Onkologische Erkrankungen erfordern aufgrund der zugrundeliegenden Komplexität und des sich vielmals erschwerenden Verlaufs eine sektorenüberübergreifende, zielgerichtete sowie patientenorientierte Gesundheitsversorgung. Vor dem Hintergrund der verschiedenen onkologischen Versorgungsaspekte werden die Effektivität sowie das Inanspruchnahmeverhalten konkreter Programme der onkologischen Versorgung vorgestellt.
Hintergrund:
Krebsbetroffene sind starken psychischen Belastungen ausgesetzt, die negative Auswirkungen auf die Lebensqualität und das Überleben haben können. Psychoonkologische Angebote stellen somit wichtige Instrumente der Krebsversorgung dar und sind deshalb in von der Deutschen Krebsgesellschaft e. V. zertifizierten Zentren für jeden Patienten obligatorisch. Auch bei vielen Prostatakrebspatienten, die häufig von beeinträchtigter sexueller Funktionsfähigkeit und Inkontinenz nach chirurgischen und hormonellen Eingriffen betroffen sind, gibt es psychoonkologischen Beratungsbedarf. Allerdings variiert die psychoonkologische Inanspruchnahme zwischen Prostatakrebszentren stark.
Fragestellung:
Inwieweit können strukturelle Zentrumsmerkmale und Patienteneigenschaften die Inanspruchnahme psychoonkologischer Beratung in Prostatakrebszentren erklären?
Methode:
Für einen risikoadjustieren Vergleich der Prostatakrebszentren wurde eine Mehrebenenanalyse durchgeführt. Dazu wurden die Daten von n = 2.766 lokal behandelten Prostatakrebspatienten aus 43 zertifizierten Prostatakrebszentren in Deutschland genutzt, die im Rahmen der Prostate Cancer Outcome (PCO)-Studie erhoben wurden.
Ergebnisse:
Es zeigen sich große Unterschiede zwischen den Prostatakrebszentren (ICC=0,58). Patienten mit lokal-begrenzt hohem Risiko nehmen psychoonkologische Beratung signifikant häufiger in Anspruch als Patienten mit lokal-begrenzt mittlerem Risiko (p=0,043). Hinsichtlich der Behandlungsart nutzen strahlentherapierte (p=0,000) sowie Active Surveillance (AS)/Watchful Waiting (WW)-Patienten (p=0,000) seltener psychoonkologische Angebote als Patienten, die sich einer Radikalen Prostatektomie (RPE) unterziehen. In Bezug auf die strukturellen Zentrumsmerkmale ist die psychoonkologische Inanspruchnahme in Universitätskliniken systematisch niedriger als in akademischen Lehrkrankenhäusern (p=0,018). Bildungs- und Versicherungsstatus der Patienten zeigen sich nicht als signifikante Prädiktoren für die Nutzung psychoonkologischer Beratung.
Diskussion:
Die Ergebnisse bestätigen zunächst, dass die Inanspruchnahme psychoonkologischer Beratung zwischen Prostatakrebszentren variiert, wobei angemerkt werden sollte, dass sich auch die Studieneinschlussquote zwischen den Zentren stark unterscheidet. Des Weiteren ist hinsichtlich der Ergebnisvalidität auf die Unterrepräsentanz Strahlentherapierter in der Stichprobe im Vergleich zu Patienten mit RPE hinzuweisen. Keine Aussagen können wir über mit dieser Analyse über die Bedarfsgerechtigkeit der psychoonkologischen Beratung treffen.
Praktische Implikationen:
Die Risikogruppe des Patienten, die Behandlungsart und der Lehrstatus des Zentrums konnten als Prädiktoren für die Varianz bei der Inanspruchnahme von psychoonkologischen Angeboten in Prostatakrebszentren identifiziert werden. Dies sollte jedoch unter Berücksichtigung der genannten Limitationen interpretiert werden. In zukünftigen Untersuchungen gilt es demzufolge, den Ursachen der Unterschiede zwischen den Behandlungsarten auf den Grund zu gehen und zu klären, inwieweit diese auf die Behandlungseffekte oder auf die geringe Studienteilnahme in der Strahlentherapie zurückzuführen sind. Ferner sollte zukünftig geklärt werden, inwieweit die Unterschiede zwischen akademischen Lehrkrankenhäusern und Universitätskliniken Defizite einer bedarfsgerechten Beratung widerspiegeln.
Möglichkeiten und Limitationen der sektorenübergreifenden, standardisierten Programmdokumentation eines nationalen Brustkrebsfrüherkennungsprogramms zur Bestimmung des Effekts von Mammografie, Ultraschall und Doppelbefundung auf die Programmsensitivität
Hintergrund
Gemäß der derzeitigen Evidenzlage und internationalen Empfehlungen ist die Mammografie die primäre Screeningmethode zur Brustkrebsfrüherkennung [BKF]. Ergänzende Maßnahmen wie Doppelbefundung oder ergänzendem Ultraschall [US] sollen die Programmperformance verbessern, wobei deren Effekte widersprüchlich diskutiert werden. Einerseits wird ein breiter US-Einsatz gefordert, um auch mammografisch okkulte Tumoren zu entdecken. Andererseits wird befürchtet, dadurch die Falsch-Positiv-Rate zu erhöhen. Die wissenschaftliche Literatur kann diesen Disput aufgrund der Heterogenität der verschiedenen Früherkennungsprogramme nur bedingt klären.
Fragestellung
Im vorliegenden Beitrag soll der Einfluss von Mammografieerstbefund, Mammografiezweitbefund und US auf die Programmsensitivität und -spezifität unter Routinebedingungen eines nationalen Brustkrebsfrüherkennungsprogramms [BKFP] geschätzt werden. Zudem sollen Probleme und Limitationen der verwendeten Datenbasis diskutiert werden.
Methode
Das BKFP verfügt über eine standardisierte Dokumentation aller radiologischen Früherkennungsuntersuchungen (inkl. Einzelbefunde, Endbefund und Brustdichte). Zudem beinhaltet die Datenbasis eine zu wenigstens 90 % vollzählige Dokumentation der therapierten Tumore der Brust (DCIS, invasiver Brustkrebs, andere Malignome), was die Identifikation von Intervallkarzinomen erlaubt. Es wird die Zahl der Karzinome bestimmt, die allein dem Mammografieerstbefund, Zweitbefund oder US-Befund zuzurechnen sind. Es wird der Einfluss der Einzelbefunde auf die Programmperformance geschätzt. Zudem wird versucht, die Endbefunde auf Basis der Einzelbefunde mittels Entscheidungsbaum vorherzusagen.
Ergebnisse
Bei 543.447 in den Jahren 2014 bis 2017 an 45 bis 69-jährigen Frauen durchgeführten BKF-Untersuchungen stimmten 98 % der Endbefunde effektiv (d.h. hinsichtlich ihrer Konsequenz) mit dem Mammografieerstbefund überein, wovon 1,6 % in eine Abklärungsuntersuchung mündeten. Bei 64 % der BFK-Untersuchungen wurde ein US durchgeführt, wovon 32 % mit dichtem Brustgewebe der Frau begründet wurden. Bei 10.351 BKF-Untersuchungen mit einem hinsichtlich der Konsequenz dominanten US-Befund wurden bei 11,2 % Abklärungsuntersuchungen veranlasst und 182 (1,8 %) invasive Karzinome entdeckt. Bei 1.847 Untersuchungen mit dominantem Mammografiezweitbefund wurden bei 13,2 % Abklärungsuntersuchungen veranlasst und 34 (1,8 %) invasive Karzinome entdeckt. Mittels Entscheidungsbaums aus effektivem Mammografieerstbefund und US-Befund können 99 % der Endbefunde korrekt klassifiziert werden.
Die für das gesamte Teilnahmeintervall berechnete Programmsensitivität (inkl. aller invasiven Intervallkarzinome) des Mammografieerstbefunds ist 65 %. Durch den US-Einsatz steigt die Programmsensitivität um rund 6 Prozentpunkte und durch die Doppelbefundung um etwa 1 Prozentpunkt. Die Falsch-Positiv-Rate und damit die Programmspezifität verändern sich nur marginal.
Diskussion
Durch den US-Einsatz unter Routinebedingungen konnte die Programmsensitivität leicht gesteigert werden, wobei diese berechnete Sensitivitätsverbesserung geringer ausfällt als in früheren Pilotstudien. Gleichzeitig wurde keine bedeutsame Verschlechterung der Spezifität beobachtet, was sich u.a. dadurch erklären ließe, dass abklärungsbedürftige Früherkennungsdiagnosen seltene Ereignisse sind.
Der erwartete Nutzen der Doppelbefundung konnte auf Basis der vorliegenden Routinedaten nicht bestätigt werden. Auffälligkeiten in einer einfachen Simulationsstudie stellen die Datenvalidität jedoch zumindest teilweise in Frage. Dies verdeutlicht, dass die Daten nicht dokumentenecht in einer einheitlichen, kontrollierten Umgebung erarbeitet, sondern die übermittelten Daten dezentral aus heterogenen, routinemäßig erstellten Basisdaten unterschiedlicher Qualität extrahiert werden.
Praktische Implikationen
Die vorliegenden Routinedaten können aufgrund der vielfältigen, nicht dokumentierten Einflussfaktoren nicht dazu verwendet werden, den Effekt von US und Doppelbefundung in Studienqualität zu messen und somit den Disput zwischen konfligierenden Hypothesen definitiv zu klären. Dafür bräuchte es trotz einer vollzähligen Datenbasis eine speziell auf das BKFP zugeschnittene kontrollierte Studie. Unter Berücksichtigung der Datenlimitationen lassen sich jedoch Effekte für das Routinegeschehen schätzen und so Hypothesen für kontrollierte Folgestudien generieren.
Objective: To analyze the prescription of protein kinase inhibitors (PKIs) for therapy of solid tumors in Saxony with a focus on translation of innovations to outpatient care. A downstream analysis further aims to determine off-label use, guideline concordance and drug survival of PKIs.
Background: PKIs are effective in the targeted treatment of various tumor entities. Since imatinib was the first to be introduced in 2001, several PKIs followed. In 2017, five new PKIs were approved for the german market. A main advantage to classic tumor treatment (e.g. chemotherapy) is the oral application of PKIs leading to reduced inpatient appointments and ambulance visits. Cancer treatment is being moved to the outpatient sector. However, the therapy is highly dependent on the patient’s adherence. Several studies showed a high correlation between deficient therapy adherence and poor therapy outcome. In addition, the physician plays an important role in terms of patient motivation and therapy support.
Methods: The analysis uses claims data from the health insurance company AOK PLUS in Saxony between 2010 and 2017 including 2.3 million insured persons. The data includes detailed information regarding diagnosis and drug prescriptions, physicians involved in the treatment, patient comorbidities and co-medication without documentation gaps.
At present, 36 different PKIs are approved for several tumor entities. In the present analysis, we focus on the following tumor entities due to high prevalence and guideline recommendations: renal cell carcinoma, colon carcinoma, melanoma, mamma carcinoma, bronchial carcinoma, prostate carcinoma, gastric adenocarcinoma, pancreatic cancer, liver cell carcinoma, urinary bladder carcinoma.
The analysis of guideline-concordant treatment is defined as the accordance of the medicinal therapy recommended in the guideline and the therapy in routine supply. In the example of renal cell cancer where several PKIs are recommended for therapy, guideline adherence is operationalized as follows: sunitinib or pazopanib are recommended as 1st line therapy of advanced and/or metastasized renal cell carcinoma. A stationary diagnosis of renal cell carcinoma along with a diagnosed metastasis within the same inpatient stay without another cancer diagnosis is used as the definition of the advanced and/or metastasized renal cell carcinoma. In addition, procedures (OPS-codes) and drug therapy except PKIs (ATC-codes) are used for validation and operationalization of the guideline adherence of other tumor entities.
Drug survival is the analysis of the accordance of the prescription prevalence and the recommended therapy duration in the guideline. It will be operationalized via ATC-code/pharmaceutical registration number where information of package size and daily defined doses are used to calculate the therapy duration.
Prospect: The data analysis offers to evaluate the quality and guideline concordance of drug supply in oncology in Saxony and provides important indications for translation of innovations to outpatient care. Detailed information on the quality of drug supply of cancer patients in Germany is only available to a limited extent and has so far been lacking for many entities.
Keywords: oncology, saxony, protein kinase inhibitors, claims data analysis
Hintergrund
Beim Cervix-Ca-Screening wurden bislang eine Abstrichuntersuchung (sog. Pap-Test) für Frauen ab dem 20. Lebensjahr einmal jährlich durch die GKV gemäß GBA-Früherkennungsrichtline übernommen. Dieser dient zur Erkennung von Vorstufen eines Gebärmutterhalskrebs, wobei als häufigste Ursache eine Infektion mit bestimmten Typen des humanen Papillomvirus (HPV) gilt.
Ab dem 01.01.2020 wird durch Beschluss des Gemeinsamen Bundesauschuss die Krebsfrüherkennung beim Gebärmutterhals neu geregelt. Wichtige Elemente sind dabei u.a. die Verbesserung der Qualitätssicherung, die Durchführung eines organisierten Einladungsverfahrens, eine Anpassung des Screeningintervalls und Regelungen zum Follow-up auffälliger Befunde. Zukünftig können Frauen von 20 bis 34 Jahren jährlich das zytologiebasierte Screening in Anspruch nehmen, während für Frauen ab 35 Jahren alle drei ein Anspruch auf ein kombiniertes Screening aus zytologischer Untersuchung und HPV-Test besteht.
Fragestellung
Es wurde untersucht, ob und inwiefern die bislang geltenden GBA-Vorgaben zur Krebsfrüherkennung beim Cervix-Ca in der Versorgungswirklichkeit aktuell umgesetzt werden. Dabei wurde sowohl nach regionalen Aspekten (Wohnort der Versicherten) als auch nach altersspezifischen Einflüssen (Alters-gruppen 20-34, 35-49, 50-64 sowie > 65 Jahre) differenziert. Zusätzlich wurden die Veränderungen im (Lang-) Zeitverlauf detailliert analysiert und es wurde überprüft, inwiefern Korrelationen zu Versorgungsstrukturen (gynäkologische Facharztdichte) und therapeutischen Konsequenzen (u.a. Konisation) existieren.
Methodik
Datengrundlage sind sektorenübergreifende Abrechnungsdaten der Techniker Krankenkasse (n = 10 Millionen Versicherte) im Zeitraum 2013-2018. Operationalisiert wurde für die Inanspruchnahme mit entsprechenden EBM-GOPs (u.a. 01733, 32820) sowie für die Ca-Diagnosen und die damit verbundenen Interventionen mit entsprechenden ICD-Diagnosen (u.a. C53.8, N87, D06.7) und OPS-Codes (u.a. 1-471.2, 1-472.0, 5671.0/5671.1).
Ergebnisse
In 2017 beträgt die durchschnittliche (jährliche) Screening-Inanspruchnahme 55,2%, wobei diese in der jüngeren Altersgruppe (20-34 Jahre) am höchsten (62,7%) und in der ältesten (> 65 Jahre) am niedrigsten (36,9%) ist. In Sachsen kommen auf einen gynäkologischen Vertragsarzt im Mittel 190 TK-Versicherte Frauen > 20 Jahre, in Hamburg durchschnittlich 600. Von den 2.277.579 Frauen > 20 Jahre, die 2017 an der Krebsvorsorge teilgenommen haben, war die Screening-Inanspruchnahme im Saarland am geringsten (48,3%) und in Brandenburg (59,9%), Mecklenburg-Vorpommern (59,2%) und Sachsen (59,9%) am höchsten. Bei diesen drei Bundesländern gab es im Zeitverlauf von 2013 zu 2017 die größten Abnahmen bei der jährlichen Inanspruchnahme (-9,0% vs. -5,4% vs. -4,1%) während zeitgleich in Hamburg der größte Zuwachs (+3,4%) erfolgt ist.
Gynäkologische Interventionen an der Gebärmutter erfolgten im Durchschnitt von 2014 bis 2017 in Schleswig Holstein (1,02% aller weiblichen TK-Versicherten über 20 Jahre) und Hamburg (1,01%) deutlich mehr als in Bremen (0,55%) und Sachsen (0,64%). Im Jahr 2017 waren Cervix-Carcinome in Baden Württemberg am niedrigsten (0,54%) und in Mecklenburg-Vorpommern am höchsten in den GKV-Routinedaten dokumentiert (0,84%).
Diskussion
Beim Cervix-Ca lassen sich Screening-Maßnahmen mit GKV-Routinedaten transparent darstellen. Im Gegensatz zu anderen medizinischen Indikationen (z.B. Colon-Ca) können durch das jährliche Wiederholungsintervall Inanspruchnahmequoten bei anspruchsberechtigten Versicherten exakt ausgewiesen werden. Hinsichtlich der Leistungsinanspruchnahme gibt es eine regionale Streuung, die mit der gynäkologischen Facharztdichte vor Ort und den medizinischen Konsequenzen bei positiven Screening-Befunden korreliert. In weiteren Untersuchungen ist noch zu analysieren, inwiefern die regionale Varianz bei der Krebsfrüherkennung durch (sozioökonomische) Alterspräferenzen auf Patientenseite und Präferenzen für bestimmte Screeningintervalle auf Ärzteseite erklärt werden kann.
Praktische Implikationen
Im Rahmen einer Politikfolgenforschung sind GKV-Routinedatenanalysen geeignet, zeitnah Hinweise auf Veränderungen bei der Teilnahme an Krebsfrüherkennungsprogrammen zu geben. Die regionale Variabilität der Inanspruchnahme von Leistungen zur Krebsfrüherkennung sollte bei der Einführung von strukturierten Einladungsprogrammen berücksichtigt werden.
Die positiven Effekte eines körperlich aktiven Lebensstils bei Frauen, die eine Brustkrebserkrankung überlebt haben, sind wissenschaftlich gut belegt. Entsprechend bewegungsaktiv gestaltet sich die medizinische Rehabilitation. Dennoch gelingt es vielen Rehabilitandinnen nicht, den während der Rehabilitation hohen Bewegungsumfang längerfristig aufrecht zu erhalten.
Ziel dieser Studie ist es, eine Intervention zur nachhaltigen Verbesserung der körperlichen Aktivität bei körperlich wenig aktiven Frauen (< 60 Minuten) nach Brustkrebs, zu entwickeln, in Rehabilitationskliniken zu implementieren sowie die Wirksamkeit der Intervention zu prüfen.
Die Intervention basiert auf dem motivationalen-volitionalen Prozessmodell und heißt Motivational-volitionale Intervention – Bewegung nach Brustkrebs (MoVo-BnB). Die Entwicklung beinhaltete die systematische Zusammenstellung bestehenden Wissens, Definition des Curriculums, Entwicklung der Arbeitsmaterialien und Manualisierung (Spörhase 2019). Die Implementierung der Intervention umfasste die Elemente Trainerfortbildung, sukzessive Einführung der einzelnen Einheiten in zwei Rehabilitationseinrichtungen sowie zwei Visitationen im Rahmen der formativen Evaluation.
Die Wirksamkeitsprüfung erfolgte als prospektive kontrollierte, bi-zentrische Interventionsstudie mittels standardisierter schriftlicher Befragungen zu Reha-Beginn (T0) und -ende (T1) sowie sechs (T2) und zwölf Monate (T3) nach der Rehabilitation. Zielgruppe waren Frauen nach einer Brustkrebserkrankung. Primäres Zielkriterium war die Erhöhung der körperlichen Aktivität (BSA, Fuchs 2015) zu T2 im Vergleich zur Kontrollgruppe. Sekundäre Zielkriterien waren patientenberichtete Endpunkte (u.a. EORTC-QLQ C30, EORTC – QLQ BR23, EORTC-QLQ-FA12). Die statistische Auswertung des primären Endpunktes erfolgt durch den Intergruppenvergleich zu den T2 und T3 mittels Kovarianzanalyse unter Kontrolle der Ausgangswerte zu T0. Die Studie ist registriert (DRKS-ID: DRKS00011122), das Studienprotokoll publiziert (Adams 2019) und es liegt ein Ethikvotum der Landesärztekammer Baden-Württemberg vor (AZ: F-2014-091).
Kurzbeschreibung der Intervention: Die Intervention MoVo-BnB besteht aus vier Einheiten à 60 Minuten und wird von physiotherapeutischem oder gesundheitspädagogischem Personal angeleitet. Zu den Inhalten zählen u.a. Informationen zu Bewegung und Sportaktivitäten nach einer Brustkrebserkrankung, Identifizieren geeigneter Sportarten, Planen von Sportaktivitäten und Umgang mit Barrieren. Die Durchführung erfolgt in geschlossenen Kleingruppen. Jede Einheit folgt einem methodischen Grundrhythmus: (1) Einstieg, (2) Erarbeitung und Ergebnissicherung, (3) Vertiefung- und Reflexion, (4) Abschluss. Die Teilnehmerinnen ehrhalten neben einem Begleitheft ein Bewegungstagebuch für die Rehabilitation als auch für die Zeit danach.
Akzeptanz, Praktikabilität: Nach der mehrperspektivisch durchgeführten formativen Evaluation sind Inhalte, Vermittlungsmethoden und Begleitmaterialien manualgetreu umsetzbar und praktikabel. Die zusätzlich erhobene Interventionsbewertung durch die Teilnehmerinnen (n=418) fällt insgesamt mit einem Summenwert von 81 (Wertebereich 0-100: höhere Werte weise auf eine bessere Bewertung hin) ebenfalls gut aus.
Wirksamkeit: In die statistische Auswertung konnten aus den vier Messzeitpunkten insgesamt n=545 (57%) Fragebögen einbezogen werden [Interventionsgruppe (IG) n=279, Kontrollgruppe (KG) n=266]. Hinsichtlich der soziodemografischen und medizinischen Angaben bestehen keine signifikanten Unterschiede zwischen IG und KG, das mittlere Alter beträgt in beiden Gruppen 57 Jahre (SD: 9,9).
Der selbstberichtete zeitliche Umfang körperlicher Aktivität in Minuten pro Woche der IG beträgt zu T0, T1, T2, T3 (12, 202, 98, 98) und in der Kontrollgruppe (12, 197, 85, 75). Die IG ist zu T3 im Mittel 22 min/Woche (95%-CI 2,6 bis 41,5) sportlich aktiver als die KG (p=0,02). 49,1% der IG ist zu T3 mindestens 60 Minuten pro Woche sportlich aktiv, gegenüber 37,6% der KG (p < 0,01). Hinsichtlich der sekundären Zielkriterien (Lebensqualität, Fatigue, Depression, Angst, Teilhabe) unterscheiden sich IG und KG zu keinem der Erhebungszeitpunkte substanziell.
Fazit: Die Intervention MoVo-BnB erhöht die sportlichen Aktivität bei zuvor wenig sportlich aktiven Frauen nach einer Brustkrebserkrankung im ersten Jahr nach Abschluss einer medizinischen Rehabilitation nachhaltig.
Literatur: Adams L et al. Effectiveness of a motivational-volitional group intervention to increase physical activity among breast cancer survivors compared to standard medical rehabilitation - study protocol of a prospective controlled bi-centered interventional trial 2018; Eur J Cancer Care 2019 (accepted for publication)
Fuchs R et al. Messung der Bewegungs- und Sportaktivität mit dem BSA-Fragebogen. Z Gesundheitspsychol 2015; 23(2):60–76.
Spörhase U et al. Bewegung nach Brustkrebs aufnehmen und aufrechterhalten - ein Schulungsmanual. 2019: Tübigen: dgvt.
Hintergrund: Da Arbeit sinn- und identitätsstiftend sein kann sowie finanzielle Sicherheit und soziale Teilhabe ermöglicht, ist deren Wiederaufnahme ein wichtiger Teil des Genesungsprozesses von (Brust-)Krebspatientinnen und -patienten. Neben dem individuellen Nutzen geht die berufliche Wiedereingliederung mit gesellschaftlichen Vorteilen einher, da Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit mit Kosten für soziale Sicherungssysteme verbunden sind. Durch steigende Überlebensraten und verlängerte Erwerbsbiographien aufgrund des erhöhten Renteneintrittsalters, ist eine zunehmende Anzahl von (Brust-)Krebspatientinnen und -patienten mit der Herausforderung des beruflichen Wiedereinstiegs konfrontiert. Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, Rückkehrprozesse nachzuvollziehen, um Betroffene bestmöglich zu unterstützen.
Bislang sind diese Prozesse von (Brust-)Krebspatientinnen und -patienten jedoch noch nicht vollständig verstanden. Aktuell liegen wenige qualitative Untersuchungen vor, die die Perspektive der Betroffenen in den Fokus rücken, stattdessen mehr quantitative Analysen zu Zeitpunkt und Determinanten der Rückkehr. Besonders die Forschungslage zur beruflichen Wiedereingliederung von männlichen Brustkrebspatienten ist mangelhaft, da Stichproben häufig nur weibliche Betroffene umfassen.
Fragestellung: Wie nehmen männliche Brustkrebspatienten den Prozess der beruflichen Wiedereingliederung wahr?
Methode: Für die Analyse werden die Daten einer Mixed-Methods-Studie (Sekundärdatenanalyse der N-MALE-Studie) verwendet, in der sowohl quantitative Befragungsdaten (n=100), als auch qualitative Interviewdaten (n=27) männlicher Brustkrebspatienten erhoben wurden. Im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung stehen die Daten der leitfadengestützten Interviews, die mittels einer qualitativen Inhaltsanalyse untersucht wurden. Anhand von arbeitsbezogenen Schlagwörtern (z. B. Arbeit, Kollegen, Job) wurden n=14 relevante Interviews identifiziert, die in die vorliegende Analyse einbezogen wurden.
Ergebnisse: Mit Hilfe der qualitativen Inhaltsanalyse konnten acht Motive für eine Wiederaufnahme der Arbeit identifiziert werden: der Wunsch nach Normalität; Ablenkung; das Bedürfnis nach Aktivität; der Wunsch, soziale Kontakte aufrechtzuerhalten; Spaß an der Arbeit; finanzielle Gründe; sich nicht als krank wahrzunehmen; sowie die Tatsache, dass eine Arbeit ohne körperliche Anstrengung zur Rückkehr animiert. Auch die Erfahrungen mit der Brustkrebserkrankung im Kontext der Arbeit wurden untersucht. Die Erfahrungen bei der Rückkehr an den Arbeitsplatz wurden als vorwiegend positiv beschrieben – es wurden aber auch negative, stigmatisierende Vorkommnisse berichtet. Die Auswirkungen der Erkrankung bzw. Therapie führten bei den männlichen Brustkrebspatienten zu vielfältigen Veränderungen der Leistungsfähigkeit, u. a. limitierten Fatigue, Vergesslichkeit oder emotionale Belastungen die gefühlte Produktivität.
Diskussion: Die Betrachtung der Rückkehrprozesse zeigt, dass die berufliche Rückkehr männlicher Brustkrebspatienten ein sehr individueller Prozess ist, der durch vielfältige Motive geprägt ist. Die analysierten Motive geben Hinweise darauf, dass die befragten Brustkrebspatienten ihre Arbeit und deren Wiederaufnahme als einen selbstverständlichen Bestandteil des Lebens wahrnehmen. Die Auswirkungen der Krebserkrankung auf den späteren Arbeitsalltag sind umfassend und längerfristig. Neben einigen Erkenntnissen, die sich mit Ergebnissen des aktuellen Forschungsstandes für Krebspatientinnen und -patienten decken, konnte zusätzliches Wissen über spezifische Erfahrungen von männlichen Brustkrebspatienten generiert werden.
Praktische Implikationen: Hinweise auf spezielle Bedürfnisse bei der beruflichen Wiedereingliederung der Zielgruppe männlicher Brustkrebspatienten können im Rahmen dieser explorativen Untersuchung sichtbar gemacht werden.