Title: Frequency and patterns of health services use among older (45-74 years) citizens of the city of Hamburg - Results of the Hamburg City Health Study.
Purpose: Population-related studies on utilization of inpatient and outpatient health services are still rare [1,2]. Moreover, specific patterns of health care utilization are not entirely explored. For this purpose, the data of a random sample of 10.000 inhabitants of the city of Hamburg, were used to identify particular patterns of utilization of health care services of the previous 12 months. Both medical as well as therapeutic consultations are included. Additionally, a comparison with the results of a survey for adults from 2011 about the utilization of outpatient and inpatient health services in Germany (DEGS1) is made [2].
Methods: An available random sample of 10.000 participants is used, collected by the Hamburg City Health Study (HCHS), a single center, prospective, epidemiologic imaging study to improve the identification of individuals at risk for cardiovascular, neurovascular and/or cancer diseases and to improve early diagnosis (stepwise screening) and outcome. Health service use was assessed by standardized questions already used in the DEGS1. The participants were 45 – 74 years old, citizens of the city of Hamburg and randomly selected by the residents' registration office. Cross-sectional analyses are performed resulting in descriptive statistics in an explorative design.
Results & discussion: The data provided by the HCH study center are currently being analyzed and evaluated. With the dataset it will be possible to identify different patterns of health service use in this metropolitan area. Subsequently, the identified patterns of health service use will be analyzed in the public use file available from the population-based nationwide DEGS1 to extend preceding analyses to younger age groups and different types of regions in Germany. The results will help to optimize the adequate use of health care services in Germany.
References:
1. Janssen, C., Swart, E., & Von Lengerke, T. (2013). Health care utilization in Germany: theory, methodology, and results. Springer.
2. Rattay, P., Butschalowsky, H., Rommel, A., Prütz, F., Jordan, S., Nowossadeck, E., Domanska, O., & Kamtsiuris, P. (2013). Inanspruchnahme der ambulanten und stationären medizinischen Versorgung in Deutschland. Bundesgesundheitsblatt-Gesundheitsforschung-Gesundheitsschutz, 56(5-6), 832-844.
Hintergrund: Seit Jahrzehnten beklagen sich die Menschen im Erzgebirge und Vogtland (Sachsen) über großflächig auftretende Geruchsereignisse und eine schlechte Luftqualität. Obgleich sich seit den 90-er Jahren die Luftqualität im sächsisch-tschechischen Grenzgebiet erheblich verbessert hat, treten immer wieder großräumige Geruchsbelastungen vor allem im Winter bei südöstlicher Windrichtung auf. Die Geruchsereignisse und die subjektiv wahrgenommene Luftverschmutzung werden von einem Teil der Bevölkerung als belästigend oder auch belastend für die Gesundheit und das Wohlempfinden empfunden.
Zu diesem Zweck untersuchte ein sächsisch-tschechisches Forschungsprojekt die Wahrnehmung der Luftqualität, des Geruches sowie der Gesundheit im sächsisch-tschechischen Grenzgebiet. Qualitativ und quantitativ wurden das Belästigungs- und Belastungspotential der Luftqualität, der gesundheitliche Zustand sowie die subjektive gesundheits- und umweltbezogene Lebensqualität erfasst.
Fragestellung:
1) Wie bewertet die Bevölkerung die Luftqualität im Untersuchungsgebiet?
2) In welchem Ausmaß empfindet die Bevölkerung die Geruchsereignisse als belästigend?
3) Wie nimmt die Bevölkerung den Einfluss von Luftbelastungen im Untersuchungsgebiet auf die eigene Gesundheit und die der Angehörigen wahr?
Methode: Durch die Anwendung eines Mixed-Methods Ansatzes wurden qualitative und quantitative Daten sequentiell erhoben. Der Ansatz diente dazu, das Phänomen a) aus verschiedenen Perspektiven und 2) über mehrere Untersuchungsphasen hinweg zu untersuchen.
Um die Fragestellung des Projektes beantworten zu können, wurde ein partizipativer Ansatz gewählt. Folgende Methoden zur Datenerhebung waren Teil des Projektes:
1) Durchführen einer Fokusgruppe mit der Bevölkerung
2) Durchführen einer repräsentativen quantitativen Befragung der Bevölkerung (Computer Assisted Telephone Interview)
3) Durchführen einer Fokusgruppe mit Experten aus den Bereichen Gesundheit, Umwelt, Verwaltung und Politik.
Die Fokusgruppe mit der Bevölkerung diente als Vorstudie und stellte Informationen für das Erstellen des Fragebogens für die telefonische Befragung bereit. Nach Auswertung der telefonischen Befragung diente die Fokusgruppe mit den Experten der Verwertung der Ergebnisse.
Ergebnisse: Das Untersuchungsgebiet der telefonischen Befragung umfasste 24 Gemeinden in Sachsen zwischen dem Kurort Oberwiesenthal und Neuhausen. Auf Basis der Daten des Geruchstelefons (Registrierung täglicher Geruchsbeschwerden) wurde das Gebiet in ein Kerngebiet (sechs Gemeinden mit den meisten Geruchsmeldungen seit 2011) und ein Randgebiet (Gemeinden mit vereinzelten Geruchsmeldungen) unterteilt. Insgesamt wurden in der Feldphase 9.572 Anrufe in der Zeit vom 25. Januar 2018 bis zum 12. März 2018 getätigt, um 500 Interviews erfolgreich und vollständig abzuschließen, wovon 200 Fälle im Kerngebiet und 300 Fälle im Randgebiet liegen.
Im Mittel sind die Teilnehmer der telefonischen Befragung 59 (SD= 14) Jahre alt und circa die Hälfte sind Rentner. Circa zwei Drittel der Befragten verfügen über einen Haupt- und Realschulabschluss. Frauen sind im Sample mit 55% (Grundgesamtheit: 51%) leicht überrepräsentiert.
Die Teilnehmer wurden unter anderem zur Umweltbesorgnis, die sich auf ihren gesundheitlichen Zustand auswirken kann, befragt. Sie sollten sagen, welcher Aussage (welcher Person) sie eher zustimmen: 1) Person A: Durch die Industrieanlagen in Tschechien ist die Luft im Erzgebirge belastet. Ich sorge mich auf Grund der Luft um meine Gesundheit und die Gesundheit unserer Kinder. 2) Person B: Das Erzgebirge ist ein dünn besiedeltes Gebiet mit guter Luft. Ich sorge mich nicht um meine Gesundheit und die meiner Kinder, wenn ich an die Luft denke. In den sechs Gemeinden des Kerngebietes stimmen 87,6% der Aussage von Person A und nur 12,4% der Aussage von Person B zu. Im Randgebiet stimmen 64,5% der Befragten der Aussage von Person A, 35,5% der Person B zu. Die Umweltbesorgnis, inklusive der Besorgnis um die Gesundheit, ist dementsprechend im Gebiet mit den meisten Geruchsereignissen am Höchsten.
Diskussion: Die Bevölkerung im Erzgebirge und Vogtland wurde in den gesamten Forschungsprozess eingebunden. Durch das CATI Design konnten Patient-Reported-Outcomes erhoben und ausgewertet werden. Mit Experten wurde in einer Fokusgruppe die Relevanz des Themas im Hinblick auf real existierende Ängste vor gesundheitlichen Beeinträchtigungen sowie die Möglichkeiten einer sachlichen Aufklärung der Bevölkerung besprochen.
Praktische Implikationen: Sollten die Bewohner des sächsischen Grenzgebietes in Zukunft vermehrt Krankheitssymptome berichten und ärztliche Hilfe benötigen, könnte sich dies auf die Inanspruchnahme gesundheits- und krankheitsbezogener Leistungen im ländlichen Raum des Erzgebirges und Vogtlandes auswirken.
Hintergrund
Das Thema Pflege gehört aufgrund des Pflegepersonalmangels bundesweit zu den gesundheitspolitischen Themen mit oberster Priorität. Für die Stadt München lagen bisher keine Daten vor, die eine umfassende und systematische Analyse der Situation der Pflege erlauben.
Fragestellungen
Wie stellt sich die Situation der Pflege in Münchner Krankenhäusern hinsichtlich Personal, Ausbildung, Studium, Anerkennungsverfahren sowie Fort- und Weiterbildung dar?
Mit welchen Maßnahmen kann dem Fachkräftemangel begegnet werden?
Lässt sich der Pflegepersonalbedarf für München in den nächsten zehn Jahren abschätzen?
Methoden
Die Primärdaten-Erhebungen unterteilten sich in schriftliche Befragungen der Krankenhausstandorte, der Pflegekräfte in Krankenhäusern, der Berufsfachschulen und Hochschulen sowie der Schülerinnen und Schüler und Studierenden. Inhaltlich bezogen sich die Befragungen unter anderem auf die Personalsituation, Ausbildung, Arbeitsbelastung, Zufriedenheit, Lebensbedingungen und Zukunftspläne der Beschäftigten und des pflegerischen Nachwuchses. Eine Sekundärdatenanalyse diente dazu, die Ergebnisse der Primär-Erhebungen auf die Grundgesamtheit hochzurechnen und zukünftige Entwicklungen der Rahmenbedingungen für München abzuschätzen.
Ergebnisse
An der Befragung der Krankenhäuser haben sich 16 von insgesamt 52 Klinikstandorten in München beteiligt. Die 16 Krankenhäuser repräsentierten etwa 48% der Gesamtzahl der Betten und 46 % der vollstationären Fälle, wenn man die Daten der Strukturierten Qualitätsberichte aus dem Jahr 2016 zugrundelegt. Die Krankenhäuser berichteten von zunehmenden Schwierigkeiten, vakante Stellen in der Pflege zu besetzen. Die Befragung der Pflegekräfte konnte an 17 von 52 Klinikstandorten realisiert werden. Es haben sich 1186 Gesundheits- und Krankenpfleger/innen und Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger/innen daran beteiligt. Ihre Arbeitsbelastung spiegelt sich in der Anzahl der geleisteten Überstunden wider (durchschnittlich 15 Überstunden pro Monat/Beschäftigte). Ein Großteil der Pflegekräfte zeigte sich unzufrieden mit dem Einkommen (76%), mit der Anerkennung für die Tätigkeit (66%) und mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf (41%). Gleichzeitig identifizierten sich die Befragten aber stark mit ihrem Beruf.
An der Befragung der Berufsfachschulen haben sich 14 von 21 Schulen beteiligt. Auch die beiden Hochschulen mit Studiengängen im Bereich Pflege konnten befragt werden. Insgesamt liegen Auskünfte von 307 Schülerinnen und Schülern und 156 Studierenden vor. Rund ein Drittel der Auszubildenden in der Gesundheits- und Krankenpflege ist unzufrieden mit der Praxisanleitung. Ein Fünftel der Befragten gab an, nach Ende der Ausbildung nicht in dem gelernten Beruf arbeiten zu wollen.
Für die nächsten zehn Jahre wird allein infolge des Nachbesetzungsbedarfs in der Pflege und des zu erwartenden pflegerischen Nachwuchses von einem steigenden Pflegepersonalbedarf in den Kliniken ausgegangen. Hierbei ist noch nicht der steigende Pflegebedarf berücksichtigt, z. B. infolge der Bevölkerungsentwicklung, der Veränderung der Altersstruktur der Bevölkerung und veränderter altersspezifischer Häufigkeiten von Krankenhausaufenthalten.
Diskussion
Einige Ergebnisse der Studie stehen in Einklang mit den Ergebnissen anderer Untersuchungen zur Situation der Pflegekräfte in Deutschland [1, 2, 3]. Die Ergebnisse der Münchner Studie zeigen, dass sowohl Maßnahmen der Personalbindung als auch der Personalgewinnung notwendig sind, um dem Pflegepersonalmangel entgegenzuwirken.
Implikationen
Es müssen dringend passgenaue Maßnahmen auf Bundes-, Landes- und auf kommunaler Ebene ergriffen werden, die dem Pflegekräftemangel wirksam begegnen. Die Landeshauptstadt München unternimmt in dieser Hinsicht bereits einige erfolgversprechende Aktivitäten, wie z.B. die Leitung eines „Runden Tisches Pflege“, die Etablierung eines Pflegescouts für pflegefachliche Beratung und Hilfestellung im Rahmen des Anerkennungsverfahrens und die Vorbereitung einer regionalen Pflegekampagne. Aber auch die Kliniken, Einrichtungen und Ausbildungsstätten sind in der Pflicht, ihren Gestaltungsspielraum zu nutzen und Lösungsstrategien umzusetzen, die die Personalsituation der Pflegekräfte verbessern.
Literatur
[1] Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung e.V. (dip): Pflege-Thermometer 2009. Eine bundesweite Befragung von Pflegekräften zur Situation der Pflege und Patientenversorgung im Krankenhaus. http://www.dip.de (aufgerufen am 15.04.2019)
[2] Köppen J, Zander B, Busse R (2017): Die aktuelle Situation der stationären Krankenpflege in Deutschland, Ergebnisse der G-NWI-Studie (Neuauflage RN4Cast), Präsentation auf dem Kongress Pflege, 21.01.2017. http://www.gesundheitskongresse.de/berlin/2017/praesentationen/ (aufgerufen am 15.04.2019)
[3] Deutsches Krankenhausinstitut e.V. (2018): Krankenhaus Barometer Umfrage 2018.
https://www.dkgev.de/service/publikationen-downloads/krankenhaus-barometer/ (aufgerufen am 15.04.2019)
Hintergrund
Vor allem bei psychischen oder neurologischen Erkrankungen fällt es Patient_innen oft schwer, den richtigen Behandlungsweg zu finden. Um diese Überforderung aufzufangen, wurde in der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein das Versorgungsprojekt Neurologisch-psychiatrische und psychotherapeutische Versorgung (NPPV)“ entwickelt und Ende des Jahres 2017 in die Praxis umgesetzt. Mittels einer gestuften und koordinierten Versorgung von Menschen mit psychischen und neurologischen Erkrankungen sollen u. a. Wartezeiten auf eine Behandlung verkürzt und Behandlungsverläufe durch eine gesteuerte Koordination verbessert werden. Als Folge dieser bedarfsgerechten Behandlung sollen Krankheitsverläufe verbessert sowie Folgekosten gesenkt werden. Im Zentrum einer solchen zeitnahen, bedarfsgerechten und koordinierten Behandlung steht die berufsgruppenübergreifende Vernetzung der im Projekt teilnehmenden Versorger_innen. NPPV wird mit Mitteln aus dem Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses unter dem Förderkennzeichen 01NVF16020 gefördert.
Fragestellung
Können aus Sicht der Beteiligten die Prozesse und Strukturen von NPPV wie geplant aufgebaut werden? Stoßen diese bei den teilnehmenden Ärztinnen und Ärzten sowie den Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten auf Akzeptanz und steigern deren Zufriedenheit innerhalb des Versorgungsprozesses? Diese Fragen sollen im Zuge einer Projektevaluation be-antwortet werden. In diesem Zusammenhang sollen zusätzlich etwaige fördernde oder hemmende Faktoren für eine Implementierung des NPPV-Projektes in der KV Nordrhein identifiziert werden. Die Evaluation ist ein Bestandteil der Qualitätssicherung und Weiterentwicklung des Projektes.
Methode
Anhand eines vom Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) entwickelten Fragebogens sollen erarbeitete Strukturen von den am Projekt teilnehmenden Versorger_innen bewertet, Ergebniseinschätzungen vorgenommen und eine persönliche Beurteilung abgegeben werden. Insgesamt wurden 406 Fragebögen an die Teilnehmenden verschickt. Mit einer Rücklaufquote von 41,87% können nach der Datenvalidierung 167 Fragebögen als Datengrundlage für die Analysen ausgewertet werden. Die Analysen werden mit Hilfe der Statistiksoftware SPSS durchgeführt.
Ergebnisse
Die Analysen zeigen, dass der entwickelte Fragebogen die Bewertung des Versorgungsprojekts NPPV gut abbilden kann und unter versorgungstheoretischen Gesichtspunkten sinnvoll interpretierbar ist. Das Projekt wird im Allgemeinen überwiegend positiv oder neutral bewertet. Auf Seiten der Ärztinnen, Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und Psychothera-peuten scheint es keine Schwierigkeiten oder Unsicherheiten in Bezug auf die praktische Umsetzung zu geben. Die Teilnehmenden berichten mehrheitlich, dass das Projekt für die Erkrankten angemessen ist. Über zwei Drittel der Befragten beobachten seit Implementierung des neuen Versorgungskonzeptes eine gesteigerte Versorgungsqualität, die sich aller-dings im erhöhten Arbeitsaufwand widerspiegelt. Auch Schwachpunkte bzw. Verbesserungspotential in der Ausgestaltung des Projektes können durch die Befragung identifiziert werden und in den Ergebnissen beispiellos dargelegt werden.
Diskussion/praktische Implikationen
Das Versorgungskonzept NPPV etabliert erstmalig eine gestufte und koordinierte Versorgung von Menschen mit psychischen und neurologischen Erkrankungen in der Region Nordrhein. Die Evaluation des Projektes mit Fokus auf die Projektbewertung durch die teilnehmenden Ärztinnen und Ärzten sowie den Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten zeigt deutlich, dass die neu geschaffenen Strukturen positiv angenommen und eingeschätzt werden. Durch das Projekt kann die subjektiv gemessene Qualität in der Patient_innenversorgung verbessert werden. Die Wünsche auf Seiten der Versorger_innen das Projekt zukünftig auszuweiten, spiegelt die Notwendigkeit neuer Konzepte in der ambulanten Versorgung von Menschen mit neurologischen und psychischen Erkrankungen wider. Demzufolge könnte NPPV ein Weg sein, verbesserte Kooperation und Koordination innerhalb dieses Versorgungsbereiches zu schaffen und könnte in Zukunft ein Erfolgsmodell für die Regelversorgung darstellen.
1 Hintergrund
Der stetige Wandel der Arbeitswelt, gekennzeichnet durch Digitalisierung, Dynamisierung, Industrie 4.0 bei zunehmend alternder Bevölkerung, stellt Herausforderungen für Unternehmen in Deutschland dar, die es zu bewältigen gilt. Insbesondere in Zeiten des Fachkräftemangels rückt das Wohlbefinden sowie die Sicherung der Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter in den Fokus der Arbeitgeber, nicht zuletzt um die eigene Wettbewerbsfähigkeit und unternehmerische Zukunft zu sichern. Eine Schlüsselposition nimmt hier die betriebliche Gesundheit ein. Kleine und mittlere Unternehmen (KMU), welche die wesentliche Säule der deutschen Wirtschaft darstellen, sind im Vergleich zu großen Unternehmen diesbezüglich bislang unterversorgt. Insbesondere organisationsumfassende Gesundheitsmanagementsysteme sind in KMU kaum etabliert: die Verankerung der betrieblichen Gesundheit in der Arbeitsorganisation, beginnend mit der Integration im Leitbild bis hin zur Berücksichtigung bei operativen Entscheidungen im Arbeitsalltag, wird unwahrscheinlicher je kleiner die Mitarbeiterzahl.
Vordergründig werden Hürden auf Ressourcenebene genannt – zu wenig Personal, finanzielle Mittel und Zeit scheinen Hemmfaktoren für das unternehmerische Engagement im Bereich Mitarbeitergesundheit zu sein. Auch die Rolle der Führung, deren Einstellung gegenüber dem Thema Gesundheit gelten als entscheidend je kleiner und familiär geprägter ein Betrieb ist.
Das Konzept überbetrieblicher und branchenübergreifender Kooperation stellt eine mögliche Lösung dar, die für KMU beschriebenen (Ressourcen-)Probleme zu überwinden. Neben Modellen wie Betriebsnachbarschaften existieren hier bereits vereinzelt Zusammenschlüsse und Netzwerke, die auf die Unterstützung und Förderung der betrieblichen Gesundheit abzielen. Diese sozialen Gebilde sind keinesfalls homogen. Angesichts der Relevanz des Themas „Gesundheit im Betrieb“ lohnt es sich, diese näher zu betrachten.
Dies erfolgt im Rahmen eines vom BMBF bis Ende 2022 geförderten Forschungsverbundprojektes.
2 Fragestellung
Ziel der Untersuchung ist die Konstituierung eines Netzwerks zur Förderung der betrieblichen Gesundheit in einer ausgewählten Wirtschaftsregion. Hierfür sind Bedingungen und Voraussetzungen für ein regionales Präventions- und Gesundheitsnetzwerk für KMU zu identifizieren und analysieren:
- Was muss dieses leisten, was bestehende Netzwerke noch nicht erfüllen, um einen Mehrwert zu bieten?
- Wer muss Mitglied sein?
- Welche Funktionen, Aufgaben, Rollen müssen eingenommen und erfüllt werden?
Forschungsfrage: Wie interagieren Akteure im Netzwerk, um betriebliche Gesundheit zu verankern?
3 Methode
Zunächst erfolgt auf Metaebene eine theoretische Analyse und Übersicht über soziologische Netzwerktheorien.
Anhand einer quantitativen Erhebung in Form eines standardisierten Online-Fragebogens wird vorab der Status Quo des betrieblichen Gesundheitsmanagements und der betrieblichen Gesundheitsförderung der Unternehmen einer Region zur Bedarfsermittlung erfasst. Es werden zunächst alle Firmen der Region befragt, um ggf. die Zielgruppe der KMU um größere Unternehmen zu erweitern.
Eine qualitative Erhebung in Form leitfadengestützter Experteninterviews dient dazu, Faktoren und Mechanismen für die Konstituierung einer „Präventionsallianz“ zu ermitteln, beschreiben und erklären. Befragt werden hier Experten aus Gesundheitsanbieterkreisen wie z. B. Sozialversicherungsträger, kommerzielle Anbieter wie BGM-Dienstleister aber auch Vertreter aus Kammern und Verbänden, die bereits Netzwerkerfahrung haben und als Multiplikatoren zwischen Gesundheitsanbieter und -abnehmer agieren. Es sollen Erkenntnisse darüber gewonnen werden, wie das Netzwerk gesellschaftlich funktionieren muss.
Zusätzlich wird eine Clusteranalyse bereits bestehender regionaler und überregionaler Netzwerke zur betrieblichen Gesundheit unternommen. Folgende Aspekte werden u. a. untersucht: Anzahl der Netzwerkpartner, geographische Reichweite, Zielsetzung, Funktions-/Rollenverteilung der Partner, Hierarchisierung der Partner, Finanzierung, Rechtsform, Initiator/Träger, Gründungsdatum bzw. Dauer des Netzwerkbestehens.
Die Auswertung erfolgt mittels SPSS und MAXQDA.
4 Ergebnisse
Die Erhebungen liefern nötige Informationen zur Konstituierung einer regionalen „Präventionsallianz“, die aus sich heraus fortbesteht.
5 Diskussion
Um ein gesundheitswirksames Netzwerk generieren zu können, muss ggf. die Zielgruppe eingeschränkt werden z. B. auf eine ausgewählte Branche und Betriebsgröße.
6 Praktische Implikationen
Zum nachhaltigen Transfer soll das konstituierte Gesundheitsnetzwerk um eine Plattform ergänzt werden. Die Aufnahme neuer Mitglieder wird stetig ermöglicht. Dank des etablierten Netzwerks soll flächendecken qualitativ hochwertig und wirksam betriebliche Gesundheit in der Region gesichert und ausgebaut werden, um den Erfolg der ortsansässigen Unternehmen zu erweitern. Dieses Modell kann später bundesweit auf andere Regionen übertragen werden.
Hintergrund:
Im internationalen Vergleich liegt die Zahl der Organspender bezogen auf die Einwohnerzahlen in Deutschland schon seit vielen Jahren nur im unteren Mittelfeld, in den letzten Jahren war es, bis zu einem erneuten Anstieg in 2018, zu einem weiteren deutlichen Rückgang gekommen. Als Grund für die niedrigen Spenderzahlen wird häufig die fehlende Zustimmung zur Organspende in der Bevölkerung angegeben, eine systematische Untersuchung zu den Ursachen der niedrigen Organspenderzahlen ist dafür dringend erforderlich.
Fragestellung:
In den Jahren 2014 bis 2016 hat die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) Region Ost (Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen) in Zusammenarbeit mit den teilnehmenden Entnahmekrankenhäusern in einem umfangreichen Projekt alle Patientenfälle von Verstorbenen mit primärer oder sekundärer Hirnschädigung anonymisiert erfasst und in einer retrospektiven Einzelfallanalyse auf die Fragestellung hin untersucht, warum eine Diagnostik des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls (IHA-D) nicht erfolgte. Diese Untersuchung ist hilfreich, ein mögliches Organspenderpotential zu benennen und zu diskutieren.
Methode:
Mithilfe des Programmes „DSO Transplantcheck für Excel“ wurden in der DSO Region Ost alle Verstorbenen, bei denen mindestens eine durch die Bundesärztekammer festgelegte ICD-10-Kodierung für eine primäre oder sekundäre Hirnschädigung als Haupt- oder Nebendiagnose bestand, weiter analysiert.
Das Programm selektiert Fälle mit relevanter Hirnschädigung zur weiteren Betrachtung von Patientenfällen mit absoluten Kontraindikationen zur Organspende oder Fällen ohne dokumentierte Beatmungsstunden.
Alle relevanten Fälle werden in einem strukturierten Dialog zwischen Transplantationsbeauftragten oder einen durch diesen benannten verantwortlichen Intensivmediziner des jeweiligen Krankenhauses und einem DSO-Koordinator anonymisiert einer standardisierten Einzelfallanalyse unterzogen. Dabei wurden die Fälle in der Fragestellung kategorisiert, warum eine IHA-D nicht eingeleitet wurde. Weiterhin wurde untersucht, nach welcher Liegedauer die Patienten verstarben, abhängig der ihnen zugeordneten Kategorie der Einzelfallanalyse und der zugrundeliegenden Ätiologie der Hirnschädigung.
Ergebnisse:
Die Analyse umfasst aufgrund der umfangreichen Beteiligung von bis zu 128 Krankenhäusern über 20.000 Todesfälle mit primärer oder sekundärer Hirnschädigung im genannten Zeitraum.
Eine besondere Betrachtung wurde auf Patientenfälle gelegt, bei denen ein irreversibler Hirnfunktionsausfall aus klinischer Sicht möglicherweise bereits eingetreten war. Es wurden weiterhin Gründe erfasst, warum eine IHA-Diagnostik nicht eingeleitet wurde.
Diskussion:
Die Zahl der potenziellen Organspender lässt sich in der Region Ost der DSO durch Identifikation aller Patienten, bei denen eine IHA-D indiziert war, relevant erhöhen. Durch die regelhafte Evaluation des Patientenwillens bezüglich einer Organspende vor der Entscheidung zum Therapieabbruch bei neurologisch infauster Prognose ließen sich weitere potenzielle Spender identifizieren. Die Einbindung von Transplantationsbeauftragten und Neurointensivmedizinern in die Betreuung aller Patienten mit akuter, schwerer primärer oder sekundärer Hirnschädigung wäre eine Möglichkeit, prognostische Einschätzungen bezüglich des Eintretens eines irreversiblen Hirnfunktionsausfalls zu verbessern.
Praktische Implikationen:
Anhand der vorzulegenden Ergebnisse wird deutlich, dass Transplantcheck eine nahezu flächendeckende, vollständige Erhebung aller Verstorbener mit primärer oder sekundärer Hirnschädigung ermöglicht.
Weiterhin ist festzustellen, dass Transplantcheck ein geeignetes Mittel ist, Schlussfolgerungen auf ein mögliches Organspenderpotential zu treffen und vermutliche Gründe für die niedrigen Organspenderzahlen zu untersuchen. Gleichzeitig wird die Sensibilisierung für potenzielle Organspender in den Krankenhäusern gefördert. Außerdem dient es als Mittel zur Qualitätssicherung und sollte dementsprechend als solches etabliert werden. Das „zweite Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes – Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende“ vom 14.02.2019 tritt Anfang April 2019 in Kraft. Darin ist mit Transplantcheck ein klinikinternes Qualitätssicherungssystem als Grundlage für ein flächendeckendes Spendererkennungs- und Meldungssystem festgelegt worden.
Hintergrund: Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels spielt das Setting Pflegeheim eine zunehmend wichtigere Rolle. Für einen Großteil der Bewohner ist das Pflegeheim der Ort der letzten Lebensphase. Hausärzte begleiten ihre Patienten meist über mehrere Jahre und sind oftmals maßgeblich in die Betreuung am Lebensende involviert.
Fragestellung: Die vorliegende Arbeit hat zum Ziel, die Sichtweise von Hausärzten auf die Versorgung sowie die Hospitalisierung von Pflegeheimbewohnern am Lebensende zu untersuchen und Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgungssituation zu identifizieren.
Methode: Die Daten wurden im Rahmen der Studie „Hospitalisierung und Notaufnahmebesuche von Pflegeheimbewohnern (HOMERN)“ erhoben. In einer 2018 durchgeführten postalischen Befragung wurde eine Zufallsstichprobe von 1121 Hausärzten in Niedersachsen und Bremen angeschrieben. Es wurde eine deskriptive Analyse durchgeführt und die Daten zwischen Hausärzten mit und ohne Zusatzbezeichnung Palliativmedizin verglichen. Mittels multivariabler logistischer Regression wurden Einflussfaktoren auf die Einschätzung der Versorgung als „eher schlecht“ untersucht.
Ergebnisse: Insgesamt beantworteten 375 Hausärzte den Fragebogen (Response: 34%). Die Mehrheit der Hausärzte (71%) stimmte der Aussage zu, dass Pflegheimbewohner am Lebensende zu häufig im Krankenhaus behandelt werden und über die Hälfte der Befragten bewertete die Versorgung von Pflegeheimbewohnern am Lebensende als „eher schlecht“ (54%). Hausärzte mit einer Zusatzbezeichnung Palliativmedizin stimmten in beiden Fällen häufiger zu. Auch die multivariable Analyse zeigte einen signifikanten Zusammenhang zwischen der Zusatzbezeichnung Palliativmedizin und der Beurteilung der Versorgung am Lebensende als „eher schlecht“ (Odds Ratio: 1,89; 95% Konfidenz-Intervall: 1,10-3,23). Als wichtigste Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgung am Lebensende wurden ein höherer Personalschlüssel sowie eine bessere Qualifikation des Pflegepersonals genannt. Der Anteil der Bewohner mit einer Patientenverfügung wurde auf 37% geschätzt, mit etwa einem Drittel der Patientenverfügungen, die aussagekräftig in Bezug auf Krankhaustransporte am Lebensende sind.
Diskussion: Die Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen, dass ein hoher Anteil der Hausärzte die Versorgung von Pflegeheimbewohnern am Lebensende als verbesserungswürdig ansieht, wobei sich ein Unterschied zwischen Hausärzten mit und ohne Zusatzbezeichnung Palliativmedizin abzeichnet. Hausärzte mit einer Zusatzbezeichnung Palliativmedizin sind der Versorgungssituation gegenüber kritischer eingestellt als jene ohne Zusatzbezeichnung. Mit Hinblick auf die hohen Anteile an Hospitalisierungen von Pflegeheimbewohnern am Lebensende in Deutschland im Vergleich zum internationalen Ausland sind Veränderungen notwendig. Dies erfordert sowohl das Schaffen entsprechender Strukturen als auch die Stärkung benötigter Kompetenzen im Bereich der Palliativversorgung. Darüber hinaus kann Advance Care Planning eine wichtige Grundlage schaffen, die Wünsche der Bewohner bezüglich der Versorgung am Lebensende zu respektieren.
Praktische Implikationen: Um die Versorgung am Lebensende zu verbessern muss eine angemessene personelle Ausstattung gewährleistet werden. Darüber hinaus ist die bessere palliative Schulung des Pflegepersonals aber auch der Hausärzte eine wichtige Voraussetzung.
Fragestellung
Gesundheit ist durch verschiedene Aspekte in der Politik und im alltäglichen Leben beeinflusst. Dabei spielt WHOs Konzept ‚Health in All Policies‘ (HiAP) eine essentielle Rolle. Die Sozialdeterminanten der Gesundheit beschreiben die Verzahnung einzelner Themen außerhalb der klassischen Definition von Gesundheit, z.B. Wohn- und Arbeitsbedingungen und Ökologie. HiAP erzeugt Synergien zwischen Gesundheit und Politik und hebt die Konsequenzen von Entscheidungen auf die Gesundheit hervor. Eine anerkannte Methodik sind die Verträglichkeitsprüfungen in den Bereichen Gesundheit (HIA), Sozioökonomie und Umwelt (EIA). Die meisten HIA sind in Deutschland in EIA wiederzufinden. Beachtung finden HIA/EIA in Deutschland aufgrund der EU Direktiven 2014/52/EU. Unter anderen, orientiert sie sich an der stärkeren Einbindung der Öffentlichkeit, an der Transparenz und an die Konkretisierung der Voraussetzungen für eine Verträglichkeitsprüfung. In Deutschland wurde dies durch das Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz (UVPG), das Baugesetzbuch (BauGB) und deren lokalen Äquivalenten (z.B. UVPG-Bln) umgesetzt. Das BauGB unterscheidet verschiedene Bauprojekte anhand der Größe und dem Umfang und bestimmt die Notwendigkeit einer EIA.
Methodik
Datenbasis war eine Dokumentenanalyse von Umweltberichten (gemäß EU Direktive 2014/52/EU).
Datenerhebung
Mit den folgenden Schlüsselwörtern wurde eine iterative Suchmethode angewendet:
• Health Impact Assessment, HIA, Berlin, Germany, Deutschland, Environmental impact assessment, EIA, Umweltverträglichkeitsprüfung, UVP, Gesundheitsverträglichkeitsprüfung, GVP, strategische Umweltprüfung, SEA, Umweltprüfung, Umweltbericht, Gesundheitsfolgenabschätzung
Durchsucht wurden PubMed, Google Scholar und die Webseiten Berlins Gesundheits- und Umweltbehörden. Diese Behörden inklusive Ansprechpartner wurden adressiert und gebeten, Projektunterlagen und zusätzliche Informationen zuzusenden. Einschlusskriterium war der Abschluss des Projektes in den Jahren 2009 bis 2017. Dokumente mussten frei und öffentlich zugänglich sein. Eingeschlossene Sprachen waren Deutsch und Englisch. Von Dokumenten, in dessen Abschlussjahr mehr als ein Dokument vorlag, wurde eines per Zufall ausgewählt.
Datenanalyse
Die gefundenen Dokumente wurden vollständig gelesen und zusammengefasst. Anschließend wurden die Fragen von Fischer et al. (EIA Review 2010; 30) zur Analyse des Einschlusses von Gesundheit in den Verträglichkeitsprüfungen verwendet.
Ergebnisse
39 Dokumente wurden identifiziert. Eines der Projekte bestand aus 20 Einzelberichten (von denen 7 eine EIA beinhalteten). 3 Projekte wurden aufgrund der fehlenden öffentlichen Verfügbarkeit, 20 aufgrund Randomisierung nach Abschlussjahr und ein aufgrund fehlender EIA ausgeschlossen. Insgesamt 15 Dokumente wurden eingeschlossen. Anhand der Fragen von Fischer et al. lassen sich folgende Aussagen über die Projekte treffen: 14/15 Projekten schlossen Gesundheit in ihre Prüfungen ein, 9 Projekte nutzten eine Kombination von quantitativer und qualitativer Methodik, 12 bezifferten Gesundheitseinflüsse, 14 schlossen Gesundheitsexperten bei ihrer Entscheidung ein und bei 3/14 Projekte nahm die Gesundheitsexpertise einen Einfluss auf das Ergebnis. Ein Gesundheits-Monitoring-System besaßen 9/11 Projekten1. Alle Projekte beschäftigten sich mit dem Aspekt Grünflächen (Erholungsflächen) sowie mit biophysikalischen Aspekten (u.a. Lärm und Staub). Ausschließlich marginal wurden die Aspekte ‚Gesundheit und Sicherheit‘ (1 Projekt), Gesundheit von Minderheiten (1 Projekt), Müll (2 Projekte) und Zugang zu Gesundheitseinrichtungen (1 Projekt) betrachtet. Soziale Ungerechtigkeit wurden von keinem Projekt adressiert.
Diskussion
Die Implementierung von HIA in EIA ist wissenschaftlich anerkannt, jedoch könnte die Etablierung von dedizierten HIA einen Fokuswechsel auf Gesundheit initiieren. Unter dieser Annahme lässt sich feststellen, dass HIA im großen Maß in Berlin durchführt (14/15 Projekte schlossen das Thema Gesundheit und deren Expertise ein) werden, sie jedoch ausbaufähig sind. Bei der Einflussnahme von Gesundheit auf Entscheidungen und beim Monitoring von Gesundheitseinflüssen herrscht Verbesserungspotential. Gesundheit in ihrer Komplexität wurde in den Berichten nicht ausgeschöpft. Punkte, die nicht eindeutig in den Ergebnissen definierbar waren, waren meist durch eine fehlende Transparenz verursacht. Insbesondere in Betrachtung der EU-Direktiven 2017/52/EU ist dies zu verbessern.
Praktische Implikationen
Abschließend lässt sich feststellen, dass Berlins HIA-Praxis ausreichend ist, jedoch das geforderte Maß nicht übersteigt. Die Öffentlichkeit ist aufgefordert, mehr in den Prozessen der Politik Einfluss zu nehmen und die Möglichkeiten (z.B. im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung) auszuschöpfen. Die Öffnung der Gesundheitsdefinition zu einer umfänglichen Betrachtung von Gesundheit könnte ebenfalls einen positiven Einfluss auf die HIA haben.
Hintergrund:
Im Osterzgebirge berichten Teile der Bevölkerung von gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch Luftschadstoffe. In der Region kommt es immer wieder zu Geruchsbildungen, deren Ursprung in einem nahegelegenen Industriepark in Böhmen vermutet wird. Aus diesem Grund spricht die Bevölkerung von Böhmischem Wind. Patienten berichten von Symptomen wie Kopfschmerzen oder Augenbeschwerden, wenn Gerüche auftreten. Die Luftschadstoffe liegen allerdings weit unterhalb der EU-Grenzwerte (Hausmann, 2018). Gerüche wirken allerdings evolutionsbedingt als Stressor (van Thriel & Pacharra, 2017) ohne dass die Inhaltsstoffe toxologisch sein müssen. Für somatische Reaktionen ist die Wahrnehmung von Gerüchen entscheidend (Cavalini, 1992; Shusterman, 1992). Subjektive Reizwirkungen sind insbesondere bei einer negativen Bewertung der Gerüche sowie der Erwartung von gesundheitlichen Beeinträchtigungen festzustellen (Dalton, 1997; Dalton & Jaen, 2010).
Aufgrund dessen lassen sich Geruchsbelästigungen nicht durch Olfaktometrie messen (van Thriel & Pacharra, 2017) und müssen als Patient-reported Outcome verstanden werden. Belastungs- und Belästigungspotential wird deshalb durch die durchschnittliche Belastung der Bevölkerung ermittelt (VDI-Richtlinie 3883, Blatt 1).
Fragestellung:
1. Wie groß ist der Anteil der Bevölkerung, welcher sich von den auftretenden Geruchsereignissen belästigt fühlt gesundheitliche Beeinträchtigungen wahrnimmt?
2. Inwiefern unterscheidet sich diejenigen, die gesundheitliche Beeinträchtigen wahrnehmen von denjenigen, die keine Beeinträchtigungen wahrnehmen?
Methode:
Zur Beantwortung der Forschungsfrage wurde eine repräsentative quantitative Bevölkerungsbefragung (n= 1.872) im belasteten Gebiet durchgeführt (Modus: postalisch, Stichprobe: einfache Zufallsauswahl von 25% der Population über Einwohnermeldeämter; Rücklauf: 52%). Neben dem allgemeinen Gesundheitszustand (SF-12v1 nach Ware, Kosinski, Keller, 1996) wurde das Belästigungsempfinden sowie die Angst vor gesundheitlichen Folgen erfragt. Außerdem wurde die allgemeine und geruchsspezifische Umweltbesorgnis (nach Rethage, 2007) erfasst.
Ergebnisse:
72% der Befragten fühlen sich vom Böhmischen Wind ziemlich oder stark gestört. 77% geben an, dass dieser ihren Gesundheitszustand beeinträchtigt. Je stärker sich Menschen von den Gerüchen gestört fühlen, desto signifikant (p < ,001) häufiger leiden sie unter allen erfragten Symptomen (Husten (r=,231), Kurzatmigkeit (r=,198), Keuchen (r=,219), tränenden und brennenden Augen (r=,247), Brechreiz (r=,288), Erbrechen (r=,255), Durchfall (r=,339), Kopfschmerzen (r=,394), Schlappheit/Müdigkeit (r=,301) Schwindelgefühl (r=,241)).
Menschen, die der Meinung sind, dass der Böhmische Wind ihre Gesundheit beeinträchtigt, weisen signifikant geringere Werte beim physischen (Man-Whitney-U=131454; z=-9,14; p < ,001, r=-,24) und psychischen (U=113379; z=-11,76 p < ,001, r=-,31) Gesundheitsstatus auf. Darüber hinaus weisen sie auch eine höhere allgemeine (U=181364; z=-10,73; p < ,001, r=-,26) und geruchsspezifische (U=111682; z=-18,71; p < ,001, r=-,45) Umweltbesorgnis auf.
Diskussion:
Unabhängig von der Frage, ob die gemessenen Luftschadstoffe toxisch sind oder nicht, liefert unsere Studie einen evidenzbasieren Nachweis, dass die auftretenden Gerüche den Gesundheitszustand der ansässigen Bevölkerung belasten und Handlungsbedarfe in der Versorgung bestehen. Durch die Patient-reported Outcomes wurde belegt, dass der Gesundheitsstatus von über zwei Drittel der Bevölkerung durch die Gerüche beeinträchtigt wird. Unsere Ergebnisse decken sich hierbei mit dem Forschungsstand zum Belästigungs- und Belastungspotential von Gerüchen. Es ist anzumerken, dass auf Grundlage unserer Studie keine Aussagen über Ursache-Wirkungsbeziehung getätigt werden können. Dies ist bei der vorliegenden Problematik besonders schwierig, da somatische Reaktionen wie beispielsweise tränende Augen auch als automatische Schutzreaktion des Körpers vor potentiellen Gefahren auftreten können (Shusterman, 1992).
praktische Implikationen:
Auch wenn die Luftmessungen nahe legen, dass die Luftschadstoffe nicht toxisch wirken, sind die Beeinträchtigungen des Gesundheitszustandes der Bevölkerung dennoch von großer Bedeutung. Die Versorgung der Patienten kann verbessert werden, indem die Ärzte im Untersuchungsgebiet gezielt zum Belästigung- und Belastungspotential von Gerüchen geschult werden und wiederum ihre Patienten darüber aufklären. Hierdurch wird die Grundlage geschaffen, dass die berichteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Patienten ernster genommen werden. Außerdem können die Versorger vor Ort durch Patient Education gezielt Ängste der Patienten zu zerstreuen. Es kann berechtigterweise angenommen werden, dass sich der subjektiv eingeschätzte Gesundheitsstatus der ansässigen Bevölkerung hierdurch verbessert.