen. Ein zielgruppenorientiertes Vorgehen ist bedeutend, um vulnerablen Zielgruppen wie z.B. alleinlebenden/verwitweten Patienten und Patienten mit niedrigem Schulbildungsgrad eine hausärztliche telemedizinische Versorgung zu gewährleisten und die Anwendungshandhabung zu erleichtern.
Fazit. Für eine Erhöhung der Adhärenz und Akzeptanz vom TMA sollte die einzusetzende Hardware hinsichtlich der technischen Fehleranfälligkeit vor dem Einsatz geprüft und eine stabile Internetverbindung sichergestellt werden. Um eine optimale Nutzerzentrierung und -akzeptanz in der Anwendung von TMA zu gewährleisten, ist eine Vorab-Analyse der einzubindenden Kohorte unumgänglich.
Hintergrund/Problemstellung und Fragestellung:
Als flächengrößtes ostdeutsches Bundesland verfügt Brandenburg nur über eine sehr geringe Bevölkerungsdichte, die voraussichtlich bis zum Jahr 2030 weiter abnehmen wird (Baumgardt 2012). Zusätzlich erschweren regionale strukturelle Unterschiede die Sicherstellung einer flächendeckenden und vor allem bedarfsgerechten medizinischen Versorgung (AGENON 2009). In den kommenden Jahren wird es in der Facharztrichtung Dermatologie insbesondere in den berlinfernen Regionen des Landes zunehmend schwieriger offene Arztsitze neu zu besetzen. Für Patienten bedeutet dies, dass eine hochwertige medizinische Versorgung in vielen Fällen mit langen Wartezeiten und weiten Fahrtstrecken verbunden ist (Baumgardt 2012).
Mit Hilfe der Machbarkeitsstudie TeleDermaBB soll überprüft werden, inwieweit sich telemedizinische Ansätze eignen, um der angespannten dermatologischen Versorgungssituation zu begegnen. Um eine praxistaugliche Anwendung zu erarbeiten, ist es von besonderem Interesse, inwiefern telemedizinische Tools bei den eigentlichen Anwendern auf Akzeptanz treffen und wie die regionale Zusammenarbeit der involvierten Akteure gestaltet ist. Die Machbarkeitsstudie untersucht folgende Fragestellungen:
⇒ Halten Leistungserbringer die Implementierung von telemedizinischen Ansätzen in die dermatologische Versorgung im Land Brandenburg für sinnvoll?
⇒ Besteht die Bereitschaft unter niedergelassenen Dermatologen und Hausärzten telemedizinische Ansätze zu erproben?
⇒ Wie sind telemedizinische Techniken und Webtools zu gestalten, damit sie von Patienten und Leistungserbringern genutzt und in den Praxisalltag integriert werden?
Herangehensweise/Methodik:
Das Studiendesign besteht aus qualitativen und quantitativen Forschungsmethoden und fußt somit auf einen Mixed-Methods Ansatz:
l Leitfadeninterviews mit Leistungserbringern und Stakeholdern in der dermatologischen Versorgung im Land Brandenburg
ll Fragebogenerhebung an a) Dermatologen und b) Hausärzte im Land Brandenburg
lll Fokusgruppen zur Entwicklung eines telemedizinischen Konzeptes in der Versorgung von dermatologischen Erkrankungen unter Einbezug von Hausärzten, Dermatologen und Stakeholdern.
Zwischenergebnisse (Stand: 25.03.2019), Fazit:
Bei der Fragebogenerhebung konnte insgesamt ein Rücklauf von 18 % (16,3 % Hausärzte und 48,2 % Dermatologen) erzielt werden:
• Über die Hälfte (rund 60 Prozent) der an der Studie teilgenommenen Mediziner, möchten Telemedizin zukünftig anwenden. Spezielle Gründe verhindern jedoch die Umsetzung in den Praxisalltag: ‘Administrativer Aufwand‘ (39,3%), ‘Anschaffung der Technik‘ (38,7 %), ‘Schwache Vergütung‘ (33,9 %), ‘Datensicherheit‘ (28,5 %).
• Bezogen auf die zukünftige Arbeitssituation wird die Bedeutung von Telemedizin höher eingestuft, als aktuell. So gaben 11,1 % der Erhebungsteilnehmer an, dass Telemedizin aktuell eine sehr große bis große Bedeutung hat – für die zukünftige Einschätzung der Arbeitssituation steigt diese auf 19,5 % an. Im Vergleich dazu sagen 68,5 % der befragten Mediziner, dass Telemedizin aktuell keine bis überhaupt keine Bedeutung in der Arbeitssituation einnimmt – zukünftig liegt die Einschätzung bei 36,3 Prozent.
• Rund 75 Prozent der Befragten gaben an, dass Dermatologie eine geeignete Facharztgruppe für telemedizinische Anwendungen darstellt. Mit dem Einsatz von telemedizinischen Anwendungen erhoffen sich die im Rahmen der Experteninterviews befragten Ärzte
- die Reduktion von Wartezeiten und Fahrtstrecken für Patienten,
- die Stärkung der kollegialen Zusammenarbeit der Hausärzte und der Dermatologen sowie
- die Optimierung der Behandlungsqualität.
Titel: Bereitschaft zur Nutzung von Teledermatologie in der ländlichen Bevölkerung Bayerns
Hintergrund: Die Teledermatologie bietet einige Potenziale für eine verbesserte dermatologische Versorgung, besonders in ländlichen Regionen. Store-and-forward-Technologien, die das Senden von Fotos an den Hautarzt beinhalten, gelten aufgrund der Sichtbarkeit von Hauterkrankungen und der geringeren technischen und organisatorischen Anforderungen im Vergleich zu Real-Time-Technologien im Bereich der Teledermatologie als besonders vorteilhaft. Jedoch gibt es bisher keinerlei Daten, die zeigen, ob die (bayerische) Allgemeinbevölkerung bereit wäre, solche Technologien in Anspruch zu nehmen.
Fragestellung: Wie groß ist die Bereitschaft zur Nutzung von store-and-forward Teledermatologie in der ländlichen Bevölkerung Bayerns? Was sind Bedenken hinsichtlich der Nutzung von store-and-forward Teledermatologie?
Methode: Die Daten dieser Querschnittsanalyse stammen aus zwei verschiedenen Befragungen. Ein Teil der Daten wurde im Rahmen einer Gesundheitsbefragung im Bayerischen Wald erhoben (Q1/2017), bei der die Studienteilnehmer in Wartezimmern nicht-dermatologischer Arztpraxen rekrutiert wurden. Der zweite Teil der Daten wurde im Rahmen einer Follow-up-Befragung (Q1/2018) einer laufenden Kohortenstudie gesammelt. Die Studienteilnehmer waren auf einem bayerischen Landwirtschaftsfest rekrutiert worden. In beiden Befragungen beantworteten die Studienteilnehmer die Frage, ob sie bereit wären, ihrem Hautarzt Fotos von Hautveränderungen über das Internet zu schicken, und falls „nein“, warum nicht. Die Antworten wurden deskriptiv ausgewertet. Subgruppen wurden mithilfe des Chi2-tests verglichen. Die Nutzungsbereitschaft in städtischen und ländlichen Regionen wurde mittels logistischer Regression verglichen, wobei für Alter, Geschlecht, Vorliegen einer Hauterkrankung und Art der Rekrutierung (Gesundheitsbefragung im Bayerischen Wald vs. Landwirtschaftsfest) kontrolliert wurde. Die Bedenken hinsichtlich Teledermatologie wurden qualitativ kategorisiert und anschließend deskriptiv ausgewertet.
Ergebnisse: Die Daten von 1.116 Studienteilnehmer mit Wohnsitz in Bayern wurden analysiert (Altersdurchschnitt 50,2 Jahre, 58% Frauen, 80% mit Wohnsitz in ländlichen Regionen). Insgesamt waren 37% der Studienteilnehmer bereit, ihrem Hautarzt Fotos von Hautveränderungen über das Internet zu schicken. Männer zeigten eine deutliche höhere Nutzungsbereitschaft als Frauen (46% vs. 30%, p < .001). Es zeigte sich außerdem ein Zusammenhang zwischen der Nutzungsbereitschaft und dem Alter (p=.025); so waren 44% der 30-44-Jährigen, aber nur 29% der ab-65-Jährigen breit für die Nutzung von Teledermatologie. Studienteilnehmer, die in ländlichen Regionen lebten, wiesen zudem eine deutlich geringere Nutzungsbereitschaft auf als Studienteilnehmer mit Wohnsitz in städtischen Regionen (z.B. 32% in dünn besiedelten ländlichen Regionen, 53% in Großstädten; p=.022). Kontrolliert für Alter, Geschlecht, Vorliegen einer Hauterkrankung und Art der Rekrutierung hatten Studienteilnehmer aus städtischen Regionen eine 40% höhere Chance, offen für die Nutzung von Teledermatologie zu sein, als Studienteilnehmer aus ländlichen Regionen (OR=1.4, KI=[1.02; 1.96]). Die häufigsten Bedenken im Zusammenhang mit Teledermatologie waren Unpersönlichkeit, Zweifel an der diagnostischen Leistung und Privatsphäre- und Datenschutzbedenken.
Diskussion: Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass die Bereitschaft zur Nutzung von Teledermatologie stark zwischen Männern und Frauen, ländlichen und städtischen Regionen sowie Altersgruppen variiert. In ländlichen Regionen, in denen teledermatologische Angebote besonders zu einer besseren fachärztlichen Versorgung beitragen könnten, war nur etwa ein Drittel der Studienteilnehmer bereit einem Hautarzt Fotos von Hautveränderungen zu schicken.
Praktische Implikationen: Damit die Teledermatologie ihr Potenzial für eine verbesserte dermatologische Versorgung in den ländlichen Regionen voll entfalten kann, sollte die Bevölkerung über die Funktionsweisen und Vorteile der Teledermatologie aufgeklärt werden und Datenschutzbedenken sollten adressiert werden.
Hintergrund
Die Proof-of-Concept-Netzwerkstudie „Rheuma-VOR“ hat die Verbesserung der rheumatologischen Versorgungsqualität durch koordinierte Kooperation zum Ziel. Insbesondere sollen rheumatische Erkrankungen möglichst früh diagnostiziert und schneller zielgerichtet behandelt werden [3]. Die Einsatzmöglichkeiten von Smartphone Apps bergen auch für chronische Erkrankungen ein großes Potenzial. Durch Sie können zum Beispiel Gesundheitsinformationen vermittelt oder auch Möglichkeiten des Selbst-Monitorings und des Selbstscreenings angeboten werden [1, 2].
Fragestellung
Kann eine Smartphone APP, die Frühdiagnose einer entzündliche-rheumatischen Erkrankungen bei einem primärversorgenden Arzt unterstützen?
Methode
Durch die Rheuma-VOR Screening-App Studie wird geprüft, ob die Detektionsrate der rheumatischen Erkrankungen Rheumatoide Arthritis, Psoriasis Arthritis und Spondylarthritis mithilfe einer Smartphone-App erhöht werden kann.
Anhand des mehrstufigen Delphi-Verfahrens wurde eine minimale Liste an Fragen zur Detektion und Differenzierung zwischen den drei Erkrankungen festgelegt. Die Apps für iOS und Android werden seit Oktober 2018 im Rahmen der Screeningsprechstunde am ACURA Rheumazentrum in Bad Kreuznach eingesetzt. Eine weitere Validierung ist mit einer nichtvorselektierten Kohorte im Zuge der Rheuma-Bus-Tour 2019 geplant.
Ergebnisse
Im Delphi-Verfahren wurden 17 Fragen für ein Differentialscreening der drei Erkrankungen identifiziert, darunter vier Laborparameter. Die Fragen werden dem Patienten vorgelesen und bieten die Antwortmöglichkeiten „JA“, „NEIN“ und „WEISS NICHT“. Das Beantworten der Fragen benötigt ungefähr vier Minuten. Die Verdachtsdiagnosen basieren auf einem kumulierten Score. Einige Diagnosen werden bereits nach wenigen Fragen ausgeschlossen bzw. bestätigt. Bis dato wurde die App bei 158 Patienten verwendet. Die Sensivität lag dabei bei 0,75, während die Spezifität 0,37 betrug. Der positive prädiktive Wert und der negative prädiktive Wert lagen bei 0,64 respektive 0,51. Zudem wurden der falsch positive Wert mit 0,25 und der falsch negative Wert mit 0,15 bestimmt.
Praktische Implikationen
Die Rheuma-VOR App bietet einen guten Ansatz für Ärzte und Patienten, den Verdacht einer möglichen rheumatischen Erkrankung zu entkräften bzw. zu bestärken.
Diskussion
Ziel ist es, den Algorithmus weiter zu entwickeln, um die Spezifität zu steigern. Ein finales Validierungskonzept wird zurzeit erarbeitet. Im Laufe des Spätjahres 2019 erhält die App einen Bereich mit den wichtigsten Informationen über die oben genannten drei Erkrankungen. Diese berücksichtigen Definition, Ätiologie, Prognose, Symptome, therapeutische Prinzipien, Medikation und Fallbeispiele.
Literatur:
1. Kuijpers W, Groen WG, Aaronson NK et al. (2013) A systematic review of web-based interventions for patient empowerment and physical activity in chronic diseases: relevance for cancer survivors. Journal of medical Internet research 15:e37
2. Payne HE, Lister C, West JH et al. (2015) Behavioral functionality of mobile apps in health interventions: a systematic review of the literature. JMIR mHealth and uHealth 3:e20
3. Schwarting A (2018) Von ADAPTHERA zu Rheuma-VOR: Konzept der koordinierten Kooperation zur Verbesserung der rheumatologischen Versorgungsqualität. Akt Rheumatol 43:406-409
Der Aufbau von Rheuma-VOR wird aus Mitteln des Innovationsfonds über drei Jahre gefördert. Der Innovationsausschuss beim Gemeinsamen Bundesausschuss fördert in den Jahren 2016 – 2019 neue Versorgungsformen, die über die bisherige Regelversorgung hinausgehen und diese nachhaltig verbessern.
Hintergrund
Im Altersverlauf bleibt die allgemeinärztliche Inanspruchnahme bei Frauen konstant hoch, während die Inanspruchnahme der ambulanten gynäkologischen Versorgung mit zunehmendem Alter kontinuierlich abnimmt. Im Durchschnitt nehmen 41% der Frauen ab 50 Jahren in Deutschland eine gynäkologische Versorgung nicht mehr jährlich in Anspruch, obwohl auch in diesem Alter Beratungs- und Behandlungsanlässe in Bezug auf die Frauengesundheit vorliegen. Wechseljahresbeschwerden, Osteoporose, Probleme mit der Blase, operative Eingriffe und Krebsfrüherkennung sind die häufigsten Gründe zur Konsultation einer gynäkologischen Praxis. Eine geringe Gesundheitskompetenz wurde mit einer reduzierten Inanspruchnahme und einem schlechteren Gesundheitszustand assoziiert. Zugangsbarrieren zur gynäkologischen Versorgung betreffen vor allem Frauen mit niedrigem sozioökonomischem Status und ältere Frauen.
Fragestellung
Wie gestaltet sich die Inanspruchnahme der gynäkologischen Versorgung von Frauen 50+? Welche Gründe für eine Nichtinanspruchnahme können auf eine reduzierte Gesundheitskompetenz hinweisen?
Methode
Im Projekt „Frauen 5.0“ (Innovationsfonds, FKZ 01VSF16030) wurden von Juni bis September 2018 25 Frauen über 50 Jahren aus der Region Nordost (Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern) mittels qualitativer leitfadengestützter Telefoninterviews befragt. Dabei ging es u.a. um ihr Verständnis von Frauengesundheit, um ihre gynäkologische und hausärztliche Betreuung, die Zugänglichkeit zur gynäkologischen und hausärztlichen Praxis sowie um ihre Einschätzung der frauengesundheitlichen Versorgung in ihrer Region. Sie wurden von Hausärztinnen und Hausärzten rekrutiert und bewusst nach Region (Berlin n = 8, Brandenburg n = 9, Mecklenburg-Vorpommern n = 8) und Altersgruppe (50-64 Jahre n = 11, 65-74 Jahre n = 6, über 75 Jahre n = 8) ausgewählt. Alle interviewten Frauen sind in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert und mit unterschiedlichen Erkrankungen vorbelastet. Sechs der interviewten Frauen nahmen keine gynäkologische Versorgung mehr in Anspruch. Die Interviews wurden transkribiert und mit der Framework Analyse ausgewertet.
Ergebnisse
Frauengesundheit wurde häufig mit der gynäkologischen Krebsfrüherkennung assoziiert. Der wichtigste Primärversorger für Frauengesundheit ist die Gynäkologin/der Gynäkologe. Patientinnen, die nicht mehr zur Gynäkologin/zum Gynäkologen gehen, nahmen weiterhin das Mammografie-Screening in Anspruch. Für Frauen, die nicht mehr die gynäkologische Versorgung wahrnehmen, wurde die Hausärztin/der Hausarzt als Ansprechpartner/in für Frauengesundheit gesehen, die/der u.a. auch informieren und motivieren kann. Für alle interviewten Frauen wurde das Reden über sexuelle Gesundheit und gynäkologische Belange mit der Hausärztin/mit dem Hausarzt als unproblematisch beschrieben, wenn sie darauf direkt angesprochen werden würden. Die Nichtinanspruchnahme der gynäkologischen Versorgung von Frauen über 50 Jahren wurde sowohl auf persönliche als auch auf gesundheitssystemische Barrieren zurückgeführt. Persönliche Gründe umfassten Alter, keine Zeit, keine Symptome, Scham/Angst vor der gynäkologischen Untersuchung, eigene Erkrankungen oder Erkrankungen des Partners. Gesundheitssystemische Gründe beinhalteten fehlende Stammpraxis, große Entfernung, Probleme bei Terminvereinbarungen und lange Wartezeiten.
Diskussion
Mit dem Begriff der Gesundheitskompetenz wird das Wissen, die Motivation und die Fähigkeiten von Menschen beschrieben, Gesundheitsinformationen zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und anzuwenden, um im Alltag in gesundheitsrelevanten Bereichen Entscheidungen treffen zu können (Sørensen et al. 2012). Die Untersuchung zeigte, dass die Inanspruchnahme gynäkologischer Leistungen sowohl mit der Gesundheitskompetenz wie auch mit gesundheitssystemischen Faktoren wie der Zugänglichkeit zusammenhängt. Zu fragen ist demnach, wie das Gesundheitssystem gestaltet werden kann, damit ein gesundheitskompetentes Verhalten von Frauen über 50 Jahren unter Berücksichtigung individueller Voraussetzungen (value based healthcare, patient-centered care) gefördert werden kann. So könnte beispielsweise die Zusammenarbeit zwischen Fachärztinnen und Fachärzten für Allgemeinmedizin und Gynäkologie verbessert werden oder durch unterschiedliche Institutionen (z. B. Krankenkassen, Hausarztpraxen) auf das Thema Frauengesundheit mittelalter und älterer Patientinnen aufmerksam gemacht werden, und zwar nicht nur (aber auch) in Bezug auf die Krebsfrüherkennungsuntersuchungen. Konkrete Lösungsansätze werden im Rahmen des Projekts „Frauen 5.0“ erarbeitet.
Praktische Implikationen
Die Nichtinanspruchnahme von Versorgungsleistungen kann pauschal nicht auf niedrige Gesundheitskompetenz zurückgeführt werden. Die Patientensicht kann wertvolle Hinweise für die weitere Entwicklung des Gesundheitssystems und der Gesundheitsversorgung liefern und ist zu berücksichtigen.
Hintergrund: Zahlreiche internationale Studien belegen, dass der Anteil eingeschränkter Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung hoch ist und der Umgang mit Gesundheitsinformationen zahlreiche Schwierigkeiten bereitet. Dieser Trend bestätigt sich auch für Deutschland. Hier haben der ersten repräsentativen Studie zur Gesundheitskompetenz der Bevölkerung (HLS-GER) zufolge 54,3% eine eingeschränkte Health Literacy. Mit dem HLS-GER konnte eine erste wichtige Datengrundlage zur Gesundheitskompetenz in Deutschland geschaffen werden. Um ein systematisches Vorgehen bei der Förderung der Gesundheitskompetenz zu ermöglichen und weiterführende Erkenntnisse zu erlangen, ist es jedoch notwendig, die Gesundheitskompetenz wiederholt zu messen. Diese Forderung wird auch von der WHO unterstrichen, denn nur eine kontinuierliche Erfassung der Gesundheitskompetenz erlaubt Zeitvergleiche und ermöglicht, Problemfelder und Interventionserfordernisse zu identifizieren sowie die Effekte von Maßnahmen zur Stärkung der Gesundheitskompetenz zu messen. Eine solche wiederholte Befragung zur Gesundheitskompetenz der Bevölkerung erfolgt mit dem HLS-GER 2. Die Wiederholungsbefragung wird vom Bundesministerium für Gesundheit gefördert und ist Teil der internationalen Vergleichsstudie HLS-19, die vom „WHO Action Network on Measuring Population and Organizational Health Literacy (M-POHL)“ unter dem Dach der Health Information Initiative (EHII) der WHO Europa unterstützt wird.
Fragestellung: Es wird der Frage nachgegangen, welche Schwerpunkte für eine wiederholende Befragung zur Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland relevant sind und welche Aspekte für eine vertiefende Betrachtung der vorliegenden Ergebnisse notwendig sind.
Methode: In verschiedenen Arbeitsgruppen wurde in Zusammenarbeit mit den internationalen Expert*innen des M-POHL Netzwerkes - aufbauend auf den vorliegenden Gesundheitskompetenz-Studien HLS-GER und HLS-EU – an der methodischen und thematischen Weiterentwicklung im Rahmen des HLS-GER 2 sowie des HLS-19 gearbeitet. Anknüpfend an die Vorgehensweise im HLS-GER werden die Ergebnisse der Weiterentwicklung im Rahmen einer erneuten repräsentativen, persönlichen Befragung von 2.000 Personen zur Gesundheitskompetenz in Deutschland Anwendung finden.
Ergebnisse: Die Gesundheitskompetenz wird im Rahmen des HLS-GER2 mit dem international verbreiteten Befragungsinstrument HLS-EU-Q47 erhoben, das leicht überarbeitet wird. Zudem wird eine Anpassung der Kovariablen und Outcomes von Health Literacy an andere europäische und deutsche Studien vorgenommen, um die Vergleichbarkeit zu erhöhen. Zusätzlich wird die Befragung um neue Themen ergänzt. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei auf Fragen zur digitalen und versorgungsbezogenen Gesundheitskompetenz (eHealth Literacy & Health Care Literacy) gelegt, die in der Zwischenzeit an gesellschaftlicher Relevanz gewonnen haben. Auch das Informationsverhalten der Bevölkerung wird einen Schwerpunkt bilden.
Diskussion: Mit der wiederholenden Messung von Gesundheitskompetenz im Rahmen des HLS-GER2 können vertiefende Erkenntnisse zum Gesundheitskompetenz-Niveau der deutschen Bevölkerung generiert werden, die internationalen Standards entsprechen und einen Vergleich zwischen zahlreichen europäischen Ländern ermöglichen. Zudem wird die Vergleichbarkeit zu anderen nationalen und internationalen Surveys erhöht.
Praktische Implikationen: Die wiederholende Messung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland im Rahmen des HLS-GER 2 bildet eine wichtige Grundlage für die Interventionsentwicklung zur Stärkung der Gesundheitskompetenz. Zudem werden neue Daten zu wichtigen Themen wie eHealth Literacy und Health Care Literacy geschaffen, die für den Versorgungskontext von besonderer Bedeutung sind.
Hintergrund: Health Literacy (HL) von Erwachsenen steht mit Gesundheitsindikatoren wie körperlicher Aktivität und Ernährungsgewohnheiten in enger Verbindung. Darüber hinaus wird davon ausgegangen, dass HL von Eltern ursächlich für das Gesundheitsverhalten ihrer minderjährigen Kinder mitverantwortlich ist. Auch ist bekannt, dass sozioökonomischer Status (SES) einen starken Einfluss auf Gesundheitswissen und -verhalten hat. Obwohl das HL-Konzept in Politik und Wissenschaft in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat, fehlen empirische Daten. In Deutschland wurde der Zusammenhang zwischen elterlicher HL, SES und Kindergesundheit bislang nicht untersucht. Die hier vorgestellten Ergebnisse tragen dazu bei, diese Wissenslücke zu schließen.
Fragestellung: Welche Zusammenhänge bestehen zwischen elterlicher Gesundheitskompetenz, SES und dem Gesundheitsverhalten von Kindern?
Methode: In einer Querschnittsstudie wurden Daten von 4.217 Eltern und ihren Kindern an 28 allgemeinbildenden Schulen in Brandenburg und Hessen erhoben. Unterschiedliche Schultypen, einschließlich Grund- und weiterführenden Schulen, Schulen in unterschiedlichen sozialen Lagen, Schulen mit niedrigem sowie hohem Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund sowie Schulen im städtischen sowie ländlichen Raum waren in der Stichprobe vertreten. Bivariate und multivariate Korrelationen zwischen HL der Eltern (basierend auf HLS-EU-Q16) und dem Gesundheitsverhalten und -status der Kinder wurden berechnet, unter Berücksichtigung von demographischen und sozioökonomischen Faktoren.
Ergebnisse: Unter den befragten Eltern zeigten 33,7% eine problematische und 12,1% eine inadäquate HL. Die wichtigste soziale Determinante von elterlicher HL war SES. Darüber hinaus standen das Alter der Eltern und der Wohnort mit HL in Zusammenhang. Eltern mit hohem SES, ältere Eltern und Eltern in Hessen wiesen eine höhere Gesundheitskompetenz auf als Eltern, die diese Charakteristiken nicht teilten. Im multivariaten Modell blieb nur SES als signifikanter Prädiktor. Andere demographische Faktoren, einschließlich Migrationsstatus sowie städtisches/ländliches Umfeld, standen in keinem statistischen Zusammenhang mit elterlicher HL.
Hohe HL der Eltern konnte mit einer Reihe von gesundheitlich positiven Verhaltensweisen der Kinder in Verbindung gebracht werden. Kinder aus Haushalten mit hoher elterlicher HL zeigten einen signifikant höheren Konsum von Gemüse, Salat und Früchten und putzten sich regelmäßiger die Zähne. Kinder unter 11 Jahren waren zudem häufiger körperlich aktiv. Ältere Kinder und Jugendliche zwischen 11 und 17 Jahren konsumierten weniger gesüßte Getränke. Ein Zusammenhang zwischen HL der Eltern und dem Alkoholkonsum, Tabakkonsum sowie dem BMI der Kinder konnte nicht festgestellt werden. Starke Zusammenhänge zwischen elterlicher HL und Lebensqualität wurden dagegen bestätigt. Eltern mit höherer Gesundheitskompetenz verfügten über eine bessere subjektive Gesundheit, eine höhere Lebenszufriedenheit und sie bewerteten auch ihre Kinder als gesünder als Eltern mit niedrigerer Gesundheitskompetenz.
Diskussion: Obwohl nicht repräsentativ, spiegelt die beschriebene Stichprobe die Vielgestaltigkeit der deutschen Bildungslandschaft mit ihren diversen Schüler- und Elternpopulationen wieder. Sie ermöglicht erstmals, den Zusammenhang zwischen Gesundheitskompetenz der Eltern und dem Gesundheitsverhalten von Kindern zu quantifizieren und mögliche ursächliche und verstärkende Prädiktoren von elterlicher HL und Kindergesundheit aufzuzeigen. Eine größere, für die Gesamtbevölkerung repräsentative Studie wäre wünschenswert, um diese Zusammenhänge weiter auszuleuchten.
Praktische Implikationen: Die vorliegenden Ergebnisse können genutzt werden, um gesundheitsstrategisch im Setting Schule erfolgversprechende Maßnahmen zur Stärkung der Gesundheitskompetenz einzuleiten. Kinder aus Haushalten mit niedriger elterlicher Gesundheitskompetenz sowie geringem SES treten als Zielgruppe besonders in Erscheinung. Vulnerable Eltern sollten gezielt unterstützt werden, ihr Gesundheitswissen zu erweitern, vorhandene Informationen und Angebote zu nutzen und evidenzbasierte gesundheitsbezogene Entscheidungen für sich und ihre Kinder zu treffen.
Hintergrund
Chronisch kranke Patienten werden zunehmend im Selbstmanagement ihrer Erkrankung geschult, um Eigenverantwortung für das Management ihrer Erkrankung übernehmen zu können. Voraussetzung für ein adäquates Selbstmanagement sind ausreichende Fähigkeiten und Wissen der PatientInnen im Umgang mit ihrer Erkrankung. Dazu sind eine ausreichende Gesundheitskompetenz und ein sicherer Umgang mit Gesundheitsinformationen notwendig. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass ärztliche und nicht ärztliche Versorger in einer patientenverständlichen Sprache kommunizieren und auf die individuellen Bedarfe und Kompetenzen der Patienten eingehen. Die folgende Untersuchung beschäftigt sich damit, ob Ärzte die Gesundheitskompetenz ihrer Patienten adäquat einschätzen können.
Fragestellung
Inwiefern gleichen oder unterscheiden sich die Selbsteinschätzung der Gesundheitskompetenz, gemessen am Health Literacy Survey-(HLS)-Score, von chronisch kranken Patienten und die Fremdeinschätzung durch ihre Versorger.
Methode
Innerhalb eines Papierfragebogens wurde unter anderem der HLS-EU-16 angewendet um persönliche Kompetenzen und Erfahrungen der Patienten in der Bewältigung gesundheitsrelevanter Fragestellungen zu messen (HLS-Score). Insgesamt wurden 345 PatientInnen aus 13 allgemeinmedizinischen Praxen in NRW schriftlich befragt. Zusätzlich wurden die behandelnden ÄrztInnen direkt nach dem Patientenkontakt ebenfalls befragt. Hierzu wurde der HLS-EU-16 so umformuliert, so dass die Behandler ihre Patienten einschätzen sollten. Über eine Zusatzfrage nur für die Behandler konnten diese die Gesundheitskompetenz ihrer Patienten auch zusammengefasst bewerten.
Ergebnisse
Das Patientenkollektiv war zu 59,7% weiblich und nahezu zur Hälfte 61 Jahre und älter (49,8%), 23,9% waren 71 und älter. Von den befragten PatientInnen wiesen 58,3% eine oder zwei chronische Krankheiten aus, 35,5% wiesen drei oder mehr Erkrankungen auf. Während 23,3% einen Migrationshintergrund hatten, gaben 74,8% Deutsch als Haussprache im Haushalt an. 41,2% hatten ein Haupt-, Volks- oder Oberschulabschluss, 22,7% einen Realschulabschluss und 30,4% einen höheren Schulabschluss, 5,7% hatten keinen regulären Abschluss.
Der HLS-Score der Selbsteinschätzung (P) war im Durchschnitt 12,2 während die ärztliche Fremdeinschätzung einen durchschnittlichen Score von 10,8 ergab (n=293 vs. 262, Unterschied signifikant auf 5%-Niveau). Die Behandler schätzen die Gesundheitskompetenz der Patienten signifikant seltener als die Patienten selbst als ausreichend (45,0% vs. 52,9%) ein, gleichsam schätzten die Behandler ihre Patienten häufiger als inadäquat gesundheitskompetent ein (33,6% vs. 14,3%). In der zusätzlichen Arzteinschätzung wurde die Gesundheitskompetenz der PatientInnen in 3,4% der Fälle als „unzureichend“, 53,2% als „eher (nicht) ausreichend“ und 43,3% als „ausreichend“ eingestuft.
Als Einflussfaktoren konnten bei der HLS-Patientenbewertung nur der Schulabschluss bestätigt werden (0,332), bei der ärztlichen HLS-Fremdeinschätzung waren Alter, Schulabschluss und die Anzahl der chronischen Krankheiten bestätigte Einflussfaktoren (-0,187; 0,178; 0,169).
Auf die zusätzliche Bewertung der Behandler hatten die Faktoren Alter, Geschlecht, Schulabschluss (-0,157; -0,162; 0,170) einen Einfluss, außerdem waren die Faktoren Migration, chronische Krankheiten sehr nah an der Signifikanzgrenze.
Diskussion
Die Selbsteinschätzung der Gesundheitskompetenz von chronisch kranken Patienten und deren Fremdeinschätzung durch die behandelnden Ärzte unterscheidet sich signifikant. Behandler schätzen die Gesundheitskompetenz ihrer Patienten signifikant schlechter ein, als diese sich selbst einschätzen. Welche Einschätzung der Gesundheitskompetenz der tatsächlichen Fähigkeit Gesundheitsinformationen zu finden, zu verstehen und anzuwenden eher entspricht, sollte in einem nächsten Schritt durch eine objektivierte Zusatzerhebung untersucht werden. Gesichert erscheint, dass Behandler bewusst oder unbewusst mehr Faktoren in Ihre Einschätzung mit einfließen lassen, dies gilt vor allem dann, wenn Behandler die Gesundheitskompetenz ihrer Patienten allgemein einschätzen sollen.
Praktische Implikationen
Für eine angemessene Gesundheitsversorgung und den richtigen Umgang mit Gesundheitsinformationen ist es nicht nur wichtig, dass Patienten befähigt sind Gesundheitsinformationen zu erlangen und zu verstehen, ebenso ist es wichtig, dass die Behandler gegebenenfalls Missstände in der Gesundheitskompetenz erkennen und adressieren können. Dazu ist es in erster Linie hilfreich, dass Patienten und Behandler eine ähnliche Einschätzung der Gesundheitskompetenz haben. In einem weiteren Schritt muss nun herausgefunden werden, welche Einschätzung eher der Realität –im Sinne einer objektiven Messung- entspricht und wie die unterschiedlichen Einschätzung zustande kommen und adressiert werden können.
Hintergrund
Gesundheitskompetenz bezeichnet die Fähigkeit eines Menschen gesundheitsrelevante Informationen zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und anzuwenden. Aufgrund der Komplexität des Gesundheitssystems und seiner Fülle an Informationen, sind Patient*innen hohen Anforderungen ausgesetzt, um gesundheitsrelevante Informationen adäquat nutzen zu können. Gesundheitsprofessionen, wie Ärzt*innen oder Pflegefachkräfte, nehmen eine besondere Rolle ein: Sie sind häufig erste Anlaufstelle von Patient*innen bei gesundheitlichen Fragen. Daher sollten verschiedenste Gesundheitsprofessionen möglichst adäquat einschätzen können, wie die Gesundheitskompetenz ihrer Patient*innen ausgeprägt ist.
Fragestellung
Das Ziel dieser Arbeit ist es, einen Überblick über den aktuellen Stand der Forschung zur Übereinstimmung zwischen der Einschätzung der patientenbezogenen Gesundheitskompetenz durch Patient*innen (Selbsteinschätzung) und verschiedener Gesundheitsprofessionen (Fremdeinschätzung) zu erstellen.
Methode
Im Januar 2019 wurde in den Datenbanken PubMed, Scopus, PsycINFO, CINAHL, Cochrane library eine systematische Literaturrecherche durchgeführt. Nach dem Titel- und Abstract- Screening und Volltext-Screening, wurden in die Auswertung Originalarbeiten eingeschlossen, bei denen die patientenbezogene Gesundheitskompetenz erhoben worden ist. Das Volltext-Screening wurde unabhängig von zwei Raterinnen durchgeführt. Weitere Einschlusskriterien waren die Einschätzungen der Gesundheitskompetenz durch Patient*innen und Gesundheitsprofessionen, die Beschreibung der Methodik der Einschätzung sowie die Analyse der Übereinstimmung der Gesundheitskompetenz von Patient*innen (Selbsteinschätzung) und der Gesundheitsprofessionen (Fremdeinschätzung). Zu den Gesundheitsprofessionen zählen Berufsgruppen, die im direkten Kontakt zu Patient*innen stehen, wie Ärzt*innen, Pflegefachkräfte, Physiotherapeut*innen, Pharmazeut*innen und Sozialarbeiter*innen.
Ergebnisse
Die Datenbankenrecherche identifizierte insgesamt 5079 Treffer, nach Abzug der Duplikate verblieben 1712 Treffer. Nach dem Titel-/Abstract-Screening wurden 40 Studien für das Volltext-Screening in Betracht bezogen. Die Daten aus acht Arbeiten erfüllten die Einschlusskriterien und wurden in die Übersichtsarbeit aufgenommen. Sechs Forschungsarbeiten stammten aus den Vereinigten Staaten, eine Studie aus Australien und eine Studie wurde länderübergreifend durchgeführt. Für die Einschätzung der Gesundheitskompetenz von Patient*innen wurden standardisierte Messinstrumente, wie der Rapid Estimate of Adult Literacy in Medicine(n=3), der Newest Vital Sign (n=1), der Single Item Literacy Screener (n=1), der Health Literacy Questionnaire (n=1), der Brief Health Literacy Screen (n=1) sowie die Kurzversion des Test of Functional Health Literacy in Adults (n=1) verwendet. In den vorliegenden Studien schätzten Ärzt*innen, Pflegefachkräfte, Sozialarbeiter*innen sowie Pharmazeut*innen die Gesundheitskompetenz ihrer Patient*innen ein. Die Einschätzung erfolgte anhand von Fragen, die sich an dem Messinstrument, das für Patient*innen verwendet wurde, orientierten (Bsp. REALM: „Basierend auf Ihrer heutigen Interaktion, wie schätzen Sie die Lesefähigkeit Ihres Patienten ein? “). In zwei Studien wurde eine Überschätzung und in einer Studie die Unterschätzung der patientenbezogenen Gesundheitskompetenz berichtet. In fünf Studien wurde sowohl eine Über- als auch Unterschätzung der Gesundheitskompetenz beschrieben: Gesundheitsprofessionen schätzten die Gesundheitskompetenz von Patient*innen mit adäquater Gesundheitskompetenz zu gering ein, die von Patient*innen mit inadäquater Gesundheitskompetenz als adäquat. Nur in einer Arbeit wurde eine adäquate Übereinstimmung berichtet.
Diskussion
Die Ergebnisse der Übersichtsarbeit verdeutlichen, dass Patient*innen und Gesundheitsprofessionen die patientenbezogene Gesundheitskompetenz unterschiedlich einschätzen. Aus Deutschland liegen dazu jedoch noch keine Daten vor. Eine Überschätzung der Gesundheitskompetenz durch Gesundheitsprofessionen kann zu Kommunikationsproblemen zwischen Patient*innen und Gesundheitsprofessionen führen. Durch die Fehleinschätzungen könnten in Gesprächen zwischen Gesundheitsprofessionen und Patient*innen ungeeignete Kommunikationstechniken angewendet und nicht auf die individuelle Gesundheitskompetenz der Patient*innen angepasste Informationen übermittelt werden.
Praktische Implikationen
Um Kommunikationsprobleme zwischen Patient*innen und Gesundheitsprofessionen zu vermeiden, sollten Gesundheitsprofessionen befähigt werden, adäquater auf die individuelle Gesundheitskompetenz von Patient*innen eingehen zu können. Daher sollten Kommunikationskonzepte zur Verbesserung der Kommunikationskompetenz von Gesundheitsprofessionen erarbeitet und implementiert werden.
Titel: Gesundheitskompetenz in der kardiologischen Rehabilitation – Entwicklung und Validierung eines Messinstruments
Hintergrund: Gesundheitskompetenz beschreibt das Wissen, die Motivation und die Fähigkeiten des Einzelnen, Gesundheitsinformationen zu finden, zu verstehen und anzuwenden, um im täglichen Leben Entscheidungen zu treffen, die die Lebensqualität erhalten oder verbessern. Geringe Gesundheitskompetenz ist mit zahlreichen gesundheitlichen Risiken verknüpft. Ob und wie geringe Gesundheitskompetenz den Erfolg einer Rehabilitationshandlung beeinflusst, ist zurzeit noch ungenügend untersucht. So existieren zwar Instrumente zur Messung des Erfolgs einer Rehabilitation, allerdings gibt es keine spezifischen Instrumente zur Messung der für eine erfolgreiche kardiologische Rehabilitation notwendigen Gesundheitskompetenz. Ziel dieses Projekts ist die Entwicklung und Validierung eines Instruments zur Erhebung der Gesundheitskompetenz bei Patientinnen und Patienten in der kardiologischen Rehabilitation. Es gibt bisher noch kein deutsches Instrument zur Erfassung der spezifischen Gesundheitskompetenz von Patienten und Patientinnen mit kardiovaskulären Erkrankungen. Zudem sind alle derzeitig verfügbaren Instrumente aus Sicht von Experten und nicht aus Sicht von Patienten konzipiert worden. Aus diesem Grund wird in diesem Projekt der Patient aktiv in die Entwicklung des Fragebogens eingebunden.
Fragestellung: Welche Domänen der Gesundheitskompetenz identifizieren Patienten als essentiell für ihren Rehabilitationserfolg? Kann ein aus diesen Domänen entwickeltes Messinstrument als Ersatz für gängige Gesundheitskompetenzinstrumente dienen?
Methode: Patientinnen und Patienten wurden an einer Klinik für kardiologische Rehabilitation durch die behandelnden Ärztinnen und Ärzte für Fokusgruppen rekrutiert. Auf Grundlage dieser Fokusgruppen wurden Aspekte der Gesundheitskompetenz identifiziert und der Fragebogenentwicklung zu Grunde gelegt. Items zu den identifizierten Domänen wurden generiert und gemeinsam mit kardiologischen Wissensfragen, dem HLS-EU-16 zur Konstruktvalidierung sowie dem HADS-D von November 2018 bis April 2019 in einer kardiologischen Rehabilitationsklinik getestet. Die Teilnahme war freiwillig und wurde nicht vergütet.
Ergebnisse: Die Patienten identifizierten Wissen, Motivation, Verantwortungsübernahme bei der eigenen Gesundheit, die Fähigkeit Gesundheitsinformationen zu suchen und richtig zu interpretieren, als auch die Hilfe durch andere als wichtige Faktoren für ihren Rehabilitationserfolg. Ergebnisse der Fragebogendaten werden bis August 2019 erwartet. Vorläufige Ergebnisse zeigen eine hohe Teilnahmebereitschaft der Patienten.
Diskussion: Nach Abschluss des Projekts wird erstmalig ein deutschsprachiger Fragebogen zur Messung der aus Patientenperspektive erforderlichen Gesundheitskompetenz für die kardiologische Rehabilitation vorliegen. Dieser kann in einem weiteren Projekt auf prädiktive Validität im Zusammenhang mit Rehabilitationserfolg getestet werden.
Praktische Implikationen: Geringe Gesundheitskompetenz ist mit zahlreichen gesundheitlichen Risiken verknüpft. Durch die genauere Eingrenzung der Kompetenzen, die Patienten als wichtig betrachten, kann die kardiologische Rehabilitation zukünftig effektiver gestaltet werden und zu weniger Wiederaufnahmen führen.
Hintergrund: Angststörungen sind die häufigsten psychischen Erkrankungen. Die 12-Monats-Prävalenz einer sozialen Phobie liegt bei 2,7% (Jacobi et al., 2014). Häufig geht die soziale Phobie mit depressiven oder somatoformen Störungen einher. Zu den wirksamen Behandlungsmöglichkeiten zählen medikamentöse und psychotherapeutische Verfahren. Wenngleich die soziale Phobie die zweithäufigste Angststörung darstellt, findet sich die Diagnose nicht unter den häufig behandelten Diagnosen bei Fachärzten oder psychologischen Psychotherapeuten (Bandelow et al., 2014). Bislang ist wenig über die individuellen Determinanten der Inanspruchnahme spezifischer Therapien bekannt. Insbesondere mangelt es an Wissen über mögliche soziale Ungleichheiten und den Einfluss der individuellen Gesundheitskompetenz als Zugangsbarrieren.
Fragestellung: Ziel ist es daher, den Zusammenhang zwischen soziodemographischen Merkmalen sowie der individuellen Gesundheitskompetenz und dem Zeitraum zwischen der ersten Informationssuche bis zur Inanspruchnahme einer Therapie bei Personen mit sozialer Phobie zu untersuchen.
Methode: Hierzu wurde von 2017 bis 2018 eine Online-Befragung von N=311 Personen mit sozialer Phobie durchgeführt. Die Befragung wurde mit der Umfragesoftware SurveyMonkey durchgeführt. Die Befragung war Teil eines größeren Projekts und Forschungsverbunds zur Epidemiologie der sozialen Phobie (Social Phobia Research). Zur Messung der interaktiven Gesundheitskompetenz wurde die Subskala „Ability to actively engage with healthcare providers“ des HLQ-Fragebogens (Osborne et al., 2013) in der deutschen Adaptation (Nolte et al., 2017) eingesetzt. Soziodemographische Merkmale und der Zeitraum zwischen der ersten Informationssuche bis zur Inanspruchnahme einer Therapie wurden mit standardisierten faktischen Einzelitems erhoben. Die Daten wurden mit der Software SPSS analysiert. Neben deskriptiven statistischen Verfahren wurde explorative Korrelationsanalysen durchgeführt.
Ergebnisse: Die Befragten sind durchschnittlich 46 Jahre alt (20-81), 59% sind Frauen. Der Mittelwert der HLQ-Subskala liegt auf einer Antwortskala von 1 bis 5 bei 2,86. Der häufigste Zeitraum bis zur Inanspruchnahme ist 0-3 Monate (34,7%), gefolgt von 4-6 Monate (15,8%) und 7-12 Monate (8,4%) Bei einem Signifikanzniveau von ,01 finden sich signifikante Korrelationen zwischen dem Alter und dem Zeitraum bis zur Inanspruchnahme (r= ,197; p=,003) sowie der interaktiven Gesundheitskompetenz und dem Zeitraum bis zur Inanspruchnahme (r= -,235; p=,000). Das Geschlecht, der Familienstatus, die Schulbildung, der Zeitraum seit Diagnose sowie die Art der Krankenversicherung sind nicht signifikant mit dem Zeitraum bis zur Inanspruchnahme assoziiert.
Diskussion: Es handelt sich um eine explorative Querschnittsstudie, daher können die gefundenen Zusammenhänge nicht kausal interpretiert werden. Dennoch zeigen sich erste Hinweise auf soziale Ungleichheiten in Bezug auf den Zugang zu psychotherapeutischer oder medikamentöser Therapie bei Personen mit sozialer Phobie. Je älter die Personen und je geringer ihre Gesundheitskompetenz, desto mehr Zeit vergeht bis zur Inanspruchnahme einer Therapie.
Praktische Implikationen: Diese Hinweise sollten für weiterführende Analysen und die Erarbeitung von Empfehlungen genutzt werden, um zukünftig Zugangs- und Inanspruchnahmebarrieren für besonders vulnerable Personengruppen reduzieren zu können.
Für Patienten geeignet.
Hintergrund
Bei Personen mit multipler Sklerose (MS) können Symptome und Beeinträchtigungen erheblich fluktuieren. Diese zeitliche Dynamik wird von patientenberichteten Endpunkten (PROs) in der Regel nicht erfasst. So fragt auch der häufig verwendete Fragebogen EQ-5D-5L nach verschiedenen Beeinträchtigungen am aktuellen Tag, ohne dabei Schwankungen zu erfassen.
Fragestellung
Ziel unserer Studie war es, eine “intensive longitudinal assessment” (ILA)-Version des EQ-5D-5L zu entwickeln. Bei diesem Messansatz – auch bekannt als „Ambulatory Assessment“ – bewerten Patienten mittels eines Mobiltelefons für die Dauer mehrerer Tage mehrfach täglich ihre Gesundheit.
Methode
Eine erste ILA-Version wurde anhand der Ergebnisse zweier Fokusgruppen mit 4 bzw. 5 MS-Betroffenen entwickelt. In den Fokusgruppen berichteten die Teilnehmer/innen zu jeder der vom EQ-5D-5L erfassten Beeinträchtigungen, in welchem Muster dieses typischerweise fluktuiert. Zudem diskutierten sie, welche Spezifikationen einer ILA-Version aus ihrer Sicht am besten geeignet wären, diese Schwankungen zu erfassen.
Das ILA wurde anschließend in mehreren Wellen von jeweils 3-5 Patient/innen im Alltag 7-9 Tage lang getestet. In anschließenden kognitiven Interviews wurden die Patient/innen zur Anwendbarkeit und Augenscheinvalidität des ILA befragt sowie dazu, welche Schwierigkeiten bzw. Verbesserungsmöglichkeiten sie sahen. Hierbei wurden auch die individuellen Antwortmuster der Patient/innen grafisch präsentiert und besprochen. Vor und nach der ILA-Testung füllten die Patient/innen zusätzlich die Standardversion des EQ-5D-5L aus.
Entsprechend den Rückmeldungen der Teilnehmer/innen jeder Testungsrunde wurde die ILA-Version optimiert und die jeweils resultierende überarbeitete Version in der folgenden Welle getestet (insg. bis zu 30 Patient/innen). Dies erfolgt so lange, bis eine Datensättigung erreicht ist, d. h. sich keine Änderungsbedarfe mehr aus den Rückmeldungen ergeben.
Ergebnisse
In den Fokusgruppen berichteten die Betroffenen, dass ihre Beeinträchtigungen sowohl innerhalb eines Tages als auch von einem Tag zum anderen deutlich schwanken können. Sie sahen eine ILA-Version mit 3 Erhebungen pro Tag über eine Dauer von 7 Tagen als am besten geeignet an. Die Fragen sollten sich rückblickend auf die Zeit seit der jeweils vorangegangenen Erhebung beziehen (z. B. in der morgendlichen Erhebung auf die Zeit seit dem Schlafengehen). Nicht alle Items des EQ-5D-5L sollten zu jedem Zeitpunkt erfragt werden, wie z. B. die visuelle Analogskala zur Gesundheit insgesamt: diese sollte nur einmal täglich am Abend erhoben werden.
Aktuell haben die ersten 2 Patientengruppen die ILA-Version getestet, die dritte ist terminiert. Die Rückmeldungen der Teilnehmer/innen veranlassten mehrere Anpassungen des ILA, z. B. hinsichtlich der genauen Erhebungszeiten sowie der Häufigkeit, mit der das Item zu Angst/Niedergeschlagenheit erhoben wird. Alle bislang interviewten Patient/innen präferierten die ILA-Version gegenüber der herkömmlichen Erhebung des EQ-5D-ILA, da sie diese als informativer, aber nicht als zu belastend bewerteten. Aktuell werden die folgenden Erhebungsrunden durchgeführt, bis eine Datensättigung erreicht und somit die finale ILA-Version entwickelt ist; dies wird für Ende Mai 2019 erwartet.
Diskussion
Eine einwöchige ILA-version des EQ-5D-5L kann gesundheitliche Schwankungen innerhalb eines Tages sowie von einem Tag zum nächsten erfassen und scheint für Menschen mit MS gut handhabbar zu sein.
Praktische Implikationen
Die Erhebung der subjektiven Gesundheit anhand einer ILA-Version des EQ-5D-5L kann in zukünftigen Studien eingesetzt werden, um aussagekräftigere Daten zu erhalten sowie zeitliche Schwankungen abzubilden.
Der Arzt-Patienten-Kommunikation wird in der aktuellen Forschung ein hoher Stellenwert für den Konsultationsverlauf beigemessen. Folgt man diesem Ansatz, lässt sich konstatieren, dass die hausärztliche Konsultation maßgeblich durch Kommunikation mit dem Patienten in Form von Beratung, Anamnese und Diagnosestellung geprägt ist. Folgerichtig wird häufig ein direkter Zusammenhang zwischen der Kommunikationsweise des Arztes und der Patientenzufriedenheit vorausgesetzt.
Ausgehend von der Hypothese, dass sich Patientenzufriedenheit allem voran anhand eines Erwartungs-Erfahrungs-Abgleichs testen lässt, soll untersucht werden, welchen Einfluss die Arzt-Patienten-Kommunikation auf die Patientenzufriedenheit hat.
Ein auf dem Erwartungs-Erfahrungs-Abgleich beruhender standardisierter Fragebogen wurde entwickelt und in 15 Hausarztpraxen eingesetzt. Die Stichprobe bestand aus 15 Hausarztpraxen zu je 80 Patienten (n=1200). Aufgrund der Einbettung in eine Cluster-Randomisierte Studie, sind die untersuchenden Arztpraxen in einem experimentellen Design in Interventions- und Kontrollgruppe unterteilt. Das Treatment in der Interventionsgruppe erfolgte durch die Teilnahme des jeweiligen Arztes an einer Schulung zu patientenorientierter Kommunikation.
Es konnten in der vorliegenden Stichprobe keine signifikanten Zusammenhänge zwischen patientenorientierter Kommunikation und der Patientenzufriedenheit festgestellt werden. Zwischen Interventions- und Kontrollgruppe sind ebenfalls keine signifikanten Unterschiede abbildbar. In beiden Gruppen ist die durchschnittliche Zufriedenheit gleichermaßen sehr hoch. Gleichzeitig zeigen sich jedoch Unterschiede zwischen den jeweiligen Praxen. Eine Regression der Zufriedenheit auf soziodemographische Merkmale der Patienten liefern Hinweise darauf, dass Versichertenstatus und Alter signifikanten Einfluss auf die Zufriedenheit nehmen. Aufgrund der vorliegenden Ergebnisse, kann in Frage gestellt werden, inwiefern Patientenzufriedenheit maßgeblich durch Kommunikation geformt werden kann.
Obgleich methodische Reflexion der geeigneten Erhebung zu diskutieren sind, stellt dieser Beitrag ebenfalls eine Grundlage zur Diskussion der Vorannahme eines direkten Einflusses der Kommunikation auf Patientenzufriedenheit in weiteren Versorgungsforschungsprojekten, dar. Durch die Isolierung der Kommunikation als Einflussfaktor zur Patientenzufriedenheit, lassen sich Vorannahmen verschiedener Ansätze zur Fokussierung der patientenzentrierten Kommunikation diskutieren.
Insgesamt stellt dieser Beitrag sowohl den Einfluss der Kommunikation auf die Patientenzufriedenheit als auch die Wahl der geeigneten Methode zur Operationalisierung und Messung von Patientenzufriedenheit zur Diskussion.
Das zugrunde liegende Ziel bei der Erstellung des PiK-Fragebogens war es, ein universal einsetzbares Erhebungsinstrument für die hausärztliche Praxis zu entwickeln, welches die Patientenzufriedenheit in der hausärztlichen Konsultation im Rahmen patientenzentrierter Versorgung in den Fokus stellt und in einem möglichst kompakten Design abfragt. Das vorgestellte Projekt stellt einen Teil der Grundlagenforschung in der allgemeinmedizinischen Versorgungsforschung dar und leistet somit einen Beitrag zur transparenteren Aufbereitung von Vorannahmen.
Hintergrund
Das Tragen spezieller Kompressionsstrümpfe ist unter anderem nach Venenoperationen medizinisch geboten. Allerdings werden – laut klinischer Erfahrung und Patientenberichten – Kompressionsstrümpfe häufig nicht wie verordnet getragen, etwa weil die Handhabung Umstände bereitet oder die Strümpfe ästhetisch als beeinträchtigend wahrgenommen werden.
Fragestellung
Um künftig die Präferenzen von Patient/innen in Bezug auf die Kompressionsbehandlung einfach und valide erfassen und den patientenseitigen Nutzen der Behandlung beurteilen zu können, sollte in dieser Studie ein standardisiertes Erhebungsinstrument entwickelt werden. Der Fragebogen „PBI-Comp“ sollte dabei auf der Methodik des „Patient Benefit Index“ beruhen, der bereits für andere Indikationen etabliert ist. Hierbei bewerten Patient/innen vor der Behandlung die Wichtigkeit verschiedener Therapieziele sowie nach der Behandlung den Grad der Zielerreichung.
Methode
35 Patientinnen und Patienten wurden vor oder nach Stripping einer Vena saphena magna anhand eines Freitextfragebogens zu ihren Präferenzen in Bezug auf die Kompressionsbestrumpfung befragt. Die Daten wurden qualitativ ausgewertet, indem die Angaben jeweils einem oder mehreren induktiv entwickelten Themen zugeordnet wurden. Im Expertenkonsens mit Patienten, Methodikern, Klinikern und Kompressionsexperten wurden anhand der Ergebnisse Items für den PBI-Comp entwickelt. Der resultierende Fragebogen wurde in Einzelinterviews mit insg. 10 Patientinnen und Patienten pilotgetestet und überarbeitet.
Ergebnisse
Die 322 Freitextangaben der zehn Patient/innen konnten 29 Themenbereichen zugeordnet werden, gegliedert in 11 Oberthemen (Ästhetik, Tragekomfort, Handhabung, Beingefühl, Prävention, Besserung allgemein, Beschwerden lindern, Blutfluss/Venenfunktion, Mobilität und Bewegung, Psyche, Sonstiges) mit jeweils 0-9 Unterthemen. In der Expertenkonferenz konnten 17 Behandlungsziele als Items für den PBI-Comp entwickelt werden, sodass die zentralen Themen abgedeckt wurden. Nach der ersten Runde der Pilottestungen wurde der Bogen entsprechend überarbeitet. Alle Patient/innen der zweiten Pilottestungsrunde befanden den Fragebogen für gut verständlich und inhaltlich vollständig.
Diskussion
Mit dem PBI-Comp liegt erstmals ein Instrument zur Erhebung der Ziele und Nutzen in der Kompressionstherapie vor. Die Validierung des Instruments ist in Planung.
Praktische Implikationen
In der klinischen Praxis kann der PBI-Comp zur Erhebung der Patientenpräferenzen eingesetzt werden, um entsprechend die Kompressionsbehandlung zu planen und/oder zu besprechen. Dies könnte zu einer Erhöhung der späteren Tragedauer der Kompression führen. Der Nutzen der Behandlung kann ebenfalls mit dem PBI-Comp erhoben werden. Für den Einsatz des Bogens auch in der Forschung, etwa zur Bewertung des patientenseitigen Nutzens verschiedener Kompressionstherapien, sind Daten zu den psychometrischen Eigenschaften des Instruments erforderlich. Hierzu soll die geplante längsschnittliche Validierungsstudie dienen.
Hintergrund: Das Konzept der patientenzentrierten Versorgung sieht vor, Patient*innen, ihre Bedürfnisse und Werte in den Mittelpunkt der Versorgung zu stellen und sie angemessen informiert partizipativ in die Behandlungsplanung einzubeziehen. In diesem Kontext stellt sich die Frage, anhand welcher Zielparameter die Relevanz für Patient*innen adäquat abgebildet werden kann, durch wen die Relevanz beurteilt wird und, ob es spezifische Kriterien gibt, die Patient*innen als relevant erachten. In der Literatur werden verschiedene Terminologien verwendet, ohne dass eine einheitliche Definition und Klassifikation patienten-relevanter Zielparameter erkennbar ist.
Fragestellung: (1) Welche Begriffe werden zur Umschreibung patienten-relevanter Zielparameter in der internationalen Literatur verwendet? (2) Welche Parameter werden als patienten-relevant erachtet? (3) Wie wird die Auswahl dieser Parameter begründet?
Methoden: Es wurde eine systematische Literaturrecherche in PubMed durchgeführt. Berücksichtigt wurden Artikel aus dem Zeitraum 01.01.2000 bis 31.03.2019, die im Titel einen der Begriffe patient-relevant outcome(s), patient-relevant endpoint(s), patient-relevant parameter(s), patient-relevant indicator(s), patient-important outcome(s), patient-important endpoint(s), patient-important parameter(s), patient-important indicator(s), patient-preferred outcome(s), patient-preferred endpoint(s), patient-preferred parameter(s) oder patient-preferred indicator(s) aufwiesen und über konkrete Zielparameter berichteten, die von den Autoren als patienten-relevant bezeichnet wurden. Die so identifizierten Artikel wurden mittels strukturierender qualitativer sowie quantitativer Inhaltsanalyse ausgewertet: (1) Alle Begriffe zur Umschreibung patienten-relevanter Zielparameter wurden in Originalschreibweise aus den Artikeln zusammengetragen und im Gesamten sowie je Artikel quantifiziert. (2) Die als patienten-relevant berichteten Zielparameter wurden artikelweise extrahiert und induktiv kategorisiert. (3) Je Artikel wurde überprüft, ob und wie die Autoren begründeten, warum sie die Zielparamater als patienten-relevant erachteten. Die Begründungen wurden induktiv kategorisiert.
Ergebnisse: Die Suche ergab 73 Artikel, von denen 42 die Einschlusskriterien erfüllten. Insgesamt wurden 30 verschiedene Termini identifiziert. Am häufigsten verwendeten die Autoren die Begriffe „patient-important outcome“ (n=22 Studien, 52,4%) und „patient-relevant outcome“ (n=16 Studien, 38,1%) zur Umschreibung patienten-relevanter Zielparameter. 20 Studien (47,6%) beschränkten sich auf einen Begriff und 14 (33,3%) auf maximal zwei Begriffe, während die restlichen 8 Studien bis zu fünf Begriffe verwendeten. Als patienten-relevant beschrieben die Autoren am häufigsten die Zielparameter schwerwiegende Ereignisse/Komplikationen, Überleben/Mortalität, Symptome, Schmerz und generische Lebensqualität. Die Mehrzahl der Studien (n=38, 90,5%) stellte die Patientenrelevanz nicht generisch, sondern für einzelne Erkrankungen bzw. Interventionen dar, zum Beispiel Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Knie- oder Hüftendoprothetik. Begründungen für die Patientenrelevanz der Zielparameter basierten auf Einschätzungen von Patient*innen und/oder Expert*innen (n=13, 31,0%), auf anderen Studien (n=10, 28,8%) bzw. spezifischen Klassifikationen wie ICF (n=2, 4,8%) oder auf der Annahme, dass patienten-relevante mit selbstberichteten Zielparametern gleichzusetzen sind (n=3, 7,1%). In 14 Studien (33,3%) begründeten die Autoren die Patientenrelevanz nicht.
Diskussion: Die Analyse zeigt eine Vielzahl verschiedener Zielparameter und Begriffe zur Umschreibung patienten-relevanter Zielparameter auf, ohne dass ein einheitliches zugrundeliegendes Konzept oder Begriffsverständnis erkennbar ist. Zudem fällt auf, dass Parameter, die soziale Dimensionen abbilden, unterrepräsentiert sind. Das Fehlen einer allgemeingültigen Terminologie sowie die inkonsistente Auswahl von Zielparametern erschweren die Vergleichbarkeit von Studien und Behandlungsansätzen, und damit auch die Beurteilung des Patientennutzens.
Praktische Implikationen: Die Operationalisierung einer patientenzentrierten Versorgung bedarf der Verständigung auf eine Terminologie für patienten-relevante Zielparameter und sollte Patient*innen aktiv beteiligen. Dazu soll auf der Grundlage der vorliegenden Ergebnisse eine qualitative Studie mit Leistungserbringern und Patient*innen durchgeführt werden, mit dem Ziel, erkrankungsübergreifend Parameter mit Relevanz für Patient*innen zu identifizieren.
Hintergrund: Um wichtige gesundheitswissenschaftliche Themen fundiert untersuchen zu können, werden in der Versorgungsforschung Fallzahl-starke, multizentrische Studiendesigns gefordert, die auch einen Vergleich von Versorgern ermöglichen sollen. Dieser Vergleich verschiedener Einrichtungen – auch im Sinne der Qualitätssicherung - kann jedoch nur gelingen, wenn Unterschiede der jeweiligen Patientenkollektiv-Zusammensetzung („Casemix“) bei der Datenanalyse berücksichtigt werden. Es müssen also statistische Methoden erprobt werden und letztlich zur Verfügung stehen, die solch eine Adjustierung für den „Casemix“ zuverlässig ermöglichen. Für die in zertifizierten Prostatakrebszentren durchgeführte „Prostate Cancer Outcome“ (PCO)- Studie soll hier das Vorgehen vorgestellt werden, in dem die Ergebnisse durch eine Casemix-Adjustierung für ausgewählte Patientenmerkmale einem fairen Versorgervergleich zugänglich gemacht werden.
Fragestellung: Wie kann durch eine Casemix-Adjustierung die anhand von Patient-Reported Outcomes (PROs) gemessene Ergebnisqualität verschiedener PCO-Studienzentren fair verglichen werden?
Methode: Für die PCO-Studie werden Patienten mit Prostatakarzinom (PKa) seit 2016 zu Ihrer gesundheitsbezogenen Lebensqualität mithilfe des „Expanded Prostate Cancer Index Composite with 26 Items“ (EPIC-26) - Fragebogens prä- und posttherapeutisch befragt. Aus den Antworten werden fünf Scores zu den Domänen irritative/obstruktive, Inkontinenz-, gastrointestinale, sexuelle und hormonelle Symptomatik gebildet. Anhand der Befragungsdaten von 312 Patienten aus fünf PKa-Zentren mit jeweils mindestens 30 eingeschlossenen Patienten werden unterschiedliche Adjustierungsmodelle für die posttherapeutischen Scores analysiert. Dabei wird auch untersucht, wie zeitliche Veränderungen (prä- und posttherapeutische Unterschiede) statistisch fundiert berichtet werden können. Als Variablen für die Casemix-Adjustierung werden dabei folgende Einrichtungs-unabhängige Patienteneigenschaften berücksichtigt: prätherapeutischer Scorewert, Alter, Risikoklassifikation nach d’Amico, Anzahl der Komorbiditäten, Staatsbürgerschaft, Krankenversichertenstatus, Bildungsabschluss, Androgendeprivation vor Behandlung, sowie Active Surveillance vor Behandlung. Die Ergebnisse der unterschiedlichen PKa-Zentren werden miteinander verglichen.
Ergebnisse: Die fünf PKa-Zentren unterscheiden sich nicht signifikant in der patientenberichteten Ergebnisqualität nach der Casemix-Adjustierung. Die den Adjustierungsmodellen zugrundeliegenden linearen Regressionsmodelle weisen zufriedenstellende statistische Gütemaße auf (adjustierte R² zwischen 0,12 und 0,21 , p < 0,001 für alle Scores).
Diskussion: Das hier vorgestellte Verfahren zur Casemix-Adjustierung stellt einen wichtigen Baustein für den fairen Vergleich von verschiedenen Studienzentren bei multizentrischen Befragungen in der Versorgungsforschung dar.
Praktische Implikationen: In die für die PCO-Studie vorgestellte Casemix-Adjustierung wurden die teilnehmenden Prostatakrebszentren bereits während der Entwicklung einbezogen, um möglichst früh eine Einbindung in die Praxis zu gewährleisten. So werden dien Studienzentren schon im Studienverlauf ihre Ergebnisse in im Vergleich zu den anderen Studienzentren Casemix-adjustiert mitgeteilt. Die PKa-Zentren können diese Informationen direkt in ihrem klinischen Alltag nutzen, sodass die Ergebnisse zeitnah bei den Betroffenen ankommen können.
Hintergrund:
Der Schlaganfall verändert das Leben von Patient*innen und Angehörigen und zwingt sie, ihren Lebensalltag an die neue Situation anzupassen. Die Schlaganfall-Ring-Box (S-R-B) basiert auf einem Fragenkatalog, der auf der Grundlage des ICF-Core Sets für eine Patient*innenschulung entwickelt wurde, mit dem Ziel, die Selbstwirksamkeit zu erweitern. Der Schlaganfall-Ring-Schleswig-Holstein hat seit 2016 bislang ca. 1900 Boxen an Patient*innen und in die Schlaganfallnachsorge eingebundene Berufsgruppen verteilt. Allerdings ist bislang unklar, ob die Box die Betroffenen tatsächlich darin unterstützt, ihre Bedarfe und Therapieziele zu identifizieren und zu priorisieren. Eine Evaluation der Anwendung hat bisher noch nicht stattgefunden.
Fragestellungen:
• „Welche Erfahrungen haben Schlaganfallpatient*innen und an der Schlaganfallversorgung beteiligte Berufsgruppen bei der Anwendung der S-R-B gemacht?“
• Ist die S-R-B als Selbstmanagementinstrument für Schlaganfallpatient*innen geeignet?
• Stellt die S-R-B ein Instrument zur Verbesserung von Kommunikation und Austausch zwischen den Berufsgruppen und den Patient*innen dar?“
Methode:
Forschungsansatz der qualitativen Evaluationsforschung nach von Kardorff mit Durchführung von 10 Leitfaden gestützten Interviews. Es wurden 8 Schlaganfallpatient*innen und 1 Ergotherapeutin und 1 Neuropsychologin als Stellvertreterinnen der an der Versorgung beteiligten Berufsgruppen befragt. Die Auswertung des Materials orientiert sich an der qualitativen, strukturierenden und typisierenden Inhaltsanalyse nach Kuckartz. Die Untersuchung wurde im Rahmen einer Masterarbeit durchgeführt.
Ergebnisse
Die Box wird als unterstützendes Instrument zur Selbstreflexion und ersten Einschätzung der Erkrankung gesehen, bietet jedoch keine weiteren Handlungsanweisungen. Hierbei benötigen und vertrauen die Patient*innen auf die Expertise der behandelnden Berufsgruppen. Als zusätzliche Darreichungsformen werden eine digitale Version der Box und eine Kurzvariante für den Einsatz in der akuten Phase nach dem Schlaganfall vorgeschlagen. Wichtig seien über die Arbeit mit der Box hinaus die Möglichkeit des gemeinsamen Austauschs (z.B. Zeiträume für Telefonate zwischen den Behandler*innen) und gemeinsame Dokumentationsformen (z.B. eine digitale Patient*innenakte). In der strukturierenden und typisierenden Inhaltsanalyse zeigten sich in Bezug auf den Informationsbedarf drei Haupttypen der Anwender*innen der Box: Patient*innen mit hohem Informationsbedürfnis, mit sukzessivem Informationsbedürfnis und mit situativem Informationsbedürfnis.
Diskussion:
Für Betroffene, die sich gerne informieren und mit ihrer Erkrankung auseinandersetzen, stellt die Box ein sinnvolles Instrument zur Unterstützung des Selbstmanagements dar. Der/die Betroffene muss selbst körperlich und kognitiv in der Lage sein, die Karten der Box zu lesen, zu verstehen und nach persönlicher Einschätzung einzusortieren. Ist dies nicht der Fall, ist der/die Betroffene auf die Unterstützung von Angehörigen oder Behandler*innen angewiesen, was die Möglichkeiten des Selbstmanagements mindert. Eine Verbesserung des Austauschs unter den Berufsgruppen anhand der S-R-B konnte nicht aufgezeigt werden, da die Box in ihrer derzeitigen Version nicht als Austauschmedium fungiert. Hierfür müssten Anpassungen vorgenommen werden, wie z.B. gesonderte Therapieplan-Karteikarten oder farbig gekennzeichnete Karteikarten, zugeordnet zu den unterschiedlichen Berufsgruppen. Der Austausch zwischen den Berufsgruppen und den Patient*innen kann anhand der Box verbessert werden, da die Patient*innen durch die Informationen der Box eine erweiterte Gesprächsgrundlage erlangen und die Karten als Gesprächsleitfaden dienen.
Praktische Implikationen:
Die S-R-B kann als ein unterstützendes Informationsinstrument eingesetzt werden, mit dem sich Patient*innen nach einem Schlaganfall einen Überblick über ihren aktuellen Gesundheitszustand verschaffen und je nach individueller Ausgangslage in ihren Selbstmanagementfähigkeiten gefördert werden können. Die von Patient*innen priorisierten Themen können als Gesprächsgrundlage im Austausch mit den behandelnden Berufsgruppen dienen. Auch wenn die Box den bisherigen Austausch zwischen den Berufsgruppen nicht direkt fördert, könnte die Anwendung der Box in Kombination mit anderen Maßnahmen den Versorgungsablauf optimieren. Mittel- bis langfristig kann mit der Box ein unterstützendes Nachsorgeinstrument in der Schlaganfallversorgung geschaffen werden, welches die Patient*innen-Autonomie stärkt und die Zusammenarbeit mit den behandelnden Berufsgruppen erleichtert. Die Kenntnis der Typen in Bezug auf den Informationsbedarf kann für die Behandlung genutzt werden, um Patient*innen zielgerichtet und bedarfsgerecht zu informieren.
Hintergrund:
Question Prompt Lists (QPL), sogenannte Fragenidentifikationslisten, enthalten mögliche Fragen und Themenbereiche, die für Patienten während einer Konsultation wichtig sein können. Viele wissenschaftliche Studien belegen, dass Question Prompt Lists (QPL) (d.h. Fragen-Identifikationslisten) Krebspatienten unterstützen, die für sie wichtigen Fragen und Themenbereiche zu identifizieren und Ärzten helfen sich am individuell unterschiedlichen Informationsbedürfnis der Patienten zu orientieren. Sie zeigen einen positiven Einfluss auf Diskussionen über Prognose und Behandlungsmöglichkeiten und helfen den Patienten, Inhalte des Gespräches anschließend besser rekapitulieren zu können (Dimoska et al. 2008; Brandes et al. 2015). Jedoch stammen diese Daten weitestgehend aus dem Ausland, insbesondere aus Australien. In Deutschland gibt es bislang keinen Versuch der Etablierung einer QPL für Lungenkrebspatienten.
Fragestellung:
Für Patienten mit metastasierten Krebserkrankungen ist eine gute Kommunikation mit dem Arzt essentiell für die Behandlung. Es wird daher untersucht, bei welchen Aspekten sie eine QPL dabei unterstützen kann. Basierend auf diesen Ergebnissen wird dann eine QPL für Patienten mit einem metastasierten Lungenkarzinom in Deutschland entwickelt.
Methoden:
Qualitatives Studiendesign: Es werden ca. 30 qualitative Interviews mit Lungenkrebspatienten und deren Angehörigen geführt (bis zur theoretischen Sättigung). Für die Durchführung der Interviews wird ein semi-strukturierter Interviewleitfaden entwickelt. Patienten und Angehörige werden dazu befragt, wo sie Chancen und Hindernisse für eine Nutzung einer QPL sehen, welche Themenbereiche sie als relevant erachten, welche Frageformulierungen gut oder weniger gut funktionieren, etc. Die Interviews werden als Experteninterviews geführt (Bogner 2002), aufgezeichnet, nach Datenschutzrichtlinien anonymisiert, transkribiert und inhaltsanalytisch ausgewertet (Mayring 2015; Kuckartz 2016) mit Hilfe von MaxQDA.
Auf Basis der Interviewergebnisse wird im zweiten Schritt eine QPL erarbeitet, die in einer Fokusgruppe von ca. 5-7 onkologisch tätigen Ärzten zur Evaluation und gegebenenfalls Bearbeitung vorgelegt wird. Auch hier wird für die Durchführung ein semi-strukturierter Leitfaden entwickelt. Das Fokusgruppengespräch wird ebenfalls aufgezeichnet, nach Datenschutzrichtlinien anonymisiert, transkribiert und inhaltsanalytisch ausgewertet.
Im letzten Schritt wird die evaluierte Liste 20 weiteren Lungenkrebspatienten vorgelegt und von diesen anhand eines Fragebogens evaluiert.
Die so entwickelte QPL wird dann in weiteren Studien in der klinischen Praxis erprobt.
Erwartete Ergebnisse:
Es wird erwartet, dass mithilfe der Patienten, Angehörigen und Ärzte ein Bedarf für eine Kommunikationshilfe ermittelt wird und eine QPL entwickelt werden kann, die bestmöglich auf die Bedürfnisse der Patienten mit metastasiertem Lungenkarzinom abgestimmt ist und von Ärzten, Angehörigen und Patienten als nützlich und hilfreich erachtet wird für weitere Konsultationen.
Diskussion:
Die Entwicklung einer QPL für metastasierte Lungenkrebspatienten in Deutschland ist ein wichtiger Schritt für die Verbesserung der Kommunikation mit Schwerkranken. Diskutiert werden muss, wie diese bestmöglich in die Versorgung integriert werden können.
Praktische Implikationen:
Mithilfe einer QPL sollen künftig die Gespräche zwischen Arzt und Patient, insbesondere bei belastenden Themen wie Prognose bei metastasiertem Lungenkrebs, vorausschauende Versorgungsplanung, Einbindung von Palliative Care etc. erleichtert werden.
Hintergrund: Hauterkrankungen sind nicht nur körperlich, sondern auch psychisch belastend. Einige Studien zur psychischen Belastung von Hauterkrankungen konnten bereits zeigen, dass Patienten mit Hauterkrankungen häufig an psychischen Komorbiditäten wie Depression, Angststörungen oder Suchtstörungen leiden. Laut WHO ist psychische Gesundheit jedoch mehr als die Abwesenheit psychischer Störungen, sondern ein Zustand subjektiven Wohlbefindens. Studien, die explizit das Wohlbefinden von Patienten mit Hauterkrankungen messen, fehlen jedoch fast vollkommen. In dieser Studie soll deshalb die happiness, operationalisiert sowohl als das subjektive Wohlbefinden als auch als heuristische Einschätzung des eigenen Glücks (i.S.d. Glückempfindens), von Patienten mit chronischen Hauterkrankungen gemessen und evaluiert werden.
Fragestellung: Wie unterscheiden sich Patienten mit chronischen Hauterkrankungen von gesunden Kontrollen hinsichtlich ihrer happiness?
Methode: Querschnittsstudie von Dezember 2017 bis April 2019. Patienten mit chronischen Hauterkrankungen wurden im Rahmen einer stationären oder ambulanten Behandlung an der dermatologischen Klinik eines Universitätsklinikums rekrutiert. Als Vergleichsgruppe wurden gesunde Kontrollen aus derselben Region mithilfe eines externen Dienstleisters rekrutiert. Die Studienteilnehmer wurden gebeten einen Fragebogen zum Thema happiness auszufüllen, der sich aus validierten Skalen zur Messung des subjektiven Wohlbefindens zusammensetze. Konkret wurden drei Komponenten des subjektiven Wohlbefindens gemessen: Positiver Affekt, negativer Affekt (PANAS) und Lebenszufriedenheit (SWLS). Zusätzlich wurde die happiness als heuristische Einschätzung des eigenen Glücks mithilfe einer einzelnen Frage gemessen: „Alles in allem, was würden Sie sagen, wie glücklich sind Sie?“. Die dermatologischen Patienten wurden mittels ANCOVA und kontrolliert für Alter und Geschlecht hinsichtlich ihrer happiness mit den gesunden Kontrollen verglichen. Adjustierte Mittelwerte (ma) werden berichtet.
Ergebnisse: Insgesamt wurden 229 dermatologische Patienten (Altersdurchschnitt 53,3 ± 18,4 Jahre, 48% weiblich) und 106 gesunde Kontrollen (Altersdurchschnitt 38,4 Jahre ± 13,4 Jahre, 49% weiblich) rekrutiert. Die Diagnosen der dermatologischen Patienten waren: Psoriasis (52), Atopisches Ekzem (50), Mastozytose (53), Nummuläres Ekzem (24) und Hautkrebs (50). Dermatologische Patienten berichteten, kontrolliert für Alter und Geschlecht, signifikant geringere Werte an positivem Affekt (ma=3,17 vs. ma=3,49, p=.001) und heuristischer happiness (ma=6,45 vs. ma=7,12, p=.021) als die Kontrollen. Hinsichtlich des negativen Affekts (p=.436) und der Lebenszufriedenheit (p=.076) zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zu den Kontrollen. Bei genauerer Differenzierung der dermatologischen Erkrankung zeigte sich signifikant geringere Werte an positiven Affekt bei Patienten mit Psoriasis (ma=3,2, p=.032) und atopischem Ekzem (ma=3, p < .000), verglichen mit den Kontrollen (ma=3,48). Auch schätzen sich Patienten mit Psoriasis (ma=5,85, p=.002) und atopischem Ekzem (ma=6,09, p=.015) als signifikant weniger glücklich ein als die gesunden Kontrollen (ma=7,07). Hinsichtlich des negativen Affekts zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den verschiedenen Patientengruppen und den Kontrollen. In Bezug auf die Lebenszufriedenheit berichteten Patienten mit Hautkrebs sogar signifikant höhere Werte als die Studienteilnehmer der Kontrollgruppe (ma=5,53 vs. ma=4,81, p=.003).
Diskussion: Patienten mit Hauterkrankungen berichten geringere Werte an positivem Affekt und schätzen sich als weniger glücklich ein als gesunde Kontrollen. Dies gilt besonders für Patienten mit Psoriasis und atopischem Ekzem. Hauterkrankungen und insbesondere die genannten Diagnosen beeinträchtigen folglich das subjektive Wohlbefinden der Betroffenen. Jedoch sind nicht alle Komponenten des subjektiven Wohlbefindens gleichermaßen betroffen. Patienten mit Hautkrebs berichteten sogar höhere Werte an Lebenszufriedenheit als die Kontrollgruppe.
Praktische Implikationen: Hauterkrankungen und dabei vor allem die Psoriasis und das atopische Ekzem beeinträchtigen die happiness der Betroffenen. Insbesondere scheint das Erleben von positiven Emotionen bei Hauterkrankungen beeinträchtigt zu sein. Da positiver Affekt im Zusammenhang mit einigen positiven Gesundheitsoutcomes wie einem niedrigerem Blutdruck, einem geringerem Cortisol-Spiegel und besserem Gesundheitsverhalten steht, wäre der positive Affekt somit ein vielversprechender Ansatzpunkt für eine ganzheitliche Therapie von Patienten mit Hauterkrankungen.
Hintergrund
Eine patientenorientierte Versorgung steht weltweit im Fokus des öffentlichen Gesundheitswesens. Übersichtsarbeiten deuten (bei gemischter Studienlage) darauf hin, dass eine patientenorientierte Versorgung positive Effekte in Bezug auf eine Vielzahl gesundheitsbezogener Outcomes wie die Adhärenz, das Gesundheitsverhalten und die Patientenzufriedenheit haben kann. Dennoch fehlt bislang eine konsistente Definition des Konstrukts „Patientenorientierung“, was zu Unklarheiten bzgl. dessen Assessment und zu Interpretationsschwierigkeiten von Effektivitätsstudien bzgl. patientenorientierter Interventionen führt. Vor diesem Hintergrund wurde in unserer Hamburger Teil-Arbeitsgruppe das „Integrative Modell zur Patientenorientierung“ entwickelt, welches auf der Integration von in der Literatur verfügbaren Definitionen von „Patientenorientierung“ basiert und 15 Dimensionen der Patientenorientierung (z.B. Patienteninformation, biopsychosoziale Perspektive, Arzt-Patienten-Kommunikation etc.) umfasst.
Multimorbide ältere Patienten sind angesichts der Komplexität ihrer Versorgungsbedürfnisse eine prioritäre Zielgruppe für eine patientenorientierte Versorgung. Eine passgenaue Konzeptualisierung des Begriffs „Patientenorientierung“ sowie die Identifikation und Beurteilung verfügbarer Assessmentinstrumente zur Messung der Patientenorientierung sind demnach in dieser Population besonders relevant.
Fragestellung
Vor diesem Hintergrund verfolgt das vom BMBF geförderte Projekt das Ziel, mittels eines systematischen Reviews Instrumente zur Messung des Konstrukts „Patientenorientierung“ bei multimorbiden Älteren zu identifizieren und einer kritischen Qualitätsbewertung zu unterziehen.
Methode
Das Review wird auf der Basis des Integrativen Modells zur Patientenorientierung durchgeführt. Um sicherzustellen, dass die spezifischen Bedürfnisse älterer multimorbider Menschen adäquat abgebildet werden, wird das Modell in einer ersten Projektphase im Hinblick auf seine Übertragbarkeit auf die Zielgruppe des Reviews geprüft und ggf. adaptiert. Zu diesem Zweck findet eine Literaturrecherche nach Dimensionen der Patientenorientierung statt, die für die Zielgruppe spezifisch relevant sind. Ferner werden zur zielgruppenspezifischen Modellanpassung eine web-basierte Delphi-Befragung von N=40 ExpertInnen (Kliniker, Patientenvertreter und Forscher) und Fokusgruppen mit N=20 multimorbiden älteren PatientInnen (>=65 Jahre) durchgeführt.
In der zweiten Projektphase erfolgt auf der Basis des überarbeiteten Modells die Durchführung des systematischen Reviews (gemäß COSMIN-Empfehlungen). Die Suche nach relevanten Studien wird nach Erarbeitung der Suchstrategie in den Datenbanken MEDLINE, CINAHL, EMBASE, PsycINFO, PSYNDEX und Web of Science durchgeführt. Darüber hinaus erfolgt mittels verschiedener Strategien (z.B. backward/forward citation tracking) eine Recherche von Arbeiten, die nicht in den genannten Datenbanken verfügbar sind. Nach einem Titel- und Abstract-Screening werden die Volltexte nach vorab definierten Ein- und Ausschlusskriterien geprüft. Anschließend werden bzgl. der verbleibenden Treffer mithilfe von Datenextraktions-Formularen sowohl Daten zur Studienqualität als auch zur Qualität der identifizierten Assessmentinstrumente extrahiert. Diese werden dann auf Basis der COSMIN-Checkliste durch zwei Reviewer unabhängig voneinander bewertet. Das Review wurde in der Datenbank PROSPERO (International prospective register of systematic reviews) registriert.
Ergebnisse
Ergebnis der ersten Projektphase wird ein auf die spezifischen Bedürfnisse multimorbider Älterer zugeschnittenes Modell der Patientenorientierung sein, welches sowohl die Perspektive von Experten als auch die der Patienten selbst berücksichtigt. Ergebnis des systematischen Reviews wird eine belastbare Evidenzgrundlage im Hinblick auf die Verfügbarkeit von Messinstrumenten zur Operationalisierung des Konstrukts „Patientenorientierung“ und deren Qualität bei multimorbiden Älteren sein.
Diskussion
In dem Projekt wird die Verfügbarkeit und Qualität von Messinstrumenten zur Operationalisierung eines forschungs- und versorgungspolitisch hochbedeutsamen Konstrukts in der Gruppe älterer multimorbider Menschen ermittelt.
Praktische Implikationen
Durch das Review soll künftig die Auswahl angemessener Messinstrumente zur Operationalisierung verschiedener Facetten von Patientenorientierung im klinischen und wissenschaftlichen Kontext in der Zielgruppe erleichtert werden. Die Projektergebnisse tragen außerdem dazu bei, Lücken in der Verfügbarkeit entsprechender Messinstrumente zu identifizieren und durch die Entwicklung adäquater Messinstrumente zu schließen. Langfristig können die Ergebnisse als Basis für ein systematisches Review bzgl. der Effektivität patientenorientierter Interventionen bei multimorbiden Älteren dienen – wiederum mit der Konsequenz, entsprechende Forschungs- und Versorgungslücken in der Gesundheitsversorgung multimorbider Älterer zu identifizieren und zu schließen.
Für Patient*innen geeignet.
Background: In multidisciplinary team meetings (MDTMs, also called tumor boards) physicians with different specializations and sometimes other health care providers come together to discuss and recommend paths of treatment for a specific patient. MDTMs are considered best practice in can-cer care. However, MDTMs have been found to mostly discuss medical information and pay little attention to the patient’s perspective and psychosocial situation. Hence, the current organization of MDTMs has been argued to not support patient centered-care and shared decision-making (SDM).
Aims: This review aimed to identify recommendations for MDTMs to become more patient-centered and enable SDM.
Methods: A narrative review of existing literature recommending strategies to foster interdiscipli-nary communication and patient-centeredness in MDTMs was conducted. Two researchers with ample experience in SDM research in cancer care, who previously conducted observational studies in MDTMs, reviewed the literature. The two researchers structured the extracted recommenda-tions in order to function as the basis for an implementation strategy to foster SDM in cancer care. Then, the recommendations were discussed with clinical cooperation partners at a comprehensive cancer center in Germany.
Results: We extracted recommendations from 30 publications, which included original research and reviews as well as opinion pieces. This led to 13 recommendations regarding the following areas: 1) routine pathways and quality management standards (e.g., consistent denomination as MDTM recommendation instead of decision); 2) participants (e.g., discussion of a case only if at least one MDTM participant has met the patient); 3) information discussed during MDTMs (e.g., documenta-tion of more than one possible treatment, if uncertainty exists during meeting); and 4) tasks of the MDTM coordinator/chair (e.g., communication and leadership training for MDTM chairs). After dis-cussion with clinical cooperation partners, changes in the setting emerged as a fifth area for change (e.g., changing the seating arrangement into a u-shape).
Discussion and implications: Since MDTMs in their current organization do not foster patient-centered care and SDM, recommendations for changes towards more patient-centeredness and SDM in MDTMs were reviewed and consolidated. Those recommendations can be used to inform implementation efforts to foster patient-centered MDTMs and SDM in cancer care.
Hintergrund: Um in Deutschland eine adäquate Versorgung trotz des demografischen Wandels und zunehmenden Ärztemangels sicherzustellen, gilt die Delegation von ärztlichen Tätigkeiten an Medizinische Fachangestellte (MFAs) als ein Lösungsansatz. Ziel dieser COMPASS-Teilstudie im Rahmen des Berliner Verbundprojekts NAVICARE war es, die Akzeptanz und Beurteilung der Bevölkerung gegenüber der ärztlichen Delegation zu erheben.
Methode: Die Grundlage der Analysen bildet ein bevölkerungsweiter Survey (n=6.105 Personen ab 18 Jahren). Die Items zur Einstellung gegenüber der ärztlichen Delegation wurden uni-, bi- und multivariat auf Zusammenhänge mit soziodemografischen (Alter, Geschlecht, Bildung, Erwerbsstatus, Region) und gesundheitsrelevanten (subjektiver Gesundheitszustand, chronische Erkrankung) Merkmalen geprüft.
Ergebnis: Insgesamt würden 67,2 % der Bevölkerung die ärztliche Delegation im Falle einer kleineren Erkrankung akzeptieren. Personen mit einer anderen Staatsangehörigkeit als der deutschen (Odds Ratio [OR]: 2,96; 95-%-Konfidenzintervall (KI) [2,28–3,85]), über 65-Jährige (OR: 1,87; KI [1,37–2,55]), Frauen (OR: 1,53; KI [1,34–1,74]) und Personen mit einem subjektiv schlechten Gesundheitszustand (OR: 1,37; KI [1,16–1,63]) lehnen im Vergleich zur jeweiligen Referenzgruppe signifikant häufiger diese Form der Delegation ab. Bei chronischen Erkrankungen würden 51,8 % der Bevölkerung die ärztliche Delegation akzeptieren. Auch hier sind Personen mit einer anderen Staatsangehörigkeit als der deutschen (OR: 1,61; KI [1,24–2,10]) sowie über 65-Jährige (OR: 1,64; KI [1,24–2,18]) häufiger ablehnend eingestellt. Weiterhin äußern sich in Westdeutschland Lebende und formal niedrig Gebildete (OR: 1,20; KI [1,04–1,39]) kritischer als Personen der jeweiligen Referenzgruppe.
Schlussfolgerung: Die vorliegenden Ergebnisse liefern Erkenntnisse, die für die Einführung von Delegationsmodellen genutzt werden können, um diese zielgruppenspezifisch zu adressieren. Die Sicht der Bevölkerung auf die ärztliche Delegation ist überwiegend positiv. Weiterführende qualitative Studien, die die Motive für eine Ablehnung untersuchen, sind empfehlenswert.
Hintergrund
Über 90% der dialysepflichtigen Menschen in Deutschland sind auf den Besuch einer Dialyseeinrichtung angewiesen, in der drei Mal wöchentlich über mehrere Stunden eine Hämodialyse (HD) durchgeführt wird. Obwohl mit der Bauchfell- oder Peritonealdialyse (PD) eine medizinisch gleichwertige Option zur Verfügung steht, die selbstverantwortlich zuhause durchgeführt werden kann, hat sich diese bis heute nicht in der Breite durchsetzen können. In einem Innovationsfondsprojekt sollen strukturelle Gründe für das Nischendasein dieses etablierten Verfahrens in Deutschland offengelegt werden. Ein Instrument ist dabei die deutschlandweite Befragung aller niedergelassenen Nephrologen. In dieser Befragung hatten die Teilnehmer die Möglichkeit zur offenen Formulierung der aus Ihrer Sicht größten Probleme hinsichtlich einer stärkeren Rolle der PD in Deutschland.
Fragestellung
Worin sehen Nephrologinnen und Nephrologen als die maßgeblichen Versorger auf dem Gebiet der Dialyse die größten Hürden für eine höhere PD-Quote in Deutschland?
Methode (Studiendesign, Datenerhebung und -auswertung)
Die Nephrologen-Befragung lief in den Monaten um den Jahreswechsel 2018/2019, es wurden 1.501 Personen angeschrieben, 573 nahmen teil, was einem Rücklauf von 38 Prozent entspricht.
In der Form einer offenen Frage wurde um die Nennung der größten Hürden für eine höhere PD-Quote gebeten (stichpunktartig, max. drei Stichpunkte). Die Freitext-Analyse aller hier genannten Einzelaspekte (n = 1.017) erfolgte mittels einer qualitativen Zusammenfassung und der Bildung von thematischen Oberkategorien. Hierzu wurden diese definiert und die Kodierregeln hinterlegt. Abschließend wurden die Nennungen zum einen innerhalb der Einzelkategorien ausgezählt und darüber hinaus in inhaltlich zusammengehörigen Kategorien zusammengefasst.
Ergebnisse
Die häufigsten Nennungen einzelner Aspekte waren: 1. fehlende (finanzielle) Anreize (n = 97), 2. mangelnde Strukturen für PD-Verfahren (n = 88), 3. Alter der Patienten (n = 71), 4. mangelnde Wissensvermittlung in der Facharztausbildung (n = 65), 5. mangelnde ärztliche Fähigkeiten (n = 61).
Nach der inhaltlichen Zusammenfassung mehrerer Einzelkategorien ergibt sich eine folgende Reihung der größten Hürden für mehr PD:
1. Patienteneignung (Alter, Multimorbidität, Wohnsituation, Belastung der Angehörigen), n = 259;
2. Finanzielles (Auslastung der Dialysemaschinen, unbezahlte Pflegeleistungen, Anreize), n = 154;
3. patientenseitige Faktoren (Persönlichkeit, Autonomie, Akzeptanz etc.) n = 149;
4. ärztliche Fähigkeiten (Defizite in Facharztausbildung und in spezifischen Fähigkeiten) n = 126;
5. mangelnde Strukturen für PD-Verfahren (n = 88).
Diskussion
Die von den Nephrologinnen und Nephrologen genannten Hürden bestätigen in großen Teilen die qualitativen Projektergebnisse auf der Basis zweier ärztlicher Fokusgruppen. Die Quantifizierung überrascht nicht bei den am häufigsten genannten Gründen, gelten doch das hohe Alter bzw. nachlassende manuelle Fähigkeiten sowie Multimorbidität noch immer als Kontraindikation für ein selbstverantwortliches Heimverfahren wie die PD. Die wirtschaftlichen Aspekte spielen eine erwartet große Rolle, aus Sicht der meisten Ärzte ist die PD noch nicht so wirtschaftlich zu betreiben wie die Hämodialyse, auch aufgrund unterschiedlicher Vergütungssysteme. Es folgen nach Häufigkeit weitere patientenseitige Faktoren, die eher auf die Persönlichkeit abzielen und weniger klar zu kategorisieren sind. Überraschend stark ausgeprägt zeigt sich der selbstkritische Blick auf die Rolle der eigenen Profession: während der Facharztausbildung im Krankenhaus fehlt oftmals der Kontakt zu PD-Patienten und damit eine Vertiefung der PD-Fähigkeiten, die viele Nephrologinnen und Nephrologen anschließend daran hindert, beiden Verfahren (HD und PD) gleichermaßen offen gegenüber zu stehen.
Praktische Implikationen
Die Freitext-Analyse bestätigt andere qualitative und quantitative Ergebnisse aus dem Innovationsfondsprojekt, die u.a. die Wirtschaftlichkeit (inkl. hoher Anlaufkosten) der PD als auch die PD-Ausbildung in der Nephrologie als konkrete Handlungsfelder aufzeigen. Hier bedarf es in der Folge einer Benennung der einzelnen Hürden und der Entwicklung von Lösungsoptionen.
Hintergrund
Bei Patienten mit rheumatischen Erkrankungen ist eine möglichst frühe Diagnose entscheidend. Aktuelle Studien beschreiben, dass bereits Patienten im Frühstadium verminderte psychische und physische Gesundheitsparameter aufweisen [2,3]. Aufgrund des eklatanten Mangels an rheumatologischen Fachärzten in Deutschland, verzögert sich allerdings die Frühdiagnostik drastisch.
Fragestellung
Gibt es bereits bei einem möglichen Verdacht einer entzündlich rheumatischen Verdacht Unterschiede in der psychsichen und physischen Leistungsfähigkeit?
Methode
Die Rheuma-Bus-Tour ist eine jährliche, zweiwöchige „Open-Access-Screening“-Veranstaltung in drei Bundesländern (Rheinland-Pfalz, Saarland, Niedersachsen), die das Bewusstsein für rheumatische Erkrankungen schärft und Menschen mit potenziellen Frühfällen von rheumatoider Arthritis (RA), Spondylarthritis (SpA) und Psoriasis Arthritis (PsA) identifiziert. Die Querschnittstudie vergleicht psychische und physische Gesundheitsparameter bekannter und vermuteter rheumatischer Frühpatienten, die im Zuge der Bustour erhoben wurden.
Alle Teilnehmer, unabhängig von ihrem Diagnosestatus, wurden gebeten, einen Screening-Fragebogen zur Frühsymptomatik, zur Soziodemografie, zum Status der körperlichen Aktivität (HPA) [1], zur Funktionsfähigkeit, (FFbh-R), zur depressiven Symptomatik (PHQ-9) und zum Wohlbefinden (WHO-5) auszufüllen. Zusätzlich wurden ein CRP-Schnelltest vor Ort und eine medizinische Beratung angeboten.
Ergebnisse
Insgesamt nahmen 853 Teilnehmer an der Umfrage teil. Bei 214 Personen wurde bereits eine rheumatische Erkrankung diagnostiziert, während 626 keine Diagnose hatten. Von 533 durchgeführten CRP-Tests waren 107 positiv. Nach der Konsultation wurden 58 Patienten für einen sofortigen rheumatologischen Termin über das Rheuma-VOR-Netzwerk überwiesen, von denen 16 mit RA, SpA oder PsA diagnostiziert wurden. Die Tabelle 1 zeigt Gruppenunterschiede zwischen den bereits diagnostizierten und den nicht diagnostizierten Gruppen, aufgeteilt nach CRP-Ergebnissen. An der Umfrage nahmen insgesamt 651 Frauen und 186 Männer teil. Das Durchschnittsalter für alle drei Gruppen liegt zwischen 50 und 59 Jahren. Gruppenunterschiede wurden beim PHQ-9, WHO-5 und FFbH-R gefunden, während für die HPA keine ersichtlich waren.
Tabelle 1: Gruppenunterschiede der Gesundheitsparameter
Rheumaerkrankung vs. Rheumaerkrankung vs. Keine Rheumadiagnose +CRP neg
Kein Rheumadiagnose Keine Rheumadiagnose vs.
+CRP neg +CRP pos Keine Rheumadiagnose +CRP pos
BMI 0,374 0,087 0,012*
HPA Arbeit Index 0,223 0,63 0,687
HPA Sport Index 0,817 0,194 0,141
HPA Freizeit Index 0,184 0,442 0,889
HPA Index 0,121 0,867 0,3
FFbH-R 0,000* 0,014* 0,007*
PHQ-9 0,029* 0,023* 0,317
WHO-5 0,017* 0,034* 0,581
* Signifikant bei p ≤ 0,05
Diskussion
Wie erwartet wurde ein Unterschied in den Parametern der psychischen Gesundheit für die Gruppen "bekannte Rheumaerkrankung" und "keine Diagnose+CRP negativ" festgestellt. Die Ergebnisse zeigen auch Unterschiede für die täglichen funktionalen Aufgaben zwischen allen drei Gruppen. Die niedrigsten Werte wurden für die Gruppe "keine Rheumadiagnose+CRP positiv", d.h. Menschen mit hoher Indikation für eine frühe rheumatische Erkrankung, gefunden. Dies unterstützt die Annahme einer reduzierten Funktionsfähigkeit bei Patienten im Frühstadium und die Notwendigkeit einer frühzeitigen Diagnose und Therapie. Das Fehlen signifikanter Unterschiede für die HPA-Parameter könnte auf das generelle sehr niedrige körperliche Aktivitätsniveau in allen drei Gruppen zurückzuführen sein.
Praktische Implikationen
Der Rheuma-Bus ermöglicht fachärztliche Hilfe in ländlich unterversorgten Regionen
Literaturverzeichnis
1. Baecke JA, Burema J, Frijters JE (1982) A short questionnaire for the measurement of habitual physical activity in epidemiological studies. Am J Clin Nutr 36:936-942
2. Branco JC, Rodrigues AM, Gouveia N et al. (2016) Prevalence of rheumatic and musculoskeletal diseases and their impact on health-related quality of life, physical function and mental health in Portugal: results from EpiReumaPt- a national health survey. RMD Open 2:e000166
3. Triantafyllias K, Leiß R, Dreher M et al. (2019) Depressive Symptomatik bei früher rheumatoider Arthritis. Zeitschrift für Rheumatologie (In Print)
Hintergrund: In Deutschland ist jede/r vierte Pflegebedürftige in einer stationären Einrichtung untergebracht [1]. Verglichen mit Menschen, die zu Hause gepflegt werden, sind Bewohner von stationären Pflegeeinrichtungen im Durchschnitt älter und weisen größere Einschränkungen bei Aktivitäten des täglichen Lebens auf [2]. Die hausärztliche Routine kann diesem gesteigerten Versorgungsbedarf nicht mehr adäquat begegnen, häufig kommt es zu vermeidbaren Krankenhauseinweisungen. Im Rahmen des Projektes „SaarPHIR“ (Saarländische Pflegeheimversorgung Integriert Regelhaft) wird eine Versorgungsform (Intervention) geschaffen, die eine Neuorganisation der interprofessionellen Zusammenarbeit im Setting Pflegeheim vorsieht. In der Modellregion Saarland wird unter der Hypothese gearbeitet, dass Bewohner/innen von Pflegeeinrichtungen von einer strukturierten und standardisierten Vorgehensweise im Pflegealltag bzw. an der Schnittstelle zum Hausarzt profitieren. Dies soll sich primär in einer Reduktion von Krankenhauseinweisungen ausdrücken.
Bei SaarPHIR handelt es sich um ein aus der Praxis heraus entwickeltes Versorgungsmodell, das durch den Innovationsfonds gefördert und wissenschaftlich begleitet wird. Die Laufzeit beträgt drei Jahre ab April 2018.
Fragestellungen: Die wissenschaftliche Begleitung beschäftigt sich mit den nachfolgenden Fragen: Kann die neue Versorgungsform zu einer Reduktion von Krankenhauseinweisungen führen? Welchen Einfluss hat sie auf die Lebensqualität der Bewohner/innen? Wie wird sie von den am Versorgungsprozess beteiligten Professionen aufgenommen? Lassen sich die Ergebnisse auf andere Regionen Deutschlands übertragen?
Methode:Für die Beantwortung der genannten Forschungsfragen wurde ein Evaluationskonzept formuliert, das der Intervention in ihrer komplexen Form gerecht wird und sowohl eine Struktur- und Prozess- als auch eine Ergebnisevaluation berücksichtigt. Die Auswertung basiert zum Großteil auf Routinedaten von sieben Krankenkassen. Zusätzlich erhoben werden Primärdaten der Bewohner/innen, der teilnehmenden Ärzte/innen und Pflegekräfte (hier stellvertretend für ihre Einrichtung).
Ergebnisse: Das Evaluationskonzept orientiert sich an den Reifegraden der Intervention; das bedeutet, es begleitet sowohl die Entwicklung und Erprobung als auch die Implementierung bzw. Umsetzung der Intervention. Zusätzlich ist eine Follow-up Phase vorgesehen, in welcher die Nachhaltigkeit und Übertragbarkeit der Ergebnisse zur Beurteilung kommen.
Kernstück des Evaluationskonzeptes ist eine cluster-randomisierte kontrollierte Studie im Parallelgruppendesign, mit der über eine Dauer von 12 Monaten patientenrelevante Outcomes erhoben werden. Einbezogen werden 46 Pflegeeinrichtungen im Saarland (Anzahl Bewohner/innen n=4664) mit einer Größe von mindestens 50 Plätzen. Randomisiert wird auf Landkreisebene (n=6): Drei Landkreise erhalten die Intervention, drei Landkreise verbleiben in der Regelversorgung. Verblindungen sind nicht vorgesehen. Das Studiendesign wurde gewählt, da Veränderungen auf Organisationsebene und nicht auf Ebene der einzelnen Patienten begutachtet werden. Primärer Endpunkt sind Hospitalisierungen der beobachteten Gruppen, außerdem wird die Lebensqualität erfragt.
Durch Beobachtung und Bewertung des Entwicklungs- und Implementierungsgeschehens wird ebenfalls die Struktur- bzw. Prozessebene im Evaluationskonzept berücksichtigt. Hier ist speziell von Interesse, welche hemmenden und fördernden Faktoren sich abzeichnen bzw. wie die Akzeptanz unter den beteiligten Professionen einzuordnen ist. Die im Rahmen des Follow-up erhobenen Daten vervollständigen das Bild und ermöglichen die Nachhaltigkeit der Intervention und den damit einhergehenden Organisationswandel zu bewerten.
Die Datenerhebung erfolgt zu drei Zeitpunkten: Baseline (t0), nach sechs Monaten (t1), nach 12 Monaten (t2) und im Follow-up nach 18-21 Monaten (t3).
Diskussion: Bereits in einem frühen Projektstadium zeigt sich, dass die Implementierung bzw. Berichtsqualität der Daten von der Akzeptanz der beteiligten Professionen abhängen. Dies gilt auch für patientenrelevante Outcomes, da z.B. Einblick in die Pflegeakte vorgenommen werden muss. Evaluationsergebnisse stehen zum jetzigen Zeitpunkt aus, jedoch ist eine positive subjektive Einschätzung der teilnehmenden Ärzte/innen und Pflegekräfte dem Projekt gegenüber wahrzunehmen.
Praktische Implikationen: Die ärztliche Versorgung im Pflegeheim ist ein bislang wenig behandeltes Feld, das Optimierungspotential bietet. Durch die ganzheitliche Betrachtung im Rahmen der Evaluation kann eine breite Wissensbasis geschaffen werden, von der sich Erkenntnisse für die Regelversorgung der gesetzlichen Krankenkasse ableiten lassen.
[1] Statistisches Bundesamt. Pflegestatistik 2015 - Pflege im Rahmen der Pflegeversicherung Deutschlandergebnisse.Wiesbaden (2017).
[2] Statistisches Bundesamt. Pflegestatistik 2015 - Pflege im Rahmen der Pflegeversicherung - Ländervergleich - Pflegebedürftige.Wiesbaden (2017).
Hintergrund:
Schmerzen sind eine weit verbreitete Gesundheitseinschränkung und bedeuten für die Betroffenen eine Beeinträchtigung im Wohlbefinden und in der Lebensqualität. Probleme im Rücken zählen in den Industrienationen zu den häufigsten Gesundheitsbeschwerden [1], wobei in 85% der Fälle die Schmerzen auf keine spezifische Ursache zurückgeführt werden können [2]. Die Therapie richtet sich daher nach den jeweiligen Symptomen und dem aktuellen Funktionsstatus. Die erste Anlaufstelle für chronische Schmerzpatienten sind dabei häufig ÄrztInnen für Allgemeinmedizin, die jedoch meist nur eingeschränkt eine adäquate Schmerzbehandlung anbieten können [3].
Fragestellung:
Ziel des Projektes war die Entwicklung eines strukturierten Behandlungspfads zur Versorgung von Patienten mit nicht-spezifischem Rückenschmerz auf Primärversorgungsebene, basierend auf Empfehlungen aus aktuellen evidenzbasierten Leitlinien.
Methode:
Die Identifizierung der Leitlinien erfolgte durch systematische Literaturrecherchen in Pubmed sowie in den Leitliniendatenbanken von AWMF, NGC, G-I-N, NICE und SIGN. Zusätzlich wurde eine ergänzende Handsuche auf den Webseiten relevanter Fachgesellschaften durchgeführt. Eingeschlossen wurden aktuell gültige, evidenzbasierte Leitlinien in deutscher oder englischer Sprache zu nicht-spezifischen Rückenschmerzen aus Industrienationen ab dem Jahr 2013. Für alle eingeschlossen Leitlinien erfolgte eine Bewertung der methodischen Qualität mittels AGREE-II Instrument [4]. Alle formal erkennbaren Empfehlungen mit Relevanz für die Primärversorgung wurden unter Angabe des Empfehlungsgrads extrahiert. In einer Leitliniensynopse wurden die Empfehlungen thematisch gruppiert und einander vergleichend gegenübergestellt. Es erfolgte eine Zusammenfassung von inhaltlich kongruenten Empfehlungen zu Kernaussagen, auf deren Grundlage abschließend ein strukturierter Behandlungspfad entwickelt wurde.
Ergebnisse:
Die Recherchen in den unterschiedlichen Quellen ergaben insgesamt 1198 Treffer, aus denen nach Abstract- bzw. Volltextscreening insgesamt 12 Publikationen als relevant identifiziert wurden. Diese konnten 9 unterschiedlichen Leitlinien zugeordnet werden, welche schließlich für die in die Entwicklung des Behandlungspfads herangezogen wurden. Die Beurteilung der Leitlinienqualität ergab einen mittleren AGREE-II Gesamtscore von 5,3 (± 0,9) Punkten auf der 7-stufigen Bewertungsskala, was eine insgesamt moderate bis gute Qualität widerspiegelt. Aus den 9 Leitlinien konnten 482 relevante Empfehlungen, 152 davon mit hohem Empfehlungsgrad, extrahiert werden. Daraus wurden 212 Kernaussagen zu 7 Themenbereichen (Assessment/Diagnostik, nicht-medikamentöse Therapien, medikamentöse Therapien, invasive Verfahren, multimodale Schmerztherapie, Rehabilitation, Nachsorge) abgeleitet. Basierend auf diesen Kernaussagen wurde letztlich ein strukturierter Behandlungspfad nicht-spezifischer Rückenschmerz für Österreich entwickelt, welcher aus einem einfachen graphischen Algorithmus und einem Dokument mit korrespondierenden Infoboxen (mit detaillierten Empfehlungen zum Vorgehen) besteht.
Diskussion:
Auf Grund der Berücksichtigung aller systematisch recherchierten aktuellen evidenzbasierten Leitlinien zu nicht-spezifischem Rückenschmerz, der insgesamt moderaten bis guten Qualität der Leitlinien nach AGREE-II, sowie der weitgehenden inhaltlichen Übereinstimmung der Leitlinien im Hinblick auf das generelle therapeutische Vorgehen, ist eine hohe Robustheit des Behandlungspfads gegeben. Darüber hinaus liegen gerade zum Thema nicht-spezifischen Rückenschmerz sehr viele erst vor Kurzem veröffentliche Leitlinien vor, sodass die Evidenz als hinreichend aktuell anzusehen ist.
Praktische Implementierung:
Mit dem Behandlungspfad steht AllgemeinmedizinerInnen und anderen Gesundheitsberufen in der Primärversorgung ein praktisches und strukturiertes Hilfsmittel für eine leitliniengerechte Versorgung von Personen mit nicht-spezifischem Rückenschmerz zur Verfügung.
Literatur:
1. Mohokum M, Dördelmann J. Betriebliche Gesundheitsförderung: Ein Leitfaden für Physiotherapeuten. Springer-Verlag GmbH, Deutschland; 1. Auflage 2018. S. 57-73.
2. Gobel H. [Epidemiology and costs of chronic pain syndromes exemplified by specific and unspecific low back pain]. Schmerz 2001; 15(2): 92-98.
3. Jaksch W, Likar R, Folkes E, Machold K, Herbst F, Pils K et al. [Quality assurance of pain care in Austria: Classification of management facilities]. Wien Med Wochenschr 2017; 167(15-16): 349-358.
4. Brouwers M KM, Browman GP, Cluzeau F, feder G, Fervers B, Hanna S, Makarski J on behalf of the AGREE Next Steps Consortium. Appraisal of Guidelines for Research & Evaluation II. [online] 2009. URL: https://www.agreetrust.org/wp-content/uploads/2017/12/AGREE-II-Users-Manual-and-23-item-Instrument-2009-Update-2017.pdf
Prospektive Evaluation des komplexen psychoonkologischen Versorgungsprogramms isPO
Hintergrund
Psychoonkologische Leistungen sind aktuell sehr heterogen strukturiert (Singer, Hornemann, Bruns & Petermann-Meyer, 2016), sodass in Deutschland keine flächendeckende Versorgung gewährleistet ist. Das vom Innovationsfond des G-BA geförderte Projekt „isPO – integrierte sektorenübergreifende Psychoonkologie“ greift diese grundlegende Problemstellung auf und verfolgt das Ziel, eine neue strukturierte und bedarfsgerechte psychoonkologische Versorgungsform zu entwickeln, zu implementieren und intern wie extern zu evaluieren. Ziel ist, mit Hilfe einer gestuften psychosozialen und psychoonkologischen Versorgung Ängste und Depressionen von Krebspatienten innerhalb des ersten Jahres nach Diagnosestellung signifikant zu verringern. Weiterhin sind Qualitätsmerkmale des Versorgungsprogramms als sekundäre Endpunkte relevant. Die externe Projektevaluation ist dabei prospektiv, formativ und summativ ausgelegt, ihr liegt das Medical Research Council (MRC)-Framework zur Analyse und Bewertung komplexer Interventionen zu Grunde (Moore et al., 2015). Basierend auf dem Consolidated Framework for Implementation Research (CFIR) (Damschroder et al., 2009) sollen die für den Implementierungsprozess relevanten Einflussfaktoren analysiert werden. Die prospektive Evaluation wurde bereits abgeschlossen. In diesem Rahmen wurden die Relevanz und Übertragbarkeit des isPO-Versorgungsprogramms vor dessen Implementierung bewertet.
Fragestellungen
Ist das Versorgungsprogramm konsistent und nutzbar? Entspricht es relevanten Leitlinien, Verordnungen, Gesetzen und dem Projektantrag? Welche Förderfaktoren und Barrieren bestehen für die Implementierung? Welche Implementierungsstrategien sind geplant?
Methode
Mit Hilfe von Dokumentenanalysen sind in der prospektiven Evaluation drei Aspekte bewertet worden: die vertraglichen Rahmenbedingungen des Versorgungsprogramms, die Entwicklung des Versorgungsprogramms entsprechend des Projektantrages und der Aufbau der Versorgungsnetzwerke. Den Analysen lagen vielfältige Verträge sowie die Quartalsberichte der Konsortialpartner zu Grunde. Zur Auswertung wurde ein Kriterienkatalog entwickelt. Weiterhin wurde eine Fokusgruppe mit den Entwicklern des isPO-Versorgungsprogramms durchgeführt. Die Teilnehmenden wurden dafür im Sinne des „purposeful samplings“ (Patton, 2002) aus allen für das Projekt relevanten Bereichen ausgewählt. Ein Projektteilnehmer wurde in Form eines Telefoninterviews nachträglich befragt. Die Fokusgruppe (7 Teilnehmende) und das Telefoninterview wurden teilstrukturiert durchgeführt, aufgezeichnet und anschließend transkribiert und mittels MAXQDA inhaltsanalytisch ausgewertet. Die Ergebnisse wurden in Form eines prospektiven Evaluationsberichts verschriftlicht und der Projektleitung sowie den Konsortialpartnern zur Verfügung gestellt.
Ergebnisse
Die vertraglichen Rahmenbedingungen für die Umsetzung des Versorgungsprogramms sind erstellt worden und entsprechen den geforderten Gesetzen, Richt- und Leitlinien. Die Patientenversorgung findet im Rahmen des Vertrages zur Besonderen Versorgung nach § 140a SGB V statt und regelt damit Pflichten, Anforderungen und Leistungen der Vertragspartner sowie die Leistungsvergütung. Zudem besteht ein Vertrags- und Versorgungsmanagement z.B. durch detaillierte Meilensteinplanungen für die verschiedenen Aufgabenbereiche und die Erstellung eines Datenbank- und Dokumentenlenkungssystems. Die von den Konsortialpartnern entwickelten Ergebnisprodukte konnten als konsistent und nutzbar bewertet werden.
In der Fokusgruppe konnte eine Vielzahl an Förderfaktoren und Barrieren für die Implementierung des Versorgungsprogramms identifiziert werden. Mitarbeiterschulungen sowie die Entwicklung eines Versorgungs- und Qualitätsmanagements wurden als Implementierungsstrategien benannt. Weiterhin ist ein Verbesserungsbedarf in der Kommunikation innerhalb des Projekts deutlich geworden
Diskussion
Mit isPO wurde ein Prototyp eines psychoonkologischen Versorgungsprogramms entwickelt, der wesentliche Elemente für eine Umsetzung in die Versorgungsrealität enthält. Dieser ist wissenschaftlich fundiert und entspricht überwiegend den Anforderungen für eine erfolgreiche Implementierung. Aufgrund der bisher fehlenden Regelung zur Finanzierung psychoonkologischer Leistungen ergibt sich durch den vertraglichen Rahmen des Projekts eine Innovation im Vergütungssystem der GKV. Durch die Patientenzuweisung aus stationären und ambulanten Settings ist eine sektorenübergreifende Versorgung gegeben. Die Überprüfung der Wirksamkeit, Wirtschaftlichkeit und Qualität des Versorgungsprogramms soll weiterhin auf Basis valider Daten in der formativen und summativen Evaluation erfolgen.
Praktische Implikationen
Bei erfolgreicher Implementierung und Wirksamkeitsüberprüfung steht ein integriertes sektorenübergreifendes psychoonkologisches Versorgungsprogramm für die Regelversorgung zur Verfügung.
Hintergrund
Für Patientinnen nach einer Brustkrebsoperation stellt der Übergang in die ambulante Nachbehandlung eine besondere Herausforderung dar, da in der Regel eine Weiterbehandlung, z.B. Chemotherapie, erfolgt. Um diesen Übergang gut vorzubereiten und aufgrund der kurzen stationären Aufenthaltsdauer, bedarf es eines koordinierten Entlassungsprozesses im Krankenhaus. Zur Gestaltung eines zielführenden Entlassungsprozesses für Brustkrebspatientinnen ist eine multidisziplinäre Zusammenarbeit zwingend erforderlich. Der Entlassungsprozess wird von den Befragten der Patientinnenbefragung in den NRW-Brustzentren jedoch weniger gut bewertet (Ansmann et al., 2015). Eine Möglichkeit Arbeitsprozesse in Krankenhäuser zu verbessern, ist die Anwendung von Prozessoptimierungsmethoden aus anderen Wirtschaftszweigen. Die Methode Value Stream Mapping, ursprünglich aus der Automobilindustrie stammend (Womack & Jones, 1990), wurde bereits international zielführend im Kontext Krankenhaus angewandt (Nowak et al., 2017) und findet in der vorliegenden Interventionsstudie in vier Brustzentren in NRW Anwendung.
Fragestellung
Kann der Entlassungsprozess in Brustzentren in NRW mit Hilfe des Value Stream Mapping zeitlich messbar optimiert werden?
Methode
Bei der vom Innovationsfonds geförderten Studie (Förderkennzeichen 01VSF16040) handelt es sich um ein Prä-Post-Follow-up-Studiendesign in vier Brustzentren in NRW. Die Datenerhebung findet von November 2017 bis Juli 2019 statt. Im ersten Schritt wird mit einem multiprofessionellen Team der Entlassungsprozess des jeweiligen Brustzentrums, gemeinsam mit zwei Moderatorinnen, erarbeitet. Dabei werden alle Arbeitsschritte des Entlassungsprozesses visualisiert. Es folgt eine Validierung der einzelnen Prozessschritte im Krankenhausalltag mit anschließender erster Zeitmessung (t0). In einem zweiten Treffen werden dem Team die Ergebnisse der ersten Zeitmessung präsentiert und Schwachstellen im Prozessablauf eruiert. Zur Auflösung der Schwachstellen entwickeln die Teammitglieder entsprechende Maßnahmen, z.B. Einrichtung eines festen Wochentags für Abschlussgespräche zur Reduzierung der Wartezeit auf das Gespräch. Der Erfolg der Maßnahmenumsetzung wird in zwei weiteren Zeitmessungen, sechs Wochen (t1) und sechs Monate (t2) nach dem zweiten Treffen, überprüft. Die Zeitmessung wird von einer Study Nurse durchgeführt. Die Zeiten der jeweiligen Prozessschritte und die sich möglicherweise ergebenden Wartezeiten für die Patientinnen werden ermittelt und zwischen den einzelnen Messzeitpunkten verglichen. Ebenfalls werden die Häufigkeit und Uhrzeiten der Patientenkontakte ausgewertet.
Ergebnisse
Bisher konnten 242 Patientinnen in die Zeitmessung eingeschlossen werden. Für das erste Brustzentrum liegen Daten von 60 Patientinnen vor, für das zweite von 61 Patientinnen und für das dritte von 71 Patientinnen. Im vierten Brustzentrum wurden in der t0- und die t1-Messung 50 Patientinnen eingeschlossen, die t2-Messung erfolgt im Juni/Juli diesen Jahres.
Die vorläufigen Ergebnisse zeigen, dass durch die Visualisierung des Entlassungsprozesses in jedem der vier Brustzentren Schwachstellen durch das interprofessionelle Team aufgedeckt werden konnten. Für die meisten Schwachstellen konnten von dem Team lösungsorientiert Maßnahmen entwickelt werden. Die ersten Auswertungen der Zeitmessung zur Überprüfung der Maßnahmen ergaben z.B., dass die Wartezeit auf das Abschlussgespräch in zwei Brustzentren gesenkt werden konnte (von durchschnittlich 87 auf 21 Minuten bzw. von 25 auf acht Minuten). In einem anderen Brustzentrum konnte die Dauer der Sentinel-Lymphknoten-Diagnostik, von durchschnittlich 158 Minuten auf 107 Minuten, gesenkt werden. Bei einigen Maßnahmen, wie dem Ziel, dass die Patientinnen bereits am prästationären Tag die Kompressions-Brustbandage erhalten, konnte keine Veränderung gemessen werden. Ein Teil der erarbeiteten Maßnahmen konnte nicht durch die Zeitmessung überprüft werden, Beispiel hierfür ist das Mitgeben von Rezepten bei Entlassung.
Diskussion
Die Methode Value Stream Mapping zeigt Schwachstellen im Entlassungsprozess von Brustzentren auf. Die Projektteams waren mit Hilfe der Moderatoren in der Lage zu den meisten Schwachstellen Maßnahmen zu entwickeln. Die Probleme, die innerhalb des Brustzentrums erkannt wurden, konnten in vielen Fällen auch umgesetzt werden. In den Fällen in denen Schnittstellen zu anderen Bereichen des Krankenhauses involviert waren gestaltete sich die Umsetzung meist schwieriger. Einzelne Prozessschritte, wie die Organisation des Abschlussgespräches, konnten zeitlich messbar optimiert werden.
Praktische Implikationen
Die Ergebnisse lassen vermuten, dass Value Stream Mapping einen guten Rahmen zur interprofessionellen Zusammenarbeit bietet. Dadurch können berufsgruppenübergreifende Probleme unkompliziert gelöst werden.
Hintergrund: Die Herausforderung eine komplexe Intervention in ein vielschichtiges Netzwerk unterschiedlicher Stakeholder und Organisationen innerhalb des deutschen Gesundheitssystems zu implementieren, lässt viele Pilotprojekte und innovative Ansätze nur mühselig voran kommen oder sogar fehlschlagen. Methoden des Change Managements können der Komplexität des Kontextes, der Innovationen, der Organisationen und der Interaktionen sowie den individuellen Voraussetzungen von Prozessbeteiligten als Unterstützungsfaktor bei Veränderungsprozessen gerecht werden.
Das durch den Innovationsfonds des G-BA geförderte Projekt „MamBo - Multimorbide Menschen in der ambulanten Betreuung: Patientenzentriertes, Bedarfsorientiertes Versorgungsmanagement“ (Förderungszeichen 01NVF17001) hat für den Implementierungsprozess seiner komplexen Intervention mit Beteiligung unterschiedlicher Akteure ein externes Change Management von einer Unternehmensberatung in den Projektplan mitaufgenommen und umgesetzt. So bot die Unternehmensberatung unter anderem Unterstützung bei dem Aufbau neuer Versorgungsstrukturen innerhalb eines regionalen Ärztenetzwerks aus Haus- und Fachärzten.
Das Ziel dieser Forschungsarbeit ist es, die Implementierungsstrategie des externen Change Managements während des Transformationsprozesses aus der subjektiven Perspektive relevanter Akteure zu beleuchten.
Fragestellung: Welchen wahrgenommenen Einfluss hatte das Change Management der Unternehmensberatung auf den Implementierungsprozess und die Projektumsetzung aus Sicht relevanter Projektbeteiligter?
Methode: Nach etwa der Hälfte der Projektlaufzeit wurden leitfadengestützte Experteninterviews mit zentralen Akteuren des MamBo Managements (BedarfsmanagerIn n=1; VersorgungsmanagerIn n=1) durchgeführt. Während des Interviews wurden partizipative ego-zentrierte Netzwerkkarten mit den InterviewpartnerInnen erstellt um alle Akteure und Verbindungen zu erfassen, die im Alltagsgeschehen von MamBo für die Befragten von Bedeutung sind. Weitere Experteninterviews werden mit den Unternehmensberatern (n=2) und Akteuren in der operativen Projektdurchführung (n=2) geführt.
Die mit der Pen&Paper-Methode erstellten Netzwerkkarten werden mittels der Software VennMaker visuell aufbereitet und zusammen mit den Interviewdaten qualitativ netzwerk- sowie inhaltsanalytisch ausgewertet (Hollstein und Straus 2006, Mayring 2015).
Ergebnisse: Daten aus den bisherigen Interviews und Netzwerkkarten zeigen, dass die Unternehmensberatung und deren Change Management insbesondere für die Geschäftsstelle des Ärztenetzwerkes relevante Unterstützung im Transformations- und Implementierungsprozess geliefert haben, weniger aber für die Prozesse in den einzelnen Arztpraxen. Insbesondere die Erarbeitung und Anpassung der MamBo-Strukturen innerhalb der Geschäftsstelle des Ärztenetzwerks fand in enger Zusammenarbeit mit der Unternehmensberatung statt, welche als sehr hilfreich und positiv wahrgenommenen wurde. Die Anpassungen zeigen sich u.A. in außerplanmäßig aufgewendeten personellen Ressourcen, welche für die operative Projektumsetzung zur Sicherstellung des Projekterfolgs notwendig waren.
Diskussion: Ziele des Change Managements beinhalten die stetige Anpassung von Strukturen und Strategien in Reaktion auf äußere, sich verändernde Bedingungen. Die vorläufigen Ergebnisse der Experteninterviews deuten darauf hin, dass auch im Rahmen des Projektes MamBo Anpassungen der Strukturen mit der Unternehmensberatung erarbeitet worden sind und die Akteure dies als hilfreich und notwendig für den Projekterfolg empfinden. Wenn solche Strukturanpassungen im Projektverlauf bei der Evaluation nicht berücksichtigt werden, können weder der tatsächliche Ressourcenaufwand, noch alle relevanten Strukturen, Akteure oder Verbindungen eingeschätzt werden.
Praktische Implikation: Abweichungen vom Projektplan und Änderungen von Strukturen und Prozessen sind im Sinne des Change Managements elementar für den Erfolg der Innovation und dessen Implementierung. Diese Veränderungen müssen bei der Evaluation des Projektes berücksichtigt werden, um einen realistischen Ressourcenauffand einschätzen und eine erfolgreiche Übertragung des Projektes in die Regelversorgung gewährleisten zu können.
Literaturverzeichnis
Hollstein, Betina; Straus, Florian (2006): Qualitative Netzwerkanalyse. Konzepte, Methoden, Anwendungen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Mayring, Philipp (2015): Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. 12., überarb. Aufl. Weinheim: Beltz (Beltz Pädagogik).
Hintergrund:
Das Projekt „MamBo – Multimorbide Menschen in der ambulanten Betreuung: Patientenzentriertes, Bedarfsorientiertes Versorgungsmanagement“ ist ein durch den Innovationsfonds des G-BA gefördertes Projekt zu den neuen Versorgungsformen (Förderungszeichen 01NVF17001). Das Projekt zielt auf die Verbesserung der Versorgungseffizienz multimorbider Patienten ab. Zum Beispiel soll durch die Delegation von patientennahen und koordinativen Aufgaben (z.B. Übernahme von Hausbesuchen) an eine Monitoring- und Koordinationsassistentin (MoniKa) der Arzt entlastet und die Koordination mit Fachärzten sowie die Medikamentensicherheit der Patienten verbessert werden. Die an Mambo teilnehmenden Haus- und Fachärzte eines regionalen Arztnetzes spielen aufgrund ihrer direkten Betroffenheit als Behandler von multimorbiden Patienten und ihrer besonderen Aufgabe der Patienteneinschreibung eine entscheidende Rolle für den Projekterfolg und die Implementierung der Versorgungsinnovation. Daher ist Ziel der vorliegenden Studie unterschiedliche ärztliche Werteorientierungen zu identifizieren, die die Bewertung des Projekterfolges beeinflussen könnten.
Fragestellung:
Welche Werteorientierungen sind bei den teilnehmenden Ärzten zu erkennen, die die subjektive Bewertung des Projekterfolgs beeinflussen und so gegebenenfalls die Annahme der neuen Versorgungsstrukturen determinieren?
Methode:
Im Rahmen der formativen Evaluation wurden, beruhend auf der Theorie Rogers (Rogers 2003), Fokusgruppen und drei Einzelinterviews mit Frühanwendern durchgeführt. Für diese wurden Haus- wie Fachärzte eingeladen, die sich innerhalb der ersten 6 Monate für eine Projektteilnahme entschieden haben. Die semistrukturellen Leitfäden wurden im Forscherteam entwickelt. Die Interviews wurden aufgezeichnet, transkribiert und inhaltsanalytisch nach Mayring (2015) ausgewertet.
Ergebnisse:
Die erste Fokusgruppe (n=7) fand ca. 9 Monate nach Projektbeginn statt. Die zweite Fokusgruppe (n=4) und die Einzelinterviews erfolgten im Sinne der Prozessevaluation wiederum 8 Monate später. Vorläufige Ergebnisse weisen auf zwei zentrale Werteorientierungen der Teilnehmenden hin, die die subjektive Bewertung des Erfolg des Projektes beeinflussen: Werte die eher patientenorientiert und eher arztpraxis- bzw. unternehmensorientiert sind. Teilnehmende mit eher patientenorientierten Werten fokussieren die Patientenzufriedenheit, Versorgungsqualität oder Patientensicherheit zur Beurteilung des Projekterfolges. Im Rahmen des Mambo-Projektes nehmen sie schnell einen großen Projekterfolg wahr. Dieser schnell spürbare Erfolg zeigt sich förderlich für die Annahme der neuen Versorgungsstrukturen. Demgegenüber fokussieren Teilnehmende mit eher unternehmensorientierten Werten das Kosten-Nutzen Verhältnis und die Verbesserungen im Praxisablauf zur Beurteilung der Projektteilnahme. Die bisherigen Ergebnisse weisen darauf hin, dass unternehmensorientiertere Teilnehmende dem Projekt eher kritisch gegenüber stehen. Ein Projekterfolg, der sich zum Beispiel in einer Verbesserung des Praxisablaufs ausdrückt, wird bei dieser Gruppe im bisherigen Projektverlauf nicht bis kaum wahrgenommen.
Diskussion:
Die vorläufigen Ergebnisse weisen darauf hin, dass die jeweilige Haltung der Teilnehmenden den individuell gesehen Erfolg des Projektes definiert. So lässt sich annehmen, dass das Projekt Mambo von Teilnehmenden mit stärker unternehmensorientierten Werten aufgrund der erst langfristig erkennbaren Erfolge eher kritisch angesehen wird und dies die Strukturannahme und Verbreitung der Innovation hemmt.
Dieses Phänomen lässt sich auch in der Theorie Rogers (2003) zur „Verbreitung von Innovationen“ erkennen. Der subjektive „relative Vorteil“ sowie die Dimension Zeit ist maßgeblich an der Teilnahmeabsicht beteiligt und neben weiteren Faktoren, wie der Komplexität der Innovation, stärkster Prädikator der Innovationsannahme.
Praktische Implikationen:
Die Berücksichtigung möglicher Werteorientierungen potentieller Projektteilnehmer bei der Planung, Implementierung und Steuerung von Projekten könnte einen wesentlichen Beitrag zum Erfolg neuer Versorgungsformen leisten. So könnten diese Erkenntnisse im Implementierungsprozess genutzt werden, indem die Motivation der Projektteilnehmenden durch typisierte Supervision gesteigert wird.
Literatur
Mayring P. Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. Weinheim: Beltz; 2015.
Rogers EM, ed. Diffusion of innovations. New York u.a: Free Press; 2003.
Hintergrund
GeMuKi ergänzt die gesetzlichen Vorsorgeuntersuchungen während der Schwangerschaft und im 1. Lebensjahr durch eine strukturierte, niederschwellige Präventionsmaßnahme in den Bereichen Bewegung, Ernährung und Genussmittelkonsum. Neben der Evaluation von Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der zusätzlichen Beratungen wird eine Prozessevaluation durchgeführt. Diese begleitet den Implementierungsprozess der komplexen Intervention und untersucht, wie gut die Intervention in der Praxis umsetzbar ist und welche förderlichen und hinderlichen Faktoren sich für die Implementierung ergeben.
GeMuKi wird seit Januar 2019 in 4 Regionen Baden-Württembergs implementiert. Teilnehmen können volljährige Schwangere. Alle Leistungserbringer der Versorgungskette erhalten vorab eine Schulung zu Motivational Interviewing. Zusätzlich werden Handlungsempfehlungen zu Ernährung und Bewegung des Netzwerks Gesund ins Leben vermittelt. Darauf aufbauend führen Frauenärzte, Hebammen und Kinderärzte zu insgesamt 11 Zeitpunkten mit den Teilnehmerinnen eine Kurzintervention durch und vereinbaren jeweils individuelle Ziele. Die Umsetzung der Beratung wird durch eine projekteigene Datenplattform unterstützt, auf die das gesamte Behandler-Team entlang der Versorgungskette Zugriff hat. Dort tragen die teilnehmenden Leistungserbringer neben Daten aus Mutterpass und U-Heft Informationen zu Inhalten der erbrachten Beratungen sowie Notizen ein.
Fragestellung
Welche Faktoren fördern oder hemmen die Implementierung von GeMuKi? Können diese Faktoren im Projektverlauf adressiert werden?
Methode
Um förderliche und hemmende Faktoren zu untersuchen werden zu Beginn und Ende der Implementierung Fokusgruppen mit teilnehmenden ÄrztInnen und telefonische Interviews mit Hebammen, MFAs und teilnehmenden Frauen durchgeführt. Durch Protokolle aus den Berater-Schulungen sowie einem Monitoring der regionalen Studienkoordinatorinnen zur Durchführung der Intervention in den Praxen, können Schwierigkeiten in der Umsetzung aufgedeckt und Strategien optimiert werden.
Ergebnisse
Im Sommer 2019 werden erste Interviews und Fokusgruppen-Diskussionen durchgeführt. Anhand dieser ersten Ergebnisse können im weiteren Verlauf Intervention und Implementierungsstrategien zielgerichtet an die unterschiedlichen Kontexte angepasst werden. In den Interviews und Fokusgruppen zum Ende der Implementierung kann dann abschließend beurteilt werden, ob durch die eingeleiteten Maßnahmen hemmende Faktoren beseitigt werden konnten und ob im Projektverlauf neue Hindernisse hinzugekommen sind.
Zudem können wichtige Aussagen darüber getroffen werden, wie eine Präventionsmaßnahme in dieser Versorgerkette implementiert werden muss, damit sie wirksam sein kann und die Gesundheit von Mutter und Kind positiv beeinflusst.
Diskussion
Durch die wissenschaftliche Begleitung des Implementierungsprozesses des Projekts GeMuKi können förderliche und hemmende Faktoren für die Umsetzung der neuen Versorgungsform in der Praxis ermittelt und im Verlauf der Implementierung modifiziert werden. Somit werden beste Voraussetzungen geschaffen die Intervention bei positivem Wirksamkeitsnachweis in die Regelversorgung zu überführen.
Praktische Implikationen
Bereits im Projektverlauf werden relevante Faktoren ermittelt, um einen reibungslosen Transfer des Projektes in die Regelversorgung gewährleisten zu können. Die gewonnenen Erkenntnisse zu förderlichen und hemmenden Faktoren der Implementierung lassen sich darüber hinaus auch für andere Projekte nutzen, die in dieser Versorgungskette implementiert werden sollen. Zusätzlich werden durch die bessere Vernetzung der drei Leistungserbringergruppen bessere strukturelle Voraussetzungen für die Implementierung weiterer Interventionsprogramme geschaffen. Hierbei ist unter anderem die Digitalisierung von Mutterpass und U-Heft in der projekteigenen Datenplattform zu nennen.
Hintergrund
Die Anzahl von Notaufnahmepatient*innen, sowie deren Charakteristika und Akut-, Vor- und Nachversorgungsparameter, wurden in Deutschland bisher nicht umfassend systematisch erfasst, sondern lediglich anhand von Befragungsdaten, einzelnen Studien mit limitierter Fallzahl und in der Regel nicht sektorenübergreifend untersucht. Die Dokumentationssysteme, erhobene Parameter und Möglichkeiten der Extraktion von elektronisch vorhandenen Daten sind in Notaufnahmen in Deutschland sehr heterogen. Ein methodisches Ziel von INDEED ist es, einen homogenen Datenkörper aufzubauen, der eine notaufnahmeübergreifende Analyse von Versorgungsdaten ermöglicht und diese Daten mit ambulanten Behandlungsdaten der Kassenärztlichen Vereinigungen verknüpft, um damit inhaltlich relevante Fragestellungen zu beantworten.
Fragestellung
Welche Herausforderungen stellen sich bei dem Aufbau eines homogenen Datenkörpers aus den Notaufnahmedaten?
Methode
Es wurden aus insgesamt 16 Notaufnahmen deutschlandweit rund sechzig Variablen für INDEED abgefragt, die sich auf vier Datenblöcke aufteilen. Variablen zu den allgemeinen Informationen des Patienten (u.a. Alter zu Notaufnahmekontakt, Geschlecht, Kostenträger), Angaben zur Versorgung in der Notaufnahme (u.a. einbringender Transport, Zeitstempel, Notaufnahmediagnose, Bildgebung, Konsile und behandelnde Fachrichtung), Blut- und Vitalwerte, sowie GCS und Schmerzscala und im vierten Teil Informationen zu einem sich gegebenenfalls anschließenden stationären Aufenthalt mit Variablen (u.a. Zeitstempel, Fachrichtung, Diagnosen, Prozeduren, Entlassart). Die Daten werden in den Kliniken extrahiert, vor Ort durch INDEED-Mitarbeiter einer groben Prüfung unterzogen, final aufbereitet und ggf. mit Erklärungen versehen. Die medizinischen Nutzdaten werden verschlüsselt an das zentrale Datenmanagement von INDEED weitergeleitet, wo sie aus Datenschutzgründen von anderen INDEED-Mitarbeitern weiterverarbeitet werden. Im zentralen Datenmanagement werden die verschiedenen Datensätze bereinigt und harmonisiert die Qualität der Daten wird geprüft (Vollständigkeit, Plausibilität) und eine relationale Datenbank aufgebaut.
Ergebnisse
Es zeigt sich eine sehr umfassende strukturelle als auch inhaltliche Heterogenität der Daten. So wird beispielsweise das Leitsymptom mit zwischen sechs bis 170 Ausprägungen in den verschiedenen Kliniken erfasst. Die Fachabteilungen sind meist unterschiedlich angelegt und die Behandlungsroutinen nur bedingt vergleichbar. Eine große Schwierigkeit stellt die Abfrage von Bildgebung und anderen diagnostischen Verfahren, da diese oft schwer zu identifizieren sind, im Arztbrief als Freitext dokumentiert oder aus den unterschiedlichen Systemen nicht mit angemessenen Aufwand ausleitbar sind. Scheinbar standardisierte Instrumente wie die Schmerzskala sind unterschiedlich in die Notaufnahmeroutine implementiert. Minutengenaue prozessgenerierte Zeitstempel lassen primär eine Präzision vermuten, die im Gesamtkontext der Daten nicht real erscheint. Die Harmonisierung des Datenkörpers wird in einem zweitägigen Workshop adressiert, in dem Kliniker, Statistiker und Datenmanager die Standards der Variablen festlegen mit Blick auf die Beantwortung der Forschungsfragen.
Diskussion
Die stark ausgeprägte Heterogenität der Daten beruht auf den verschiedenen Dokumentationsroutinen in den Kliniken und unterschiedlichen IT-Architekturen. So kommen in den Kooperationskliniken sechs verschiedene Notaufnahmedokumentationssysteme zum Einsatz. Weitere Daten werden zum Teil aus dem Krankenhausdokumentationssystem, wie Bildgebung und Labor, sowie dem medizinischen Controlling bezogen. Letztere stationäre Daten unterliegen standardisierten Vorgaben und sind dementsprechend qualitativ gut, da sie abrechnungsrelevant sind. Im Projektverlauf hat sich abgezeichnet, dass 2016 die elektronische Dokumentation in den Häusern oftmals noch in den Anfängen steckte und sich seitdem erst etabliert. Ebenfalls sind die Ressourcen und die Expertise zur Datenextraktion in den Häusern sehr unterschiedlich. Die Datenbereitstellung ist mit einem beachtlichen Zeitaufwand seitens der eingebundenen Klinikmitarbeiter verbunden, welche das Projekt nebenher zu ihren eigentlichen Aufgaben begleitet haben.
praktische Implikationen
Um eine aussagekräftige Analyse von Fragestellungen im Bereich der Versorgung in den Notaufnahmen durchzuführen sind vergleichbare Daten zwingend erforderlich. Vorhandene Standards der medizinischen Dokumentation müssen genutzt werden. Gleichzeitig sollte für Notaufnahmen eine einheitliche administrative Dokumentation gefordert werden, unabhängig von Abrechnungsmodus (ambulant/stationär) und Kostenträger (gesetzliche Krankenversicherung, gesetzliche Unfallversicherung usw.). Nur mit einer einheitlichen Datengrundlage lassen sich notwendige Adaptationen der Patientenläufe planen und evaluieren. Den Kliniken müssen nicht nur im Rahmen von Forschungsprojekten die dafür notwendigen Ressourcen eingeräumt werden.
Hintergrund
Das Projekt CIRSforte wird vom Innovationsfonds gefördert (FKZ 01VSF16021) und hat zum Ziel, Fehlerberichts- und Lernsysteme (CIRS) für die ambulante Versorgung fortzuentwickeln. Nach einer umfassenden Aufbereitung der vorhandenen Evidenz zum Thema CIRS im Gesundheitswesen wurden in einer bundesweiten Arbeitsgruppe Empfehlungen für die Nutzung von Berichts- und Lernsystemen in der ambulanten Versorgung (APS Handlungsempfehlung „Handeln bevor etwas passiert. Berichts- und Lernsysteme erfolgreich nutzen.“) erarbeitet. Seit April 2018 werden 181 Praxen über 17 Monate mit verschiedenen Maßnahmen dabei unterstützt, auf der Grundlage der Handlungsempfehlung ein Fehlerberichts- und Lernsystem einzuführen und so das praxisinterne Fehlermanagement teambasiert fortzuentwickeln.
Fragestellung
Welche unterstützenden Maßnahmen werden von Praxen bei der Einrichtung eines Berichts- und Lernsystem und Fortentwicklung von Fehlermanagement angenommen?
Methode
Es nehmen 181 Praxen aus über 20 verschiedenen Facharztrichtungen an CIRSforte teil.
Unterstützende Maßnahmen: Alle Einrichtungen verpflichten sich, an einem Einführungsworkshop zu Fehlermanagement als Präsenz- oder Online-Workshop teilzunehmen. Fakultativ können die Praxen zwei kurze, vertiefende Online-Schulungen absolvieren. Ebenfalls fakultativ werden in der zweiten Hälfte der Praxisphase Präsenzworkshops und Webinare zum praxisübergreifenden Austausch über kritische Ereignisse und Fehlermanagement angeboten. Alle Praxen erhalten monatlich eine Info-Mail mit aktuellen Projektinformationen und Tipps rund um Fehlermanagement in der ambulanten Versorgung. Für Fragen steht den Teilnehmenden wochentäglich eine Projekthotline zur Verfügung, weiterführende Informationen und Materialien werden zudem auf einer projekteigenen Homepage bereitgestellt.
Evaluation: Dreimal im Verlauf der 17-monatigen Praxisphase werden die Praxen in einem Kurzfragebogen zum Stand der Umsetzung ihres Fehlermanagements befragt und zudem gebeten, einen Ereignisbericht aus ihrem Berichts- und Lernsystem einzusenden. Im Rahmen der formativen Evaluation finden qualitative Interviews mit 40 Praxen statt. Zu Beginn und Ende der Praxisphase wird zusätzlich ein Fragebogen eingesetzt, der die Einstellungen der Praxisteams zu Fehlermanagement erfasst.
Ergebnisse
Am Einführungsworkshop nahmen insgesamt Teilnehmer aus 169 Praxen teil (Präsenzworkshop 172 Teilnehmer aus 80 Praxen, Online-Workshop 122 Teilnehmer aus 89 Praxen). Beide Workshopformate wurden überwiegend positiv bewertet. Zum Zeitpunkt der Konferenz wird vorgestellt, welche weiteren Maßnahmen in welchem Umfang von den Praxen angenommen wurden.
Diskussion
Die Akzeptanz von unterstützenden Maßnahmen bei der Umsetzung von Fehlermanagement in den untersuchten ambulanten Praxen wird dargestellt. Es wird umfassend beleuchtet, wie die Adaptation eines – für den stationären Sektor bereits hinreichend bekannten – Fehlermanagements für die ambulante Praxis gelingen kann.
Praktische Implikationen
Niedergelassene Vertragsärzte sind laut QM-Richtlinie des G-BA verpflichtet, Fehlermanagement umzusetzen und dabei Fehlerberichts- und Lernsysteme zu nutzen. In CIRSforte wird erprobt, mit welchen unterstützenden Maßnahmen diese gesetzlichen Vorgaben umgesetzt werden können. Diese Erkenntnisse sind ebenfalls wegweisend für andere Implementierungsstudien in der ambulanten Versorgung.
Hintergrund
Bislang werden Patientensicherheitsthemen und -problematiken v. a. im Zusammenhang mit bestimmten Settings und Institutionen erhoben und ausgewertet, wie z. B. durch Befragungen mit Bezug auf die Einrichtungen oder bestimmte Therapie- und Behandlungssituationen. Übergreifende Untersuchungen oder Erhebungsinstrumente, welche die Sicht von Patient*innen oder Bürger*innen erfassen, existieren kaum bis auf wenige Ausnahmen (vgl. z. B. Ricci-Cabello et al. 2016).
Im Rahmen des Forschungsprojekts „Gestaltungskompetenz als Innovator für hochzuverlässige Organisationen im Gesundheitssystem“ (GIO) wird u. a. die Frage untersucht, welche Erfahrungen Bürger*innen zu Patientensicherheitsthemen gemacht haben, um darauf aufbauend allgemeine Versorgungsbedarfe und -defizite zu identifizieren und abzuleiten. Ziel der Befragung war es, aus Bürger*innenperspektive ein umfassendes Bild über die Wahrnehmung und Erfahrungen in Bezug auf Patientensicherheitsaspekte zu erlangen, um somit bis dato fehlende Informationen zur Beschreibung der Kontextbedingungen zu erfassen und in das Gesamtprojekt einzuspeisen.
Fragestellung
Neben weiteren standardisierten Fragen zur Einschätzung und Wahrnehmung von Patientensicherheitsaspekten, wurden die folgenden zwei offenen Fragen zur Identifikation von Versorgungsbedarfen und -defiziten aus Bürger*innenperspektive gestellt:
1. „In welchen Situationen wurden von den Bürger*innen Unsicherheiten erlebt in der letzten hausärztlichen oder Krankenhausbehandlung?“
2. „Welche Fehlertypen oder Beinaheschäden haben die Befragten selber oder deren Angehörige schon einmal während einer hausärztlichen oder Krankenhausbehandlung erfahren?“
Methode
Die Fragebögen wurden postalisch an 2.944 Bürger*innen aus einer Einwohnermeldeamtsstichprobe in der Stadt Osnabrück verschickt. An der Befragung nahmen 355 Personen (137 Personen männlich und 218 Personen weiblich) im Alter zwischen 19 und 80 Jahren teil. Neben weiteren standardisierten Fragen zur Wahrnehmung und allgemeinen Einschätzung von Patientensicherheitsthemen, wurden die Befragten in dem Fragebogen mit jeweils zwei Freitextfeldern nach den o. g. Situationen bzw. Fehlertypen und Beinaheschäden gefragt.
Die Auswertung der Freitextfelder erfolgte induktiv in Anlehnung an die zusammenfassende Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) mit der Software MAXQDA. Das induktiv gebildete Kategoriensystem wurde von einer weiteren Person zur Überprüfung der Intercoderreliabilität recodiert und überprüft. Unstimmigkeiten wurden im Konsens gelöst.
Ergebnisse
Es wurden Kategorien für erlebte Unsicherheiten wie z. B. „Medikationsverordnung und -verabreichung“, „Informationskontinuität/Kommunikationsprobleme“ oder auch subjektiv wahrgenommene Unsicherheiten wie „Patient*in fühlt sich nicht ausreichend aufgeklärt/alleine gelassen“ aus den Freitextfeldern identifiziert.
Bei der Auswertung von erlebten Fehlertypen oder Beinaheschäden wurden Kategorien wie z. B. „Falsche Diagnose“, „Fehlerhafte Behandlung/Therapie“ oder „Patient*in wurde nicht zugehört/fühlt sich nicht ernst genommen“ ermittelt.
Die induktive Auswertung der Ergebnisse ergab bei der vergleichenden Gegenüberstellung, dass bei den Angaben zur hausärztlichen und der Krankenhausbehandlung ähnliche Kategorien identifiziert wurden.
Diskussion/Praktische Implikation
Die Perspektive von Personen, die sich nicht unmittelbar in einer Gesundheitseinrichtung oder Behandlungssituation befinden, wird bisher kaum berücksichtigt in der Versorgungsforschung, um hieraus Versorgungsbedarfe und -defizite abzuleiten für die Versorgungsgestaltung. Die Auswertungsergebnisse weisen darauf hin, dass neben eher objektiven Kriterien wie „falsche Medikamentengabe“ etc., auch subjektiv wahrgenommene Aspekte, wie „Patient*in fühlt sich nicht ernst genommen“ oder „Patient*in wurde nicht zugehört“, relevant für Patientensicherheitsaspekte sein könnten.
Entsprechende interaktive Lernangebote für Mitarbeiter*innen in Gesundheitseinrichtungen, die sich mit Themen zur Patientensicherheit befassen, werden im nächsten Projektschritt des GIO-Forschungsprojekts entwickelt und erprobt. Diese werden u. a. auf diese Versorgungsbedarfe aus Sicht der Bürger*innen abzielen bzw. diese berücksichtigen.
Weitere Hintergrundinformationen
Informationen zum GIO-Projekt unter: www.nachhaltige-patientensicherheit.de.
Das Studienvorhaben wurde von der Ethikkommission der Universität Osnabrück positiv begutachtet.
Literatur
Mayring, P. (2015). Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. 12., überarbeitete Auflage. Weinheim, Basel: Beltz.
Ricci-Cabello, I.; Avery, A.J.; Reeves, D.; Kadam, U.T.; Valderas, J.M. (2016): Measuring Patient Safety in Primary Care: The Development and Validation of the "Patient Reported Experiences and Outcomes of Safety in Primary Care" (PREOS-PC). In: The Annals of Family Medicine. 2016; 14 (3), S. 253-261.
Hintergrund
Im GKV-Versorgungsstärkungsgesetz vom Juli 2015 (§ 27b SGB V) ist der Anspruch auf Zweitmeinung (ZM) gesetzlich verankert. Die Verfahrensregeln für die ZM hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in einer Richtlinie vom 21. September 2018 konkretisiert. Gesetzlich versicherte PatientInnen haben seither einen Rechtsanspruch auf eine unabhängige ärztliche ZM bei bestimmten planbaren Eingriffen wie Tonsillektomie und Tonsillotomie sowie Hysterektomie. Künftig hat der/die indikationsstellende Arzt/Ärztin PatientInnen über ihr Recht auf ZM aufzuklären. Die/der PatientIn wird auf die eingriffsspezifischen Entscheidungshilfen hingewiesen, die das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) im Auftrag des G-BA entwickelt. Das Angebot von ZM-Verfahren ist in Deutschland zunehmend und durch Insellösungen sehr heterogen.
Fragestellung
Vorrangiges Ziel des Projektes ist es, valide Kriterien für ZM-Verfahren zu entwickeln, die den Bedürfnissen der PatientInnen entsprechen, die Gesundheitskompetenz steigern und zur informierten Entscheidungsfindung beitragen.
Methode
Die Studie gliedert sich in zwei aufeinander aufbauende Module: 1. Bestandsaufnahme von ZM-Verfahren mit schriftlichen Befragungen und Interviews, 2. Bedarfsanalyse mit quantitativen und qualitativen Methoden (schriftlichen Befragungen, Interviews, Fokusgruppen, teilnehmende Beobachtungen).
Im Modul 1 werden gesetzliche (n=109) und private (n=52) Krankenversicherungen sowie Anbieter von ZM-Verfahren befragt.
Im Modul 2 wird zunächst eine repräsentative Befragung in der Allgemeinbevölkerung (Zielgröße n=2000) durchgeführt. Im Weiteren werden spezifische PatientInnengruppen befragt: 1. Personen, die von einem/einer niedergelassenen Facharzt/Fachärztin eine OP-Indikation erhalten (n=400), 2. Personen, bei denen innerhalb des letztes Jahres eine Tonsillektomie/Tonsillotomie oder Hysterektomie vorgenommen wurde (n=450), 3. Personen nach telekonsiliarischer ZM (n=400) sowie 4. Mitglieder von Selbsthilfegruppen, niedergelassene FachärztInnen und VertreterInnen von Fachgesellschaften. Die Daten aus den standardisierten Fragebögen werden deskriptiv mittels Regressionsanalysen ausgewertet. Darüber hinaus werden bei allen Patientengruppen sowie den Selbsthilfegruppen und ÄrztInnen problemzentrierte Interviews und Fokusgruppen durchgeführt. Die Auswertung der qualitativen Daten erfolgt mit Hilfe der qualitativen Inhaltsanalyse, die eine regelgeleitete Extraktion relevanter Bedeutungsdimensionen erlaubt.
Erwartete Ergebnisse
Das Projekt wird wichtige Erkenntnisse zur derzeitigen Umsetzung von ZM-Verfahren liefern. Insbesondere werden im Rahmen der Bestandsanalyse Informationen bezüglich der Umsetzbarkeit von ZM-Verfahren erhoben und die aktuelle Versorgungssituation kann entsprechend beurteilt werden. Darüber hinaus werden aktuelle Informationen zum Inan-spruchnahmeverhalten von ZM-Verfahren erhoben. Das Projekt wird relevante Erkenntnisse liefern, wie PatientInnen den Beitrag der ZM zu einer informierten Entscheidungsfindung erleben und welche Ansprüche an die Gesundheitskompetenz der PatientInnen ein ZM-Prozess stellt. Es werden Kriterien für ZM-Verfahren identifiziert, die den Bedürfnissen der PatientInnen entsprechen.
Diskussion
Es wird angenommen, dass durch ungleiche Versorgungssituationen in Ballungsräumen, strukturschwachen und ländlichen Regionen die Inanspruchnahme einer ZM erschwert wird. Durch eine telemedizinische bzw. telekonsiliarische ZM kann die ländliche Unterversorgung jedoch überbrückt werden und PatientInnen können vermehrt eine ZM in Anspruch nehmen. Zugleich birgt die Digitalisierung die Chance, in einem eigenen Netzwerk Expertenmeinungen auszutauschen, um über die beste Lösung für die PatientInnen zu befinden. ZM-Verfahren stellen im günstigsten Falle eine Methode zur Sicherstellung evidenzbasierter Medizin dar und leisten damit einen Beitrag zur Qualitätssicherung, zur Patientensicherheit und bedarfsgerechter Versorgung.
Praktische Implikationen
Die gewonnenen Erkenntnisse sollen Grundlage für die Weiterentwicklung der bestehenden Versorgung und Etablierung neuer ZM-Verfahren in den Krankenkassen sein. Das Projekt soll weiterhin ein telekonsiliarisches ZM-Programm im Rahmen einer prospektiven Kohortenstudie als neue Versorgungsform besonders in ländlichen Gebieten mit geringer Haus-arzt/Facharztdichte vorbereiten. Die Studie geht damit weit über den in § 10 Abs. 3 der Zm-RL (Evaluation) hinaus und soll eine Grundlage für das vom G-BA beschlossene Evaluations-Rahmenkonzept darstellen.
Hintergrund: Als ambulant-sensitive Krankenhausfälle (ASK) werden Hospitalisationen bezeichnet, welche bei adäquater ambulanter Versorgung potentiell vermeidbar gewesen wären. Die Agency for Healthcare Research and Quality (AHRQ) nutzt bevölkerungsbezogene ASK-Raten als Indikatoren zur Beurteilung der ambulanten Versorgung hinsichtlich Qualität und Zugang. Das Indikatorenset der Prevention Quality Indicators (PQI) beinhaltet dabei auch akute Erkrankungen, die in Deutschland bisher unzureichend untersucht worden sind.
Fragestellung: Ziel der Untersuchung war die geschlechts- und altersspezifische Deskription der Indikatoren „Dehydration Admission Rate“ (PQI 10), „Community-Acquired Pneumonia Admission Rate“ (PQI 11) sowie „Urinary Tract Infection Admission Rate“ (PQI 12) sowie die Betrachtung der Raten im Zeitverlauf.
Methode: Datengrundlage sind die beim statistischen Bundesamt vorliegenden Tiefgegliederten Diagnosedaten der Krankenhauspatientinnen und –patienten. Vorlage zur Fallselektion waren die in den Spezifikationen der AHRQ angegebenen und nach ICD-10 GM transformierten Hauptdiagnosekodes. Berücksichtigt wurden alle Krankenhausfälle im Alter ab 20 Jahren in den Datenjahren von 2009 bis 2017. Zur Herstellung eines Bevölkerungsbezuges wurden Daten der Genesis-Datenbank verwendet. Der zeitliche Trend wurde mittels linearer Regression analysiert.
Ergebnisse: Der PQI 10 zeigt im Datenjahr 2017 bei Männern eine bevölkerungsbezogene Rate von 114,6 Fällen pro 100.000 Einwohner (Frauen: 224,0). Bei PQI 11 sind bei Männern 396,2 Fälle pro 100.000 Einwohner (Frauen: 292,1) zu verzeichnen. Die Rate für PQI 12 liegt in der männlichen Population bei 222,4 Fällen pro 100.000 Einwohner (Frauen: 311,6).
Alle Indikatoren zeigen bei beiden Geschlechtern eine statistisch signifikante Zunahme in der Zeitreihe von 2009 bis 2017. Die mittlere jährliche Veränderung (Regressionskoeffizient b = Veränderung der Fälle pro 100.000 Einwohner pro Jahr) beträgt bei PQI 10 b = 8,5 (Männer) bzw. b = 10,3 (Frauen), bei PQI 11 b = 7,3 (Männer) bzw. b = 4,7 (Frauen), sowie bei PQI 12 b = 9,8 (Männer) bzw. 9,0 (Frauen). Während Männer bei den Krankenhausfällen bei Pneumonie (PQI 11) in allen Jahren höhere Raten aufweisen, sind die Aufnahmeraten bei Dehydration und Harnwegsinfektionen in der weiblichen Population in allen Datenjahren größer.
Die Altersverteilung zeigt sowohl bei PQI 10 als auch bei PQI 11 eine zunehmende Rate an Aufnahmen mit steigendem Alter, wobei die höchsten Raten in der Altersgruppe der 75jährigen und älter zu erkennen sind. Die Rate der Krankenhausfälle bei Dehydrationen liegt bei den 65 bis 74jährigen Männern bei 164,4 Aufnahmen pro 100.000 Einwohner (Frauen: 135,3), steigt allerdings bei den über 74jährigen auf 928,4 pro 100.000 Einwohner (Frauen: 1202,4) an. Während die Raten der Harnwegsinfektionen bei Frauen in jüngeren Altersgruppen höher sind als die Raten der männlichen Population, kehrt sich dieses Verhältnis in der Bevölkerung ab 60 Jahren um (älter als 74 Jahre: 1096 Fälle je 100.000 Einwohner bei Männern bzw. 1032 Fälle je 100.000 Einwohner bei Frauen).
Diskussion: Die geschlechtsübergreifenden Raten des Jahres 2016 zeigen in Deutschland bei allen Indikatoren höhere Ergebnisse als die nationalen Raten der USA. Die Zunahme der Raten lassen möglicherweise auf im zeitlichen Verlauf ansteigende Qualitäts- oder Zugangsprobleme in der ambulanten Versorgung schließen. Während der Anstieg der Rate der ambulant erworbenen Pneumonien auf Defizite bei Pneumokokken-Impfungen hinweisen könnte, sind die Krankenhausfälle bei Harnwegsinfektionen aufgrund der Bedeutung einer zeitnahen Behandlung dieser Erkrankung vor allem im Hinblick auf die Zugänglichkeit zu interpretieren. Zur weitergehenden Klärung sollten jedoch die regionalen Angebotsstrukturen vertiefend betrachtet werden. Die extrem hohen Raten der Hochbetagten reflektieren zum einen ein höheres Risiko, könnten aber auch auf Versorgungsprobleme in der stationären Pflege hinweisen. Zukünftige Analysen sollten insbesondere jene Patienten mit Dehydrationen betrachten, welche in einem Pflegeheim leben. Der Einfluss potentieller Determinanten wie Struktur und Qualität der stationären Pflege ist zu prüfen.
Praktische Implikationen: Steigende Aufnahmeraten im zeitlichen Verlauf sowie besonders hohe Raten bei über 74jährigen zeigen die Relevanz ambulant-sensitiver Krankenhausfälle bei akuten Erkrankungen sowie die Notwendigkeit von Maßnahmen zur Verbesserung von Zugang und Qualität der ambulanten Versorgung bei diesen Krankheiten.
Hintergrund
Die meisten Menschen möchten in ihrer gewohnten Umgeben versterben. Um dies zu ermöglichen gibt es seit dem Jahr 2009 erste SAPV Teams in Deutschland. Mittlerweile gibt es mehr als 350 SAPV Teams in Deutschland in fast allen Regionen des Landes.
Die Standards der Datenerfassung, der Therapie und der Versorgungen unterliegen einem breiten Spektrum und es existiert bis heute keine systematische und differenzierte Erfassung von Behandlungsdaten einer Region. Auch die Vertragslandschaft über welche SAPV erbracht wird, ist äußerst heterogen, hier wird im Rahmen eines bundesweiten Rahmenvertrag eine Standardisierung angestrebt
Fragestellung
Der VSTN mit seinen Teams hat sich das Ziel gesetzt in zwei Schritten zu einer Qualitätssicherung der Versorgung beizutragen
Zum ersten sollten Methoden entwickelt werden, die Daten von 14 verschiedenen Teams anonym zu erheben und zum zweiten sollen mit Hilfe dieser erhobenen Daten, dann Rückmeldungen an die Teams gegeben werden, um eine einheitliche qualitätsgesicherte Versorgung zu ermöglichen.
Methode
Im palliativen und multiprofessionellen Bereich hat sich die komplette elektronische Dokumentation durchgesetzt. 100% der Teams in Nordrhein arbeiten entweder mit Pallidoc oder ISPC. Unter Beteiligung der beiden EDV-Anbieter wurde eine Struktur der Extraktion der Daten - aus den different aufgebauten EDV-Systemen – entwickelt, mit welcher die extrahierten Daten zu einem gemeinsamen Datensatz zusammengeführt werden konnten. Die Daten der Teams wurden bzgl. Team und patientanonymisiertvon der Firma Statconsult ausgelesen. Ein entsprechendes positive Votum der Ärztekammer Nordrhein zu diesem Vorgehen liegt vor.
Der Daten Export beinhaltet Patientenstammdaten, Daten bezüglich Versorgung der Patienten sowie Verordnungsdaten und Daten, die den Aufwand der Teams in der Versorgung beschreiben (Kontaktdaten).
Der Export erfolgt zeitraumbezogen (z.B. für das Jahr 2017).
In einem zweiten Schritt wurden die Datenexporte inhaltlich kategorisiert um sie vergleichbar zu machen. Ein einfaches Beispiel ist zum Beispiel der Aufenthaltsort eines Patienten. So dokumentierten die Teams den Aufenthaltsort Pflegeeinrichtung sehr unterschiedlich.
Dies wurde dann in eine Kategorie zusammengefasst, um die Daten sinnvoll zu bündeln
Pflegeeinrichtung (stationär) Senioren und Pflegeheim
Pflegeheim Senioren und Pflegeheim
Pflegeheim (stationär) Senioren und Pflegeheim
Pflegeheim / Altenheim Senioren und Pflegeheim
Senioren & Pflegeheim Senioren und Pflegeheim
Seniorenstift Senioren und Pflegeheim
Diese Kategorisierung war im weiteren Bereichen wie z.B. Allgemeinzustand – ECOG- versus Karnofsky-Index – Symptomatik und Kontaktarten etc. zunehmend aufwendiger. Trotz häufiger Rücksprachen mit den dokumentierenden Teams, verblieben in manchen Bereichen Überlappungen und Ungenauigkeiten.
Ergebnisse
Das entscheidende Ergebnis dieses Prozesses ist zunächst, dass gezeigt werden konnte, dass trotz sehr unterschiedlicher Träger und Rechtsformen etc. die Daten aus der Routinedokumentation einzelner SAPV Teams zu einer nahezu flächendeckenden Datenerhebung zusammengeführt werden können.
Die Daten beinhalten z.B. dass das Versprechen der SAPV, zu Hause bzw. dem selbst gewählten Aufenthaltsort versterben zu können, bei den 6871 in 2017 behandelten Patienten gehalten werden konnte. Bei nur etwas mehr als 6% der Patientinnen und Patienten war am Schluss eine stationäre Behandlung in einem Krankenhaus/Palliativstation erforderlich. Weitere inhaltliche Ergebnisse werden zurzeit aufbereitet und zukünftig publiziert.
Diskussion
Das o.g. Beispiel zeigt, dass nach Auswertung der unterschiedlichen Begrifflichkeiten im Rahmen der Qualitätssicherung, insbesondere für komplexe Fragen wie die quantitative Symptombeschreibung, einheitliche sinnvolle Kategorien den verschiedenen Teams vorgegeben werden sollten. Diese Kategorien festzulegen, zu entwickeln und dann in die Software zur Nutzung zu übertragen, ist ein sehr aufwendiger Prozess, der aber langfristig dazu führen wird, dass die Daten deutschlandweit nutzbar und vergleichbar sein werden. Dies kann nur durch die enge Zusammenarbeit der Softwareentwickler, Wissenschaftler und den Teams vor Ort erfolgen.
Praktische Implikation
Durch eine Standardisierung der Datenerfassung und umfassender Kooperation der Leistungserbringer, lassen sich Daten in unterschiedlichen Versorgungsteams deutschlandweit erfassen. Nur so kann man die Versorgungssituation vergleichen und dann im Rahmen von Qualitätssicherungsmaßnahmen die Versorgung der Bevölkerung verbessern. Dies ist dringend notwendig, denn in einigen Regionen werden mittlerweile 20 % der versterbenden Patienten durch ein SAPV Team versorgt, so dass diese Maßnahmen große praktische Relevanz für die Versorgung der Bevölkerung haben.
Hintergrund: Invasiv und nicht invasiv langzeitbeatmete Patienten mit ausgeprägtem technisch-therapeutischem Unterstützungsbedarf leben überwiegend in häuslichen Settings. Über die häusliche Versorgung und Begleitung dieser Patienten und ihrer Angehörigen ist noch wenig bekannt. Dies gilt u.a. für die Hilfsmittelversorgung (z.B. mit Beatmungs-, Absaug-, Inhalationsgeräten und Hustenassistenten), die in der vorzustellenden Studie fokussiert wird.
Fragestellung: (1) Wie erleben invasiv (über ein Tracheostoma) und nichtinvasiv (über eine Maske) beatmete Patienten sowie deren Angehörige die Hilfsmittelversorgung? (2) Welche Informations-, Beratungs-, Anleitungs- und Schulungsbedarfe haben sie zu Beginn und im Verlauf der Hilfsmittelversorgung und wie wird darauf von Seiten professioneller Akteure reagiert? (3) Welche edukativen sowie sicherheitsbezogenen Anforderungen sind bei der Hilfsmittelversorgung aus Patienten- und Angehörigensicht sowie aus Sicht professioneller Akteure zu berücksichtigen und wie können diese von den daran Beteiligten effektiv beantwortet werden?
Methode: Es wird eine qualitativ-explorative Studie mit drei Phasen durchgeführt. In einer ersten Phase werden problemzentrierte Interviews mit beatmeten Patienten sowie mit deren Angehörigen durchgeführt. Orientiert am Konzept eines qualitativen Längsschnittdesigns werden die Interviews, wann immer dies möglich ist, nach sechs bis neun Monaten durch eine Nachbefragung ergänzt. In einer zweiten Phase finden Beobachtungsinterviews mit Hilfsmittelversorgern sowie Experteninterviews mit weiteren professionellen Akteuren mit Bezug zur beatmungsspezifischen Hilfsmittelversorgung statt (z.B. betreuende Ärzte, Atmungstherapeuten und Pflegende, Entlassungsmanager in Kliniken, Fall- und Versorgungsmanager der Leistungsträger, Vertreter aus Patien-teninformations- und Beratungsstellen). Im Anschluss an die inhaltsanalytische Auswertung der Interviews aus den Phasen 1 und 2 folgt in einer dritten Phase die kontrastierende Analyse der Befunde. Unter Experten- und Stakeholder-Beteiligung werden darauf aufbauend Implikationen für eine sicherheitsorientierte Optimierung der Hilfsmittelversorgung abgeleitet.
Erwartete Ergebnisse: Aus der Perspektive von Patienten und Angehörigen werden tiefe Einblicke in das Feld der Hilfsmittelversorgung erwartet, einschließlich der dazugehörigen kommunikativ-edukativen und sicherheitsrelevanten Elemente. Die aus Nutzersicht bedeutsamen Qualitäts- und Sicherheitsdimensionen werden durch die Perspektive von in diesem Feld tätigen professionellen Akteuren ergänzt, kontrastiert und erweitert. Die multiperspektivischen Befragungs- und Beobachtungsergebnisse lassen erstmals Erkenntnisse zur Praxis der initialen sowie der langfristig zu beglei-tenden Hilfsmittelversorgung von Patienten mit Heimbeatmung erwarten, vor allem mit Blick auf die Edukation und Patientensicherheit.
Diskussion und praktische Implikationen: Die Studie adressiert zwei wesentliche Lücken in der Forschung und Praxisentwicklung: Zum einen die bislang allenfalls rudimentär existente Versor-gungsforschung zur Hilfsmittelversorgung und zum anderen den erheblichen Forschungs- und Ent-wicklungsbedarf zur Gewährleistung der Patientensicherheit in der häuslichen Versorgung. Auf der Basis der erarbeiteten empirischen Erkenntnisse können fundierte Empfehlungen für patienten-orientierte Handlungsempfehlungen, Sicherheitsleitlinien und Risikomanagementstrategien in der Versorgung mit beatmungsspezifischen Hilfsmitteln abgeleitet werden. Die Übertragbarkeit der Erkenntnisse auf andere Bereiche der Hilfsmittelversorgung wird kritisch geprüft.
Hintergrund
Eine spastische Bewegungsstörung (SB) in Form von ungewollter muskulärer Hyperaktivität tritt infolge einer Schädigung des zentralen Nervensystems auf. Sie kommt symptomatisch bei vielen neurologischen Krankheitsbildern vor, darunter Schlaganfall oder Multiple Sklerose. Eine Hochrechnung aus Krankenkassendaten der Leipziger Foren zeigt, dass in Deutschland etwa 530.000 Patienten von einer behandlungsbedürftigen SB betroffen sind. Eine Heilung ist derzeit nicht möglich, doch können Ausprägung und Begleiterkrankungen durch geeignete Therapieverfahren verbessert werden.
Fragestellung
Wie sieht die Versorgungsrealität der Patienten mit SB in Deutschland aus, weicht sie von der in den Leitlinien vorgeschlagenen Versorgung ab und welche Kosten entstehen dabei für das deutsche Gesundheitssystem?
Methode
Im Rahmen einer Prozesskostenanalyse wurden Allgemeinmediziner in Deutschland postalisch zu ihrer Patientenklientel mit SB, der nicht-invasiven und medikamentösen Therapie der SB sowie zum Pflegebedarf der Betroffenen befragt. Ein Delphi-Panel, bestehend aus 5 Neurologen, wurde zusätzlich konsultiert um Aussagen zu Fehlversorgung und Kostentrends zu machen. Aus allen Angaben wurde der aus der Therapie resultierende Ressourcenverbrauch ermittelt und diesem die entsprechenden Kosten aus Perspektive der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und der gesetzlichen Pflegeversicherung (GPV) zugeordnet. Kosten für Medikamente wurden dabei der Lauer-Taxe entnommen, Kosten für Behandlungen entsprechend dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab der Kassenärztlichen Bundesvereinigung kalkuliert.
Ergebnisse
Insgesamt konnten die Antworten von 109 Allgemeinmedizinern zu 2.418 Patienten mit SB ausgewertet werden. Der GKV entstehen pro Patient und Jahr Kosten in Höhe von etwa 1.500 € durch Arztbesuche, Physiotherapie, Orthesen, medikamentöse Behandlung der SB sowie begleitende Schmerzen oder Depressionen. Extrapoliert auf das gesamte Patientenkollektiv ergeben sich Kosten in Höhe von knapp 783 Millionen € für die GKV.
Die SB hat große Auswirkungen auf den Pflegebedarf der Betroffenen. Etwa 77% der Patienten mit SB sind pflegebedürftig. Der GPV entstehen so Kosten in Höhe von 5,9 Milliarden € für die Pflege von Patienten mit SB.
Die extrapolierten Kosten für das gesamte Patientenkollektiv summieren sich auf 6,7 Milliarden €, wobei die Pflege den Hauptkostentreiber darstellt.
Diskussion
Die Ergebnisse der Prozesskostenanalyse zeigen, dass die Versorgung der Betroffenen in der Realität teilweise erheblich von der in der Fachliteratur und den Leitlinien beschriebenen Versorgung der SB abweicht. Diese würde zusätzlich die Versorgung durch spezialisierte Fachärzte sowie eine flächendeckendere Versorgung mit Physiotherapie und Botulinumtoxin A vorsehen. Dadurch würden zwar die Kosten in diesen Versorgungsbereichen ansteigen, dafür würden weniger orale antispastische Medikamente und Analgetika gebraucht.
Praktische Implikationen
Aus dem Survey geht hervor, dass weit mehr als die Hälfte der Patienten einen aufgrund der SB erhöhten Pflegegrad hat. Nimmt man an, dass bei leitliniengerechter Behandlung der SB der Pflegegrad der Patienten reduziert werden kann, wäre hier das größte Einsparpotential von rund 1,5 Mrd. € für die GPV zu erwarten.
Hintergrund und Fragestellung
Patientenregister sind systematische, prospektive und protokollartige Kollektionen von Patientendaten. Das nicht-interventionelle deutsche Prosriasisregister (PsoBest) zielt darauf ab, langfristige Erkenntnisse über die Sicherheit und Wirksamkeit systemischer Antipsoriatika in der Routineversorgung zu gewinnen.
Methoden
Das PsoBest Register beobachtet erwachsene Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Psoriasis. Die Patienten werden zu Beginn der naiven systemischen Behandlung registriert und 15 Jahre lang in der Routineversorgung beobachtet. Die Datenerhebung erfolgt über standardisierte Fallberichtsformulare in dermatologischen Praxen und Kliniken sowie postalischen Zwischenerhebungen. In Harmonisierung mit anderen europäischen Psoriasis-Registern zielt PsoBest auf klinische Parameter (z. B. den Psoriasis Area Severity Index (PASI) oder die Body Surface Area (BSA)), Ergebnisse der Patientenberichte (z. B. den Patient Benefit Index (PBI) oder den Dermatologischen Lebensqualitäts-Index (DLQI)) und medikamentenspezifische Behandlungsdaten ab. Die Arzneimittelsicherheit wird durch Berichte über schwerwiegende und nicht schwerwiegende unerwünschte Ereignisse innerhalb des Registers erfasst.
Ergebnisse
Derzeit sind bundesweit 917 Standorte registriert - 68 Kliniken und 849 dermatologische Praxen. Bis April 2019 wurden über 10.000 Patienten an das Register gemeldet.
Die PsoBest Patienten waren überwiegend männlich (58,8 %) mit einem Durchschnittsalter von 47,7 Jahren. Sie litten durchschnittlich seit 17,5 Jahren an Psoriasis. Dabei wiesen 30,2 % der Patienten eine Gelenkbeteiligung auf und 49,8 % eine Nagelpsoriasis. Der mittlere PASI lag bei 14,8 und der mittlere DLQI bei 11,5. Dies spiegelt die deutliche Krankheitslast und Einschränkung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität für die Patienten wider.
Bei der Aufnahme in das Register wurden alle in Deutschland zugelassenen antipsoriatischen Behandlungen beobachtet. Etwa jeder zweite Patient begann das Register mit einer nicht-biologischen Behandlung (67 %). Da die Beobachtung des Patienten unabhängig vom weiteren Behandlungsverlauf ist und ein Wechsel zu anderen Medikamenten möglich ist, wurde eine große Anzahl von Patientenjahren (PJ) im Register beobachtet. Insgesamt liegen Daten zu 5.751 PJ bei Biologika, 7.597 PJ bei Nicht-Biologika und 11 PJ bei den Biosimilars vor.
Diskussion und Praktische Implikationen
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das deutsche Psoriasis-Register PsoBest im Jahr 2008 ein wegweisender Schritt war, um langfristige Erkenntnisse über Sicherheit, Wirksamkeit, Patientennutzen und Gesundheitsroutine zu gewinnen. Es ist ein immer noch wachsendes Gemeinschaftsprojekt, das von der Hingabe von tausenden Dermatologen und Patienten lebt. Dadurch hat sich PsoBest zum größten Register der deutschen Dermatologie entwickelt, welches unerlässlich geworden ist.
Hintergrund und Fragestellung
2,5 % der deutschen und schweizerischen Bevölkerung sind von Psoriasis (Schuppenflechte) betroffen. Diese chronische Erkrankung kann einen gravierenden Einfluss auf die Lebensqualität der Betroffenen haben. Obwohl die Patientenbedürfnisse die wichtigsten Faktoren für Behandlungsentscheidungen sind, werden sie in der Routineversorgung selten systematisch untersucht. Ziel dieser Studie war es, die Bedürfnisse und Erwartungen aus Patientensicht im deutschen Psoriasisregister PsoBest und im schweizerischen Psoriasisregister SDNTT in Bezug auf Behandlungswahl, Alter und Geschlecht zu analysieren.
Methode
Die beiden Psoriasisregister PsoBest und SDNTT beobachten prospektiv Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Psoriasis mit oder ohne Psoriasis-Arthritis. Die Patienten werden zu Beginn einer naiven systemischen Behandlung registriert und 15 Jahre lang in der Routineversorgung beobachtet. Die Erfassung der Registerdaten erfolgt über standardisierte Fragebögen in dermatologischen Praxen und Kliniken. Es werden klinische und auch patientenberichtete Parameter dokumentiert, einschließlich des Patient Benefit Index (PBI). Mittels des PBIs wird die Wichtigkeit von 25 Behandlungszielen abgefragt. Die Patientenangaben wurden deskriptiv nach Alter (< 65 vs. ≥ 65 Jahre), Geschlecht und Behandlungswahl ausgewertet.
Ergebnisse
Es wurden 5.343 Patienten in die Analysen einbezogen, 4.894 Patienten von PsoBest und 449 von SDNTT. Die wichtigsten Patientenbedürfnisse waren „eine schnelle Verbesserung der Haut zu erfahren“ und “von allen Hautveränderungen geheilt zu sein”.
Subgruppenanalysen nach Alter zeigten signifikante Unterschiede in den Bedürfnissen, insbesondere höhere Anforderungen an soziale Beeinträchtigungen bei Patienten unter 65 Jahren. Bei Patienten ab 65 Jahren wurde der Schlafqualität mehr Bedeutung beigemessen, weniger Abhängigkeit von Arztbesuchen, weniger Nebenwirkungen und Vertrauen in die Therapie.
Von 25 PBI-Items wurden 20 von Frauen signifikant wichtiger bewertet als von Männern, wobei die größten Unterschiede in Bezug auf Depressionsgefühl, Schlafqualität und tägliche Produktivität bestanden. Auch nach Therapie gegliedert, wurden die Bedürfnisse unterschiedlich bewertet.
Diskussion und praktische Implikation
Die Bedürfnisse der Patienten werden auch durch die Alters- und Geschlechtsstruktur bestimmt. Frauen zeigten höhere Erwartungen und bewerteten die spezifischen Bedürfnisse bei der Psoriasisbehandlung höher als Männer. Die Analyse der Patientenbedürfnisse auf individueller Ebene erleichtert gemeinsame Entscheidungen von Patient und Arzt bei der Suche nach der optimalen personalisierten Behandlung.
HINTERGRUND: In Bayern leben derzeit mehr als 240.000 Menschen mit Demenz (MmD). Aufgrund des demographischen Wandels wird sich diese Zahl bis 2032 nach aktuellen Schätzungen um knapp 50 % auf etwa 340.000 Menschen erhöhen [1]. Die Versorgung und Betreuung der MmD ist aufgrund der steigenden Prävalenz der Demenzen eine der zentralen Herausforderungen. In dem Versorgungsforschungsprojekt „Bayerischer Demenz Survey“ (BayDem) hat sich gezeigt, dass die Betroffenen mit einer Vielzahl von Barrieren für die Inanspruchnahme von Unterstützungsleistungen konfrontiert sind [2]. Aufbauend auf diesen Ergebnissen soll durch das „Digitale Demenzregister Bayern“ (digiDEM Bayern) die Versorgungsforschung im Bereich Demenz gestärkt werden.
FRAGESTELLUNGEN: Ziel ist der Aufbau des „Digitalen Demenzregisters Bayern“ (digiDEM Bayern), um unter anderem den Langzeitverlauf demenzieller Erkrankungen und die Versorgungssituation der Betroffenen in ganz Bayern besser zu verstehen. Darüber hinaus werden digitale Angebote zur Demenzversorgung für MmD und deren Angehörige, Ehrenamtliche sowie interessierte Bürgerinnen und Bürger zur Verfügung gestellt.
METHODE: digiDEM Bayern ist eine Längsschnittstudie mit Nachbeobachtungen der Beteiligten an vier Zeitpunkten: sechs Monate nach Einschluss (t6), nach zwölf Monaten (t12) sowie danach in jährlichen Abständen (t24, t36). Die Datenerhebung wird in standardisierten Interviews in Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren vor Ort in allen sieben Regierungsbezirken Bayerns stattfinden. Die Daten werden mit validierten und verbreiteten Erhebungsinstrumenten gewonnen. Das Projekt ist auf fünf Jahre angelegt (2019-2023).
ERGEBNISSE: Die zu erwartenden Ergebnisse stützen sich auf zwei Säulen. Die erste Säule ist das Demenzregister, in dem flächendeckende Langzeitdaten zur Versorgungssituation von MmD gesammelt werden. Die zweite Säule bilden digitale Angebote für Betroffene, pflegende Angehörige, ehrenamtlich Aktive und interessierte Bürgerinnen und Bürger. Für MmD und deren Angehörige wird ein digitaler Wegweiser Demenz eingerichtet; für MmD und Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen werden digitale Therapieangebote bereitgestellt; für ehrenamtlich Engagierte wird eine digitale Unterstützungsplattform, für interessierte Bürgerinnen und Bürger eine digitale Partizipationsplattform eingerichtet.
DISKUSSION UND PRAKTISCHE IMPLIKATIONEN: Es ist zu erwarten, dass digiDEM Bayern valide Versorgungsdaten im Längsschnitt für ganz Bayern generiert. Die zu erwartenden Ergebnisse können wichtige Erkenntnisse zu Problemen in der Versorgungsituation liefern und stellen somit eine wichtige Handlungsgrundlage für Entscheidungsträger im Gesundheitswesen dar. Zudem wird digiDEM Bayern durch den digitalen Wegweiser Demenz einen wesentlichen Beitrag für mehr Orientierung bestehender Angebotsstrukturen für MmD und pflegende Angehörige leisten. Durch die Bereitstellung digitaler Therapieangebote soll der Verlauf der kognitiven Beeinträchtigungen günstig beeinflusst werden. Durch den flächendeckenden digitalen Ansatz werden breite Zugangswege, insbesondere für die ländliche Bevölkerung, gewährleistet.
Förderhinweis: Das Projekt digiDEM Bayern wird durch das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege (StMGP) im Rahmen von BAYERN DIGITAL II gefördert (Förderkennzeichen: G42d-G8300-2017/1606-83).
Quellen:
1 Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit und Pflege, Gesundheit im Alter: Bericht zur Seniorengesundheit in Bayern: München; Nürnberg, 2017. Verfügbar unter: https://www.stmgp.bayern.de/wp-content/uploads/2018/03/stmgp_sen_014_seniorenbericht.pdf. [Zugriff am: 27.03.2019].
2 Kolominsky-Rabas P.L., Graessel E., Chilla T., Nickel F., Marinova-Schmidt V., Kohlmann L., Dietzel N., Hess M., Cerveny N., Kratzer A., Sperr A., Bayerischer Demenz Survey (BayDem). Bericht für die Projektphase 2015–2017. München und Nürnberg, 2018. Verfügbar unter: https://www.bestellen.bayern.de/application/applstarter?APPL=eshop&DIR=eshop&ACTIONxSETVAL(artdtl.htm,APGxNODENR:332959,AARTxNR:stmgp_pflege_046,AARTxNODENR:352690,USERxBODYURL:artdtl.htm,KATALOG:StMGP,AKATxNAME:StMGP,ALLE:x)=X. [Zugriff am: 27.03.2019]
Schlüsselbegriffe: Register, medizinische Daten, Versorgungssituation, Versorgungsstruktur, seltene Erkrankungen, Mukoviszidose
Hintergrund
Mukoviszidose (Cystische Fibrose, CF) ist eine seltene, genetisch bedingte Stoffwechselerkrankung. In Deutschland beträgt die Inzidenz bei Neugeborenen 1 : 3 300 bis 1 : 4 800. . Durch eine Störung des Salz- und Wasserhaushalts im Körper bildet sich bei Mukoviszidose-Betroffenen ein zähflüssiges Sekret, das Organe wie die Lunge und die Bauchspeicheldrüse irreparabel schädigt. Patienten mit der seltenen Stoffwechselerkrankung Mukoviszidose benötigen aufgrund der Multiorganbeteiligung eine umfassende, spezialisierte Versorgung durch ein interdisziplinäres und multiprofessionelles Team.
Das deutsche Mukoviszidose Register ist eine wichtige Informationsquelle zur Beurteilung des Gesundheitszustandes der Patienten mit Mukoviszidose in Deutschland. Mit diesem Register verfolgt der Mukoviszidose e.V. folgende Ziele:
• die Versorgungssituation von Patienten mit Mukoviszidose in Deutschland zu erfassen, zu analysieren und zu verbessern,
• die Daten als Grundlage für Versorgungsforschung, Therapieentwicklung und das Projekt Benchmarking (Vergleich zwischen den Ambulanzen / Lernen von den Besten) bereitzustellen,
• die Registerdaten für Patienten und Therapeuten in jährlich erscheinenden Berichtsbänden aufzubereiten und transparent darzustellen.
Darüber hinaus bieten die Daten des Registers den teilnehmenden CF-Einrichtungen die Möglichkeit zur internen Qualitätssicherung.
Im Jahr 2017 wurden Verlaufsdatensätze von 6106 Patienten dokumentiert. Der Berichtsband enthält Auswertungen zum Gesundheitszustand auf Grundlage dieses Kollektivs. Ausgewertet wurden unter anderem krankheitsführende Parameter wie der Ernährungsstatus, die Lungenfunktion, Komplikationen und Therapien. Darüber hinaus können die Versorgungsstrukturen bundesweit dargestellt werden.
Methodik
Betreiber des Registers ist die Patientenorganisation Mukoviszdose e.V.. Dokumentiert werden die Daten durch die CF Ambulanzen, das Datenmanagement und die Statistik erfolgt durch das Interdisziplinäre Zentrum Klinische Studien der Universität Mainz. Das Datenschutzkonzept beinhaltet die getrennte Speicherung von identifizierenden und medizinischen Daten.
Die Verlaufsdatensätze werden in den sogenannten Stufe I Ambulanzen einmal jährlich als Status für das gesamte Kalenderjahr dokumentiert, bzw. aus den besuchsbezogenen Datensätzen, den sogenannten Stufe II Ambulanzen aggregiert. Dabei bestimmt eine mindestens einmal im Jahr vorliegende Komplikation bzw. eine Dauertherapie, ein mikrobiologischer Nachweis oder eine chronische Infektion die Ausprägung für das gesamte Berichtsjahr. Liegen für einen Patienten aus mehreren Ambulanzen Verlaufsdaten vor, weil er im Berichtszeitraum die Ambulanz gewechselt hat, werden diese ebenfalls zu einem Datensatz für den Berichtsband aggregiert.
Im Berichtsband 2017 können erstmalig die Ergebnisse einer Mortalitätsanalyse für Deutschland vorgestellt werden. In diese Auswertung gehen alle Patienten ein, die im jeweiligen Berichtsjahr verstorben sind, unabhängig davon ob ein Verlaufsdatensatz vorliegt oder nicht. Dabei werden alle Patienten, die ihre Einwilligung vor dem Tod zurückgezogen haben, ausgeschlossen.
Ergebnisse
Für das Berichtsjahr 2017 gehen Verlaufsdatensätze von 6106 Patienten in die Auswertung ein. Der Anteil der erwachsenen dieses Kollektiv beträgt 58,1 Prozent. 29 Prozent der Mukoviszidose-Patienten befinden sich in der Altersgruppe 18-29 Jahre. Die Auswertungen zeigen, dass 18,2 Prozent der Kinder und Jugendlichen mit Mukoviszidose untergewichtig sind, insbesondere in der Altersgruppe der 14 bis 17-jährigen. Ab diesem Alter kann auch ein Abfall der FEV 1 gezeigt werden.
Es haben sich insgesamt 91 Mukoviszidose-Einrichtungen am Register beteiligt. Dabei betreuten 47 Einrichtungen weniger als 50 Mukoviszidose-Patienten und 44 Einrichtungen mehr als 50 Mukoviszidose-Patienten, das entspricht über 80 Prozent der am Register dokumentierten Menschen mit Mukoviszidose.
Als Schwerpunkt des vorliegenden Berichtsbandes wird auf das 2016 eingeführte Neugeborenenscreening eingegangen. Es konnte gezeigt werden, dass sich infolge des Screenings die Anzahl dokumentierter Neudiagnosen auf 206 erhöht hat und sich entsprechend das mediane Alter bei Diagnosestellung auf 0,17 Jahre verringert hat. Es zeigt sich, dass im betrachteten Kollektiv bereits ein Jahr nach Einführung 52% der Neudiagnostizierten über das Neugeborenenscreening entdeckt wurden.
Darüber hinaus können erstmals Aussagen zu Lebenszeit, dem mittleren Überlebensalter und der Lebenserwartung aufgenommen werden. Das mittlere Überlebensalter für den Zeitraum 2012 bis 2016 lag bei 47,5 Jahren. Die Lebenserwartung eines in diesem Zeitraum geborenen Menschen mit Mukoviszidose in Deutschland lag bei 50 Jahren.
Diskussion/Schlussfolgerung
Die skizzierten Ergebnisse haben direkten Einfluss auf die Erfordernisse der Versorgungsstrukturen. Man kann davon ausgehen, dass aufgrund der derzeit verfügbaren Therapiemöglichkeiten die Zahl der erwachsenen Patienten ansteigt, gleichzeitig zeigen die Ergebnisse von Auswertungen zu Ernährungszustand, Lungenfunktion und Begleiterkrankungen, dass gerade in dieser Patientengruppe ein Bedarf für eine spezialisierte Erwachsenenversorgung durch ein multiprofessionelles Team besteht. Die Darstellung der derzeitigen Versorgungstrukturen zeigt, dass die Versorgungslandschaft auf diese Entwicklung noch nicht vorbereitet ist.
Hintergrund: Herz-Kreislauf-Erkrankungen, insbesondere die Koronare Herzkrankheit (KHK), zählen in Industrienationen zu den häufigsten Todesursachen. Bei der Behandlung der KHK stellen vollresorbierbare Stents eine der jüngsten Weiterentwicklungen dar. Im Unterschied zur Therapie mit einem Drug Eluting Stent oder Bare Metal Stent ist die Vasomotorik des behandelten Gefäßes nach Auflösung des bioresorbierbaren Stents vollständig wiederhergestellt.
Fragestellung: Im Rahmen dieser Auswertung wird die Bedeutung der Implantation des bioresorbierbaren Stents ABSORB™ auf die Entwicklung der Lebensqualität der betroffenen Patienten untersucht.
Methode: Im Rahmen des prospektiven, multizentrischen Deutsch-Österreichischen ABSORB Registers (GABI-R) werden anhand standardisierter Fragebögen klinische und gesundheitsökonomische Daten inkl. Lebensqualitätsparameter von KHK-Patienten nach Stentimplantation ermittelt. In die vorliegende Analyse werden alle Patienten aus dem Register eingeschlossen, die eine ABSORB™ Implantation erhalten haben und zu allen vier Erhebungszeitpunkten (Baseline, 1 Monat, 6 Monate und 2 Jahre nach Implantation) einen vollständigen Datensatz zur Lebensqualität aufweisen. Verstorbene Patienten werden einbezogen, sofern die Datensätze bis zum Todeszeitpunkt vollständig sind. Die Lebensqualität wird zu allen Befragungszeitpunkten anhand des generischen Indexinstrumentes EQ-5D-5L (inkl. EQ-5D VAS) sowie des krankheitsspezifischen Profilinstrumentes Seattle Angina Questionnaire (SAQ) ermittelt. Der SAQ setzt sich aus den fünf Skalen Physical Limitation (allgemeine körperliche Verfassung), Angina Stability (Häufigkeit der Brustschmerzen bei anstrengenden Tätigkeiten), Angina Frequency (Häufigkeit der Brustschmerzen), Treatment Satisfaction (Zufriedenheit mit Medikation und Behandlung) und Quality of Life (Lebensfreude, Sorgen in Bezug zur Herzkrankheit) zusammen. Die Skalen sind auf Werte zwischen 0 (schlechtester Zustand) und 100 (bester Zustand) normiert.
Ergebnisse: 1.317 Patienten wurden in die vorliegende Analyse eingeschlossen, wobei 46 von ihnen im Studienverlauf verstarben. Einen Monat nach Stent-Implantation zeigt sich sowohl für den EQ-5D-Score (Baseline: 0,883; 1-Monats FU: 0,914; p < 0,0001) als auch die EQ-5D VAS (Baseline: 72,99; 1-Monats FU: 74,73; p = 0,0004) eine statistisch signifikante Verbesserung der Werte im Vergleich zu Baseline. Diese Entwicklung zeichnet sich nach einem Monat auch bei vier der fünf Skalen des SAQ (Ausnahme Treatment Satisfaction) ab. Der Physical Limitation Score steigt von 75,54 auf 79,63 (p < 0,0001), der Angina Stability Score von 49,6 auf 66,33 (p < 0,0001), der Angina Frequency Score von 77,57 auf 88,09 (p < 0,0001) und der Quality of Life Score von 49,96 auf 64,76 (p < 0,0001).. Diese Signifikanz ist auch nach 6 Monaten gegeben. Während sich die Werte der EQ-5D VAS (76,1; p < 0,0001), sowie der SAQ-Skalen Physical Limitation (80,8; p < 0,0001), Angina Frequency (90,02; p < 0,0001) und Quality of Life (70,13; p < 0,0001) weiterhin verbessern, verschlechtern sich der EQ-5D Score (0,911; p < 0,0001) und die SAQ-Skala Angina Stability (59,05; p < 0,0001). Dieser nach 6 Monaten erkennbare Trend setzt sich zwei Jahre nach Stent-Implantation fort. Der EQ-5D Score sinkt auf ein zu Baseline vergleichbares Niveau (0,897; p = 0,2679), während die SAQ Skala Quality of Life sich weiter verbessert (73,12; p < 0,0001).
Diskussion: Insgesamt zeigt sich zwei Jahre nach Stent-Implantation eine anhaltende Verbesserung der Lebensqualität. Während sich die krankheitsspezifisch gemessene Lebensqualität deutlich verbessert hat, ist der EQ-5D Score nach einer anfänglichen Verbesserung auf ein zu Baseline ähnliches Niveau gesunken. Eine mögliche Erklärung für die Entwicklung des EQ-5D Score könnte die in dieser Studie eher ältere und teilweise multimorbide Bevölkerung sein. Der EQ-5D Score umfasst Dimensionen, die aufgrund anderer gesundheitlicher Probleme eingeschränkt sein können.
Praktische Implikationen: Die Implantation des bioresorbierbaren Stents ABSORB™ führt zwei Jahre nach dem Eingriff zu einer Verbesserung der krankheitsspezifisch gemessenen Lebensqualität der betroffenen Patienten, während der EQ-5D Score auf ein ähnliches Niveau zu Baseline sinkt. Dies unterstreicht den zusätzlichen Informationsgewinn, der durch die Verwendung eines krankheitsspezifischen Instruments generiert wird.
Diese Studie wurde finanziell unterstützt von Abbott Vascular.
Hintergrund
Osteoporose zählt zu den häufigsten Komorbiditäten bei rheumatoider Arthritis (RA) [1]. Durch die verbesserten Therapiemöglichkeiten bei RA erwarten wir langfristig eine Abnahme der Osteoporose als Begleiterkrankung der RA.
Fragestellung
In dieser Untersuchung wurde die Häufigkeit von Osteoporose bei RA-Patienten aus der Kerndokumentation internistischer Rheumazentren analysiert.
Methoden
Von 2007 bis 2016 wurden Daten von jährlich ca. 4000 Patienten mit Angaben zu Therapie und Komorbidität ausgewertet, die in 15-19 rheumatologischen Einrichtungen bundesweit erfasst worden sind. Um Trends zu erkennen, wurden die jährlichen Querschnittsdaten deskriptiv verglichen. Zur Berechnung der Unabhängigkeit der Osteoporoseprävalenz in den Jahren 2007 und 2016 wurde der Chi²-Unabhängigkeitstest angewendet. Als mögliche Einflussfaktoren werden Alter, Geschlecht, Krankheitsdauer, Krankheitsaktivität, Basistherapie, Glucocorticoide (GC) und Osteoporosemedikation berichtet.
Ergebnisse
Die Osteoporoseprävalenz bei Patienten mit RA (mittleres Alter 63 Jahre, 75% weiblich) sank von 20% in 2007 auf 16% in 2016 (p < 0,001). Der Rückgang betraf Frauen (22% auf 18%) und Männer (14% auf 9%) in allen Altersgruppen und sowohl kurz Erkrankte (≤2 Jahre Krankheitsdauer: 9% auf 4%), als auch langjährige RA Patienten (>10 Jahre Krankheitsdauer: 28% auf 21%). Patienten mit hoher Krankheitsaktivität und Patienten, die Glucocorticoide (GC) einnahmen, waren häufiger von Osteoporose betroffen als Patienten in Remission bzw. ohne GC. Der Einsatz von Medikamenten zur Behandlung einer Osteoporose war bei RA-Patienten mit Osteoporose in der Kerndokumentation über den gesamten Zeitraum hoch (ca. 80%). Die medikamentöse Prophylaxe bei Patienten ohne Osteoporose stieg an (20% auf 39%, bei GC Einnahme 48% auf 58%). Männer mit GC wurden seltener prophylaktisch versorgt als Frauen (48% vs. 61% in 2016).
Diskussion
Da sich die Patienten zum Zeitpunkt des Einschlusses in internistisch-rheumatologischer Facharzt-Behandlung befinden, können nur Patienten berücksichtigt werden, die diesen spezialisierten Sektor erreichen. Nicht diagnostizierte Fälle und hausärztlich oder orthopädisch betreute Patienten bleiben unberücksichtigt. Bisher wurden für Prävalenzschätzungen von Osteoporose bei RA zeitlich beschränkte, oft nur einmalig erhobene Querschnittsdaten analysiert. Die Daten der Kerndokumentation zeigen durch den Vergleich von jährlichen Querschnittsdaten die Entwicklung der Häufigkeit von Osteoporose als Begleiterkrankung innerhalb der internistischen Rheumatologie.
Praktische Implikationen
Die Sensibilität für den verantwortungsvollen Einsatz von GC, die Stabilisierung der Patienten in Remission bzw. niedriger Krankheitsaktivität sowie das zunehmende Bewusstsein für Komorbiditäten können weiterhin zu einem Rückgang der Osteoporose bei RA beitragen.
Neben der niedrigstmöglichen GC-Dosis ist auch bei männlichen RA-Patienten auf eine Osteoporoseprophylaxe zu achten.
Referenz [1] Luque Ramos A, Redeker I, Hoffmann F, Callhoff J, Zink A, Albrecht K. Comorbidities in Patients with Rheumatoid Arthritis and Their Association with Patient-reported Outcomes: Results of Claims Data Linked to Questionnaire Survey. J Rheumatol. 2019 Jan 15.epub ahead of print
Hintergrund
Die im Deutschen Mukoviszidose-Register dokumentierten Daten werden jährlich ausgewertet, um die Versorgungssituation der Patienten mit Mukoviszidose zu beschreiben. Dieser medizinische Berichtsband dient den Ärzten als schnelles Nachschlagewerk und bildet die Grundlage für Qualitätsanalysen in der Ambulanz.
Mit dem Berichtsband für Patienten und Angehörige werden bestimmte Inhalte des medizinischen Berichtsbands in Bildern und Grafiken umgesetzt, erläutert und erklärt. Damit kann der einzelne Patient ein verbessertes und vertieftes Verständnis für die im Ambulanzalltag erhobenen medizinischen Daten erlangen. Darüber hinaus werden medizinische Fachbegriffe erklärt und Zusammenhänge deutlich gemacht. Dies versetzt den Patienten in die Lage, Einfluss auf sein eigenes Gesundheitsverhalten zu nehmen und gemeinsam mit dem Arzt informierte Therapieentscheidungen zu treffen. Dies kann auch zu einer höheren Akzeptanz der Therapie und damit zu einer gesteigerten Compliance beitragen.
Methodik
Betreiber des Registers ist die Patientenorganisation Mukoviszidose e.V.. Dokumentiert werden die Daten durch die CF-Ambulanzen, das Datenmanagement und die Statistik erfolgt durch das Interdisziplinäre Zentrum Klinische Studien der Universität Mainz. Das Datenschutzkonzept beinhaltet die getrennte Speicherung von identifizierenden und medizinischen Daten. Es werden sowohl Verlaufsdatensätze einmal jährlich als Status für das gesamte Kalenderjahr dokumentiert also auch besuchsbezogene Datensätze. Auf dieser Grundlage werden die Auswertungen für den medizinischen Berichtsband vorgenommen.
Ein Board aus Ärzten, Patienten und Vertretern des Mukoviszidose e.V. wählen aus diesen Daten jährlich bestimmte Aspekte aus und bereiten diese laienverständlich auf.
Ergebnisse
Im Berichtsband 2018 wird auf die Altersverteilung, die Altersentwicklung, die Lungenfunktion und den Ernährungszustand, auf Lungeninfektionen und die Genetik eingegangen. Dabei werden jeweils in einem einleitenden Text die medizinischen Fachbegriffe erklärt. Eine Grafik dient der Ergebnisdarstellung, begleitend wird in einem Text erläutert, wie diese zu verstehen ist. Aus der Darstellung werden individuelle Fazits gezogen. So kann z.B. anhand der Entwicklung des FEV 1 (Lungenfunktion) der Zusammenhang von FEV 1, Alter und Therapiemöglichkeiten beschrieben werden.
Einleitend geben Piktogramme einen Kurzüberblick zur Gesundheitssituation.
Hintergrund: Mit einer Prävalenz von 5 bis 20% bei Kindern und 1,13 bis 4% bei Erwachsenen ist die Neurodermitis eine der häufigsten chronischen Erkrankungen in Deutschland. Mit AtopicHealth1 wurde 2010 die erste nationale Versorgungsstudie zu Neurodermitis durchgeführt. Damals zeigte ein Drittel der Patient*innen bedeutende Einschränkungen der Lebensqualität und der überwiegende Teil wurde mit topischen Glukokortikoiden behandelt.
Fragestellung: Wie ist die aktuelle Versorgungssituation von Erwachsenen mit Neurodermitis in Deutschland?
Methode: Die bundesweite Querschnittserhebung wird in dermatologischen Zentren durchgeführt. Die Hälfte der Zentren wird gebeten, Patient*innen mit allen Schweregraden aufzunehmen (Gruppe A), die andere Hälfte soll nur Patient*innen mit einer aktuellen Indikation für systemische Therapie einschließen (Gruppe B). Unter anderem werden folgende Parameter erfasst: klinische Symptome, subjektive Belastungen durch Behandlung und Erkrankung, Lebensqualität (DLQI), aktuelle Schwere der Neurodermitis (SCORAD), patientendefinierter Therapienutzen (PBI) und Behandlungszufriedenheit.
Die nachfolgend dargestellten Daten basieren auf den ersten Zwischenergebnissen der laufenden Studie, die bisher 1021 Patient*innen aus 97 Zentren rekrutiert hat. Die Daten der Gesamtstichprobe sollen auf der DKVF vorgestellt werden, da der Einschlusszeitraum am 30. Juni 2019 endet.
Ergebnisse: Die ersten 86 auswertbaren Fragebögen bis Januar 2018 wurden von 53 Teilnehmenden aus Gruppe A und 33 aus Gruppe B beantwortet. Das mittlere Alter betrug 38,5 Jahre. 49,4% waren männlich. Fast alle Befragten gaben die Symptome trockene Haut (98,1%) und/oder Juckreiz (97,7%) an. Der mittlere SCORAD betrug 49,3±19,2. 28,3% berichteten von häufiger Schlaflosigkeit aufgrund von Juckreiz. 23,1% der Patient*innen aus Gruppe A und 33,3% aus Gruppe B berichteten jemals eine systemische Therapie erhalten zu haben. 20,8% aus Gruppe A und 61,3% aus Gruppe B zeigten einen DLQI>10. 26,4% der Teilnehmenden aus Gruppe A und 50% aus Gruppe B gaben an, mit ihrer derzeitigen Behandlung unzufrieden zu sein.
Diskussion: Schlechte Lebens- und Schlafqualität bedingt durch Juckreiz deuten auf eine hohe erkrankungsbedingte Belastung und ein unzureichendes Behandlungsergebnis hin. Darüber hinaus scheinen Patient*innen mit einem höheren Schweregrad der Neurodermitis unzufriedener mit ihrer Behandlung zu sein.
Praktische Implikation: Dies weist auf die Notwendigkeit von therapeutischen Verbesserungen insbesondere für die Gruppe derjenigen mit höherem Schweregrad hin.
Hintergrund
Bereits seit mehreren Jahren werden in Deutschland kontroverse Diskussionen um einen drohenden Ärztemangel durch Abwanderung und Nachwuchsmangel junger Mediziner geführt.
Fragestellung
In den Absolventenbefragungen der Jahre 2009-2018 untersuchten wir, welche Pläne die Medizinabsolventen nach Beendigung ihres Studiums tatsächlich haben und ob die Befürchtungen einer sinkenden Zahl an Jungmedizinern, die nach Abschluss des Studiums den ärztlichen Beruf ergreifen möchten, berechtigt sind. Ferner soll festgestellt werden, welche Tendenzen bezüglich einer Tätigkeit im ambulanten oder stationären Berufsfeld zu erwarten sind und ob sich die Motive und Kriterien für eine ärztliche Tätigkeit im zeitlichen Verlauf unserer Beobachtungen verändern.
Methode
Als Erhebungsinstrument dient ein von uns entwickelter teilstandardisierter Fragebogen, der kontinuierlich weiterentwickelt wird. Die Zielgruppe der seit Herbst 2009 laufenden Befragungen sind alle Absolventen der ärztlichen Prüfung der drei medizinischen Fakultäten in Hessen. Zusammen mit ihren Examensergebnissen erhalten sie unseren Fragebogen und schicken diesen ausgefüllt zurück. Die Fragebögen werden eingescannt, die Daten mithilfe der Software Teleform eingelesen, geprüft und in Microsoft Excel übertragen. Mittels des Statistikprogrammes Sphinx werden Datenauswertung und -analyse durchgeführt. Bisher gab es 19 Befragungswellen. Aus dieser Längsschnittstudie können bislang Daten von 3.963 Absolventen der Ärztlichen Prüfung ausgewertet werden. Die sowohl retrospektiven als auch prospektiv gerichteten Fragestellungen des Fragebogens beziehen sich auf Motive und Pläne der Medizinabsolventen bezüglich ihrer ärztlichen Berufstätigkeit.
Ergebnisse
Im gesamten Beobachtungszeitraum wollen fast alle Absolventen der ärztlichen Prüfung in Hessen (98%) im Anschluss an das Medizinstudium als Arzt tätig werden. Das beliebteste angestrebte Weiterbildungsgebiet ist die Innere Medizin (21%), gefolgt von den chirurgischen Fachgebieten (16%) und der Anästhesiologie (10%). Unmittelbar nach Abschluss des Studiums sehen die jungen Ärzte ihre berufliche Perspektive eher in der stationären Versorgung (40%) als im ambulanten Bereich (37%). Von denen, die eine ambulante Tätigkeit anstreben, wollen mehr fachärztlich (72%) als hausärztlich (28%) tätig werden. Eine Niederlassung im ambulanten Bereich können sich 74% und eine Tätigkeit im Angestelltenverhältnis 26% vorstellen. Als wichtigste Kriterien für einen späteren Arbeitsplatz werden eine interessante/vielseitige Tätigkeit (62 %), eine Weiterbildungsermächtigung der Einrichtung (50 %), die Einhaltung der Arbeitszeiten (41 %) und eine mit dem Arbeitsort verbundene hohe Lebensqualität (38 %) benannt. Die Grundhaltung bezüglich der Gründe für das Studium und die präferierten Fachgebiete halten sich über die Jahre hinweg relativ stabil. Doch gerade in Bezug auf die Form der Beschäftigung und den Kriterien für eine ärztliche Tätigkeit zeigen sich im zeitlichen Verlauf Entwicklungen, die es weiterhin zu beobachten gilt.
Diskussion
Die heutige Arbeitsmarktsituation und Vielfalt von Arbeitsmodellen erlaubt den Absolventen neue Pläne und Prioritäten für ihre zukünftige Tätigkeit und deren Rahmenbedingungen zu setzen. Die Befürchtung, dass die Motivation für den Arztberuf nachlässt und deshalb eine hohe Zahl an jungen Ärzten das deutsche Gesundheitssystem verlassen will, wird durch unsere Ergebnisse nicht bestätigt. Allerdings verändern sich die Vorstellungen und Erwartungen in Bezug auf den ärztlichen Beruf.
Praktische Implikationen
Um auch in Zukunft die ärztliche Versorgung zu sichern, müssen eventuelle Veränderungen und spezifische Bedürfnisse erkannt werden. Diesen Veränderungen muss Rechnung getragen werden – nicht nur in den Krankenhäusern, sondern auch mit neuen Strukturen und verbesserten Möglichkeiten ärztlicher Weiterbildung und angestellter Berufsausübung in der ambulanten Versorgung.
Hintergrund
Nicht selten ist die gängige Schwangerenvorsorge in Deutschland fokussiert auf Diagnostik und Therapie. Dem subjektiven Erleben der Schwangeren mit den damit verbundenen multifaktoriellen Aspekten wird dabei wenig Beachtung geschenkt (Ayerle 2014). Dieser wichtige Bereich bestimmt jedoch auch die Arbeit einer Hebamme in der Begleitung der Schwangeren. Die akademische Ausbildung der Hebammen an der Hochschule für Gesundheit Bochum (hsg Bochum) legt ihren Schwerpunkt auf den Theorie-Praxis-Transfer (Dehnbostel 2007). Seit 2017 erhalten die Studierenden des ersten Semesters im Bachelorstudiengang Hebammenkunde die Möglichkeit sich kurz nach Beginn des Studiums im Wintersemester mit realen Schwangeren zu treffen und sich über das Erleben der Schwangerschaft auszutauschen.
Fragestellung
Welche Bedeutung hat der Austausch mit den Studierenden auf das Erleben der Schwangerschaft und der Geburt für die Schwangere? Inwieweit schließt das Projekt eine Versorgungslücke in der momentan praktizierten Mutterschaftsvorsorge? Welche Bedeutung hat das Angebot auf die fachliche Vorbereitung der Studierenden für die praktische Ausbildung?
Methode
Mit einer weitgefächerten Werbekampagne in lokalen Printmedien, Facebook, Instagram, Twitter und der Verteilung von Informationsflyern wurden Schwangere gesucht, die sich zu Projektbeginn in der ca. 20. Schwangerschaftswoche befanden. Ihnen wurde innerhalb einer Informationsveranstaltung das Projekt vorgestellt. Die Studierenden erhielten innerhalb von zwei Veranstaltungen des Moduls „Physiologie der Lebensphase von Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett“ Informationen zum Projekt und Lehrinhalte zu Interviewtechniken.
Jeweils zwei Studierende trafen sich monatlich bis nach der Geburt mit einer Schwangeren und erfragten Informationen zu körperlichen, sozialen, beruflichen Veränderungen, Vorbereitungen auf die Geburt und zu Vorstellungen vom Leben mit dem Kind. Die Schwangere fungiert dabei als die Expertin ihrer Schwangerschaft. Die Studierenden verfassten einen Bericht auf einer Portfolioplattform Mahara über die Inhalte der Gespräche. Diese erhalten die Frauen bei einer Abschlussveranstaltung im folgenden Frühsommer. Die Studierenden evaluierten das Projekt innerhalb einer Lehrveranstaltung mit einer Dozentin und anhand eines für das Projekt konzipierten Evaluationsbogens. Die Schwangeren erhielten nach der Geburt einen Fragebogen bzgl. der Rahmenbedingungen des Projektes, den Inhalten der Gespräche und der Bewertung der Erzählplattform innerhalb der Schwangerschaft als zusätzliches Angebot. Von Interesse waren ebenfalls mögliche Effekte auf die Schwangerschaft, die Geburt und die Zeit danach.
Ergebnisse
Im Vergleich zu vorangegangenen Jahren fanden signifikant mehr Treffen zwischen Studierenden und Schwangeren statt. Die Studierenden bewerteten das Projekt als ideale Kombination mit den parallel laufenden Fällen im Problem-based Learning (PBL), wodurch sie die Gespräche mit den Schwangeren fachlich einordnen konnten. Die Auswertung der Fragebögen zeigte ein durchweg positives Resümee. Als Herausforderungen kristallisierten sich zeitliche, mediale und thematische Abgrenzungsproblematiken gegenüber der Schwangeren heraus. Der Arbeitsaufwand, die Portfolioplattform zu pflegen wurde als hoch bewertet. Die Ergebnisse der Befragung der teilnehmenden Frauen wird für Herbst 2019 erwartet.
Diskussion/ Praktische Implikation
Der Bedarf, über das Erleben der eigenen Schwangerschaft zu erzählen, scheint den Schwangeren aufgrund der hohen Nachfrage zur Teilnahme am Projekt wichtig zu sein. Die Auswertung der Fragebögen von den am Projekt beteiligten Schwangeren kann Aufschluss geben, ob dieses Format Auswirkungen auf Geburt und die Zeit danach hat, oder als ein Luxusangebot für eine kleine Gruppe angesehen werden muss. Innerhalb der Reflexionsseminare, die während der Praxisphase stattfinden, werden die Schilderungen der Studierenden zeigen, ob das Projekt als Vorbereitung effizient ist.
Die Ex- Schwangeren treffen im Mai zu einem Dankeschön Nachmittag mit den Studierenden zusammen. Einige von ihnen nehmen an weiteren Angeboten im Studienbereich teil. Die Bewerbung des Projektes für die nächste Studienkohorte beginnt im Juli.
1. Ayerle, Gertrud M (2014): Schwangerenvorsorge für Hebammen. Deutscher Hebammenverband. 3.Auflg. Stuttgart. Hippokrates.
2. Dehnbostel, P. (2007). Lernen im Prozess der Arbeit. Münster. Waxmann.
3. Hebammenstudierende lernen von Schwangeren (2017) unter https://www.hs-gesundheit.de/de/zielgruppe/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung/article/hebammenstudierende-lernen-von-schwangeren-2/ (accessed 31.03.2019)
4. Hebammenstudierende lernen von Schwangeren (2017) unter https://www.youtube.com/watch?v=9PDDERqmFlU (accessed 31.03.2019)
Hintergrund: Vor dem Hintergrund sich verändernder Versorgungsanforderungen, wird seit einigen Jahren die Durchführung von interprofessionellen Lehrveranstaltungen (interprofessional education: IPE) gefordert, welche verstärkt auf kollaboratives Arbeiten in multiprofessionellen Teams vorbereiten sollen [1]. Dabei kann IPE unterschiedlich ausgestaltet werden: Interprofessionelle Zusammenarbeit kann explizit als Unterrichtsgegenstand thematisiert werden oder entlang eines für die beteiligten Professionen relevanten fachlichen Schnittstellenthemas eingeübt werden [2]. Wenig Erfahrung wurde bisher mit der Methode des Forschenden Lernens bei IPE gesammelt. Forschendes Lernen zielt darauf ab, Lernende in Lernsituationen zu führen, in welchen sie in aktiver selbständiger Mitarbeit Themen im Zyklus des Forschungsprozesses bearbeiten und reflektieren [3]. Weiterhin werden kaum sektorenübergreifende Bildungsangebote in der Ausbildung der Gesundheitsberufe realisiert, die die Berufsgruppen befähigen sollen Problemstellungen multiperspektivisch wahrzunehmen und zu bewältigen.
Im Rahmen des hier vorgestellten Lehrprojekts wurde eine Lehrveranstaltung für Medizin- und Pflegestudierende zum Schnittstellenthema ‚Mangelernährung‘ entwickelt, evaluiert und als Wahlpflicht bzw. Pflichtveranstaltung implementiert. Die Mangelernährung stellt eine bisher unzureichend bewältigte Herausforderung mit steigender Tendenz dar, die in deutschen Kliniken häufig unentdeckt bleibt und nicht zuverlässig therapeutisch berücksichtigt wird [4]. Gegenstand dieses Beitrags sind der Aufbau und die Evaluation der Lehrveranstaltung im Sommersemester 2017 sowie im Wintersemester 2017/2018.
Fragestellung: Ziel des interprofessionellen Lehrprojektes war, die Machbarkeit von IPE mittels der Methode des Forschenden Lernens exemplarisch am Schnittstellenthema Mangelernährung sektorenübergreifend zu erproben und aus Studierendensicht zu evaluieren.
Methode: Ausgangspunkt im Lehrprojekt war die Auseinandersetzung mit realen Fällen aus unterschiedlichen Sektoren des Gesundheitssystems, die aufforderten, die Patientenversorgung am Beispiel des Ernährungsmanagements bei Mangelernährung durch interprofessionelles Handeln zu optimieren. Dabei folgte der Aufbau der Lehrveranstaltung dem Zyklus des fallbasierten Forschenden Lernens, dass ein systematisches und reflektiertes Vorgehen sichert und sozial kontextuiert angelegt ist [3]. Das Lehrprojekt wurde quantitativ mittels Fragebogen und vier neuentwickelten Skalen (Breite 1-5) von den teilnehmenden Studierenden zu Sozialklima, der Relevanz des Themas, der Anwendung des Forschenden Lernens sowie zur Lernbilanz evaluiert.
Ergebnisse: Die Medizin- (n=21) und Pflegestudierenden (n=25) evaluierten das Lehrprojekt positiv. Am höchsten wurde das positive Sozialklima (M=4,6) zwischen den Studierenden und die Relevanz des Themas (M=4,47) eingeschätzt. Die Anwendung des Forschenden Lernens (M=3,9) und die Bilanz der Lehrveranstaltung (M=3,9) wurden zufriedenstellend evaluiert.
Diskussion: Fallbasiertes Forschendes Lernen scheint sich insbesondere für die Förderung von interprofessionellen Kooperationskompetenzen zu eignen, da es durch das Agieren in kleinen interprofessionellen (Forschungs-) Teams soziale Kontextuiertheit ermöglicht [3] und damit im Besonderen ein interprofessionelle Lernsetting widerspiegelt, dass das über- von und miteinander Lernen der Gesundheitsberufen fördert [5]. Die Relevanz des Schnittstellenthemas Mangelernährung ist aus Studierendensicht gegeben.
Praktische Implikationen: IPE zu Ernährungsmanagement im sektorenübergreifenden Setting kann bereits in der Ausbildung wichtige Kompetenzen für interprofessionelle Zusammenarbeit und eine evidenzbasierte Versorgung von mangelernährten Menschen bei den zukünftigen Ärztinnen und Ärzten und Pflegenden anbahnen und zu einer höheren Versorgungsqualität beitragen.
Literatur
1. Wissenschaftsrat. Empfehlungen zur Weiterentwicklung des Medizinstudiums in Deutschland auf Grundlage einer Bestandsaufnahme der humanmedizinischen Modellstudiengänge. 2014. Zugänglich unter/available from: https://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/4017-14.pdf.
2. Nock L. Interprofessionelles Lehren und Lernen in den Gesundheitsberufen. Qualitative Evaluation des Förderprogramms "Operation Team" der Robert Bosch Stiftung. GMS J Med Educ. 2016; 33(2):Doc16.
3. Huber L. Warum Forschendes Lernen nötig und möglich ist. In: Huber L, Hellmer J, Schneider F, editors. Forschendes Lernen im Studium: Aktuelle Konzepte und Erfahrungen. 2nd ed. Bielefeld: UVW Univ.-Verl. Webler; 2013. p. 9–35.
4. Löser C. Malnutrition in hospital – the clinical and economic implications. Dtsch Arztebl Int. 2010; 107(51-52):911-7.
5. World Health Organization. Framework for Action on Interprofessional Education & Collaborative Practice. Geneve: World Health Organization; 2010. Zugänglich unter/available from: http://apps.who.int/iris/bitstream/10665/70185/1/WHO_HRH_HPN_10.3_eng.pdf?ua=1.
Hintergrund:
In 2017 hatten in der Großstadt Essen 32,4% aller Neugeborenen Mütter mit ausländischer Staatsangehörigkeit (Stadt Essen 2018). Mögliche Hindernisse im Zugang zur gesundheitlichen Regelversorgung liegen an unterschiedlichen Krank-heitsvorstellungen und mangelnden Sprachkenntnissen (Razum und Spallek 2015). Sprach- und Kulturmittlerinnen (SprInt) unterstützen daher im Gesundheits-, Bildungs- und Sozialwesen die Kommunikation zwischen Fachkräften, wie Heb-ammen und Schwangeren. Sprachvermittlung wird jedoch durch fehlende Fachkenntnisse und Vorgehensweisen innerhalb der Themen Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett eingeschränkt. Ergänzend dazu ist auch das Wissen zu Interkultu-ralität und Interprofessionalität bei den Akteuren eingeschränkt. Entsprechende Kompetenzen bei Hebammen und der Wissenserwerb bei Sprach- und Kulturmittlerinnen sind jedoch wichtige Voraussetzungen für eine Versorgung der Frauen. Das Kooperationsprojekt zwischen der hsg (Hochschule für Gesundheit Bochum), SprInt (Fördergesellschaft für Kultur und Integration GmbH) und dem BIG (Bildungsinstitut im Gesundheitswesen) zur Förderung dieser Kompetenzen wird finanziert durch Mittel aus dem Europäischen Asyl-, Migrations und Integrationsfond (AMIF) und läuft von Juli 2018 - Juli 2020. Die Projektleitung obliegt dem BIG.
Ziel:
Ziel des Projektes ist die Qualifizierung der Mitarbeiterinnen von Sprint zu den Themenbereichen Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett. Zudem sollen Studierende des Studiengangs Hebammenkunde im 6. Und 8. Semester durch den Einbezug in das Projekt ihre interkulturellen und interprofessionellen Kompetenzen weiterentwickeln. Abschließend sollen Informations- und interprofessionelle Netzwerkstrukturen in der Stadt Essen auf Dauer implementiert werden.
Methode:
Die Hochschule hat ein auf die Sprach- und Kulturmittlerinnen abgestimmtes Curri-culum erarbeitet und diese geschult. Die Sprintmitarbeiterinnen und Hebammenstudierenden begleiten zusammen Schwangere und junge Mütter aus Drittländern und reflektieren die Termine gemeinsam. Die Studierenden nehmen dabei die Position der Beobachterin ein. Zusätzlich erhalten beide Personengruppen die Möglichkeit, sich innerhalb eines Workshops über ihre jeweiligen Arbeitsfelder, Rollen in der Sprachmittlung und Transkulturalität auszutauschen. Es werden regelmäßige Supervisionen mit den Sprachmittlerinnen durchgeführt. Zur Evaluation des Projektes werden sowohl sie als auch die Studierenden befragt. Themenbereiche sind hierbei die Herausforderung der Sprachmittlung, die Effizienz der Weiterbildung und Umgang der Akteure aus dem Sozial- und Gesundheitsbereich mit der Sprachmittlung.
Ergebnisse:
Die Sprachmittlerinnen bewerteten die Möglichkeit, ihre Erfahrungen reflektieren zu können sowie die Vermittlung von geburtshilflichen Fachbegriffen und Kenntnis-sen der Versorgungsstrukturen rund um die peripartale Zeit als sehr positiv. Alle weiteren Ergebnisse werden formativ und summativ nach den unterschiedlichen Projektabschnitten evaluiert.
Fazit/Ausblick:
Das Projekt wird zeigen, ob Sprach- und Kulturmittlerinnen mit fachlichem Hintergrundwissen in der Begleitung von Schwangeren und jungen Müttern aus Drittländern die Effektivität der Übersetzungstätigkeit und die damit verbundene Integration in die Versorgungssysteme erhöhen und ob dies zu höherer Zufriedenheit aller am Prozess Beteiligter beiträgt. Die transkulturelle Kompetenz von jungen Hebammen, die Bedeutung von Sprachmittlung in der Versorgung von Schwangeren und jungen Müttern zu erkennen und zu fördern, kann auch ein Signal für andere Akteure sein, Sprachmittlung als selbstverständlichen Bestandteil der Regelstrukturen zu verankern (Paulus und Kühner 2018). Eine flächendeckende Versorgung mit vergleichbaren Angeboten in deutschen Großstädten kann auch andere Integrationsbereiche positiv beeinflussen.
Background: With almost one quarter of the population having a migration background cultural competence training of mental health care provider have become a growing issue in recent years. In 2016, the Guidelines for Trainings in Inter-/Transcultural Competence for Psychotherapists (von Lersner, Baschin, Wormeck, & Mösko, 2016) have been published to provide quality standards for training concepts and evaluation processes. Since the guideline´s publication only a few training concepts based on the guidelines have been published and no evaluation with a control group design has been conducted in Germany so far. A training concept for psychotherapists in training based on the guidelines with 10 teaching unites of 45 minutes was designed. The training´s main goal was to encourage the development of participant´s cultural sensitive attitude.
Research question: Is a cultural sensitivity training based on the mentioned guidelines effective in enhancing inter-/transcultural competence of psychotherapists in training?
Method: The training was carried out five times in three different training programs for psychotherapists in Germany by two different trainers. The Trainers were licensed psychological psychotherapists with many years of experience in the treatment of patients with a differing cultural background. Trainers were first introduced to the training concept and encouraged to give feedback regarding the concept´s structure and proposed teaching methods. After further revision the two trainers received extensive instructions about the final training concept.
To evaluate the training´s effectiveness we used a mixed-method summative evaluation approach with the following evaluation criteria: Main Criteria (A) inter-/transcultural counseling competence and Subcriteria (B) subjective learning achievement.
Main Criteria A was measured by the Cross-Cultural Competence of Healthcare Professionals (CCCHP; Bernhard et al., 2015). A 2 (pre vs. post) x 2 (cultural sensitive training vs. other psychotherapy related training) mixed design with repeated measure on the first factor was used for examining the main criteria (A). Subcriteria (B) was measured by a general course evaluation questionnaire provided by the Freiburger Ausbildungsinstitut für Verhaltenstherapie (FAVT GmbH) after each training.
Results: The data of four of the five trainings could be included in the analysis so far. Data of the fifth training are currently collected and will afterwards be included in the final analysis. A one-way repeated measured analysis of variance (ANOVA) was conducted to evaluate a change in participant´s cross-cultural competence before and after the training (N = 56). The results of the ANOVA indicated a significant time effect, Wilks´ Lambda = .80, F(1, 55) = 13,74, p < .01, η2 = .20. To test for differences between the intervention and the control group a between-groups ANOVA was performed. The results indicate no significant effect for the full scale, F(1, 105) = 1.01, p = .32., η2 = .01. However, significant effects were found for the subscales Skills F(1, 104) = 4.20, p = .04., η2 = .04 and Knowledge/Awareness F(1, 105) = 16.0, p < .01, , η2 = .13. Qualitative data as well as the data of the general course evaluation (subcriteria B) revealed participant´s overall high satisfaction with the training. However, some participants had wished for more practical applications of the provided training content.
Discussion and practical implications: A one day cultural sensitivity training with 10 teaching units based on the Guidelines for Trainings in Inter-/Transcultural Competence for Psychotherapists (von Lersner et al., 2016) can be effective in enhancing inter-/transcultural competence of psychotherapists in training. Possible improvements of the training concept and parameters of trainings for psychotherapists in training are discussed.
Hintergrund:
Die Sicherung und Verbesserung der ärztlichen Versorgung in ländlichen Regionen beschäftigt Fachvertreter und gesundheitspolitische Akteure des Bundes und der Länder schon seit langem, zuletzt im „Masterplan Medizinstudium 2020“. Für Bayern hat das Bayerische Staatsinstitut für Hochschulforschung und Hochschulplanung (IHF) daher schon 2004 mit begleitenden Forschungsarbeiten begonnen und mit der Landesärztekammer eine Befragung von ÄrztInnen vier bis fünf Jahre nach der Approbation durchgeführt (z.B. Gensch 2005a, Gensch 2005b). Seit 2014 wird in Zusammenarbeit mit dem „Kompetenznetzwerk Medizinlehre Bayern“, in dem alle medizinischen Fakultäten des Freistaates zusammengeschlossen sind, die MediBAS (Bayerische Absolventenstudie, Teilstudie Medizin) durchgeführt. Diese regelmässige längsschnittliche Befragung von AbsolventInnen der Human- und Tiermedizin hat drei Ziele:
a) Qualitätssicherung der Fakultäten durch Rückmeldung der ehemaligen Studierenden
b) Informationen für die bayerischen Ministerien zu planungsrelevanten Aspekten
c) Integration von Forschungsthemen der medizinischen Aus- und Weiterbildungsforschung durch Vertreter der beteiligten Fakultäten (z.B. Erwerb wissenschaftlicher Kompetenzen, informelles Lernen im Beruf, Work-Life-Balance).
Im Winter 2018/19 wurde zum zweiten Mal ein Abschlussjahrgang bayerischer HumanmedizinerInnen unter anderem zu ihren beruflichen Ziele und Perspektiven befragt.
Fragestellung:
- Welche Perspektiven haben junge Mediziner für ihre mittelfristige berufliche Zukunft?
- Wie unterscheiden sich diese zwischen Männern und Frauen oder Personen unterschiedlicher Facharztausbildung?
Methode:
Im Winter 2018/19 wurde eine Vollerhebung der AbsolventInnen aller bayerischen Fakultäten für Humanmedizin durchgeführt. Die Teilnehmer bewerteten rückblickend ihr Studium und ihre Kompetenzen, gaben Auskunft über ihre Facharztwahl, Ort und Art ihrer derzeitigen Beschäftigung und darüber, wie und wo sie sich in den nächsten fünf Jahren beruflich sehen: In einer ärztlichen oder nicht-ärztlichen Tätigkeit, in Voll- oder Teilzeit, selbständig/niedergelassen oder angestellt; in einer Großstadt, Kleinstadt oder auf dem Dorf bzw. Land; in Deutschland oder einem anderen Land. Mit einer Rücklaufquote von über 30 Prozent und über 600 TeilnehmerInnen liegt ein belastbarer Datensatz vor, der mit bi- und multivariaten Verfahren ausgewertet wird.
Ergebnisse:
Zu diesem frühen Zeitpunkt in ihrer Laufbahn sind 96 Prozent der Befragten auf eine ärztliche Tätigkeit ausgerichtet. Ein Drittel davon möchte selbständig bzw. niedergelassen arbeiten; bei männlichen Absolventen ist dieser Anteil mit 36 Prozent etwas höher. Bei den Frauen stellen sich über 30 Prozent eine Teilzeittätigkeit vor; unter den Männern sind es immerhin auch knapp 14 Prozent, die nicht 40 Stunden (oder mehr) arbeiten möchten. Ins Ausland (v.a. Schweiz und Österreich) zieht es gut 7 Prozent. Knapp die Hälfte sieht sich in einer Großstadt, weitere 39 Prozent in einer Kleinstadt, nur 12 Prozent in einem Dorf oder auf dem Land.
Diskussion:
In den Antworten zeigt sich bei den Befragten eine starke Bindung an den Arztberuf und auch an eine Tätigkeit in Deutschland; der Gedanke an einen zeitnahen Ausstieg aus der kurativen Tätigkeit oder eine Abwanderung in Ausland verfolgen nur wenige der jungen Mediziner. Die Attraktivität der ländlichen Regionen ist allerdings bei Männern wie Frauen gering. Mit 14 Prozent ist der Anteil der männlichen Absolventen, die mittelfristig nicht in Vollzeit arbeiten möchten und zumindest in ihren Wünschen nicht dem traditionellen Berufsbild früherer Generationen folgen, nicht zu vernachlässigen. Die Befragten befinden sich erst am Beginn ihrer beruflichen Laufbahn und zumeist noch vor der Phase der Familiengründung. Vor allem für Frauen erwiesen sich bisher die ersten beruflichen Jahre als sensible Phase, in der eine Abkehr von der kurativen Tätigkeit wahrscheinlicher wird (Gensch 2005a).
Praktische Implikationen:
Die Studie zeigt ein erstes Stimmungsbild, das in sich allein noch keine direkten Handlungsempfehlungen ermöglicht. Der Aufbau eines Instrumentariums regelmäßiger Untersuchungen ermöglicht es in Zukunft, Veränderungen über die Zeit in Reaktion auf bildungs- und gesundheitspolitische Maßnahmen sowie Maßnahmen einzelner Fakultäten abzubilden. Auch kann festgestellt werden, wie sich berufliche Präferenzen entwickeln, welche Erfahrungen maßgeblich sind und welche Maßnahmen für eine verbesserte Versorgung vom medizinischen Nachwuchs angenommen und umgesetzt werden (können).
Referenzen:
Gensch, Kristina. (2005a): Veränderte Berufsentscheidung junger Ärzte und mögliche Konsequenzen für das zukünftige ärztliche Versorgungsangebot. In: Gesundheitswesen 69, Thieme Verlag Stuttgart 6, S. 359-370
Gensch, Kristina (2005b): Geld ist nicht alles – Kritik junger Medizinerinnen und Mediziner an ihren Arbeitsbedingungen. In: Bayerisches Ärzteblatt 62, 1, S. 41-42
Title: Frequency and patterns of health services use among older (45-74 years) citizens of the city of Hamburg - Results of the Hamburg City Health Study.
Purpose: Population-related studies on utilization of inpatient and outpatient health services are still rare [1,2]. Moreover, specific patterns of health care utilization are not entirely explored. For this purpose, the data of a random sample of 10.000 inhabitants of the city of Hamburg, were used to identify particular patterns of utilization of health care services of the previous 12 months. Both medical as well as therapeutic consultations are included. Additionally, a comparison with the results of a survey for adults from 2011 about the utilization of outpatient and inpatient health services in Germany (DEGS1) is made [2].
Methods: An available random sample of 10.000 participants is used, collected by the Hamburg City Health Study (HCHS), a single center, prospective, epidemiologic imaging study to improve the identification of individuals at risk for cardiovascular, neurovascular and/or cancer diseases and to improve early diagnosis (stepwise screening) and outcome. Health service use was assessed by standardized questions already used in the DEGS1. The participants were 45 – 74 years old, citizens of the city of Hamburg and randomly selected by the residents' registration office. Cross-sectional analyses are performed resulting in descriptive statistics in an explorative design.
Results & discussion: The data provided by the HCH study center are currently being analyzed and evaluated. With the dataset it will be possible to identify different patterns of health service use in this metropolitan area. Subsequently, the identified patterns of health service use will be analyzed in the public use file available from the population-based nationwide DEGS1 to extend preceding analyses to younger age groups and different types of regions in Germany. The results will help to optimize the adequate use of health care services in Germany.
References:
1. Janssen, C., Swart, E., & Von Lengerke, T. (2013). Health care utilization in Germany: theory, methodology, and results. Springer.
2. Rattay, P., Butschalowsky, H., Rommel, A., Prütz, F., Jordan, S., Nowossadeck, E., Domanska, O., & Kamtsiuris, P. (2013). Inanspruchnahme der ambulanten und stationären medizinischen Versorgung in Deutschland. Bundesgesundheitsblatt-Gesundheitsforschung-Gesundheitsschutz, 56(5-6), 832-844.
Hintergrund: Seit Jahrzehnten beklagen sich die Menschen im Erzgebirge und Vogtland (Sachsen) über großflächig auftretende Geruchsereignisse und eine schlechte Luftqualität. Obgleich sich seit den 90-er Jahren die Luftqualität im sächsisch-tschechischen Grenzgebiet erheblich verbessert hat, treten immer wieder großräumige Geruchsbelastungen vor allem im Winter bei südöstlicher Windrichtung auf. Die Geruchsereignisse und die subjektiv wahrgenommene Luftverschmutzung werden von einem Teil der Bevölkerung als belästigend oder auch belastend für die Gesundheit und das Wohlempfinden empfunden.
Zu diesem Zweck untersuchte ein sächsisch-tschechisches Forschungsprojekt die Wahrnehmung der Luftqualität, des Geruches sowie der Gesundheit im sächsisch-tschechischen Grenzgebiet. Qualitativ und quantitativ wurden das Belästigungs- und Belastungspotential der Luftqualität, der gesundheitliche Zustand sowie die subjektive gesundheits- und umweltbezogene Lebensqualität erfasst.
Fragestellung:
1) Wie bewertet die Bevölkerung die Luftqualität im Untersuchungsgebiet?
2) In welchem Ausmaß empfindet die Bevölkerung die Geruchsereignisse als belästigend?
3) Wie nimmt die Bevölkerung den Einfluss von Luftbelastungen im Untersuchungsgebiet auf die eigene Gesundheit und die der Angehörigen wahr?
Methode: Durch die Anwendung eines Mixed-Methods Ansatzes wurden qualitative und quantitative Daten sequentiell erhoben. Der Ansatz diente dazu, das Phänomen a) aus verschiedenen Perspektiven und 2) über mehrere Untersuchungsphasen hinweg zu untersuchen.
Um die Fragestellung des Projektes beantworten zu können, wurde ein partizipativer Ansatz gewählt. Folgende Methoden zur Datenerhebung waren Teil des Projektes:
1) Durchführen einer Fokusgruppe mit der Bevölkerung
2) Durchführen einer repräsentativen quantitativen Befragung der Bevölkerung (Computer Assisted Telephone Interview)
3) Durchführen einer Fokusgruppe mit Experten aus den Bereichen Gesundheit, Umwelt, Verwaltung und Politik.
Die Fokusgruppe mit der Bevölkerung diente als Vorstudie und stellte Informationen für das Erstellen des Fragebogens für die telefonische Befragung bereit. Nach Auswertung der telefonischen Befragung diente die Fokusgruppe mit den Experten der Verwertung der Ergebnisse.
Ergebnisse: Das Untersuchungsgebiet der telefonischen Befragung umfasste 24 Gemeinden in Sachsen zwischen dem Kurort Oberwiesenthal und Neuhausen. Auf Basis der Daten des Geruchstelefons (Registrierung täglicher Geruchsbeschwerden) wurde das Gebiet in ein Kerngebiet (sechs Gemeinden mit den meisten Geruchsmeldungen seit 2011) und ein Randgebiet (Gemeinden mit vereinzelten Geruchsmeldungen) unterteilt. Insgesamt wurden in der Feldphase 9.572 Anrufe in der Zeit vom 25. Januar 2018 bis zum 12. März 2018 getätigt, um 500 Interviews erfolgreich und vollständig abzuschließen, wovon 200 Fälle im Kerngebiet und 300 Fälle im Randgebiet liegen.
Im Mittel sind die Teilnehmer der telefonischen Befragung 59 (SD= 14) Jahre alt und circa die Hälfte sind Rentner. Circa zwei Drittel der Befragten verfügen über einen Haupt- und Realschulabschluss. Frauen sind im Sample mit 55% (Grundgesamtheit: 51%) leicht überrepräsentiert.
Die Teilnehmer wurden unter anderem zur Umweltbesorgnis, die sich auf ihren gesundheitlichen Zustand auswirken kann, befragt. Sie sollten sagen, welcher Aussage (welcher Person) sie eher zustimmen: 1) Person A: Durch die Industrieanlagen in Tschechien ist die Luft im Erzgebirge belastet. Ich sorge mich auf Grund der Luft um meine Gesundheit und die Gesundheit unserer Kinder. 2) Person B: Das Erzgebirge ist ein dünn besiedeltes Gebiet mit guter Luft. Ich sorge mich nicht um meine Gesundheit und die meiner Kinder, wenn ich an die Luft denke. In den sechs Gemeinden des Kerngebietes stimmen 87,6% der Aussage von Person A und nur 12,4% der Aussage von Person B zu. Im Randgebiet stimmen 64,5% der Befragten der Aussage von Person A, 35,5% der Person B zu. Die Umweltbesorgnis, inklusive der Besorgnis um die Gesundheit, ist dementsprechend im Gebiet mit den meisten Geruchsereignissen am Höchsten.
Diskussion: Die Bevölkerung im Erzgebirge und Vogtland wurde in den gesamten Forschungsprozess eingebunden. Durch das CATI Design konnten Patient-Reported-Outcomes erhoben und ausgewertet werden. Mit Experten wurde in einer Fokusgruppe die Relevanz des Themas im Hinblick auf real existierende Ängste vor gesundheitlichen Beeinträchtigungen sowie die Möglichkeiten einer sachlichen Aufklärung der Bevölkerung besprochen.
Praktische Implikationen: Sollten die Bewohner des sächsischen Grenzgebietes in Zukunft vermehrt Krankheitssymptome berichten und ärztliche Hilfe benötigen, könnte sich dies auf die Inanspruchnahme gesundheits- und krankheitsbezogener Leistungen im ländlichen Raum des Erzgebirges und Vogtlandes auswirken.
Hintergrund
Das Thema Pflege gehört aufgrund des Pflegepersonalmangels bundesweit zu den gesundheitspolitischen Themen mit oberster Priorität. Für die Stadt München lagen bisher keine Daten vor, die eine umfassende und systematische Analyse der Situation der Pflege erlauben.
Fragestellungen
Wie stellt sich die Situation der Pflege in Münchner Krankenhäusern hinsichtlich Personal, Ausbildung, Studium, Anerkennungsverfahren sowie Fort- und Weiterbildung dar?
Mit welchen Maßnahmen kann dem Fachkräftemangel begegnet werden?
Lässt sich der Pflegepersonalbedarf für München in den nächsten zehn Jahren abschätzen?
Methoden
Die Primärdaten-Erhebungen unterteilten sich in schriftliche Befragungen der Krankenhausstandorte, der Pflegekräfte in Krankenhäusern, der Berufsfachschulen und Hochschulen sowie der Schülerinnen und Schüler und Studierenden. Inhaltlich bezogen sich die Befragungen unter anderem auf die Personalsituation, Ausbildung, Arbeitsbelastung, Zufriedenheit, Lebensbedingungen und Zukunftspläne der Beschäftigten und des pflegerischen Nachwuchses. Eine Sekundärdatenanalyse diente dazu, die Ergebnisse der Primär-Erhebungen auf die Grundgesamtheit hochzurechnen und zukünftige Entwicklungen der Rahmenbedingungen für München abzuschätzen.
Ergebnisse
An der Befragung der Krankenhäuser haben sich 16 von insgesamt 52 Klinikstandorten in München beteiligt. Die 16 Krankenhäuser repräsentierten etwa 48% der Gesamtzahl der Betten und 46 % der vollstationären Fälle, wenn man die Daten der Strukturierten Qualitätsberichte aus dem Jahr 2016 zugrundelegt. Die Krankenhäuser berichteten von zunehmenden Schwierigkeiten, vakante Stellen in der Pflege zu besetzen. Die Befragung der Pflegekräfte konnte an 17 von 52 Klinikstandorten realisiert werden. Es haben sich 1186 Gesundheits- und Krankenpfleger/innen und Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger/innen daran beteiligt. Ihre Arbeitsbelastung spiegelt sich in der Anzahl der geleisteten Überstunden wider (durchschnittlich 15 Überstunden pro Monat/Beschäftigte). Ein Großteil der Pflegekräfte zeigte sich unzufrieden mit dem Einkommen (76%), mit der Anerkennung für die Tätigkeit (66%) und mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf (41%). Gleichzeitig identifizierten sich die Befragten aber stark mit ihrem Beruf.
An der Befragung der Berufsfachschulen haben sich 14 von 21 Schulen beteiligt. Auch die beiden Hochschulen mit Studiengängen im Bereich Pflege konnten befragt werden. Insgesamt liegen Auskünfte von 307 Schülerinnen und Schülern und 156 Studierenden vor. Rund ein Drittel der Auszubildenden in der Gesundheits- und Krankenpflege ist unzufrieden mit der Praxisanleitung. Ein Fünftel der Befragten gab an, nach Ende der Ausbildung nicht in dem gelernten Beruf arbeiten zu wollen.
Für die nächsten zehn Jahre wird allein infolge des Nachbesetzungsbedarfs in der Pflege und des zu erwartenden pflegerischen Nachwuchses von einem steigenden Pflegepersonalbedarf in den Kliniken ausgegangen. Hierbei ist noch nicht der steigende Pflegebedarf berücksichtigt, z. B. infolge der Bevölkerungsentwicklung, der Veränderung der Altersstruktur der Bevölkerung und veränderter altersspezifischer Häufigkeiten von Krankenhausaufenthalten.
Diskussion
Einige Ergebnisse der Studie stehen in Einklang mit den Ergebnissen anderer Untersuchungen zur Situation der Pflegekräfte in Deutschland [1, 2, 3]. Die Ergebnisse der Münchner Studie zeigen, dass sowohl Maßnahmen der Personalbindung als auch der Personalgewinnung notwendig sind, um dem Pflegepersonalmangel entgegenzuwirken.
Implikationen
Es müssen dringend passgenaue Maßnahmen auf Bundes-, Landes- und auf kommunaler Ebene ergriffen werden, die dem Pflegekräftemangel wirksam begegnen. Die Landeshauptstadt München unternimmt in dieser Hinsicht bereits einige erfolgversprechende Aktivitäten, wie z.B. die Leitung eines „Runden Tisches Pflege“, die Etablierung eines Pflegescouts für pflegefachliche Beratung und Hilfestellung im Rahmen des Anerkennungsverfahrens und die Vorbereitung einer regionalen Pflegekampagne. Aber auch die Kliniken, Einrichtungen und Ausbildungsstätten sind in der Pflicht, ihren Gestaltungsspielraum zu nutzen und Lösungsstrategien umzusetzen, die die Personalsituation der Pflegekräfte verbessern.
Literatur
[1] Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung e.V. (dip): Pflege-Thermometer 2009. Eine bundesweite Befragung von Pflegekräften zur Situation der Pflege und Patientenversorgung im Krankenhaus. http://www.dip.de (aufgerufen am 15.04.2019)
[2] Köppen J, Zander B, Busse R (2017): Die aktuelle Situation der stationären Krankenpflege in Deutschland, Ergebnisse der G-NWI-Studie (Neuauflage RN4Cast), Präsentation auf dem Kongress Pflege, 21.01.2017. http://www.gesundheitskongresse.de/berlin/2017/praesentationen/ (aufgerufen am 15.04.2019)
[3] Deutsches Krankenhausinstitut e.V. (2018): Krankenhaus Barometer Umfrage 2018.
https://www.dkgev.de/service/publikationen-downloads/krankenhaus-barometer/ (aufgerufen am 15.04.2019)
Hintergrund
Vor allem bei psychischen oder neurologischen Erkrankungen fällt es Patient_innen oft schwer, den richtigen Behandlungsweg zu finden. Um diese Überforderung aufzufangen, wurde in der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein das Versorgungsprojekt Neurologisch-psychiatrische und psychotherapeutische Versorgung (NPPV)“ entwickelt und Ende des Jahres 2017 in die Praxis umgesetzt. Mittels einer gestuften und koordinierten Versorgung von Menschen mit psychischen und neurologischen Erkrankungen sollen u. a. Wartezeiten auf eine Behandlung verkürzt und Behandlungsverläufe durch eine gesteuerte Koordination verbessert werden. Als Folge dieser bedarfsgerechten Behandlung sollen Krankheitsverläufe verbessert sowie Folgekosten gesenkt werden. Im Zentrum einer solchen zeitnahen, bedarfsgerechten und koordinierten Behandlung steht die berufsgruppenübergreifende Vernetzung der im Projekt teilnehmenden Versorger_innen. NPPV wird mit Mitteln aus dem Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses unter dem Förderkennzeichen 01NVF16020 gefördert.
Fragestellung
Können aus Sicht der Beteiligten die Prozesse und Strukturen von NPPV wie geplant aufgebaut werden? Stoßen diese bei den teilnehmenden Ärztinnen und Ärzten sowie den Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten auf Akzeptanz und steigern deren Zufriedenheit innerhalb des Versorgungsprozesses? Diese Fragen sollen im Zuge einer Projektevaluation be-antwortet werden. In diesem Zusammenhang sollen zusätzlich etwaige fördernde oder hemmende Faktoren für eine Implementierung des NPPV-Projektes in der KV Nordrhein identifiziert werden. Die Evaluation ist ein Bestandteil der Qualitätssicherung und Weiterentwicklung des Projektes.
Methode
Anhand eines vom Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) entwickelten Fragebogens sollen erarbeitete Strukturen von den am Projekt teilnehmenden Versorger_innen bewertet, Ergebniseinschätzungen vorgenommen und eine persönliche Beurteilung abgegeben werden. Insgesamt wurden 406 Fragebögen an die Teilnehmenden verschickt. Mit einer Rücklaufquote von 41,87% können nach der Datenvalidierung 167 Fragebögen als Datengrundlage für die Analysen ausgewertet werden. Die Analysen werden mit Hilfe der Statistiksoftware SPSS durchgeführt.
Ergebnisse
Die Analysen zeigen, dass der entwickelte Fragebogen die Bewertung des Versorgungsprojekts NPPV gut abbilden kann und unter versorgungstheoretischen Gesichtspunkten sinnvoll interpretierbar ist. Das Projekt wird im Allgemeinen überwiegend positiv oder neutral bewertet. Auf Seiten der Ärztinnen, Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und Psychothera-peuten scheint es keine Schwierigkeiten oder Unsicherheiten in Bezug auf die praktische Umsetzung zu geben. Die Teilnehmenden berichten mehrheitlich, dass das Projekt für die Erkrankten angemessen ist. Über zwei Drittel der Befragten beobachten seit Implementierung des neuen Versorgungskonzeptes eine gesteigerte Versorgungsqualität, die sich aller-dings im erhöhten Arbeitsaufwand widerspiegelt. Auch Schwachpunkte bzw. Verbesserungspotential in der Ausgestaltung des Projektes können durch die Befragung identifiziert werden und in den Ergebnissen beispiellos dargelegt werden.
Diskussion/praktische Implikationen
Das Versorgungskonzept NPPV etabliert erstmalig eine gestufte und koordinierte Versorgung von Menschen mit psychischen und neurologischen Erkrankungen in der Region Nordrhein. Die Evaluation des Projektes mit Fokus auf die Projektbewertung durch die teilnehmenden Ärztinnen und Ärzten sowie den Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten zeigt deutlich, dass die neu geschaffenen Strukturen positiv angenommen und eingeschätzt werden. Durch das Projekt kann die subjektiv gemessene Qualität in der Patient_innenversorgung verbessert werden. Die Wünsche auf Seiten der Versorger_innen das Projekt zukünftig auszuweiten, spiegelt die Notwendigkeit neuer Konzepte in der ambulanten Versorgung von Menschen mit neurologischen und psychischen Erkrankungen wider. Demzufolge könnte NPPV ein Weg sein, verbesserte Kooperation und Koordination innerhalb dieses Versorgungsbereiches zu schaffen und könnte in Zukunft ein Erfolgsmodell für die Regelversorgung darstellen.
1 Hintergrund
Der stetige Wandel der Arbeitswelt, gekennzeichnet durch Digitalisierung, Dynamisierung, Industrie 4.0 bei zunehmend alternder Bevölkerung, stellt Herausforderungen für Unternehmen in Deutschland dar, die es zu bewältigen gilt. Insbesondere in Zeiten des Fachkräftemangels rückt das Wohlbefinden sowie die Sicherung der Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter in den Fokus der Arbeitgeber, nicht zuletzt um die eigene Wettbewerbsfähigkeit und unternehmerische Zukunft zu sichern. Eine Schlüsselposition nimmt hier die betriebliche Gesundheit ein. Kleine und mittlere Unternehmen (KMU), welche die wesentliche Säule der deutschen Wirtschaft darstellen, sind im Vergleich zu großen Unternehmen diesbezüglich bislang unterversorgt. Insbesondere organisationsumfassende Gesundheitsmanagementsysteme sind in KMU kaum etabliert: die Verankerung der betrieblichen Gesundheit in der Arbeitsorganisation, beginnend mit der Integration im Leitbild bis hin zur Berücksichtigung bei operativen Entscheidungen im Arbeitsalltag, wird unwahrscheinlicher je kleiner die Mitarbeiterzahl.
Vordergründig werden Hürden auf Ressourcenebene genannt – zu wenig Personal, finanzielle Mittel und Zeit scheinen Hemmfaktoren für das unternehmerische Engagement im Bereich Mitarbeitergesundheit zu sein. Auch die Rolle der Führung, deren Einstellung gegenüber dem Thema Gesundheit gelten als entscheidend je kleiner und familiär geprägter ein Betrieb ist.
Das Konzept überbetrieblicher und branchenübergreifender Kooperation stellt eine mögliche Lösung dar, die für KMU beschriebenen (Ressourcen-)Probleme zu überwinden. Neben Modellen wie Betriebsnachbarschaften existieren hier bereits vereinzelt Zusammenschlüsse und Netzwerke, die auf die Unterstützung und Förderung der betrieblichen Gesundheit abzielen. Diese sozialen Gebilde sind keinesfalls homogen. Angesichts der Relevanz des Themas „Gesundheit im Betrieb“ lohnt es sich, diese näher zu betrachten.
Dies erfolgt im Rahmen eines vom BMBF bis Ende 2022 geförderten Forschungsverbundprojektes.
2 Fragestellung
Ziel der Untersuchung ist die Konstituierung eines Netzwerks zur Förderung der betrieblichen Gesundheit in einer ausgewählten Wirtschaftsregion. Hierfür sind Bedingungen und Voraussetzungen für ein regionales Präventions- und Gesundheitsnetzwerk für KMU zu identifizieren und analysieren:
- Was muss dieses leisten, was bestehende Netzwerke noch nicht erfüllen, um einen Mehrwert zu bieten?
- Wer muss Mitglied sein?
- Welche Funktionen, Aufgaben, Rollen müssen eingenommen und erfüllt werden?
Forschungsfrage: Wie interagieren Akteure im Netzwerk, um betriebliche Gesundheit zu verankern?
3 Methode
Zunächst erfolgt auf Metaebene eine theoretische Analyse und Übersicht über soziologische Netzwerktheorien.
Anhand einer quantitativen Erhebung in Form eines standardisierten Online-Fragebogens wird vorab der Status Quo des betrieblichen Gesundheitsmanagements und der betrieblichen Gesundheitsförderung der Unternehmen einer Region zur Bedarfsermittlung erfasst. Es werden zunächst alle Firmen der Region befragt, um ggf. die Zielgruppe der KMU um größere Unternehmen zu erweitern.
Eine qualitative Erhebung in Form leitfadengestützter Experteninterviews dient dazu, Faktoren und Mechanismen für die Konstituierung einer „Präventionsallianz“ zu ermitteln, beschreiben und erklären. Befragt werden hier Experten aus Gesundheitsanbieterkreisen wie z. B. Sozialversicherungsträger, kommerzielle Anbieter wie BGM-Dienstleister aber auch Vertreter aus Kammern und Verbänden, die bereits Netzwerkerfahrung haben und als Multiplikatoren zwischen Gesundheitsanbieter und -abnehmer agieren. Es sollen Erkenntnisse darüber gewonnen werden, wie das Netzwerk gesellschaftlich funktionieren muss.
Zusätzlich wird eine Clusteranalyse bereits bestehender regionaler und überregionaler Netzwerke zur betrieblichen Gesundheit unternommen. Folgende Aspekte werden u. a. untersucht: Anzahl der Netzwerkpartner, geographische Reichweite, Zielsetzung, Funktions-/Rollenverteilung der Partner, Hierarchisierung der Partner, Finanzierung, Rechtsform, Initiator/Träger, Gründungsdatum bzw. Dauer des Netzwerkbestehens.
Die Auswertung erfolgt mittels SPSS und MAXQDA.
4 Ergebnisse
Die Erhebungen liefern nötige Informationen zur Konstituierung einer regionalen „Präventionsallianz“, die aus sich heraus fortbesteht.
5 Diskussion
Um ein gesundheitswirksames Netzwerk generieren zu können, muss ggf. die Zielgruppe eingeschränkt werden z. B. auf eine ausgewählte Branche und Betriebsgröße.
6 Praktische Implikationen
Zum nachhaltigen Transfer soll das konstituierte Gesundheitsnetzwerk um eine Plattform ergänzt werden. Die Aufnahme neuer Mitglieder wird stetig ermöglicht. Dank des etablierten Netzwerks soll flächendecken qualitativ hochwertig und wirksam betriebliche Gesundheit in der Region gesichert und ausgebaut werden, um den Erfolg der ortsansässigen Unternehmen zu erweitern. Dieses Modell kann später bundesweit auf andere Regionen übertragen werden.
Hintergrund:
Im internationalen Vergleich liegt die Zahl der Organspender bezogen auf die Einwohnerzahlen in Deutschland schon seit vielen Jahren nur im unteren Mittelfeld, in den letzten Jahren war es, bis zu einem erneuten Anstieg in 2018, zu einem weiteren deutlichen Rückgang gekommen. Als Grund für die niedrigen Spenderzahlen wird häufig die fehlende Zustimmung zur Organspende in der Bevölkerung angegeben, eine systematische Untersuchung zu den Ursachen der niedrigen Organspenderzahlen ist dafür dringend erforderlich.
Fragestellung:
In den Jahren 2014 bis 2016 hat die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) Region Ost (Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen) in Zusammenarbeit mit den teilnehmenden Entnahmekrankenhäusern in einem umfangreichen Projekt alle Patientenfälle von Verstorbenen mit primärer oder sekundärer Hirnschädigung anonymisiert erfasst und in einer retrospektiven Einzelfallanalyse auf die Fragestellung hin untersucht, warum eine Diagnostik des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls (IHA-D) nicht erfolgte. Diese Untersuchung ist hilfreich, ein mögliches Organspenderpotential zu benennen und zu diskutieren.
Methode:
Mithilfe des Programmes „DSO Transplantcheck für Excel“ wurden in der DSO Region Ost alle Verstorbenen, bei denen mindestens eine durch die Bundesärztekammer festgelegte ICD-10-Kodierung für eine primäre oder sekundäre Hirnschädigung als Haupt- oder Nebendiagnose bestand, weiter analysiert.
Das Programm selektiert Fälle mit relevanter Hirnschädigung zur weiteren Betrachtung von Patientenfällen mit absoluten Kontraindikationen zur Organspende oder Fällen ohne dokumentierte Beatmungsstunden.
Alle relevanten Fälle werden in einem strukturierten Dialog zwischen Transplantationsbeauftragten oder einen durch diesen benannten verantwortlichen Intensivmediziner des jeweiligen Krankenhauses und einem DSO-Koordinator anonymisiert einer standardisierten Einzelfallanalyse unterzogen. Dabei wurden die Fälle in der Fragestellung kategorisiert, warum eine IHA-D nicht eingeleitet wurde. Weiterhin wurde untersucht, nach welcher Liegedauer die Patienten verstarben, abhängig der ihnen zugeordneten Kategorie der Einzelfallanalyse und der zugrundeliegenden Ätiologie der Hirnschädigung.
Ergebnisse:
Die Analyse umfasst aufgrund der umfangreichen Beteiligung von bis zu 128 Krankenhäusern über 20.000 Todesfälle mit primärer oder sekundärer Hirnschädigung im genannten Zeitraum.
Eine besondere Betrachtung wurde auf Patientenfälle gelegt, bei denen ein irreversibler Hirnfunktionsausfall aus klinischer Sicht möglicherweise bereits eingetreten war. Es wurden weiterhin Gründe erfasst, warum eine IHA-Diagnostik nicht eingeleitet wurde.
Diskussion:
Die Zahl der potenziellen Organspender lässt sich in der Region Ost der DSO durch Identifikation aller Patienten, bei denen eine IHA-D indiziert war, relevant erhöhen. Durch die regelhafte Evaluation des Patientenwillens bezüglich einer Organspende vor der Entscheidung zum Therapieabbruch bei neurologisch infauster Prognose ließen sich weitere potenzielle Spender identifizieren. Die Einbindung von Transplantationsbeauftragten und Neurointensivmedizinern in die Betreuung aller Patienten mit akuter, schwerer primärer oder sekundärer Hirnschädigung wäre eine Möglichkeit, prognostische Einschätzungen bezüglich des Eintretens eines irreversiblen Hirnfunktionsausfalls zu verbessern.
Praktische Implikationen:
Anhand der vorzulegenden Ergebnisse wird deutlich, dass Transplantcheck eine nahezu flächendeckende, vollständige Erhebung aller Verstorbener mit primärer oder sekundärer Hirnschädigung ermöglicht.
Weiterhin ist festzustellen, dass Transplantcheck ein geeignetes Mittel ist, Schlussfolgerungen auf ein mögliches Organspenderpotential zu treffen und vermutliche Gründe für die niedrigen Organspenderzahlen zu untersuchen. Gleichzeitig wird die Sensibilisierung für potenzielle Organspender in den Krankenhäusern gefördert. Außerdem dient es als Mittel zur Qualitätssicherung und sollte dementsprechend als solches etabliert werden. Das „zweite Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes – Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende“ vom 14.02.2019 tritt Anfang April 2019 in Kraft. Darin ist mit Transplantcheck ein klinikinternes Qualitätssicherungssystem als Grundlage für ein flächendeckendes Spendererkennungs- und Meldungssystem festgelegt worden.
Hintergrund: Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels spielt das Setting Pflegeheim eine zunehmend wichtigere Rolle. Für einen Großteil der Bewohner ist das Pflegeheim der Ort der letzten Lebensphase. Hausärzte begleiten ihre Patienten meist über mehrere Jahre und sind oftmals maßgeblich in die Betreuung am Lebensende involviert.
Fragestellung: Die vorliegende Arbeit hat zum Ziel, die Sichtweise von Hausärzten auf die Versorgung sowie die Hospitalisierung von Pflegeheimbewohnern am Lebensende zu untersuchen und Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgungssituation zu identifizieren.
Methode: Die Daten wurden im Rahmen der Studie „Hospitalisierung und Notaufnahmebesuche von Pflegeheimbewohnern (HOMERN)“ erhoben. In einer 2018 durchgeführten postalischen Befragung wurde eine Zufallsstichprobe von 1121 Hausärzten in Niedersachsen und Bremen angeschrieben. Es wurde eine deskriptive Analyse durchgeführt und die Daten zwischen Hausärzten mit und ohne Zusatzbezeichnung Palliativmedizin verglichen. Mittels multivariabler logistischer Regression wurden Einflussfaktoren auf die Einschätzung der Versorgung als „eher schlecht“ untersucht.
Ergebnisse: Insgesamt beantworteten 375 Hausärzte den Fragebogen (Response: 34%). Die Mehrheit der Hausärzte (71%) stimmte der Aussage zu, dass Pflegheimbewohner am Lebensende zu häufig im Krankenhaus behandelt werden und über die Hälfte der Befragten bewertete die Versorgung von Pflegeheimbewohnern am Lebensende als „eher schlecht“ (54%). Hausärzte mit einer Zusatzbezeichnung Palliativmedizin stimmten in beiden Fällen häufiger zu. Auch die multivariable Analyse zeigte einen signifikanten Zusammenhang zwischen der Zusatzbezeichnung Palliativmedizin und der Beurteilung der Versorgung am Lebensende als „eher schlecht“ (Odds Ratio: 1,89; 95% Konfidenz-Intervall: 1,10-3,23). Als wichtigste Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgung am Lebensende wurden ein höherer Personalschlüssel sowie eine bessere Qualifikation des Pflegepersonals genannt. Der Anteil der Bewohner mit einer Patientenverfügung wurde auf 37% geschätzt, mit etwa einem Drittel der Patientenverfügungen, die aussagekräftig in Bezug auf Krankhaustransporte am Lebensende sind.
Diskussion: Die Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen, dass ein hoher Anteil der Hausärzte die Versorgung von Pflegeheimbewohnern am Lebensende als verbesserungswürdig ansieht, wobei sich ein Unterschied zwischen Hausärzten mit und ohne Zusatzbezeichnung Palliativmedizin abzeichnet. Hausärzte mit einer Zusatzbezeichnung Palliativmedizin sind der Versorgungssituation gegenüber kritischer eingestellt als jene ohne Zusatzbezeichnung. Mit Hinblick auf die hohen Anteile an Hospitalisierungen von Pflegeheimbewohnern am Lebensende in Deutschland im Vergleich zum internationalen Ausland sind Veränderungen notwendig. Dies erfordert sowohl das Schaffen entsprechender Strukturen als auch die Stärkung benötigter Kompetenzen im Bereich der Palliativversorgung. Darüber hinaus kann Advance Care Planning eine wichtige Grundlage schaffen, die Wünsche der Bewohner bezüglich der Versorgung am Lebensende zu respektieren.
Praktische Implikationen: Um die Versorgung am Lebensende zu verbessern muss eine angemessene personelle Ausstattung gewährleistet werden. Darüber hinaus ist die bessere palliative Schulung des Pflegepersonals aber auch der Hausärzte eine wichtige Voraussetzung.
Fragestellung
Gesundheit ist durch verschiedene Aspekte in der Politik und im alltäglichen Leben beeinflusst. Dabei spielt WHOs Konzept ‚Health in All Policies‘ (HiAP) eine essentielle Rolle. Die Sozialdeterminanten der Gesundheit beschreiben die Verzahnung einzelner Themen außerhalb der klassischen Definition von Gesundheit, z.B. Wohn- und Arbeitsbedingungen und Ökologie. HiAP erzeugt Synergien zwischen Gesundheit und Politik und hebt die Konsequenzen von Entscheidungen auf die Gesundheit hervor. Eine anerkannte Methodik sind die Verträglichkeitsprüfungen in den Bereichen Gesundheit (HIA), Sozioökonomie und Umwelt (EIA). Die meisten HIA sind in Deutschland in EIA wiederzufinden. Beachtung finden HIA/EIA in Deutschland aufgrund der EU Direktiven 2014/52/EU. Unter anderen, orientiert sie sich an der stärkeren Einbindung der Öffentlichkeit, an der Transparenz und an die Konkretisierung der Voraussetzungen für eine Verträglichkeitsprüfung. In Deutschland wurde dies durch das Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz (UVPG), das Baugesetzbuch (BauGB) und deren lokalen Äquivalenten (z.B. UVPG-Bln) umgesetzt. Das BauGB unterscheidet verschiedene Bauprojekte anhand der Größe und dem Umfang und bestimmt die Notwendigkeit einer EIA.
Methodik
Datenbasis war eine Dokumentenanalyse von Umweltberichten (gemäß EU Direktive 2014/52/EU).
Datenerhebung
Mit den folgenden Schlüsselwörtern wurde eine iterative Suchmethode angewendet:
• Health Impact Assessment, HIA, Berlin, Germany, Deutschland, Environmental impact assessment, EIA, Umweltverträglichkeitsprüfung, UVP, Gesundheitsverträglichkeitsprüfung, GVP, strategische Umweltprüfung, SEA, Umweltprüfung, Umweltbericht, Gesundheitsfolgenabschätzung
Durchsucht wurden PubMed, Google Scholar und die Webseiten Berlins Gesundheits- und Umweltbehörden. Diese Behörden inklusive Ansprechpartner wurden adressiert und gebeten, Projektunterlagen und zusätzliche Informationen zuzusenden. Einschlusskriterium war der Abschluss des Projektes in den Jahren 2009 bis 2017. Dokumente mussten frei und öffentlich zugänglich sein. Eingeschlossene Sprachen waren Deutsch und Englisch. Von Dokumenten, in dessen Abschlussjahr mehr als ein Dokument vorlag, wurde eines per Zufall ausgewählt.
Datenanalyse
Die gefundenen Dokumente wurden vollständig gelesen und zusammengefasst. Anschließend wurden die Fragen von Fischer et al. (EIA Review 2010; 30) zur Analyse des Einschlusses von Gesundheit in den Verträglichkeitsprüfungen verwendet.
Ergebnisse
39 Dokumente wurden identifiziert. Eines der Projekte bestand aus 20 Einzelberichten (von denen 7 eine EIA beinhalteten). 3 Projekte wurden aufgrund der fehlenden öffentlichen Verfügbarkeit, 20 aufgrund Randomisierung nach Abschlussjahr und ein aufgrund fehlender EIA ausgeschlossen. Insgesamt 15 Dokumente wurden eingeschlossen. Anhand der Fragen von Fischer et al. lassen sich folgende Aussagen über die Projekte treffen: 14/15 Projekten schlossen Gesundheit in ihre Prüfungen ein, 9 Projekte nutzten eine Kombination von quantitativer und qualitativer Methodik, 12 bezifferten Gesundheitseinflüsse, 14 schlossen Gesundheitsexperten bei ihrer Entscheidung ein und bei 3/14 Projekte nahm die Gesundheitsexpertise einen Einfluss auf das Ergebnis. Ein Gesundheits-Monitoring-System besaßen 9/11 Projekten1. Alle Projekte beschäftigten sich mit dem Aspekt Grünflächen (Erholungsflächen) sowie mit biophysikalischen Aspekten (u.a. Lärm und Staub). Ausschließlich marginal wurden die Aspekte ‚Gesundheit und Sicherheit‘ (1 Projekt), Gesundheit von Minderheiten (1 Projekt), Müll (2 Projekte) und Zugang zu Gesundheitseinrichtungen (1 Projekt) betrachtet. Soziale Ungerechtigkeit wurden von keinem Projekt adressiert.
Diskussion
Die Implementierung von HIA in EIA ist wissenschaftlich anerkannt, jedoch könnte die Etablierung von dedizierten HIA einen Fokuswechsel auf Gesundheit initiieren. Unter dieser Annahme lässt sich feststellen, dass HIA im großen Maß in Berlin durchführt (14/15 Projekte schlossen das Thema Gesundheit und deren Expertise ein) werden, sie jedoch ausbaufähig sind. Bei der Einflussnahme von Gesundheit auf Entscheidungen und beim Monitoring von Gesundheitseinflüssen herrscht Verbesserungspotential. Gesundheit in ihrer Komplexität wurde in den Berichten nicht ausgeschöpft. Punkte, die nicht eindeutig in den Ergebnissen definierbar waren, waren meist durch eine fehlende Transparenz verursacht. Insbesondere in Betrachtung der EU-Direktiven 2017/52/EU ist dies zu verbessern.
Praktische Implikationen
Abschließend lässt sich feststellen, dass Berlins HIA-Praxis ausreichend ist, jedoch das geforderte Maß nicht übersteigt. Die Öffentlichkeit ist aufgefordert, mehr in den Prozessen der Politik Einfluss zu nehmen und die Möglichkeiten (z.B. im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung) auszuschöpfen. Die Öffnung der Gesundheitsdefinition zu einer umfänglichen Betrachtung von Gesundheit könnte ebenfalls einen positiven Einfluss auf die HIA haben.
Hintergrund:
Im Osterzgebirge berichten Teile der Bevölkerung von gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch Luftschadstoffe. In der Region kommt es immer wieder zu Geruchsbildungen, deren Ursprung in einem nahegelegenen Industriepark in Böhmen vermutet wird. Aus diesem Grund spricht die Bevölkerung von Böhmischem Wind. Patienten berichten von Symptomen wie Kopfschmerzen oder Augenbeschwerden, wenn Gerüche auftreten. Die Luftschadstoffe liegen allerdings weit unterhalb der EU-Grenzwerte (Hausmann, 2018). Gerüche wirken allerdings evolutionsbedingt als Stressor (van Thriel & Pacharra, 2017) ohne dass die Inhaltsstoffe toxologisch sein müssen. Für somatische Reaktionen ist die Wahrnehmung von Gerüchen entscheidend (Cavalini, 1992; Shusterman, 1992). Subjektive Reizwirkungen sind insbesondere bei einer negativen Bewertung der Gerüche sowie der Erwartung von gesundheitlichen Beeinträchtigungen festzustellen (Dalton, 1997; Dalton & Jaen, 2010).
Aufgrund dessen lassen sich Geruchsbelästigungen nicht durch Olfaktometrie messen (van Thriel & Pacharra, 2017) und müssen als Patient-reported Outcome verstanden werden. Belastungs- und Belästigungspotential wird deshalb durch die durchschnittliche Belastung der Bevölkerung ermittelt (VDI-Richtlinie 3883, Blatt 1).
Fragestellung:
1. Wie groß ist der Anteil der Bevölkerung, welcher sich von den auftretenden Geruchsereignissen belästigt fühlt gesundheitliche Beeinträchtigungen wahrnimmt?
2. Inwiefern unterscheidet sich diejenigen, die gesundheitliche Beeinträchtigen wahrnehmen von denjenigen, die keine Beeinträchtigungen wahrnehmen?
Methode:
Zur Beantwortung der Forschungsfrage wurde eine repräsentative quantitative Bevölkerungsbefragung (n= 1.872) im belasteten Gebiet durchgeführt (Modus: postalisch, Stichprobe: einfache Zufallsauswahl von 25% der Population über Einwohnermeldeämter; Rücklauf: 52%). Neben dem allgemeinen Gesundheitszustand (SF-12v1 nach Ware, Kosinski, Keller, 1996) wurde das Belästigungsempfinden sowie die Angst vor gesundheitlichen Folgen erfragt. Außerdem wurde die allgemeine und geruchsspezifische Umweltbesorgnis (nach Rethage, 2007) erfasst.
Ergebnisse:
72% der Befragten fühlen sich vom Böhmischen Wind ziemlich oder stark gestört. 77% geben an, dass dieser ihren Gesundheitszustand beeinträchtigt. Je stärker sich Menschen von den Gerüchen gestört fühlen, desto signifikant (p < ,001) häufiger leiden sie unter allen erfragten Symptomen (Husten (r=,231), Kurzatmigkeit (r=,198), Keuchen (r=,219), tränenden und brennenden Augen (r=,247), Brechreiz (r=,288), Erbrechen (r=,255), Durchfall (r=,339), Kopfschmerzen (r=,394), Schlappheit/Müdigkeit (r=,301) Schwindelgefühl (r=,241)).
Menschen, die der Meinung sind, dass der Böhmische Wind ihre Gesundheit beeinträchtigt, weisen signifikant geringere Werte beim physischen (Man-Whitney-U=131454; z=-9,14; p < ,001, r=-,24) und psychischen (U=113379; z=-11,76 p < ,001, r=-,31) Gesundheitsstatus auf. Darüber hinaus weisen sie auch eine höhere allgemeine (U=181364; z=-10,73; p < ,001, r=-,26) und geruchsspezifische (U=111682; z=-18,71; p < ,001, r=-,45) Umweltbesorgnis auf.
Diskussion:
Unabhängig von der Frage, ob die gemessenen Luftschadstoffe toxisch sind oder nicht, liefert unsere Studie einen evidenzbasieren Nachweis, dass die auftretenden Gerüche den Gesundheitszustand der ansässigen Bevölkerung belasten und Handlungsbedarfe in der Versorgung bestehen. Durch die Patient-reported Outcomes wurde belegt, dass der Gesundheitsstatus von über zwei Drittel der Bevölkerung durch die Gerüche beeinträchtigt wird. Unsere Ergebnisse decken sich hierbei mit dem Forschungsstand zum Belästigungs- und Belastungspotential von Gerüchen. Es ist anzumerken, dass auf Grundlage unserer Studie keine Aussagen über Ursache-Wirkungsbeziehung getätigt werden können. Dies ist bei der vorliegenden Problematik besonders schwierig, da somatische Reaktionen wie beispielsweise tränende Augen auch als automatische Schutzreaktion des Körpers vor potentiellen Gefahren auftreten können (Shusterman, 1992).
praktische Implikationen:
Auch wenn die Luftmessungen nahe legen, dass die Luftschadstoffe nicht toxisch wirken, sind die Beeinträchtigungen des Gesundheitszustandes der Bevölkerung dennoch von großer Bedeutung. Die Versorgung der Patienten kann verbessert werden, indem die Ärzte im Untersuchungsgebiet gezielt zum Belästigung- und Belastungspotential von Gerüchen geschult werden und wiederum ihre Patienten darüber aufklären. Hierdurch wird die Grundlage geschaffen, dass die berichteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Patienten ernster genommen werden. Außerdem können die Versorger vor Ort durch Patient Education gezielt Ängste der Patienten zu zerstreuen. Es kann berechtigterweise angenommen werden, dass sich der subjektiv eingeschätzte Gesundheitsstatus der ansässigen Bevölkerung hierdurch verbessert.
Hintergrund
Die Ergebnisse der BELLA-Studie zeigen, dass bei etwa jedem fünften Kind oder Jugendlichen (ca. 18% bis 20%) im Alter von 3 bis 17 Jahren ein Klärungsbedarf besteht in Bezug auf das Vorliegen einer psychischen Auffälligkeit. Bei etwa 10% bestehen deutliche Hinweise auf psychische Auffälligkeiten. Die individuellen Beeinträchtigungen und gesellschaftlichen Kosten, die dadurch entstehen, sind enorm. Angesichts dieser Evidenzen wird von der WHO dringend empfohlen, spezielle präventive Maßnahmen für Heranwachsende zu implementieren. Psychische Erkrankungen bei Kindern bilden in Deutschland bislang keinen Hauptfokus in der Benennung und Umsetzung von Präventions- und Gesundheitszielen.
Die BELLA-Studie zeigt weiterhin, dass eine Diskrepanz besteht: Eltern und Lehrkräfte nehmen Kinder mit externalisierenden Auffälligkeiten (Störungen des Sozialverhaltens, ADHS) schneller wahr als Kinder, die internalisierende Auffälligkeiten (Symptome einer Depression oder Angststörung) aufweisen. Dieser Befund ist in Hinblick auf die Inanspruchnahme von Hilfs- und Versorgungs-angeboten bedeutsam. Der Verein „Irrsinnig Menschlich e.V.“ entwickelte auf Grundlage seines bereits etablierten Präventionsprogramms „Verrückt? Na und!“, das Modellprogramm „Psychisch fit in der Grundschule“, welches psychische Krisen im Primarstufenalter unter Berücksichtigung der geschlechtsspezifischen Unterschiede klassenweise an zwei Projekttagen besprechbar machen und Hilfesuchverhalten stärken soll. Ziel der vorliegenden Untersuchung ist neben der Überprüfung der Umsetzbarkeit, die Ermittlung von Kritik, Hürden und Verbesserungsmöglichkeiten des ersten Entwurfs des Programms.
Fragestellung
1) Wie bewerten die teilnehmenden Lehrkräfte die Umsetzbarkeit des Modellvorhabens?
2) Welche Verbesserungen & Anpassungen sind aus Sicht der Lehrkräfte vorzunehmen?
Methode
Evaluation mit qualitativer Methodik. Hierzu wurden vier teilnehmende Lehrkräfte und eine teilnehmende Schulbegleiterin telefonisch, leitfadengestützt befragt. Das erste telefonische Interview fand 1-2 Wochen nach Programmabschluss statt; ein zweites verkürztes Interview 2-3 Monaten später. In der Befragung wurden neben soziodemografischen Angaben Einstellungen zur Prävention psychischer Gesundheit bei Schülern, Ansprüche an ein Präventionsprogramm im Primarbereich, bisherige Erfahrungen mit psychischen Krisen von Grundschülern und schließlich die Bewertung des Programms „Psychisch fit in der Grundschule“ erfasst. Es nahmen drei Schulen mit dritter und vierter Klasse teil. Alle Angaben wurden auf Diktiergerät aufgezeichnet, protokolliert und zusammengefasst.
Ergebnisse
Die Ergebnisse der Befragungsrunde 1 zeigen eine hohe Zufriedenheit der Lehrkräfte mit dem Modellprogramm bei gleichzeitig wenig bis keiner Vergleichsmöglichkeit zu einem ähnlichen Präventionsprogramm für den Primarbereich. Die Lehrkräfte berichteten, dass das Programm in den ersten Tagen nach Programmabschluss präsent bei den SchülerInnen war; so zum Beispiel im Morgenkreis. Weiterhin positiv erwähnt wurde die Offenheit der SchülerInnen an den Programmtagen. Geschlechterunterschiede wurden zwar genannt, aber für eine Überarbeitung des Programms nicht gefordert.
Änderungswünsche bezogen sich auf Aspekte wie: Gruppengröße (kleine Gruppen), zwei Moderatoren, stärkere Berücksichtigung kürzerer Aufmerksamkeitsspannen der Drittklässler im Vergleich zu den Viertklässlern, inhaltlich stärkeres Anknüpfen des zweiten Projekttages an den ersten, unterschiedliche Materialien für Dritt- und Viertklässler. Sehr eindrücklich haben die Erprobung sowie die Befragung ergeben, dass die kognitiven Unterschiede zwischen den Klassenstufen im Primarbereich enorm sind.
Diskussion
Das Programm „Psychisch fit in der Grundschule“ konnte bereits in seiner ersten Modellphase in dritten und vierten Klassen umgesetzt werden. Die SchülerInnen sind mit den Moderatoren ins Gespräch gekommen und haben von eigenen Belastungen und Stärken berichtet. Die großen Klassenformate von zum Teil über 25 SchülerInnen haben die Erarbeitung individueller Themen erschwert; vor allem bei den Drittklässlern im Vergleich zu den Viertklässlern. Der Programmtag 1 bietet viele individuelle Themen, die im Programmtag 2 aufgegriffen werden können. Dieses Potenzial wurde von den Moderatoren noch nicht erschöpfend genutzt, wodurch teilweise auch der „rote Faden“ verloren ging.
Praktische Implikation
Ein Präventionsprogramm im Primarbereich für psychische Krisen sollte unbedingt eng an die jeweiligen Altersstufen angepasst werden. Geschlechterunterschiede scheinen hier noch keine praktische Rolle zu spielen. Die Lehrkräfte als ein Hauptansprechpartner der Grundschüler (vor allem der/die Klassenlehrer/in sind in die Programme einzubeziehen. Auch in diesem Alter ist auf Individualität bei der Erarbeitung von Fertigkeiten, Schwierigkeiten und Lösungen zu achten.
Hintergrund: Die Gesundheit und der Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit von Erwerbstätigen werden immer bedeutsamer. Nicht nur Belastungen und Beanspruchungen am Arbeitsplatz, sondern auch die Funktionsfähigkeit des Einzelnen sollten bei dem Erhalt der Beschäfti-gungsfähigkeit berücksichtigt werden. Zur Messung kann der bereits in mehreren Sprachen vorliegende Work Role Functioning Questionnaire (WRFQ) herangezogen werden. Für Deutschland gab es mit diesem Instrument bislang keine Daten. Der Fragebogen wurde von unserer Arbeitsgruppe aus der niederländischen Version interkulturell angepasst und in einer heterogenen Stichprobe erwerbstätiger, abhängig Beschäftigter mit dem Ziel einer psycho-metrischen Validierung im April 2018 eingesetzt.
Grundlegende Annahmen von Individuen über ihre eigenen Werte, ihre Kompetenzen und Fertigkeiten (sog. Core Self-Evaluations) können die arbeitsbezogene Funktionsfähigkeit negativ beeinflussen, darunter Depressionen und eine geringe allgemeine Selbstwirksam-keitserwartung. Beide Faktoren wurden in der genannten Befragung erhoben. In diesem Bei-trag wird der Frage nachgegangen, welcher Zusammenhang zwischen der beruflichen Leis-tungsfähigeit Erwerbstätiger und den beiden Faktoren besteht.
Methoden: Die ursprünglich 27 Items des WRFQ (5-Punkt- Likertskaliert) mit vier Dimensio-nen wurden im Rahmen der Validierung auf 20 Items, eine 3-Punkt- Likertskalierung und drei Dimensionen reduziert (Mittelwertscores 1. "Work scheduling demands", 2. "Physical de-mands" und 3. "Mental and social demands", jeweils mit einer Spanne zwischen 0 und 100 zur niedrigsten bzw. besten Funktionsfähigkeit).
Die Datenerhebung erfolgte in einem kommerziellen Online Access Panel mit einer Zielgröße von ca. 600 Befragten aus unterschiedlichsten Berufen im Alter zwischen 18 und 64 Jahren, ohne bevorstehendem Beschäftigungsstopp z.B. aufgrund anstehender Berentung in den nächsten 12 Monaten und keine bestehende Schwangerschaft bei Frauen.
Der prädiktive Einfluss der beiden Variablen, kontrolliert nach Alter und allgemeinem Ge-sundheitsstatus (SF12 Globalitem, von 1= sehr gut bis 5= schlecht, für Analysen dichotomi-siert), wurde in schrittweise aufgebauten linearen Regressionsmodellen mit Rückwärtselimi-nation der Variablen aus dem Modell (Methode: Backward) überprüft. Als Maß für Depressi-vität wurde das Depressionsmodul des Gesundheitsbogens für Patienten (PHQ-9) genutzt und die allgemeine Selbstwirksamkeitserwartung mit der 3-Item- Kurzskala ASKU (1= trifft gar nicht zu bis 5= trifft voll zu) erhoben.
Ergebnisse: Die Stichprobenzielgröße wurde mit einem Oversampling von 86% erreicht. Gut die Hälfte die 653 Befragten (Altersdurchschnitt 43±12 Jahre, 47% weiblich) schätzte ihre allgemeine Gesundheit als exzellent/gut ein. Die arbeitsbezogene Funktionsfähigkeit (Ge-samtwert) lag im Mittel bei 59 von 100 Punktwerten (SD 24). Im finalen Regressionsmodell zeigten sich die PHQ-9- und die ASKU- Skala (Beta 0,19) sowie das SF12- Item zum ge-genwärtigen Gesundheitszustand in dieser Reihenfolge als statistisch bedeutsam.
Diskussion und praktische Implikationen: Der WRFQ zielt auf die Passung zwischen Anforderungen und Person und damit auf die Teilhabefähigkeit. Er eignet sich als Outcome-Parameter für Interventionen, die sekundärpräventiv auf den Erhalt der Arbeitsfähigkeit zie-len, bzw. tertiärpräventiv eine erfolgreiche Rückkehr in den Arbeitsprozess unterstützen, aber auch zur Identifikation von Beschäftigten mit sinkender Funktionsfähigkeit. Bei der ziel-gruppengerechten Planung von Interventionen und ihrer Evaluation sollten Kernmerkmale der Persönlichkeit, zu denen die beiden untersuchten Aspekte gehören, grundsätzlich mit erfasst werden.
Hintergrund:
Patientenbeteiligung wird in der Versorgungsforschung zunehmend gefordert. Patienten/-innen können mit ihrer Erfahrung und Expertise in einzelnen Forschungsphasen beraten (consultation), kontinuierlich im Forschungsteam mitarbeiten (collaboration) oder Forschung initiieren und durchführen (control). Häufig ist aber unklar, wann eine Beteiligung sinnvoll ist, wie sie systematisch durchgeführt und evaluiert werden sollte. In dem vom Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses geförderten Projekt GET.FEEDBACK.GP (Förderkennzeichen: 01VSF17033) wird die Wirksamkeit einer schriftlichen Rückmeldung für Patient/-innen nach einem Depressionsscreening mit dem Patient-Health-Questionnaire (PHQ-9) in der Hausarztpraxis in einer randomisiert-kontrollierten Studie (RCT) überprüft.
Fragestellung:
Ziel der Patientenbeteiligung in GET.FEEDBACK.GP ist es, gemeinsam mit Patienten/-innen die Rückmeldung durch eine systematische Beteiligung im Rahmen a) eines partizipatives Forschungsteams und b) von Workshops (WS) bedarfsgerechter und anwendungsfreundlicher zu gestalten. Zudem sollen Prozess und Outcome der Beteiligung evaluiert werden.
Methode:
Die partizipative Entwicklung der Rückmeldung wurde auf den Ebenen collaboration, durch den kontinuierlichen Einbezug eines partizipativen Forschungsteams mit 2-3 ehemals Betroffenen und Forscher/-innen, sowie consultation, durch Workshops mit Patienten/-innen, umgesetzt. Das partizipative Forschungsteam entwickelte in zehn Treffen drei WSs, führte sie durch und wertete sie aus. Die Bedarfe an eine Rückmeldung nach PHQ-9 wurden mithilfe einer Fokusgruppe ermittelt (WS 1) und inhaltsanalytisch ausgewertet. Die induktiv-deduktiv abgeleiteten Empfehlungen für die Rückmeldung wurden von den Teilnehmenden hinsichtlich ihrer Wichtigkeit priorisiert und für die Diskussion und Bewertung der Entwürfe herangezogen (WS 2). Anschließend wurden zwei Prototypen der Rückmeldung mit Cognitive Debriefings erprobt und evaluiert (WS 3). Die Ergebnisse wurden für die Ableitung von inhaltlichen Empfehlungen und Gestaltungshinweisen verwendet. Die WSs und die Arbeit im partizipativem Forschungsteam wurden mit einer adaptierten Kurzskala zur Lehrevaluation und der deutschen Version des Public and Patient Engagement Evaluation Tools (PPEET) evaluiert. Die Kommunikation der Ergebnisse auf Projektebene erfolgte durch Forscher/-innen des partizipativen Forschungsteams.
Ergebnisse:
Es wurden N=12 gezielt gesampelte Patienten/-innen eingeschlossen, die in der Vergangenheit oder aktuell an Depressionen litten und zwischen 24-81 Jahre alt waren. Pro WS nahmen 6 bis 9 Personen teil – n=6 davon an mindestens zwei WSs. Die Empfehlungen für eine Rückmeldung betrafen folgende Themen: Ergebnisrückmeldung, Handlungsempfehlungen, Sprache und Formulierung, Informationen über Depression, Hilfsangebote und Grafik. Teilnehmende wünschten sich eine schriftliche Rückmeldung, die kurz, leicht verständlich, wertschätzend und de-stigmatisierend formuliert ist, zu einem direkten Gespräch mit Hausarzt/-in anregt und Hinweise über nächste Schritte enthält. Ferner wurden die Auswirkung durch Prävalenzangaben und diagnosenahen Formulierungen, patienten-relevante Aufklärung über Depression und weiterführende Kontaktadressen kritisch diskutiert. Teilnehmende bewerteten Umfang, Inhalte und Struktur der WSs als angemessen und sinnvoll. Der Raum für Austausch und die Moderation durch ehemals Betroffene wurden geschätzt. Aus Betroffenensicht wurden im partizipativen Forschungsteam eigene Ansichten gehört sowie auf Augenhöhe zusammengearbeitet.
Diskussion:
Basierend auf Erkenntnissen der Patientenbeteiligung wurde die Rückmeldung für die GET.FEEDBACK.GP Studie hinsichtlich Auswahl, Inhalte und Formulierungen der Textbestandteile sowie Gestaltung grafischer Elemente angepasst. Durch gezieltes Sampling konnten Perspektiven von Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen mit Depression und Versorgungssystem sowie Alter und Geschlecht berücksichtigt werden. Hervorzuheben sind außerdem die Patientenbeteiligung auf zwei Ebenen, partizipative Moderation der WSs und qualitative Methodenvielfalt. Das evaluierte Beteiligungskonzept kann bei der zukünftigen Ent- und Weiterentwicklung von Interventionen eingesetzt werden. Beim Sampling der Patienten/-innen konnten aus methodischen und ethischen Gründen, Personen ohne Wissen über eigene depressive Beschwerden nicht miteinbezogen werden. Hinsichtlich der Umsetzung der Ergebnisse der Patientenbeteiligung ist anzumerken, dass auch weitere Faktoren (z.B. Bedingungen des RCTs) bei der Gestaltung der Rückmeldung eine Rolle spielten.
Praktische Implikationen:
Partizipative Forschung ermöglicht Patientenbedarfe direkt in Interventionen einzubinden und somit deren Effektivität zu verbessern. Evaluierte Beteiligungskonzepte sind für Förderer partizipativer Versorgungsforschung unabdinglich. Für jedes Projekt ist abzuwägen, wie die Umsetzung der Ergebnisse der Patientenbeteiligung erfolgen kann.
Hintergrund:
Die UN-Behindertenrechtskonvention fordert die gleichberechtigte Gesundheitsversorgung von behinderten wie nicht-behinderten Menschen. Es gibt jedoch in der Versorgungspraxis deutliche Hinweise darauf, dass für erwachsene Menschen mit Mehrfachbehinderungen substanzielle Probleme in der gesundheitsbezogenen Versorgung existieren. Bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres stehen Sozialpädiatrische Zentren (SPZ) Kindern und Jugendlichen mit frühkindlichen und angeborenen Behinderungen zur Verfügung. Mit dem Eintritt ins Erwachsenenalter brechen diese Versorgungseinrichtungen für die Betroffenen und ihre Angehörigen weg. Dieser Versorgungslücke ab dem 18. Lebensjahr begegnete der Gesetzgeber im Juli 2015 mit der Einführung des § 119 c SGB V, der die ambulante Behandlung durch Medizinische Zentren für erwachsene Menschen mit Behinderungen (MZEB) ermöglicht. Bisher wissen wir nur sehr wenig über die Bedeutung dieser neuen Versorgungsform für die gesundheitliche Versorgung der Betroffenen, deren Angehörigen bzw. Zugehörigen, oder auch für die in und mit diesen Einrichtungen arbeitenden Professionellen. Die Studie begleitet die Einführung zweier MZEB wissenschaftlich und wird aus Mitteln des Innovationsfonds finanziert.
Fragestellung:
Das Forschungsprojekt hat zum einen das Ziel, die aktuelle medizinische Versorgung von Menschen mit geistigen oder Mehrfachbehinderungen zu rekonstruieren. Dazu wird die Inanspruchnahme und das Erleben der (Standard-) Versorgung durch die Beteiligten (Betroffene, Angehörige) in den Blick genommen. Zum anderen wird danach gefragt, wie sich diese Versorgung im Zuge der Einführung von MZEB verändert. Hierzu gehören Fragen zum Erleben der Versorgung im MZEB und den dabei erlebten Möglichkeiten und Herausforderungen. Daraus sollen sich Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Versorgung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung ableiten lassen. Es wird auch danach gefragt, welche versorgungswissenschaftlichen Erkenntnissen aus den Ergebnissen gewonnen werden können.
Methode:
Die Mixed-Methods-Studie mit qualitativ-komparativer Hauptstudie gliedert sich in mehrere Teilprojekte. Zunächst werden die bisher in Anspruch genommenen Gesundheitsleistungen und der Gesundheitszustand aller neu ins MZEB aufgenommenen Patient*innen mittels standardisierter Fragebögen erfasst und deskriptiv ausgewertet. Anschließend werden vertiefende leitfadengestützte Einzelinterviews geführt, um die Versorgungserfahrungen von erwachsenen Menschen mit Mehrfachbehinderungen vor Nutzung des MZEB und zu ihren aktuellen Versorgungserfahrungen im MZEB zu rekonstruieren. Dieselben Personen werden 18 Monate später erneut zu ihren Versorgungserfahrungen interviewt. Mit dem gleichen Interviewansatz werden Menschen mit Behinderungen in einer Vergleichsregion zu einem Messzeitpunkt befragt, in der auf absehbare Zeit kein MZEB gegründet werden wird. Die Ergebnisse werden inhaltsanalytisch ausgewertet. Um die Besonderheiten der Versorgung im Rahmen der MZEB abbilden und analysieren zu können, werden in den zwei teilnehmenden MZEB zudem Beobachtungsstudien durchgeführt. Mittels Gruppendiskussionen mit Mitarbeiter*innen der MZEB sollen die berufsgruppenübergreifende Kooperation und Teamarbeit als wichtiges Unterscheidungsmerkmal zur Regelversorgung analysiert werden. Schließlich werden Expert*innen-Interviews mit einzelnen Akteur*innen, insbesondere mit Personen aus der Leitungsebene, aber auch mit Kooperationspartnern, durchgeführt.
Ergebnisse
Das Projekt ist im Januar 2019 gestartet, im April finden die ersten Erhebungen statt. Die Präsentation dient der Vorstellung und Diskussion des geplanten Studiendesigns.
Diskussion:
Die Untersuchung wurde als Mixed-Methods-Studie konzipiert, um vertiefte Einblicke in die medizinische Versorgungslage von Menschen mit Behinderungen als auch in die Wirkweisen der MZEB und ihrer Effekte zu ermöglichen. Der Einsatz von Beobachtungsinstrumenten in den MZEB fand in bisherigen Untersuchungen noch keine Berücksichtigung. Damit wird das Forschungsfeld erweitert, indem erstmalig auf Versorgungssituationen und -leistungen sowie auf Veränderungen für Betroffene fokussiert wird und empirische wie theoriebildende Erkenntnisse zu verschiedenen Aspekten des medizinischen Versorgungssystems gewonnen werden können.
Praktische Implikationen:
Diejenigen Professionellen, die aktuell die (Weiter-) Entwicklung eines MZEB planen, werden wertvolle Hinweise für die Planung von Prozessen und notwendige Qualifikationen von Mitarbeiter*innen erhalten. Die Mitarbeiter*innen der MZEB werden aufgrund der kritischen Begleitung ihrer Arbeit wertvolle Hilfe(n) für die Reflektion und Anpassung ihrer konkreten Arbeit erwerben.
Hintergrund
Aufgrund des technischen Fortschritts und einer zunehmenden Prävalenz der Herzinsuffizienz bei beständiger Knappheit an Spenderherzen haben sich Linksherzunterstützungssysteme (LVAD) mittlerweile für die Versorgung von Patienten mit terminaler Herzinsuffizienz etabliert. In Deutschland werden jährlich ca. 1.000 LVADs implantiert, mit denen die Patient*innen größtenteils mehrere Jahre leben. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Frage an Bedeutung, wie die Versorgung der Patient*innen gestaltet werden kann, um zu einer höchstmöglichen Lebensqualität der Patient*innen beizutragen. Aus dem Forschungsstand geht hervor, dass die Lebensqualität nach der Implantation insgesamt gesteigert werden kann, dies interindividuell aber erheblich variiert. Zudem ergeben sich auch erhebliche Belastungen aus der Abhängigkeit von dem Implantat, welches über abdominal austretende Kabel mit externen Akkus und Steuerungseinheiten verbunden bleibt. Welche personalen und situationalen Faktoren aus Sicht der Patient*innen auf dieses Belastungserleben wirken, wurde bislang nur in Teilaspekten einzelner Studien untersucht.
Fragestellung
Ziel des vorliegenden Beitrags ist die Synthese bisheriger Ergebnisse qualitativer Forschung zu personalen und situationalen Faktoren, die aus Patient*innenperspektive das Belastungserleben nach einer LVAD-Implantation beeinflussen.
Methode
Im Mai 2018 wurde unter Berücksichtigung der PRISMA-Checklist eine systematische Literaturrecherche in den Datenbanken MEDLINE, PsychARTICLES, PsychINFO und Scopus durchgeführt. In die qualitative Auswertung wurden Studien eingeschlossen, in denen eine Stichprobe oder eine abgrenzbare Teilstichprobe aus erwachsenen Patient*innen mit Herzinsuffizienz bestand, denen ein Continuous-Flow-LVAD implantiert wurde. Ein weiteres Einschlusskriterium bestand darin, dass Wirkzusammenhänge zwischen personalen oder situationalen Bedingungen und der Lebensqualität von LVAD-Patient*innen mit Methoden der qualitativen Sozialforschung untersucht wurden.
Die Auswertung der qualitativen Studien folgte der thematic synthesis nach Thomas und Harden und wurde computergestützt unter Nutzung der Software MAXQDA vorgenommen. Entsprechend wurden zunächst die Ergebnisteile der einzelnen Artikel, einschließlich der Tabellen und Grafiken, in einem induktiven Vorgehen hinsichtlich der darin beschriebenen Einflussfaktoren kodiert. Die daraus entwickelten Codes wurden in einem zweiten Schritt unter Berücksichtigung der Fragestellung zu deskriptiven Kategorien zusammengefasst, welche die Einflussfaktoren exemplarisch mit den identifizierten Wirkzusammenhängen auf Ebene der einzelnen Studien beschreiben. Diese wurden anschließend zu studienübergreifenden Kategorien zusammengefasst und in einem Kategoriensystem konzeptualisiert.
Ergebnisse
Aus der Suche in den Datenbanken sind 6.388 Treffer hervorgegangen. Nach Entfernen der Duplikate und dem Titel- und Abstract-Screening wurden 17 Volltexte gesichtet, von denen 7 in die qualitative Synthese eingeschlossen wurden. Diese beziehen sich auf 5 unabhängige Stichproben, von denen zwei quer- und drei längsschnittig befragt wurden. Die Stichproben umfassen zusammengefasst 111 LVAD-Patient*innen, in den einzelnen Studien wurden 9 bis 48 Fälle untersucht. Eine Publikation stammt aus Italien, alle anderen aus den Vereinigten Staaten. Die Auswertung erfolgte mittels grounded theory, thematic analysis, phenomenology und narrativ.
In den Studien werden sehr unterschiedliche personale und situationale Faktoren beschrieben, die aus Perspektive der Patient*innen einen Einfluss auf die Lebensqualität haben. Relevante situationale Faktoren können z.B. die Gestaltung des Versorgungssystems betreffen, wenn Patient*innen von Sorgen berichten, dass Versicherungsleistungen im weiteren Krankheitsverlauf wegfallen könnten oder auch damit zusammenhängen, wie lange das implantierte LVAD bereits etabliert ist. Die personalen Faktoren beziehen sich z.B. auf die Kompetenz im Umgang mit dem LVAD oder auch auf spirituelle Einstellungen.
Diskussion
In den untersuchten Studien werden Einflussfaktoren als relevant identifiziert, die im wissenschaftlichen Diskurs zur Lebensqualität von LVAD-Patient*innen bislang kaum berücksichtigt werden (z.B. Religiosität) und dadurch weiteren Forschungsbedarf implizieren.
Die vorliegende qualitative Synthese gibt zum einen Hinweise zur Interpretation von Ergebnissen quantitativer Studien zu Einflussfaktoren auf die Lebensqualität, zum anderen weitere Faktoren, die in quantitativen Studien genauer untersucht werden sollten.
Praktische Implikationen
Die Ergebnisse des Reviews geben Behandler*innen einen Überblick über Problemlagen von Patient*innen. Mit diesem Wissen können sie individuelle Lebensumstände, entsprechend der Empfehlungen aus dem LVAD-Rehabilitationsstandard, einordnen und stärker in der Behandlung berücksichtigen.
Hintergrund:
Der Zusammenhang zwischen Multimorbidität und sozialen Faktoren, wie z.B. Einsamkeit und sozialer Unterstützung, ist bislang wenig untersucht. In zunehmendem Maße wird deutlich, dass diese Faktoren als Kontributoren für Mortalität und Morbidität gelten.
Metaanalysen haben gezeigt, dass soziale Faktoren wie subjektive Einsamkeit und objektive Isolation mit einem durchschnittlichen 28 - 32% höheren Mortalitätsrisiko in Verbindung stehen (Holt-Lunstad et al. 2015).
Die Mechanismen, die dem Zusammenhang zugrunde liegen, können in verhaltensbezogen, psychologisch und physisch unterteilt werden (Kawachi & Berkman 2001). In ihrer Wirkung sind sie aber interdependent, von sozialen Faktoren beeinflusst und komplex.
Exemplarisch wirkt soziale Unterstützung auf das mentale Wohlbefinden, indem ein Umfeld geschaffen wird, das negative Einflüsse kompensiert („Buffering Hypothesis“) (Cohen & Wills 1985).
Mit Fokus auf Multimorbidität und mentales Wohlbefinden gewinnt dieser Prozess an Relevanz, weil Multimorbidität einen negativen Einfluss auf das mentale Wohlbefinden darstellt, an dem zugleich nicht ursächlich angesetzt werden kann. Dadurch erhöht sich der Bedarf an kompensatorischen Faktoren, die an psychologischen, physischen und/oder verhaltensbezogenen Mechanismen ansetzen.
Als ein solcher Faktor kann die soziale Unterstützung erachtet werden.
Eine negative Dyadik aus Multimorbidität und sinkendem mentalem Wohlbefinden kann demnach durch die Stärkung sozialer Faktoren durchbrochen werden.
Fragestellung:
Ziel der vorliegenden Studie ist es, Licht auf den Kausalprozess zwischen Multimorbidität und mentalem Wohlbefinden zu werfen.
Im Spezifischen wird die Frage gestellt, ob soziale Unterstützung negative Einflüsse der Multimorbidität auf das mentale Wohlbefinden kompensieren kann?
Methode:
Als Datengrundlage für die Analysen dient das:
„Dritte Sozialmedizinische Panel für Erwerbspersonen – Rehabilitation und Teilhabe“ (GSPE-III).
Die Daten erhoben diverse Merkmale, so z.B. Anzahl und Art der Erkrankungen, mentales Wohlbefinden (SF-36) und soziale Unterstützung (Oslo-3) zu je drei Messzeitpunkten (2013/N=3294, 2015/N=2223, 2017/N=2108).
Die Daten ermöglichen die Anwendung längsschnittlicher Mediationsanalysen mittels
Strukturgleichungsmodellen (SEM) (Cole & Maxwell 2003).
Theoriebasiert wurden verschiedene Strukturgleichungsmodelle hergeleitet und empirisch getestet.
Ergebnis:
In allen längsschnittlichen Strukturgleichungsmodellen wurden signifikante (p < 0.00; N~1500) indirekter Effekte geschätzt.
Die Effektgrößen variieren jedoch stark in Abhängigkeit der Modellspezifikation und des zeitlichen „Lags“ der den Pfaden zugrunde gelegt wird.
Die stärksten Mediationseffekte wurden bei der Schätzung synchroner Effekte ermittelt (ca. 40% Mediation des Gesamteffektes).
Die schwächste Mediation wurde in einem Full-Cross-Lagged-Panel-Model (CLPM) ermittelt (ca. 12% Mediation).
Alle Modelle wiesen zwar einen hohen Model-Fit auf (CFI > 0.90; SRMR < 0.08), unterliegen aber unterschiedlichen theoretischen Annahmen bzgl. des Kausalprozesses (Newsom 2015).
Diskussion:
Die Ergebnisse bestätigen einerseits, dass soziale Unterstützung ein Mediator des Effekts von Multimorbidität auf mentale Gesundheit ist.
Andererseits wird deutlich, dass für die kausal-empirische Überprüfung von Mediationseffekten eine präzise Überführung der Wirkmodelle in die Empirie von Nöten ist.
Praktische Implikationen:
Eine Besserung der physischen Situation ist bei multimorbiden Personen i.d.R. nicht gegeben, umso wichtiger ist eine Stabilisierung des mentalen Wohlbefindens der Betroffenen.
In diesem Kontext gewinnen soziale Faktoren, wie soziale Unterstützung, besondere Bedeutung. Versorgungsinterventionen, die zum Ziel haben, die Versorgung von Multimorbiden zu verbessern, müssen den Kontext der sozialen Faktoren zumindest berücksichtigen oder gar an diesem ansetzen.
Gleichzeitig müssen Versorgungsforscher, die an einer Evaluation etwaiger Interventionen und Kontexte interessiert sind, theoretische Wirkmodelle konzipieren und diese anhand adäquater empirischer Modelle überprüfen.
Literatur:
Cohen, S., & Wills, T. A. (1985). Stress, social support, and the buffering hypothesis. Psychological Bulletin, 98(2), 310.
Cole, D. A., & Maxwell, S. E. (2003). Testing mediational models with longitudinal data: questions and tips in the use of structural equation modeling. Journal of Abnormal Psychology, 112(4), 558.
Holt-Lunstad, J., Smith, T. B., Baker, M., Harris, T., & Stephenson, D. (2015). Loneliness and social isolation as risk factors for mortality: a meta-analytic review. Perspectives on Psychological Science, 10(2), 227-237.
Kawachi, I., & Berkman, L. F. (2001). Social ties and mental health. Journal of Urban Health, 78(3), 458-467.
Newsom, J. T. (2015). Longitudinal structural equation modeling: A comprehensive introduction. Routledge.
Hintergrund
Der Verlust der Sehfähigkeit hat weitgehende Auswirkungen auf die Lebensqualität und das psychosoziale Wohlbefinden der Betroffenen. Das Ausmaß und die Intensität der Beeinträchtigung im Kontext zu anderen körperlichen Gebrechen sind jedoch weitgehend unbekannt.
Fragestellung
Die vorliegende Untersuchung untersucht die Prävalenz von Sehstörungen und ihre Assoziation mit psychosozialen Faktoren. Weiterhin wird die Rolle von Sehstörungen im Kontext mit anderen chronischen Gesundheitsproblemen analysiert.
Methode
Der Deutsche Alterssurvey (DEAS) ist eine repräsentative Quer- und Längsschnittbefragung unter Personen im Lebensalter ≥ 40 Jahren in Deutschland, die seit 1996 regelmäßig soziale, sozioökonomische und gesundheitsbezogene Faktoren erfasst. Für die vorliegende Untersuchung wurden Querschnittsdaten von insgesamt 5.462 Personen aus der fünften Welle des DEAS berücksichtigt, die 2014 erhoben wurden. Darin wurden visuelle Probleme beim Lesen von Zeitungen sowie beim Erkennen von Menschen in jeweils drei verschiedenen Schweregraden erfasst. Diese Sehstörungen wurden mit psychosozialen Faktoren (Lebenszufriedenheit, positiver und negativer Affekt, Optimismus, depressive Symptome, soziale Isolation) korreliert und in einer linearen Regressionsanalyse mit verschiedenen anderen chronischen Gesundheitsproblemen (Erkrankungen von Herz-/Kreislauf, Durchblutung, Atemwegen, Krebs, Diabetes, Magen-Darm-Erkrankungen) verglichen.
Ergebnisse
Insgesamt gaben 19,1 Prozent der Befragten Sehstörungen beim Lesen von Zeitungen und 8,3 Prozent beim Erkennen von Menschen an. Größere Schwierigkeiten nannten dabei 2,3 Prozent für das Lesen und 1,2 Prozent für das Erkennen von Menschen. Für jeweils 0,3 Prozent war Lesen oder Erkennen nicht möglich. Für beide Bereiche der Sehbeeinträchtigung ergab sich eine enge Assoziation mit psychosozialen Faktoren, die sich für Seheinschränkungen konsistenter darstellte als im Vergleich mit allen anderen Gesundheitsproblemen.
Diskussion
Sehbeeinträchtigungen sind in der älteren Bevölkerung weit verbreitet und weisen eine enge Verbindung mit psychosozialen Faktoren auf. Möglicherweise ist die Korrelation des visuellen und des psychosozialen Wohlbefindens sogar enger als in anderen Gesundheitsbereichen.
Praktische Implikationen
Augenerkrankungen und Einschränkungen des visuellen Sinnes haben weitreichende psychosoziale Implikationen. Die Rolle des Sinnesorgans Auge sollte daher weit mehr im Kontext psychosozialer Gesundheit betrachtet werden. Eine engere Zusammenarbeit zwischen augenärztlicher und psychosozialer Betreuung der Betroffenen wäre wünschenswert.
Hintergrund: Suizidprävention im Jugendalter stellt eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung dar. In den letzten Jahren wurden einige schulbasierte edukative Präventionsprogramme erfolgreich im Sinne der Prävention von Suizidgedanken und/oder -versuchen evaluiert. Außerhalb von Forschungsbemühungen werden diese Programme jedoch zu wenig eingesetzt, möglicherweise aufgrund aufwendiger Trainerschulungen oder zeitlich zu umfangreicher Module, die im Unterrichtsgeschehen nur begrenzt umsetzbar sind. Sie werden jedoch dringend benötigt, um einen gesellschaftlichen Diskurs und die Implementation von Suizidpräventionsmaßnahmen voranzutreiben.
Fragestellung: Wie sollten schulbasierte Präventionsprogramme – hier am Beispiel von Suizidalität unter Jugendlichen- gestaltet sein, im Hinblick auf ihre Umsetzbarkeit, Wirksamkeit und Akzeptanz?
Methode: Anhand theoretischer Überlegungen, der Sichtung evidenzbasierter Programme sowie einer Expertenbefragung wurde ein edukatives Suizidpräventionsprogramm für Jugendliche erstellt. Das Programm umfasst zwei Blöcke zu je 90 Minuten und beschreibt Merkmale von seelischem Stress, psychischen Beschwerden bis hin zu suizidalen Krisen und fokussiert auf den Abbau von Barrieren für die Inanspruchnahme regional verfügbarer Hilfsangebote. In einer randomisierten Warte-Kontroll-Studie mit einer repräsentativen Stichprobe 12 bis 18 jähriger Dresdner SchülerInnen (N=950) soll das Programm beginnend im Frühjahr 2019 evaluiert werden. Gemessen werden die Effekte des Programms auf psychische Gesundheitskompetenz, Stigmatisierung und Inanspruchnahme von Hilfen sowie zur Häufigkeit suizidaler Gedanken und Verhalten jeweils prä, post und zum 6-Monats-Follow-up. Das Vorhaben ist Teil der Arbeit des Netzwerkes für Suizidprävention in Dresden (NeSuD).
Ergebnisse: Noch vor Beginn der Erhebung wurden Bedenken und Vorgaben der assoziierten Ministerien erfragt, um die Umsetzung des Vorhabens zu bahnen. Zugleich führten erste Ankündigungen zum Vorhaben im Rahmen der NeSuD-Öffentlichkeitsarbeit zu wiederholten Anfragen von Schulen mit zahlreichen Präventionsbedarfen aufseiten der SchülerInnen und LehrerInnen.
Diskussion: Die Ergebnisse sollen ein besseres Verständnis der Barrieren, Gelingensfaktoren und bestenfalls Mechanismen von Suizidpräventionsprogrammen im Jugendalter ermöglichen. Sollte sich das Programm als förderlich für die Gesundheitskompetenz und Inanspruchnahme erweisen, wird die Verstetigung und damit Dissemination und Implementation an Schulen in Sachsen angestrebt.
Praktische Implikationen: Die Vorbereitungen, Durchführung und Ergebnisse können und sollten auch im Austausch mit ähnlichen Projekten stehen, um Ressourcen und Schnittstellen zu identifizieren und das Thema Suizidprävention bei Jugendlichen in der Öffentlichkeit angemessen zu platzieren.
Hintergrund: Das Vorhaben ist Teil eines Forschungsverbunds für gesunde Kommunen. Es wird gefördert durch das BMBF und widmet sich seit 2015 der partizipativen Gesundheitsforschung. In der aktuellen Förderphase (03/2018 - 02/2021) geht das Projekt der Frage nach, wie Jugendliche an der Angebotsentwicklung in der offenen Kinder- und Jugendarbeit im Sinne des Stufenmodells der Partizipation in der Gesundheitsförderung beteiligt werden können. Ziel ist die Befähigung der Jugendlichen, selbst bedarfsgerecht Angebote zu entwickeln sowie diese hinsichtlich ihres Erfolgs zu bewerten. Hierfür bestehen Kooperationen mit kommunalen Verantwortlichen sowie in kommunaler Trägerschaft befindlichen Jugendtreffs in drei soziostrukturell unterschiedlichen Stadtteilen.
Fragestellung: Das Forschungsvorhaben untersucht die vertiefende Identifizierung von Faktoren, die den Übergang der von Armutsfolgen betroffenen Jugendlichen im Rahmen integrierter kommunaler Strategien erleichtern. Darüber hinaus wird die Gestaltung und Evaluation bedarfsgerechter Angebote durch die Jugendlichen untersucht sowie die Feststellung der Eignung verschiedener partizipativer Forschungsmethoden für die Befähigung Jugendlicher, ihre eigenen Lebensbelange zu erforschen und zu gestalten. Es werden Erkenntnisse über die Erprobung verschiedener Methoden für die Dissemination der Ergebnisse erwartet.
Methode:
a) Partizipative Angebotsentwicklung: Die Einbindung der Jugendlichen in die Angebotsentwicklung entspringt deren Forderung nach „autonomen Räumen“, die im Rahmen der Jugendkonferenz (2017) aufgenommen wurde. Für das partizipative Forschungsvorhaben wurden von den Kooperationspartnern der städtischen Verwaltung drei Einrichtungen benannt. In drei Fallstudien wird das partizipative Vorhaben in Zusammenarbeit mit den Wissenschaftler*innen, den Mitarbeiter*innen der Jugendeinrichtung und den Jugendlichen durchgeführt. Für die Analyse der Ausgangssituation finden in den drei Jugendtreffs Begehungen und eine Fragebogenerhebung statt, um u. a. bereits bestehende partizipative Strukturen in den Einrichtungen zu erfassen. In den Jugendtreffs werden nun „autonome Öffnungen“ durchgeführt, welches das selbstständige Öffnen und Betreiben des Jugendtreffs durch die Jugendlichen bedeutet.
Die Mitwirkung bei der Angebotsentwicklung dient dem übergeordneten Ziel der Befähigung der Jugendlichen. Dies wird durch die gezielte Schaffung von Situationen erlangt, in denen Selbstwirksamkeitserfahrungen stattfinden, die anschließend partizipativ evaluiert werden (s. u.). Im Wirkungsmodell des Forschungsvorhabens sind Indikatoren benannt, die für diese Zielerreichung stehen.
b) Partizipative Evaluation (der partizipativen Angebotsentwicklung): Im Projektteil der Evaluation werden den Jugendlichen und den Mitarbeiter*innen der Jugendtreffs Evaluationsmethoden durch die Wissenschaftler*innen vorgestellt. Dazu gehören z. B. medienbasierte Herangehensweisen oder Gesprächsmethoden. Es findet je eine gemeinsame Entscheidung vor Ort für eine Methode statt.
Datenauswertung: Die gesammelten Daten umfassen die Reflexionsergebnisse der drei Einrichtungen zu jedem einzelnen Messzeitpunkt. Die Evaluation dieser Daten wird begleitend durchgeführt und vor Projektende final erörtert. Weiterhin findet eine Analyse der benannten Indikatoren des Wirkungsmodells statt.
Ergebnisse: Die Ergebnisse der Erhebung der Partizipationsstrukturen in den Jugendtreffs (Fragebogenerhebung) liegen bereits vor. Im August 2019 werden erste Ergebnisse der partizipativen Evaluation mit den Jugendlichen der einzelnen Jugendtreffs erwartet.
Diskussion: Es wird angenommen, dass die Jugendlichen lernen, ihre eigenen Interessen einzubringen und eine erhöhte Selbstwirksamkeitserwartung zu erlangen, wie sich auch in der ersten Förderphase zeigte. Zugleich entwickeln sie ein Verantwortungsgefühl für die Gestaltung der Angebote und diesbezügliche Kompetenzen (Umgang mit Budget, Macht, etc.). Die partizipativen Evaluationsmethoden wirken reflexionsfördernd für die Jugendlichen. Langfristig führt dieser Prozess zu selbstbestimmten Entscheidungsfindungen, die der persönlichen Zukunftsperspektiven zuträglich sind. Die Eignung der partizipativen Methoden für die Befähigung der Jugendlichen zu mehr Verantwortung wird reflektiert und die systemischen Wirkungen des partizipativen Vorgehens wird auf Ebene der Verantwortungsträger diskutiert.
Praktische Implikationen: Interesse an den resultierenden Praxisempfehlungen besteht seitens der städtischen Entscheidungsträger, des Netzwerkes gegen Kinderarmut und der darin vertretenen Organisationen. Herausgestellte Gelingensfaktoren und Herausforderungen werden, z. B. in Form eines Handlungsleitfadens, weitergegeben und in künftigen Entscheidungen berücksichtigt.
„Wissenschaftliches Erkenntnisinteresse besteht seitens des Forschungsverbundes hinsichtlich der Anwendung partizipativer Methoden in der Praxis sowie deren Weiterentwicklung seitens des Forschungsverbundes.“
Hintergrund
Eine Vielzahl von Studien zum Impfstatus bei medizinischem Fachpersonal basiert auf selbstberichteten Angaben. Diese sind zwar im Vergleich zu Serumbestimmungen oder Impfpassanalysen einfacher zu erheben, jedoch sind methodische Limitierungen durch z.B. Recallbias oder Antwortverhalten gemäß sozialer Erwünschtheit anzunehmen.
Fragestellung
Wie zuverlässig sind selbstberichtete Angaben von Medizinstudierenden zum eigenen Impfstatus?
Methoden
Im Rahmen der allgemeinmedizinischen Seminarreihe an einer deutschen medizinischen Fakultät wurde ein zweiseitiger pseudonymisierter Fragebogen zu Impfstatus und soziodemografischen Merkmalen ohne (T1) und 1 Woche später mit Impfpass (T2) von den Seminarteilnehmern freiwillig ausgefüllt. Es erfolgte der statistische Vergleich der beiden Untersuchungszeitpunkte hinsichtlich Übereinstimmungen/Nichtübereinstimmungen der Angaben. Die Nichtübereinstimmungen wurden auf Unter- und Überschätzungen analysiert.
Ergebnisse
Von 299 in das Seminar Allgemeinmedizin eingeschriebenen Medizinstudierenden, konnten 153 (51,2%) in die Analyse einbezogen werden (vollständige Angaben für T1 und T2, Impfpass bei T2, Pseudonymisierungscode eindeutig zuordenbar). Durchimpfungsraten waren für Mumps, Masern, Röteln (MMR: ≥ 95%) am höchsten, für Hepatitis A und B (HA, HB: 78-79%) und Influenza (24%) am niedrigsten. Die höchsten Übereinstimmungen der Angaben ohne und mit Impfpass ergaben sich mit 92-94% für MMR, die niedrigsten mit 73-77% für Poliomyelitis, Pertussis und HB. HA und Influenza ausgenommen, waren die Angaben eher von Unterschätzungen des eigenen Impfstatus‘ geprägt. Das betraf insbesondere Tetanus, Poliomyelitis, Pertussis und Diphtherie (TPDD), wo 6-14% der Studierenden ihren Impfstatus unterschätzten. Trotz Impfpass gab es Medizinstudierende, die ihren Impfstatus nicht angeben konnten: 5% für HA und 4% für Röteln.
Diskussion
Die Zuverlässigkeit des selbstberichteten Impfstatus variierte je nach Impfindikation. Die zuverlässigste Angabe ergab sich für die Impfindikation Masern. Spätestens seit Bekanntgabe des Nichterreichens des WHO-Ziels der Masern-Eradikation wird die Masernimpfung regelmäßig in der allgemeinen und wissenschaftlichen Öffentlichkeit thematisiert. Dies könnte - auch bei Medizinstudierenden - das Bewusstsein für die Masernerkrankung und den eigenen Impfstatus erhöht haben. Bezüglich der Impfangaben zu den sog. Kinderkrankheiten neigen einige Medizinstudierende eher zu einer Unterschätzung, d.h. ein etwas besserer Impfstatus kann bei selbstberichteten Impfangaben für die Gesamtgruppe angenommen werden. Dass trotz Nutzung des Impfpasses einige Studierende ihren Impfstatus mit „weiß nicht“ bewerteten, verweist auf möglicherweise unregelmäßig oder unvollständig geführte Impfpässe oder Probleme in der Interpretierbarkeit.
Praktische Implikationen
Selbstberichtete Angaben sind indikationsbezogen mehr (MMR) oder weniger (HA, HB, Influenza) zuverlässig. Durchimpfungsraten sind auch bei der Gruppe der Medizinstudierenden nicht optimal. Die Zuhilfenahme des Impfpass verbessert die Zuverlässigkeit der Daten, dennoch bleiben auch mit dieser Methode Unsicherheiten.
Hintergrund: Ende 2016 lebten in Deutschland ca. 88.000 Menschen mit HIV oder AIDS (RKI 2017). Eine frühzeitige Diagnose und das Angebot eines entsprechend frühen Therapiebeginns können zu einer Kontrolle der HIV-Infektion mit supprimierter Viruslast, guter Rekonstitution des Immunsystems und damit verbunden geringer Morbidität sowie einem geringen Einfluss auf den Alltag der Betroffenen führen. Trotz eines gestiegenen Wissens um HIV/AIDS und guter therapeutischer Optionen wird ein relevanter Anteil von HIV-Infektionen weiterhin erst sehr spät diagnostiziert (mit einer CD4-Zellzahl von < 350/µl und/oder einer vorliegenden AIDS-definierende Erkrankung). Europäische Schätzungen liegen hier bei knapp unter 50 %. Diese Betroffenen werden als „Late Presenter“ (LP) bezeichnet. Die späte Diagnose bedingt eine erhöhte Morbidität bis hin zu Todesfällen aufgrund von HIV/AIDS sowie ein erhöhtes Risiko der Transmission auf weitere Partner (BmG 2016, Cohen 2012).
Fragestellung: Ziele von FindHIV sind die Entwicklung eines Scores/Fragenkatalogs zur Frühdiagnose der HIV-Infektion und die Erarbeitung von Handlungsempfehlungen zum Einsatz des Scores/Fragekatalogs im klinischen Alltag zur Verringerung der Anzahl von LP.
Methode: Mittels einer standardisierten, arztgestützten Befragung von 800 Patienten mit HIV-Neudiagnose sollen patientenseitige Charakteristika, die potentiell zu einer Verzögerung der Diagnose einer HIV-Infektion führen, identifiziert werden. Darüber hinaus werden die typischen Symptome/Diagnosen, mit denen Menschen mit HIV-Infektion noch vor Diagnosestellung im Gesundheitssystem vorstellig werden, und die entsprechenden Stellen im Gesundheitssystem, an denen diese Kontakte stattfinden, erhoben. Anhand der gewonnenen Primärdaten werden Indikatoren für Late Presentation evaluiert und unter Einbeziehung von Fokusgruppengesprächen und einer systematischen Literaturrecherche ein Scoring-System/Fragebogen zur Diagnoseunterstützung entwickelt sowie Handlungsempfehlungen zu dessen Einsatz formuliert.
Ergebnisse: Die Patientenbefragung wird Informationen darüber liefern, hinsichtlich welcher Charakteristika sich LP von anderen Patienten mit HIV-Neudiagnose unterscheiden und an welchen Stellen im Gesundheitswesen Chancen bestehen, die HIV-Infektion früher zu diagnostizieren. Fokusgruppengespräche und eine systematische Literaturrecherche werden die gewonnenen Primärdaten ergänzen.
Diskussion: Die hohe Anzahl von LP weißt auf patientenseitige sowie strukturelle Gegebenheiten hin, die zu einer Verzögerung der HIV-Diagnose führen. Die FindHIV-Studie ist geeignet, diese Problematik näher zu beschreiben und in Teilen aufzulösen.
praktische Implikationen: Aufgrund der obengenannten Punkte kann die FindHIV-Studie einen erheblichen Beitrag zu einer besseren Versorgung von HIV-Infizierten leisten. Dabei schützt die frühere Diagnose nicht nur die Gesundheit der betroffenen Patienten. Zudem wird erwartet, dass die Rate an Neuinfektionen gesenkt wird.
Robert-Koch-Institut (RKI) (2017): Epidemiologisches Bulletin 47/2017.
Bundesministerium für Gesundheit (BmG) (2016): Kabinett beschließt Strategie zur Eindämmung von HIV, Hepatitis B und C sowie anderer sexuell übertragbarer Infektionen. Berlin.
Cohen MA, McCauley M, Gamble TR (2012): HIV treatment as prevention and HPTN 052. Current opinion in HIV and AIDS 7(2), 99–105.
Hintergrund
„Schluckimpfung ist süß – Kinderlähmung ist grausam.“ Dieser aus den 60er Jahren stammende Slogan ist nach erfolgreicher Einführung vieler Impfstoffe und der weitgehenden Eindämmung von Infektionskrankheiten schon fast in Vergessenheit geraten wie auch das Wissen um die unmittelbaren Folgen von durch Impfung vermeidbarer Krankheiten. Die professionelle Impfberatung und das Wissen um den Nutzen und die Risiken von Impfungen sind daher zentrale Determinanten des Impfverhaltens und der Prävention von durch Impfung vermeidbaren Krankheiten. In dieser Studie untersuchten wir die professionelle Impfberatung und die perzipierte Informiertheit über Risiken und Nutzen von Impfung als Determinanten des Impfverhaltens gegen saisonale Grippe, Keuchhusten und Tetanus.
Methode
Die Analysen basierten auf den Daten der Studie „Gesundheit in Deutschland aktuell“ aus dem Jahr 2012 (n= 17.604). Die zentralen Erklärungsvariablen der professionellen Impfberatung (nein/ja), der Informiertheit über Risiken (nein/ja) und Nutzen (nein/ja) von Impfungen wurden schrittweise in logistische Regressionsmodelle zum Impfverhalten gegen saisonalen Grippe, Keuchhusten und Tetanus wie folgt eingeführt: M1) Bivariat, M2) unter Kontrolle soziodemografischer Faktoren, M3) unter Kontrolle gesundheitsbezogener Faktoren und M4) unter gegenseitiger Kontrolle der zentralen Erklärungsvariablen.
Ergebnisse
Die professionelle Impfberatung sowie die Informiertheit über Risiken und Nutzen von Impfungen waren signifikant mit dem Impfverhalten gegen saisonale Grippe, Keuchhusten und Tetanus assoziiert (Modelle 1-3). Auch bei gegenseitiger Kontrolle der zentralen Erklärungsvariablen (M4) waren die Faktoren zur Informiertheit signifikant mit dem Impfverhalten gegen Keuchhusten und Tetanus assoziiert, wobei die professionelle Impfberatung die stärkste Assoziation bei allen Impfoutcomes zeigte und einen Großteil der Assoziation zwischen Informiertheit und Impfverhalten empirisch erklären konnte. Alle Assoziationen unterschieden sich nur geringfügig nach Alter und Geschlecht.
Fazit
Die vorliegenden Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung der professionellen Impfberatung zum Impfstatus und der Informiertheit über Nutzen und Risiken von Impfungen. Die von der professionellen Impfberatung unabhängige Assoziation zwischen Informiertheit und Impfungen gegen Keuchhusten und Tetanus weist überdies darauf hin, dass die Aufklärung gegenüber Impfungen nicht ausschließlich über professionelle Kanäle erfolgt. Eine Stärkung dieser nicht-professionellen Kanäle (bspw. mediale Verbreitung) scheint auf Basis der vorliegenden Ergebnisse daher zweckmäßig, um die allgemeine Impfquote zu steigern.
Hintergrund: Patienten nach Organtransplantation sind aufgrund ihrer lebenslangen Immunsuppression als infektionsgefährdete Risikopatienten in der zahnärztlichen Praxis anzusehen. Bisher ist allerdings wenig über Mundgesundheitsverhalten sowie dentale und parodontale Situation Organtransplantierter in Deutschland bekannt. Weiterhin ist unklar, inwiefern aktuell eine ausreichende zahnärztliche Versorgung dieser Patienten erfolgt bzw. sichergestellt ist.
Fragestellung: Ziel der vorliegenden Studien war die komplexe Erfassung der Mundgesundheitssituation von Patienten vor als auch nach Organtransplantation. Darüber hinaus sollten Assoziationen zu Zeit nach Transplantation und immunsuppressiver Medikation sowie zusätzliche Zusammenhänge zu potenziell parodontalpathogenen Bakterien evaluiert werden.
Methode: Im Rahmen von verschiedenen klinischen Querschnittsstudien wurden Patienten vor und nach Lebertransplantation (vor: 35, nach:75) sowie Lungentransplantierte (n=75) hinsichtlich ihrer Mundgesundheit und ihrem zahnärztlichen Verhalten untersucht.
Auf Grundlage dieser Ergebnisse sollte nun in einer weiteren Untersuchung die Versorgungssituation von Organtransplantierten tiefgründiger evaluiert werden. Vor dem Hintergrund der Forderung einer frühzeitigen zahnärztlichen Sanierung vor und suffizienter Nachsorge nach Transplantation war hierbei insbesondere die Zeit nach Transplantation im Fokus der Auswertung. Hierfür konnten insgesamt 169 Organtransplantierte eingeschlossen und entsprechend der Zeit nach Transplantation in folgende Subgruppen eingeteilt werden: 0-1 Jahr (n=21), 1-3 Jahre (n=39), 3-6Jahre (n=34), 6-10 Jahre (n=39) und < 10 Jahre (n=36). Auch diese Patienten wurden hinsichtlich ihrer Mundgesundheit untersucht.
Weiterhin wurde der Einfluss von Form und Dauer der Immunsuppression auf die Prävalenz ausgewählter parodontalpathogener Bakterien und die parodontale Situation bei insgesamt 169 Patienten nach Organtransplantation evaluiert.
Ergebnisse: Für die Patienten vor und nach Lebertransplantation sowie Lungentransplantierte zeigte sich die Prävalenz moderater bis schwerer Parodontitis im Vergleich zur allgemeingesunden Bevölkerung erhöht. Zudem war das Mundgesundheitsverhalten insgesamt unzureichend, speziell in Bezug auf Interdentalraumreinigung. Die Patienten nach Lebertransplantation wiesen zudem eine hohe Prävalenz von Candida albicans, gefolgt von Candida glabrata auf. Bei der differenzierten Untersuchung bezüglich der Zeit nach Organtransplantation zeigte sich, dass sowohl der parodontale (67-79%) als auch der gesamte zahnärztliche Behandlungsbedarf (72-97%) unabhängig von der Zeit nach Organtransplantation kontinuierlich sehr hoch war. Weiterhin waren Form und Dauer der Immunsuppression mit klinischen und mikrobiologischen Parodontalbefunden assoziiert, insbesondere bei Cyclosporin-A-Medikation.
Diskussion: Aus den Ergebnissen dieser Arbeit lassen sich insgesamt verschiedene Schlussfolgerungen ziehen: Einerseits muss die Versorgungssituation organtransplantierter Patienten zwingend verbessert werden; dabei scheinen die Erstellung verbindlicher Leitlinien als auch die Bildung interdisziplinärer Kompetenzteams aus Fach- und Zahnärzten wesentliche Ansatzpunkte. Hierfür müssen spezifische Versorgungskonzepte erarbeitet und in prospektiven Interventionsstudien validiert werden. Weiterhin scheinen sich aufgrund der Immunsuppression Unterschiede in der Zusammensetzung des parodontalpathogenen Biofilms zu ergeben, deren klinische Konsequenz aktuell noch nicht abgeschätzt werden kann. Zusätzlich resultiert aus der hohen Prävalenz von Candida-Spezies die mögliche Notwendigkeit eines regelmäßigen Pilz-Screenings für Organtransplantierte. Darüber hinaus bedürfen Patienten unter Cyclosporinmedikation besonderer parodontologischer Aufmerksamkeit und Betreuung.
Praktische Implikationen: Die Erstellung und Umsetzung verbindlicher Leitlinien zur zahnärztlichen Betreuung von Patienten vor und nach Organtransplantation scheint erforderlich um eine Verbesserung der aktuellen Versorgungssituation zu erzielen. Hierbei müssen verschiedene Spezifika dieser heterogenen Patientengruppe, insbesondere der Einfluss der immunsuppressiven Medikation berücksichtigt werden.
Hintergrund: Die ultraviolette (UV-)Strahlung der Sonne gilt als Hauptrisikofaktor für die Entstehung des Keratozytenkarzinoms (KC). Personen in Außenberufen, die bis zu 40 Wochenstunden der solaren UV-Strahlung ausgesetzt sind, haben daher ein deutlich erhöhtes Erkrankungsrisiko. Zum Schutz der eigenen Gesundheit ist der adäquate Gebrauch von Primärpräventionsmaßnahmen wie Sonnencreme oder Sonnenhut am Arbeitsplatz essential. Trotz der zahlreichen Bemühungen bezüglich Sonnenschutz in den vergangenen Jahren, zeigen Arbeiter in Außenberufen kein adäquates Schutzverhalten. Demnach war es Ziel der vorliegenden Studie, das Sonnenschutzverhalten von Dachdeckern zu verstehen.
Methode: Die bayerischen Dachdecker wurden telefonisch über den Landesinnungsverband Bayrisches Dachdeckerhandwerk rekrutiert. Um mögliche altersspezifische Unterschiede erfassen zu können, wurden männliche Dachdecker aus den Altersgruppen 18-30 Jahre und 50-65 Jahre eingeschlossen. Zwischen Dezember 2017 und Februar 2018 wurden leitfadengestützte Interviews bei den Dachdeckern zu Hause oder am Arbeitsplatz durch einen erfahren Interviewer geführt. Während der Interviews waren keine weiteren Personen anwesend. Die Interviews wurden mit dem schriftlichen Einverständnis der Teilnehmer aufgezeichnet und schließlich wörtlich transkribiert. Angeschlossen an die Interviews wurden vom Interviewer Notizen zum Feldzugang niedergeschrieben. Zur Auswertung des Datenmaterials diente die Methode der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring. Die Datenanalyse wurde mit der Software Atlas.ti Version 8 durchgeführt.
Ergebnisse: In die Studie konnten zehn Dachdecker, je fünf pro Altersgruppe, eingeschlossen werden. Allgemein konnten zwischen den beiden Altersgruppen keine Unterschiede herausgearbeitet werden. Jedoch berichteten Berufsanfänger ( als 3 Jahre Berufserfahrung) ein schlechteres Sonnenschutzverhalten als Kollegen mit einer mehrjährigen Berufserfahrung. Wesentlichen Einfluss auf diesen Unterschied scheint das am Arbeitsplatz erfahrene Bewusstsein für Sonnenschutz zu haben. Die Teilnehmer äußerten sich zu Abläufen oder Vorgehensweisen, die während der Sommermonate geändert werden (z.B. früherer Arbeitsbeginn). Auch wenn diese Anpassungen überwiegend bedingt durch die Hitze und weniger zur Reduktion der UV-Exposition vorgenommen wurden, dienten sie dem Sonnenschutz. Die unmittelbare Verfügbarkeit von Primärpräventionsmaßnahmen wie Sonnencreme am Arbeitsplatz sowie wiederkehrende direkte Kommunikation und der Informationsaustausch über Sonnenschutz unter den Kollegen wurden als Faktoren identifiziert, die die Einstellung der Dachdecker in Bezug auf den Nutzen von Sonnenschutz beeinflussten und sie wachsamer für sicheres Verhalten machte.
Diskussion: Die Ergebnisse der vorliegende Studie deuten darauf hin, dass das Sonnschutzverhalten von Dachdeckern erheblich vom Ausmaß des erfahrenen Bewusstseins für Sonnenschutz am Arbeitsplatz abzuhängen scheint. Trotz möglicher Limitationen durch Selektions- und Response-Bias werden die vorliegenden Erkenntnisse von früheren Studien, die von Unterstützung für Schutzverhalten am Arbeitsplatz berichteten [1], [2], [3], gestützt. Demnach dürfte das, im Vergleich zu den erfahrenen Kollegen, schlechtere Sonnenschutzverhalten der Berufsanfänger in dieser Studie aus einer fehlenden Unterstützung bzw. mangelnden Bewusstseinserfahrung am Arbeitsplatz resultieren. Zudem berichtete Schilling et al. (2018) [3] insgesamt von einem großen Anteil an im Außenberuf tätige Personen in Deutschland, die (nahezu) keine Unterstützung für Sonnenschutz am Arbeitsplatz erfahren. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Außenberufsgruppen in Deutschland insgesamt kein adäquates Schutzverhalten aufweisen.
praktische Implikationen: Die vorliegende Studie macht die Notwendigkeit von am Arbeitsplatz erfahrenem Sonnenschutzbewusstsein durch Faktoren wie unmittelbare Verfügbarkeit von Primärpräventionsmaßnahmen oder Informationsaustausch deutlich. Deshalb sollten zukünftige Präventionskampagnen und Schulungsprogramme besonders der Unterstützung für Sonnenschutz am Arbeitsplatz dienen. Dadurch sollten insbesondere Berufsanfänger auf das Thema Sonnenschutz sensibilisiert werden, damit diese schnellstmöglich adäquates Sonnenschutzverhalten ausüben.
[1] Bauer A, Rönsch H, Hault K, Püschel A, Knuschke P, Beissert S. Sun exposure: perceptions and behaviours in outdoor workers. Br J Dermatol. 2014; 171(6):1570-2.
[2] Janda M, Stoneham M, Youl P, Crane P, Sendall MC, Tenkate T, Kimlin M. What encourages sun protection among outdoor workers from four industries? J Occup Health. 2014; 56(1):62-72.
[3] Schilling L, Schneider S, Görig T, Spengler M, Greinert R, Breitbart EW, Diehl K. „Lost in the sun“ – The key role of perceived workplace support for sun-protective behavior in outdoor workers. Am J Ind Med. 2018; 61(11):929-38.
Hintergrund: TRF wurde im Tierversuch schon ausführlich erforscht. Beim Menschen muss nun untersucht werden, ob diese spezielle Ernährungsform praktikabel ist und zu ähnlich positiven metabolischen Änderungen führt. Erste Untersuchungen wurden dazu bereits in den USA durchgeführt, mit positiven Ergebnissen und ohne das Auftreten von - zumindest kurzfristig feststellbaren - unerwünschten Nebeneffekten. TRF hat das Potenzial, als einfach durchzuführende und leicht verständliche Lebensstiländerung, der epidemischen Ausbreitung von nicht-übertragbaren Krankheiten auf dem Boden lebensstilinduzierter metabolischer Störungen entgegenzuwirken.
Fragestellung: Die vorliegende explorative Pilotstudie im Pre-Post Design soll die Durchführbarkeit, Adhärenz der Probanden und weitere methodisch relevante Fragen von TRF testen. Außerdem soll untersucht werden, ob sich Interventionseffekte in Form von Pre-Post Differenzen in den metabolischen Parametern feststellen lassen, diese Daten werden für Fallzahlberechnungen weiterführender Studien benötigt.
Methode: Mit Hilfe des betrieblichen Gesundheitsmanagements der Universität Ulm wurden 63 Mitarbeiter der Universität und des Klinikums rekrutiert. Diese führten nach einer kurzen Einweisung das TRF durch, d.h. sie begrenzten ihre Nahrungsaufnahme über einen Zeitraum von drei Monaten auf 8-9 Stunden täglich. TRF erlaubt eine ad libitum Nahrungsaufnahme innerhalb der festgelegten Zeit.
Zwei Teilnehmer brachen die Studie wegen Krankheit ab, zwei Teilnehmer beendeten während der Laufzeit das TRF, führten aber die Tagebücher weiter und nahmen an der Abschlussuntersuchung teil.
Vor Beginn des TRF wurden anthropometrische Maße und per Fragebogen Daten des individuellen Lebensstils erfasst, sowie eine Blutuntersuchung durchgeführt. Während der Intervention protokollierten die Probanden in einem Tagebuch den Zeitraum der Nahrungsaufnahme und die Schlafqualität. Am Ende der Intervention wurde eine Abschlussuntersuchung durchgeführt, bei der noch einmal dieselben Parameter wie zu Beginn erhoben wurden.
Pre-Post Differenzen wurden mit dem Wilcoxon-Rangsummentest für verbundene Stichproben untersucht.
Ergebnisse: Die Teilnehmer waren 47,8±10,5 Jahre alt. Der Anteil der Frauen war signifikant höher, als der der Männer (54 vs. 9). Der durchschnittliche Zeitraum der Nahrungsaufnahme vor Beginn der Intervention lag bei 12,4±1,9 Stunden pro Tag. Übergewichtig waren 32%, adipös 18% und abdominal adipös 57% der Teilnehmer. Erhöhte Gesamtcholesterinwerte lagen bei 67% der Teilnehmer vor, der LDL/HDL Quotient lag bei 14% der Teilnehmer über dem Grenzwert. Nach drei Monaten TRF hatten die Teilnehmer im Durchschnitt 1,3±2,3 kg Gewicht und 1,7±3,2 cm Bauchumfang verloren (p < 0,001). Der Gesamtcholesterinwert stieg im Mittel um 0,34±0,51 mmol/l an (p < 0,001) an. Für HDL, LDL, Triglyceride sowie den Quotienten aus LDL/HDL ergaben sich keine signifikanten Veränderungen.
Diskussion: Aus medizinischer Sicht sind die statistisch signifikanten Veränderungen der Anthropometrie sowie des Gesamtcholesterins nur marginal. Der leichte Anstieg des Gesamtcholesterins widerspricht den Untersuchungen an Tieren und den wenigen bisher durchgeführten Untersuchungen an Menschen. Ein Grund dafür könnte sein, dass keinerlei Vorgaben bezüglich der Ernährungsweise gemacht wurden. Bei der Abschlussuntersuchung gaben viele Probanden an, während der Essensphase mehr als üblich gegessen zu haben, aus Angst vor Hunger in der Fastenphase. Diese Überkompensation könnte zu den Ergebnissen beigetragen haben.
Der sehr kurze Zeitraum der Rekrutierung lässt sich auf das große Interesse der Bevölkerung an Intervallfasten zurückführen, das sich auch in den Medien zeigt. Allerdings scheint die Einschränkung des Zeitraums der Nahrungsaufnahme mit einer ad libitum Nahrungszufuhr nicht zielführend zu sein. Für eine weiterführende Studie in der Hausarztpraxis werden daher genauere Vorgaben hinsichtlich der Ernährung geplant.
Aus chronobiologischer Sicht ist eine Einschränkung des Zeitraums der Nahrungsaufnahme sehr sinnvoll, da sie dem Körper mehr Zeit für Regeneration und Reparatur bietet. Auch die circadiane Rhythmik des Metabolismus ist auf einen besser angepassten Zeitraum der Nahrungsaufnahme angewiesen, um metabolische Störungen zu verhindern. Forschungen an Schichtarbeitern bestätigen diese Annahmen.
Intervallfasten, besonders der verlängerte Zeitraum der nächtlichen Fastenphase, hat aufgrund der einfachen Durchführbarkeit großes Potenzial als Lebensstiländerung vielen nicht-übertragbaren Krankheiten präventiv entgegenzuwirken oder bereits bestehende metabolische Störungen zu bessern. Daher ist eine intensive Erforschung unbedingt nötig.
Praktische Implikationen: Aufgrund des großen medialen Interesses an Intervallfasten und speziell an TRF soll untersucht werden, wie die Durchführbarkeit am besten gewährleistet werden kann und welche Effekte zu erwarten sind. Eine wissenschaftliche Basis für weiterführende Studien wird bereitet.
Hintergrund
Im Zuge des laufenden Projekts „isPO - integrierte, sektorenübergreifende Psychoonkologie“ wird ein neues Programm zur gestuften psychoonkologischen Versorgung von Menschen mit Krebserstdiagnose entwickelt, implementiert und evaluiert. Primäres Ziel ist es, Ängste und Depressionen im ersten Jahr nach Diagnosestellung zur reduzieren. Die erste Versorgungsstufe des isPO-Programms wird allen teilnehmenden Patient*innen zuteil. Dabei geht es im Wesentlichen um zentrale Informationen, die im Rahmen einer basalen psychosozialen Versorgung ein sogenannter isPO-Onkolotse vermittelt. Es handelt sich dabei um eine von Krebs selbstbetroffene Person, die für ihre Tätigkeit innerhalb von isPO geschult und zertifiziert wird.
Die Rolle des isPO-Onkolotsen besteht darin, „Wegweiser*in“ und „Mutmacher*in“ für die Patient*innen zu sein. Aufgrund eigener Erfahrungen ist er*sie oftmals eher als eine nicht-betroffene Person in der Lage, die Patient*innen-Perspektive einzunehmen und Informationen authentisch zu erläutern. Außerdem werden die isPO-Onkolotsen als Teil des psychoonkologischen Versorgungsteams begriffen.
Im Sinne der Patient*inneninformation besteht die Versorgung durch den isPO-Onkolotsen aus einem Info-Paket „Rund um Krebs“ sowie einem persönlichen Gespräch. Dabei ist explizit festgelegt, dass weder medizinische, psychosoziale oder juristische Ratschläge und Empfehlungen ausgesprochen noch die eigene Krankheitsgeschichte zum Maßstab gemacht werden. Das Info-Paket enthält folgende Bestandteile: Adressen zu wohnortnahen Hilfsangeboten, Informationen zu Leistungsangeboten der Krankenkasse, ausgewählte Broschüren der Krebsgesellschaft NRW und Kontaktadressen zur Krebs-Selbsthilfe und weitergehenden Hilfsangeboten.
Fragestellung
Zur Evaluation der Versorgung durch den isPO-Onkolotsen wird der Frage nachgegangen, inwieweit die von den Patient*innen wahrgenommene Versorgungsqualität einen Einfluss auf die Veränderung ihrer psychischen Belastung (prä-post) hat.
Methode
Als Endpunkt wird die Differenz der Ausprägung von Angst- und Depressionssymptomen der Messzeitpunkte vor Einschreiben in das Versorgungsprogramm (T0) und nach viermonatiger Laufzeit (T1) betrachtet. Gemessen werden diese mithilfe der „Hospital Anxiety and Depression Scale“ (HADS). Die wahrgenommene Qualität der Versorgung durch den isPO-Onkolotsen wird anhand einer schriftlichen Patient*innenbefragung erfasst. Zur statistischen Analyse wird die regression of difference herangezogen. Dabei soll betrachtet werden, inwieweit die wahrgenommene Versorgungsqualität die Varianz der Differenz in den HADS-Werten erklärt.
Ergebnisse
Die Ergebnisse dienen der Bewertung von Qualität und Wirksamkeit der Versorgung durch den isPO-Onkolotsen. Diese erfolgt im Lichte des Forschungsstandes zur informationellen und emotionalen Unterstützung durch eine gleichbetroffene Person (one-to-one peer support) innerhalb der (psycho-)onkologischen Versorgung [1,2].
Diskussion
Interventionen des one-to-one peer support sind international bislang unzureichend untersucht [2], insbesondere deren Wirksamkeit [1]. Somit bietet der Fokus auf die Versorgung durch den isPO-Onkolotsen die Möglichkeit, neue Erkenntnisse zur Selbsthilfeforschung beizutragen.
Praktische Implikationen
Mit der Integration der Selbsthilfe kommt das isPO-Programm der Forderung des Nationalen Krebsplans nach einer „engeren Einbindung der Selbsthilfe in die Versorgung“ nach (siehe Ziel 7) [3]. Außerdem entspricht die Ausgestaltung des isPO-Onkolotsenkonzeptes den Empfehlungen der S3-Leitlinie zur Psychoonkologie [4]. Dies betrifft den Einsatz von Gleichbetroffenen als Gesprächspartner*innen, die Vermittlung von Informationen zum Alltagsleben mit Krebs und zu Angeboten der Krebs-Selbsthilfe, die Qualifizierung von Selbsthilfevertreter*innen und eine Kooperation der psychoonkologischen Fachkräfte mit der Selbsthilfe.
Somit läge im Erfolgsfall mit isPO erstmals ein psychoonkologisches Versorgungsprogramm vor, das die Unterstützung durch eine selbstbetroffene Person als festen und zentralen Baustein vorsieht.
[1] Macvean, A., Coroiu, A., & Korner, A. (2015). One-to-one peer support in cancer care: a review of scholarship published between 2007 and 2014. European Journal of Cancer Care, 24, 299-312.
[2] Meyer, M. L., White, V. M., & Sanson-Fisher, R. (2008). One-to-one volunteer support programs for people with cancer: A review of the literature. Patient Education and Counseling, 70, 10-24.
[3] Bundesministerium für Gesundheit. (2012). Nationaler Krebsplan: Handlungsfelder, Ziele, Umsetzungsempfehlungen und Ergebnisse. Verfügbar unter https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Praevention/Broschueren/Broschuere_Nationaler_Krebsplan.pdf
[4] Leitlinienprogramm Onkologie. (2014). Psychoonkologische Diagnostik, Beratung und Behandlung von erwachsenen Krebspatienten: Langfassung Version 1.1. Verfügbar unter http://leitlinienprogramm-onkologie.de/Leitlinien.7.0.html
Hintergrund:
Die Onkologie ist in Deutschland stark von einer sektorenübergreifenden Versorgung geprägt. Die jüngeren strukturellen Entwicklungen lassen sektorale Grenzen zunehmend verschwimmen. Zusammen mit gesellschaftlichen Entwicklungen und medizinischen Fortschritten verändern sich dadurch die Anforderungen und Ansprüche sowie der Arbeitsalltag ambulant tätiger Hämatologen und Onkologen. Dieser Beitrag greift diese Aspekte auf, wobei auch ein Augenmerk auf die angehenden Mediziner gelegt wird.
Fragestellung:
Wie wirken sich strukturelle, gesellschaftliche und medizinische Veränderungen der ambulanten (onkologischen) Versorgung auf die niedergelassenen Hämatologen und Onkologen aus?
Methode:
Verschiedene Datenquellen, wie die der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (Bundesarztregister, MVZ-Statistik), der Bundesärztekammer (Ärztestatistik), des Berufsverbandes der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen (Mitgliederbefragung, Strukturdatenerhebung) und andere, werden für eine Sekundärdatenanalyse herangezogen und mit Blick auf die Entwicklungen der letzten Jahre deskriptiv und prognostisch ausgewertet.
Ergebnisse:
Innerhalb des ambulanten Sektors ist ein stetiger Rückgang der Anzahl an Einzel- und Gemeinschaftspraxen in den letzten Jahren zu beobachten, während die Anzahl an Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) einen rasanten Anstieg verzeichnet. Diese Entwicklung geht einher mit einem wachsenden Anteil angestellter Hämatologen und Onkologen im ambulanten Sektor. Diese strukturellen sowie parallele gesellschaftliche Entwicklungen (insb. demografischer Wandel, Wertewandel, veränderte Patientenrolle) und medizinische Fortschritte (z.B. komplexere Therapien, Zunahme an Oralia) verändern die Ansprüche und Anforderungen sowie den Arbeitsalltag niedergelassener Hämatologen und Onkologen. Zentrale Merkmale der Auswirkungen, die in diesem Beitrag thematisiert werden, sind unter anderem die zunehmende Komplexität der Versorgung von Krebspatienten, die veränderte Rolle des niedergelassenen Arztes als unternehmerisch selbstständiger Arzt, der Umgang mit Arbeitsbelastung und der Balance zwischen Arbeit und Familie/Freizeit sowie das Wissensmanagement.
Diskussion:
Der Beitrag bietet einen Einblick in die Entwicklung einiger zentraler Merkmale der ambulanten onkologischen Versorgung. Die Auswirkungen dieser Entwicklungen betreffen niedergelassene Hämatologen und Onkologen, aber auch ihre Patienten und deren Versorgung, beispielsweise mit Blick auf die Delegation ärztlicher Leistungen an qualifizierte medizinische Fachangestellte oder die größere Eigenverantwortung der Patienten bei oral verabreichten Chemotherapien.
Praktische Implikationen:
Unterstützende Maßnahmen seitens der Politik, Berufsverbände und auch Wissenschaft müssen ebenso ergriffen werden wie auch Maßnahmen innerhalb der an der onkologischen Versorgung beteiligten Einrichtungen, um den veränderten Bedingungen in der ambulanten Versorgung und den steigenden Ansprüchen an eine forschungsnahe Versorgung in der Fläche gerecht werden zu können.
Hintergrund: Das vorliegende Kommunikationskonzept ist ein longitudinales Kommunikationskonzept für Patienten mit limitierter Prognose (Median < 12 Monate). Es wurde anhand des metastasierten Lungenkarzinoms als Modellerkrankung entwickelt. Als eines der ersten Interventionsmodelle schafft das Konzept eine strukturierte und umfassende Kommunikationslinie für Patienten mit eingeschränkter Prognose und deren spezielle Bedürfnisse. Besonderes Kennzeichen des Konzepts sind die vier strukturierten Gesprächssituationen, die zu definierten Zeitpunkten im Erkrankungsverlauf erfolgen. Darüber hinaus werden diese Gesprächssituationen von einem interprofessionellen Team (Tandem Arzt-Pflege) geleitet. Durch die Einführung des interprofessionellen Teams verändert sich im Besonderen die Rolle der Pflegenden und sie erhalten zudem ein Set von neuen Tätigkeitsbereichen (onkologisches Beratungsteam). Zur näheren Analyse des erweiterten Rollenbilds der Pflege sollen daher die neu entstandenen Arbeitsinhalte und deren zeitlicher Umfang in Bezug auf den Arbeitsalltag untersucht werden.
Fragestellung: Was sind die zentralen Arbeitsinhalte des Onkologischen Beratungsteams? Wie ist die Verteilung der täglichen Arbeitszeit bezogen auf die Arbeitsinhalte im Onkologischen Beratungsteam?
Methode: Zur Exploration dieser Fragen wird eine quantitative Methode gewählt: anhand eines Fragebogens (Tätigkeitsstatistik) wurden im Zeitraum eines Jahres (von Januar 2018 bis Januar 2019) der tägliche Zeitaufwand differenziert nach verschiedenen Aufgabenbereichen von den Pflegekräften des onkologischen Beratungsteams erfasst. Die Auswertung der quantitativen Daten erfolgt mittels der Analysesoftware SPSS und wird in deskriptiver Form anhand von Häufigkeitsverteilungen, deren graphischen Darstellungen und weiteren relevanten Kennwerten abgebildet.
Ergebnisse: Es wird deutlich, dass in Hinsicht auf das neue Tätigkeitsfeld der Pflege der zeitliche Arbeitsschwerpunkt auf die Kommunikation mit dem Patienten fällt. Hierbei kann zwischen verschiedenen Formen der Gesprächssituation (bspw. persönlich, telefonisch usw.) unterschieden werden. Neben der Kommunikation mit Patienten und Angehörigen nehmen zudem besonders administrative Tätigkeiten für den Patienten aber auch Dokumentationstätigkeiten einen wichtigen zeitlichen Anteil im Arbeitsalltag des onkologischen Beratungsteams ein.
Diskussion: In wieweit die zeitliche Erfassung der Tätigkeitsstatistik als Praxisdokument genutzt werden kann, soll diskutiert werden. Dabei zeigt sich, dass das erweiterte Tätigkeitsfeld der Pflege und der zeitliche Umfang dieser Arbeitsinhalte grundsätzlich gut erfasst werden können. Es werden jedoch auch vereinzelt die Grenzen des Instruments deutlich. So können beispielsweise durch die standardisierte Form des Tätigkeitsbogens die individuell, unterschiedlichen Arbeitsformen der einzelnen Pflegenden nur schlecht abgebildet werden.
Praktische Implikationen: Das Praxisdokument der Tätigkeitsstatistik ermöglicht es, die jeweils relevanten Aufgabenbereiche der Pflege im Fall des onkologischen Beratungsteams zu verdeutlichen. Es zeigt auf, welcher Zeitumfang für die jeweiligen Tätigkeitsbereiche benötigt wird. Als Praxisdokument bildet der Tätigkeitsbogen eine Diskussionsgrundlage, um mit dem jeweiligen Pflegenden Abreitstätigkeit und zeitlichen Umfang zu besprechen. Darüber hinaus kann dieses Instrument im Sinne einer Qualitätssicherung als Anstoß zu einem einheitlichen Vorgehen innerhalb der Pflege genutzt werden.
Hintergrund: Im Jahr 2015 lag die altersstandardisierte Prävalenz des malignen Melanoms (MM) bei 0,37% und des nicht-melanozytären Hautkrebses (NMSC) bei 1,7%. Zählt man die Inzidenzraten des MM und des NMSC zusammen, ist Hautkrebs die häufigste Krebserkrankung in Deutschland. Um eine frühzeitige Diagnosestellung zu unterstützen, wurde im Jahr 2008 das gesetzliche Hautkrebsscreening (gHKS) eingeführt. Das gHKS besteht aus einer Hautuntersuchung durch einen Hautarzt oder Hausarzt und kann von gesetzlich Versicherten ab dem 35. Lebensjahr alle 2 Jahre in Anspruch genommen werden.
Fragestellung: Wie ist der Informationsstand der Allgemeinbevölkerung hinsichtlich des gHKS sowie der wahrgenommene Ablauf und Aufwand, sprich Wartezeit und Anfahrtsweg, des gHKS?
Methode: Zufällig ausgewählte deutschsprachige Personen ab 18 Jahren aus der gesamten Bundesregion wurden telefonisch zum gesetzlichen Hautkrebsscreening befragt. Die Querschnittserhebung fand zwischen dem 22.01.2019 und dem 01.02.2019 statt. Inhalte der Befragung waren die Kenntnis über und Inanspruchnahme des gHKS, wobei der Fokus auf den Aufwand und den Ablauf des gHKS gelegt wurde. Die Datenauswertung erfolgte deskriptiv über die gesamte Stichprobe sowie gesondert für die Gruppe der ab 35 Jährigen. Außerdem wurden Subgruppenanalysen für ausgewählte soziodemographische Variablen wie Alter, Geschlecht, Bildungsstatus, Region und Ortsgröße durchgeführt. Um ein repräsentatives Meinungsbild der Gesamtbevölkerung zu erhalten, wurden Gewichtungsfaktoren für diese Variablen miteinbezogen. Ein Teil der Fragen wurde bereits in vergleichbaren Surveys vorangegangener Jahre (2013, 2015, 2017) untersucht und in die Antworten wurden in der Auswertung mit diesen verglichen.
Ergebnisse: Insgesamt nahmen 1.015 Personen an dem Telefonsurvey teil. 60% der Befragten gaben an, dass Hautkrebs kein Thema sei, das sie besorgt. Unter den Männern waren es 69,6% und unter den Frauen 51,2%. Im Vergleich zu den Vorjahren nahm die Besorgnis ab. 44,5% der Befragten wussten, dass gesetzlich Krankenversicherte ab 35 Jahren alle zwei Jahre einen Anspruch auf das gHKS haben. Dieses Wissen nahm mit zunehmendem Alter und Bildungsniveau zu. Von den Befragten haben 452 (44,5%) mindestens einmalig jemals an einem gHKS teilgenommen, Männer seltener als Frauen. Im Vergleich zu Vorjahren war eine steigende Tendenz zu beobachten. Die meisten Teilnehmer (41%) haben maximal zwei Wochen auf Ihren Termin gewartet, wobei Frauen durchschnittlich länger als Männer gewartet haben. Meistens erfolgte die Anfahrt mit dem Auto (61%), mit zunehmender Ortsgröße aber vermehrt auch durch andere Fortbewegungsmöglichkeiten wie öffentliche Verkehrsmittel, Fahrrad fahren oder gehen. Bei 88% der Teilnehmer dauerte die Anfahrt bis zu 30 Minuten und nur bei 2% länger als 60 Minuten. 23% der Teilnehmer gab an, beim Arzt im Vorfeld keine Möglichkeit zum Stellen von Fragen zum gHKS gehabt zu haben. Der Anteil steigt mit zunehmenden Alter und bei geringerem Bildungsniveau. Ähnliche Ergebnisse zeigten sich zur Aufklärung vor dem gHKS und zur Aufklärung über Möglichkeiten der Hautkrebsvorbeugung.
Diskussion: Die Ergebnisse zeigen, dass die Besorgnis der Allgemeinbevölkerung zum Thema Hautkrebs abnimmt, obwohl die Prävalenzraten weiter steigen. Bei Frauen ist die Besorgnis ausgeprägter ist als bei Männern. Das spiegelt sich auch in der Teilnahmerate am gHKS wieder. Der Wissensstand über den Anspruch auf ein gHKS ist nicht sehr hoch in der Bevölkerung. Die meisten gHKS-Teilnehmer fühlten sich beim Screening gut informiert und hatten in Bezug auf Wartezeit und Anfahrtsweg einen sehr geringen Aufwand.
Praktische Implikationen: Da die Prävalenzraten für Hautkrebs weiter steigen, ist es wichtig, in Zukunft die Allgemeinbevölkerung hinsichtlich Risiken und Vorsorge des Hautkrebs besser zu informieren. Diejenigen, die an einem gHKS teilgenommen haben, berichten größtenteils positiv von dem Erlebnis. Allerdings sollten für die Zukunft Strategien entwickelt werden, um insbesondere mehr Männer und Menschen mit niedrigerem Bildungsniveau für das Thema Hautkrebs zu sensibilisieren.
Hintergrund
Krebspatientinnen und -patienten erleben neben körperlichen Auswirkungen auch psychische Belastungen. Erkrankte Eltern mit minderjährigen Kindern versuchen ihre Patientenrolle und ihre Elternrolle auszubalancieren. Dabei können die Sorge um die Kinder sowie Unsicherheiten in der Kommunikation über die Erkrankung und im Umgang mit den Kindern zusätzliche belastende Faktoren darstellen. Für die psychosoziale Versorgung betroffener Eltern ist es daher relevant, die spezifische Situation der Familien einzubeziehen. Deutschlandweit gibt es bereits vereinzelt psychosoziale Angebote für Familien mit einem krebskranken Elternteil, jedoch liegen bisher keine systematischen Erkenntnisse zu spezifischen Unterstützungsbedürfnissen der Familien vor.
Fragestellung
Vor dem dargestellten Hintergrund werden folgende Fragestellungen untersucht:
• Welche familienbezogenen Unterstützungsbedürfnisse berichten an Krebs erkrankte Mütter?
• Wie groß ist der Anteil betroffener Mütter, die ein psychosoziales Unterstützungsangebot in Anspruch nehmen?
• Was sind Barrieren der Inanspruchnahme psychosozialer Unterstützungsangebote?
Methode
Die Fragestellungen wurden mithilfe eines querschnittlichen Studiendesigns untersucht. Auf Basis qualitativer Vorarbeiten wurde eine Liste von 25 familienbezogenen Unterstützungsbedürfnissen erstellt und eingesetzt. Insgesamt wurden n=68 krebskranke Mütter mit mindestens einem minderjährigen Kind (< 18 Jahre) zu ihren Unterstützungsbedürfnissen und der Inanspruchnahme eines psychosozialen Unterstützungsangebots befragt. Die Datenerhebung erfolgte konsekutiv über bestehende Kooperationen mit örtlichen onkologischen Stationen. Es wurden deskriptive Analysen angewandt.
Ergebnisse
Die befragten Mütter sind durchschnittlich 43 Jahre als (SD=6.3), 85% leben in einer Partnerschaft. Die häufigsten Diagnosen sind Brustkrebs (76%) und gynäkologische Krebserkrankungen (22%).
Als häufigste Unterstützungsbedürfnisse für sich selbst als Mutter werden Informationen über die seelische Verarbeitung bei Kindern (74%) und Unterstützung im Umgang mit den Kindern (68%) genannt. Bezüglich eigener Sorgen und Ängste als Mutter wünschen sich 63% der Patientinnen Unterstützung und 62% geben das Bedürfnis an, bei der Aufklärung ihrer Kinder unterstützt zu werden.
Für ihr Kind berichten 71% der Mütter ein Bedürfnis nach altersangemessenen Informationen über die Erkrankung und 53% wünschen sich für ihr Kind professionelle Unterstützung im Umgang mit der Erkrankung. Etwa jede zweite Mutter gibt Unterstützungsbedürfnisse für ihren Partner im Umgang mit den Kindern (57%) sowie im Umgang mit der Erkrankung an (56%). 63% der Mütter haben den Wunsch, Angebote für die gesamte Familie zu erhalten und 49% wünschen sich Unterstützung bei der Kommunikation über Krebs in der Familie. Als praktische und organisatorische Unterstützungsbedürfnisse werden Informationen zur Haushaltshilfe (63%), allgemeine Informationen zum Thema Krebs und Familie (57%), Informationen zu finanziellen Hilfen (56%) und Hilfen bei der Betreuung der Kinder (52%) genannt.
In Zusammenhang mit ihrer Krebserkrankung berichten 43% der Mütter, psychosoziale Unterstützung in Anspruch genommen zu haben. Von diesen nutzten 69% psychotherapeutische Unterstützung für sich und 66% ein familienbezogenes Angebot (n=9 für sich als Elternteil, n=5 für die ganze Familien, n=5 nur für das Kind).
Als zentraler Grund für die Nicht-Inanspruchnahme psychosozialer Hilfen wird eine ausreichende Unterstützung durch das soziale Umfeld (74%) genannt. Darüber hinaus berichten Mütter, dass sie zunächst lernen wollten, selbst mit der Erkrankung umzugehen (59%), dass die Erkrankung kein großes Thema in der Familien werden solle (58%) oder dass psychosoziale Unterstützung die Familie belasten könne (28%). Etwa jede vierte Mutter gab an, nicht über ein solches Angebot aufgeklärt worden zu sein (24%).
Diskussion
Die Ergebnisse der Untersuchung verdeutlichen den hohen Bedarf familienspezifischer Unterstützungsangebote. Gleichzeitig hat nur ein Teil der Befragten ein spezifisches Angebot genutzt. Diese Diskrepanz und die Ergebnisse im Hinblick auf Barrieren der Inanspruchnahme lassen vermuten, dass betroffene Eltern zum einen eigene bzw. familiäre Ressourcen im Umgang mit der Situation nutzen und zum anderen wenig Aufklärung über die Möglichkeit psychosozialer Unterstützungsangebote erfahren.
Praktische Implikationen
Es zeigt sich, dass die entwickelte Liste zu familienspezifischen Unterstützungsbedürfnissen die Bedürfnisse der Patientinnen angemessen abbildet und daher auch für die klinische Versorgung betroffener Eltern angewandt werden kann. Es wird deutlich, dass die Aktivierung und Stärkung vorhandener Ressourcen betroffener Eltern zentral ist und niedrigschwellige, präventive Angebot sowie eine angemessene Aufklärung darüber für die Familien weiter etabliert werden sollten.
Background: In the last years medical treatment for cancer has improved and thereby has increased the life expectancy of cancer patients. Hence, the focus in health care research shifted towards improving quality of life of cancer patients. Cancer patients’ psychological burden originates from all kinds of psychosocial challenges related to the diagnoses. Cancer Counselling Centres (CCCs) try to address all those concerns. However, current literature lacks research on the effectiveness of CCCs. This study aims to assess the effectiveness of two CCCs in Hamburg with regard to quality of life and other psychosocial variables (distress, anxiety, etc.).
Methods and analysis: This prospective observational study with a non-randomized control group has three measurement points: before the first counselling session (baseline) and at two weeks and three months after baseline. Patients or relatives (>18 years old) are included, who seek counselling between December 2018 and November 2020 and have sufficient German skills. The control group will be recruited at clinics and oncological out-patient centres in Hamburg. Propensity scoring will be applied to adjust for differences between control and experimental group at baseline. Sociodemographic, medical data and counselling concerns are measured at baseline. Quality of life (SF-8, EORTC-QLQ-C30), well-being (WHO-5), anxiety (GAD-7), depression (PHQ-9) and further psychosocial variables are assessed at all time points. With a total of 787 participants differences of a small effect size (f=0.10) can be detected with a power of 80%.
Ethics and dissemination: The study has been registered prior to data collection with the German Registration of Clinical Trials (DRKS) in September 2018. The ethical approval was received by the local psychological ethical committee of the centre of psychosocial medicine (LPEK) at the UKE in August 2018. The results will be published in peer-reviewed journals.
Hintergrund
Trotz steigender Arztzahlen in allen 23 Gruppen der Bedarfsplanung (07-17 insgesamt +15,2%), stagniert die Kapazität der vertragsärztlichen Versorgung in den letzten zehn Jahren weitgehend. Gründe hierfür sind z.B. die zunehmende Flexibilisierung der Arbeitszeiten sowie eine rückläufige Bereitschaft zur Niederlassung.
Es besteht ein Ungleichgewicht in der räumlichen Verteilung von vertragsärztlichen Kapazitäten. Während Ballungsgebiete häufig von Überversorgung geprägt sind, fehlen vor allem in ländlichen Regionen Haus- und Kinderärzte.
Eine Befragung von Eltern in Mecklenburg-Vorpommern hat gezeigt, dass Kinder, die weniger als 20 Km entfernt zur nächsten Kinderarztpraxis wohnen, häufiger einen Arzt aufsuchen als Kinder in versorgungsferneren Regionen (> 20 Km). Darüber hinaus gaben 51% der befragten Eltern aus versorgungsferneren Regionen an, mit ihren Kindern in der Regel zu einem Hausarzt zu gehen. In versorgungsnahen Regionen gaben dies 13% der Eltern an (p < 0.001). Im Vergleich dazu gaben 87% der Eltern aus versorgungsnahen Regionen an, im Allgemeinen einem Kinder- und Jugendmediziner aufzusuchen. Dieser Anteil lag bei Eltern in versorgungsfernen Regionen bei 51% (p < 0.001). Zur Sicherstellung der pädiatrischen Versorgung werden innovative und ressourcenschonende Konzepte.
Fragestellung
Können Haus- und Kinderärzte sich in der ambulanten Versorgung gegenseitig kompensieren und in welchem Umfang? Bestehen Unterschiede zwischen ländlichen und städtischen Regionen?
Methoden
Grundlage der Analyse war die Bedarfsplanungs-Richtlinie aus dem Jahr 2016 des Gemeinsamen Bundesausschusses und der Einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM) aus dem Jahr 2015, 4. Quartal. Ausgewertet wurden Abrechnungsdaten (Gebührenordnungspositionen - GOPs) der Kassenärztlichen Bundesvereinigung für Hausärzte und Kinder- und Jugendmediziner aus dem Jahr 2015. Anhand des EBM wurden zunächst mögliche Überlappungen von Leistungen zwischen den Arztgruppen ermittelt. Auf Grundlage der Abrechnungsdaten gehen grundsätzliche Kompensationsmöglichkeiten hervor.
Eine Leistung wurde definiert als eine abgerechnete GOP. Die Abrechnungsdaten beziehen sich auf die Hauptbetriebsstätte der niedergelassenen Ärzte.
Ergebnisse
Die Auswertung des EBM zeigt, dass eine Reihe von Möglichkeiten zur Kompensation von Leistungen in den arztgruppenübergreifenden allgemeinen GOPs zwischen Haus- und Kinderärzten besteht. z.B. können für den EBM-Abschnitt 1.7.1 (Früherkennung von Krankheiten bei Kindern) 16 GOPs von beiden Arztgruppen erbracht und abgerechnet werden. Die Analyse der Abrechnungsdaten zeigt, dass zwischen ländlichen und urbanen Regionen wesentliche Unterschiede in den Abrechnungsspektren der Leistungserbringer bestehen. Bundesweit wurden von Hausärzten 6,6% der Leistungen aus dem Bereich „Früherkennung von Krankheiten bei Kindern“ abgerechnet. In ruralen Regionen betrug der Anteil 23%, in urbanen Regionen waren es 3,6%.
Ein ähnliches Bild zeigt sich für den EBM-Bereich „Physikalisch-therapeutische GOP“, der ebenfalls sowohl von Haus- als auch von Kinderärzten abgerechnet werden darf. Hausärzte erbringen mit 92% in ländlichen Regionen mehr Leistungen aus diesem Bereich als in urbanen Regionen (85%). Bei den Kinderärzten ist der Anteil der abgerechneten Leistungen aus dem entsprechendem EBM-Abschnitt in urbanen Regionen (11%) dagegen höher als auf dem Land (4%).
Diskussion
Der EBM erlaubt insbesondere im Bereich der arztgruppenübergreifenden allgemeinen GOPs die Abrechnung von Leistungen sowohl durch Haus- als auch Kinderärzten. Anhand der Abrechnungsdaten zeigt sich, dass Hausärzte in ländlichen Regionen mehr Leistungen aus den entsprechenden Abschnitten abrechnen als in urbanen Regionen. Demnach übernehmen Hausärzte bereits einen relevanten Teil der medizinischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen in ländlichen Regionen.
Praktische Implikationen
Vor dem Hintergrund einer drohenden Unterversorgung in ruralen Regionen bieten Kompensation aber auch Kooperation zwischen Haus- und Kinderärzten eine vielversprechende Option, die Sicherstellung der pädiatrischen Versorgung zu unterstützen.
Titel:
Beschreibung der fachärztlichen „Vor-Ort“-Versorgung in deutschen Pflegeheimen. Analysen anhand von Routinedaten der AOK Baden-Württemberg
Fragestellung
Sehbeeinträchtigende Augenerkrankungen, Hörminderungen, Hauterkrankungen wie auch urologische Erkrankungen nehmen mit dem Alter zu. Verschiedene Studien haben aufgezeigt, dass bei Seniorenheimbewohnern eine (fachärztliche) Unterversorgung besteht. Eine neue Gebührenordnungsposition zur Förderung der kooperativen und koordinierten ärztlichen und pflegerischen Versorgung in stationären Pflegeheimen (Anlage 27 zum Bundesmantelvertrag) wurde zum 01.07.2016 zur Verbesserung der Versorgung eingeführt. Ziel dieser Studie ist es, aufzuzeigen, ob es einen Unterschied zwischen Fachärzten der oben genannten Fachrichtungen mit und ohne Abrechnung einer extrabudgetären Vergütung für die Betreuung gibt. Hierzu wurde der Anteil an Seniorenheimbewohnern in Bezug auf die Gesamtpatientenanzahl pro Facharztgruppe betrachtet.
Methoden
Abrechnungsdaten der AOK Baden-Württemberg (AOK BW) des Jahres 2017 wurden für eine deskriptiven Sekundärdatenanalyse genutzt. Die Studienpopulation bildeten alle Versicherten, die am 01.01.2017 bei der AOK BW versichert waren. Fachärzte/Innen mit mindestens 80 behandelten Versicherten im Jahr wurden eingeschlossen. Die Abrechnung des Aufsuchens eines Pflegeheims wurde gemäß Gebührenordnungsposition 37102, 37113 und 01415 analysiert.
Versicherte, die am 01.01.2017 Leistungen der vollstationären Pflege oder der Pflege in vollstationären Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen erhalten haben, wurden als Pflegeheimbewohnern/Innen definiert. Es wurde die fachärztliche Versorgung von Pflegeheimbewohnern vor (Jahr 2017) und nach der Einführung der genannten Gebührenordnungspositionen (Jahr 2015 als Referenz) mittels Wilcoxon- und Mann-Whitney U-Test verglichen.
Ergebnisse
1,35 % (57.427/4.262.470) aller Versicherten der AOK Baden-Württemberg waren Pflegeheimbewohner.
Die geringste Abrechnungshäufigkeit der Pflegeheimpauschale wurde bei Ärztinnen und Ärzten im Bereich Augenheilkunde gemessen. Hier rechneten von den 866 tätigen Augenärzt/Innen in Baden-Württemberg 16 (1,9 %) mindestens für einen Fall eine Betreuung im Pflegeheim im Jahr 2017 ab. In der Hals-Nasen-Ohren Heilkunde lag der Anteil bei 4,4% (24/560), im Bereich Dermatologie rechneten 13,0 % (71/548) mindestens einmal eine Betreuung im Pflegeheim ab. Der höchste Anteil an abrechnenden Ärzten wurde im Bereich Urologie gemessen. Hier lag der Anteil bei 36,6 % (149/406).
In allen untersuchten Fachdisziplinen wurden signifikante Unterschiede im Anteil der betreuten Pflegeheimbewohner in den Gruppen der Ärzt/tinnen mit Abrechnung der Pflegeheimpauschale im Vergleich zur Gruppe derer, die keine Pflegeheimpauschale abrechneten gemessen: Fachärzte mit Abrechnung der „Vor-Ort“-Pflegeheimpauschale hatten einen um 0,3% bis 1,0% (absolut, p ≤ 0.006) höheren Anteil an Seniorenheimbewohnern unter ihren Patienten
Im Vergleich zu vor der Einführung der Vergütung für die Betreuung im Pflegeheim zeigt sich bei den abrechnenden Fachärzten/innen eine Zunahme der betreuten Pflegeheimbewohner (Augenheilkunde: 0,87% auf 1,23%, p < 0,001; Dermatologen: 1,44 % auf 1,77 %, p = 0,04; HNO-Ärzte: 1,79 % auf 2,30 %, p = 0,07; Urologie: 2,47 % auf 2,85 %, p < 0,001).
Aber auch bei der Betrachtung aller jeweiligen Fachärzte (unabhängig von der Abrechnung der Vergütungspauschale für Pflegeheimbesuche) zeigt sich über den Zeitverlauf eine Zunahme des Anteils an Pflegeheimbewohnern (Augenärzte: 0,52 % auf 0,93 %, Dermatologen: 0,69 % auf 0,72 %, Urologie: 1,56 % auf 1,97 %, alle p < 0,001), mit Ausnahme der HNO-Ärzte (0,92 % auf 0,79 %, p < 0,001). Im gleichen Zeitraum nahm der Anteil an Pflegeheimbewohner an allen Versicherten nur um 0,03% zu.
Diskussion
Die Analyse der Abrechnungsdaten der AOK BW zeigen, dass deutliche Unterschiede in der Abrechnungshäufigkeit der Gebührenordnungsposition zur Förderung der ärztlichen „Vor-Ort“-Versorgung in stationären Pflegeheimen zwischen den Facharztgruppen bestehen. Während nur 2% der Augenärzte in Baden-Württemberg dies abrechneten, waren es in der Urologie 37%.
Eine Begründung für diese Unterschiede könnte im Technisierungsgrad der jeweiligen Fachgruppe liegen, sowie in der Möglichkeit tragbare Untersuchungsgeräte zu besitzen. Zudem zeigt sich über die vier Facharztgruppen hinweg, dass Fachärzte/Innen, die Seniorenheimbewohner vor Ort betreuen, durchschnittlich mehr Seniorenheimbewohner unter ihren Patienten haben. Einschränkend ist anzuführen, dass vermutlich viele Fachärzte/Innen von der Möglichkeit dieser Vergütung keine Kenntnis haben und ein gewisser Anteil dies daher nicht abrechnet. Positiv zeigt sich, dass im Jahr 2017 mehr Pflegeheimbewohner fachärztlich betreut wurden als 2015.
Hintergrund: Die beiden häufigsten Formen der Spondylarthritis, die Spondylitis ankylosans (SPA) und die Psoriasisarthritis (PSA) verlaufen progressiv, sind mit einer Prävalenz von >1% relativ häufig, mit unterschiedlichen Komorbiditäten assoziiert und führen oft zu Arbeitsunfähigkeit und verminderter Produktivität der Betroffenen. Aufgrund der damit einhergehenden funktionellen Einschränkungen und Schmerzen sind die betroffenen Patienten häufig massiv in ihrer Lebensqualität und ihrer Funktionalität eingeschränkt.
Fragestellungen: Wie hoch ist die geschätzte Jahresprävalenz und -inzidenz der PSA und SPA in der Routineversorgung? Welche medikamentöse Therapie erhalten Patienten mit PSA und SPA in der Routineversorgung? Welche kardiovaskulären, psychischen und andere Komorbiditäten haben Patienten mit PSA und SPA in der Routineversorgung? Ist das relative Erkrankungsrisiko hier in den Patientenkohorten höher als in der Kontrollkohorte?
Methoden: Es handelt sich um eine longitudinale Kohortenstudie basierend anonymisierten ambulanten und stationären GKV-Routinedaten sächsischer Versicherter der AOK PLUS der Jahre 2008 bis 2014. Die Patientenkohorte bilden dabei Personen mit SPA bzw. PSA – Diagnose (M2Q-Kriterium), alle anderen Personen sind der Kontrollgruppe zugeordnet. Die Kohorte der PSA-Patienten wird dabei noch stratifiziert in Patienten mit und ohne komorbider Psoriasis vulgaris (PSA+PSV). Prävalenzen und Inzidenzen wurden über den Beobachtungszeitraum auf Basis der Inanspruchnahme stationärer und ambulanter medizinischer Leistungen geschätzt. Des Weiteren wurden Häufigkeitsanalysen hinsichtlich der erfolgten medikamentösen Therapie bei Patienten mit PSA und SPA durchgeführt. Hinsichtlich der Komorbiditäten wurden multivariate Poissonregressionsmodelle gerechnet, um das relative Risiko (RR) des Auftretens dieser Erkrankungen in den Patientenkohorten im Vergleich zur Kontrollkohorte zu berechnen.
Ergebnisse: Die Gesamtprävalenz für beide Arthritisformen zusammen lag im Gesamtbeobachtungszeitraum von 2009 bis 2014 bei 0,77%. Dabei war die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen bei Männern höher als bei Frauen, bei PSA war es umgekehrt. Sowohl Prävalenz- als auch Inzidenzraten erhöhen sich innerhalb der Altersstrata. Hinsichtlich der systemischen Therapie erhielten fast alle Patienten mindestens einmal ein Basistherapeutikum aus der Gruppe der Nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR), fast die Hälfte erhielt weiterhin Corticosteroide sowie Immunsuppressiva. Etwa 12% (SPA) bzw. 17% (PSA) und 19% (PSA+PSV) der Patienten erhielten darüber hinaus mindestens einmal ein Biologikum. Die multivariate Poissonregression ergab fast durchgängig eine erhöhte Krankheitshäufigkeit bei Patienten mit SPA und PSA gegenüber der Kontrollkohorte innerhalb aller drei Komorbiditätsgruppen (psychische, kardiovaskuläre und andere somatische Komorbiditäten).
Diskussion: Vergleiche der Prävalenzraten mit Angaben aus der Literatur zeigen, dass Schätzungen auf Basis von GKV-Routinedaten plausibel und valide sein können. Bei den geschätzten Inzidenzraten hängt die Genauigkeit maßgeblich vom definierten krankheitsfreien Vorlauf ab, also der Zeitraum, den ein Patient vor erstmaligem Kodieren der Krankheit diagnosefrei abgebildet werden kann. Hier könnten Datenlimitationen, die die mögliche Vorbeobachtungszeit beschränken zur Überschätzung der Inzidenzraten führen. Bei der systemischen Therapie findet sich eine Häufigkeitsverteilung in der Verschreibung der Medikamente, die in etwa die Bedeutung der Wirkstoffe in der Behandlung widerspiegelt. Eine Besonderheit ist die gleichzeitige Verschreibung von TNF-Blockern und Immunsuppressiva. Studien legen hier nahe, dass die durch Immunsuppressiva unterdrückte Antikörperbildung die therapeutische Wirkung dieser Biologika verbessert werden kann. Hinsichtlich der Komorbiditätsraten müssen hinsichtlich der fast durchweg signifikant erhöhten Risiken Überlegungen zur Bedeutung dieser Effekte angestellt werden. Gerade in großen Datensätzen können auch kleine Effekte die Signifikanzschwelle schnell überschreiten. Weitergehende Analysen (Netzwerkmodelle) könnten Aufschluss darüber geben, ob die Effekte beispielsweise insbesondere durch eine kleine Subgruppe multimorbider Patienten hervorgerufen werden.
Praktische Implikationen: Klinische Studien und Register sind bezüglich der Übertragbarkeit auf die Versorgungsroutine begrenzt. Die vorliegende Studie bietet die Möglichkeit die medizinische Versorgung und Behandlung gerade im niedergelassenen Bereich, der mehrheitlich oft nicht in Studien oder Registeraktivitäten involviert ist, zu untersuchen. Dies stellt einen entscheidenden Vorteil in der Beantwortung der Frage dar, ob und inwieweit beispielsweise Leitlinienempfehlungen und Evidenz aus Studien von Klinikern in der alltäglichen Praxis umgesetzt werden und dort zu einen Mehrwert für die behandelten Patienten führen.
Hintergrund
In Deutschland erkranken pro Jahr rund 64.000 Menschen erstmalig an Darmkrebs, ca. 26.000 sterben pro Jahr daran. 210.000 Patienten leben mit einer bis zu fünf Jahre zurückliegenden Darmkrebsdiagnose.
Durch Vorsorgeuntersuchungen wie die Koloskopie können gutartige Vorstufen von Darmkrebs (Polyen) erkannt und direkt entfernt werden. Daher kann die Darmkrebsentstehung durch rechtzeitige Vorsorgeuntersuchungen drastisch vermindert werden. Seit 2002 ist die Früherkennungskoloskopie, auf die ca. 20 Mio. Versicherte Anspruch haben, Bestandteil des GKV-Leistungskatalogs.
Etwa bei der Hälfte der Männer und einem Drittel der Frauen, die zur Darmspiegelung gehen, werden Polypen gefunden. Wenn nur ein einzelner, kleiner und unauffälliger Polyp entdeckt wird, besteht erst nach 10 Jahren ein erneuter Anspruch auf eine (Kontroll-) Koloskopie. Wurde hingegen ein auffälliger oder größerer Polyp entdeckt oder wurden mehr als drei Polypen entfernt, ist die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass in den nächsten Jahren weitere Polypen entstehen. Deshalb wird dann die nächste Koloskopie bereits nach 3-5 Jahren empfohlen (3 Jahre nach fortgeschrittenem Adenom, 5 Jahre nach nicht-fortgeschrittenem Adenom).
Andererseits legen Untersuchungen nahe, dass eine wiederholte Inanspruchnahme von Koloskopien stattfindet, die oft über den medizinischen Bedarf hinausgeht. Hier zeigt sich einerseits, dass Kon-troll-Koloskopien, die innerhalb von 3 Jahren nach der initialen Koloskopie durchgeführt wurden, auf Personen entfallen, deren initialer Befund zu dem Zeitpunkt keine Kontrolle erforderte. Umgekehrt gibt es Hinweise, dass bei Personen mit erhöhtem Risiko keine Kontroll-Koloskopie durchgeführt wird.
Fragestellung
Es wurde die Fehlversorgung hinsichtlich zu früher Kontroll-Koloskopien analysiert. Hierzu wurde der Frage nachgegangen, inwiefern Kontroll-Koloskopien bei der Darmkrebsfrüherkennung über den medizinischen Bedarf hinausgehen, d.h. zu früh nach dem Befund der initialen Koloskopie erfolgen.
Methodik
Datenbasis sind sektorenübergreifende TK-Routinedaten im Zeitraum 2014-2018, in denen ein Ausgangskollektiv von 1,26 Mio. Versicherten mit einer Koloskopie identifiziert wurde. Dieses wurde dann so zugeschnitten, indem auf die Durchführung der Erstkoloskopie in 2016 (d.h. 2 Jahre vorher war keine Koloskopie erfolgt) in Verbindung mit spezifischen Leistungen (EBM-GOP und ICD-Codes) für die Darmkrebsfrüherkennung fokussiert wurde (n = 71.070). Dieses Kollektiv wurde in Versicherte mit einer Koloskopie (n = 67.780) und Versicherte mit mehreren Koloskopien geteilt (n = 3.290). Alle Ko-loskopien, die in einem Zeitraum von 6 Monaten nach der Erstkoloskopie erfolgten, wurden zur Erstkoloskopie dazu gezählt. Bei der Subgruppe der Versicherten mit mehr als einer Koloskopie wurde untersucht, aus welchem Grund die Kontrollkoloskopie erfolgte bzw. bei welcher Anwendungsindikationen die Re-Endoskopie durchgeführt worden ist.
Ergebnisse
Bei n = 2.747 Versicherten (83,5%) mit einer Koloskopie innerhalb von zwei Jahren nach Erstkoloskopie ließ sich in den Abrechnungsdaten (mind.) eine medizinische Indikation zuordnen. Dabei ist der Großteil auf Adenome und Polypen (42,7%) und Polypektomien (21,0%) zurückzuführen. Die anderen Indikationen verteilen sich auf unterschiedlich (kleinere) Krankheitsentitäten: u.a. 3,4% Leistungen der Krebsfrüherkennung (u.a. GOP 01741), 5,6% gastro-intestinale Blutung (u.a. ICD D62 als akute Blutungsanämie), 4,6% abdominelle Operationen, 2,% Morbus Chron / Colitis ulcerosa, 3,7% sonstige nichtinfektiöse Gastroenteritiden und Kolitiden, 3,1% Reizdarmsyndrom (ICD K58), 2,0% im Zusammenhang mit medizinischen Komplikationen (u.a. Peritonitis) und 1,2% Darminfektionen (u.a. Salmonelleninfektionen).
Diskussion
Obwohl wir eine Karenzzeit von 6 Monaten nach Erstkoloskopie berücksichtigt haben, existiert eine relevante Anzahl von Kontroll-Koloskopien, die nach Abgleich mit potentiellen Anwendungsindikationen über den medizinischen Bedarf hinauszugehen scheinen (Überversorgung).
Grundsätzlich kann man mit GKV-Routinedaten sämtliche Ereignisse im Zeitverlauf erfassen, die mit medizinischen Leistungsinanspruchnahmen einhergehen. Hierbei ist aber zu berücksichtigen, dass aufgrund unzureichender Detaillierungen von ICD-Diagnosen oft die Trennung zwischen Ursache und Wirkung im Leistungsverlauf nicht immer eindeutig möglich ist. Die exakte zeitliche Abfolge der erforderlichen klinischen Informationen findet sich in den Abrechnungsdaten des klinischen Behandlungs-falls zum Teil nur eingeschränkt wieder.
Praktische Implikationen
GKV-Routinedaten sind geeignet, Fehlversorgung durch zu frühe Kontroll-Koloskopien in der Versorgungsrealität zu quantifizieren. Vor der vertieften Interpretation dieser Ergebnisse sind aber noch weitere methodische Differenzierungen i.S. von Homogenisierung der Indikationen und Spezifizierung der Operationalisierung zu leisten.
Hintergrund
Multiple Sklerose (MS) ist die häufigste neurologische Erkrankung von jungen Erwachsenen in Deutschland. Sie geht mit signifikanten medizinischen, sozialen und ökonomischen Folgen für die Betroffenen und die Gesellschaft einher.
Fragestellung
Ziel dieser Studie war die Abbildung der Versorgungsrealität von MS-Patienten in Deutschland sowie die Darstellung der gesundheitsökonomischen Aspekte der Erkrankung aus Sicht der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) im Vergleich zu einer Kontrollgruppe ohne MS im Jahr 2013.
Methode
Abrechnungsdaten der DAK-Gesundheit aus den Jahren 2010 bis 2015 bildeten die Grundlage dieser retrospektiven Krankenkassendatenanalyse. Prävalente MS-Patienten wurden anhand des ICD-10-GM Codes G35.- im stationären oder ambulanten Sektor (eine stationäre Diagnose oder zwei ambulante gesicherte Diagnosen oder eine ambulante gesicherte Diagnose und eine Verschreibung eines MS-spezifischen Arzneimittels) in 2010-2013 identifiziert.
Über ein 1:1 Matching wurden die MS-Patienten mit einer Kontrollgruppe verglichen, die im Studienzeitraum keine MS-Diagnose aufwiesen. Die Matchingparameter beinhalteten Alter, Geschlecht, Versichertenstatus, Elixhauser Comorbidity Index Score, Bundesland und Wohnort im städtischen/ländlichen Raum.
Demographische Charakteristika, der Ressourcenverbrauch in den einzelnen Sektoren und die Kosten wurden für das Jahr 2013 bestimmt. Unterschiede zwischen den Gruppen wurden mithilfe des gepaarten t-Tests, Wilcoxon-Vorzeichen-Rang-Tests, Chi²-Tests oder McNemar-Tests auf statistische Signifikanz geprüft.
Ergebnisse
Im Jahr 2013 wurden 24.150 prävalente MS-Patienten identifiziert. Die für Deutschland alters- und geschlechtsstandardisierte Prävalenzrate betrug 416,6 pro 100.000 Versicherten. Hochgerechnet für Deutschland ergeben sich daraus 335.440 MS-Erkrankte.
93,1% der MS-Patienten konnte ein Matchingpartner zugewiesen werden. 80,3% der Betroffenen waren weiblich und das mittlere Alter betrug 52,7 Jahre (±13,6 Jahre). In Bezug auf die verschiedenen Krankheitsformen der MS wurde bei 4,8% der MS-Patienten der primär-chronische Verlauf allein oder in Kombination mit einer unspezifischen Kodierung für eine nicht näher bezeichnete MS innerhalb der Jahre 2010 bis 2013 kodiert. Für den sekundär-chronischen Verlauf traf dies auf 3,7% MS-Patienten zu.
Bei der Betrachtung der einzelnen Sektoren wurde deutlich, dass 32,6% der MS-Patienten und 22,0% der Kontrollen in 2013 mindestens einen Krankenhausaufenthalt hatten (p < 0,001).
Kortikosteroide wurden in der MS-Gruppe deutlich häufiger verschrieben (20,2% vs. 8,2%, p < 0,001). Ein ähnliches Bild zeigte sich für Antidepressiva (27,5% vs. 20,9%, p < 0,001) und Antiepileptika (16,0% vs. 6,6%, p < 0,001). 32,3% der MS-Patienten wiesen im Jahr 2013 eine Verschreibung für krankheitsmodifizierende Therapien (DMT) auf.
Zu den häufigsten Hilfsmitteln in der MS-Gruppe mit einem signifikanten Unterschied zur Kontrollgruppe zählten Inkontinenzhilfen (18,2% vs. 2,1%, p < 0,001) und Krankenfahrzeuge wie Rollstühle (13,9% vs. 0,7%, p < 0,001). Auch Heilmittel wie Physiotherapie (55,9% vs. 29,1%, p < 0,001) wurden signifikant häufiger in der MS-Gruppe verschrieben.
Der größte Unterschied in der Inanspruchnahme zeigte sich in der Pflege (24,6% der MS-Patienten vs. 3,8% der Kontrollgruppenpatienten, p < 0,001). Auch die häusliche Krankenpflege wurde von den MS-Patienten häufiger in Anspruch genommen (7,5% vs. 1,7%, p < 0,001).
Insgesamt betrugen die Kosten im Jahr 2013 aus Sicht der GKV 14.240€ pro MS-Patient und 4.214€ pro Kontrollpatient. Demnach wies die MS-Gruppe um 10.026€ (+238%) höhere Gesamtkosten auf als die Kontrollgruppe (p < 0,001). Dieser Unterschied war v.a. auf Arzneimittelkosten (7.336€ vs. 1.075€, p < 0,001) und Pflegekosten (2.143€ vs. 241€, p < 0,001) zurückzuführen.
Diskussion
Die in dieser Studie ermittelte alters- und geschlechtsadjustierte Prävalenz liegt deutlich über bisher publizierten Ergebnissen. Die Alters- und Geschlechtsverteilung stimmt mit Angaben aus anderen Studien überein. Die Analyse des Ressourcenverbrauchs zeigt, dass MS-Patienten in Deutschland im Vergleich zu nicht von MS Betroffenen auf deutlich mehr Leistungen vor allem im stationären Sektor, der Pflege sowie Arzneimittelsektor angewiesen sind. Die erhöhte Inanspruchnahme spiegelt sich auch in den deutlich erhöhten Kosten pro Patient wider.
Praktische Implikationen
Die Prävalenz der MS wird höher eingeschätzt als bisher berichtet. Zudem verdeutlicht die Studie die mit MS einhergehende Belastung für die einzelnen Betroffenen und die Gesellschaft. Neben den Arzneimitteln spielt vor allem die Pflege eine wichtige Rolle in der Versorgung. Für die Praxis bedeutet dies, dass eine frühzeitige und umfassende Versorgung der MS-Patienten über alle Gesundheitssektoren hinweg unabdingbar ist und verbessert werden muss, um Krankheitsaktivität zu vermeiden. Dies würde mittelfristig auch zu einer Kostenreduktion führen.
Background: Although it is widely acknowledged that long acting injectables (LAIs) are superior to oral medications in treating patients with schizophrenia in terms of re-hospitalizations (Kishimoto et. al 2013), there is limited data available for Germany. Therefore, we aim to analyze the impact of LAI treatment initiation on outcome measure such as number of hospitalizations, lengths of stay (LoS), outpatient office visits and associated costs.
Methods: Utilizing a large German claims data base, we adopt a mirror image study design to compare costs and resource utilization for the 12 months before the index date (first initiation of LAIs) and the 12 months after the index date. Patients were included who were diagnosed with schizophrenia in the period between 2012 and 2015. The database covers 5 million patients of the German statutory health insurance with an age and sex distribution that resembles that of the general population insured with statutory health insurance. To be eligible for the study cohort patients had to have an ICD-10 F20.x diagnosis in the quarter of index date or in the preceding quarter, be 18 years of age or older at the index date, had at least 365 days of continuous enrollment prior to the index date, and at least 365 days of continuous enrollment after the index date. We excluded patients with comorbidities of ADHD, epilepsy, and dementia in quarter of the index date or in a preceding quarter. We did so, because patients with those diagnoses often receive off-label antipsychotic medications.
Results: We identified 850 patients who switched from an oral medication to a LAI with mean age of 45 years. 54% of the patients were male. The following LAIs were prescribed: Haloperidol (n=96), Flupentixol (n=129), Zuclopenthixol (n=19), Fluspirilen (n=76), Olanzapin (n=76), Risperidon (n=176), Aripiprazol (n=66), Paliperidon (n=230). Overall, total annual treatment costs were reduced from 13,776 EURO in the pre-index period to 10,418 EURO after the initiation of LAIs indicating net savings of 3,358 EURO for the German healthcare system. While the acquisition costs of antipsychotics increased from 508 EURO to 3,458 EURO, we observed a considerable decrease in hospitalization costs (from 11,908 EURO to 5,345 EURO). This cost reduction was due to a decrease of days spent in hospitals (from 73 to 59 days). Costs for outpatient service slightly increased from 581 EURO to 789 EURO.
Conclusions: This is the first claims data base analysis for Germany that studied the cost impact of a treatment initiation with LAIs in a large cohort of schizophrenia patients. In line with results from other countries we found significant savings from a health insurance point of view that calls for a wider use of LAIs in Germany. A notable limitation of this study is that disease severity is not observable in claims data sets and for this reason, we are not able to fully control for potential confounders.
Hintergrund
Das Multiple Myelom (MM) gehört zu den hämatologischen Neoplasien. Innerhalb dieser heterogenen und facettenreichen Krankheitsgruppe ist das MM die zweithäufigste Erkrankung (1). Es gibt verschiedenen Therapieansätze zur Behandlung des MM, dabei wird insbesondere dahin gehend unterschieden, ob die Patienten für eine autologe Stammzelltransplantation (ASZT) in Frage kommen oder nicht.
Fragestellung
Im Rahmen einer Krankenkassendaten Analyse wurde der Fragestellung nachgegangen wie groß der Anteil der ASZT geeigneten bzw. ASZT ungeeigneten Patienten beim neudiagnostizierten MM (NDMM) ist. Aufgrund der interessanten Ergebnisse hinsichtlich unbehandelter NDMM-Patienten wurde anschließend eine vertiefende Analyse durchgeführt, um genauer zu differenzieren, warum diese Patienten nicht behandelt wurden und welcher Anteil tatsächlich zur Gruppe der watch & wait Patienten zählt.
Methoden
Auf Basis von Abrechnungsdaten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) wurde eine retrospektive Datenanalyse der InGef Forschungsdatenbank durchgeführt. Patienten mit NDMM wurden anhand von ICD-10-GM Codes im Zeitraum 01. Januar 2013 bis 31. Dezember 2014 identifiziert. Die Analysepopulationen wurden hinsichtlich Alter und Geschlecht, Medikamente in der Erstlinie und Mortalität untersucht. Zur Identifizierung der Erstdiagnose der NDMM Patienten wurde ein Vorbeobachtungszeitraum von zwei Kalenderjahren gewählt (Wash-out Periode). Die Analyse der MM-Patienten hinsichtlich ihrer Erstlinientherapie (ASZT geeignet vs. ungeeignet), Alters und Geschlechtsverteilung sowie Zeit bis zum Tod nach Diagnosestellung erstreckte sich auf einen individuellen Nachbeobachtungszeitraum von zwei Jahren folgend auf den Zeitpunkt der Erstdiagnose.
Die weitere Analyse der unbehandelten MM-Patienten erfolgt in drei Analyseschritten (Patienten ohne Ausschlussdiagnose, Patienten mit mehreren MM Diagnosen und nicht-verstorben innerhalb der Nachbeobachtungszeit), so dass nur noch Patienten in der Analyse verbleiben, die nach Meinung der Autoren auch tatsächlich als Watch & Wait Patienten gezählt werden können. Im Rahmen dieser erweiterten Untersuchung wurde für jede Analysepopulation unter anderem untersucht, welche weiteren onkologischen Erkrankungen die Patienten haben, welche Arztgruppe die MM-Diagnose gestellt hat und Zeit bis zum Tod nach Diagnosestellung.
Ergebnisse
Insgesamt wurden im Studienzeitraum 1.101 NDMM Patienten identifiziert. Von diesen waren 57,1% Männer und 42,9% Frauen. 39,3% (n=433) der analysierten Patienten erhielten eine systemische anti-MM-Behandlung. In 83,8% der Fälle (n=363) konnte aufgezeigt werden, dass die Patienten entweder nur eine systemische anti-MM-Therapie oder zusätzlich auch eine ASZT-Therapie erhielten. Von den 363 Patienten erhielten 34,2% eine ASZT- und 65,8% keine ASZT-Behandlung. Bei 16,2% der Patienten war keine spezifische Zuordnung zu einer ASZT- bzw. keiner ASZT-Behandlung möglich, da sie im Beobachtungszeitraum verstarben, oder die Nachbeobachtungzeit zu kurz war um eine gesicherte Aussage zu treffen. 60,7% der NDMM Patienten erhielten keine systemische anti-MM-Behandlung. 33,3% der therapierten Patienten erhielten eine MM-Erstdiagnose im stationären Setting, 20,1% bzw. 14,8% der Patienten erhielten diese durch den Hausarzt bzw. einen Onkologen, alle weiteren von anderen Arztgruppen. Die durchschnittliche Mortalität der NDMM Patienten betrug 27,4% in den ersten zwei Jahren nach Diagnosestellung, wobei sich zwischen den Analysepopulationen jedoch deutliche Unterschiede zeigten. Nach den drei Analyseschritten der unbehandelten Patienten können 318 von 668 Patienten als W&W eingestuft werden. Die mediane Zeit bis zum Tod der Patienten ohne eine systemische anti-MM-Behandlung, betrug 193 Tage.
Diskussion
Die Aussagekraft von Krankenkassendaten ist eingeschränkt, da diese Daten zu Abrechnungszwecken und nicht zu Analysezwecken erhoben werden. Dennoch bieten diese Daten Einblicke, um ein tieferes Verständnis hinsichtlich der Patientencharakteristik.
Praktische Implikation
Die Analyse zeigt, dass der Anteil an nicht unmittelbar mit einer anti-Myelom Therapie behandelbaren Patienten höher ist als in der gängigen Literatur bisher beschrieben (2,3).
Literatur:
(1) RKI. Robert Koch Institut. Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Zentrum für Krebsregisterdaten (GEKID). Krebs in Deutschland 2011/2012. 11. Ausgabe 2015. 2015.
(2) Kyle, R.A., et al., Clinical course and prognosis of smoldering (asymptomatic) multiple myeloma. N Engl J Med, 2007. 356(25): p. 2582-90.
(3) Rajkumar, S.V., What's new in multiple myeloma? Hematological Oncology, 2015. 33: p. 101.
Hintergrund: Allergische Atemwegserkrankungen betreffen Menschen aller Alters- und Gesellschaftsschichten und führen zu Einschränkungen im Alltag der Betroffenen. Da allergische Atemwegserkrankungen häufig bereits im Kindes- und Jugendalter entstehen und bei den meisten Patienten über die gesamte Lebensdauer bestehen bleiben, ist aus gesellschaftlicher und ökonomischer Perspektive eine optimale Versorgung wichtig. Die Behandlung bei allergischen Atemwegserkrankungen besteht zum einen aus der Allergenkarenz, die jedoch häufig nicht vollständig umgesetzt werden kann und/oder nicht zu vollständiger Symptomkontrolle führt, sowie der medikamentösen Behandlung der Symptome. Den einzigen kausalen Therapieansatz, mit der Fähigkeit den natürlichen Krankheitsverlauf zu ändern, stellt die spezifische Immuntherapie (SIT) dar. Neben einer über die Therapiedauer hinaus bestehenden Linderung der Symptomlast und somit des Medikationsbedarfs sowie ggf. Produktivitätsverlustes können durch die SIT auch die Entstehung von Asthma bei Rhinitikern sowie neue Sensibilisierungen verhindert werden. Die bisher für Deutschland berichteten Behandlungsraten für die SIT werden im internationalen Vergleich als niedrig bewertet. Eine Einordnung wird jedoch dadurch erschwert, dass der Anteil an für die SIT geeigneten Patienten in Deutschland bislang nicht untersucht wurde. Eine optimale Versorgung von allergischen Atemwegserkrankungen kann nur durch die Verabreichung der SIT bei geeigneten Patienten erfolgen.
Fragestellung: Das Ziel der Studie ist eine Analyse der Versorgungssituation von Patienten mit allergischen Atemwegserkrankungen mit Fokus auf die SIT. Primäre Arbeitshypothese ist die Annahme einer Über- und Unterversorgung von Patienten mit allergischen Atemwegserkrankungen im Hinblick auf das Vorliegen einer Indikation zur SIT. Sekundäre Arbeitshypothesen sind, dass Über- und Unterversorgung verstärkt in bestimmten Patientengruppen auftreten und dass es Merkmale gibt, die eine indikationsgerechte SIT signifikant begünstigen oder verhindern.
Methode: Um die Versorgungssituation der SIT bei allergischen Atemwegserkrankungen darzustellen wird eine retrospektive, querschnittliche, kohortenbasierte Versorgungsanalyse auf der Basis von Patientenangaben und Routinedaten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) durchgeführt. Für die Stichprobe werden auf Basis der Routinedaten einer großen bundesweit tätigen Krankenkasse Versicherte mit den ICD-Codes J30.1, J30.2, J30.3, J30.4 sowie J45.0 und J45.8 selektiert. Für die Indikation allergisches Asthma erfolgt eine zusätzliche Validierung über indikationsspezifische Arzneimittelverordnungen. In der Analyse werden die Studienteilnehmer in vier Gruppen unterteilt: a) SIT mit Indikation, b) SIT ohne Indikation, c) keine SIT bei Indikation zur SIT, d) keine SIT und keine Indikation zur SIT. Die Patientenangaben werden über eine postalische Befragung der Versicherten der Krankenkasse mittels standardisiertem Fragebogen erhoben, der soweit möglich validierte Instrumente zur Erhebung von Aspekten wie Erkrankungsschwere und Lebensqualität enthält. Es werden die folgende statistische Analysen durchgeführt: Quantifizierung der Über- und Unterversorgung und damit des Optimierungspotentials basierend auf der Gruppeneinteilung, deskriptive Darstellung der Symptomschwere, Lebensqualität und Krankheitskosten bei allergischen Atemwegserkrankungen allgemein und in den oben genannten Gruppen. Ein positives Ethikvotum liegt vor.
Ergebnisse: Während die Routinedaten umfassende und sektorübergreifende Informationen zu Diagnosen und Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen geben werden, liefern die Primärdaten aus den Patientenfragebögen Informationen zur aktuellen Versorgungssituation, Erkrankungsschwere, Therapiehistorie, Lebensqualität, Verwendung von nicht rezeptpflichtigen Medikamenten und soziodemographische Merkmale. Auf dieser Basis wird es möglich prädiktive Faktoren für Über- und Unterversorgung zu identifizieren, in denen sich die Gruppen signifikant unterscheiden. Dabei geht es zum einen darum prädiktive Faktoren für eine indikationsgerechte Versorgung und zum anderem prädiktive Faktoren für die Durchführung einer SIT zu ermitteln.
Diskussion:
praktische Implikationen: Mit VerSITA wird eine fundierte Grundlage für zukünftige Forschung und zur Information von Entscheidungsträgern geschaffen, um Maßnahmen zur Optimierung der Versorgung zu entwickeln.
Hintergrund
Freiheitsentziehende Maßnahmen (FEM) wie Bettgitter oder Gurte in Bett oder Stuhl werden regelmäßig in Krankenhäusern bei der Versorgung von Menschen mit Demenz oder Delirium eingesetzt; für Deutschland ist eine Prävalenz von 12% berichtet (Krüger et al. 2013, Int J Nurs Stud). FEM stellen einen massiven Eingriff in die Freiheitsrechte der Patienten dar und können sich negativ auf deren Genesung und Rehabilitation auswirken. Gründe für die Anwendung von FEM sind die Sicherung von zu- und ableitenden Systemen (wie Sonden, Drainagen) und die Vermeidung von potentiellen Stürzen bzw. sturz-bedingten Verletzungen. Der Nutzen von FEM ist nicht belegt, es gibt jedoch Hinweise auf unerwünschte Folgen der Demobilisierung. Für den Bereich der Akutpflege wurden zwar in verschiedenen Ländern Interventionen entwickelt, Wirksamkeitsstudien zu diesen Interventionen stehen aber noch aus. Aus Deutschland konnten keine Interventionen identifiziert werden.
Fragestellung
Ziel des Projekts war die Entwicklung und Pilotierung einer Intervention zur Reduktion von FEM im Akutkrankenhaus. Daraus ergaben sich die Fragestellungen: (1) welche Komponenten sollte eine Intervention beinhalten, um FEM im Akutkrankenhaus in Deutschland zu reduzieren und (2) ist die entwickelte Intervention umsetzbar und geeignet, FEM zu reduzieren.
Methode
Orientiert am Modell zur Entwicklung und Evaluation komplexer Interventionen (Craig et al. 2008, BMJ) wurde theoriegeleitet und auf Basis des aktuellen Wissens eine Intervention entwickelt, auf Praktikabilität hin überprüft und in zwei Abteilungen einer Universitätsklinik (Alterstraumatologie und Neurologie) pilotiert. Die Pilotstudie beinhaltete einen qualitativen Studienteil zur Überprüfung der Praktikabilität und Prozesse und einen quantitativen Teil zur Erhebungen der Anzahl von Patienten mit mindestens einer FEM (aus der Routinedokumentation) vor und 6 Monate nach der Intervention.
Ergebnisse
Auf Basis einer systematischen Aufarbeitung der Evidenz zum Thema und geleitet durch die Theorie des geplanten Verhaltens (Ajzen 1985) wurde eine komplexe Intervention mit einem multidisziplinären Ansatz entwickelt. Sie beinhaltet verschiedene Komponenten: intensive Schulung von Multiplikatoren, kurze Informationsveranstaltung zur Reduktion von FEM für Mitarbeiter aus den an der Versorgung beteiligten Berufsgruppen, Initiierung von regelmäßigen Audit- und Feedback-Runden zur Selbstevaluation und Verbesserung der Umsetzung der Intervention, sowie die explizite Unterstützung der pflegerischen und ärztlichen Leitungsebene. Die Multiplikatorenschulung beinhaltet die Vermittlung von Wissen zum fehlenden Nutzen und den unerwünschten Wirkungen von FEM, praxisnahe Strategien zu deren Vermeidung und die Diskussion von Fallbeispielen aus der Versorgungspraxis.
Die Ergebnisse des qualitativen Teils der Pilotierungsstudie zeigen, dass die Intervention grundsätzlich umsetzbar ist und von den Beteiligten als hilfreich eingeschätzt wird. Allerdings konnte der multidisziplinäre Ansatz bei einigen Komponenten nicht wie geplant umgesetzt werden und die Audit- und Feedback-Runden wurden nicht so regelmäßig implementiert wie geplant. Im quantitativen Teil der Studie wurden insgesamt n=258 (Baseline) und n=272 (nach 6 Monaten) Patienten auf den beteiligten Stationen eingeschlossen. Es zeigte sich nahezu keine Veränderungen der FEM-Häufigkeit, bei einer niedrigen Ausgangsprävalenz (Baseline n=4 Patienten mit mind. einer FEM und n=2 Patienten nach 6 Monaten). Als wichtigste Barriere für eine nachhaltige Reduktion der Anwendung von FEM wurde die hohe Arbeitsverdichtung genannt, die eine engmaschige Beobachtung des Verhaltens von Patienten mit kognitiven Einschränkungen erschwert.
Diskussion
Die Intervention konnte theoriegeleitet und auf Basis des aktuellen Wissens entwickelt werden und das Interventionskonzept wurde von den beteiligten Pflegenden als hilfreich und umsetzbar eingeschätzt. Allerdings ist es nicht gelungen, den multidisziplinären Ansatz wie geplant umzusetzen. Hier ist eine Weiterentwicklung der Intervention hinsichtlich der Stärkung des multidisziplinären Ansatzes nötig. Außerdem ist eine Überprüfung der Umsetzbarkeit der Intervention in weiteren Fachbereichen nötig, bevor der Nutzen der Intervention in einer klinischen Studie überprüft werden kann.
Praktische Implikationen
Aufgrund der rechtlichen und ethischen Implikationen von FEM und den potentiell negativen Auswirkungen auf die Patienten ist deren Reduzierung im Krankenhaus von hoher Relevanz. Die in diesem Projekt entwickelte und pilotierte Intervention muss weiterentwickelt werden, bevor sie in einer Wirksamkeitsstudie überprüft werden kann.
Hintergrund: Ein Großteil der Pflegebedürftigen in Deutschland wird von Angehörigen versorgt; diese leisten einen wesentlichen Beitrag zur Versorgung in einer zunehmend alternden Gesellschaft. Die Betreuung einer pflegebedürftigen Person ist physisch und psychisch anstrengend und führt häufig zu negativen gesundheitlichen Folgen für die pflegenden Angehörigen [1]. Nicht zuletzt durch die seit Jahren zunehmende Erwerbsbeteiligung von Frauen rückt die Vereinbarkeit von Angehörigenpflege und Erwerbstätigkeit in den Fokus der Forschung. Die Studienergebnisse zu den Effekten der Erwerbstätigkeit auf die Gesundheit pflegender Angehöriger sind widersprüchlich. Teilweise wird Erwerbstätigkeit als Zusatzbelastung verstanden [2, 3], gleichzeitig gibt es Hinweise auf eine mögliche entlastende Wirkung [4] .
Fragestellung: Ziel dieser Studie ist zu untersuchen, inwieweit die Gesundheitsauswirkungen der informellen Pflege durch den kontextuellen Faktor Erwerbstätigkeit beeinflusst werden.
Methode: Die Datengrundlage bieten zwei Querschnittstichproben des sozioökonomischen Panels (SOEP), einer repräsentativen bundesweiten Bevölkerungsumfrage, aus den Erhebungsjahren 2015 und 2016 (n=19.791). Als Untersuchungsgruppe „pflegende Angehörige“ definiert werden Personen, die mindestens eine Stunde in der Woche eine pflegebedürftige Person informell unterstützen, betreuen oder versorgen. Durch Anwendung von Propensity Score Matching wird eine Vergleichsgruppe identifiziert. Anhand eines multivariaten Regressionsmodells werden die Zusammenhänge in der Gruppe der pflegenden Angehörigen und der strukturangepassten Kontrollgruppe untersucht. Für eine graphische Darstellung werden Untergruppen zum zeitlichen Einsatz im Hinblick auf Angehörigenpflege und Erwerbstätigkeit gebildet.
Ergebnisse: Mittels Propensity Score Matching konnte zu den 1.349 pflegenden Angehörigen in der Stichprobe eine im Hinblick auf soziodemographische Faktoren strukturähnliche Kontrollgruppe in gleicher Größe (n=1.349) identifiziert werden. Die Ergebnisse der multivariaten Regressionsanalyse geben Hinweise auf die moderierende Wirkung von Erwerbstätigkeit im Hinblick auf die negativen gesundheitlichen Auswirkungen der Angehörigenpflege. Die graphische Darstellung verdeutlicht die Komplexität des nicht-linearen Interaktionseffekts.
Diskussion: Unsere Ergebnisse geben Hinweise auf den Interaktionseffekt zwischen zeitlicher Intensität der Angehörigenbetreuung und Erwerbstätigkeit auf die physische und psychische Gesundheit pflegender Angehöriger. Bisher teilweise nicht-signifikante und teilweise widersprüchliche Studienergebnisse zum Effekt von Erwerbstätigkeit auf die gesundheitlichen Auswirkungen der Angehörigenpflege können durch unsere Analyse der Wirkungszusammenhänge für die Gesamtgruppe pflegender Angehöriger neu eingeordnet werden. Der signifikante moderierende Effekt der Erwerbstätigkeit ist in der Wirkung maßgeblich durch die Gesamtbelastung aus den beiden Tätigkeitsbereichen geprägt.
Praktische Implikationen: Die Ergebnisse zeigen die möglichen positiven Effekte der Erwerbstätigkeit auf den Erhalt der Gesundheit pflegender Angehöriger. Sie können in der Diskussion um die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege dazu beitragen, angemessene Unterstützungsmaßnahmen für erwerbstätige pflegende Angehörige zu entwickeln.
Literatur
[1] Bom J, Bakx P, Schut F, van Doorslaer E (2018). The Impact of Informal Caregiving for Older Adults on the Health of Various Types of Caregivers: A Systematic Review. Gerontologist. doi:10.1093/geront/gny137
[2] Kenny P, King MT, Hall J (2014). The physical functioning and mental health of informal carers: evidence of care-giving impacts from an Australian population-based cohort. Health Soc Care Community. doi:10.1111/hsc.12136
[3] Kohl NM, Mossakowski KN, Sanidad II Bird OT, Nitz LH (2018). Does the Health of Adult Child Caregivers Vary by Employment Status in the United States? J Aging Health. doi:10.1177/0898264318782561
[4] Barnett AE (2015). Adult Child Caregiver Health Trajectories and the Impact of Multiple Roles Over Time. Research on Aging. doi:10.1177/0164027514527834
Hintergrund
Ein Ziel der organisationsbezogenen Versorgungsforschung ist es, Strukturen und Prozesse in den Organisationen zu beschreiben und deren Auswirkungen auf die Qualität der Gesundheitsversorgung zu untersuchen. Im Setting der stationären Langzeitpflege setzt dieses Anliegen voraus, strukturelle Unterschiede zwischen den Organisationen (Pflegeeinrichtungen) und ihrer Organisationseinheiten (Wohnbereiche) zu untersuchen und zu beschreiben. Aus diesem Grund verfolgen wir das Ziel, eine Typologie von Wohnbereichen zu entwickeln, mit deren Hilfe sich diese Unterschiede systematisch abbilden lassen, um anschließend Rückschlüsse auf die Prozess- und Ergebnisqualität von Intervention bei bestimmten Wohnbereichstypen ziehen zu können. Auf der Grundlage empirisch entwickelter Typologien und dem theoretischen Erkenntnisgewinn ist die Bildung einer Definition möglich.
Fragestellung
Das Ziel der Analyse ist es, eine empirische Typologie von Wohnbereichen in Einrichtungen der Langzeitpflege zu entwickeln, die sich hinsichtlich ihrer strukturellen Merkmale unterscheidet. Die Typen werden anschließend hinsichtlich der Bewohnerstruktur untersucht.
Methode
Für die Untersuchung wurden Daten einer Beobachtungsstudie in 103 Wohnbereichen aus dem Jahr 2013 genutzt. Gegeben sind verschiedene Merkmale von Wohnbereichen (Personalausstattung und -organisation, bauliche Merkmale, Organisation der Mahlzeitenversorgung usw.). Gesucht ist eine Gruppierung der Wohnbereiche anhand dieser Merkmale, sodass ähnliche Wohnbereiche zur gleichen Gruppe gehören. Dies ist eine explorative Fragestellung, weil die Forschenden vorher nicht wissen, welche Merkmale relevant sind und wie viele verschiedene Gruppen in den Daten enthalten sind. Zudem handelt es sich um eine multivariate Fragestellung, da mehr als 30 Merkmale vorliegen. Die hier gewählte Lösung des Problems erfolgt in zwei Schritten: Erstens eine Multiple Korrespondenzanalyse (MCA); dies ist ein dimensionreduzierendes Verfahren, das aus den vielen Merkmalen ein paar wenige Merkmalskombinationen heraussucht, sodass immer noch möglichst viel Information des Datensatzes erhalten bleibt. Zweitens wird eine agglomerative hierarchische Clusteranalyse (AHC) mit den dimensionreduzierten Daten durchgeführt. Dieses Verfahren gruppiert die Daten so, dass die Ähnlichkeiten der Wohnbereiche innerhalb einer Gruppe möglichst groß sind. Unterschiede zwischen den Bewohnermerkmalen Demenzdiagnose und –schwere werden abschließend deskriptiv beschrieben.
Ergebnisse
Insgesamt wurden die Daten von 103 Wohnbereichen ausgewertet, die sich auf 11 Bundesländer verteilen. Durch die MCA konnte Unterschiede zwischen den Wohnbereichen aufgedeckt werden, die sich insbesondere durch die Wohnbereichsgröße (Bettenanzahl), Zusatzqualifikation der Wohnbereichsleitung im Bereich der Gerontopsychiatrie, das Wohnkonzept und die zusätzliche Finanzierung durch eine gesonderte Leistungsvereinbarung definieren. Dabei konnten drei Cluster identifiziert werden, die signifikant mit einer bestimmten Kombination von Merkmalen auftreten. Inhaltlich können die drei Cluster als „Hausgemeinschaft“, „Demenzspezifische Wohnbereiche“ und „Konventionelle Wohnbereiche“ definiert werden. Durch die Bildung dieser 3 Cluster konnten 38 Prozent der Gesamtvarianz erklärt werden. Die Unterschiede zwischen den Clustern spiegeln sich zudem in der Bewohnerstruktur wider. Die demenzspezifischen Wohnbereiche und die Hausgemeinschaften weisen höhere Anteile von Bewohnern mit einer Demenzdiagnose auf.
Diskussion
Die Untersuchung hat gezeigt, dass anhand der Daten eine empirische Bildung von Clustern möglich ist, die sich in ihren Organisationsmerkmalen deutlich voneinander unterscheiden. Da sich zudem auch die Bewohner der identifizierten Wohnbereichstypen in ihren Merkmalen unterscheiden, ist davon auszugehen, dass auch Versorgungsprozesse unterschiedlich erfolgen und sich die Versorgungsqualität eventuell unterscheidet. Die vorliegende Untersuchung basiert auf einer Gelegenheitsstichprobe, die nicht repräsentativ für die Grundgesamtheit von Pflegeeinrichtungen in Deutschland ist. Damit die entwickelte Typologie verallgemeinerbar ist, sollte sie in einer Folgeuntersuchung auf der Grundlage einer Zufallsstichprobe erfolgen. Die induktive explorative Vorgehensweise ermöglichte es, Variablen zu identifizieren, über deren Beitrag zu einer Clusterbildung bislang theoretisch nichts bekannt ist. Das Verfahren trägt zur Theoriebildung bei, auf deren Grundlage eine Definition verschiedener Wohnbereichstypen erfolgen kann.
Praktische Implikationen
Die Typologie von Wohnbereichen bildet eine wichtige Ausgangslage, die es ermöglicht passendere Outcomes zu identifizieren und passgenauere Interventionen zu entwickeln. Die angestrebte Theoriebildung zum Gegenstand unterschiedlicher Wohnbereichstypen und anschließende Definition dieser ermöglicht es langfristig, den Einfluss dieser in Studien der Versorgungsforschung zu bestimmen.
Background: In Germany, advance care planning (ACP) for residents of nursing homes and mental health care institutions were introduced by a legal act in 2015.
Objective: This study aims to evaluate the effect of an ACP program in care dependent community-dwelling older persons on patient’s activation, compared to optimised usual care. Following the UK Medical Research Council’s (MRC) guidance for development and evaluation of complex interventions, we recently adapted the program Respecting Choices to the ambulatory care setting. Due to the feasibility, the adapted version of the program is timely restricted and less extensive. Therefore it aims to raise awareness to ACP and to enable people to communicate their wishes regarding future medical treatment and care. The STADPLAN intervention is pre-tested and piloted in a temporally feasible version.
Methods, analysis and expected results: A cluster-randomised controlled trial with 12 months follow up will be conducted in 3 German study sites. Eligibility criteria for patients are: > 60 years or older, adequate German language skills, degree of care dependency > 1, DSS score of < 3 or 3-5, if a known nurse evaluates the patient as being able to participate. ACP will be delivered by two trained nurse facilitators per home care service. The ACP communication will offer inclusion of a proxy decision-maker. The primary endpoint of the study is patient activation, operationalised by the Patient Activation Measure (PAM-13). Secondary endpoints include ACP-engagement, proportion of advance directives, hospitalisation, quality of life as well as depression and anxiety. An economic evaluation as well as a comprehensive process evaluation will be conducted. The primary outcome will be assessed by blinded study assistants.
The recruitment of participants will start in June 2019 and the last follow up measurement will be finished in September 2020. We aim to allocate 32 home care services including 960 participants either to the intervention or to the control group. Group comparison will be conducted by using a mixed model with a level of significance of α = 0.05 (two-sided) adjusting for baseline values (fixed effect) and cluster effect (random effect).
Discussion and practical implications: STADPLAN is the first study in Germany that empowers nurses to deliver an ACP offer to older people being cared for at home. The results will support the improvement of understanding and communicating the patient’s will regarding future medical treatment and care, and thereby contribute to patient´s autonomy at the end of life.
Ethics and dissemination: Approved by the Ethics Committees of the Medical Faculties of the Universities of Halle-Wittenberg and Oldenburg in a joint evaluation process with the Ethics Committee at the University of Lübeck, Germany. Results will be disseminated via international journal publications as and conference contributions.
Trial registration: German Clinical Trials Register (DRKS00016886)
Funding: German Federal Ministry of Education and Research (BMBF)
Hintergrund: Die S3-Leitlinie Demenzen der DGN & DGPPN behandelt verschiedene Arten von „psychosozialen Interventionen“ wie etwa kognitives Training. Interventionen, die mehrere Komponenten kombinieren, werden nicht erwähnt, obwohl es bereits seit mehr als zwei Jahrzehnten empirische Hinweise gibt, dass Mehrkomponenten-Interventionen eine größere Wirkstärke als ihre einzelnen Komponenten besitzen (1).
Fragestellung:
Welche Wirkung auf die kognitiven Fähigkeiten von Menschen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung (MCI) oder leichter oder mittelschwerer Demenz zeigt die Mehrkomponenten-MAKS®-Intervention in der offenen Phase der Anwendung? Offene Phase bedeutet, dass den Tagespflege-Einrichtungen (TP) nach der 6-monatigen randomisiert-kontrollierten Phase freigestellt war, die MAKS®-Intervention anzuwenden.
Methodik: MAKS® besteht aus einer motorischen (M), alltagspraktischen (A), kognitiven (K) und sozial-kommunikativen (S) Komponente (siehe http://www.maks-therapie.de). Die Intervention wird als Gruppentherapie für ca. 10 Personen in einer 2-stündigen Tageseinheit angewandt. Sie wurde in einer cluster-randomisierten, kontrollierten Verlaufsstudie in 32 TPs geprüft (2). Am Ende der 6-monatigen kontrollierten Phase mit strukturierter Anwendung von MAKS® (vorgegebener Interventionsplan) in den 16 Interventions-TPs wurden auch die 16 TPs der Kontrollgruppe in MAKS® geschult (Warte-Kontrollgruppen-Design). Danach war es allen 32 TPs freigestellt, ob sie MAKS® anwenden oder nicht, und falls ja, in welcher Intensität (offene Phase). Als primäres Outcome für die kognitiven Fähigkeiten wurde die Mini-Mental State Examination (MMSE) zu Studienbeginn und nach 6 sowie 12 Monaten erhoben (Zeitpunkte t6 bzw. t12).
Gerechnet wurde eine multiple lineare Regression mit dem MMSE-Wert zu t12 als abhängiger Variablen. Als unabhängige Variablen wurden unter anderem der MMSE-Wert zu t6 und „MAKS in der offene Phase durchgeführt ja (1) oder nein (0)“ eingesetzt. Durchgeführt wurde eine „per protocol“-Analyse, d.h. ohne Personen, die verstorben sind oder ins Pflegeheim übergetreten waren oder die TP verlassen hatten.
Ergebnisse:
208 Personen in 22 TPs erhielten MAKS. In 10 TPs mit 79 Studienteilnehmer/innen wurde kein MAKS angeboten. Der durchschnittliche MMSE-Wert veränderte sich unter MAKS von 19,8 (6,1) zu t6 auf 19,4 (6,4) zu t12. In der Gruppe ohne MAKS sind die entsprechenden Werte 19,1 (5,5) bzw. 17,9 (6,0). In der multiplen Regression resultierten drei signifikante Prädiktoren: Der MMSE-Wert zu t6 (p < 0,001), MAKS durchgeführt ja/nein (p=0,019) sowie Einnahme von Antidementiva (ja/nein) (0,012). In der Gruppe mit Antidementiva (n=81) nahm der MMSE-Wert im Verlauf von 6 Monaten stärker ab als in der Gruppe ohne Antidementiva (n=206): -1,2 Punkte vs. -0,3 Punkte. Alle anderen unabhängigen Variablen waren nicht signifikant: Alter, Geschlecht, Depressivitätswert des TP-Gastes und Besuchshäufigkeit in der TP zwischen t6 und t12 (1-2 vs. 3-5 Tage/Woche).
Schlussfolgerungen:
Die festgestellte Wirkung der MAKS-Intervention in der kontrollierten Phase der Studie ist verknüpft mit der manualisierten und damit quasi standardisierten Durchführung der Intervention (3). In der offenen Phase der Studie kann keine Aussage über die Intensität der MAKS-Anwendung in den TPs, die angaben, MAKS durchgeführt zu haben, getroffen werden. Da die TPs in der Umsetzung frei waren, dürfte der Umfang zwischen wenigen MAKS-Elementen pro Tag und der kompletten MAKS-Einheit liegen. Trotz dieser Einschränkung konnten in der offenen Phase die kognitiven Fähigkeiten durchschnittlich etwa auf dem Ausgangswert stabilisiert werden, während sie in den TPs ohne MAKS signifikant stärker nachließen. Dieses Ergebnis zeigt, dass MAKS in der Tagespflege auch in der freien Anwendung wirksam ist.
Literatur
1 Oswald WD, Hagen B, Rupprecht R (2001). Nichtmedikamentöse Therapie und Prävention der Alzheimer Krankheit. Z Gerontol Geriat 34:116–121.
2 Behrndt E-M, Straubmeier M, Seidl H, Book S, Graessel E, Luttenberger K (2017). The German day-care study: multicomponent non-drug therapy for people with cog-nitive impairment in day-care centres supplemented with caregiver counselling (DeTaMAKS) – study protocol of a cluster-randomised controlled trial. BMC Health Services Research 17:492.
3 Straubmeier M, Behrndt E-M, Seidl H, Özbe D, Luttenberger K, Graessel E (2017).
Non-pharmacolgical treatment in people with cognitve impairment – results from the randomized controlled German Day Care Study. Deutsches Ärzteblatt International 114:815-821.
(* geteilte Erstautorenschaft)
Hintergrund: Angesichts der steigenden Zahl an Demenzerkrankungen gewinnt die Debatte zur Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf zunehmend an sozialpolitischer Brisanz. Informelle Pflegepersonen von Menschen mit Demenz (MmD) sind physischen und psychischen Belastungen und, wenn sie im erwerbsfähigen Alter sind, zudem finanziellen Einbußen ausgesetzt. Doch wie die gleichzeitige Erwerbstätigkeit erlebt wird, hängt von verschiedenen sozialen und individuellen Faktoren ab. Ziel dieser mixed methods-Studie (QUAL-quan-Design) ist es, die Vereinbarkeit der Pflege bei Demenz mit Familie und Beruf genauer zu ergründen, indem wir die Netzwerke und die persönliche Charakteristika der informellen Pflegepersonen von MmD eingehend betrachten.
Fragestellung: Forschungsleitende Fragestellungen für den QUAL-Teil der Studie sind: Wie erleben die Mitglieder informeller, pflegerischer Netzwerke die Übernahme der Pflegeverantwortung für einen MmD? Wie nehmen sie die Aufgabenverteilung wahr? Wie erleben sie mögliche Veränderungen im privaten, familiären, beruflichen Leben durch die Pflege? Wie werden mögliche Bedingungen erlebt, die die wahrgenommenen Veränderungen beeinflussen?
Zur Anreicherung des QUAL-Studienmaterials werden im Rahmen des quan-Studienteils soziodemo- und psychographische Daten der Pflegepersonen erhoben.
Methode: In dieser mixed methods-Studie (simultaneous qualitatively driven mixed methods-design) wurden qualitative und quantitative Daten von informellen Pflegenetzwerken erhoben. Diese bestehen aus familialen und nicht-familialen Pflegepersonen von zuhause lebenden MmD. Narrative Interviews, in denen die Pflegepersonen frei ihr Erleben der Pflege erzählen, werden mithilfe der Dokumentarischen Methode interpretiert. Über Netzwerkkarten werden die Struktur der einzelnen Netzwerke und deren Bedeutung für die Pflegepersonen sichtbar. Die pflegebedingte Belastung, Gesundheit, Persönlichkeitseigenschaften, Selbstwirksamkeit und Coping-Fähigkeiten der Pflegepersonen werden mithilfe validierter Fragebögen gemessen (CarerQol, EQ-5D, NEO-FFI-30, ASKU, PCI).
Ergebnisse: Insgesamt konnten 19 Pflegepersonen aus 7 Netzwerken eingeschlossen werden. Das Durchschnittsalter beträgt 51 Jahre und der Großteil (79 %) der Pflegepersonen ist weiblich. Mit 47 % stellen die pflegenden Kinder die größte Gruppe dar und in dieser Studie sind sie, bis auf eine Ausnahme, berufstätig. Insgesamt sind 73,7 % des Samples erwerbstätig und weitere 10,5 % bereits berentet.
Die Interpretation des qualitativen Studienmaterials beschränkt sich zum aktuellen Zeitpunkt auf die Netzwerke der pflegenden Kinder. Es zeigen sich Geschwister-Netzwerke, die sich entweder an geteilter Pflegeverantwortung und Kooperation unter den Netzwerkmitgliedern oder an ungleich verteilter Pflegeverantwortung orientieren, wodurch das Netzwerk ein hohes Konfliktpotenzial birgt. Auslöser der Konflikte, die augenscheinlich um die Pflege ausgetragen werden, liegen nicht nur in der gegenwärtigen Pflegesituation, sondern sind auch auf frühere Ereignisse in den Biographien der pflegenden Geschwister zurückzuführen. Zur weiteren Interpretation können die Geschwister-Netzwerke mit anderen Netzwerken verglichen werden (z.B. pflegende Eheleute).
Nur wenige Pflegende berichten von Auswirkungen der Pflege auf den Beruf und niemand wäre bereit, die Berufstätigkeit für eine intensivere Pflegetätigkeit aufzugeben. Der Beruf wird teilweise als willkommene Ablenkung von der Pflege gesehen. Die Pflegenden entwickeln Strategien, ihren Tagesablauf effizient zu strukturieren. Weiterhin nehmen sie externe Hilfsangebote in Anspruch, die ihnen mehr Flexibilität im Alltag verschaffen. Durch den Einbezug nicht-familialer Pflegepersonen konnte eine bisher wenig untersuchte Personengruppe, ehrenamtlich Tätige in der Betreuung von MmD, identifiziert werden.
Diskussion: Die Kombination beider Forschungsstränge wird auf dem Level der Interpretation erfolgen und dazu dienen, die qualitativen Studienergebnisse anhand der quantitativen Befunde zu kontextualisieren und Hypothesen zu generieren. Angesichts des kleinen Samples können keine Rückschlüsse auf Zusammenhänge gezogen werden.
Praktische Implikationen: Unsere Studie wird die Debatte um die Vereinbarkeit der Pflege bei Demenz mit Familie und Beruf erstmalig mit Ergebnissen bereichern, die die Sicht von verschiedenen informellen Pflegepersonen widerspiegeln und vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Charakteristika und dem Netzwerk, dem sie angehören, entstanden sind. Basierend auf dem rekonstruierten Erleben der Pflege lassen sich Typen entwickeln, die verschiedene Wege der Vereinbarkeit aufzeigen können. Implikationen zur Unterstützung der informellen Pflegenetzwerke von MmD werden abgeleitet werden. Schon jetzt zeigt sich dringender Bedarf nach psychologischer Begleitung der nahen, mit der Pflege betrauten Angehörigen der MmD – vor allem derjenigen, die zu einem Netzwerk mit ungleich verteilter Pflegeverantwortung gehören.
Hintergrund
Derzeit leben rund 1,7 Mio. Menschen mit Demenz (MmD) in Deutschland. Im Jahr 2050 werden aufgrund der steigenden Lebenserwartung bundesweit drei Mio. MmD erwartet. Da zwischen 50 und 80 Prozent vollstationäre Versorgung bedürfen, ist eine langfristig wirksame Umstellung von Pflege und Betreuung anzustreben (DAK, 2018).
‚TiP.De – Theater in der Pflege von Menschen mit Demenz‘ erforscht als Pilotprojekt den Einfluss theaterpädagogischer Methoden auf die Lebensqualität von MmD im Setting der Altenpflege. Das Projekt findet von April 2017 bis März 2020 unter finanzieller Förderung des Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung und das Land Niedersachsen (EFRE, ZW 6-85003210) statt.
Fragestellung
Die Fragestellung, inwieweit theaterpädagogische Interventionen Einfluss auf die Lebensqualität und agitiertes Verhalten von MmD nehmen, wird verfolgt (Seeling, Cordes & Höhn, 2018).
Das Ziel des Projektes ist es, ein theaterpädagogisches Interventionskonzept zu entwickeln und in zwei Altenpflegeeinrichtungen zu implementieren, um Ergebnisse über die Wirksamkeit zu generieren und die Versorgung von MmD zu individualisieren.
Methode
In der experimentellen Interventionsstudie wird der Effekt des theaterpädagogischen Konzeptes auf MmD erforscht. Der Mini-Mental-Status-Test misst den Grad der Erkrankung. Lebensqualität wird durch das QUALIDEM 2.0 erhoben. Agitiertes Verhalten bildet das Cohen-Mansfield Agitation Inventory ab. Die emotionale Skala des Heidelberger Instruments zur Erfassung der Lebensqualität Demenzkranker wird während des Angebots angewendet, um emotionale Regungen auf unterschiedliche Reize zu registrieren. Die Daten werden im Prä-Post-Vergleich gegenübergestellt. In die Studie werden 40 Teilnehmende mit der Diagnose Demenz, mindestens zwei Pflegediagnosen nach den European Nursing Care Pathways und gesicherter Mobilität aufgenommen.
Das jeweils zehn Einheiten umfassende Interventionskonzept wurde im Jahr 2018 mit vier unterschiedlichen Gruppen in zwei Altenpflegeeinrichtungen angeboten. Es fügte sich in die Lebenswelt der Teilnehmenden und den Alltag der Einrichtungen ein, da eine inhaltliche Orientierung an der Landwirtschaft bestand, welche die Region und die Biografie der Teilnehmenden bis in die 1970er Jahre prägte (Seeling, Cordes & Höhn, 2018).
Als Spielleitung gibt die Theaterpädagogin Impulse zur Aktivierung in die Interventionsgruppe, während eine Betreuungskraft als Spielbegleitung die Impulse verstärkt und sich um die persönlichen Bedürfnisse der Teilnehmenden während der Intervention kümmert (Höhn, Seeling & Cordes, 2018).
Ergebnisse
Studien zur Theaterarbeit mit älteren Menschen zeigen, dass Theaterspielen die Lebensqualität erhalten und verbessern kann (Seeling & Cordes, 2017), weshalb erwartet wird, dass ein messbar positiver Effekt der Theaterinterventionen auf Lebensqualität, agitiertes Verhalten und Krankheitsgrad der MmD zu verzeichnen ist.
Diskussion
Mit Methoden der Theaterpädagogik werden in der Pflege von MmD neue Wege erschlossen, um die Versorgung zu individualisieren, die Lebensqualität zu verbessern und die Beziehungsgestaltung sicherzustellen. Somit kann der anfangs geschilderten Forderung nach einer Anpassung der pflegerischen Versorgung von MmD Folge getragen werden.
Praktische Implikationen
Das theaterpädagogische Interventionskonzept wird als Methodenkoffer veröffentlicht, um das Betreuungsangebot mit dem Ziel der Beziehungsgestaltung in das Setting der Altenpflege zu integrieren. Dies zielt auf eine Verbesserung der Versorgungssituation und der Lebensqualität, sowie die im Expertenstandard des DNQP geforderte Beziehungsgestaltung in der Pflege von MmD ab (DNQP, 2018). Das Konzept schafft ein neues Arbeitsfeld für Theaterpädagogen/innen und trägt zu einer positiv empfundenen Arbeitssituation und –belastung für Pflegende bei (Seeling, Cordes & Höhn, 2018).
Literatur
Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) (2018). Expertenstandard Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz. Osnabrück. Hochschule Osnabrück.
Höhn, J., Seeling, S. & Cordes, F. (2018). Der Kreis als Bühne theatraler Erinnerungen. Theater in der Pflege von Menschen mit Demenz. Zeitschrift für Theaterpädagogik 34 (73), 53-56.
DAK-Gesundheit (DAK) (Hrsg.) (2018). Pflegereport 2018. Pflege von Ort – gelingendes Leben mit Pflegebedürftigkeit. Abgerufen von https://www.dak.de/dak/download/pflegereport-2018-2041452.pdf am 12.03.2019.
Seeling, S. & Cordes, F. (2017). TiP.De – Theater in der Pflege von Menschen mit Demenz. Eine Literaturrecherche zum Start des interdisziplinären Forschungsprojektes in der Altenpflege. Pflegewissenschaft 19 (9/10), 433-439.
Seeling, S., Cordes, F. & Höhn, J. (2018). Das interdisziplinäre Forschungsprojekt TiP.De – Theater in der Pflege von Menschen mit Demenz. Der Effekt der Theaterpädagogik auf die Lebensqualität von Menschen mit Demenz – ein interdisziplinäres Forschungsprojekt. Pflegewissenschaft 20 (7/8), 296-303.
Hintergrund
Die meisten Menschen mit Demenz leben in der eigenen Häuslichkeit und werden dort maßgeblich von Angehörigen versorgt. Im Verlauf der Demenz ist das Herstellen und Aufrechterhalten einer stabilen häuslichen Versorgungssituation ein handlungsleitendes Motiv versorgender Angehöriger und auch ein Ziel staatlicher Sozial- und Gesundheitspolitik. Während es einigen Angehörigen gelingt, die Versorgung für sich und den Menschen mit Demenz über einen langen Zeitraum gut zuhause zu gestalten, schaffen es andere Angehörige nicht das Versorgungsarrangements zu stabilisieren, was häufig mit einem Umzug des Menschen mit Demenz in ein anderes Versorgungssetting verbunden ist. Ziel der vorgestellten Studie ist es den Prozess der Herstellung der Stabilität häuslicher Versorgung zu konzeptualisieren. Im Rahmen dieses Beitrags wird darüber hinaus die Typenbildung versorgender Angehöriger als eine Möglichkeit der Unterscheidung stabiler und instabiler Versorgungsarrangements diskutiert.
Fragestellung
Was konstituiert die Stabilität häuslicher Versorgungsarrangements für Menschen mit Demenz? Wie werden Typen versorgender Angehöriger methodisch gebildet? Welchen Beitrag kann die Typenbildung zu einem besseren Verständnis von Stabilität häuslicher Versorgungsarrangements leisten?
Methode
Bestehende Evidenz zum Phänomen Stabilität häuslicher Versorgungsarrangements wurde im Rahmen einer Meta-Studie synthetisiert. Durch eine systematische Datenbankrecherche (Medline, CINAHL, PsycINFO), die mit einem theoretisches Sampling und Forward-/Backward-Citation-Tracking kombiniert wurde, wurden relevante Studien identifiziert und anhand vordefinierter Kriterien ausgewählt. Sowohl quantitative und qualitative Studien als auch mixed-methods Studien und Reviews wurde in die Meta-Studie eingeschlossen. In einem analytischen Dreischritt wurden sowohl Forschungsergebnisse (Meta-Data) als auch Theorien (Meta-Theory) und Methoden (Meta-Method) der eingeschlossenen Studien analysiert und schließlich einer gemeinsamen Synthese (Meta-Synthesis) zugeführt. Zentrale Auswertungsmethode war die thematische Synthese.
Ergebnisse
Das Ergebnis der Meta-Studie ist eine Theorie mittlerer Reichweite, die Stabilität häuslicher Versorgungsarrangements als die Folge des Handelns versorgender Angehöriger konzeptualisiert. Zentrale Konzepte der Theorie sind der Versorgungsverlauf und die mit ihm verbundenen Veränderungen, die Bedürfnisse des Menschen mit Demenz und des Angehörigen, die Beziehung zwischen Menschen mit Demenz und Angehörigen, ihre Ressourcen, das Rollenverständnis des Angehörigen sowie das Gesundheitssystem und die Gesellschaft. In vier in der Meta-Studie eingeschlossenen Studien werden Typen von versorgenden Angehörigen gebildet. In zwei Studien werden quantitative Verfahren und in zwei Studien qualitative Verfahren für die Typenbildung genutzt. In den quantitativen Studien werden Typen aufgrund statistischer Ähnlichkeit von Merkmalen wie beispielsweise Alter, Verwandtschaftsgrad oder subjektiver Belastung gebildet. In den qualitativen Studien werden Typen aufgrund von ähnlichen Handlungsstrategien (z. B. passiv-reagierende und aktiv-antizipierende Typen) der Angehörigen konstruiert. Trotz unterschiedlicher methodischer Vorgehensweise werden in qualitativen und quantitativen Studien Typen unterschieden, die als stabil oder wenig stabil bezeichnet werden können.
Diskussion
Die Stabilität häuslicher Versorgung von Menschen mit Demenz ist durch eine Vielzahl von Faktoren abhängig und erklärbar. Darüber hinaus weist die in der Meta-Studie entwickelt Theorie auf die Dynamik und Komplexität der Herstellung von Stabilität hin. Eine Typenbildung könnte ein geeignetes methodisches Vorgehen zu sein, um diese Komplexität zu reduzieren und typische Versorgungssituationen in Hinblick auf ihre Stabilität zu identifizieren. Inwiefern quantitativ gebildete Typen mit qualitativ gebildeten Typen in einem Zusammenhang stehen, ob mit spezifischen sozialstrukturellen und psychosozialen Merkmalen also spezifische Handlungsmuster korrespondieren, wird Gegenstand weiterer empirischer Forschung sein.
Praktische Implikationen
Die entwickelte Theorie zur Stabilität häuslicher Versorgungsarrangements von Menschen mit Demenz kann als Framework für weitergehende empirische Forschung genutzt werden. Außerdem bietet sie durch das Nennen zentraler Einflussfaktoren auf das Herstellen von Stabilität Ansatzpunkte für die Entwicklung von Versorgungsstrukturen und -interventionen, die auf eine Stabilisierung häuslicher Versorgungsarrangements abzielen. Bei deren Entwicklung könnte darüber hinaus die Typenbildung ein geeignetes Mittel sein, um zielgruppenspezifische Angebote zu entwickeln.
Hintergrund: Im Rahmen einer vom Innovationsfond geförderten Studie wurden die Einstellungen von Hausärzten (HÄ) und Pflegefachpersonen (PFP) zur Übertragung ärztlicher Tätigkeiten auf Pflegefachpersonal in der ambulanten Demenzversorgung mit einem neu entwickelten standardisierten schriftlichen Fragebogen erfasst. In diesem Rahmen sollten auch Menschen mit Demenz (MmD) zum Thema befragt werden. Auf Grund kognitiver Einschränkungen durch das Krankheitsbild Demenz wurden besonders hohe Anforderungen an den zu entwickelnden Patientenfragebogen gestellt.
Fragestellung: Ziel der vorliegenden Untersuchung war es, einen Fragebogen zu entwickeln, der in Struktur und Umfang so aufgebaut ist, dass es speziell MmD möglich ist, die Fragen und Antwortoptionen zu verstehen und diesen in einem angemessenem Zeitrahmen auszufüllen.
Methode: Grundlage für die Fragebogenentwicklung bildete der für HÄ und PFP erstellte Fragebogen zur Übertragung ärztlicher Tätigkeiten auf nicht-ärztliches Personal. Die Modifizierung des Fragebogens für MmD basierte dabei auf Expertengesprächen mit speziell ausgebildeten Dementia Care Managern (DCM). Zur Überprüfung der modifizierten Fragebogenversion auf Verständlichkeit und Praktikabilität erfolgten qualitative Einzelinterviews mit MmD (N=10) aus Pflegeeinrichtungen und privaten Haushalten. Zudem wurde die Ausfülldauer gemessen.
Ergebnisse: Aus den Expertengesprächen mit den DCMs geht hervor, dass im Besonderen darauf geachtet werden muss, dass der Fragebogen kurze prägnante Sätze enthält, Satzverbindungen mit „oder“ vermieden werden, die Antwortkategorien einfach (Ja/Nein) gestaltet werden, der Umfang so gering wie möglich gehalten wird sowie die Schriftgröße altersentsprechend angepasst werden muss. Die qualitativen Einzelinterviews mit MmD ergaben, dass bereits eine leichte Demenz ein Ausfüllen des Fragebogens erschwert, da z.B. Fragen nicht verstanden werden. Aufgrund dessen wurde neben einer Selbstausfüllerversion eine zusätzliche Proxyversion (Fremdausfüller) entwickelt. Darüber hinaus wurde der Umfang der finalen Fragebogenversion deutlich reduziert sowie strukturelle Anpassungen (z.B. Änderung der Antwortformate) vorgenommen. Die durchschnittliche Ausfüllzeit des Fragebogens lag bei 17 Minuten. Der finale Fragebogen für MmD besteht aus 37 Items. Die Items verteilen sich dabei wie folgt: Akzeptanz gegenüber einer Aufgabenneuverteilung ärztlicher Aufgaben an Pflegefachpersonen: 34 Items, Qualifikationsbedarf einer Pflegefachperson: 1 Item und Arzt-Patienten-Beziehung: 2 Items sowie Fragen zum Geschlecht und Geburtsjahr. Im Rahmen der Hauptstudie wurde der Fragebogen bei N=211 Menschen mit Demenz (51,4% männlich, Ø 81,5Jahre alt) eingesetzt. Es zeigte sich, dass der Fragebogen von einer Großzahl der Probanden durchgängig und konsistent ausgefüllt (Missing Values < 6%) wurde. Dies deutet auf eine hohe Praktikabilität und Akzeptanz des Instruments durch die Probanden hin. Lediglich ein Item, welches Bezug auf die Fahrtauglichkeit der MmD nahm, wurde von > 6% der Befragten nicht beantwortet.
Diskussion: Die Fragebogenerstellung für MmD wurde durch das hohe Alter der Probanden ( > 65 Jahre) sowie deren kognitive Einschränkungen erschwert. Dennoch ist es gelungen, einen Fragebogen zu entwickeln, der die subjektiven Einstellungen von MmD im Hinblick auf eine künftige Aufgabenübertragung von ärztlichen Aufgaben auf nicht-ärztliches Personal in der ambulanten Demenzversorgung erfasst. Da inhaltsähnliche Fragebogenergebnisse für die an der Versorgung von MmD beteiligten Professionen und Akteure vorliegen, ist es möglich, die Einstellung aller an der Versorgung von MmD beteiligten Personen und der Patienten selbst zu erfassen. Somit kann ein umfassender Überblick über ärztliche Tätigkeiten gegeben werden, die künftig an Pflegefachpersonen übertragen werden könnten, um die Versorgung von MmD weiter zu verbessern.
Praktische Implikation: Der Fragebogen wurde im Besonderen an die Situation älterer Menschen (>65 Jahre) mit altersbedingten neurologischen Erkrankungen angepasst. Mit geringer Modifikation kann der Fragebogen an weitere Krankheitsbilder der ambulanten Versorgung von Menschen mit höherem Alter adaptiert werden. Dies kann genutzt werden, um Vergleiche über unterschiedliche Versorgungsbereiche hinweg herzustellen.
HINTERGRUND: Da eine kurative Behandlung von Demenz bis dato nicht möglich ist, kann diese in der Regel als lebenslimitierende Erkrankung betrachtet werden. Dennoch fehlen bisher evidenzbasierte Leitlinien für eine angemessene Palliativversorgung von Menschen mit Demenz (MmD) [1]. Gründe hierfür sind ein Fokus der Palliativversorgung auf Menschen mit Krebs und ein Mangel an qualitativ hochwertigen empirischen Daten zur Versorgungssituation und Symptomlast von MmD in der letzten Lebensphase [1].
FRAGESTELLUNG: Ziel dieser Untersuchung ist daher, Symptombelastung, Inanspruchnahme des Gesundheitssystems in der letzten Lebensphase sowie Todesumstände von MmD zu beschreiben.
METHODE: Der Bayerische Demenz Survey (BayDem) ist eine multizentrische Längsschnittstudie, die an drei Standorten (Dachau, Erlangen, Kronach) in Bayern durchgeführt wurde. Teilnehmende waren MmD (nach ICD-10), sowie deren pflegende Angehörige. Die Verlaufsdaten wurden in standardisierten persönlichen Interviews in enger Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren vor Ort erhoben. Es wurden psychische und Verhaltensauffälligkeiten (Neuropsychiatrisches Inventar, NPI-Q) [2], körperliche Komorbiditäten (Charlson-Index) [3] und die Inanspruchnahme des Gesundheitssystems (Resource Utilization in Dementia, RUD) [4] erhoben. Es erfolgte ein 1:1-Propensity Score Matching zwischen verstorbenen und nicht verstorbenen MmD. Für die statistischen Analysen wurden McNemar-Tests sowie t-Tests für verbundene Stichproben verwendet.
ERGEBNISSE: Im Rahmen von BayDem wurden 58 im Studienzeitraum von 3 Jahren verstorbene MmD und 58 vergleichbare, nicht verstorbene MmD untersucht (n=116). In den meisten Fällen sind MmD zuhause, im Krankenhaus oder im Alten-/Pflegeheim verstorben, nie jedoch im Rahmen einer Palliativversorgung. Todesursachen waren meist Komplikationen des respiratorischen Systems und kardiovaskuläre Komplikationen. MmD in der letzten Lebensphase wiesen stärker ausgeprägte körperliche Komorbiditäten auf als die nicht verstorbenen MmD (p=0,030) und wurden dementsprechend häufiger in ein Krankenhaus eingewiesen (p < 0,001) oder in einer Notaufnahme behandelt (p=0,007). Psychische und Verhaltensauffälligkeiten waren am Lebensende zwar stark ausgeprägt, die Nutzung ambulanter medizinischer Angebote sowie professioneller Unterstützungsleistungen jedoch gering.
DISKUSSION: Die Ergebnisse stehen im Einklang mit bisherigen Befunden zur Symptombelastung [5], Inanspruchnahme des Gesundheitssystems [6] und Sterbeorten [5] sowie Todesursachen [6]. Palliative Versorgungsangebote, ambulante medizinische Angebote sowie professionelle Unterstützungsleistungen wurden trotz der starken Symptombelastung in der letzten Lebensphase zwar nur selten genutzt, allerdings kam es sehr häufig zu Krankenhausaufenthalten. Doch gerade letztere gehen bei MmD am Lebensende mit starken psychischen sowie physischen Belastungen einher [7].
PRAKTISCHE IMPLIKATIONEN: Es sollten evidenzbasierte Leitlinien für eine angemessene, den speziellen Bedürfnissen von MmD in der letzten Lebensphase entsprechende Palliativversorgung entwickelt werden. Diese sollten die starke Ausprägung psychischer und Verhaltensauffälligkeiten sowie körperlicher Komorbiditäten bei MmD in der letzten Lebensphase berücksichtigen. Angesichts häufiger Krankenhausaufenthalte sollten fachliche Empfehlungen zudem einen Fokus auf die Versorgung im stationären Bereich (Akutkrankenhaus, Palliativstation) legen.
Förderhinweis: Das Projekt BayDem wurde durch das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege (StMGP) gefördert (Förderkennzeichen: G42b-G8092.9-2014/10-7).
Literatur
1. van der Steen JT, Radbruch L, Hertogh CM et al. White paper defining optimal palliative care in older people with dementia: a Delphi study and recommendations from the European Association for Palliative Care. Palliat Med 2014; 28: 197-209.
2. Cummings JL, Mega M, Gray K et al. The Neuropsychiatric Inventory: comprehensive assessment of psychopathology in dementia. Neurology 1994; 44: 2308-2314.
3. Charlson ME, Pompei P, Ales KL et al. A new method of classifying prognostic comorbidity in longitudinal studies: development and validation. J Chronic Dis 1987; 40: 373-383.
4. Wimo A, Gustavsson A, Jonsson L et al. Application of Resource Utilization in Dementia (RUD) instrument in a global setting. Alzheimers Dement 2013; 9: 429-435.
5. Pinzon LCE, Claus M, Perrar KM et al. Todesumstände von Patienten mit Demenz–Symptombelastung, Betreuungsqualität und Sterbeort. Dtsch Arztebl 2013; 110: 195-202.
6. Sampson EL, Candy B, Davis S et al. Living and dying with advanced dementia: a prospective cohort study of symptoms, service use and care at the end of life. Palliat Med 2018; 32: 668-681.
7. Aminoff BZ, Adunsky A. Dying dementia patients: too much suffering, too little palliation. Am J Hosp Palliat Med 2005; 22: 344-348.
Hintergrund: Je nach Gesundheitszustand und Reifegrad eines Neugebornen findet die Geburt entweder unter möglichst „natürlichen“ und vorrangig hebammengeleiteten Bedingungen statt oder es wird der Einsatz hochspezialisierte personeller und technischer Ressourcen der Maximalversorgung notwendig . Die Primärstudienlage bei Hochrisikogeburten (u.a. Geburtsgewicht < 1500g) deutet auf einen deutlichen Zusammenhang zwischen neonatalem Outcome und Regionalisierungsgrad hin.
Fragestellung: Besteht ein Zusammenhang zwischen der Regionalisierung perinataler Versorgung (primäre Exposition) und Ergebnisqualität, definiert als kindliche und/oder mütterliche Sterblichkeit (primäres Outcome) bei explizit Reifgeborenen Niedrigrisikogeburten sowie unselektierten Geburtskohorten?
Methode: Von März-Mai 2018 (Update für Mai 2019 geplant) führten die Autoren ein systematisches Review durch. Nach der Registrierung bei PROSPERO erfolgte die systematische Suche in den Datenbanken Medline und Embase . Eingeschlossen wurden Studien, die mindestens maternale oder kindliche Sterblichkeit im Zusammenhang mit der Fallmenge untersuchten. Sekundäre Outcomes waren u.a. Kaiserschnittraten, Geburtskomplikationen, Wiederaufnahmen und Entwicklungsverzögerungen. Um eine Vergleichbarkeit des Settings sowie der Zeiträume zu gewährleisten, wurden nur Studien aus Ländern herangezogen, deren Neonatalsterblichkeit < 5/1000 Geburten liegt und mit einem Publikationsdatum zwischen 2000 und April 2018. Die PRISMA-Methodenstandards kamen bei der Durchführung des Reviews zur Anwendung.
Ergebnisse: Von 6.464 Treffern wurden nach einem mehrstufigen Auswahlprozess 6 Studien zu oben genannter Fragestellung eingeschlossen. Die Untersuchungen wurden hauptsächlich in Westeuropa durchgeführt und basierten primär auf Geburtsregistern. Die Ausgestaltung perinataler Regionalisierungsprogramme wurde thematisch getrennt zwischen umfassenden Bestrebungen (u.a. Verlegungsstrategien, strukturelle/personelle Ausstattung) in vier Studien und der Schließung geburtsmedizinischer Abteilungen als singulären Eingriff in zwei Studien. Eine Meta-Analyse konnte aufgrund unterschiedlicher Ausgestaltung perinataler Regionalisierungsprogramme, Mortalitätsdefinitionen und Adjustierungen nicht durchgeführt werden. Ein Vergleich der Studienergebnisse wurde dadurch sehr erschwert. Die Sterblichkeitsoutcomes ganzheitlicher perinataler Regionalisierungsprogramme zeigten gemischte, hauptsächlich nicht signifikante oder deskriptive Ausprägungen zu Gunsten der komplexen Intervention. Die zwei Studien zur Schließung geburtsmedizinsicher Abteilungen zeigten widersprüchliche Ergebnisse in der Neonatalmortalität, Todgeburten und Kaiserschnittraten
Diskussion: Die untersuchten perinatalen Regionalisierungsprogramme waren sehr unterschiedlich, was übergreifende Schlussfolgerungen erschwert. Tendenziell zeigten sich in einzelnen Studien günstige Effekte solcher komplexer regionaler Interventionen. Ein sicherer Effekt perinataler Regionalisierung auf die Sterblichkeit bei Reifgeborenen konnte jedoch aufgrund fehlender signifikanter oder nicht auf Signifikanz getesteter Ergebnisse nicht nachgewiesen kann. Des Weiteren war der übergeordnete Vergleich der Evidenz aufgrund unterschiedlicher Adjustierung sowie differenten Ausgestaltungen perinataler Regionalisierungsprogramme sehr erschwert.
Praktische Implikation: Grundsätzlich gibt es für den Zusammenhang zwischen dem neonatalen Outcome Reifgeborener und perinataler Regionalisierung deutlich weniger Studienevidenz als für die Frühgeborenen. Weitere Untersuchungen – etwa im Kontext des Innovationsfonds – sind notwendig, um die Effekte komplexer perinatale Regionalisierungsprogramme auf das Outcome Reifgeborener abschließend beurteilen zu können.
Hintergrund: In Deutschland ist die flächendeckende medizinische Versorgung zentrales Ziel des Gesetzgebers, das mittels der Bedarfsplanungsrichtlinie in die Praxis implementiert werden soll. Dabei wird zumeist davon ausgegangen, dass Menschen den nächstgelegenen Arzt aufsuchen. Studien konnten allerdings zeigen, dass dies oftmals nicht der Fall ist, sondern Patienten in vielen Fällen weiter entfernte Ärzte aufsuchen. Dieses Verhalten wird auch als „Bypassing“ bezeichnet.
Fragestellung: In diesem Beitrag wird untersucht, wie Patienten ihren Arzt für die regelmäßige ambulante Versorgung auswählen und welche Determinanten die Bereitschaft, den nächstgelegenen Arzt zu umgehen beeinflussen.
Methode: Es wurde ein Scoping Review entsprechend der PRISMA-Erweiterung für Scoping Reviews (PRISMA-ScR) durchgeführt. Dabei wurden drei Datenbanken (PubMed/Medline, ScienceDirect und OvidMedline) durchsucht. Zunächst wurden die Methoden zur Erfassung der zurückgelegten Wegstrecke extrahiert. Zudem wurden Determinanten identifiziert, die die zurückgelegte Wegstrecke direkt beeinflussen. Am Ende wurden alle Determinanten in ein Wirkungsmodell übertragen.
Ergebnisse: Nach Ausschluss von Duplikaten entsprachen 1.308 Artikel den Suchkriterien. Nach der Prüfung des Titels und des Abstracts lagen 48 Artikel für das Volltext-Screening vor. Nach Prüfung der Volltexte auf Zutreffen der Einschlusskriterien wurden 17 Artikel in die Analyse aufgenommen. Die Mehrheit der gefundenen Studien kam dabei aus den USA, zwei Studien waren aus Deutschland. Die meisten Studien verwendeten eine Fragebogenumfrage, teilweise mit einem Instrument zur Präferenzbewertung, z.B. ein Discrete Choice Experiment (DCE) oder eine Conjoint-Analyse. Sieben Artikel befassten sich mit der Wahl eines Hausarztes, wiederum sieben mit der fachärztlichen Versorgung und drei mit Ambulanzzentren. Im Mittelpunkt des entwickelten Modells steht die individuelle "Willingness to go", d.h. die Bereitschaft der Patienten zusätzliche Distanzen zu akzeptieren. Neben Determinanten wie Erreichbarkeit, Arztdichte und Urbanität spielten dabei auch individuelle Faktoren auf Seiten der Patienten, wie zum Beispiel Mobilitätseinschränkungen, zurückliegende Erfahrungen oder der Arbeitsort eine Rolle. Weiterhin war die Qualität der Versorgung, ausgedrückt unter anderem durch die Spezialisierung des Arztes, das Arzt-Patienten Verhältnis, den Zugang zu bestimmten Therapien und den Behandlungserfolg, ausschlaggebend für die zurückgelegten Wege.
Diskussion: Dieser Überblick beschreibt die veröffentlichte Literatur über die Patientenmobilität und die Determinanten der Arztwahl mit Schwerpunkt auf der regelmäßigen ambulanten Versorgung. Die Ergebnisse unterstreichen, dass sich die Literatur zu Mobilität in der ambulanten Versorgung sehr heterogen darstellt. Diese Vielfalt ergibt sich aus den verschiedenen Gesundheitssystemen, in denen die Studien durchgeführt wurden, aus unterschiedlichen Methoden der Datenerhebung und unterschiedlichen Settings und Patientengruppen. Aus diesem Grunde sind die gefundenen Ergebnisse mitunter schwer zu übertragen und sollten an den Rahmen angepasst werden, in dem eine Studie durchgeführt wird.
Praktische Implikationen: Distanz und weitere systembedingte Faktoren, wie z. B. Wartezeiten, sind wesentliche Elemente im Prozess der Arztwahl und sollten daher sorgfältig erfasst werden. Ideal wäre dafür die Erhebung und Verwendung genauer Adressen und die Berücksichtigung relevanter Transportmittel sowie weiterer in unserem Modell angegebener Determinanten. Neben der Entfernung und dem Zugang sollte bei der Bedarfsplanung auch die individuelle Mobilitätsbereitschaft berücksichtigt werden.
Hintergrund: Die Sichtbarkeit chronischer Hauterkrankungen geht mit einer gesellschaftlichen Diskriminierung und Stigmatisierung einher. Zusätzlich zur Krankheitslast ergeben sich durch die wahrgenommene und erlebte Stigmatisierung weitere psychosoziale Beeinträchtigungen. Ansätzen zur Reduktion von Stigmatisierung kommt deshalb eine besondere Bedeutung zu.
Fragestellung: Welche Interventionsansätze zur Reduktion von Stigmatisierung bei Menschen mit sichtbaren chronischen Hauterkrankungen sind bekannt? Wie sind die Qualität dieser Ansätze und deren Ergebnisse einzuschätzen?
Methoden: Im Mai 2018 wurde eine systematische Literaturrecherche in den elektronischen Datenbanken EMBASE, MEDLINE, Web of Science und PsychINFO durchgeführt. Studien, welche Interventionsformate zur Reduktion von Stigmatisierung bei Menschen mit sichtbaren chronischen Hauterkrankungen beschreiben und evaluieren, wurden eingeschlossen. Die Datenextraktion umfasste die Interventionsbeschreibung, die Zielpopulation und das Setting sowie die verwendeten Ergebnisparameter und das Studienergebnis selbst. Die CASP Checkliste wurde eingesetzt, um die methodische Qualität der eingeschlossenen Studien zu bewerten.
Ergebnisse: 19 Studien mit sehr unterschiedlichen Studiendesigns und Stichprobengrößen erfüllten die Einschlusskriterien. Insgesamt 13 davon verfolgten das Ziel die Stigmatisierung von Menschen mit Lepra zu reduzieren. Zielpopulationen der übrigen Studien waren Personen mit Vitiligo, Haarausfall, Neurodermitis, Nagelpilz, Gesichtsentstellungen und Ulcus cruris. Die Interventionen in 10 Studien adressierten die stigmatisierte Personengruppe selbst: Ansätze zur Verbesserung der Selbstwahrnehmung, zur Förderung der Partizipation sowie zur Steigerung der Lebensqualität konnten die Selbststigmatisierung reduzieren. Die Interventionen in 4 Studien richteten sich an die potentiell stigmatisierende Allgemeinbevölkerung: Durch den Abbau von Berührungsängsten in der allgemeinen Bevölkerung, die Aufklärung von Personengruppen und die Beeinflussung der Risikowahrnehmung konnte das öffentliche Stigma reduziert werden. Die Interventionen der übrigen 5 Studien verfolgten das Ziel sowohl die Selbststigmatisierung als auch das öffentliche Stigma zu beeinflussen. Die Qualität der eingeschlossenen Studien war größtenteils schlecht.
Diskussion: Die systematische Literaturübersicht macht deutlich, dass es an qualitativ hochwertigen Studien zur Reduktion von Stigmatisierung bei Menschen mit sichtbaren chronischen Hauterkrankungen mangelt. Trotzdem liefern die identifizierten Studien wichtige Hinweise für die Entwicklung, Implementierung und Evaluation zukünftiger Interventionen.
Praktische Implikation: Die erhebliche Krankheitslast durch wahrgenommene und erlebte Stigmatisierung und der Mangel an qualitativ hochwertigen Studien zeigen einen klaren Handlungsbedarf auf. Die Ergebnisse des Reviews fließen in die Konzeption eines neuen, komplexen Interventionsformates ein. Dabei wird ein besonderer Fokus auf die Verstetigung des Interventionsformates gelegt, um so langfristig wahrgenommene und erlebte Stigmatisierung von Menschen mit sichtbaren chronischen Hauterkrankungen nachhaltig positiv zu beeinflussen.
Hintergrund. Im Krankenhaus haben besonders ältere Patient/innen Probleme ein- und/oder durchzuschlafen. Nicht selten werden dann Schlaf- und Beruhigungsmittel verabreicht, die zur Gruppe der Hypnotika/Sedativa (z. B. Benzodiazepine) gehören und z. T. als potentiell inadäquat gelten.
Fragestellung. Kann eine komplexe Intervention den Verbrauch an Schlaf- und Beruhigungsmitteln im Allgemeinen sowie die Menge an potentiell inadäquate Medikamente während eines Krankenhausaufenthaltes reduzieren?
Methode. Die Studie fand in einem Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung statt, mit ca. 600 Betten und Stationen der Innere Medizin, Allgemein-, Unfall- und Plastische Chirurgie, Urologie sowie einem geriatrischen Schwerpunkt. Wir haben die verabreichten Schlaf- und Beruhigungsmittel in Krankenhausakten von Patient/innen (≥ 65 Jahre) vom 1. Juli bis zum 12. August in 2013 (= vor Intervention) und im Vergleichszeitraum 2017 (= nach Intervention) erhoben. Die Intervention umfasste Fortbildungen, praktische Handlungsstrategien und Verordnungshilfen (z. B. in Form von „Kitteltaschenkarten“) sowie Poster und weitere Informationen für Patienten (siehe www.schlaffreundliches-krankenhaus.de). Primäre Endpunkte waren (1) der Anteil von Patient/innen, die während ihres Aufenthaltes ein oder mehrere Schlaf- oder Beruhigungsmittel erhalten haben, sowie (2) der Anteil von Patienten mit mindestens einem potentiell inadäquaten Schlaf- oder Beruhigungsmittel – jeweils vor und nach Intervention. Unterschiede wurden mittels Chi2-Test auf Signifikanz überprüft.
Ergebnisse. Wir haben konsekutiv 1.033 Akten (2013) bzw. 1.059 Akten (2017) von Patienten (58% Frauen) ausgewertet. In 2013 erhielten 39,7% (410 / 1.033) aller älteren Patient/innen mindestens einmal während ihres Krankenhausaufenthaltes ein Schlaf- oder Beruhigungsmittel. In 2017 waren dies nur noch 27,3% (289/ 1.059; p < 0,0001). Vergleichbar reduzierte sich der Anteil von älteren Patient/innen, die ein potentiell inadäquates Schlaf- und Beruhigungsmittel erhielten, von 21,2% (219 / 1.033) auf 8,3% (88 / 1.059; p < 0,0001). Diese Trends zeigten sich auf allen Stationen. Soweit bisher ausgewertet, können wir ein Ausweichen auf andere, ebenfalls potentiell inadäquate Medikamente oder Strategien ausschließen.
Diskussion. Aus verschiedenen Studien wissen wir, dass das Thema Schlaf und medikamentöse Therapie im Krankenhaus häufig ist, aber keine hohe Priorität – im Vergleich zum Eiweisungsgrund – hat. Durch eine komplexe Intervention konnte den Verbrauch an Schlaf- und Beruhigungsmitteln im Krankenhaus bei älteren Patient/innen signifikant reduziert werden. Dies bezieht sich insbesondere auch auf potentiell inadäquate Medikamente. Die Intervention leistet somit einen Beitrag zur Steigerung von Patientensicherheit im Krankenhaus, insbesondere durch die potentielle Vermeidung von Stürzen, Verwirrung und Medikamentenabhängigkeit.
Praktische Implikationen. Fortbildungsmaßnahmen allein zur Änderung des Verbrauchs an Schlaf- oder Beruhigungsmitteln erwiesen sich oft als wirkungslos. Daher haben wir zunächst Patienten, Pflegekräfte und Ärzt/innen über adäquate Maßnahmen bei Schlafproblemen im Krankenhaus informiert, dann aber diese Informationen – gemeinsam mit den beteiligten Berufsgruppen, Qualitätsmanagement und Krankenhausleitung – zu einer Standard Operating Procedure (SOP) für Pflegekräfte und Ärzt/innen weiterentwickelt und verbindlich implementiert. Diese SOP umfasste Schlafanamnese, nicht-pharmakologischer Alternativen und Verordnungshilfen im Falle erforderlicher pharmakologischer Interventionen und wurde in Form von laminierten Kitteltaschenkarten an alle Mitarbeiter verteilt. In einem Vorher-Nachher-Vergleich konnten wir zeigen, dass eine solche komplexe Intervention sowohl die Gesamtmenge an Schlaf- und Beruhigungsmitteln als auch die potenziell inadäquaten Verordnungen reduzieren kann.
Hintergrund
Mit einer alternden Gesellschaft und wachsender Lebenserwartung steigt die Zahl der Eltern, die von einer unheilbaren, lebensbedrohlichen Erkrankung ihres erwachsenen Kindes betroffen sind. Zudem sehen sich erwachsene Kinder mit dem Lebensende ihrer schwerstkranken Eltern konfrontiert. Die beiden unterschiedlichen Dyadenkonstellationen bringen Besonderheiten in der Interaktion mit sich. Nach Kenntnis der Autoren wurde bisher keine systematische Literaturrecherche durchgeführt, die sich gleichzeitig auf die Interaktion sowie die psychosoziale Versorgung und Unterstützungsbedürfnisse dieser beiden Dyaden erwachsener Kinder und ihrer Eltern am Lebensende konzentriert.
Fragestellung
Folgende Forschungsfragen sollen beantwortet werden: 1) Was ist aus der bestehenden Literatur über die Interaktion zwischen Eltern und erwachsenen Kindern am Lebensende bekannt? 2) Was erfahren wir aus der verfügbaren Literatur über die psychosoziale Versorgung sowie die Unterstützungsbedürfnisse von Eltern und ihren erwachsenen Kindern am Lebensende?
Methode
Es wurde ein Typ 4 Scoping Review gemäß des methodischen Rahmens von Arksey und O'Malley (2005) durchgeführt. Der Review umfasst Studien aller methodischen Designs. Die Datenbanken PubMed, PsycINFO, CINAHL, Google Scholar und Web of Science wurden von ihrem jeweiligen Erfassungsbeginn bis einschließlich 16. August 2018 durchsucht. Hierzu wurde eine hochsensible Suchstrategie eingesetzt. Eine Handsuche wurde durchgeführt, indem die Literaturverzeichnisse der relevanten Artikel überprüft wurden. Es wurden Studien aufgenommen, die in englischer und deutscher Sprache veröffentlicht wurden. Alle Materialien wurden mit dem Literaturverwaltungsprogramm EndNote X8 gespeichert. Inhaltliche Schwerpunkte und Schlüsselkonzepte der relevanten Studien wurden deskriptiv ausgewertet.
Ergebnisse
Zwei Forscherinnen prüften unabhängig voneinander Titel und Abstract 1.832 wissenschaftlicher Arbeiten, von denen 216 Volltexte beurteilt wurden. In die Analyse wurden schließlich 15 Studien eingeschlossen. Eine weitere Studie wurde durch die Handsuche identifiziert. Im Rahmen der Überprüfung wurden sechs Hauptthemen ermittelt: 1) Beziehung zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern, 2) Kommunikation zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern, 3) Beteiligung an der Versorgung, 4) Nutzen und Belastung durch die geleistete Fürsorge, 5) Bewältigungsstrategien sowie 6) Unterstützung und Information für versorgende Angehörige. Relevante gemischtmethodische Studien sowie Studien, die Ergebnisse aus Deutschland berichten, konnten nicht identifiziert werden. Lediglich zwei Artikel diskutieren in Europa erhobene Daten.
Diskussion
Die Interaktion zwischen Eltern und ihren erwachsenen Kindern am Lebensende ist stark geprägt durch innerfamiliäre Kommunikationsmuster sowie die jeweiligen, teils sehr spezifischen, Dyadenkonstellation (z.B. homosexuelle, an AIDS erkrankte Söhne am Lebensende und ihre Mütter). Der Schwerpunkt der relevanten Studien liegt auf den weiblichen Fürsorgenden, d.h. Töchter oder Mütter, die für ihre Eltern oder erwachsenen Kinder sorgen. Die eingeschlossenen Studien fokussieren primär fürsorgende Angehörige, wohingegen sekundär in die Fürsorge eingebundene Angehörige vernachlässigt werden. Entsprechend werden Unterstützungsbedürfnisse eher auf der Grundlage des Status erforscht, den der Angehörige bei der Fürsorge des Patienten einnimmt, als auf Grundlage der Angehörigenbeziehung selbst.
Praktische Implikationen
Die Analyse der eingeschlossenen Studien weist auf Forschungslücken hin. Die Ergebnisse dieses Reviews sind richtungsweisend für die zukünftige Forschung am Lebensende und zeigen, dass Studien notwendig sind, um die Erfahrungen und den psychosozialen Unterstützungsbedarf beider Dyaden zu ermitteln. Aktuell fließen die Erkenntnisse aus dem Review in die gemischtmethodische Studie „Dy@EoL – Interaktion am Lebensende in Dyaden von Eltern und erwachsenen Kindern“ (BMBF-Förderkennzeichen: 01GY1711; Laufzeit: 01.10.2017-30.09.2020) ein, wobei die Besonderheiten der Interaktion in beiden Dyaden untersucht und passgenaue Empfehlungen hinsichtlich psychosozialer Interventionsmaßnahmen abgeleitet werden.
Ziel: Die Fachgruppierungen der Deutschen Gesellschaft für Zahn- Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) richten jährlich wissenschaftliche Jahrestagungen aus, auf denen die neuesten Forschungsergebnisse präsentiert werden. Wieviele der auf der Deutschen Gesellschaft für Kieferorthopädie e. V. (DGKFO) präsentierten Arbeiten in der Folge aber im Volltext, in peer-reviewten Journalen publiziert werden, ist unklar. Da aktuell die kieferorthopädische Versorgung, aufgrund einer als unzureichend postulierten Evidenz, stark kritisiert wird, ist es umso wichtiger herauszufinden, welche Voraussetzungen notwendig sind, damit wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse publiziert werden. Dies wird in der vorliegenden Studie untersucht.
Methode: Wir erfassten bei den 288 in den Jahren 2014 und 2015 präsentieren Abstracts Präsentationsformat (Poster vs. freier Vortrag), Geschlecht und Zahl der Autoren, Art der Studie (klinisch vs. nicht-klinisch) sowie die universitäre Affiliation und suchten nach Volltextpublikationen der Arbeiten in pubmed sowie auf google scholar bis einschließlich 2018.
Ergebnisse: Insgesamt wurden 99 Abstracts als freie Vorträge und 189 als Poster vorgestellt, 210 berichteten Ergebnisse von klinischen Studien und 78 von nicht-klinischen Studien, 280 waren Primärstudien und 8 Literaturarbeiten, bei 168 war der Erstautor männlich und bei 118 weiblich, bei 192 war der Letztautor männlich und bei 82 weiblich, bei 247 lag eine universitäre Affiliation vor und bei 40 nicht; die mittlere Autorenzahl lag bei 4 (range 1-14). Bis 31.12.2018 wurden insgesamt 88 Abstracts (30.5%) nach einer mittleren Zeitspanne von 1.6 ± 1.2 Jahren publiziert. In der logistischen Regression waren eine universitäre Affiliation (OR 3.38 [1.07-10.66]; p=0.038) und Literaturarbeiten (OR 5.92 [1.27-27.49]; p = 0.023) unabhängig mit einer höheren Publikationswahrscheinlichkeit assoziiert. Auf die Publikationswahrscheinlichkeit hatte es keinen Einfluss, ob ein Abstract zur Präsentation als Vortrag oder als Poster angenommen wurde (p=0.882).
Schlussfolgerung: Wir schließen, dass nach über 3 Jahren fast ein Drittel der bei der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kieferorthopädie e. V. (DGKFO) angenommen Abstracts zur Publikation im Volltext gelangt sind. Arbeiten mit universitärer Affiliation und Literaturarbeiten haben höhere Publikationschancen.
Hintergrund
Leitlinien (LL) können definiert werden als systematisch entwickelte Aussagen, die den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand abbilden, um die Entscheidungsfindung von Ärzten und anderen im Gesundheitswesen tätigen Berufsgruppen sowie Patienten hinsichtlich spezifischer Gesundheitsprobleme zu unterstützen. Physiotherapeutische LL zeichnen sich dadurch aus, dass sie in erster Linie Physiotherapeuten adressieren und Empfehlungen für physiotherapeutische Maßnahmen geben. In Deutschland sind Physiotherapeuten an der Erstellung einer Vielzahl von medizinischen LL beteiligt. Allerdings sind bislang keine deutschen physiotherapeutischen LL bekannt.
Fragestellung
Ziel war es, national und international vorhandene physiotherapeutische LL zu verschiedenen Krankheitsbildern zu identifizieren und ihre methodische Qualität zu bewerten.
Methode
Es wurden systematische Recherchen in Medline und PEDro durchgeführt sowie die Websites der Mitglieder der World Confederation for Physical Therapy (WCPT) gescreent (03/2018). Die Selektion physiotherapeutischer LL erfolgte durch 2 Reviewer entsprechend a priori definierter Einschlusskriterien (u.a. überwiegend Empfehlungen zur Physiotherapie enthalten). Die identifizierten LL wurden mit dem AGREE II Instrument von 4 Reviewern unabhängig bewertet. Es wurden standardisierte Domänenwerte (max. 100%) für Domäne 1 (Geltungsbereich und Zweck), Domäne 2 (Beteiligung von Interessensgruppen), Domäne 3 (Genauigkeit der Leitlinienentwicklung), Domäne 4 (Klarheit der Gestaltung), Domäne 5 (Anwendbarkeit) und Domäne 6 (Redaktionelle Unabhängigkeit) berechnet.
Ergebnisse
Die Recherche in den Datenbanken ergab insgesamt 1136 Treffer. Die Suche auf den Websites der WCPT-Mitglieder resultierte zusätzlich in 29 zu prüfenden LL. Es wurden 33 physiotherapeutische LL eingeschlossen. 42% (14/33) der LL stammten aus den USA, 33% (11/33) aus den Niederlanden. LL aus Deutschland wurden nicht gefunden. 42% (14/33) der LL waren älter als 5 Jahre. 73% (19/33) der LL umfassten Krankheitsbilder aus dem Bereich muskuloskelettale Erkrankungen. Die Bewertung mit AGREE II ergab im Median (%; Interquartilsabstand) folgende Werte: Domäne 1: 75 (64-92), Domäne 2: 63 (54-78), Domäne 3: 66 (48-75), Domäne 4: 74 (65-75), Domäne 5: 45 (26-54), Domäne 6: 46 (31-65).
Diskussion
Es existieren insgesamt nur wenige Organisationen, die physiotherapeutische LL entwickeln. Die identifizierten physiotherapeutischen LL weisen aber zum großen Teil eine moderate bis gute methodische Qualität auf.
Implikationen für die Praxis
Bei der Entwicklung deutscher physiotherapeutischer LL sollten Möglichkeiten der Adaption bestehender internationaler LL geprüft werden.
Hintergrund:
Multizentrische Versorgungstudien, die möglichst große Teile des Bundesgebiets abdecken, sind zur Darstellung regionaler Unterschiede und Besonderheiten von großer Bedeutung. Zur Durchführung einer Studie in Deutschland muss die Studienleitung zunächst ein federführendes Ethikvotum einholen. Ob darüber hinaus weitere berufsrechtliche oder ethische Beratungen erforderlich sind, ist regional uneinheitlich geregelt. Ziel dieser Analyse ist es, einen Überblick über die eingesetzten Ressourcen für die berufsethische und -rechtliche Beratung bei einer multizentrischen Beobachtungsstudie in Deutschland („EDIUM“) zu schaffen. Die Studie wird in 110 Darmkrebszentren aus 15 Bundesländern durchgeführt. Wir wollen damit einen Beitrag für ein zukünftig effizienteres Studienmanagement in der Versorgungsforschung leisten.
Fragestellung:
Wie hoch ist der Ressourcenaufwand für multizentrische Versorgungsforschungsstudien in Deutschland, um eine flächendeckende berufsrechtliche und berufsethische Beratung zu erhalten?
Methode:
Die zur Beratung in den verschiedenen Institutionen erforderlichen Dokumente wurden dokumentiert und die eingesetzten Ressourcen in den Bereichen Beratungsgebühren, Materialien und Personal für den Zeitraum April 2018 bis März 2019 quantitativ deskriptiv analysiert.
Ergebnisse:
Die Studienunterlagen wurden von federführenden Ethikkommission (EK) und zusätzlich von 15 Landesärztekammern (LÄK) und fünf Unikliniken begutachtet.
Bis März 2019 wurden in toto 6.305 Euro Beratungsgebühren von den EK abgerechnet, welche sich aus 970 Euro für die federführende EK, 4.335 Euro für die zweitvotierenden EK der LÄK, 400 Euro für die EK der Unikliniken sowie 600 Euro für die Nachmeldung von StudienärztInnen bei einer der LÄK zusammensetzen. Die abgerechneten Gebühren der einzelnen EK variieren zwischen 50 und 1.400 Euro.
Die Anforderungen für die einzureichenden Unterlagen variierten je nach EK erheblich. Für die größtenteils mehrfach geforderten Ausführung der Antragsunterlagen wurden mindestens 3820 Blatt DIN A 4 Papier gedruckt. Nicht eingerechnet in dieser Aufstellung sind die Antwortschreiben auf die Hinweise der EK und die Druckunterlagen der Studienzentren, die die Beratung eigenständig beantragen mussten (acht Studienzentren).
Das Studienmanagement erstellte das Studienprotokoll, evaluierte zunächst die Anforderungen der EK bei den LÄK, stimmte sich mit den über 100 Studienzentren ab, erstellte und versendete die Unterlagen und bearbeitete die Rückmeldungen der EK. Von April 2018 bis März 2019 wurden für diese Schritte ca. 208 Arbeitsstunden von der Studienleitung aufgewendet. In dieser Zählung nicht eingeschlossen sind die Arbeitsstunden innerhalb der Studienzentren und der einzelnen EK. Die Beratung erfolgte in allen Fällen schriftlich und dauerte durchschnittlich vier Wochen. Acht der 20 lokalen EK gaben Hinweise bezüglich der Studienunterlagen. Zwei Drittel dieser Hinweise der EK überschnitten sich inhaltlich. Konkrete Formulierungsvorschläge waren selten. Zwei Ethikvoten wurden erst nach offiziellem Beginn der Studie erteilt, woraus Verzögerungen für einige Studienzentren resultierten.
Diskussion:
Die Beantragung einer flächendeckenden berufsrechtlichen und berufsethischen Beratung für multizentrische Beobachtungstudien ist in Deutschland komplex, teuer und zeitaufwändig. Neben den insgesamt hohen Kosten für die Gebühren verdeutlicht die Analyse die große Gebührenspannweite zwischen den einzelnen EK. Inwieweit sich diese unterschiedlichen Gebühren legitimieren, ist aus den Gebührenbescheiden nicht zu entnehmen. Darüber hinaus ist der hohe Materialaufwand anzumerken, der eine zusätzliche Belastung für das Studienbudget und nicht zuletzt einen ökologischen Fußabdruck verursacht. Bezüglich des Personalaufwands sollten neben den Arbeitsstunden des Studienmanagements die Arbeitsstunden innerhalb der EK nicht außer Acht gelassen werden. Ein Ethikvotum wurde erst nach Studienbeginn erstellt, da die zuständige EK aufgrund zu hoher Antragszahlen überlastet war.
Praktische Implikationen:
Ein bundeseinheitliches Verfahren für die berufsrechtliche und -ethische Beratung für multizentrische Studien könnte den finanziellen, materiellen und personellen Aufwand deutlich reduzieren, den Studienleitung, beteiligte Zentren und EK haben. Im Sinne ökonomischer und ökologischer Nachhaltigkeit sollten Online-Verfahren erwogen werden.
Hintergrund: Die Beurteilung der Erkrankungsschwere ist ein wesentlicher Bestandteil in der Versorgung von Patienten mit Psoriasis (Schuppenflechte). Bei mittelschwerer bis schwerer Psoriasis wird systemische Behandlung empfohlen. Die Beurteilung des Schweregrades basiert im Allgemeinen auf dem Psoriasis Area and Severity Index (PASI; 0-72; höherer Wert bedeutet schwerere Erkrankung) und dem Dermatologischen Lebensqualitätsindex (DLQI; 0-30; 30 = maximale Einschränkung der Lebensqualität). Es liegen jedoch unterschiedliche Schweregrad-Definitionen anhand dieser Scores vor.
Ziel: Bestimmung der Anteile von Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Psoriasis anhand unterschiedlicher Definitionen aktueller Leitlinien.
Methode: Bundesweite Querschnittsdaten von 3.274 Patienten (≥ 18 Jahre alt) mit Psoriasis aus mehr als 200 dermatologischen Praxen und Kliniken wurden hinsichtlich des Schweregrades ihrer Psoriasis untersucht.
Ergebnisse: Unter den 3.274 Patienten (43,4% weiblich, mittleres Alter 51,7 Jahre) betrug die mittlere Krankheitsdauer 21,4 Jahre, 18,4% hatten eine Psoriasis-Arthritis und 33,4% eine Psoriasis mit Nagelbeteiligung. Der mittlere PASI betrug 9,4 und der DLQI durchschnittlich 6,9. Der Anteil von Patienten, die entsprechend der Europäischen Leitlinie die Kriterien für eine mittelschwere bis schwere Psoriasis (PASI AND DLQI > 10) erfüllten, betrug 14,0 %, obwohl 45,3 % mindestens einen PASI oder DLQI von > 10 erreichten. Die Berücksichtigung aller Patienten als mittelschwer bis schwer, bei denen eine systemische Behandlung vorlag, erhöhte diesen Anteil auf 56,9 % bzw. 75,2 %. Bei Einschätzung der Schwere nur mithilfe eines PASI > 10 lag der Anteil der Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Psoriasis bei 35,3 % bzw. 69,3 %.
Diskussion: Der Anteil von Patienten mit Psoriasis, bei denen von einer mittelschweren bis schweren Erkrankung ausgegangen wird, variiert je nach Schweregrad-Definition erheblich. Die Berücksichtigung aller Patienten als mittelschwer bis schwer, bei denen eine systemische Therapie vorlag, erhöhte diesen Anteil deutlich, obwohl diese Patienten nicht der Definition von PASI > 10 und DLQI > 10 entsprechen. Um der Abbildung der Versorgungsrealität jedoch gerecht zu werden, wurde diese Patientengruppe in die aktuelle Analyse einbezogen und machte 42,9% der Kohorte aus. Die unterschiedlichen Definitionen können zu Unsicherheit und Ungleichheit beim Zugang zu Systemtherapien führen.
Praktische Implikationen: In der Routineversorgung sollte die Verschreibung von Medikamenten für Patienten, die eine systemische Behandlung benötigen, auf einer erweiterten Definition beruhen, die sowohl solche mit objektiv mittelschwerer bis schwerer Psoriasis (PASI > 10) als auch solche mit starker Krankheitslast (DLQI > 10) einbezieht. Besonders bei sichtbaren Hautstellen wie Nägel, Kopfhaut und Gesicht ist dies wichtig. Darüber hinaus sollten klinische Entscheidungen für antipsoriatische Behandlungen vorzugsweise auf der Grundlage des Bedarfs und der Patientenpräferenzen getroffen werden. Ein solches Konzept geht über PASI und DLQI hinaus und muss individuelle Behandlungsziele für eine personalisierte Therapie beinhalten.
Für Patient*innen geeignet.
Für die Bestimmung evidenzbasierter klinischer Entscheidungen ist das Wissen die individuellen Therapieziele und –präferenzen der Patient*innen von großer Bedeutung. Klinische Expertise ergibt sich dabei aus dem Zusammenspiel von klinischer Evidenz sowie einer patientenzentrierten Versorgung, die Patient*innen nicht lediglich als Symptomträger sieht, sondern den Menschen als Ganzes betrachtet.
Im Rahmen der Session wird an unterschiedlichen Krankheitsbildern dargestellt, welche Ziele und Vorstellungen seitens der Patient*innen vorliegen können und wie diese im Rahmen der Versorgung eingebracht und für eine bessere Compliance genutzt werden können. Ziel ist es, wesentliche Grundlagen zum Thema zu vermitteln und praktische Implikationen für die Versorgung abzuleiten.
Hintergrund
Trotz der hohen Prävalenz von Krebs in Deutschland und der steigenden Lebenserwartung von Menschen mit Behinderungen sind die gesundheitliche Versorgung sowie die Bedarfe und Bedürfnisse von Krebspatienten mit Behinderungen in der Gesundheitsforschung unterrepräsentiert.
Fragestellung
Um zu einer bedarfsgerechten Gesundheitsversorgung von Brustkrebspatientinnen mit Behinderung beizutragen, werden im Rahmen der CANDY-Studie Barrieren, kommunikative Schwierigkeiten bei der Wissensvermittlung sowie Informationsbedarfe von Brustkrebspatientinnen mit einer Behinderung im Zuge der Vorsorge, Diagnosestellung, bei Entscheidungsprozessen und im Rahmen der Therapie und Nachsorge erhoben.
Methode
Die Rekrutierung von ca. 30 Patientinnen für eine qualitative Studie erfolgt über Brustkrebszentren. Im Rahmen der Rekrutierung wird die Methode des selektiven Samplings angewandt. Parallel und nach Abschluss der Rekrutierungsphase werden die Interviews inhaltsanalytisch ausgewertet, stratifiziert nach Art der Behinderung (körperlich, seelisch, geistig, Sinnes- und Mehrfachbehinderung) sowie behinderungsübergreifend. Ziel ist es, sowohl induktive als auch deduktive Kategorien zu entwickeln, welche das Datenmaterial abbilden.
Ergebnisse
Zum Zeitpunkt des 18. Deutschen Kongresses für Versorgungsforschung wird die Rekrutierungsphase abgeschlossen sein und es werden erste Auswertungen der qualitativen Einzelinterviews mit Brustkrebspatientinnen mit Behinderung vorliegen.
Diskussion
Die Auswertung einer post-stationären Befragung von Brustkrebspatientinnen mit Daten aus dem Jahr 2017 hatte Hinweise auf Versorgungsungleichheiten hinsichtlich der angewandten operativen Behandlungsmethode bei Brustkrebspatientinnen mit und ohne körperliche Behinderung ergeben. Die dahinterliegenden Gründe und Ursachen für Versorgungsunterschiede zwischen Brustkrebspatientinnen mit und ohne Behinderung blieben in der quantitativen Studie allerdings unbeantwortet und sollen mit den zum Kongress vorliegenden qualitativen Daten beantwortet werden. Darüber hinaus soll die Relevanz psychischer und geistiger Beeinträchtigungen in der Brustkrebsversorgung beleuchtet werden.
Praktische Implikationen
Künftig sollen Konzepte erarbeitet und evaluiert werden, um Brustkrebspatientinnen mit vorbestehender Behinderung, das medizinische Personal, Bezugspersonen sowie die gesetzlichen Betreuer hinsichtlich der von Brustkrebspatientinnen mit Behinderung wahrgenommenen Barrieren in der Gesundheitsversorgung, deren Informationsbedarfe und der Kommunikation zu schulen.
Hintergrund
Im Zuge der S3-Leitlinieninitiative “Evidenz- und konsensbasierte Indikationskriterien zur Hüfttotalendoprothese (EKIT-Hüfte)” wurden an zwei Universitätsmedizin-Standorten fünf Fokusgruppen mit jeweils acht bis 12 Teilnehmern durchgeführt, um die Bandbreite der Bedürfnisse, Wünsche und Erwartungen aus Patientensicht zu identifizieren. Die Evidenz zeigt, dass die Erwartungen von Patienten und deren Erfüllungsgrad einen Einfluss auf die Zufriedenheit mit dem Operationsergebnis nach einer Hüfttotalendoprothese (Hüft-TEP) haben. In einer patientenzentrierten Versorgung sind Kenntnisse über den möglichen Erfüllungsgrad globaler und individueller Patientenziele elementare Voraussetzung für eine partizipative Entscheidungsfindung bei elektiven Eingriffen. Zur Evidenzgenerierung für Arzt und Patient ist daher die Identifikation globaler Patientenziele notwendig.
Fragestellung
Diese Studie befasste sich mit folgender Fragestellung: Welche Bedürfnisse, Wünsche und Erwartungen haben Patienten mit Koxarthrose, die sich einer Hüft-TEP-Operation unterziehen werden?
Methodik
Initial wurden in einer Literaturrecherche (eingeschlossen wurden Reviews, systematische Reviews und Originalarbeiten hüftbezogener Scoring-Instrumente) generische (23) und krankheitsspezifische (48) Messinstrumente im Kontext Koxarthrose und Hüft-TEP identifiziert. Die einzelnen Items der Messinstrumente wurden extrahiert, zusammengefasst und als potenzielles Patientenziel hierarchisch kategorisiert. Darauf aufbauend wurde die erste Version des Kodierleitfadens für die spätere qualitative Inhaltsanalyse erarbeitet. Dieser bestand aus sieben Domänen und 46 Kategorien von Patientenzielen. In zwei Studienzentren (Berlin und Dresden) wurden insgesamt fünf Fokusgruppen durchgeführt. Der erste Teil der Fokusgruppendiskussion bestand in einer freien Erhebung und offenen Diskussion aller möglichen Patientenziele im Zusammenhang mit einer Hüft-TEP-Operation. Im Anschluss wurde die Relevanz der aus den Messinstrumenten identifizierten Patientenziele zur Diskussion gestellt. Alle spontan genannten sowie die bestätigten Patientenziele der Messinstrumente wurden unkommentiert gesammelt und auf einem Flipchart visualisiert. Abschließend wurden die Patienten nach ihren wichtigsten Zielen gefragt, um eine Wertigkeit der Diskussionsergebnisse abzubilden. Die Fokusgruppendiskussionen wurden aufgezeichnet, vollständig transkribiert und anschließend computergestützt mit Hilfe der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring ausgewertet (doppelt unabhängig kodiert (RR, CL)). Auf Basis der Gruppenergebnisse wurde der ursprüngliche Kodierleitfaden modifiziert.
Ergebnisse
Insgesamt nahmen 44 Teilnehmer teil; 21 Frauen (48%), mittleres Alter 69,7 Jahre (SD 8.1). Bei 70% der Teilnehmer war nur eine Seite betroffen und die mittlere Erkrankungsdauer betrug 5,5 Jahre (SD 6,0). Die Domänen des Kodierleitfadens, “Symptome”, “Aktivitäten des täglichen Lebens”, “allgemeiner Gesundheitszustand”, “körperliche Funktion”, “körperliche Aktivität”, “Inanspruchnahme medizinischer Gesundheitsleistungen”, und “gesundheitsbezogene Lebensqualität”, wurden in den Zielen der Patienten vollständig bestätigt. Zehn Patientenziele (Kategorien) wurden in den Fokusgruppen nicht bestätigt; dazu gehörte unter anderem “Behebung der Gelenkschwellung”, “Verbesserung einer Ankylose”, und “finanzielle Belastung durch Therapien/ Hilfsmittel etc.”.
Die Patienten nannten 13 neue Ziele, wozu unter anderem die “Behebung der Wetterfühligkeit”, die “Vermeidung von Tablettenabhängigkeit”, das “Gehen ohne Pausieren” und die “Verminderung des
Leidensdrucks” gehörten. Als wichtigste Patientenziele wurden die “Schmerzlinderung”, das “verbesserte Gangbild” und die “Wiedererlangung der Selbständigkeit” ermittelt.
Diskussion
Die Ergebnisse der Fokusgruppen bestätigen überwiegend die aus der Literatur bekannten Patientenziele (Kategorien). Einige Ziele fanden sich jedoch inhaltlich nicht in den Fokusgruppen. Patientenziele, wie die „Behebung der Wetterfühligkeit“ oder die „Angst vor der Abhängigkeit von Tabletten“, sind offenbar in den gängigen Messinstrumenten nicht abgebildet und werden in klinischen Studien nicht erhoben. Damit ein Messinstrument praktikabel und akzeptabel ist, kann es letztendlich nur einen begrenzten Umfang haben. Inwieweit die zusätzlich identifizierten Patientenziele relevant sind und in die Outcome-Erhebung einfließen sollten, wird in der sich anschließenden Delphi-Befragung geprüft werden.
Eine Limitation dieser Fokusgruppenarbeit ist, dass nur zwei Studienzentren inkludiert wurden.
Praktische Implikation
Die identifizierten Therapieziele des modifizierten Kodierleitfadens bilden die Grundlage für eine deutschlandweite Delphi-Befragung zur Konsentierung von globalen Patientenzielen. Diese Ergebnisse fließen in den Experten-Konsensprozess der angestrebten S3-Leitlinie ein.
Hintergrund
Gesundheits- und Sozialsysteme, Organisationen und Leistungserbringer stehen unter dem Druck, die Versorgung nach den Bedarfen von Patient*innen mit begrenzten Ressourcen zu organisieren. Um trotz knapper Ressourcen eine patientenorientierte Versorgung erfolgreich umzusetzen, müssen Barrieren auf Ebene der Versorgungssysteme, der einzelnen Organisationen sowie deren Mitarbeiter*innen überwunden werden. Bisher fehlt es an umfassenden Untersuchungen, welche organisationalen Faktoren für die Umsetzung einer patientenorientierten Versorgung insbesondere in verschiedenen Typen von Versorgungseinrichtungen relevant sind.
Fragestellung
Welche organisationalen Faktoren sind mit der Umsetzung einer patientenorientierten Versorgung in unterschiedlichen Typen von Versorgungseinrichtungen assoziiert?
Methode
Die vorliegende Untersuchung basiert auf einer quantitativen Querschnittserhebung von 1.790 Entscheidungsträgern*innen aus verschiedenen Versorgungseinrichtungen in der Stadt Köln. Mit einer Rücklaufquote von 13% haben n=236 Entscheidungsträgern*innen aus n=19 stationären Pflegeeinrichtungen & Hospizen (8,1%), n=14 Krankenhäusern (5,9%), n=6 Rehabilitationseinrichtungen (2,5%), n=79 Haus- und Facharztpraxen (33,5%), n=22 ambulante Pflege- & Hospizdienste (9,3%) und n=96 psychotherapeutische Einrichtungen (40,7%) an der Befragung teilgenommen. Für die Analysen standen Informationen von 188 Entscheidungsträgern*innen zur Verfügung.
Die Umsetzung der Patientenorientierung wurde über drei Dimensionen gemessen: Rahmenbedingungen (z.B. Einbezug ergänzender Angebote), Maßnahmen (z.B. Beteiligung von Angehörigen) und Grundhaltung (z.B. Berücksichtigung der Lebensumstände). Als organisationale Faktoren für die Umsetzung einer patientenzentrierten Versorgung wurden u.a. Indikatoren zu Prozessen (z.B. Prozessorientierung), Strategien (z.B. Personalentwicklung) sowie der Kultur (z.B. Kommunikationsklima) berücksichtigt. Mittels linearer, schrittweiser Regression mit nach Versorgungseinrichtung geclusterten Standardfehlern wurde untersucht, welche organisationalen Faktoren mit der Umsetzung patientenorientierter Rahmenbedingungen, Maßnahmen und Grundhaltungen assoziiert sind.
Ergebnisse
Die Umsetzung patientenorientierter Rahmenbedingungen, Maßnahmen und Grundhaltungen fällt nach Einschätzung der Befragten in Krankenhäusern am geringesten und in stationären Pflegeeinrichtungen, psychotherapeutischen Einrichtungen und ambulanten Pflegediensten am höchsten aus. Nach schrittweiser Einführung der unabhängigen Variablen in die Regressionsmodelle zeigte sich, dass die Umsetzung patientenorientierer Rahmenbedingungen signifikant positiv mit der organisationalen Gesundheitskompetenz assoziiert ist. Die Umsetzung patientenorientierter Maßnahmen ist signifikant positiv mit der organisationalen Gesundheitskompetenz und dem Kommunikationsklima assoziiert. Die patientenorientierte Grundhaltung ist signifikant positiv mit der Durchführung von Supervisionen, dem Kommunikationsklima und einer Fort- und Weiterbildungsbereitschaft der Mitarbeiter*innen assoziiert. Die patientenorientierte Grundhaltung ist signifikant negativ mit der Einrichtung eines einheitlichen Qualitätsmanagements assoziiert.
Diskussion
Die Umsetzung einer patientenorientierten Versorgung fällt insbesondere in Einrichtungen mit eher akutmedizinischem Versorgungsauftrag geringer aus. Unterschiedliche organisationale Faktoren waren mit den drei Dimensionen der Umsetzung von Patientenorientierung assoziiert. Die organisationale Gesundheitskompetenz zeigt Zusammenhänge mit patientenorientierten Rahmenbedingungen als auch Maßnahmen auf. Dies deutet darauf hin, dass Einrichtungen, die die Förderung von Gesundheitskompetenz ihrer Patient*innen in ihren Strukturen und Prozessen verankert haben, insgesamt mehr Rahmenbedingungungen und Maßnahmen für eine patientenorientierte Versorgung schaffen. Das Kommunikationsklima scheint sowohl für die Umsetzung patientenorientierter Maßnahmen als auch für eine patientenorientierte Grundhaltung relevant zu sein. Der Zusammenhang der patientenorientierten Grundhaltung mit der Durchführung von Supervisionen und einer Fort- und Weiterbildungsbereitschaft zeigt, dass eine patientenorientierte Grundhaltung mit einer Mitarbeiterorientierung einhergeht. Die Einhaltung strikter Vorgehensweisen des Qualitätsmanagements scheint einer patientenorientierten Grundhaltung, die auf Individualität ausgerichtet ist, zu widersprechen.
Praktische Implikationen
Die Ergebnisse verdeutlichen die Relevanz organisationaler Merkmale als Determinanten der Umsetzung einer patientenortientierten Versorgung. Das Wissen darum kann dazu beitragen, die Umsetzung von Patientenorientierung auf allen Ebenen der Versorgung zu fördern, indem Ansatzpunkte für die Neugestaltung der Gesundheits- und Sozialsysteme aufgezeigt werden. Um dies zu erreichen, werden die Ergebnisse im nächsten Schritt im Sinne des organisationalen Lernens an die Einrichtungen zurückgemeldet.
Hintergrund: Im Rahmen einer patientenorientierten Versorgung muss berücksichtigt werden, dass sich die Informationsbedürfnisse zwischen Menschen unterscheiden und im Verlauf chronischer Erkrankungen verändern können. Es ist allerdings nur wenig über Informationsbedürfnisse von Menschen mit Diabetes, insbesondere in unterschiedlichen Subgruppen, bekannt.
Fragestellung: Ziel ist es, Informationsbedürfnisse von Menschen mit Diabetes zu beschreiben, Gruppen von Personen mit ähnlichen diabetesbezogenen Informationsbedürfnissen zu identifizieren sowie den Zusammenhang zwischen den identifizierten Gruppen und weiteren Faktoren (z. B. soziodemografische und diabetesbezogene Merkmale) zu analysieren.
Methode: Querschnittstudie basierend auf einer postalischen Befragung von Menschen mit Diabetes im Rahmen der KORA GEFU4-Studie. Die diabetesbezogenen Informationsbedürfnisse wurden mittels eines Fragebogens im Mixed-Methods-Design (standardisierte sowie offene Antwortkategorien) erhoben. Die quantitative Datenauswertung erfolgte mit einer latenten Klassenanalyse, um Gruppen mit ähnlichen Informationsbedürfnismustern sowie Assoziationen zwischen den Gruppen und weiteren Merkmalen zu identifizieren. Die qualitativen Daten wurden mit einer qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet.
Ergebnisse: Es wurden 837 Teilnehmende (54 % männlich, mittleres Alter 71,1 Jahre (± 9,5 Jahre), 93 % Typ-2-Diabetes) eingeschlossen. Bei jedem der insgesamt 11 diabetesbezogenen Themen gaben etwa 30 % bis 40 % der Teilnehmenden an (n=480), sich aktuell dazu Informationen zu wünschen. Bei der Frage, zu welchen drei Themen sich die Teilnehmenden aktuell mehr Informationen wünschen, wurden vor allem Folgeerkrankungen, Behandlung/Therapie sowie Diabetesursachen genannt (n=443). Besonders interessierten die Teilnehmenden hier beispielweise Informationen über Wirkungszusammenhänge. Anhand der latenten Klassenanalyse konnten die Teilnehmenden vier Gruppen mit unterschiedlichen Informationsbedürfnismustern zugeordnet werden. Bei Personen in der ersten Gruppe (n=85) lag die Wahrscheinlichkeit dafür, dass Informationen gewünscht wurden, für alle Themen bei 85 % bis 99 %. Bei Personen in der zweiten Gruppe (n=120) lag die Wahrscheinlichkeit bei 0 % bis 3 %. Der dritten Gruppe (n=59) wurden Personen zugeordnet, bei denen vor allem die Wahrscheinlichkeit hoch war Informationen zu „Folgeerkrankungen“ (62 %) und „Diabetes im Alltag“ (57 %) zu wünschen. Für andere Themen lag sie bei 24 % bis 45 %. Personen in der vierten Gruppe (n=42) wünschten sich mit einer Wahrscheinlichkeit von 94 % bzw. 92 % Informationen zu den Themen „Soziales und Rechtliches“ und „Diabetesforschung“. Zu den Themen „Psychische Belastungen“ und „Unterstützung etc.“ lag die Wahrscheinlichkeit bei 61 % bzw. 52 %, bei den sieben weiteren Themen bei 8 % bis 32 %. Die vier Gruppen unterschieden sich signifikant in den soziodemografischen, diabetesbezogenen (z. B. im Diabetestyp), und weiteren Merkmalen (z. B. im Grad der Informiertheit).
Diskussion: Die bestehenden Informationsbedürfnisse unter den Teilnehmenden deuten darauf hin, dass trotz der bereits bestehenden Informationsangebote eine bedürfnisorientierte Bereitstellung von Informationen noch nicht völlig umgesetzt ist. Die Identifikation der verschiedenen Gruppen mit unterschiedlichen Informationsbedürfnissen macht deutlich, dass es gezielten Angeboten bedarf. Dabei können verschiedene Merkmale der Personen (z. B. das Alter, die Diabetesdauer, der Grad der Informiertheit) Hinweise auf bestehende Informationsbedürfnisse geben. Inwieweit die Identifikation dieser Merkmale zu einer patientenorientierten Versorgung beitragen kann, sollte in Folgestudien untersucht werden.
Praktische Implikationen: Anhand der identifizierten Subgruppen mit unterschiedlichen Informationsbedürfnismustern und unter Berücksichtigung verschiedener Personenmerkmale, können mögliche Zielgruppen in der Praxis identifiziert und angesprochen werden.
• Hintergrund
Sowohl auf Seiten der Ärzteschaft, als auch bei den Patienten, ist eine Pluralisierung von Erwartungshaltungen und Kommunikationsstilen feststellbar. Wenngleich über den Stellenwert des Arztes in diesem Spannungsverhältnis bereits viel geforscht wurde und es zahlreiche Initiativen gibt, gibt es bis dato zur Ressource „Patient“ als wichtige Kraft zur Lösung von Problemen im Gesundheitssystem kaum Forschung oder Initiativen. Die vorliegende Studie untersucht, wo sich die größten Diskrepanzen in der Arzt-Patient-Interaktion identifizieren lassen im Hinblick darauf, diese – mit besonderem Fokus auf die Stärkung des partizipativen Prozesses von Seiten des Patienten – zu überwinden.
• Fragestellung
Wie können Patienten ihren Ärzten helfen, gemeinsam durch eine gelungene Interaktion eine optimale Behandlung zu erreichen? Wo liegen die größten Diskrepanzen zwischen dem beratungssuchenden Laien und dem Hausarzt?
• Methode
Als quantitatives Befragungsinstrument kommt sowohl für Patienten (N = 506), als auch für Hausärzte (N = 109) ein standardisierter Fragebogen im Rahmen von Telefoninterviews (Patienten) bzw. Online-Fragebögen (Ärzte) zum Einsatz. Grundlage des Fragebogens sind bewährte Instrumente (PVQc und GuLiVer) und die Ergebnisse einer Fokusgruppe mit Hausärzten. Der quantitative Teil wird von einer qualitativen Erhebung ergänzt (N = 26). Grundgesamtheit der Befragung sind alle in der Region tätigen Hausärzte sowie alle ansässigen volljährigen Personen. Auf ein ausgewogenes Gleichgewicht der beiden in der Region ansässigen Sprachgruppen wurde geachtet (*nach Bewertung wird die Bezeichnung der Sprachgruppen eingefügt, die ansonsten Hinweis auf den Standort gibt).
• Ergebnisse
Die Trennschärfe der Antwortmuster zeigt eine deutliche Asymmetrie in der Arzt-Patienten-Beziehung - beide Interaktionspartner treffen mit differierenden Anforderungen und Vorstellungen an den jeweiligen Gegenübern aufeinander. Arzt und Patient beurteilen die für eine gelungene Visite relevanten Aspekte im Bereich i) Gesundheitskompetenz und Eigenbeitrag, ii) Offenheit und Ehrlichkeit, iii) Selbstinformation, iv) formale Rahmenbedingungen der Arztvisite und v) Thematisierung psychosozialer Probleme mit abweichender Wichtigkeit. Aufgrund der besonderen geopolitischen Situation lassen sich in der untersuchten Kohorte zudem stratifizierbare Merkmale zwischen den beiden untersuchten Sprachgruppe herausarbeiten, wobei sich insbesondere im Spannungsfeld zwischen Autonomiebestreben und Vertrauen in Expertensysteme ein kultureller Unterschied zwischen den Sprachgruppen abzeichnet. Die proaktive Beteiligung des Patienten an der hausärztlichen Visite innerhalb der xx (*nach Bewertung wird die Bezeichnung eingefügt) Bevölkerungsgruppe wird sowohl von Ärzten als auch vom Patienten eher abgelehnt. Im Gesamtkollektiv der Patienten finden sich außerdem unterschiedliche Auffassungen und Bewertungen hinsichtlich Eigenbeitrag zur Gesunderhaltung, Einschätzung der Wichtigkeit psychosozialer Probleme und Offenheit entlang des Bildungsgradienten, sowie nach Alter und Geschlecht. Insgesamt zeichnet die Kombination aus hohen Ansprüchen an Offenheit und Eigenbeitrag verbunden mit viel Nachsicht, was Höflichkeit und Sauberkeit angeht, Ärzte aus. Patienten bemessen hingegen formalen Rahmenbedingungen und sozial erwünschten Aspekten wie etwa Freundlichkeit und Körperpflege großen Wert bei, weisen bei therapierelevanten Informationen z.B. hinsichtlich ihrer derzeitigen Medikation, der Verwendung von Hausmitteln, einer präzisen Beschreibung ihrer Symptome, oder bei der Forderung nach Facharztvisiten jedoch ein geringes Problembewusstsein auf.
• Diskussion
Arzt und Patient gehen mit unterschiedlichen Erwartungshaltungen, Wünschen und Bewertungen in die Interaktion. Im Spannungsfeld zwischen Autonomiebestreben und Vertrauen in Expertensysteme resultiert das Moment der Begegnung dadurch je nach soziokulturellen Voraussetzungen der beiden Interaktionspartner in einem Spannungsverhältnis, das stets individuell und in der situativen Beziehung neu ausgehandelt werden muss. Insbesondere auf Patientenseite lassen sich Defizite in der Bewertung des Eigenbeitrags zur Gesundheit und der proaktiven Gestaltung der Arzt-Patient-Interaktion feststellen, welche sich zum Teil mit dem individuellen soziokulturellen Hintergrund und einer geringen Sensibilisierung hinsichtlich der eigenen Rolle im hausärztlichen Milieu erklären lassen.
• Praktische Implikationen
Die Studie zeigt auf, welche Bereiche insbesondere für den Arzt im Rahmen der Interaktion mit dem Patienten besonderes Augenmerk verlangen, da hier die Vorstellungen und die Bereitschaft zur Mitarbeit besonders divergieren. Mit zielgruppenorientierten Informations- und Interventionsmaßnahmen mit besonderem Fokus auf die identifizierten Problembereiche kann der Patient als Ressource gestärkt und die hausärztliche Visite zufriedenstellender für beide Seiten gestaltet werden.
Hintergrund
Zur gesundheitlichen Versorgung von Menschen mit Behinderung liegen bisher wenige Erkenntnisse aus der Versorgungsforschung vor, obwohl die Prävalenzen steigen und die Versorgungsprobleme oft vielfältig sind.
Viele angeborene sowie erworbene Behinderungen gehen mit dem Nichtvorhandensein der Lautsprache oder dem Verlust dieser im Laufe einer fortschreitenden Erkrankung einher. Bei dieser Personengruppe werden oft Maßnahmen der Unterstützten Kommunikation (UK) eingesetzt. UK umfasst den Einsatz von nicht-elektronischen und elektronischen Hilfsmitteln sowie Gebärden. Für Deutschland liegen keine verlässlichen Prävalenzangaben zu dieser Personengruppe vor. Daten aus Australien zeigen, dass ca. 0,2% der Bevölkerung einen UK-Bedarf hat. Ca. 25% der Menschen mit infantiler Zerebralparese und 17-25% der Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen entwickeln keine ausreichende Lautsprache.
Angehörige von UK-Nutzer*innen leisten in vielen Fällen behinderungsbedingte Unterstützung und Pflege und sind zusätzlich in hohem Maße für das Gelingen von UK-Maßnahmen verantwortlich (z.B. durch die Mitnutzung von Kommunikationshilfen). In Deutschland existieren bislang keine Daten zum Belastungserleben von Angehörigen von UK-Nutzer*innen. Studien aus dem geriatrischen Bereich zeigen jedoch, dass betreuende Angehörige oft unter starker psychosozialer und körperlicher Belastung leiden. Ebenfalls gibt es bereits Hinweise darauf, dass elterlicher Distress mit der Einschätzung der Outcomes von Kindern mit infantiler Zerebralparese zusammenhängt.
Fragestellung
Gibt es Zusammenhänge zwischen dem Belastungserleben von Angehörigen und der Proxy-Einschätzung der Teilhabe, der Zufriedenheit mit dem UK-Hilfsmittel sowie der Kommunikationsfähigkeit von UK-Nutzer*innen?
Methode
Es handelt sich um eine retrospektive querschnittliche Befragungsstudie. Im Januar 2019 wurden 715 Versicherte der AOK Niedersachsen bzw. deren Angehörige postalisch angeschrieben, die zwischen 2014 und 2018 von der Krankenkasse ein UK-Hilfsmittel erhalten haben. N=190 Personen (zumeist Angehörige als Proxy-Antwortende) beantworteten die Befragung nach einer Erinnerungswelle (Rücklaufquote 27%). Zur Messung der Outcomes wurden die Instrumente WHODAS 2.0 (Teilhabe), QUEST 2.0 (Zufriedenheit mit dem UK-Hilfsmittel) sowie eine an die Stichprobe angepasste selbstentwickelte Skala zur Messung der Kommunikationsfähigkeit (in Anlehnung an das COCP-Programm und Pragmatics Profile des CELF-5) verwendet. Das Belastungserleben der Angehörigen wurde mithilfe der Häusliche-Pflege-Skala (HPS-k) erhoben. Die Datenauswertung erfolgte mithilfe multipler linearer Regressionen unter Berücksichtigung folgender Kontrollvariablen: Geschlecht, Alter und Erwerbsstatus der Angehörigen sowie Geschlecht, Alter, Beschäftigungssituation und Behinderungsgrad der UK-Nutzer*innen.
Ergebnisse
Es konnte ein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Belastungserleben der Angehörigen und der Proxy-Einschätzung der Teilhabe, der Zufriedenheit mit dem UK-Hilfsmittel und dem Service rund um das UK-Hilfsmittel festgestellt werden. Das Alter der UK-Nutzer*innen sowie der Grad der Behinderung stehen in einem signifikanten Zusammenhang mit der Teilhabe. Die Beschäftigungssituation der UK-Nutzer*innen sowie der Behinderungsgrad stehen in einem signifikanten Zusammenhang mit der Zufriedenheit mit dem Service. Dahingegen steht das Belastungserleben in keinem signifikanten Zusammenhang mit der eingeschätzten Kommunikationsfähigkeit. Zwischen den Kontrollvariablen Geschlecht der Angehörigen sowie Alter der UK-Nutzer*innen und der Kommunikationsfähigkeit konnten signifikante Zusammenhänge festgestellt werden.
Diskussion
Die dargestellten Ergebnisse sind für die Planung, Durchführung und Interpretation von Studien in der Versorgungsforschung bei Menschen mit Behinderung im Allgemeinen und bei Menschen ohne Lautsprache im Speziellen von Relevanz. Unklar bleibt jedoch die kausale Interpretation der Zusammenhänge, da das Studiendesign keine kausale Interpretation der Ergebnisse erlaubt. Es können somit folgende Erklärungswege sowie ihre Kombinationen diskutiert werden: 1) höhere Belastung führt zu schlechteren Outcomes, 2) höhere Belastung führt zu einem negativeren Reporting und 3) schlechtere Outcomes führen zu höherer Belastung. Um die Repräsentativität der Stichprobe bei der geringen Rücklaufquote einschätzen zu können, wird zurzeit eine Non-Responder Analyse durchgeführt.
Praktische Implikationen
Das Belastungserleben von Angehörigen von Menschen mit Behinderung sollte in Versorgungsforschungsstudien, die Proxy-Befragungen nutzen, miterhoben werden. Es sollten in Zukunft vergleichbare Untersuchungen mit Längsschnittdaten durchgeführt werden, um die Ergebnisse kausal interpretieren zu können. Erst auf der Basis von Erhebungen der (Belastungs)Situation von Angehörigen von UK-Nutzer*innen können Unterstützungsbedarfe herausgearbeitet und Unterstützungsangebote gestaltet werden.
Für Patient*innen geeignet.
Der Notstand in der Pflege und eine Ausweitung von Ressourcen in der Pflege sind in aller Munde. Verschiedene Gesetze und Initiativen wurden angeschoben, um die Pflegesituation in Deutschland zu verbessern. Wichtig ist hierbei auch die Pflegesituation zwischen den verschiedenen Sektoren des Gesundheitswesens näher zu beleuchten. In dieser Session rückt die Pflege in Bezug zu einer sektorenübergreifenden Versorgung in den Mittelpunkt. Ein Beitrag berichtet darüber, wie Pflegekräfte und Ärzt*innen die Zusammenarbeit in Pflegeeinrichtungen einschätzen. Ein weiterer Beitrag beschreibt die Evaluation eines Selektivvertrags, der als Ziel hat, die Versorgungs- und Lebensqualität von in vollstationären Pflegeeinrichtungen lebenden Versicherten zu verbessern. Weiterhin wird ein Projekt vorgestellt, in dem Pflegeaspekte in Hausarztpraxen verankert werden, um die Zusammenarbeit von Hausärzten und ambulanten Pflegediensten zu stärken. Ein anderer Beitrag beleuchtet Chancen und Herausforderungen sowie das Erleben eines Projekts zur Integration von Tagesgästen in Pflegeheimen. Weiterhin wird dargestellt, wie die Nutzenden und ihre pflegenden Angehörigen die Bedarfs- und Bedürfnisgerechtigkeit eines Modellprojekts der stationären Altenhilfe beurteilen. Im letzten Beitrag in dieser Session wird die Frage erörtert, wie sich die aktuelle Versorgungssituation und Versorgungspraxis von Menschen am Lebensende in zwei Landkreisen in Niedersachsen darstellt.
Hintergrund
Eine hochwertige medizinische Versorgung von Pflegeheimbewohnern erfordert eine gute interprofessionelle Zusammenarbeit zwischen Pflegekräften und Ärzten. Diese kann durch zahlreiche Faktoren behindert werden, z.B. mangelnden Informationsaustausch oder fehlende Wertschätzung der eigenen Arbeit durch die andere Berufsgruppe (Meyer-Kühling et al., 2015).
Fragestellung
Anhand der Studie sollte beantwortet werden, wie Pflegefachkräfte und Ärzte ihre interprofessionelle Zusammenarbeit in Pflegeheimen beurteilen.
Methode
Die Befragung fand im Zeitraum 01/2018 bis 01/2019 statt. Es wurden Fragebögen an 36 konsekutiv rekrutierte Heime der Interventionsgruppe des Projekts „CoCare – Erweiterte koordinierte ärztliche Pflegeheimversorgung“ (Förderung: Innovationsfonds des GBA) geschickt. Hierbei handelte es sich um die T0-Befragung vor Implementierung der Intervention.
Die Fragebögen richteten sich an die Pflegefachkräfte der Heime sowie die Ärzte, die die Pflegeheimbewohner versorgen und am Projekt CoCare teilnehmen. Sie wurden befragt, wie sie die Zusammenarbeit zwischen den Berufsgruppen (Arzt und Pflege) beurteilen. Hierfür wurden sechs an die Zielgruppe angepasste Items aus dem Kurzfragebogen zur Erfassung der interprofessionellen Teamarbeit „Team-Skala (TS-6)“ (Körner und Wirtz, 2013) verwendet, die relevante Determinanten der Teamarbeit erheben (Kommunikation, Koordination, Kooperation, Respekt und Kultur). Außerdem wurden sechs Items der Skala „Zusammenarbeit der Berufsgruppen“ aus dem „Fragebogen zur Arbeitszufriedenheit der Gesundheits- und Krankenpfleger (FAP) / der Ärzte (FAÄ)“ (Fischbeck und Laubach, 2005) genutzt, die einerseits Aspekte der Kommunikation und Zusammenarbeit erfassen, jedoch besonderen Schwerpunkt auf die Aspekte Wertschätzung und Anerkennung legen.
Es nahmen N=361 Personen an der Befragung teil. Vier Fragebögen wurden aus den weiteren Analysen ausgeschlossen, weil mehr als vier der zwölf Werte fehlten. Für die beiden verwendeten Skalen wurden Summenscores berechnet, wobei Werte nur dann eingingen, wenn eine Person pro Skala nicht mehr als einen Missing-Wert aufwies. Gruppenvergleiche zwischen Ärzten (n=53) und Pflegekräften (n=304) wurden mittels t-Tests berechnet.
Ergebnisse
Die interprofessionelle Teamarbeit wurde anhand der TS-6 insgesamt positiv beurteilt, wobei die Pflegekräfte ungünstigere Einschätzungen als die Ärzte trafen (p=0,01). Auf einer 4-stufigen Likert-Skala von „1 – trifft überhaupt nicht zu“ (negative Ausprägung) bis „4 – trifft völlig zu“ (positive Ausprägung) erzielten die Ärzte einen Mittelwert (MW)=3,41 (SD=0,50) und die Pflegekräfte einen MW=3,21 (SD=0,52). Auch bezüglich der Skala „Zusammenarbeit der Berufsgruppen“ fielen die Antworten insgesamt gut aus. Hier konnte anhand einer 6-stufigen Likert-Skala von „1 – sehr gut“ bis „6 – sehr schlecht“ geantwortet werden. Die Ärzte äußerten sich mit einem MW=2,24 (SD=0,65) tendenziell wieder positiver als die Pflegekräfte (MW=2,39, SD=0,80). Auch wenn sich bezüglich des Summenscores keine signifikanten Gruppenunterschiede (p=0,20) ergaben, so wurden diese auf Ebene einiger Einzelitems sichtbar (p < 0,05). Sie zeigten sich vor allem in Bezug auf die empfundene Wertschätzung durch die andere Berufsgruppe, die von den Pflegenden negativer eingeschätzt wurde als durch die Ärzte.
Diskussion
Die Pflegekräfte äußerten sich bezüglich der interprofessionellen Zusammenarbeit insgesamt kritischer als die Ärzte. Auch in einer früheren Untersuchung, die sich mit Erwartungshaltungen, Kommunikation und Kooperation im Pflegeheim befasste (Meyer-Kühling et al., 2015), beurteilten die Pflegekräfte die Zusammenarbeit negativer und fühlten sich im Vergleich zu den Ärzten fachlich und menschlich weniger wertgeschätzt.
Praktische Implikationen
Im Projekt „CoCare“ zielen verschiedene Maßnahmen (z.B. regelmäßige Visiten und quartalsweise Besprechungen) darauf ab, die interprofessionelle Zusammenarbeit zu optimieren. Im Rahmen der Evaluation wird sich zeigen, welche positiven Effekte hier erreicht werden können und wie die Veränderungen durch die verschiedenen Berufsgruppen beurteilt werden.
Literatur
Fischbeck S, Laubach W. Arbeitssituation und Mitarbeiterzufriedenheit in einem Universitätsklinikum: Entwicklung von Messinstrumenten für ärztliches und pflegerisches Personal. Psychother Psych Med. 2005;55:305-314.
Körner M, Wirtz MA. Development and psychometric properties of a scale for measuring internal participation from a patient and health care professional perspective. BMC Health Services Research. 2013;13:374.
Meyer-Kühling I, Frankenberg C, Schröder J. Erwartungshaltungen, Kommunikation und Kooperation von Pflegenden und Ärzten in der stationären Altenpflege. HeilberufeScience. 2015;6:70-75.
Hintergrund
Im Fokus dieses im Rahmen des Innovationsfonds geförderten Projekts (Förderkennzeichen: 01VSF17001) steht die Evaluation des Selektivvertrags careplus nach § 140a SGB V. Ziel des Vertrages ist es, als kooperative, medizinische Versorgungsform die Versorgungs- und Lebensqualität der in vollstationären Pflegeeinrichtungen lebenden Versicherten zu verbessern. Zur Zielerreichung erfolgen zusätzliche ambulant ärztliche Leistungen wie z.B. Regelvisiten sowie Rufbereitschaften. Des Weiteren erfolgen zusätzliche Leistungen auf Seite des Pflegheims wie u.a. Organisation der Regelvisiten und Abstimmung mit den Beteiligten.
Fragestellungen
Die Fragestellungen zur Evaluation des Vertrags werden anhand von vier Arbeitshypothesen ope-rationalisiert:
- careplus führt zu einer Verringerung der Zahl an Krankenhausbehandlungsfällen.
- careplus führt zu einer Verbesserung der medizinischen Versorgung von Heimbewohnern.
- careplus führt nicht zu einer Erhöhung der Kosten je Heimbewohner.
- Die am Projekt beteiligten Personen (Bewohner, Ärzte, Pflegekräfte, Krankenkassen) sind zufrieden.
Methode
Datengrundlage für die Evaluation von careplus bilden Routinedaten der AOK Nordost, Literaturrecherchen, Interviews und ein Panel.
In Bezug auf Arbeitshypothese 1 (AP 1) wird ergebnisbezogen u.a. mit Hilfe des primären Outcomeparameters Krankenhauseinweisungen im Kontrollgruppenvergleich von Projektteilnehmern und Nichtteilnehmern anhand von anonymisierten Routinedaten der AOK Nordost evaluiert. Hierfür werden Risikofaktoren für Krankenhauseinweisungen auf Basis einer systematischen Literaturrecherche, Experteninterviews und explorativen GKV-Routinedatenanalysen identifiziert. Neben deskriptiven Beschreibungen werden die Einflüsse der Risikofaktoren auf die Krankenhauseinweisungen in Regressionsmodellen modelliert.
Im Arbeitspaket 2 wird die Wirksamkeit des Selektivvertrages hinsichtlich der medizinischen Versorgung untersucht. Hierzu werden Qualitätsindikatoren für die medizinische Versorgung von Pflegeheimbewohnern entwickelt. Die Operationalisierung der Qualitätsindikatoren erfolgt soweit möglich auf Basis von GKV-Routinedaten. Ein Panel mit Experten bewertet diese hinsichtlich ihrer Relevanz für die medizinische Versorgung in Pflegeeinrichtungen.
Das dritte Arbeitspaket beinhaltet gesundheitsökonomische Analysen. Ziel ist es Kosten von Inan-spruchnahmen der GKV-Leistungen und ggf. zusätzlich anfallender Programmkosten in der Projektgruppe und der Vergleichsgruppe gegenüberzustellen.
Ziel des vierten Arbeitspaketes ist es die Erfahrungen mit dem Projekt aus Sicht der am Selektiv-vertrag beteiligten Personen in Form von explorativen, leitfadengestützten Interviews zu ermitteln. Dadurch werden wichtige Aspekte z.B. hinsichtlich der Kommunikation und Koordination sowie Lebensqualität erhoben.
Ergebnisse
Erste Zwischenergebnisse liegen für Arbeitspaket 1 und 2 vor (Stand: März 2019). Identifizierte Risikofaktoren für Krankenhauseinweisungen aus der Literaturrecherche sind Alter, Geschlecht, Zeit seit Einzug in das Heim/Aufnahme, Zeit vor Tod, Pflegegrad/-stufe, Aufnahme aus Kranken-haus sowie Stürze. Als vorläufiges Zwischenfazit zu Qualitätspotenzialen der medizinischen Versorgung (AP 2) ließen sich u.a. die Themenfelder Arzneimittelversorgung, Facharztversorgung sowie Kooperation und Kommunikation identifizieren, die Bestandteil eines übergeordneten Qualitätsmodells sind. Auf dem Kongress sollen in Bezug auf dieses Arbeitspaket zudem die vorläufigen Ergebnisse zu den Qualitätsindikatoren zur medizinischen Versorgung in Pflegeheimen vorgestellt werden.
Diskussion
Für eine detaillierte Diskussion sind weitere Projektergebnisse abzuwarten. Festgehalten werden kann jedoch, dass der Gesetzgeber mit § 119 b SGB V „Ambulante Behandlung in stationären Pflegeeinrichtungen“ Kooperationsverträge mit dafür geeigneten vertragsärztlichen Leistungserbringern nunmehr verbindlich vorschreibt und somit die enge Kooperation und Koordination von Pflegeinrichtungen mit medizinischen Leistungserbringern vorsieht. Der Gesetzgeber würdigt damit die Notwendigkeit einer kooperativen Zusammenarbeit zwischen Pflege und medizinischer Versorgung.
Praktische Implikationen
Neben den Ergebnissen der Evaluation steht am Projektlaufzeitende (Juni 2020) mit dem entwickelten Modell zur Risikoadjustierung von Krankenhausbehandlungsfällen und den Indikatoren zur Beurteilung medizinischer Versorgungsqualität erstmalig ein fundiert entwickeltes System zur Bewertung der medizinischen Versorgung in Pflegeeinrichtungen zur Verfügung. Dieses System basiert auf Routinedaten und ist damit auch auf vergleichbare Kontexte übertragbar. Darüber hinaus wird eine Vertragsweiterentwicklung von careplus geprüft.
Hintergrund
Zur Bewältigung von chronischer Krankheit und Pflegebedürftigkeit im häuslichen Umfeld ist ein enges Zusammenwirken zwischen Pflege und Medizin (insbesondere Hausärzten, ambulanten Pflegediensten und nichtärztlichen Therapeuten) zur Sicherstellung der Versorgungskontinuität erforderlich. Die Sektorengrenzen zwischen Pflege und Medizin stellen jedoch eine besondere Herausforderung dar, weil System- und Rechtsgrenzen (SGB V und SGB XI) die Kooperation eher erschweren, als fördern.
Unter dem Eindruck eines sich abzeichnenden Mangels an professionellen und familiären Pflegepersonen, zunehmender Komplexität von Pflegesituationen durch Multimorbidität, die Strategie „ambulant vor stationär“, die zunehmende Singularisierung in den Pflegehaushalten und die ausdünnende hausärztliche Versorgung in ländlichen Regionen entsteht ein besonderer Unterstützungsbedarf bei den etwa 1,4 Mio. Pflegebedürftigen, die ausschließlich durch das familiäre Umfeld gepflegt werden.
Auf Seiten pflegebedürftiger Menschen und ihrer Angehörigen gibt es einen kontinuierlichen Begleitungs- und Beratungsbedarf im Sinne einer Selbstmanagementförderung, insbesondere zur Überwindung von Entscheidungsunsicherheiten angesichts sich verändernder Anforderungen in der Pflegesituation. Dieser Bedarf bezieht sich auf Informationen, wo, durch wen und wie Unterstützungsleistungen in Anspruch genommen und geltend gemacht werden können. Er umfasst aber auch Aspekte der emotionalen Unterstützung, Rückversicherung des eigenen Tuns und Bewältigung der mit der Pflege einhergehenden Belastungen. Oft sind Hausärztinnen und Hausärzte die erste Ansprechstelle für diese Fragen. Sie sind jedoch nur bedingt in der Lage, Fragen zur mittel- und langfristigen Bewältigung von Pflegebedürftigkeit zu beantworten. Zudem wird diese Unterstützung nicht als ihre originäre Aufgabe angesehen und es fehlt im Rahmen der Sprechstunden die Zeit, sich zufriedenstellend damit zu beschäftigen. Bestehende Beratungsangebote (z.B. Pflegestützpunkt, Pflegekassen oder ambulante Pflegedienste) werden - wie aus Untersuchungen bekannt ist - oftmals nicht in Anspruch genommen, weil sie nicht bekannt oder schlecht zugänglich bzw. erreichbar sind.
In diesem Projekt wurde daher der Versuch unternommen, Beratungskompetenz zu Pflegefragen in der Hausarztpraxis zu verankern und somit den Zugang zu erleichtern. Zudem stelle dieser Ansatz - die Pflegesprechstunde in der Hausarztpraxis - eine neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Hausärzten und ambulanten Pflegediensten dar. Diese Zusammenarbeit wird derzeit in einem kleinen Rahmen mit zwei ambulanten Pflegediensten und zwei Hausarztpraxen in einer niedersächsischen Kleinstadt umgesetzt und evaluiert. Die beteiligten Pflegedienste ließen in einem Vorprojekt „Beratungskompetenz stärken“ sieben Mitarbeiterinnen in Anlehnung an den „Qualitätsrahmen für Beratung und Schulung in der Pflege“ weiterbilden, um auf Basis dieses wissenschaftlich fundierten Instruments ein angemessenes Qualitätsniveau der Beratung gewährleisten zu können. Die Mitarbeiterinnen der beteiligten Pflegedienste haben sich somit im Vorfeld durch Fortbildungen eine umfangreiche Beratungsexpertise angeeignet und sich zu einem gemeinsamen Beratungsteam zusammengeschlossen. Die beteiligten Hausärzte wurden über direkte Ansprache durch die Pflegedienste gewonnen. Gefördert wird das Projekt durch das Förderprogramm zur Stärkung der ambulanten Pflege im ländlichen Raum durch die niedersächsische Landesregierung.
Fragestellung
- Lässt sich das Angebot der Beratungssprechstunde dauerhaft in einer Arztpraxis realisieren?
- Wie hoch ist der administrative und kommunikative Aufwand?
- Wie gestaltet sich die Kooperation?
- Welcher Nutzen zeigt sich im Projekt für die beteiligten Arztpraxen und Pflegedienste?
- Welche Erkenntnisse lassen im Hinblick auf mittel- und langfristige Kooperationen zwischen primärer Gesundheits- und Langzeitversorgung gewinnen?
Methode
Die Untersuchung erfolgt als formative und summative Evaluation der Einrichtung der Pflegesprechstunde durch die Hochschule Osnabrück. In diesem Rahmen werden qualitative Interviews mit den Beraterinnen und den beteiligten Hausärzten sowie Praxisangestellten geführt. Die Inhalte und weitere Aspekte der Beratungsgespräche werden über einen einheitlichen Dokumentationsbogen erfasst und deskriptiv ausgewertet.
Ergebnisse
Das Projekt läuft seit November 2018 und wird Ende April 2019 beendet sein. In dem Vortrag werden die wesentlichen Ergebnisse dargestellt. Erste Ergebnisse zeigen, dass die Beratung, wenn auch zunächst zögerlich, in Anspruch genommen wird und sich dadurch langsam etablieren konnte. Die weiteren Auswertungen erfolgen ab Mai 2019.
Hintergrund: Potentiale sektorenübergreifender, integrierter Versorgungsmodelle werden seit Langem diskutiert. Sie sollen besonders bei komplexen Gesundheitsproblemen und Pflegebedürftigkeit zu einer hochwertigen, wohnortnahen Versorgung beitragen. Allerdings ist die Umsetzung u. a. durch starre Sektorengrenzen erschwert. Pflegeeinrichtungen sind bislang kaum an integrierter Versorgung beteiligt. Empirische Analysen zu Chancen und Herausforderungen sektorenübergreifender Versorgungsmodelle in der Langzeitpflege sind selten.
Ziel des Modellprojekts „Pflege stationär – Weiterdenken!“ (Förderung: Stiftung Wohlfahrtpflege NRW) ist es, stationäre Pflegeeinrichtungen zu sektorenübergreifenden, integrierten Quartiers- und Gesundheitszentren weiterzuentwickeln. Die Zentren sollen als Teil einer sozialraumorientierten Versorgung zusätzlich zur stationären Langzeit- und Kurzzeitpflege offene und teilstationäre Angebote vorhalten. Ein solches teilstationäres Angebot ist integrierte Tagespflege (ITP), die sich vorrangig an Menschen richtet, die im Quartier/Stadtteil der Einrichtungen wohnen. Im Rahmen der ITP verbringen Tagespflegegäste den Tag im Pflegeheim und nutzen Angebote (z.B. Verpflegung, soziale Angebote) gemeinsam mit Heimbewohner*innen.
Fragestellungen: Gegenstand dieses Beitrags ist eine laufende Evaluation integrierter Tagespflege in den Modelleinrichtungen. Hier steht die Frage im Mittelpunkt, welche Chancen und Herausforderungen aus Sicht von Expert*innen mit der Konzeptionierung und Umsetzung der ITP verbunden sind. Zudem wird gefragt, wie Nutzer*innen (Tagesgäste und Heimbewohner*innen) die ITP erleben und unter welchen Aspekten sie ihren Bedürfnissen und Bedarfen entspricht.
Methoden: Es wurden leitfadengestützte Interviews mit 20 Expert*innen durchgeführt, die als Fachkräfte in den Modelleinrichtungen arbeiten oder auf Planungs- und Kooperationsebene in das Projekt involviert sind. Außerdem wurden episodische Interviews mit 10 Tagesgästen sowie mit 10 Bewohner*innen der Modelleinrichtungen geführt. Im Fall stärkerer kognitiver Einschränkungen wurden stellvertretend oder zusätzlich Angehörige interviewt. Die Auswertung aller Interviewdaten erfolgte mittels Thematischen Kodierens. Sichtweisen von Expert*innen, Gästen und Bewohner*innen wurden abschließend triangulativ zueinander in Bezug gesetzt.
Ergebnisse: Bewohner*innen und Tagesgäste thematisieren die Bedeutung von integrierter Tagespflege vor allem im Kontext von sozialer Integration. Bewohner*innen wissen es zu schätzen, dass ihnen die Anwesenheit der Tagesgäste in ‚ihren‘ stationären Einrichtungen ermöglicht, soziale Bezüge jenseits der Lebenswelt Pflegeheim aufrechtzuerhalten. Wie die Tagesgäste, erleben sie das ‚lockere‘ Beisammensein im Kontext gemeinsamer Aktivitäten (Mahlzeiten oder Sing- und Bewegungsangebote) als positiv. Allerdings nehmen beide Nutzergruppen einen Mangel an Privatsphäre wahr, und speziell die Bewohner*innen kritisieren eine allgemeine Unruhe auf ihren Wohnbereichen, die sie auf die Anwesenheit der Tagesgäste zurückführen.
Auch die Expert*innen verdeutlichen, dass integrierte Tagespflege die soziale Teilhabe beider Nutzergruppen verbessert und Einsamkeit entgegenwirken kann. Expert*innen verweisen zudem darauf, dass die Einbettung der ITP in ein stationäres Setting flexiblere zeitliche Nutzungsmöglichkeiten erlaubt. Zudem können Versorgungsbrüche an der Schnittstelle zwischen teil-/vollstationärer Versorgung vermieden und Nutzer*innen in zusammenhängenden Versorgungsketten betreut werden. Korrespondierend dazu verdeutlichen Tagesgäste und Angehörige, dass die Einbindung in ein Heim ‚Sicherheit‘ schafft, im Bedarfsfall in einer bereits vertrauten Einrichtung eine intensivere, wenn notwendig vollstationäre Versorgung zu erhalten.
Diskussion: Eine Integration von Tagesgästen in Pflegeheimen erweist sich für Nutzer*innen und für Pflegeanbieter als Chance und Herausforderung. Soll das Potential der ITP für eine Integration älterer Menschen im Sozialraum und für eine sektorenübergreifende Versorgung zum Tragen kommen, sind Mitarbeiter*innen in den Heimen gefordert, sich stärker in die gemeindenahe Versorgung einzubringen und diese mit Angehörigen und ambulanten Anbietern abzustimmen. Dazu müssen sie lernen, Versorgungsverantwortung gemeinsam zu gestalten. Solche Aufgaben werden Mitarbeiter*innen stationärer Pflegeeinrichtungen bislang wenig abgefordert, sind aber für eine sektorenübergreifende Versorgung unabdingbar. Vertiefende Analysen, wie diese gestaltet werden kann, werden in diesem Projekt in einer zweiten Erhebungsphase eruiert.
Praktische Implikationen: Zur Weiterentwicklung und Qualitätssicherung einer integrierten Tagespflege sollten die Perspektiven der Beteiligten - der Bewohner*innen, Gäste, Angehörigen und Mitarbeiter*innen - genutzt werden. In den Einrichtungen sollte regelmäßig reflektiert werden, wie Interessen und Bedürfnisse von Heimbewohner*innen und Tagesgästen ausgewogen adressiert werden können.
Hintergrund
Das Gesundheitssystem sieht sich zunehmend mit einer steigenden Anzahl von hilfs- und pflegebedürftigen Menschen konfrontiert. Im Jahre 2013 lebten ca. 2,6 Millionen pflegebedürftige Menschen in Deutschland. Prognosen zufolge wird sich diese Zahl bis zum Jahre 2030 um 50% erhöhen. Die meisten über 65-jährigen Menschen mit Unterstützungsbedarf wohnen in der Häuslichkeit (93%) und werden von Familienangehörigen bei der Bewältigung von Alltagstätigkeiten unterstützt. Obwohl im Bereich der ambulanten Versorgung bereits diverse Angebote zur Unterstützung im Alltag vorhanden sind, werden diese häufig von der Zielgruppe z.B. aufgrund fehlender Passgenauigkeit nicht in Anspruch genommen, während es an anderen Stellen zu einer Fehl- bzw. Überversorgung kommt.
Im Rahmen eines Modellprojektes in NRW hat ein Träger der stationären Altenhilfe ein so genanntes Gesamtversorgungskonzept (GVK) gem. §72 SGB XI in vier Quartieren erprobt. Ziel des Modellprojektes war es, eine fußläufig organisierte pflegerische und hauswirtschaftliche Versorgung der Nutzenden im Nahraum der stationären Einrichtung zu konzipieren, welche die Verzahnung von ambulanten, teilstationären und vollstationären Leistungen aus einer Hand ermöglicht. Die Überwindung der Schnittstellen sollte mit Hilfe des bestehenden Personals aus der stationären Altenhilfe sichergestellt werden. Kern des Konzeptes ist die individuelle, auf einem Case Management-Prozess basierende Planung der Versorgung. Begleitet wurde dieses Modellprojekt durch eine wissenschaftliche, multiperspektivische Evaluation, die u.a. die Einschätzung der Nutzenden in den Blick nahm.
Fragestellung
Wie schätzen die Nutzenden und ihre pflegenden Angehörigen die Bedarfs- und Bedürfnisgerechtigkeit des Gesamtversorgungskonzeptes ein?
Methode
Zur Beantwortung der Forschungsfrage wurden folgende methodische Vorgehensweisen im Sinne eines Mixed-Method-Design kombiniert:
1. Standardisierte Befragung der Nutzenden und ihrer Angehörigen mithilfe quantitativer Assessmentinstrumente zu drei Befragungszeitpunkten über einen Zeitraum von 1,5 Jahren. Die Auswertung erfolgte mittels querschnittlicher, deskriptiver statistischer Analysen.
2. Qualitative Befragung eines Subsamples (n=13 Versorgungsarrangements) mittels episodischer Interviews zu drei Befragungszeitpunkten über einen Zeitraum von 1,5 Jahren. Die Analyse der qualitativen Interviews wurde in Anlehnung an das Thematische Kodieren nach Flick (2016) durchgeführt.
Abschließend erfolgte die Synthese der Ergebnisse aus beiden Methodensträngen.
Ergebnisse
In den Stichproben werden sehr heterogene Bedürfnisse und Bedarfe geäußert. Diese variieren vom Bedürfnis nach Spiritualität bis zum Bedarf nach weiteren Geschäften im Quartier. Das GVK wird von den Versorgungsarrangements größtenteils als zufriedenstellend sowie bedürfnis- und bedarfsgerecht erlebt. Während in leichten Versorgungsfällen Bedürfnisse im Bereich der Gesundheitsprävention vorherrschen, liegt der Fokus in komplexeren Fällen auf der Unterstützung im Alltag sowie der Aufrechterhaltung von Teilhabe. Pflegende Angehörige hingegen äußern oft das Bedürfnis nach Sicherheit sowie den Bedarf nach Unterstützung im Not- und Bedarfsfall. Insbesondere Angehörige in komplexen Versorgungsarrangements nennen zudem vermehrt das Bedürfnis nach Entlastung. Kritik äußern Nutzende dahingehend, dass in der Betrachtung individueller Lebenssituationen „passgenauere“ Angebote gewünscht werden, z.B. dass Inhalt und Zeitpunkt der vereinbarten Leistungen flexibler verändert werden können.
Diskussion
Der Wunsch nach einer höheren Passgenauigkeit der Angebote legt den Schluss nahe, dass erforderliche und benötigte Leistungen zwar erbracht werden, diese aber nicht zur Gänze den individuellen Präferenzen entsprechen. Der erste Schritt, diesem Wunsch nach Passgenauigkeit entgegenzukommen, ist die Identifizierung expliziter und impliziter Bedürfnisse und Bedarfe z.B. in Form umfassender Assessments. Ergänzend können Schilderungen und Beobachtungen von Alltagssituationen helfen, Wünsche und Probleme der Betroffenen zu erkennen.
Praktische Implikationen
Die wissenschaftliche Begleitung des Gesamtversorgungskonzeptes verdeutlicht die Komplexität der zu deckenden Bedarfe und Bedürfnisse der Nutzenden im Quartier. Um auch implizite Bedürfnisse zu identifizieren und das Gefühl einer höheren Passgenauigkeit zu erreichen, sollten Anbieter zugehende Strukturen schaffen und im Dialog mit den Nutzenden klären, inwiefern den jeweiligen Bedürfnissen und Bedarfen entsprochen werden kann. Ein funktionierendes Netzwerk von relevanten Akteuren im Quartier könnte hierbei die Grenzen des trägerspezifischen Leistungsspektrums auffangen. Langfristig könnten zudem Hinweise gegeben werden, inwiefern die eigene Angebotspalette der Weiterentwicklung bedarf.
1. Hintergrund
Etwa 80-90% der Menschen mit chronisch-progredienten Erkrankungen können am Lebensende im Rahmen der allgemeinen ambulanten Palliativversorgung angemessen betreut werden. Grundsätzlich sind in Deutschland Strukturen vorhanden, die eine Begleitung am Lebensende dem individuellen Patientenwunsch entsprechend ermöglichen. Die Realisierung hängt jedoch auch von der regionalen Infrastruktur und Verfügbarkeit z.B. von Hausärzt*innen und spezialisierten Diensten ab. Die vom Innovationsfond des Gemeinsamen Bundesausschusses geförderte Interventionsstudie „Optimale Versorgung am Lebensende - OPAL“ (Förderkennzeichen: 01VSF17028) hat daher zum Ziel, ausgehend von einer Bestandsaufnahme der aktuellen Versorgungssituation die Versorgung von Menschen am Lebensende in zwei ausgewählten Regionen in Niedersachsen mit einer gemischt städtisch-ländlichen Struktur weiterzuentwickeln. In dem Beitrag werden erste Ergebnisse der vorgeschalteten Ist-Analyse vorgestellt.
2. Fragestellungen
Wie stellt sich die aktuelle Versorgungssituation und Versorgungspraxis von Menschen am Lebensende in zwei niedersächsischen Landkreisen dar?
3. Methode
Die Studie „Optimale Versorgung am Lebensende - OPAL“ ist eine Interventionsstudie im prä-post-Design mit einem Mixed-Methods-Ansatz. Teil der Baseline-Erhebung t0 ist eine Expertenbefragung zur aktuellen Versorgungssituation in zwei Projektregionen. Als Expert*innen wurden im Herbst/Winter 2018/19 Schlüsselakteure rekrutiert, die durch ihre beruflichen oder ehrenamtlichen Positionen innerhalb der regionalen Versorgungsstrukturen leitend oder koordinierend mit Bezug zur Versorgung von Menschen am Lebensende tätig sind und an den Schnittstellen zur hausärztlichen Versorgung stehen. Die leitfadengestützten Interviews wurden von den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen face-to-face durchgeführt und aufgezeichnet. Die im Leitfaden abgesteckten übergeordneten Themen konzentrieren sich auf die Infrastruktur, auf die derzeitige Versorgungssituation sowie die Vernetzung der professionellen Akteure und der Gesundheitseinrichtungen in den Regionen. Die Aufzeichnungen wurden nach der Erhebung transkribiert und anonymisiert. Anschließend wurde das Transkript durch eine qualitative Inhaltsanalyse für Experteninterviews und unter Anwendung der Software MAXQDA aufbereitet und inhaltsanalytisch ausgewertet. Dabei wurde ein deduktiv-induktives Verfahren gewählt, d.h. das Codeschema wurde durch zwei wissenschaftliche Mitarbeiterinnen ausgehend von den im Leitfaden abgesteckten Themen erarbeitet und ergänzend im Rahmen der Analyse am Material entwickelt.
4. Ergebnisse
Durchgeführt wurden 20 Experteninterviews, davon sieben als Tandeminterviews und ein Gruppeninterview mit 28 Expert*innen (75% weiblich) aus Hospizen, Kliniken, Hospizvereinen, Pflegediensten, Sozialen Diensten, Palliativnetzwerken, Palliativstützpunkten, Diensten der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung, der Selbsthilfe, der Seelsorge sowie Alten- und Pflegeheimen. Im Hinblick auf die Analysekategorien der Versorgungskoordination und Versorgungssituation der Betroffenen und der Angehörigen zeichnen sich aus Expertensicht nahezu durchgängig Aufklärungsdefizite seitens der hausärztlichen Praxis über entlastende und weiterführende Versorgungsangebote ab. Entsprechende Informationen und Zugänge zu den jeweiligen Einrichtungen erlangen die Betroffenen und Angehörigen demnach eher auf Eigeninitiative als auf Vermittlung von hausärztlicher Seite. Auf der Ebene der Versorgungspraxis verdichtet sich das Bild, das die Gestaltung der Versorgungskoordination zwischen den Einrichtungen hin zu einer zentralen Steuerung ein wesentlicher Faktor für einen effizienten Versorgungsablauf und eine frühzeitige sowie angemessene Versorgung ist.
5. Diskussion
Die Ergebnisse fokussieren auf die Erfordernisse der professions- und sektorenübergreifenden Kooperation und eine gut strukturierte Versorgungskoordination in der ambulanten Palliativversorgung. Die Schaffung eines zentralen Koordinationsstützpunktes auf Landkreisebene als Anlaufstelle für Praktizierende, Betroffene und Angehörige findet deutlich Zustimmung. Eine daraus resultierende strukturierte sowie frühzeitige Einleitung palliativer Maßnahmen kann zu einer angemessenen Versorgung von Menschen am Lebensende und Betreuung der Angehörigen beitragen.
6. Praktische Implikation
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Bedürfnisse und Bedarfe von Patient*innen mit unheilbaren, fortgeschrittenen Erkrankungen in hausärztlichen Praxen systematisch identifiziert werden sollten, um patientenorientierte Maßnahmen einleiten und im Kontext der regional verfügbaren Versorgungsangebote koordinieren zu können.
Deutschland gehört zu den alternden Gesellschaften und ist durch eine steigende Lebenserwartung charakterisiert mit der das Risiko zunimmt an einer chronischen Erkrankung und Pflegebedürftigkeit zu leiden. Psychischen Störungen, insbesondere den Demenzerkrankungen, kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Die Pflege der Demenzkranken wird einerseits durch Angehörige (informelle Pflege) und andererseits durch Pflegepersonal (formelle Pflege) in ambulanten oder stationären Diensten erbracht. Im Rahmen diese Session werden daher die Auswirkungen Demenz sowohl auf Angehörige, also auch auf professionell Pflegende im ambulanten und stationären Sektor vorgestellt. Weitere Vorträge gehen auf medikamentöse Behandlung bei Demenz und gesundheitsökonomische Aspekte ein.
Hintergrund und Fragestellung:
In den vergangenen Jahrzehnten wurde in zahlreichen Studien der Zusammenhang zwischen Hypertonie und Demenz untersucht. Der Zusammenhang zwischen Hypertonie und Demenz kann mehrere Mediatoren umfassen, einschließlich Schlaganfall und Gehirnatrophie. In diesem Zusammenhang ist das Interesse an der Wirkung von Antihypertensiva auf das Risiko für die Alzheimer-Krankheit und andere Demenzerkrankungen gestiegen, und es wurde festgestellt, dass die Verschreibung dieser Wirkstoffe manchmal gegen Demenz schützt.
Das Ziel dieser retrospektiven Studie war es, den Zusammenhang zwischen antihypertensiver Therapie und Demenzinzidenz zu untersuchen.
Methode:
Diese Studie umfasste Patienten ≥60 Jahre mit dokumentierten Blutdruckwerten, bei denen zum ersten Mal zwischen 2013 und 2017 in Deutschland eine Demenz diagnostiziert wurde (Indexdatum). Demenzfälle wurden mit Nicht-Demenz-Kontrollen verglichen, wobei Proponsity Scores basierend auf Alter, Geschlecht, Indexjahr und Ko-Diagnosen verwendet wurden. Das primäre Ergebnis der Studie war das Demenzrisiko als Funktion des Einsatzes von Antihypertensiva.
Ergebnisse:
Die vorliegende Studie umfasste 12.405 Patienten mit Demenz und 12.405 Patienten ohne Demenz. Verwendung von Angiotensin-II-Rezeptorblockern (Odds Ratios [ORs] 0,74 bis 0,79), ACE-Hemmern (ORs 0,85 bis 0,88), Calciumantagonisten (ORs 0,82 bis 0,89) und Betablockern ( OR = 0,88) war mit einer Abnahme des Demenzinzidenz assoziiert.
Diskussion:
Wir beobachteten einen negativen Zusammenhang zwischen blutdrucksenkender Therapie und Demenz bei älteren Menschen in hausärztlichen Praxen. In dieser Studie hatten Angiotensin-II-Rezeptorblocker die stärkst Assoziation mit der , eine Beziehung, die durch ein verbessertes Gedächtnis, eine Verringerung von „Amyloid-Beta-Plaques“ und eine verringerte Entzündung erklärt werden kann.
Praktische Implikation:
Diese Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung der Verschreibung von Antihypertensiva im Zusammenhang mit der Verhinderung des kognitiven Abbaus bei Bluthochdruck. Schließlich sind weitere Studien erforderlich, um ein besseres Verständnis der Mediatoren zu erlangen, die am Zusammenhang zwischen dem Einsatz von Antihypertensiva und Demenz beteiligt sind.
Hintergrund: Derzeit leben 1,7 Mio. Menschen mit Demenz (MmD) in Deutschland. Bis 2060 soll sich diese Zahl verdoppeln. Schätzungen der aktuellen und zukünftigen gesamtgesellschaftlichen Kosten der Demenz in Deutschland fehlen bislang.
Ziel der Arbeit: Berechnung der aktuellen und zukünftigen Kosten der MmD sowie Zusatzkosten der Demenz aus der Perspektive der Kostenträger und der Gesellschaft.
Material und Methoden: Studien zur Inanspruchnahme von Gesundheits- und Unterstützungsleistungen von MmD wurden in einer systematischen Literaturrecherche identifiziert. Die Daten zur Inanspruchnahme von Leistungen wurden unter Gewichtung der Stichprobengröße der einzelnen Studien aggregiert und drauf aufbauend die aktuelle und zukünftigen Kosten über standardisierte Bewertungssätze sowie vorausberechneter Prävalenzen der Demenz ermittelt.
Ergebnisse: Zu Hause lebende MmD wiesen im Vergleich zu im Heim lebenden MmD geringere Kosten für die Kostenträger, aufgrund der informellen Pflege jedoch höhere gesamtgesellschaftliche Kosten auf. In 2016 ergaben sich aus der Perspektive der Gesellschaft (Kostenträger) Gesamtkosten für MmD in Höhe von 73 Mrd. € (34 Mrd. €), welche bis 2060 auf 195 Mrd. € (90 Mrd. €) ansteigen könnten. 54 Mrd. € (18 Mrd. €) in 2016 bzw. 145 Mrd. € (49 Mrd. €) in 2060 können alleine der Demenz zugschrieben werden. Diese Zusatzkosten hätten in 2060 daher einen Anteil von 36% (15%) an den Ausgaben der über 65-jährigen Bevölkerung.
Diskussion: MmD stellen eine erheblich gesamtgesellschaftliche Herausforderung dar. Präventive und kurative Behandlungen, die Unterstützung pflegender Angehörige sowie Interventionen zum Erhalt der körperlichen Fähigkeiten sind unabdingbar, um dem prognostizierten Kostenanstieg entgegen zu wirken.
HINTERGRUND: Gegenwärtig leben in Deutschland etwa 1,7 Mio. Menschen mit Demenz (MmD) [1]. Die Pflege dieser Menschen wird nach aktuellen Schätzungen zu etwa 70% von Angehörigen im häuslichen Umfeld der MmD erbracht [2]. Der im Verlauf der Erkrankung steigende Pflegebedarf der MmD kann von den pflegenden Angehörigen als Belastung wahrgenommen werden, was sich negativ auf deren Lebensqualität und gesundheitlichen Zustand auswirkt [3].
FRAGESTELLUNG: Ziel dieser Untersuchung ist es, Einflussfaktoren auf die Pflegebelastung zu analysieren.
METHODE: Der Bayerische Demenz Survey (BayDem) ist eine multizentrische Längsschnittstudie, die an drei Standorten (Dachau, Erlangen, Kronach) in Bayern durchgeführt wurde. Projektteilnehmer waren MmD (nach ICD-10), sowie deren pflegende Angehörige. Die Verlaufsdaten wurden in standardisierten persönlichen Interviews in enger Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren vor Ort erhoben. Das subjektive Belastungsempfinden der Angehörigen wurde mit dem Instrument „Häusliche Pflege-Skala“ nach Gräßel (HPS kurz) [4] erfasst. Für die statistischen Analysen wurde ein multivariates Regressionsmodell gerechnet.
ERGEBNISSE: Im Rahmen von BayDem wurden 339 pflegende Angehörige von MmD zum Zeitpunkt der ersten Befragung (t0) in Bezug auf ihre subjektive Pflegebelastung untersucht. Als Ergebnis der Analyse konnten sechs zentrale Einflussfaktoren auf die Pflegebelastung identifiziert werden. Bei den Faktoren handelt es sich um das Geschlecht der MmD (p = 0,033), psychologische und Verhaltenssymptome (BPSD) (p < 0,001) sowie eine Verschlechterung der Funktionsfähigkeit im Alltag (ADL/IADL) (p = 0,016) der MmD, das Geschlecht der pflegenden Angehörigen (p < 0,001) sowie ihre Stellung zum MmD (p = 0,043) und das Zusammenleben mit dem MmD (p = 0,002).
DISKUSSION: Von den identifizierten Einflussfaktoren lassen sich die Verschlechterung der Funktionsfähigkeit im Alltag (ADL/IADL) und die Zunahme herausfordernder Verhaltensweisen der MmD gezielt beeinflussen. Die Ursachen für den belastenden Einfluss dieser Faktoren sind vielschichtig. Die Verschlechterung der Funktionsfähigkeit des MmD geht mit einem gestiegenen Pflegebedarf und –aufwand einher [5]. Psychologische und Verhaltenssymptome sind kaum vorhersehbar, schwer zu bewältigen und können bei den Angehörigen das Gefühl von Scham oder Erniedrigung hervorrufen [6]. Zudem kann das Zusammenleben mit dem MmD zu einem Verlust der Distanz führen, wodurch die Pflege als ein allgegenwärtiger Zustand wahrgenommen wird, der wenig Raum für physische und psychische Entlastung lässt [7].
PRAKTISCHE IMPLIKATIONEN: Entscheidungsträger in Politik und im Gesundheitswesen sind gefordert, entsprechend der spezifischen, beeinflussbaren Faktoren der Pflegebelastung substantielle und tragfähige Lösungen zu entwickeln, um Angehörige zu unterstützen. Ein Lösungsansatz zur Reduzierung der Pflegebelastung stellt die Kombination pharmakologischer und nicht-pharmakologischer Interventionen zur Behandlung der krankheitsspezifischen Faktoren sowie einem „Empowerment“ und der Bereitstellung von Unterstützungsangeboten für die Angehörigen dar.
Förderhinweis: Das Projekt BayDem wird durch das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege (StMGP) gefördert (Förderkennzeichen: G42b-G8092.9-2014/10-7).
[1] Bickel H (2018): Informationsblatt 1 – Die Häufigkeit von Demenzerkrankungen. Verfügbar unter: https://www.deutsche-alzheimer.de/fileadmin/alz/pdf/factsheets/infoblatt1_haeufigkeit_demenzerkrankungen_dalzg.pdf [Zugriff am: 13.02.2019].
[2] Conrad I, Alltag S, Matschinger H et al. (2018): Lebensqualität älterer pflegender Angehöriger von Demenzerkrankten. Der Nervenarzt, 89: 500-508.
[3] Karg N, Graessel E, Randzio O et al. (2018): Dementia as a predictor of care-related quality of life in informal caregivers: a cross-sectional study to investigate differences in health-related outcomes between dementia and non-dementia caregivers. BMC Geriatr, 18: 189
[4] Pendergrass A, Malnis C, Graf U et al. (2018): Screening for caregivers at risk: Extended validation of the short version of the Burden Scale for Family Caregivers (BSFC-s) with a valid classification system for caregivers caring for an older person at home. BMC Health Services Research, 18: 229.
[5] Haro JM, Kahle-Wrobleski K, Bruno G et al. (2014): Analysis of burden in caregivers of people with Alzheimer's disease using self-report and supervision hours. J Nutr Health Aging, 18: 677-684
[6] Cheng ST (2017): Dementia Caregiver Burden: a Research Update and Critical Analysis. Current psychiatry Reports, 19: 64.
[7] Adelman RD, Tmanova LL, Delgado D et al. (2014): Caregiver burden: a clinical review. Jama, 311: 1052-1060
HINTERGRUND: Die Versorgung und Betreuung von Menschen mit Demenz (MmD) ist aufgrund der steigenden Prävalenz der Demenzen eine der zentralen Herausforderungen für Gesellschaften weltweit. Die Versorgung wird häufig von Angehörigen geleistet, weshalb pflegende Angehörige einer Vielzahl an Belastungen ausgesetzt sind. Die Entlastung von pflegenden Angehörigen ist eng verknüpft mit einer guten Versorgung von MmD. Professionelle Unterstützungsangebote können einen positiven Beitrag zur Entlastung pflegender Angehöriger leisten.
FRAGESTELLUNG: Ziel der vorliegenden Analyse ist es, die Inanspruchnahme ambulanter Unterstützungsleistungen zu untersuchen. Insbesondere Prädiktoren für die Nutzung von ambulanter Pflege sollen identifiziert werden.
METHODE: Der Bayerische Demenz Survey (BayDem) ist eine multizentrische Längsschnittstudie, die in drei Regionen (Dachau, Erlangen, Kronach) in Bayern durchgeführt wurde. Projektteilnehmer/innen waren MmD (nach ICD-10), sowie deren pflegende Angehörige. Die Verlaufsdaten wurden in standardisierten, persönlichen Interviews in enger Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren vor Ort erhoben. Die Datenerhebung zur Inanspruchnahme ambulanter Unterstützungsleistungen erfolgte anhand des standardisierten und validierten Erhebungsinstrumentes „Resource Utilization in Dementia“ (RUD) [1]. Die Stratifizierung nach dem Schweregrad der kognitiven Einschränkung wurde mit dem Mini-Mental-Status-Test (MMST) [1] durchgeführt. Um Faktoren zu identifizieren, die eine Inanspruchnahme ambulanter Pflege beeinflussen, wurde eine binär-logistische Regression durchgeführt.
ERGEBNISSE: In BayDem wurden zu Studienbeginn 364 MmD und 339 pflegende Angehörige eingeschlossen. Die Inanspruchnahme ambulanter Unterstützungsleistungen war insgesamt gering. Unterstützung in Form von ambulanter Pflege wurde von etwa einem Drittel aller Befragten genutzt, womit es die am häufigsten erhaltene Unterstützungsleistung war. Es konnten signifikante Unterschiede in der Inanspruchnahme von ambulanter Pflege bezüglich des Schweregrads der kognitiven Einschränkung nachgewiesen werden. Demnach erhöhte sich die Inanspruchnahme prozentual mit steigendem Schweregrad der Demenz zu allen Erhebungszeitpunkten. Der Einfluss der kognitiven Einschränkung erwies sich zudem in der binär-logistischen Regression (n=162, Nagelkerkes R² = 0,242, p < 0,001) als signifikanter Prädiktor für die Inanspruchnahme ambulanter Pflege sechs Monate nach Studienbeginn (OR=0,911, p=0,002). Die Chance ambulante Pflege zu beziehen war signifikant geringer, wenn MmD und deren pflegende Angehörige in einem gemeinsamen Haushalt lebten (OR=0,420, p=0,033).
DISKUSSION: Die Analyse hat gezeigt, dass die Inanspruchnahme ambulanter Unterstützungsleistungen grundsätzlich eher gering ist. Damit stehen die präsentierten Ergebnisse im Einklang mit der Literatur. Ein signifikanter Zusammenhang wurde zwischen der Inanspruchnahme ambulanter Pflege und dem Schweregrad der demenziellen Erkrankung festgestellt. Einhergehend mit einer Verschlechterung der kognitiven Funktionen der MmD steigt die Inanspruchnahme von ambulanter Pflege, was auf den progredienten Verlauf der Erkrankung und dem dadurch steigenden Unterstützungsbedarf bei Alltagsaktivitäten zurückzuführen ist. Zudem wird ambulante Pflege signifikant seltener in Anspruch genommen, wenn MmD mit ihren pflegenden Angehörigen in einem Haushalt leben. Bei den pflegenden Angehörigen handelt es sich häufig um die Partner/innen oder Kinder der MmD, welche durch die Pflege einer Vielzahl an Belastungen ausgesetzt sind. Aus diesem Grund sind pflegende Angehörige eine vulnerable Gruppe, die rechtzeitig über adäquate Entlastungsangebote informiert werden müssen.
PRAKTISCHE IMPLIKATIONEN: Ambulante Unterstützungsangebote können einen wichtigen Beitrag zur Entlastung pflegender Angehöriger leisten. Um die Inanspruchnahme entlastender Unterstützungsangebote zu erhöhen, sollten die Zugangswege zu entsprechenden Angeboten für die Betroffenen niedrigschwellig gehalten werden. Folglich bieten „zugehende“ Angebote die Möglichkeit Hemmschwellen abzubauen und den Zugang zu Unterstützungsleistungen zu erleichtern.
Förderhinweis: Das Projekt BayDem wurde durch das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege (StMGP) gefördert (Förderkennzeichen: G42b-G8092.9-2014/10-7).
1 Wimo A., Gustavsson A., Jonsson L., Winblad B., Hsu M. A., Gannon B. (2013): Application of Resource Utilization in Dementia (RUD) instrument in a global setting. Alzheimers Dement 9(4): 429-435.
2 Folstein MF, Folstein SE, McHugh PR. (1975): Mini-mental state. A practical method for grading the cognitive state of patients for the clinician. Journal of psychiatric research 12: 189-198.
Hintergrund:
Bislang gibt es in der Versorgungsforschung kaum explizites theoretisches Wissen, wie Kontextfaktoren den Wirkmechanismus von Interventionen und somit die Outcomes beeinflussen. Dies ist jedoch erforderlich, um die Ergebnisse von Interventionsstudien besser zu verstehen und in der Praxis anwenden zu können (vgl. Memorandum der organisationsbezogenen Versorgungsforschung). In der Versorgung von Menschen mit Demenz in der stationären Altenpflege sind wichtige Kontextfaktoren mit der Versorgungsform assoziiert: diese erfolgt entweder in sogenannten Demenzwohnbereichen, die schätzungsweise 30%-50% aller Pflegeeinrichtungen in Deutschland implementiert haben, oder in traditionellen Wohnbereichen, denen in der Regel kein spezielles Konzept der Demenzbetreuung zugrunde liegt.
Wichtige Versorgungsoutcomes von Menschen mit Demenz, die in Pflegeeinrichtungen leben, sind die Erhaltung von funktionalen Fähigkeiten sowie damit assoziierte Outcomes, wie das Verhalten oder die Lebensqualität. Interventionen, die diese Outcomes positiv beeinflussen sollen, werden größtenteils in den gemeinschaftlich genutzten Räumen der Wohnbereiche im Rahmen von Gruppenaktivitäten angeboten (z.B. Singen, Basteln, Bewegung) oder erfolgen im Rahmen der Alltagsgestaltung (z.B. hauswirtschaftliche Tätigkeiten). Den Interventionen zugrunde liegt die theoretische Annahme, dass eine Teilnahme an Aktivitäten zu einer Erhaltung, bzw. Verbesserung der funktionalen Leistung führt und damit zu einer Steigerung der assoziierten Outcomes (Rehabilitations-, bzw. Therapiemodell nach Buckwalter, 1990)
Der eingereichte Beitrag fokussiert auf die Bedeutung von Kontextfaktoren bei der Umsetzung von Interventionen zur Steigerung der Aktivität und assoziierten Outcomes von Menschen mit Demenz in Demenzwohnbereichen von Pflegeeinrichtungen.
Fragestellung: Wie beeinflussen Kontextfaktoren von Demenzwohnbereichen Wirkmechanismen von Interventionen zur Steigerung der Aktivität von Menschen mit Demenz?
Methode: Qualitative Studie auf der Grundlage von leitfadengestützten Experteninterviews mit 16 Stakeholdern der stationären Altenpflege. Die Teilnehmenden verfügten über Expertise in der Betreuung von Menschen mit Demenz in Einrichtungen mit und ohne Demenzwohnbereichen. Die Daten wurden zunächst inhaltsanalytisch ausgewertet (Mayring, 2010). Zusammenhänge zwischen den Kategorien wurden nach den Prinzipien der Realist Methodology (Pawson &Tilley, 1997) in Beziehung gesetzt und Kontext-Mechanismus-Outcome-Konfigurationen entwickelt. Diese sollen als Grundlage für die Entwicklung einer initialen Programmtheorie dienen und als Hypothesen in weiterführenden Studien untersucht werden.
Ergebnisse: Die Expert*innen beschreiben, dass Aktivitäten gemäß der Vorlieben und Fähigkeiten der Bewohner*innen im Rahmen der ihnen zur Verfügung stehen Rahmenbedingungen geplant und angeboten werden. Entscheidende Rahmenbedingungen sind bauliche Gegebenheiten und die Personalausstattung. Diese sind in einigen Demenzwohnbereichen besser als in anderen Wohnbereichen. An welche Empfänger*innen sich ein Angebot richtet, ist nicht nur von den individuellen Vorlieben der Teilnehmenden abhängig, sondern auch davon, wie gut sie in einer Gruppe harmonieren. Wenn sich die Fähigkeiten und Bedürfnisse der Bewohner zu stark unterscheiden, kann dies laut Einschätzung der Interviewteilnehmenden zu Spannungen und Konflikten führen, weil die Bewohner gegenseitig keine Rücksicht auf beeinträchtigte Fähigkeiten anderer nehmen können oder wollen und das Verhalten der anderen nicht verstehen. Wenn Menschen mit Demenz für die Erkrankung typische Verhaltensweisen zeigen, wird dies nach Einschätzung der Interviewteilnehmenden von Bewohnern ohne kognitive Beeinträchtigungen nicht toleriert, die beeinträchtigten Bewohner werden gemobbt. Die Segregation in einem Demenzwohnbereich ermöglicht es, Interventionen zielgerichteter für eine Gruppe zu gestalten, die homogener in Bezug auf ihre Fähigkeiten ist. Die Segregation scheint zudem das soziale Miteinander der Bewohner positiv zu beeinflussen.
Diskussion: Auf der Grundlage der vorliegenden Ergebnisse formulieren wir die Hypothese, dass die Segregation als Kontextfaktor einen Einfluss auf die Wirkmechanismen von Interventionen zur Steigerung von Aktivität und Lebensqualität hat. Die Umsetzung segregativer Versorgungsansätze wirkt sich möglicherweise positiv im Hinblick auf Parameter der Implementierung aus (z.B. Teilnahme- und Abbruchraten) sowie auf die Outcomes Funktionalität, Lebensqualität und Verhalten.
Praktische Implikationen: Um den Einfluss der Kontextfaktoren eines Demenzwohnbereichs sowohl im Rahmen von Interventionsstudien wie auch in der Versorgung abschätzen zu können, muss die aufgestellte Hypothese verifiziert werden. Hierzu erforderlich sind Studien, in denen nicht die Intervention oder der Kontextfaktor Demenzwohnbereich isoliert betrachtet wird, sondern deren Zusammenwirken.
Die Erfindung und Erforschung neuer Behandlungsansätze und die Versorgung von Patient*innen müssen Hand in Hand gehen. Forschung kann kein Selbstzweck sein und muss sich immer daran messen lassen, eine Verbesserung in der Behandlung von Patient*innen belegen zu können. Versorgung, insbesondere in der Onkologie, ist komplex und hat eine Vielzahl von Aspekten bei der Implementierung von Innovationen zu berücksichtigen.
Die Sitzung wird sich mit dem Thema des Übergangs (Translation) von Forschungsergebnissen in die Versorgung auseinandersetzen. Wie Daten zu diesem Prozess erhoben werden können und zu Erkenntnissen über den Translationsprozess und die Behandlung führen, steht im Fokus.
Internetbasierte Interventionen können in verschiedenen Phasen einer Erkrankung dazu beitragen, das Selbstmanagement von Patient*innen zu unterstützen, Symptome zu lindern und Belastungen zu reduzieren und stellen als niedrigschwellige, orts- und zeitungebundene Behandlungsalternative eine wertvolle Ergänzung zur Regelversorgung dar. Das Einsatzspektrum reicht von universeller und gezielter Prävention, zur Überbrückung von Wartezeiten, als Ergänzung herkömmlicher Methoden bis hin zu Rückfallprophylaxe nach Abschluss einer Behandlung. Die Vorträge der Session „Internetbasierte Selbstmanagementprogramme“ widmen sich den Themen: Nutzerakzeptanz und –zufriedenheit internetbasierter Interventionen, potentielle Barrieren der Nutzung, Nutzungsverhalten bzw. Determinanten, die mit der Nutzung in Zusammenhang stehen sowie der Wirksamkeit internetbasierter Programme.
Hintergrund: E-Mental-Health-Ansätze stellen eine neue Behandlungskomponente im Bereich der Versorgung psychischer Erkrankungen dar. Während eine Vielzahl von Studien bereits die Wirksamkeit von internetbasierten Interventionen, insbesondere für Depressionen belegt, gibt es bisher nur sehr wenige Informationen über das Nutzungsverhalten und die Wirksamkeit solcher Programme in der Patientengruppe über 60 Jahren.
Fragestellung: Wie sind das Nutzungsverhalten (Nutzungsaufnahme sowie Adhärenz) und die Wirksamkeit eines internetbasierten Selbstmanagementprogramms zur Linderung von depressiven Symptomen bei älteren Menschen (60+) im Vergleich zu jüngeren Menschen zu bewerten?
Methode: Präsentiert werden Sekundäranalysen einer cluster-randomisierten kontrollierten Studie mit N=647 Patienten mit leichter bis mittelgradiger Depression, die in 112 Hausarztpraxen rekrutiert wurden. Für die Studie wurden die rekrutierenden Hausarztpraxen in zwei Untersuchungsarme randomisiert (Interventionsgruppe (IG): Intervention + hausärztliche Standardbehandlung (TAU), Kontrollgruppe (KG): TAU). Erhebungen fanden zu drei Messzeitpunkten statt (Baseline, nach 6 Wochen, nach 6 Monaten). Für die vorliegenden Sekundäranalysen zur Wirksamkeit wurde die Schwere der Depressivität (Beck-Depressions-Inventar; BDI-II) ausgewertet. Es wurde eine Intention-to-treat-Analyse (ITT) durchgeführt. Die Wirksamkeit wurde mit Hierarchischen Linearen Modellen geprüft. Die Analysen wurden nach Alter in drei Gruppen stratifiziert: 18-39 Jahre, 40-59 Jahre und 60+ Jahre. Für die Analyse des Nutzungsverhaltens (Nutzungsaufnahme, Adhärenz) im 6-monatigen Beobachtungszeitraum konnten pseudonymisierte Login-Daten ausgewertet werden.
Ergebnisse: Von den N=647 Studienteilnehmern waren N=264 (41%) zwischen 18 und 39 Jahren, N=300 (46%) zwischen 40 und 59 Jahren und N=83 (13%) 60 Jahre alt oder älter. Die Altersspanne lag insgesamt bei 18 bis 82 Jahren, das mittlere Alter betrug 44 Jahren (SD ± 14). Die Altersverteilung in der IG (N=320) war wie folgt: N=166 (63%) waren in der jüngeren Altersgruppe, N=133 (44%) in der mittleren Altersgruppe und N=21 (25%) in der älteren Altersgruppe. Nach Adjustierung für den BDI-II-Baseline-Score und relevante soziodemographische und klinische Kovariate zeigte sich, dass IG Teilnehmer in allen drei Altersgruppen und zu beiden Beobachtungszeitpunkten eine signifikant größere Reduktion des BDI-II-Wertes im Vergleich zur Baseline aufweisen als KG Teilnehmer. Die geschätzten mittleren Gruppendifferenzen zugunsten der Intervention rangieren zwischen -2,31 Punkten (95% KI: -4,28 bis -0,35) in der mittleren Altersgruppe nach 6 Wochen und -7,34 Punkten (95% KI: -12,12 bis -2,53) in der älteren Altersgruppe nach 6 Monaten. Der Behandlungseffekt über die Zeit unterschied sich nicht signifikant zwischen den drei Altersgruppen (F = 1.01, p = 0.366). Die Analyse der Log-in Daten der IG Teilnehmer zeigte, dass die Nutzungsaufnahme der Intervention mit 70% in allen drei Altersgruppen ähnlich verteilt ist (χ² = 0.18, p = .915). Pseudonymisierte Nutzerdaten zur Adhärenz zeigten weiterhin, dass die Anzahl abgeschlossener Programmmodule in der älteren Altersgruppe signifikant höher liegt (χ² = 18.99, p = .040).
Diskussion: Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Hausarztpatienten mit leichten bis mittelgradigen Depressionen über alle Altersgruppen hinweg gleichermaßen und stärker als Kontrollpatienten vom Einsatz internetbasierter Selbstmanagementprogramme als komplementäre Behandlungsbausteine profitieren. Während sich die Nutzungsaufnahme nicht zwischen den Altersgruppen unterscheidet, scheinen ältere Nutzer das Programm länger und intensiver zu nutzen
Praktische Implikation: Internetbasierte Selbstmanagementprogramme für Depressionen stellen auch für ältere Menschen eine geeignete Behandlungsoption dar. Sowohl Betroffene als auch Behandler sollten im stärkeren Maße für die Möglichkeit eines Einsatzes von internetbasierten Interventionen in der Altersgruppe 60+ sensibilisiert werden.
Hintergrund: Patienten warten in Deutschland durchschnittlich fünf Monate auf den Beginn einer ambulanten Psychotherapie. 85% der vorstelligen Patienten berichten depressive Symptome. Web-basierte Interventionen haben sich für die Reduktion depressiver Symptome als wirksam erwiesen und könnten zur Überbrückung von Wartezeiten eingesetzt werden. Bisherige Forschung deutet jedoch auf eine geringe Inanspruchnahme und heterogene Adhärenzraten bei webbasierten Depressionsinterventionen hin.
Fragestellung: Diese Studie untersucht die Akzeptanz einer begleiteten webbasierten Depressionsintervention (WBDI) unter Patienten mit depressiver Symptomatik in der Wartezeit auf ambulante Psychotherapie. Die WBDI umfasst sechs Module und basiert neben Psychoedukation auf Strategien der Verhaltensaktivierung sowie systematischem Problemlösen.
Methode: Patienten, die auf die Wartelisten von sieben kooperierenden Hochschulambulanzen aufgenommen werden, werden über die Möglichkeit zur Studienteilnahme informiert und gebeten einen Screeningbogen (T0) an das Projektteam zurückzusenden. Der Fragebogen erfasst neben dem Interesse an der WBDI und ggf. den Gründen für Nicht-Interesse auch Geschlecht, Alter, Depressivität, subjektive Computerkompetenz sowie Erfolgserwartung bezüglich einer WBDI. Patienten oberhalb des Depressions-Cutoffs (ADS-L > 22) werden zur Baseline-Erhebung (T1) eingeladen und nach Prüfung der Einschlusskriterien für eine anschließende randomisiert-kontrollierte Untersuchung der Interventions- oder Wartekontrollgruppe zugewiesen. Die Interventionsgruppe erhält Zugang zur begleiteten WBDI; die Adhärenz wird mittels der Anzahl abgeschlossener Module erfasst. Die Wartekontrollgruppe erhält zunächst keine Intervention und wird daher nicht in die Adhärenzanalysen eingeschlossen. Nach sieben Wochen (T2) werden Zufriedenheitsmaße in der Interventionsgruppe per Online-Fragebogen erhoben.
Ergebnisse: Nach ersten Analysen bekunden 29% (340/1143) der Wartelisten-Patienten Interesse an der WBDI. Interessierte Patienten sind im Mittel 36 Jahre alt (SD=13.27) und jünger als Nichtinteressierte (T(360)=-3.28; p < .001). Sie berichten für die WBDI eine höhere Erfolgserwartung (T(339)=14.26; p < .001) und eine höhere subjektive Computerkompetenz (T(67)=6.23; p < .001) als Nichtinteressierte. Meistgenannter Grund für Nichtinteresse an der WBDI ist eine mangelnde Erfolgserwartung. Interessierte, die in das anschließende RCT eingeschlossen wurden (vorläufiges N=104) sind im Mittel 36 Jahre alt (SD=12.11), zu 77% weiblich und zu 63% psychotherapieerfahren. Sie haben insgesamt positive Einstellungen sowohl zu Einzelpsychotherapie als auch zu psychologischen webbasierten Interventionen (Psychotherapie: M=2.40; SD=0.38; webbasierte Intervention: M=2.28; SD=0.36; Skala: 0-3). Unter Interventionsgruppenteilnehmenden beenden 54% alle 6 Module der WBDI; im Mittel werden 4 Module bearbeitet (SD=2.25). Weibliches Geschlecht ist ein Prädiktor für Adhärenz (β=.41; p < .01). T2-Completer (n=31) geben eine hohe Zufriedenheit mit der WBDI an (M=3.06; SD=0.54; Skala: 1-4). Adhärenz und Zufriedenheit korrelieren mit r=.52 (p < .01).
Diskussion: Eine WBDI stellt für eine Subgruppe von Wartelisten-Patienten eine attraktive Maßnahme zur Überbrückung der Wartezeit dar. Rund ein Drittel der Wartelisten-Patienten bekundet Interesse an einer WBDI. Die restlichen zwei Drittel der Wartelisten-Patienten zeigen kein aktives Interesse an der Intervention. Neben der mangelnden Erfolgserwartung ist anzunehmen, dass ein Teil der Patienten sich aufgrund des Interventionsfokus auf depressive Symptome nicht angesprochen fühlt. Das Angebot verschiedener webbasierter Interventionen, die neben depressiven auch auf andere Symptome abzielen (z.B. Angst, Schmerzen), könnte zu einer höheren Inanspruchnahme beitragen. Die Akzeptanz ist insbesondere bei jüngeren Patienten hoch, die sich als kompetent im Umgang mit Computern erleben. Dass Teilnehmende sowohl webbasierten Interventionen als auch Psychotherapie gegenüber positiv eingestellt sind, spricht für die Akzeptanz niedrigintensiver Interventionen.
Praktische Implikationen: Akzeptanzsteigernde Maßnahmen sollten über die Wirksamkeit von webbasierten Interventionen informieren um Patienten zu erreichen, die aufgrund mangelnder Erfolgserwartung bislang nicht an einer WBDI interessiert sind. Um mehr Wartelisten-Patienten für eine niedrigintensive Intervention zu gewinnen, könnten Angebote auf verschiedene Interventionsformate, wie Biblio- oder Gruppentherapeutische Interventionen, ausgeweitet werden. Dabei sollten Interventionen entsprechend der Wünsche und Bedürfnisse der Nutzenden adaptiert werden, um Zufriedenheit und Adhärenz zu steigern. Der strukturierte und systematische Einsatz niedrigintensiver Interventionen vor Psychotherapie, bspw. im Sinne von Stepped-Care Behandlungsmodellen mit verschiedenen Wahloptionen könnte perspektivisch zu einer verbesserten Patientenversorgung und Ressourcenallokation beitragen.
Hintergrund: Mit zunehmendem Alter werden auch Verlusterlebnisse durch den Tod einer nahen Bezugsperson häufiger. Eine anhaltende Trauersymptomatik geht nicht nur mit einem Verlust an Lebensqualität, sozialem Rückzug sowie Schwierigkeiten bei der Bewältigung des Alltags einher, sondern stellt auch einen Risikofaktor für die Entwicklung von psychischen Erkrankungen dar. Internetbasierte Selbstmanagementprogramme stellen bereits für zahlreiche psychische Indikationen eine neue und wirksame Behandlungskomponente dar [1]. Ein internetbasiertes Selbsthilfeprogramm für die Bewältigung einer anhaltenden Trauersymptomatik, das sich direkt an die Zielgruppe älterer Menschen ab dem 60. Lebensjahr wendet, gibt es bisher noch nicht. Im Rahmen des Projektes wurde eine solche Intervention entwickelt, basierend auf Theorien und Techniken der kognitiven Verhaltenstherapie.
Fragestellung: Ziel der Untersuchung ist die Erfassung der Nutzungsakzeptanz, potentieller Zugangswege sowie Barrieren einer Nutzung aus Betroffenen- und Expertenperspektive.
Methode: Vorgestellt werden die qualitativen Ergebnisse aus zwei Fokusgruppen: Fokusgruppe A bestehend aus N=12 älteren Personen (60+) mit Verlusterlebnissen und Fokusgruppe B mit N=8 Experten aus dem medizinischen Versorgungssystem. Die Durchführung der Fokusgruppen erfolgte leitfadengestützt. Die Entwicklung des qualitativen Leitfadens erfolgte in Anlehnung an das Modell der Unified Theory of Acceptance and Use of Technology (UTAUT) [2]. Die Daten wurden mittels Audioaufzeichnung festgehalten. Die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring [3] erfolgte mittels MAXQDA.
Ergebnisse: Die Teilnehmer der Fokusgruppe A waren im Mittel 64,5 Jahre alt. Es nahmen zu gleichen Anteilen Männern und Frauen daran teil. Betroffene der Altersgruppe 60+ gaben mehrheitlich an, das Internet regelmäßig zu nutzen. Neben der Familie, sowie Selbsthilfegruppen/Trauercafés wurde auch die Nutzung eines Internetprogramms als Hilfsmittel zur Trauerbewältigung als denkbar erachtet. Ein Programm sollte neben Psychoedukation zum Thema Trauerbewältigung, Anregungen und Motivation zum Aktivitätenaufbau, selbstwertstärkende Elemente sowie Anregungen zum Umgang mit anderen Gefühlen im Zusammenhang mit der Trauer (z.B. Schuld) enthalten. Gewünscht wurden zudem Tipps für Angehörige zum Umgang mit Trauernden, sowie die Thematisierung von Glaube/Spiritualität im Rahmen der Trauerbewältigung. Die Bedienbarkeit eines solchen Programms wurde von der Mehrheit der Teilnehmer bejaht. Eine flexible Nutzung des Programms bezogen auf Bearbeitungszeit und Themenauswahl wurde gewünscht. Als Zugangswege wurde die Empfehlung über Haus- und Fachärzte, Trauercafés, aber auch Bestatter mittels Informationsflyer als günstig erachtet. Auch regionale Medien (z.B. Tageszeitungen) wurden genannt. Als potentielle Barrieren einer Nutzung wurden individuelle Faktoren thematisiert, z.B. die Präferenz einer persönlichen Beziehung. Die Teilnehmer der Fokusgruppe B waren im Mittel 40,1 Jahre alt, 87,5 % waren weiblich. Alle Gesundheitsexperten gaben an, ein Programm für Betroffene mit anhaltender Trauersymptomatik speziell für die Zielgruppe älterer Menschen (60+) zu befürworten. Als Zugangswege wurden alle Fachgruppen genannt, mit dem Fokus auf der Arbeit mit älteren Menschen (z.B. Ärzte, Ergotherapeuten, Pflegeeinrichtungen). Als mögliche Barriere wurde eine fehlende Anleitung genannt.
Diskussion: Ein zentraler Aspekt und Voraussetzung für den Einsatz und die Wirksamkeit einer E-Health-Intervention für Trauernde ist die Nutzerakzeptanz. Betroffenen- und Expertenurteile zeigen eine hohe Nutzungsakzeptanz sowie altersgruppenspezifische Themen der Trauerbewältigung.
Praktische Implikation: Die Implementation solcher Programme sollte die genannten Vermittlungswege berücksichtigen, um Betroffene und Experten über die Intervention zu informieren.
Literatur:
1. Stein J, Röhr S, Luck T, Löbner M, Riedel-Heller SG (2018) Indikationen und Evidenz von international entwickelten Online-Coaches zur Intervention bei psychischen Erkrankungen – ein Meta-Review. Psychiatrische Praxis 45 (1): 7–15.
2. Venkatesh, Morris, Davis (2003) User Acceptance of Information Technology. Toward a Unified View. MIS Quarterly 27 (3): 425.
3. Mayring P (2015) Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. Weinheim: Beltz. 152 p.
Hintergrund: Gesundheits-Apps können dazu beitragen, gesundheitsbezogene Verhalten zu ändern und spielen auch in der Versorgung chronischer Erkrankungen, etwa bei Menschen mit kardiovaskulären Erkrankungen (CVD) und Diabetes mellitus (T2DM), eine immer größere Rolle. Es bedarf jedoch weiterer Forschung zu spezifischen Determinanten der Verwendung von Gesundheits-App bei Menschen mit CVD und T2DM.
Fragestellung: Das Ziel von Studie 1 war es, Determinanten zu identifizieren, die mit der Verwendung von Gesundheits-Apps bei Personen mit CVD und/oder T2DM in Zusammenhang stehen, während Studie 2 Determinanten der Verwendung von Gesundheits-App bei Erwachsenen mit T2DM, mit Fokus auf Versorgung, untersuchte.
Methode: Studie 1 war eine bevölkerungsbasierte, webbasierte Umfrage (N = 1500) bei Menschen ab 35 Jahren mit CVD oder T2DM oder beiden Erkrankungen. Es wurden dabei 3 Untergruppen untersucht: Personen mit CVD (n = 1325), Personen mit Diabetes (n = 681) und Personen mit CVD und Diabetes (n = 524). Soziodemografische Determinanten, Gesundheitsverhalten, CVD, T2DM, Health Literacy und eHealth Literacy, Merkmale der Verwendung von Gesundheits-Apps und Merkmale der Apps selbst wurden anhand von Fragebögen erfasst.
Die Studienpopulation in Studie 2 bildeten 1149 Erwachsene mit bekanntem T2DM aus einer bundesweiten Telefonumfrage des Robert Koch-Instituts. Unter Smartphone-Besitzern wurden soziodemografische, diabetesbezogene, psychologische und gesundheitliche Determinanten sowie die Inanspruchnahme der Gesundheitsversorgung untersucht. In beiden Studien wurden multivariable logistische Regressionsmodelle verwendet, diese wurden in Studie 2 gewichtet.
Ergebnisse: Insgesamt waren in Studie 1 die Muster der Faktoren, die mit der Anwendung von Gesundheits-App verbunden sind, bei Personen mit CVD oder Diabetes oder beiden vergleichbar. Bei Menschen mit beiden Erkrankungen berichtete etwa jeder vierte Teilnehmer, dass er Apps für gesundheitliche Zwecke verwendet, wobei körperliche Aktivität und Gewichtsabnahme die häufigsten Verhaltensweisen waren. Benutzer von Gesundheits-Apps waren jünger (OR = 0,93), häufiger Frauen (OR = 0,70), besser ausgebildet (OR = 3,59) und berichteten über mehr körperliche Aktivität (OR = 2,16) als Nichtnutzer. App-Nutzer verfügten weiterhin über eine höhere eHealth Literacy als Nichtnutzer (OR = 2,23). In Studie 2, die Menschen mit T2DM untersuchte, waren App-Nutzer jüngeren Alters OR = 1,78), weiblichem Geschlechts (OR = 1,78), nutzen eher ein Blutzuckermessgerät oder einen Glukosesensor (OR = 6,56) und waren optimistischer keine Diabetes-Komplikationen zu entwickeln (OR = 1,43).
Diskussion: Es gibt gesundheits- und literacybedingte Ungleichheiten bei der Nutzung von Gesundheits-Apps bei Menschen mit CVD und/oder T2DM. Gerade in Bezug auf das T2DM-Management scheinen nur wenige Determinanten relevant zu sein, um die Verwendung von Gesundheits-Apps bei Menschen mit T2DM zu erklären, was darauf hinweist, dass in Zukunft mehr Forschung erforderlich ist, die herausfindet, welche Menschen mit T2DM Gesundheits-Apps verwenden und warum.
Praktische Implikationen: Die vorgestellten Befunde können in Gesundheitsberufen Tätige, etwa Endokrinologen, Diätassistenten, Kardiologen oder Allgemeinmediziner, unterstützen, Menschen mit CVD und T2DM und deren Affinität zu Gesundheits-Apps besser zu charakterisieren. Darüber hinaus scheint eHealth Literacy eine Voraussetzung für die erfolgreiche Verwendung von Gesundheits-Apps zu sein, die bei Strategien zur Prävention und zum Krankheitsmanagement in Betracht gezogen werden sollte, um die Gesundheit von Menschen mit CVD und T2DM zu verbessern.
Hintergrund: In der Versorgung sind die sektorübergreifende Koordination von Behandlungsplänen und ein effizientes Management von Patienten (Pat.) mit Komorbiditäten von hoher Bedeutung. Dies betrifft auch Pat. mit rheumatoider Arthritis (RA). Eine Orchestrierung der an verschiedenen Stellen über einen Pat. verfügbaren Informationen ist essentiell, ermöglicht eine (Kosten-)effiziente Datennutzung, optimierte Managementprozesse und vermeidet redundante Diagnostik. Die im Rahmen des Horizon2020-geförderten PICASO-Projekts (www.picaso-project.eu) entwickelte Informations- und Kommunikations¬plattform (IKT) unterstützt das Management der Pat. und ihrer Daten entlang des Versorgungskontinuums bestehend aus Krankenhäusern, Ambulanzen, Praxen, nicht-ärztlichen Gesundheits¬dienstleistern bis hin zum häuslichen Pat.-Monitoring. Für Patienten werden Dienste zur Unterstützung und Weiterentwicklung des Selbstmanagements ihrer Erkrankung angeboten.
Fragestellung: Welches Technologiewissen liegt bei RA Patienten und Ärzten vor, die bereit sind, an einer Proof-of-Concept Studie mit einer modernen IKT Plattform teilzunehmen? Wie ist die Nutzerzufriedenheit und welche klinischen Implikationen bietet die Plattform?
Methodik: PICASO verfolgt einen nutzerzentrierten Designansatz, d.h. durch Workshops und Interviews mit Ärzten verschiedener Disziplinen, Pat. und weiteren Stakeholdern des Gesundheitswesens wie z.B. Datenschutzbeauftragten wurden Anforderungen an die Plattform ermittelt und die Entwicklung kontinuierlich durch sog. „Experten Walkthroughs“ zur Sicherstellung einer nutzergerechten Gestaltung begleitet. Ein umfangreiches Evaluationskonzept zur Bewertung der Bedienbarkeit der Anwendungen, Nutzerzufriedenheit und klinischer Relevanz der Plattform durch bspw. Nutzerbefragungen ist Bestandteil der 6-monatigen Proof-of-Concept Studie mit RA-Pat. und ihren behandelnden Ärzten (Rheumatologen und Hausärzte). Ethische Fragestellungen bearbeitet ein Begleitgremium, dem auch externe Mitglieder und Pat. angehören. Ein positives Ethikvotum der Ethikkommission der Medizinischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf liegt vor.
Ergebnisse: Zur Entwicklung der Plattform wurden 111 identifizierte Nutzeranforderungen herangezogen. Zudem wurde auf Konformität mit der europäischen Datenschutzgrundverordnung sowie nationalen Regelungen in Deutschland geachtet. Um den Datenaustausch mit anderen Softwaresystemen im Gesundheitswesen zu ermöglichen, basieren alle Entwicklungen auf dem neuen HL7 Standard ‚Fast Healthcare Interoperability Resources‘ (FHIR). Dieser bietet viele Vorteile wie ein semantisches Modell zur Beschreibung kleinster Einheiten im Gesundheitswesen (z.B. Medikationseinnahmezeitpunkte, diagnostische Verfahren), so dass Informationen hierüber miteinander verknüpft und sektorübergreifend bereitgestellt werden können. Daten verbleiben beim Dateneigner. Rollenspezifische Datenzugriffe sind möglich.
In der Proof-of-Concept Studie wurden 30 RA-Pat. (80% weiblich) rekrutiert, das mittlere Alter betrug 58,6±10,8 Jahre, die Krankheitsdauer 12,6±8,5 Jahre, der DAS28_CRP errechnete sich zu 2,6±0,9 und die Anzahl von Komorbiditäten lag im Mittel bei 3,0±1,6. Neben sehr IT-erfahrenen Pat. nehmen auch IT-Anfänger teil. Zu dem positiven Feedback bei Rekrutierung werden während des DNVF-Kongresses erste Ergebnisse der Nutzerevaluationen präsentiert werden. Diese zeigen bei regelhafter Nutzung eine gute Akzeptanz der Plattform durch die Pat.. Die Patienten bewerten die Plattform insgesamt mit 2,3±0,8 (n=16, Likert Skala 1-6) sowie die Einfachheit der Nutzung mit 2,5±1,2 (n=16, Likert Skala 1-6) positiv. Die Usability-Tests zeigten, dass für Patienten die Präsentation von zu erledigenden Aufgaben für das Management ihrer Erkrankung sowie von Ergebnissen aus eigenen Vitalparameter-Messungen und ‚Patient-reported Outcome‘-Instrumenten in Form eines ‚Dashboards‘ übersichtlich und gut verständlich ist. An der Evaluation beteiligen sich zudem 8 IT erfahrene Ärzte (37,5 % weiblich) mit einer Tätigkeitsdauer in ihrer Fachrichtung von im Median 19 Jahren. Ärzte bewerten die Plattform insgesamt bislang mit 2,6±1,2 (Likert Skala 1-6).
Diskussion: Die PICASO-Plattform bietet eine sektorübergreifende Orchestrierung von Pat.-Daten und damit moderne Möglichkeiten für sinnvolle moderne Managementprozesse (z.B. Treat-to-Target, Telemonitoring).
Praktische Implikationen: Die PICASO Plattform soll für RA-Pat. aber auch für eine Anwendbarkeit bei anderen chronischen Krankheiten verfügbar sein und hat das Potenzial, die Betreuung der multimorbiden Patienten grundlegend zu verändern.
Acknowledgement: This project received funding from the European Union’s Horizon 2020 research and innovation programme under grant agreement No 689209.
Neben dem korrekten Einsatz etablierter Forschungsmethoden, ist es für jeden Forschungszweig notwendig auch innovative Methoden zu entwickeln und auszuprobieren, sowie Studiendesigns zu optimieren. Dies gilt auch für die für quantitative und die qualitative Versorgungsforschung. Im Rahmen dieser Session wird neben der Optimierung eines Befragungsdesigns in insgesamt vier Vorträgen die Möglichkeiten des Einsatzes von Big-Data Analyseverfahren und von maschinellen Lernverfahren für die Versorgungsforschung dargestellt und diskutiert werden.
Hintergrund: Schriftliche Umfragen sind ein weit verbreitetes Forschungsinstrument, auch in der Allgemeinmedizin. Richtig eingesetzt liefern sie wertvolle Ergebnisse in der angewandten und grundlagenorientierten Forschung. Eine der Voraussetzungen ist eine hohe Rücklaufquote; diese ist jedoch bei hausärztlichen Befragungen erfahrungsgemäß gering.
Fragestellungen: Wie sieht die konkrete Umsetzung rücklauf-fördernder Merkmale aus? Welchen zeitlichen und finanziellen (Mehr-) Aufwand bedeutet das? Welche Rücklaufquote erzielt man damit?
Methoden: I. Durchführung einer Literaturrecherche zu rücklauf-erhöhenden Umfragetechniken. II. Erfahrungsaustausch im multiprofessionellen Team (Hausärzte/innen und Wissenschaftler/innen der Allgemeinmedizin). III. Berücksichtigung der Perspektiven der Hausärzte/innen aus den kognitiven Interviews (Verständnis der Fragen, welche Fragen sind interessant?). Extrahiert wurden folgende Merkmale: Layout und Design, Versandart, Kontaktaufnahme, Rekrutierungs- und Versendungszeitpunkte, Darstellung der Bedeutung des Themas, Personalisierung, Seriosität und Authentizität.
Ergebnisse: Unser pseudonymisierter 8-seitiger DIN A4-Fragebogen wurde an 1.000 bundesweit zufällig ausgewählte Hausärzte/innen postalisch versendet, inkl. zweier Reminder. Unter anderem wurden die Umschläge handschriftlich adressiert, Hin- und Rückumschläge klassisch frankiert, Anschreiben persönlich mit Namensnennung gestaltet, Foto/Name/Kontaktmöglichkeiten der Projektmitarbeiterin sowie ein unkonditionales ideelles Incentive auf dem Anschreiben platziert, die Itemreihenfolge nach kognitiven Interviews angelegt, eine Teilstichprobe von 184 Praxen vorab telefonisch über die Zusendung informiert. Der personelle Aufwand für diese Strategie war enorm [insb. 27,2 Stunden für die handschriftliche Adressierung der initialen 1.000 Umschläge vs. geschätzten 3 Stunden für eine Adressierung per Seriendruck sowie (für 184 vorab kontaktierte Praxen) ca. 10 Stunden reine Telefonzeit über 8 Werktage verteilt], der finanzielle um das 4-fache höher (insb. 5.510 Euro für die Frankierung aller Hin-/Rückumschläge vs. 1.372 Euro bei Nutzung von Dialogpost und Werbeantwortfunktion). Die Rücklaufquote vor dem 2. Reminder beträgt Stand 14. März 2019 62,2%.
Diskussion: Angesichts der bekanntermaßen geringen Rücklaufquoten in (deutschen) Hausarztumfragen scheint das von uns beschriebene survey design den Aufwand zugunsten eines hohen Rücklaufs zu rechtfertigen.
Praktische Implikationen: Personelle und finanzielle Ressourcen sollten ausreichend eingeplant werden, will man einen hohen Rücklauf bei schriftlichen Umfragen erreichen.
Hintergrund
Die Anwendung von Zwangsmaßnahmen (einschließlich Zwangseinweisungen und -behandlungen nach PsychKG) gilt in der Psychiatrie als äußerstes Mittel und soll soweit wie möglich vermieden werden. Ein Ansatz zur Verringerung der Häufigkeit von Zwangseinweisungen ist die Entwicklung und Anwendung von Präventivmaßnahmen durch die Identifizierung von Risikofaktoren. Im Vorfeld der Studie wurden deskriptive Analysen mit allen an der Studie teilnehmenden sektorversorgenden Kliniken des untersuchten Versorgungsgebiets durchgeführt sowie ein intuitiv verständlicher Maschinenlernen-Algorithmus (exhaustive CHAID; Chi-squared Automatic Interaction Detection) auf das Datenset (N=5.764) angewandt.
Fragestellung
Welche Risikofaktoren zur Einweisung und Behandlung gegen den Willen eines Patienten können durch die Anwendung von Maschinenlernen-Methoden identifiziert werden?
Wie lassen sich die Unterschiede zwischen den Raten und Quoten der Zwangsbehandlungen nach PsychKG der sektorversorgenden Kliniken erklären?
Methode
Diese Studie zieht als Follow-Up zu ersten bereits publizierten Ergebnissen Vergleiche zwischen den Kliniken im Erhebungsgebiet, wobei die Klassifizierungsrate der PsychKG vs. freiwilligen Einweisungen unter Einbezug weiterer Variablen und Methoden des Maschinenlernens maximiert wurde. Um die Fragestellungen zu beantworten wurden retrospektiv medizinische, soziodemographische und sozioökonomische Routinedaten der Patienten erhoben. Der Datensatz wurde mit zusätzlichen sozioökonomischen Variablen des Umfelds (wie Kaufkraft und Anzahl der Erwerbstätigen) auf PLZ-Ebene verknüpft.
Die Anwendung des Maschinenlernens umfasst vier Arbeitsschritte: (1) Feature (unabhängige Variable) Selektion, (2) Auswahl verschiedener Algorithmenklassen, (3) Hyperparameter Tuning und die (4) finale Auswahl des besten Algorithmus anhand der besten Prädiktion des Validierungssets. Der gesamte Prozess wurde in Python geskriptet u.a. mit dem Paket Scikit-Learn.
Ergebnisse
Die CHAID Analyse identifizierte die Hauptdiagnose als stärksten Prädiktor. Weitere durch CHAID identifizierte Faktoren sind eine fehlende ambulante Versorgung vor dem Klinikaufenthalt, eine Einweisung außerhalb regulärer Dienstzeiten sowie ein vorhandener Migrationshintergrund. Bei den unfreiwilligen Fällen war die Frage nach der einweisenden Instanz entscheidend für die Unterschiede zwischen den sektorversorgenden Kliniken.
Die Ergebnisse der Verknüpfung mit den Umfeldvariablen im Rahmen des Maschinenlernens steht noch aus. Die Auswertung des Maschinenlernens wird sich auf die Gewichtung der Prädiktoren innerhalb der am besten klassifizierenden Modelle beziehen. Diese werden innerhalb der Anwendung diskutiert sowie mit den Ergebnissen der CHAID Analyse verglichen.
Diskussion
Der Einsatz von Algorithmen des Maschinenlernens stellt einen vielversprechenden Ansatz dar, um große Datenmengen aus einer Vielzahl von (meist kategorial vorliegenden) Daten zu analysieren und in für die Praxis relevante Modelle zu überführen. Die vorliegende Studie identifiziert robuste Prädiktoren für Risikogruppen unfreiwilliger Behandlungen. Zusätzlich werden verschiedene Algorithmen des Maschinenlernens erläutert, mit dem Ziel, die prädiktive Kraft zu maximieren und die erklärte Varianz zu steigern. Dies lässt Rückschlüsse auf die Notwendigkeit des Einschlusses weiterer Variablen in zukünftigen Erhebungen zu. Es wurde ebenfalls eine Einschätzung des Einflusses sozioökonomischer Parameter des Umfelds eines Patienten vorgenommen. Zusätzlich werden im Beitrag Vorgehensweisen im Umgang mit gesundheitsbezogenen Datensets in Bezug auf Anwendungen aus dem Bereich Maschinenlernen/Big Data diskutiert (z.B. Evaluationsmetrik bei nicht balancierten Datensets).
Praktische Implikationen
Aus den Ergebnissen dieser Studie werden Implikationen im Bereich Methodologie und Interventionen abgeleitet. Spezifisch bietet die Erweiterung bestehender Datensets mit routinemäßig erhobenen Daten des Umfelds eine einfach umzusetzende Möglichkeit, die prädiktive Genauigkeit von bisherigen statistischen Modellen zu erhöhen. Dies könnte eine Vielzahl von Analysen in der Versorgungsforschung verbessern. Letztlich können weitere Ansätze zur Intervention und Prävention von Zwangseinweisungen und -behandlungen anhand der identifizierten Prädiktoren abgeleitet und entwickelt werden.
Background: In Germany, acute stroke is the most frequent cause of permanent invalidity in adulthood. Apart from individual consequences, this also results in considerable health economic burdens. Some vascular risk factors of strokes are known from epidemiological research and can in principle be influenced by preventive measures. But their influence on the disease is unexplored in the synopsis among themselves or in connection with other diseases, or e.g. the prescription of medics.
Methods: We utilized pseudonymized longitudinal data of a large statutory health insurance. Approximately 2.1 million persons, living in the German federal state of Saxony from the years 2008 to 2014, were included. Various methods of machine learning were used to examine correlations between stroke first occurrence or recurrence and drug therapies as well as existing patient comorbidities.
Results: A total of 4,759 patients with hemorrhagic stroke (I61, I62), 29,382 patients with ischemic stroke (I63, I64), and 13,253 patients with TIA (G45) were identified. Of these, 716 patients had a recurrence following hemorrhagic insult (15.1%), 3,686 patients had a recurrence after ischemic insult (12.6%), and 1,095 patients a recurrence after TIA (8.3%). In hemorrhagic stroke recurrence men are affected somewhat more frequently (17% vs. 13%). However, the recurrence frequency of both sexes decreases strongly with age (45-49 - 25% to 85+ - below 6%). In ischemic stroke and TIA recurrences both sexes were affected equally, but recurrence frequency remains almost identical across all age groups studied. Only in the highest age group 85+ has the frequency of recurrence of ischemic stroke decreased, which in turn may be due to underdiagnosis of mild cases in very old people. Known risk factors for incident stroke and recurrence could be replicated in the data set with ML methods. The presence of hypertension had the strongest influence on the risk of recurrence in all ML models. In seven drugs we saw an influence on ischemic stroke recurrence. Four of them acting as preventive factors in the presence of hypertension, but only marginally reducing the risk of recurrence.
Discussion: The project provides new insights into the epidemiology of stroke and recurrence in Saxony. Regional differences putatively point to deficiencies in the health care system. Data mining works. However, further data sources on behaviour, on clinical factors, and on family anamnesis and biomarkers are obviously necessary to elucidate a larger part of the variance, especially in first occurrences. The method appears very promising and offers an innovative approach to transfer the concept of Precision Medicine to prevention.
Einleitung: Für die Organisation der psychiatrischen Krankenhausbehandlung ist es hilfreich, Muster in Bedürfnissen von Patienten zu identifizieren und dadurch die Komplexität der Fallmanifestation zu reduzieren. Das Ziel der hier vorgestellten Arbeit war, ein Werkzeug für die Organisation einer patientenbedarfsgerechten Krankenhausversorgung zu entwickeln, welches durch regelhaft bei der stationären Aufnahme vorhandenen Daten in der Lage ist, organisationsrelevante Aspekte der Versorgung mit einer für die Nutzbarkeit in der klinischen Praxis ausreichenden Güte zu prädizieren.
Methoden: Die Untersuchung schloss alle konsekutiv zwischen dem 1. Januar 2017 und dem 31. Dezember 2017 entlassenen, stationären Behandlungsfälle aus neun psychiatrisch- psychotherapeutischen Krankenhäusern in Hessen ein. Die Vorhersagemodelle wurden anhand eines modifizierten Verfahrens des stochastischen Gradienten-Boostings errechnet. Als prädizierende Merkmale wurden das Alter bei Aufnahme, die Haupt- und Nebendiagnosen, die Anzahl der Nebendiagnosen, das Geschlecht und der Zustand bei Aufnahme bewertet anhand des Global Assessment of Functioning verwendet. Als Kriterium der erzielten Vorhersagegüte wurden die in Kreuzvalidierungen erreichten Kombinationen aus Sensitivität und Spezifität gemessen an der Fläche unter der Receiver-Operating-Characteristic (ROC) Kurve verwendet.
Ergebnisse: Die Studie schloss 20.252 Behandlungsfälle aus neun psychiatrischen Krankenhäusern ein und erreichte eine exzellente bis akzeptable Vorhersagegüte der Notwendigkeit von Zwangsmaßnahmen (AUC: 0,86, 95%KI: 0,83-0,88), einer Krisenintervention (AUC: 0,80, 95%KI: 0,74-0,85), der Betreuung im 1:1-Setting und Kleinstgruppen (AUC: 0,87, 95%KI: 0,80-0,93) und der non-Response auf die Behandlung (AUC: 0,74, 95%KI: 0,72-0,77). Die einflussstärksten Prognosevariablen waren der Zustand des Patienten bei Aufnahme, das Alter und die bei Aufnahme vorliegende Komorbiditäten.
Diskussion: Diese Studie hat gezeigt, dass es möglich ist, relevante Aspekte der psychiatrischen Krankenhausversorgung anhand von routinemäßig erhobenen Daten vorherzusagen. Dadurch ergibt sich auch in Zeiten der kontinuierlich steigenden Menge an verfügbaren Patienten- und Leistungsdaten und des zunehmenden Drucks auf medizinisches Fachpersonal durch Arbeitsverdichtung und Fachkräftemangel ein Potential zur effizienten Unterstützung im klinischen Alltag.
Routinedaten bilden die aktuelle Versorgungssituation ab, da sie unter Alltagsbedingungen entstehen. Die Session stellt sechs empirische Arbeiten vor, die auf verschiedenen Sekundärdaten basieren. Neben zahlreichen rechtlichen Aspekten wird auf die Besonderheit der einzelnen Datenkörper etwa der privaten Krankenversicherung oder der Daten für den Morbi-RSA eingegangen. Schlussendlich können diese Daten zur Beschreibung zahlreicher Erkrankungen verwendet und auch mit Befragungsdaten verbunden werden.
Hintergrund
Mit der wachsenden Menge und Vielfalt elektronisch erfassbarer Daten und Verarbeitungsmöglichkeiten rückt ein Lernendes Gesundheitssystem (LeG) zunehmend in den Bereich des Möglichen. Ob die praktische Umsetzung gelingt, hängt jedoch maßgeblich von der Bereitschaft von Patienten und Medizinern ab, personenbezogene und nicht-personenbezogenen Daten preiszugeben bzw. zu teilen. Diese Bereitschaft setzt voraus, dass
• berechtigtes Vertrauen in die Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorschriften besteht. Hier stehen v.a. die datenschutzrechtlichen Grundsätze der Datensparsamkeit, Zweckbindung und Zweckbestimmtheit mit der Auswertung großer Datenmengen in einem Spannungsverhältnis – dieses gilt es aufzulösen;
• Persönlichkeitsrechte geschützt und Diskriminierungsrisiken minimiert werden;
• unvermeidliche Kosten der Datenpreisgabe bzw. des Teilens von Daten, z.B. ein hiermit verbundener Mehraufwand, gerecht aufgeteilt bzw. ausgeglichen werden.
Fragestellung
Welche Anforderungen müssen erfüllt sein, damit Patienten und Ärzte einem LeG genügend Daten zur Verfügung stellen? Was sind die Voraussetzungen für eine vertrauensvolle Datenpreisgabe? Welche rechtlichen und ethischen Grundsätze sind durch die Preisgabe von Daten für ein LeG bedroht? Welche datenschutzrechtlichen Anforderungen sind zu berücksichtigen? Lassen sich datenschutzrechtliche Bedenken über das sozialrechtliche Solidarprinzip auflösen? Besteht eine ethische, sogar rechtliche Solidaritätspflicht zur Datenpreisgabe? Wie können mit einer Datenpreisgabe verbunden (Aufwands-)Kosten gerecht gehandhabt werden?
Methode
Diese Fragen werden mit den Instrumentarien der praktischen Philosophie und der Rechtswissenschaften bearbeitet. Basierend auf der Auswertung der relevanten Fachliteratur werden die in den genannten Kernfragen vertretenen Positionen und Argumente mit den Methoden des philosophischen Diskurses analysiert. In einer datenschutzrechtlichen Analyse werden v.a. die Herausforderungen für die Umsetzung eines LeG herausgearbeitet. Im Zuge der Auslegung und Anwendung des Verfassungs- sowie Sozialrechts wird geprüft, ob sich aus dem Solidaritätsprinzip eine Pflicht zur Datenpreisgabe ableiten lässt bzw. ob sich die Befugnis zur Datenverarbeitung auf einen rechtlich verankerten Solidaritätsgedanken stützen lässt.
Ergebnisse
Die Auswertung der Fachliteratur bestätigt, dass die Funktionalität eines LeG von der Bereitschaft von Patienten und Medizinern abhängt, Daten preiszugeben bzw. zu teilen. Die Legitimität des Systems wiederum wird an die Beachtung zentraler Rechte, Werte und Güter gekoppelt. Diese Werte und Güter können allerdings konfligieren. So steht z. B. der rechtliche Schutz der informationellen Selbstbestimmung in einem Spannungsverhältnis zu einer breiten Datenpreisgabe, während der Wert der Solidarität die Bereitschaft zu Datenpreisgabe erhöht.
Für jeden Verarbeitungszweck ist eine eigene Rechtgrundlage notwendig. Die Datenverarbeitung in einem LeG ist kein einheitlicher Vorgang, der sich über eine einzige Einwilligung rechtfertigen ließe. Datenschutzrechtliche Hürden lassen sich nicht mit einem rechtlich verankerten Solidaritätsgedanken überwinden. Das sozialrechtliche Solidaritätsprinzip ist nicht mehr als eine Finanzierungsentscheidung des Gesetzgebers; darüber hinaus ist „Solidarität“ kein (verfassungs-)rechtlicher Grundsatz, der auf das Datenschutzrecht ausstrahlt. Allerdings können ethische Solidaritätserwägungen bei Auslegung und Anwendung der Gesetze zu berücksichtigen sein. Solidarität kann zudem – unabhängig von Rechtserwägungen – ethisch gefordert werden.
Diskussion & Praktische Implikationen
Sowohl rechtliche als auch selbstverpflichtende Solidaritätsforderungen sind nur dann gerechtfertigt, wenn sie zu anderen Werten und Rechten in einem angemessen Verhältnis stehen. Hierzu zählen z.B. das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und die Wahrung berechtigter Eigeninteressen. Um relevante Werte und Rechte abzuwägen und ggf. zu vermitteln, bedarf es einer Governance, die rechtliche und ethische (Selbstverpflichtungs-)Elemente umfasst.
Am Beispiel der skizzierten Herausforderungen werden im Vortrag die zentralen Elemente einer solchen Governance dargestellt und diskutiert. Ziel ist es, einen Beitrag zur Bewältigung zentraler praktischer Herausforderungen zu leisten, denen sich Patienten, Ärzte und Forscher in Zuge der Entwicklung eines LeG immer dringlicher stellen müssen.
Hintergrund: GKV-Routinedaten nehmen innerhalb der Versorgungsforschung eine immer relevantere Rolle ein, dies bezeugen auch die zahlreichen Innovati-onsfondprojekte, die GKV-Routinedaten teilweise auch mit Linkage zu Primär-daten, nutzen. Anhand dieser Routinedaten ist es möglich, die aktuelle Versor-gungsituation zu beschreiben, Versorgungsplanung vorzunehmen und Interven-tionen zu evaluieren. Um die Versorgungsforschung in Köln voranzutreiben und zu einer Modellregion in Sachen Versorgungsforschung zu machen, wird inner-halb von CoRe-Net eine einzigartige Datenbank mit krankenkassenübergreifen-den, longitudinalen GKV Routinedaten, Sozialdaten und Primärdaten aufgebaut, die eine langfristige Infrastruktur für die regionale Versorgungsforschung dar-stellt. CoRe-Net ist ein BMBF gefördertes Kompetenznetzwerk (FKZ: 01GY1606) mit dem Ziel, die Forschung und Versorgungspraxis in Köln näher zusammen zu bringen.
Fragestellung: Für den Aufbau einer Datenbank mit GKV-Routinedaten, die über mehrere Jahre verknüpft werden und langfristig der Forschung zur Verfügung stehen soll, sind vielfältige datenschutzrechtliche Erfordernisse zu berück-sichtigen und in die Planung und Umsetzung einfließen zu lassen. Im Rahmen von CoRe-Net ist hierfür ein Weg beschritten worden, der es ermöglicht, GKV-Routinedaten von mehreren Kassen langfristig verfügbar zu machen.
Methode: Die Datenbank, die im Rahmen von CoRe-Net aufgebaut wird, soll insgesamt GKV-Daten über 15 Jahre enthalten. Als Basisjahre werden anfänglich retrospektiv ab 2012 erhoben. Hierzu liefern die kooperierenden Krankenkassen Daten für die mit Wohnort Köln gemeldeten Versicherten. Der in der Datenbank befindliche Datenbestand wird prospektiv jährlich von den Krankenkassen das jeweils aktuell verfügbare Berichtsjahr erweitert. Hierzu müssen die Daten von den Krankenkassen über die Zeit mit dem krankenkassenspezifischen identischen Pseudonym übermittelt werden. Die Übermittlung dieser Sozialdaten basiert auf der novellierten Fassung des §75 SGB X und wurde im Oktober 2018 durch die zuständigen Aufsichtsbehörden (BVA und MAGS) genehmigt.
Ergebnisse: Der Aufbau der Routinedatenbank erfolgt auf Basis versichertenbezogener Daten, die im Lauf der Übermittlung von den Krankenkassen an CoRe-Net durch mehrere kaskadierende Bearbeitungsschritte für die CoRe-Net-Subprojekte anonymisiert werden. Hierfür werden bereits in den Krankenkassen die direkt versichertenidentifizierenden Angaben durch ein nach krankenkasseninternen Vorgaben erzeugtes Pseudonym ersetzt und an die CoRe-Net- Vertrauensstelle transportverschlüsselt übermittelt. Durch den Pseudonymisierungsdienst (CoRe-Net extern) werden die krankenkassenspezifischen Pseudonyme durch ein Einweghashverfahren (SHA-3) unter Verwendung eines über die Laufzeit des CoRe-Net-Projekts eindeutigen Salts zweitpseudonymisiert und an die CoRe-Net-Vertrauensstelle (intern), wieder kryptographisch verschlüsselt, übermittelt. Die Vertrauensstelle generiert aus dem Hashpseudonym einen CoRe-Net spezifischen Studienidentifikator (Drittpseudonym). Die Vertrauensstelle plausibilisiert die GKV-Routinedaten und verlinkt die jahresbezogenen Lieferungen über das Drittpseudonym. Die Bereitstellung der GKV-Routinedaten für die einzelnen CoRe-Net-Projekte erfolgt projektspezifisch. Nach einem positiven Votum des CoRe-Net-GKV-Beirats, sowie einem positi-ven Votum der Ethikkommission des Universitätsklinikums Köln, werden die für die Beantwortung der Fragestellung notwendigen Daten aus dem GKV-Pool selektiert. Es erfolgt die projektindividuelle Viertpseudonymisierung der Daten, so dass ausgeschlossen ist, dass Daten aus den einzelnen Projekten über das Viertpseudonym wieder verlinkt werden können.
Diskussion: Die Genehmigung dieses Verfahrens durch die zuständigen Aufsichtsbehörden (BVA und MAGs) zeigt, dass es möglich ist, unter Einhaltung der aktuell geltenden Rechtslage, eine Datenbank mit GKV-Routinedaten aufzubauen, die längerfristig der Forschung zur Verfügung steht. Neue Projekte können damit direkt auf die bereits erhobenen und aufbereiteten Daten ohne größeren Vorlauf und aufwändige Genehmigungsverfahren aufsetzen. Zu berücksichtigen ist dennoch die möglicherweise differierende Auslegung durch die zuständigen Aufsichtsbehörden und Ethikkommissionen.
Praktische Implikation: Der Umgang mit GKV-Routinedaten, hinsichtlich des Datenschutzes ist ein Thema, welches im Rahmen der zunehmenden Verwendung von Routinedaten in der Versorgungsforschung an Relevanz gewinnt. Die Unterschiedlichen Auslegungen der Gesetzeslage durch die jeweils zuständige Ethikkommissionen und Aufsichtsbehörde könnten allerdings aktuell ein einheitliches Vorgehen in Bezug auf die Wahrung des Datenschutzes verhindern, wobei gezeigt wurde, dass der Aufbau und die derartige Speicherung von GKV-Routinedaten für die Versorgungsforschung und den Aufbau einer Modellregion grundsätzlich möglich ist.
Hintergrund: Unter der Prämisse, dass Gesundheit ein superiores Gut ist und jeder Einzelne dafür Sorge trägt, gewinnt die Selbstmedikation zunehmend an Bedeutung. Stetig wachsende Umsatz- und Absatzzahlen für Over-the-Counter (OTC) Präparate sind ein Ausdruck dieser Entwicklung [1]. Die Daten des Bundesgesundheitssurveys deuten an, dass präventive und kurative Aspekte zu den häufigsten Gründen für die stärkere Inanspruchnahme zählen [2]. Welche Arzneimittel davon betroffen sind, ist dabei weitestgehend unbekannt. Seit 2004 sind diese Präparate bis auf wenige Ausnahmen in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht mehr erstattungsfähig. In der privaten Krankenversicherung (PKV) ist die Kostenerstattung eines Arzneimittels nicht von der Verschreibungspflicht abhängig, so dass hier die Möglichkeit einer genaueren Betrachtung gegeben ist.
Fragestellung: Die vorliegende Querschnittsanalyse zielt auf die Beschreibung der häufigsten Verordnungen von OTC-Präparaten in der PKV ab.
Methode: Die Querschnittsanalyse nutzt die bei 18 PKVen eingereichten Arzneimittelrezepte und Rechnungen des ambulanten Sektors 2016. Die Verbrauchszahlen wurden anhand von alters- und geschlechtsspezifischen Kopfschäden gebunden hochgerechnet. Von den insgesamt 99,94 Mio. Rezepten gingen 10,5 Mio. OTC-Angaben in die Deskriptionen ein. Über die Pharmazeutische Zentralnummer (PZN) konnten weitere Informationen aus der ABDATA entnommen werden. Dazu zählte das Merkmal Waren- und Haupt- bzw. Randsortiment sowie dazugehörige Unterkategorien, um systematische Häufigkeitsauszählungen durchzuführen.
Ergebnisse: Die Datenbasis bezieht sich auf den Verbrauch von 18 PKVen, die insgesamt knapp 90% der 8,8 Mio. Privatversicherten abdecken. Die vorliegenden Analysen stützten sich auf 103.637 PZNs des Randsortiments. Die drei häufigsten abgerechneten Randsortimente waren: Krankenbedarf (46,2%), Arzneimittel besonderer Therapierichtungen (32,1%) und Apothekenübliche Nahrungsmittel (15,7%). Innerhalb des Krankenbedarfs wies die parenterale Applikation mit 14,2% aller Packungen den größten Anteil auf und bei den Arzneimitteln besonderer Therapierichtungen waren es Homöopathie (24,9%) und Anthroposophie (7,2%). Bei ersteren finden sich Präparate für Verstauchungen, zur Beruhigung nervöser Zustände und Erkältungspräparate. Bei letzteren finden sich viele additive Misteltherapien zur Tumorbehandlung, Präparate zur Beruhigung und gegen Bindehautentzündungen.
Diskussion: OTC-Präparate übernehmen eine wichtige Funktion, da sie ein niederschwelliges Angebot zusammen mit einer adäquaten Beratung in der Apotheke schnell Linderung versprechen. Bei leichten und kurzweiligem Unwohlsein oder vorrübergehenden Störungen können unnötige Arztbesuche vermieden werden. Neben saisonalen Effekten wie Erkältungen oder Allergien sind Arzneimittel gegen Unruhe und nervöse Zustände, aber auch additive Mittel gegen Tumorerkrankungen auffällig. Ob ein stetiger Übergang von einer Bedarfs- zur Dauermedikation vorliegt, kann mit den Daten nicht beantwortet werden. Es wäre dringend mehr Evidenz zu Nutzen und Schaden, aber insbesondere zu Wechselwirkungen mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln nötig. Dies gilt sowohl für private wie auch für gesetzlich Versicherte.
Praktische Implikationen: Der Nutzennachweis für OTC-Präparate sollte auch vor dem Hintergrund unerwünschter Arzneimittelwechselwirkungen erbracht werden. Die Einschätzung der (Wechsel-)Wirkungen von rezeptpflichtigen- und OTC-Präparaten kann der Versicherte nicht erbringen. Apotheker, Ärzte und andere Leistungserbringer benötigen hierzu jedoch sämtliche Medikationsdaten für eine umfassende Aufklärung. Medikationspläne und elektronische Patientenakten, in welcher Form auch immer, können hier sicher helfen.
Literatur
1. IQVIA Marktbericht (2019): Entwicklung des deutschen Pharmamarkts im Jahr 2018. https://www.iqvia.com/-/media/iqvia/pdfs/cese/germany/publikationen/marktbericht/pharma-marktbericht-jahr-2018-iqvia.pdf?la=de-de&hash=D0D4CFFAB622C3F8D95138973B1606F92873E246&_=1550740522363
2. Knopf H, Melchert H-U. (2003): Bundes-Gesundheitssurvey: Arzneimittelgebrauch. Konsumverhalten in Deutschland. Robert-Koch-Institut: Berlin
Hintergrund: Diabetes mellitus ist eine häufige Erkrankung mit hoher Public-Health Relevanz. Mit dem Aufbau der Diabetes-Surveillance am Robert Koch-Institut (RKI) wird das Diabetesgeschehen indikatorenbasiert und wiederkehrend für Deutschland abgebildet. Die Prävalenz und Inzidenz des diagnostizierten Diabetes sind dabei zwei Kernindikatoren. Der Einbezug von routinemäßig erhobenen Daten zur Berechnung der Prävalenz und Inzidenz des Diabetes mit Daten aller gesetzlich Krankenversicherten (GKV-Versicherten) ist für die Surveillance anzustreben, da Daten einzelner Krankenkassen nicht repräsentativ für alle GKV-Versicherten sind und Befragungsdaten meist mit größeren zeitlichen Abständen erhoben werden. Neben der Datengrundlage fehlt bislang auch eine konsentierte Definition, welche Personen mit Diabetes aus Routinedaten vergleichbar über die Zeit aufgreift. In Zusammenarbeit mit externer Expertise aus Epidemiologie, Versorgungsforschung und der Datenaufbereitungsstelle des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information wurde für die Diabetes-Surveillance eine Referenzdefinition erstellt und die Daten aller GKV-Versicherten nach der Datentransparenzverordnung (DaTraV) zur Erstellung der Ergebnisse verwendet.
Fragestellung: 1) Wie hoch ist die Prävalenz des dokumentierten Diabetes in Deutschland und seinen Bundesländern? 2) Wie entwickelte sich diese Prävalenz im Zeitraum 2011-2013? 3) Können mit der Referenzdefinition Neuerkrankungsfälle plausibel geschätzt werden?
Methode: Datengrundlage bilden die DaTraV-Daten der Berichtsjahre 2011, 2012 und 2013. Die Definition der Referenzauswertung bezüglich der dokumentierten Prävalenz wurde über die ICD-10-Diagnosen E10.- bis E14.- vorgenommen. Demnach mussten mindestens zwei ambulant gesicherte (m2Q-Kriterium) oder eine stationäre Haupt- oder Nebendiagnose für die Falldefinition vorliegen. Bezüglich der Typenunterscheidung wurde ebenfalls das m2Q-Kriterium angewendet, allerdings mit der Erweiterung, dass für Typ-1-Diabetes (bzw. Typ-2-Diabetes) bei Vorliegen einer ambulant gesicherten E10.- (bzw. E11.-) Diagnose auch unspezifische Diagnosen (d.h. E12.- bis E14.-) zur Erfüllung des m2Q-Kriteriums ausreichten. Neben einer Stratifizierung nach Geschlecht und 5-Jahres-Altersgruppen erfolgte für den Diabetes über alle Typen eine Auswertung nach Bundesländern. Validierungsmengen bezogen sich zum einen auf die Ergebnismenge mit Diabetes als ausschließlich stationäre Nebendiagnose, zum anderen auf Personen mit Antidiabetika, die nicht in der auf den ICD-10-Diagnosen basierenden Ergebnismenge enthalten sind und die keinen Schwangerschaftsdiabetes aufweisen. Personen ohne eine gesichert ambulant oder stationär dokumentierte Diabetesdiagnose im Jahr 2011, die ein m2Q-Kriterium (E10.- bis E14.-) innerhalb von vier aufeinanderfolgenden (auch überjährigen) Quartalen in den Jahren 2012 und 2013 aufweisen, wurden als inzidente Fälle im Jahr 2012 definiert.
Ergebnisse: Die dokumentierte Prävalenz des Diabetes zeigt deutliche, regionale Unterschiede: in Sachsen-Anhalt beträgt diese im Jahr 2011 14,4% und altersstandardisiert (Mikrozensus 2011) 11,8%, wohingegen sie in Hamburg bei 7,3% und altersstandardisiert bei 8,0% liegt. Im Zeitverlauf der Jahre 2011 bis 2013 steigt die Prävalenz (altersstandardisiert) in Deutschland von 9,7 % (9,5%) auf 9,9 % (9,6%) und 10,1% (9,7%), wobei jeweils Männer höhere Werte zeigen. Der Typ-2-Diabetes und Typ-1-Diabetes zeigen eine dokumentierte Prävalenz von 7,6% und 0,28%. Ein unspezifischer Diabetes wird mit 1,9% relativ häufig dokumentiert. Über alle Altersgruppen zeigen 0,21% der Personen ausschließlich mindestens eine stationäre Nebendiagnose und 0,17% der Personen mindestens eine Verschreibung eines Antidiabetikums ohne dokumentierte Diagnose (m2Q: E10.- bis E14.-). Im Jahr 2012 sind 565.040 GKV-Versicherte neu an Diabetes erkrankt.
Diskussion: Auf Basis der Referenzdefinition zeigen sich deutliche regionale Unterschiede der dokumentierten Prävalenz. Für Deutschland ist ein Anstieg der dokumentierten Prävalenz über alle Erkrankungstypen in den Jahren von 2011 bis 2013 zu verzeichnen. Eine Unterscheidung der Erkrankungstypen ist aufgrund der häufigen Kodierung unspezifischer Diagnosen schwierig.
Praktische Implikationen: In der Diabetes-Surveillance des RKI werden mit der Referenzauswertung zum dokumentieren Diabetes Prävalenzen auf Grundlage von Daten aller GKV-Versicherten über die Zeit vergleichbar präsentiert. Eine valide regionale und zeitliche Einordnung des Diabetesgeschehens ist hierdurch möglich. Perspektivisch sollen die Zahlen verstetigt abgebildet werden und in Zusammenarbeit mit der Datenaufbereitungsstelle weitere Analysen auf Basis der DaTraV-Daten erfolgen.
Hintergrund
In zahlreichen Ländern ist die Inzidenz von Schilddrüsenkarzinomen bei gleichbleibender Mortalität in den letzten Jahren rasant angestiegen. Dies wird als ein Indiz für Überdiagnostik gesehen. Die Entdeckung von Schilddrüsenknoten erfolgt häufig im Rahmen initial nicht indizierter Diagnostik, die dann Auslöser von Kontrollschleifen und letztlich invasiven Behandlungen sein kann. Gerade in Deutschland gibt es eine hohe Anzahl von Schilddrüsenoperationen, bei denen sich die entfernten Knoten in der anschließenden Histologie häufig als benigne herausstellen. Ziel unsere Studie ist die systematische Analyse, ob der frühzeitige Einsatz der Sonographie im Abklärungsprozess bei Verdacht auf Schilddrüsenerkrankungen in einer Art Kaskade von Überdiagnostik hin zu Übertherapie führt.
Fragestellung
Welche Auswirkungen hat der frühzeitige Einsatz der Schilddrüsen-Sonographie zur Abklärung von Schilddrüsenerkrankungen auf Morbidität und Inanspruchnahme des Gesundheitswesens bei den betroffenen PatientInnen?
Methode
Zur Beantwortung der Forschungsfrage wird aktuell eine retrospektive Kohortenanalyse mit Daten der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (2012 bis 2017) durchgeführt. Untersucht werden Daten von PatientInnen mit und ohne nicht-indizierter Schilddrüsen-Sonographie. Nicht-indizierte Schilddrüsen-Sonographie wird definiert als erstmaliger TSH-Test gefolgt von einem Ultraschall der Schilddrüse innerhalb von 28 Tagen ohne Vorliegen einer Hypo- oder Hyperthyreose. Die beiden Gruppen wurden mittels Propensity Score Matching gematcht und bezüglich Morbidität und Inanspruchnahme des Gesundheitswesens untersucht.
Ergebnisse
Es werden Daten von 68.862 PatientInnen in jeder Gruppe ausgewertet. Die Datenanalyse ist noch nicht abgeschlossen. Die Ergebnisse werden zum Kongress vorliegen.
Diskussion und praktische Implikationen
Ein systematischer Vergleich verschiedener Behandlungspfade sowie deren medizinischer und ökonomischer Konsequenzen soll dazu beitragen, Überdiagnostik und Übertherapie zu identifizieren und zu beschreiben. Das Projekt wird im Rahmen des BMBF-geförderten Netzwerkes PRO PRICARE durchgeführt.
Hintergrund
Der Forschungsverbund PROCLAIR hatte die Zielsetzung, bevölkerungsbezogene Erkenntnisse zur Versorgung von Patienten mit rheumatoider Arthritis (RA), axialer Spondyloarthritis (axSpA) oder Hüft-, Knie- und Polyarthrose in Deutschland zu gewinnen.
Fragestellung
Zu den Fragestellungen des Verbundes gehörte es, ob sich Personengruppen identifizieren lassen, die einem besonderen Risiko für Unter- oder Fehlversorgung ausgesetzt sind. Außerdem sollten Erkenntnisse über die Validität von Abrechnungsdiagnosen zu diesen Erkrankungen als Basis für weitere Studien gewonnen werden.
Methode
Es wurden Querschnittsbefragungen bei Versicherten der BARMER Krankenversicherung durchgeführt, in deren Abrechnungsdaten sich die Diagnosen RA, axSpA oder Hüft-, Knie- oder Polyarthrose fanden. Die Fragebogenangaben wurden bei vorliegendem Einverständnis der Versicherten mit deren Abrechnungsdaten verknüpft.
Ergebnisse
Die Abrechnungsdiagnose RA wurde von 81% der Patienten bestätigt, die der axSpA von 85%. In allen drei Krankheitsbildern wurden Risikogruppen für Versorgungsdefizite identifiziert. Personen mit RA, die nicht fachärztlich versorgt werden, haben geringeren Zugang zu medikamentöser Therapie. Physikalische Therapie wird für alle drei Diagnosen auf niedrigem Niveau verordnet. Bei Patienten mit Gonarthrose hat die Inanspruchnahme von individuellen Gesundheitsleistungen einen relativ hohen Stellenwert. Ein Zusammenhang von depressiven Symptomen und Krankheitslast bei axSpA wurde aufgezeigt. Neben den versorgungsrelevanten Ergebnissen hat der PROCLAIR-Verbund auch methodenkritische Beiträge zur Qualität von Krankenkassendaten geleistet.
Diskussion
Die Verknüpfung von Abrechnungs- mit Befragungsdaten ermöglicht eine umfassende Beschreibung der Versorgung muskuloskelettaler Erkrankungen. Besonders relevante Einflussgrößen sind die Fachrichtung des Arztes, soziodemografische Parameter der Patienten oder Wohnregion. Insbesondere der Zugang zu Versorgung lässt sich in randomisierten klinischen Studien nicht untersuchen.
Praktische Implikationen
Die Ergebnisse des Projektes haben gezeigt, dass Befragungsdaten eine wertvolle Ergänzung zu Abrechnungsdaten darstellen. Es können beispielsweise Angaben zu Krankheitslast von Patienten gemacht werden, die in den Abrechnungsdaten nicht verfügbar sind. Die Patientenangaben zur Bestätigung der Abrechnungsdiagnosen helfen, künftige Analysen einzuschätzen, die nur auf Abrechnungsdaten basieren. Die Validität der Diagnosen in den Abrechnungsdaten muss mit Vorsicht interpretiert werden.
Wie können Real-World Daten zur Verfügung gestellt und so genutzt werden, dass es allen beteiligten Stakeholder nutzt und vor allem die Patient*innen davon profitieren?
Die Medizin der Zukunft wird eine noch stärker datengetriebene Medizin sein. Eine bessere Nutzbarkeit von Gesundheitsdaten für Versorgung, Forschung und Planung stellt in einem heterogenen Gesundheitswesen eine besondere Herausforderung dar.
Ein wichtiges Thema ist dabei die Nutzung von Real World Daten und Interoperationabilität, die neben gängigen Forschungsmethoden neue Möglichkeiten für die Versorgungsforschung geben, wenn sie die Daten zur Verfügung hat.
Neben dem BMG stellen Vertreter*innen der Leistungserbringer, der Krankenkassen, der klinischen Register, der Medizininformatik Initiative in Impulsreferaten ihre Konzepte vor. Ergänzt werden die Referate durch eine juristische Perspektive zum Thema Datenschutz. Anschließend wird diskutiert, wie die Real World Daten zum Nutzen der Patient*nnen, der Leistungserbringer, jedoch auch der Forschung genutzt werden können.