Hintergrund:
Elektronische Gesundheitsakten (EGAs) können sowohl das Therapiemanagement als auch die Interaktion zwischen Arzt und Patient unterstützen. Insbesondere die Erfassung patientenberichteter Ergebnisse (patient-reported outcomes; PROs) kann die Patientenbeteiligung im Therapieprozess erhöhen. Diese Aspekte sind bei der Behandlung von Psoriasis als komplexe, chronische Erkrankung unerlässlich, weshalb der Einsatz von EGAs unter Einbezug von PROs für diese Patientengruppe vielversprechend ist. Der Umgang mit Gesundheitsdaten und insbesondere die Dateneingabe durch Patienten erfordert jedoch die Akzeptanz der Patienten. Daher zielt diese Studie darauf ab, die Einstellungen von Patienten mit Psoriasis zur Verwendung elektronischer Gesundheitsakten zu untersuchen und Unterschiede zwischen einzelnen Patientenuntergruppen zu identifizieren.
Fragestellung:
Welche Einstellung haben Patienten gegenüber dem Einsatz von PROs in der Behandlung? Welche Einstellungen haben Patienten gegenüber der Nutzung von EGAs bei der Behandlung? Gibt es Unterschiede zwischen Subgruppen von Patienten bezüglich der Einstellung zu EGAs und PROs?
Methode (inkl. Studiendesign, Datenerhebung und -auswertung):
Es handelt sich um eine beobachtende Querschnittsstudie. Die Daten wurden mithilfe eines standardisierten Fragebogens erfasst, der auf Grundlage von Ergebnissen aus Fokusgruppen mit Patienten mit Psoriasis entwickelt wurde. Die Teilnehmer wurden persönlich in einer Studienambulanz angesprochen sowie online über die Webseiten von Patientenorganisationen und in einer Psoriasis-Gruppe in sozialen Medien rekrutiert. Sie füllten Papier- oder Online-Versionen des Fragebogens aus. Die Auswertung erfolgte mithilfe deskriptiver Statistik sowie bivariater Analysen, welche Kreuztabellen, Chi²-Test und Fisher’s Exact Test umfassten.
Ergebnisse:
Die Stichprobe umfasste 187 Teilnehmer. Die Mehrheit der Teilnehmer betrachtet PROs als Entscheidungshilfe und als Möglichkeit für den Arzt, weitere Beschwerden des Patienten zu erkennen. Allerdings sind 60,6% der Patienten unsicher, ob PROs ihre Gefühle richtig widerspiegeln oder verneinen dies. Trotz des patientenzentrierten Fokus von PROs denken Patienten häufiger, dass Ärzte (85,5%) diese Daten eintragen sollten anstelle von Patienten selbst (74,7%). Während 88,2% der Teilnehmer der Meinung sind, dass die Verwendung einer EGA die Kommunikation zwischen Patient und Arzt verbessern kann, erwarten nur 64,5% Verbesserungen in der Beziehung zwischen Patient und Arzt. Die Teilnehmer betrachten die Visualisierung (z.B. durch Grafiken) von Daten als unterstützende Maßnahme für Gespräche zwischen Patienten und Ärzten (94.0%). Im Gegensatz dazu haben die Patienten sehr unterschiedliche Meinungen darüber, ob ein Vergleich ihrer Daten mit den Daten anderer Patienten hilfreich wäre. Insgesamt gehen 56,8% davon aus, dass sich ihr Aufwand durch die Verwendung einer EGA reduzieren kann, während 82,2% eine verbesserte Behandlungsqualität erwarten. Unterschiede zwischen einzelnen Patientengruppen können insbesondere bezüglich der Visualisierung von Daten sowie dem Vergleich mit Daten anderer Patienten ausgemacht werden.
Diskussion:
Die Ergebnisse zeigen, dass Patienten mit Psoriasis der Nutzung von PROs als auch EGAs generell optimistisch gegenüberstehen. Dies unterstützt die Ergebnisse anderer Studien, die Patienten als treibende Kraft für die Digitalisierung im Gesundheitswesen identifizieren. Diese Ergebnisse sind vielversprechend für die Entwicklung und Umsetzung von EGAs in die Routineversorgung.
Praktische Implikationen:
Ein Großteil der Patienten kann sich vorstellen, Daten in eine EGA einzutragen und sich somit aktiv am Behandlungsprozess zu beteiligen. Dabei ist es notwendig, dass dem Patienten die eigene Rolle klar beschrieben wird. Von Seiten der Ärzte und Leistungserbringer sind Bemühungen notwendig, damit sich der Patient als Partner im Behandlungsprozess und als Besitzer seiner Gesundheitsdaten versteht.
Hintergrund:
Durch zahlreiche Projekte in der Versorgungsforschung werden eHealth-Innovationen entwickelt und getestet. Die Ergebnisse sollen u.a. genutzt werden, um die Versorgungspraxis im Pflege- und Gesundheitswesen zu optimieren. Bei der Entwicklung, Einführung sowie der Evaluation von eHealth- Interventionen ist es wichtig verschiedene Perspektiven einzuschließen. Neben Faktoren des Implementierungskontexts, wie beispielsweise der Organisationskultur, spielt die Einstellung der Anwenderinnen und Anwender für den Implementierungsprozess und dessen Erfolg eine wesentliche Rolle. Die Nutzer von Interventionen können durch ihre Einstellungen, wie beispielsweise die Akzeptanz des Systems, die Umsetzung und Integration der Intervention in die Versorgungspraxis wesentlich beeinflussen. Dies kann sich letztlich positiv oder negativ auf Interventionseffekte auswirken.
Im Rahmen des Projekts „solimed ePflegebericht“, welches auf eine Optimierung der sektorenübergreifenden Kommunikation im Pflege- und Gesundheitswesen abzielt, wird u.a. eine nutzenorientierte Erprobung eines elektronischen Pflegeberichts (ePB) in einem regionalen Versorgungsnetzwerk durchgeführt. Ein Bestandteil des Evaluationskonzepts des Projekts ist es, die Mitarbeitereinstellungen zum Einsatz des ePB zu erfassen und zu analysieren.
Fragestellungen:
Welche Einstellungen haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Pflege- und Gesundheitswesen bzgl. der Anwendung des ePB? Wie stellen sich die Veränderungsbereitschaft und Akzeptanz für den ePB aus Sicht der Anwender im Versorgungsnetzwerk dar?
Methode:
Um die Fragestellungen zu beantworten, wird eine standardisierte Datenerhebung mittels Fragebogen durchgeführt. Der Datenerhebungszeitraum beginnt im Juni 2019. In die Befragung eingeschlossen werden alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der am Projekt beteiligten Pflege- und Gesundheitseinrichtungen, die die Intervention im Versorgungsalltag zukünftig nutzen sollen. Zu den Projektpartnern gehören insgesamt drei ambulante Pflegedienste, drei stationäre Pflegeinrichtungen, drei Krankenhäuser der Akutversorgung sowie über 20 Hausarztpraxen. Um eine möglichst große Response zu erreichen, werden verschiedene Zugangswege für die Befragung zur Verfügung gestellt (online und papierbasiert). Der Fragebogen wird zurzeit in Anlehnung an bereits bestehende Instrumente, wie beispielsweise das Organizational Readiness to Change Assessment (ORCA), entwickelt. Neben der deskriptiven Analyse werden die Daten explorativ ausgewertet, um Zusammenhänge und Unterschiede in Subgruppen zu untersuchen. Dafür werden vorab relevante Subgruppen definiert.
Ergebnisse:
Die Ergebnisse der Befragung werden zunächst deskriptiv dargestellt. Dabei werden die Ergebnisse für verschiedene Gruppen, wie z.B. Sektorenzugehörigkeit, Alter und Geschlecht, zusammengefasst abgebildet. Darüber hinaus wird erwartet, dass weitere Zusammenhänge bzw. Unterschiede in der Akzeptanz sowie Veränderungsbereitschaft zwischen den einzelnen Gruppen durch die explorative Analyse aufgezeigt werden können.
Diskussion:
Die Ergebnisse der standardisierten Befragung stellen Selbstberichte der Anwenderinnen und Anwender dar. Die Selbstberichte aus den Anwenderbefragungen sollen mit Parametern anderer Datenerhebungen in Verbindung gesetzt werden, um die Akzeptanz und Nutzung des ePB ganzheitlich abzubilden und im Zusammenhang mit den Effekten der Intervention betrachten zu können. Da der Status der Implementierung des ePB in den einzelnen Einrichtungen des Projekts variiert, wird angenommen, dass auch der Anwenderstatus zum Zeitpunkt der Befragung unterschiedlich ist. Das bedeutet, dass an der Befragung sowohl potenzielle Anwender teilnehmen als auch Fachkräfte, die bereits Erfahrungen mit dem Einsatz des ePB im Versorgungsalltag gesammelt haben. Inwiefern dies eine Limitation der Ergebnisse darstellt und welche weiteren Parameter für einen Abgleich mit den Selbstberichten zum Einsatz des ePB geeignet erscheinen, soll diskutiert werden.
Praktische Implikation:
Durch die Befragung zur Veränderungsbereitschaft und Akzeptanz des ePB wird sichergestellt, dass die Anwenderperspektive in der Implementation und Evaluation der eHealth-Intervention berücksichtigt wird. Dies ist zum einen wichtig, um den potentiellen Einfluss der Anwender auf die Interventionseffekte des ePB zu untersuchen. Zum anderen können die Ergebnisse der Anwenderbefragung genutzt werden, um potentielle Maßnahmen anzustoßen, die zur Optimierung des Implementierungsprozesses und der eHealth-Intervention dienen. Eine Weiterentwicklung der Intervention auf Basis der Befragungsergebnisse kann die Akzeptanz der Intervention steigern und somit die Anwendung in der Versorgungspraxis positiv beeinflussen.
Hintergrund
Wie andere Gesellschaftsbereiche ist das Gesundheitssystem vom weitreichenden Prozess der Digitalisierung betroffen. Bisher wenig erforscht ist die Frage, wie sich diese Prozesse nicht nur auf die praktischen Tätigkeiten, sondern auch auf das berufliche Selbstverständnis der Betroffenen auswirken. In der qualitativen Teilstudie des Verbundforschungsvorhabens „MySUPPORT“ (Leitung: Prof. Dr. Gerhild Becker, Klinik für Palliativmedizin, Universitätsklinikum Freiburg; Laufzeit: 2016-2019) wurden im Vorfeld der Entwicklung eines Tablet/APP-basierten elektronischen Screening-Systems für palliative Patienten*innen die Haltungen, Befürchtungen und Wünsche der palliativmedizinisch Beschäftigten zu einem derartigen elektronischen Screening-System erforscht. Aus den Aussagen wurden zudem die dahinterliegenden Professionsverständnisse der Behandler*innen rekonstruiert.
Fragestellung
In diesem Beitrag soll ein Teil der Ergebnisse der Rekonstruktion des Professionsverständnisses palliativer Behandler*innen präsentiert werden. Außerdem soll es gezeigt werden, welche erweiterten oder einschränkenden Handlungsspielräume die Befragten durch die Einführung eines elektronischen Screening-Systems sehen.
Methoden
Im Rahmen des Teilprojektes wurden 19 Expert*inneninterviews mit Behandler*innen geführt (10 Ärzt*innen, 9 Pflegende), transkribiert und mittels der Qualitativen Inhaltsanalyse nach Schreier (2012) ausgewertet. Um tieferliegende Konzepte bezüglich des Professionsverständnisses zu analysieren, wurden im Anschluss 8 der 19 Interviews (4 Ärzt*innen, 4 Pflegende) ausgewählt und mit dem Integrativen Basisverfahren (Kruse 2014) durch zwei Forscherinnen ausgewertet. Mittels der Analyse von Semantik, Grammatik und Metaphorik ermöglichte es Zugang zu latenten Konzepten. Alle 8 Interviews wurden in Fallexzerpten aufgearbeitet und diese im Anschluss miteinander verglichen.
Ergebnisse
Die Befragten sehen ihre Handlungsmacht innerhalb des jeweiligen Settings durch verschiedenste Einflüsse begrenzt. Dabei handelt es sich um Rahmenbedingungen wie etwa ökonomische Zwänge, Zeitdruck, die Notwendigkeit der Priorisierung auf Grund begrenzter Ressourcen, aber auch das palliativmedizinische Setting als solches, bei dem klar ist, dass bestenfalls Linderung, aber nicht mehr Heilung möglich ist. Hinzu kommen zwischenmenschliche Faktoren: Mit Verweis auf die eigene Selbstfürsorge begrenzen die Behandler*innen ihre Handlungsspielräume, indem sie deutlich machen, dass sie nicht zu jeder Zeit und allen ein „Mehr“ zukommen lassen können, um sich selbst nicht dauerhaft zu überlasten. Auch die Behandler-Patient-Beziehung begrenzt die Handlungsmacht der Behandler*innen, da aus Sicht der Befragten die eigene Handlungsmacht auch von der Mitarbeit der Patient*innen abhängt. Gleichzeitig suchen sich die Befragten immer wieder Wege, ihre eigene Handlungsmacht zu erweitern, etwa durch flexible Strategien beim Erkennen der Bedarfe und Bedürfnisse der Patient*innen oder durch ein „Mehr“ an Aufwand, das für Patient*innen jenseits der Basisversorgung betrieben wird.
In der Einführung eines Screening-Systems sehen die Behandler*innen die Möglichkeiten sowohl zur Erweiterung als auch Einschränkung ihrer Handlungsspielräume. Das von den Patient*innen selbst ausgefüllte Screening erlaubt eventuell verborgene nicht-behandelte Probleme aufzudecken und somit neue Perspektiven auf Gesprächsführung und Anpassung der Versorgung eröffnen. Befragte sehen das als mögliche Unterstützung für noch unerfahrenen Behandler*innen. Auf der anderen Seite kritisieren Befragte, dass das geplante Screening-System zur Überfokussierung auf erhobene Outcomes und einzelne Themen führen kann. Sie befürchten, dass somit situatives Aushandeln der Prioritäten eingeschränkt wird und auch der ganzheitliche Blick auf Patient*innen verloren geht. Auch wird das System laut den Befragten ohnehin knappe personelle Ressourcen möglicherweise stärker beanspruchen oder neue zusätzliche Aufgaben schaffen.
Diskussion
Die Ergebnisse zeigen, dass die Befragten konstant die Grenzen und Möglichkeiten ihrer Handlungsmacht ausbalancieren. Die Haltungen zum Screening-System hängen vor allem davon ab, wie sehr die Befragten ihre eigene Handlungsmacht dadurch in Frage gestellt fühlen. Zum Zeitpunkt der Befragung steht die Akzeptanz des Screening-Systems im Zusammenhang mit den antizipierten Auswirkungen auf das Professionsverständnis der Behandler*innen. Jene, die es als Einschränkung der eigenen Handlungsmacht verstehen, lehnen es eher ab.
Praktische Implikationen
Das Verstehen der möglichen Auswirkungen auf den erlebten Handlungsspielraum der Behandler*innen ist ein wichtiger Schritt und Voraussetzung für die Entwicklung, Implementierung und Akzeptanz digitaler Innovationen, etwa in der Palliativmedizin.
Finanzierung
Das Verbundforschungsvorhaben MySUPPORT wird durch das Land Baden-Württemberg im Rahmen der Sonderlinie Hochschulmedizin gefördert.
Hintergrund. Aktuell gibt es nur wenige umfassende Studien zur Akzeptanz von TMA bei multimorbiden, älteren Patienten. Im Projekt ATMoSPHÄRE wurden die Adhärenz und Akzeptanz einer Telemonitoring-Anwendung durch multimorbide Patienten über 65 Jahre im häuslichen Umfeld evaluiert.
Fragestellungen.
Sind Studienpatienten adhärent hinsichtlich der hausärztlich verordneten Vitaldatenmessungen über telemedizinische Messgeräte?
Welche demographischen Variablen haben einen Einfluss auf die Nichtakzeptanz einer TMA?
Methoden. Studienteilnehmer bekamen in einer longitudinalen multizentrischen Studie ein Tablet und Messgeräte, über welche sie im häuslichen Umfeld Vitalwerte versenden und Versorgungsinhalte abrufen konnten. Studienhausärzte verordneten den Patienten Vitaldatenmessungen (Blutdruck (RR), Herzfrequenz (HF), Sauerstoffsättigung (SpO2), Körpergewicht (KG)) und Messfrequenzen (täglich, wöchentlich, mehrmals wöchentlich). Adhärenzdaten wurden wöchentlich individuell erhoben und mittels Mehrebenenanalysen ausgewertet. Gründe für Nichtakzeptanz der TMA wurden über computerbasierte Telefoninterviews mit Studienabbrechern erhoben und subgruppenspezifisch analysiert.
Ergebnisse. 177 Patienten wurden in die Studie eingeschlossen, wovon 34,5% (n=61) Studienabbrecher sind. Patienten, die 1xwöchentlich RR/HF messen sollten, haben weniger gemessen, als sie sollten. Patienten, die täglich und mehrfach wöchentlich messen sollten, haben mehr gemessen. Hauptsächlich Frauen, signifikant mehr alleinlebende/verwitwete Patienten, Patienten über 75 Jahre und Patienten mit niedrigem Schulbildungsgrad gaben Schwierigkeiten im Umgang mit dem Tablet und der Tablet-Software Motiva an.
Diskussion. Die Übermessung der täglich messenden Patienten kann an der Fehleranfälligkeit der Tablets oder an der mangelnden/fehlenden Internetverbindung liegen, wodurch Patienten gezwungen waren, Messungen mehrmals vorzunehmen, um die Datenübertragung sicherzustellen. Patienten könnten ein gesteigertes Interesse an der Messung eigener Vitaldaten haben oder Ängste könnten diesen Übermessungen zugrunde liegen. Ein zielgruppenorientiertes Vorgehen ist bedeutend, um vulnerablen Zielgruppen wie z.B. alleinlebenden/verwitweten Patienten und Patienten mit niedrigem Schulbildungsgrad eine hausärztliche telemedizinische Versorgung zu gewährleisten und die Anwendungshandhabung zu erleichtern.
Fazit. Für eine Erhöhung der Adhärenz und Akzeptanz vom TMA sollte die einzusetzende Hardware hinsichtlich der technischen Fehleranfälligkeit vor dem Einsatz geprüft und eine stabile Internetverbindung sichergestellt werden. Um eine optimale Nutzerzentrierung und -akzeptanz in der Anwendung von TMA zu gewährleisten, ist eine Vorab-Analyse der einzubindenden Kohorte unumgänglich.
Hintergrund/Problemstellung und Fragestellung:
Als flächengrößtes ostdeutsches Bundesland verfügt Brandenburg nur über eine sehr geringe Bevölkerungsdichte, die voraussichtlich bis zum Jahr 2030 weiter abnehmen wird (Baumgardt 2012). Zusätzlich erschweren regionale strukturelle Unterschiede die Sicherstellung einer flächendeckenden und vor allem bedarfsgerechten medizinischen Versorgung (AGENON 2009). In den kommenden Jahren wird es in der Facharztrichtung Dermatologie insbesondere in den berlinfernen Regionen des Landes zunehmend schwieriger offene Arztsitze neu zu besetzen. Für Patienten bedeutet dies, dass eine hochwertige medizinische Versorgung in vielen Fällen mit langen Wartezeiten und weiten Fahrtstrecken verbunden ist (Baumgardt 2012).
Mit Hilfe der Machbarkeitsstudie TeleDermaBB soll überprüft werden, inwieweit sich telemedizinische Ansätze eignen, um der angespannten dermatologischen Versorgungssituation zu begegnen. Um eine praxistaugliche Anwendung zu erarbeiten, ist es von besonderem Interesse, inwiefern telemedizinische Tools bei den eigentlichen Anwendern auf Akzeptanz treffen und wie die regionale Zusammenarbeit der involvierten Akteure gestaltet ist. Die Machbarkeitsstudie untersucht folgende Fragestellungen:
⇒ Halten Leistungserbringer die Implementierung von telemedizinischen Ansätzen in die dermatologische Versorgung im Land Brandenburg für sinnvoll?
⇒ Besteht die Bereitschaft unter niedergelassenen Dermatologen und Hausärzten telemedizinische Ansätze zu erproben?
⇒ Wie sind telemedizinische Techniken und Webtools zu gestalten, damit sie von Patienten und Leistungserbringern genutzt und in den Praxisalltag integriert werden?
Herangehensweise/Methodik:
Das Studiendesign besteht aus qualitativen und quantitativen Forschungsmethoden und fußt somit auf einen Mixed-Methods Ansatz:
l Leitfadeninterviews mit Leistungserbringern und Stakeholdern in der dermatologischen Versorgung im Land Brandenburg
ll Fragebogenerhebung an a) Dermatologen und b) Hausärzte im Land Brandenburg
lll Fokusgruppen zur Entwicklung eines telemedizinischen Konzeptes in der Versorgung von dermatologischen Erkrankungen unter Einbezug von Hausärzten, Dermatologen und Stakeholdern.
Zwischenergebnisse (Stand: 25.03.2019), Fazit:
Bei der Fragebogenerhebung konnte insgesamt ein Rücklauf von 18 % (16,3 % Hausärzte und 48,2 % Dermatologen) erzielt werden:
• Über die Hälfte (rund 60 Prozent) der an der Studie teilgenommenen Mediziner, möchten Telemedizin zukünftig anwenden. Spezielle Gründe verhindern jedoch die Umsetzung in den Praxisalltag: ‘Administrativer Aufwand‘ (39,3%), ‘Anschaffung der Technik‘ (38,7 %), ‘Schwache Vergütung‘ (33,9 %), ‘Datensicherheit‘ (28,5 %).
• Bezogen auf die zukünftige Arbeitssituation wird die Bedeutung von Telemedizin höher eingestuft, als aktuell. So gaben 11,1 % der Erhebungsteilnehmer an, dass Telemedizin aktuell eine sehr große bis große Bedeutung hat – für die zukünftige Einschätzung der Arbeitssituation steigt diese auf 19,5 % an. Im Vergleich dazu sagen 68,5 % der befragten Mediziner, dass Telemedizin aktuell keine bis überhaupt keine Bedeutung in der Arbeitssituation einnimmt – zukünftig liegt die Einschätzung bei 36,3 Prozent.
• Rund 75 Prozent der Befragten gaben an, dass Dermatologie eine geeignete Facharztgruppe für telemedizinische Anwendungen darstellt. Mit dem Einsatz von telemedizinischen Anwendungen erhoffen sich die im Rahmen der Experteninterviews befragten Ärzte
- die Reduktion von Wartezeiten und Fahrtstrecken für Patienten,
- die Stärkung der kollegialen Zusammenarbeit der Hausärzte und der Dermatologen sowie
- die Optimierung der Behandlungsqualität.
Titel: Bereitschaft zur Nutzung von Teledermatologie in der ländlichen Bevölkerung Bayerns
Hintergrund: Die Teledermatologie bietet einige Potenziale für eine verbesserte dermatologische Versorgung, besonders in ländlichen Regionen. Store-and-forward-Technologien, die das Senden von Fotos an den Hautarzt beinhalten, gelten aufgrund der Sichtbarkeit von Hauterkrankungen und der geringeren technischen und organisatorischen Anforderungen im Vergleich zu Real-Time-Technologien im Bereich der Teledermatologie als besonders vorteilhaft. Jedoch gibt es bisher keinerlei Daten, die zeigen, ob die (bayerische) Allgemeinbevölkerung bereit wäre, solche Technologien in Anspruch zu nehmen.
Fragestellung: Wie groß ist die Bereitschaft zur Nutzung von store-and-forward Teledermatologie in der ländlichen Bevölkerung Bayerns? Was sind Bedenken hinsichtlich der Nutzung von store-and-forward Teledermatologie?
Methode: Die Daten dieser Querschnittsanalyse stammen aus zwei verschiedenen Befragungen. Ein Teil der Daten wurde im Rahmen einer Gesundheitsbefragung im Bayerischen Wald erhoben (Q1/2017), bei der die Studienteilnehmer in Wartezimmern nicht-dermatologischer Arztpraxen rekrutiert wurden. Der zweite Teil der Daten wurde im Rahmen einer Follow-up-Befragung (Q1/2018) einer laufenden Kohortenstudie gesammelt. Die Studienteilnehmer waren auf einem bayerischen Landwirtschaftsfest rekrutiert worden. In beiden Befragungen beantworteten die Studienteilnehmer die Frage, ob sie bereit wären, ihrem Hautarzt Fotos von Hautveränderungen über das Internet zu schicken, und falls „nein“, warum nicht. Die Antworten wurden deskriptiv ausgewertet. Subgruppen wurden mithilfe des Chi2-tests verglichen. Die Nutzungsbereitschaft in städtischen und ländlichen Regionen wurde mittels logistischer Regression verglichen, wobei für Alter, Geschlecht, Vorliegen einer Hauterkrankung und Art der Rekrutierung (Gesundheitsbefragung im Bayerischen Wald vs. Landwirtschaftsfest) kontrolliert wurde. Die Bedenken hinsichtlich Teledermatologie wurden qualitativ kategorisiert und anschließend deskriptiv ausgewertet.
Ergebnisse: Die Daten von 1.116 Studienteilnehmer mit Wohnsitz in Bayern wurden analysiert (Altersdurchschnitt 50,2 Jahre, 58% Frauen, 80% mit Wohnsitz in ländlichen Regionen). Insgesamt waren 37% der Studienteilnehmer bereit, ihrem Hautarzt Fotos von Hautveränderungen über das Internet zu schicken. Männer zeigten eine deutliche höhere Nutzungsbereitschaft als Frauen (46% vs. 30%, p < .001). Es zeigte sich außerdem ein Zusammenhang zwischen der Nutzungsbereitschaft und dem Alter (p=.025); so waren 44% der 30-44-Jährigen, aber nur 29% der ab-65-Jährigen breit für die Nutzung von Teledermatologie. Studienteilnehmer, die in ländlichen Regionen lebten, wiesen zudem eine deutlich geringere Nutzungsbereitschaft auf als Studienteilnehmer mit Wohnsitz in städtischen Regionen (z.B. 32% in dünn besiedelten ländlichen Regionen, 53% in Großstädten; p=.022). Kontrolliert für Alter, Geschlecht, Vorliegen einer Hauterkrankung und Art der Rekrutierung hatten Studienteilnehmer aus städtischen Regionen eine 40% höhere Chance, offen für die Nutzung von Teledermatologie zu sein, als Studienteilnehmer aus ländlichen Regionen (OR=1.4, KI=[1.02; 1.96]). Die häufigsten Bedenken im Zusammenhang mit Teledermatologie waren Unpersönlichkeit, Zweifel an der diagnostischen Leistung und Privatsphäre- und Datenschutzbedenken.
Diskussion: Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass die Bereitschaft zur Nutzung von Teledermatologie stark zwischen Männern und Frauen, ländlichen und städtischen Regionen sowie Altersgruppen variiert. In ländlichen Regionen, in denen teledermatologische Angebote besonders zu einer besseren fachärztlichen Versorgung beitragen könnten, war nur etwa ein Drittel der Studienteilnehmer bereit einem Hautarzt Fotos von Hautveränderungen zu schicken.
Praktische Implikationen: Damit die Teledermatologie ihr Potenzial für eine verbesserte dermatologische Versorgung in den ländlichen Regionen voll entfalten kann, sollte die Bevölkerung über die Funktionsweisen und Vorteile der Teledermatologie aufgeklärt werden und Datenschutzbedenken sollten adressiert werden.
Hintergrund
Die Proof-of-Concept-Netzwerkstudie „Rheuma-VOR“ hat die Verbesserung der rheumatologischen Versorgungsqualität durch koordinierte Kooperation zum Ziel. Insbesondere sollen rheumatische Erkrankungen möglichst früh diagnostiziert und schneller zielgerichtet behandelt werden [3]. Die Einsatzmöglichkeiten von Smartphone Apps bergen auch für chronische Erkrankungen ein großes Potenzial. Durch Sie können zum Beispiel Gesundheitsinformationen vermittelt oder auch Möglichkeiten des Selbst-Monitorings und des Selbstscreenings angeboten werden [1, 2].
Fragestellung
Kann eine Smartphone APP, die Frühdiagnose einer entzündliche-rheumatischen Erkrankungen bei einem primärversorgenden Arzt unterstützen?
Methode
Durch die Rheuma-VOR Screening-App Studie wird geprüft, ob die Detektionsrate der rheumatischen Erkrankungen Rheumatoide Arthritis, Psoriasis Arthritis und Spondylarthritis mithilfe einer Smartphone-App erhöht werden kann.
Anhand des mehrstufigen Delphi-Verfahrens wurde eine minimale Liste an Fragen zur Detektion und Differenzierung zwischen den drei Erkrankungen festgelegt. Die Apps für iOS und Android werden seit Oktober 2018 im Rahmen der Screeningsprechstunde am ACURA Rheumazentrum in Bad Kreuznach eingesetzt. Eine weitere Validierung ist mit einer nichtvorselektierten Kohorte im Zuge der Rheuma-Bus-Tour 2019 geplant.
Ergebnisse
Im Delphi-Verfahren wurden 17 Fragen für ein Differentialscreening der drei Erkrankungen identifiziert, darunter vier Laborparameter. Die Fragen werden dem Patienten vorgelesen und bieten die Antwortmöglichkeiten „JA“, „NEIN“ und „WEISS NICHT“. Das Beantworten der Fragen benötigt ungefähr vier Minuten. Die Verdachtsdiagnosen basieren auf einem kumulierten Score. Einige Diagnosen werden bereits nach wenigen Fragen ausgeschlossen bzw. bestätigt. Bis dato wurde die App bei 158 Patienten verwendet. Die Sensivität lag dabei bei 0,75, während die Spezifität 0,37 betrug. Der positive prädiktive Wert und der negative prädiktive Wert lagen bei 0,64 respektive 0,51. Zudem wurden der falsch positive Wert mit 0,25 und der falsch negative Wert mit 0,15 bestimmt.
Praktische Implikationen
Die Rheuma-VOR App bietet einen guten Ansatz für Ärzte und Patienten, den Verdacht einer möglichen rheumatischen Erkrankung zu entkräften bzw. zu bestärken.
Diskussion
Ziel ist es, den Algorithmus weiter zu entwickeln, um die Spezifität zu steigern. Ein finales Validierungskonzept wird zurzeit erarbeitet. Im Laufe des Spätjahres 2019 erhält die App einen Bereich mit den wichtigsten Informationen über die oben genannten drei Erkrankungen. Diese berücksichtigen Definition, Ätiologie, Prognose, Symptome, therapeutische Prinzipien, Medikation und Fallbeispiele.
Literatur:
1. Kuijpers W, Groen WG, Aaronson NK et al. (2013) A systematic review of web-based interventions for patient empowerment and physical activity in chronic diseases: relevance for cancer survivors. Journal of medical Internet research 15:e37
2. Payne HE, Lister C, West JH et al. (2015) Behavioral functionality of mobile apps in health interventions: a systematic review of the literature. JMIR mHealth and uHealth 3:e20
3. Schwarting A (2018) Von ADAPTHERA zu Rheuma-VOR: Konzept der koordinierten Kooperation zur Verbesserung der rheumatologischen Versorgungsqualität. Akt Rheumatol 43:406-409
Der Aufbau von Rheuma-VOR wird aus Mitteln des Innovationsfonds über drei Jahre gefördert. Der Innovationsausschuss beim Gemeinsamen Bundesausschuss fördert in den Jahren 2016 – 2019 neue Versorgungsformen, die über die bisherige Regelversorgung hinausgehen und diese nachhaltig verbessern.