Hintergrund
Bislang werden Patientensicherheitsthemen und -problematiken v. a. im Zusammenhang mit bestimmten Settings und Institutionen erhoben und ausgewertet, wie z. B. durch Befragungen mit Bezug auf die Einrichtungen oder bestimmte Therapie- und Behandlungssituationen. Übergreifende Untersuchungen oder Erhebungsinstrumente, welche die Sicht von Patient*innen oder Bürger*innen erfassen, existieren kaum bis auf wenige Ausnahmen (vgl. z. B. Ricci-Cabello et al. 2016).
Im Rahmen des Forschungsprojekts „Gestaltungskompetenz als Innovator für hochzuverlässige Organisationen im Gesundheitssystem“ (GIO) wird u. a. die Frage untersucht, welche Erfahrungen Bürger*innen zu Patientensicherheitsthemen gemacht haben, um darauf aufbauend allgemeine Versorgungsbedarfe und -defizite zu identifizieren und abzuleiten. Ziel der Befragung war es, aus Bürger*innenperspektive ein umfassendes Bild über die Wahrnehmung und Erfahrungen in Bezug auf Patientensicherheitsaspekte zu erlangen, um somit bis dato fehlende Informationen zur Beschreibung der Kontextbedingungen zu erfassen und in das Gesamtprojekt einzuspeisen.
Fragestellung
Neben weiteren standardisierten Fragen zur Einschätzung und Wahrnehmung von Patientensicherheitsaspekten, wurden die folgenden zwei offenen Fragen zur Identifikation von Versorgungsbedarfen und -defiziten aus Bürger*innenperspektive gestellt:
1. „In welchen Situationen wurden von den Bürger*innen Unsicherheiten erlebt in der letzten hausärztlichen oder Krankenhausbehandlung?“
2. „Welche Fehlertypen oder Beinaheschäden haben die Befragten selber oder deren Angehörige schon einmal während einer hausärztlichen oder Krankenhausbehandlung erfahren?“
Methode
Die Fragebögen wurden postalisch an 2.944 Bürger*innen aus einer Einwohnermeldeamtsstichprobe in der Stadt Osnabrück verschickt. An der Befragung nahmen 355 Personen (137 Personen männlich und 218 Personen weiblich) im Alter zwischen 19 und 80 Jahren teil. Neben weiteren standardisierten Fragen zur Wahrnehmung und allgemeinen Einschätzung von Patientensicherheitsthemen, wurden die Befragten in dem Fragebogen mit jeweils zwei Freitextfeldern nach den o. g. Situationen bzw. Fehlertypen und Beinaheschäden gefragt.
Die Auswertung der Freitextfelder erfolgte induktiv in Anlehnung an die zusammenfassende Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) mit der Software MAXQDA. Das induktiv gebildete Kategoriensystem wurde von einer weiteren Person zur Überprüfung der Intercoderreliabilität recodiert und überprüft. Unstimmigkeiten wurden im Konsens gelöst.
Ergebnisse
Es wurden Kategorien für erlebte Unsicherheiten wie z. B. „Medikationsverordnung und -verabreichung“, „Informationskontinuität/Kommunikationsprobleme“ oder auch subjektiv wahrgenommene Unsicherheiten wie „Patient*in fühlt sich nicht ausreichend aufgeklärt/alleine gelassen“ aus den Freitextfeldern identifiziert.
Bei der Auswertung von erlebten Fehlertypen oder Beinaheschäden wurden Kategorien wie z. B. „Falsche Diagnose“, „Fehlerhafte Behandlung/Therapie“ oder „Patient*in wurde nicht zugehört/fühlt sich nicht ernst genommen“ ermittelt.
Die induktive Auswertung der Ergebnisse ergab bei der vergleichenden Gegenüberstellung, dass bei den Angaben zur hausärztlichen und der Krankenhausbehandlung ähnliche Kategorien identifiziert wurden.
Diskussion/Praktische Implikation
Die Perspektive von Personen, die sich nicht unmittelbar in einer Gesundheitseinrichtung oder Behandlungssituation befinden, wird bisher kaum berücksichtigt in der Versorgungsforschung, um hieraus Versorgungsbedarfe und -defizite abzuleiten für die Versorgungsgestaltung. Die Auswertungsergebnisse weisen darauf hin, dass neben eher objektiven Kriterien wie „falsche Medikamentengabe“ etc., auch subjektiv wahrgenommene Aspekte, wie „Patient*in fühlt sich nicht ernst genommen“ oder „Patient*in wurde nicht zugehört“, relevant für Patientensicherheitsaspekte sein könnten.
Entsprechende interaktive Lernangebote für Mitarbeiter*innen in Gesundheitseinrichtungen, die sich mit Themen zur Patientensicherheit befassen, werden im nächsten Projektschritt des GIO-Forschungsprojekts entwickelt und erprobt. Diese werden u. a. auf diese Versorgungsbedarfe aus Sicht der Bürger*innen abzielen bzw. diese berücksichtigen.
Weitere Hintergrundinformationen
Informationen zum GIO-Projekt unter: www.nachhaltige-patientensicherheit.de.
Das Studienvorhaben wurde von der Ethikkommission der Universität Osnabrück positiv begutachtet.
Literatur
Mayring, P. (2015). Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. 12., überarbeitete Auflage. Weinheim, Basel: Beltz.
Ricci-Cabello, I.; Avery, A.J.; Reeves, D.; Kadam, U.T.; Valderas, J.M. (2016): Measuring Patient Safety in Primary Care: The Development and Validation of the "Patient Reported Experiences and Outcomes of Safety in Primary Care" (PREOS-PC). In: The Annals of Family Medicine. 2016; 14 (3), S. 253-261.
Hintergrund
Im GKV-Versorgungsstärkungsgesetz vom Juli 2015 (§ 27b SGB V) ist der Anspruch auf Zweitmeinung (ZM) gesetzlich verankert. Die Verfahrensregeln für die ZM hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in einer Richtlinie vom 21. September 2018 konkretisiert. Gesetzlich versicherte PatientInnen haben seither einen Rechtsanspruch auf eine unabhängige ärztliche ZM bei bestimmten planbaren Eingriffen wie Tonsillektomie und Tonsillotomie sowie Hysterektomie. Künftig hat der/die indikationsstellende Arzt/Ärztin PatientInnen über ihr Recht auf ZM aufzuklären. Die/der PatientIn wird auf die eingriffsspezifischen Entscheidungshilfen hingewiesen, die das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) im Auftrag des G-BA entwickelt. Das Angebot von ZM-Verfahren ist in Deutschland zunehmend und durch Insellösungen sehr heterogen.
Fragestellung
Vorrangiges Ziel des Projektes ist es, valide Kriterien für ZM-Verfahren zu entwickeln, die den Bedürfnissen der PatientInnen entsprechen, die Gesundheitskompetenz steigern und zur informierten Entscheidungsfindung beitragen.
Methode
Die Studie gliedert sich in zwei aufeinander aufbauende Module: 1. Bestandsaufnahme von ZM-Verfahren mit schriftlichen Befragungen und Interviews, 2. Bedarfsanalyse mit quantitativen und qualitativen Methoden (schriftlichen Befragungen, Interviews, Fokusgruppen, teilnehmende Beobachtungen).
Im Modul 1 werden gesetzliche (n=109) und private (n=52) Krankenversicherungen sowie Anbieter von ZM-Verfahren befragt.
Im Modul 2 wird zunächst eine repräsentative Befragung in der Allgemeinbevölkerung (Zielgröße n=2000) durchgeführt. Im Weiteren werden spezifische PatientInnengruppen befragt: 1. Personen, die von einem/einer niedergelassenen Facharzt/Fachärztin eine OP-Indikation erhalten (n=400), 2. Personen, bei denen innerhalb des letztes Jahres eine Tonsillektomie/Tonsillotomie oder Hysterektomie vorgenommen wurde (n=450), 3. Personen nach telekonsiliarischer ZM (n=400) sowie 4. Mitglieder von Selbsthilfegruppen, niedergelassene FachärztInnen und VertreterInnen von Fachgesellschaften. Die Daten aus den standardisierten Fragebögen werden deskriptiv mittels Regressionsanalysen ausgewertet. Darüber hinaus werden bei allen Patientengruppen sowie den Selbsthilfegruppen und ÄrztInnen problemzentrierte Interviews und Fokusgruppen durchgeführt. Die Auswertung der qualitativen Daten erfolgt mit Hilfe der qualitativen Inhaltsanalyse, die eine regelgeleitete Extraktion relevanter Bedeutungsdimensionen erlaubt.
Erwartete Ergebnisse
Das Projekt wird wichtige Erkenntnisse zur derzeitigen Umsetzung von ZM-Verfahren liefern. Insbesondere werden im Rahmen der Bestandsanalyse Informationen bezüglich der Umsetzbarkeit von ZM-Verfahren erhoben und die aktuelle Versorgungssituation kann entsprechend beurteilt werden. Darüber hinaus werden aktuelle Informationen zum Inan-spruchnahmeverhalten von ZM-Verfahren erhoben. Das Projekt wird relevante Erkenntnisse liefern, wie PatientInnen den Beitrag der ZM zu einer informierten Entscheidungsfindung erleben und welche Ansprüche an die Gesundheitskompetenz der PatientInnen ein ZM-Prozess stellt. Es werden Kriterien für ZM-Verfahren identifiziert, die den Bedürfnissen der PatientInnen entsprechen.
Diskussion
Es wird angenommen, dass durch ungleiche Versorgungssituationen in Ballungsräumen, strukturschwachen und ländlichen Regionen die Inanspruchnahme einer ZM erschwert wird. Durch eine telemedizinische bzw. telekonsiliarische ZM kann die ländliche Unterversorgung jedoch überbrückt werden und PatientInnen können vermehrt eine ZM in Anspruch nehmen. Zugleich birgt die Digitalisierung die Chance, in einem eigenen Netzwerk Expertenmeinungen auszutauschen, um über die beste Lösung für die PatientInnen zu befinden. ZM-Verfahren stellen im günstigsten Falle eine Methode zur Sicherstellung evidenzbasierter Medizin dar und leisten damit einen Beitrag zur Qualitätssicherung, zur Patientensicherheit und bedarfsgerechter Versorgung.
Praktische Implikationen
Die gewonnenen Erkenntnisse sollen Grundlage für die Weiterentwicklung der bestehenden Versorgung und Etablierung neuer ZM-Verfahren in den Krankenkassen sein. Das Projekt soll weiterhin ein telekonsiliarisches ZM-Programm im Rahmen einer prospektiven Kohortenstudie als neue Versorgungsform besonders in ländlichen Gebieten mit geringer Haus-arzt/Facharztdichte vorbereiten. Die Studie geht damit weit über den in § 10 Abs. 3 der Zm-RL (Evaluation) hinaus und soll eine Grundlage für das vom G-BA beschlossene Evaluations-Rahmenkonzept darstellen.
Hintergrund: Als ambulant-sensitive Krankenhausfälle (ASK) werden Hospitalisationen bezeichnet, welche bei adäquater ambulanter Versorgung potentiell vermeidbar gewesen wären. Die Agency for Healthcare Research and Quality (AHRQ) nutzt bevölkerungsbezogene ASK-Raten als Indikatoren zur Beurteilung der ambulanten Versorgung hinsichtlich Qualität und Zugang. Das Indikatorenset der Prevention Quality Indicators (PQI) beinhaltet dabei auch akute Erkrankungen, die in Deutschland bisher unzureichend untersucht worden sind.
Fragestellung: Ziel der Untersuchung war die geschlechts- und altersspezifische Deskription der Indikatoren „Dehydration Admission Rate“ (PQI 10), „Community-Acquired Pneumonia Admission Rate“ (PQI 11) sowie „Urinary Tract Infection Admission Rate“ (PQI 12) sowie die Betrachtung der Raten im Zeitverlauf.
Methode: Datengrundlage sind die beim statistischen Bundesamt vorliegenden Tiefgegliederten Diagnosedaten der Krankenhauspatientinnen und –patienten. Vorlage zur Fallselektion waren die in den Spezifikationen der AHRQ angegebenen und nach ICD-10 GM transformierten Hauptdiagnosekodes. Berücksichtigt wurden alle Krankenhausfälle im Alter ab 20 Jahren in den Datenjahren von 2009 bis 2017. Zur Herstellung eines Bevölkerungsbezuges wurden Daten der Genesis-Datenbank verwendet. Der zeitliche Trend wurde mittels linearer Regression analysiert.
Ergebnisse: Der PQI 10 zeigt im Datenjahr 2017 bei Männern eine bevölkerungsbezogene Rate von 114,6 Fällen pro 100.000 Einwohner (Frauen: 224,0). Bei PQI 11 sind bei Männern 396,2 Fälle pro 100.000 Einwohner (Frauen: 292,1) zu verzeichnen. Die Rate für PQI 12 liegt in der männlichen Population bei 222,4 Fällen pro 100.000 Einwohner (Frauen: 311,6).
Alle Indikatoren zeigen bei beiden Geschlechtern eine statistisch signifikante Zunahme in der Zeitreihe von 2009 bis 2017. Die mittlere jährliche Veränderung (Regressionskoeffizient b = Veränderung der Fälle pro 100.000 Einwohner pro Jahr) beträgt bei PQI 10 b = 8,5 (Männer) bzw. b = 10,3 (Frauen), bei PQI 11 b = 7,3 (Männer) bzw. b = 4,7 (Frauen), sowie bei PQI 12 b = 9,8 (Männer) bzw. 9,0 (Frauen). Während Männer bei den Krankenhausfällen bei Pneumonie (PQI 11) in allen Jahren höhere Raten aufweisen, sind die Aufnahmeraten bei Dehydration und Harnwegsinfektionen in der weiblichen Population in allen Datenjahren größer.
Die Altersverteilung zeigt sowohl bei PQI 10 als auch bei PQI 11 eine zunehmende Rate an Aufnahmen mit steigendem Alter, wobei die höchsten Raten in der Altersgruppe der 75jährigen und älter zu erkennen sind. Die Rate der Krankenhausfälle bei Dehydrationen liegt bei den 65 bis 74jährigen Männern bei 164,4 Aufnahmen pro 100.000 Einwohner (Frauen: 135,3), steigt allerdings bei den über 74jährigen auf 928,4 pro 100.000 Einwohner (Frauen: 1202,4) an. Während die Raten der Harnwegsinfektionen bei Frauen in jüngeren Altersgruppen höher sind als die Raten der männlichen Population, kehrt sich dieses Verhältnis in der Bevölkerung ab 60 Jahren um (älter als 74 Jahre: 1096 Fälle je 100.000 Einwohner bei Männern bzw. 1032 Fälle je 100.000 Einwohner bei Frauen).
Diskussion: Die geschlechtsübergreifenden Raten des Jahres 2016 zeigen in Deutschland bei allen Indikatoren höhere Ergebnisse als die nationalen Raten der USA. Die Zunahme der Raten lassen möglicherweise auf im zeitlichen Verlauf ansteigende Qualitäts- oder Zugangsprobleme in der ambulanten Versorgung schließen. Während der Anstieg der Rate der ambulant erworbenen Pneumonien auf Defizite bei Pneumokokken-Impfungen hinweisen könnte, sind die Krankenhausfälle bei Harnwegsinfektionen aufgrund der Bedeutung einer zeitnahen Behandlung dieser Erkrankung vor allem im Hinblick auf die Zugänglichkeit zu interpretieren. Zur weitergehenden Klärung sollten jedoch die regionalen Angebotsstrukturen vertiefend betrachtet werden. Die extrem hohen Raten der Hochbetagten reflektieren zum einen ein höheres Risiko, könnten aber auch auf Versorgungsprobleme in der stationären Pflege hinweisen. Zukünftige Analysen sollten insbesondere jene Patienten mit Dehydrationen betrachten, welche in einem Pflegeheim leben. Der Einfluss potentieller Determinanten wie Struktur und Qualität der stationären Pflege ist zu prüfen.
Praktische Implikationen: Steigende Aufnahmeraten im zeitlichen Verlauf sowie besonders hohe Raten bei über 74jährigen zeigen die Relevanz ambulant-sensitiver Krankenhausfälle bei akuten Erkrankungen sowie die Notwendigkeit von Maßnahmen zur Verbesserung von Zugang und Qualität der ambulanten Versorgung bei diesen Krankheiten.
Hintergrund
Die meisten Menschen möchten in ihrer gewohnten Umgeben versterben. Um dies zu ermöglichen gibt es seit dem Jahr 2009 erste SAPV Teams in Deutschland. Mittlerweile gibt es mehr als 350 SAPV Teams in Deutschland in fast allen Regionen des Landes.
Die Standards der Datenerfassung, der Therapie und der Versorgungen unterliegen einem breiten Spektrum und es existiert bis heute keine systematische und differenzierte Erfassung von Behandlungsdaten einer Region. Auch die Vertragslandschaft über welche SAPV erbracht wird, ist äußerst heterogen, hier wird im Rahmen eines bundesweiten Rahmenvertrag eine Standardisierung angestrebt
Fragestellung
Der VSTN mit seinen Teams hat sich das Ziel gesetzt in zwei Schritten zu einer Qualitätssicherung der Versorgung beizutragen
Zum ersten sollten Methoden entwickelt werden, die Daten von 14 verschiedenen Teams anonym zu erheben und zum zweiten sollen mit Hilfe dieser erhobenen Daten, dann Rückmeldungen an die Teams gegeben werden, um eine einheitliche qualitätsgesicherte Versorgung zu ermöglichen.
Methode
Im palliativen und multiprofessionellen Bereich hat sich die komplette elektronische Dokumentation durchgesetzt. 100% der Teams in Nordrhein arbeiten entweder mit Pallidoc oder ISPC. Unter Beteiligung der beiden EDV-Anbieter wurde eine Struktur der Extraktion der Daten - aus den different aufgebauten EDV-Systemen – entwickelt, mit welcher die extrahierten Daten zu einem gemeinsamen Datensatz zusammengeführt werden konnten. Die Daten der Teams wurden bzgl. Team und patientanonymisiertvon der Firma Statconsult ausgelesen. Ein entsprechendes positive Votum der Ärztekammer Nordrhein zu diesem Vorgehen liegt vor.
Der Daten Export beinhaltet Patientenstammdaten, Daten bezüglich Versorgung der Patienten sowie Verordnungsdaten und Daten, die den Aufwand der Teams in der Versorgung beschreiben (Kontaktdaten).
Der Export erfolgt zeitraumbezogen (z.B. für das Jahr 2017).
In einem zweiten Schritt wurden die Datenexporte inhaltlich kategorisiert um sie vergleichbar zu machen. Ein einfaches Beispiel ist zum Beispiel der Aufenthaltsort eines Patienten. So dokumentierten die Teams den Aufenthaltsort Pflegeeinrichtung sehr unterschiedlich.
Dies wurde dann in eine Kategorie zusammengefasst, um die Daten sinnvoll zu bündeln
Pflegeeinrichtung (stationär) Senioren und Pflegeheim
Pflegeheim Senioren und Pflegeheim
Pflegeheim (stationär) Senioren und Pflegeheim
Pflegeheim / Altenheim Senioren und Pflegeheim
Senioren & Pflegeheim Senioren und Pflegeheim
Seniorenstift Senioren und Pflegeheim
Diese Kategorisierung war im weiteren Bereichen wie z.B. Allgemeinzustand – ECOG- versus Karnofsky-Index – Symptomatik und Kontaktarten etc. zunehmend aufwendiger. Trotz häufiger Rücksprachen mit den dokumentierenden Teams, verblieben in manchen Bereichen Überlappungen und Ungenauigkeiten.
Ergebnisse
Das entscheidende Ergebnis dieses Prozesses ist zunächst, dass gezeigt werden konnte, dass trotz sehr unterschiedlicher Träger und Rechtsformen etc. die Daten aus der Routinedokumentation einzelner SAPV Teams zu einer nahezu flächendeckenden Datenerhebung zusammengeführt werden können.
Die Daten beinhalten z.B. dass das Versprechen der SAPV, zu Hause bzw. dem selbst gewählten Aufenthaltsort versterben zu können, bei den 6871 in 2017 behandelten Patienten gehalten werden konnte. Bei nur etwas mehr als 6% der Patientinnen und Patienten war am Schluss eine stationäre Behandlung in einem Krankenhaus/Palliativstation erforderlich. Weitere inhaltliche Ergebnisse werden zurzeit aufbereitet und zukünftig publiziert.
Diskussion
Das o.g. Beispiel zeigt, dass nach Auswertung der unterschiedlichen Begrifflichkeiten im Rahmen der Qualitätssicherung, insbesondere für komplexe Fragen wie die quantitative Symptombeschreibung, einheitliche sinnvolle Kategorien den verschiedenen Teams vorgegeben werden sollten. Diese Kategorien festzulegen, zu entwickeln und dann in die Software zur Nutzung zu übertragen, ist ein sehr aufwendiger Prozess, der aber langfristig dazu führen wird, dass die Daten deutschlandweit nutzbar und vergleichbar sein werden. Dies kann nur durch die enge Zusammenarbeit der Softwareentwickler, Wissenschaftler und den Teams vor Ort erfolgen.
Praktische Implikation
Durch eine Standardisierung der Datenerfassung und umfassender Kooperation der Leistungserbringer, lassen sich Daten in unterschiedlichen Versorgungsteams deutschlandweit erfassen. Nur so kann man die Versorgungssituation vergleichen und dann im Rahmen von Qualitätssicherungsmaßnahmen die Versorgung der Bevölkerung verbessern. Dies ist dringend notwendig, denn in einigen Regionen werden mittlerweile 20 % der versterbenden Patienten durch ein SAPV Team versorgt, so dass diese Maßnahmen große praktische Relevanz für die Versorgung der Bevölkerung haben.
Hintergrund: Invasiv und nicht invasiv langzeitbeatmete Patienten mit ausgeprägtem technisch-therapeutischem Unterstützungsbedarf leben überwiegend in häuslichen Settings. Über die häusliche Versorgung und Begleitung dieser Patienten und ihrer Angehörigen ist noch wenig bekannt. Dies gilt u.a. für die Hilfsmittelversorgung (z.B. mit Beatmungs-, Absaug-, Inhalationsgeräten und Hustenassistenten), die in der vorzustellenden Studie fokussiert wird.
Fragestellung: (1) Wie erleben invasiv (über ein Tracheostoma) und nichtinvasiv (über eine Maske) beatmete Patienten sowie deren Angehörige die Hilfsmittelversorgung? (2) Welche Informations-, Beratungs-, Anleitungs- und Schulungsbedarfe haben sie zu Beginn und im Verlauf der Hilfsmittelversorgung und wie wird darauf von Seiten professioneller Akteure reagiert? (3) Welche edukativen sowie sicherheitsbezogenen Anforderungen sind bei der Hilfsmittelversorgung aus Patienten- und Angehörigensicht sowie aus Sicht professioneller Akteure zu berücksichtigen und wie können diese von den daran Beteiligten effektiv beantwortet werden?
Methode: Es wird eine qualitativ-explorative Studie mit drei Phasen durchgeführt. In einer ersten Phase werden problemzentrierte Interviews mit beatmeten Patienten sowie mit deren Angehörigen durchgeführt. Orientiert am Konzept eines qualitativen Längsschnittdesigns werden die Interviews, wann immer dies möglich ist, nach sechs bis neun Monaten durch eine Nachbefragung ergänzt. In einer zweiten Phase finden Beobachtungsinterviews mit Hilfsmittelversorgern sowie Experteninterviews mit weiteren professionellen Akteuren mit Bezug zur beatmungsspezifischen Hilfsmittelversorgung statt (z.B. betreuende Ärzte, Atmungstherapeuten und Pflegende, Entlassungsmanager in Kliniken, Fall- und Versorgungsmanager der Leistungsträger, Vertreter aus Patien-teninformations- und Beratungsstellen). Im Anschluss an die inhaltsanalytische Auswertung der Interviews aus den Phasen 1 und 2 folgt in einer dritten Phase die kontrastierende Analyse der Befunde. Unter Experten- und Stakeholder-Beteiligung werden darauf aufbauend Implikationen für eine sicherheitsorientierte Optimierung der Hilfsmittelversorgung abgeleitet.
Erwartete Ergebnisse: Aus der Perspektive von Patienten und Angehörigen werden tiefe Einblicke in das Feld der Hilfsmittelversorgung erwartet, einschließlich der dazugehörigen kommunikativ-edukativen und sicherheitsrelevanten Elemente. Die aus Nutzersicht bedeutsamen Qualitäts- und Sicherheitsdimensionen werden durch die Perspektive von in diesem Feld tätigen professionellen Akteuren ergänzt, kontrastiert und erweitert. Die multiperspektivischen Befragungs- und Beobachtungsergebnisse lassen erstmals Erkenntnisse zur Praxis der initialen sowie der langfristig zu beglei-tenden Hilfsmittelversorgung von Patienten mit Heimbeatmung erwarten, vor allem mit Blick auf die Edukation und Patientensicherheit.
Diskussion und praktische Implikationen: Die Studie adressiert zwei wesentliche Lücken in der Forschung und Praxisentwicklung: Zum einen die bislang allenfalls rudimentär existente Versor-gungsforschung zur Hilfsmittelversorgung und zum anderen den erheblichen Forschungs- und Ent-wicklungsbedarf zur Gewährleistung der Patientensicherheit in der häuslichen Versorgung. Auf der Basis der erarbeiteten empirischen Erkenntnisse können fundierte Empfehlungen für patienten-orientierte Handlungsempfehlungen, Sicherheitsleitlinien und Risikomanagementstrategien in der Versorgung mit beatmungsspezifischen Hilfsmitteln abgeleitet werden. Die Übertragbarkeit der Erkenntnisse auf andere Bereiche der Hilfsmittelversorgung wird kritisch geprüft.
Hintergrund
Eine spastische Bewegungsstörung (SB) in Form von ungewollter muskulärer Hyperaktivität tritt infolge einer Schädigung des zentralen Nervensystems auf. Sie kommt symptomatisch bei vielen neurologischen Krankheitsbildern vor, darunter Schlaganfall oder Multiple Sklerose. Eine Hochrechnung aus Krankenkassendaten der Leipziger Foren zeigt, dass in Deutschland etwa 530.000 Patienten von einer behandlungsbedürftigen SB betroffen sind. Eine Heilung ist derzeit nicht möglich, doch können Ausprägung und Begleiterkrankungen durch geeignete Therapieverfahren verbessert werden.
Fragestellung
Wie sieht die Versorgungsrealität der Patienten mit SB in Deutschland aus, weicht sie von der in den Leitlinien vorgeschlagenen Versorgung ab und welche Kosten entstehen dabei für das deutsche Gesundheitssystem?
Methode
Im Rahmen einer Prozesskostenanalyse wurden Allgemeinmediziner in Deutschland postalisch zu ihrer Patientenklientel mit SB, der nicht-invasiven und medikamentösen Therapie der SB sowie zum Pflegebedarf der Betroffenen befragt. Ein Delphi-Panel, bestehend aus 5 Neurologen, wurde zusätzlich konsultiert um Aussagen zu Fehlversorgung und Kostentrends zu machen. Aus allen Angaben wurde der aus der Therapie resultierende Ressourcenverbrauch ermittelt und diesem die entsprechenden Kosten aus Perspektive der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und der gesetzlichen Pflegeversicherung (GPV) zugeordnet. Kosten für Medikamente wurden dabei der Lauer-Taxe entnommen, Kosten für Behandlungen entsprechend dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab der Kassenärztlichen Bundesvereinigung kalkuliert.
Ergebnisse
Insgesamt konnten die Antworten von 109 Allgemeinmedizinern zu 2.418 Patienten mit SB ausgewertet werden. Der GKV entstehen pro Patient und Jahr Kosten in Höhe von etwa 1.500 € durch Arztbesuche, Physiotherapie, Orthesen, medikamentöse Behandlung der SB sowie begleitende Schmerzen oder Depressionen. Extrapoliert auf das gesamte Patientenkollektiv ergeben sich Kosten in Höhe von knapp 783 Millionen € für die GKV.
Die SB hat große Auswirkungen auf den Pflegebedarf der Betroffenen. Etwa 77% der Patienten mit SB sind pflegebedürftig. Der GPV entstehen so Kosten in Höhe von 5,9 Milliarden € für die Pflege von Patienten mit SB.
Die extrapolierten Kosten für das gesamte Patientenkollektiv summieren sich auf 6,7 Milliarden €, wobei die Pflege den Hauptkostentreiber darstellt.
Diskussion
Die Ergebnisse der Prozesskostenanalyse zeigen, dass die Versorgung der Betroffenen in der Realität teilweise erheblich von der in der Fachliteratur und den Leitlinien beschriebenen Versorgung der SB abweicht. Diese würde zusätzlich die Versorgung durch spezialisierte Fachärzte sowie eine flächendeckendere Versorgung mit Physiotherapie und Botulinumtoxin A vorsehen. Dadurch würden zwar die Kosten in diesen Versorgungsbereichen ansteigen, dafür würden weniger orale antispastische Medikamente und Analgetika gebraucht.
Praktische Implikationen
Aus dem Survey geht hervor, dass weit mehr als die Hälfte der Patienten einen aufgrund der SB erhöhten Pflegegrad hat. Nimmt man an, dass bei leitliniengerechter Behandlung der SB der Pflegegrad der Patienten reduziert werden kann, wäre hier das größte Einsparpotential von rund 1,5 Mrd. € für die GPV zu erwarten.