Hintergrund
Trotz steigender Arztzahlen in allen 23 Gruppen der Bedarfsplanung (07-17 insgesamt +15,2%), stagniert die Kapazität der vertragsärztlichen Versorgung in den letzten zehn Jahren weitgehend. Gründe hierfür sind z.B. die zunehmende Flexibilisierung der Arbeitszeiten sowie eine rückläufige Bereitschaft zur Niederlassung.
Es besteht ein Ungleichgewicht in der räumlichen Verteilung von vertragsärztlichen Kapazitäten. Während Ballungsgebiete häufig von Überversorgung geprägt sind, fehlen vor allem in ländlichen Regionen Haus- und Kinderärzte.
Eine Befragung von Eltern in Mecklenburg-Vorpommern hat gezeigt, dass Kinder, die weniger als 20 Km entfernt zur nächsten Kinderarztpraxis wohnen, häufiger einen Arzt aufsuchen als Kinder in versorgungsferneren Regionen (> 20 Km). Darüber hinaus gaben 51% der befragten Eltern aus versorgungsferneren Regionen an, mit ihren Kindern in der Regel zu einem Hausarzt zu gehen. In versorgungsnahen Regionen gaben dies 13% der Eltern an (p < 0.001). Im Vergleich dazu gaben 87% der Eltern aus versorgungsnahen Regionen an, im Allgemeinen einem Kinder- und Jugendmediziner aufzusuchen. Dieser Anteil lag bei Eltern in versorgungsfernen Regionen bei 51% (p < 0.001). Zur Sicherstellung der pädiatrischen Versorgung werden innovative und ressourcenschonende Konzepte.
Fragestellung
Können Haus- und Kinderärzte sich in der ambulanten Versorgung gegenseitig kompensieren und in welchem Umfang? Bestehen Unterschiede zwischen ländlichen und städtischen Regionen?
Methoden
Grundlage der Analyse war die Bedarfsplanungs-Richtlinie aus dem Jahr 2016 des Gemeinsamen Bundesausschusses und der Einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM) aus dem Jahr 2015, 4. Quartal. Ausgewertet wurden Abrechnungsdaten (Gebührenordnungspositionen - GOPs) der Kassenärztlichen Bundesvereinigung für Hausärzte und Kinder- und Jugendmediziner aus dem Jahr 2015. Anhand des EBM wurden zunächst mögliche Überlappungen von Leistungen zwischen den Arztgruppen ermittelt. Auf Grundlage der Abrechnungsdaten gehen grundsätzliche Kompensationsmöglichkeiten hervor.
Eine Leistung wurde definiert als eine abgerechnete GOP. Die Abrechnungsdaten beziehen sich auf die Hauptbetriebsstätte der niedergelassenen Ärzte.
Ergebnisse
Die Auswertung des EBM zeigt, dass eine Reihe von Möglichkeiten zur Kompensation von Leistungen in den arztgruppenübergreifenden allgemeinen GOPs zwischen Haus- und Kinderärzten besteht. z.B. können für den EBM-Abschnitt 1.7.1 (Früherkennung von Krankheiten bei Kindern) 16 GOPs von beiden Arztgruppen erbracht und abgerechnet werden. Die Analyse der Abrechnungsdaten zeigt, dass zwischen ländlichen und urbanen Regionen wesentliche Unterschiede in den Abrechnungsspektren der Leistungserbringer bestehen. Bundesweit wurden von Hausärzten 6,6% der Leistungen aus dem Bereich „Früherkennung von Krankheiten bei Kindern“ abgerechnet. In ruralen Regionen betrug der Anteil 23%, in urbanen Regionen waren es 3,6%.
Ein ähnliches Bild zeigt sich für den EBM-Bereich „Physikalisch-therapeutische GOP“, der ebenfalls sowohl von Haus- als auch von Kinderärzten abgerechnet werden darf. Hausärzte erbringen mit 92% in ländlichen Regionen mehr Leistungen aus diesem Bereich als in urbanen Regionen (85%). Bei den Kinderärzten ist der Anteil der abgerechneten Leistungen aus dem entsprechendem EBM-Abschnitt in urbanen Regionen (11%) dagegen höher als auf dem Land (4%).
Diskussion
Der EBM erlaubt insbesondere im Bereich der arztgruppenübergreifenden allgemeinen GOPs die Abrechnung von Leistungen sowohl durch Haus- als auch Kinderärzten. Anhand der Abrechnungsdaten zeigt sich, dass Hausärzte in ländlichen Regionen mehr Leistungen aus den entsprechenden Abschnitten abrechnen als in urbanen Regionen. Demnach übernehmen Hausärzte bereits einen relevanten Teil der medizinischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen in ländlichen Regionen.
Praktische Implikationen
Vor dem Hintergrund einer drohenden Unterversorgung in ruralen Regionen bieten Kompensation aber auch Kooperation zwischen Haus- und Kinderärzten eine vielversprechende Option, die Sicherstellung der pädiatrischen Versorgung zu unterstützen.
Titel:
Beschreibung der fachärztlichen „Vor-Ort“-Versorgung in deutschen Pflegeheimen. Analysen anhand von Routinedaten der AOK Baden-Württemberg
Fragestellung
Sehbeeinträchtigende Augenerkrankungen, Hörminderungen, Hauterkrankungen wie auch urologische Erkrankungen nehmen mit dem Alter zu. Verschiedene Studien haben aufgezeigt, dass bei Seniorenheimbewohnern eine (fachärztliche) Unterversorgung besteht. Eine neue Gebührenordnungsposition zur Förderung der kooperativen und koordinierten ärztlichen und pflegerischen Versorgung in stationären Pflegeheimen (Anlage 27 zum Bundesmantelvertrag) wurde zum 01.07.2016 zur Verbesserung der Versorgung eingeführt. Ziel dieser Studie ist es, aufzuzeigen, ob es einen Unterschied zwischen Fachärzten der oben genannten Fachrichtungen mit und ohne Abrechnung einer extrabudgetären Vergütung für die Betreuung gibt. Hierzu wurde der Anteil an Seniorenheimbewohnern in Bezug auf die Gesamtpatientenanzahl pro Facharztgruppe betrachtet.
Methoden
Abrechnungsdaten der AOK Baden-Württemberg (AOK BW) des Jahres 2017 wurden für eine deskriptiven Sekundärdatenanalyse genutzt. Die Studienpopulation bildeten alle Versicherten, die am 01.01.2017 bei der AOK BW versichert waren. Fachärzte/Innen mit mindestens 80 behandelten Versicherten im Jahr wurden eingeschlossen. Die Abrechnung des Aufsuchens eines Pflegeheims wurde gemäß Gebührenordnungsposition 37102, 37113 und 01415 analysiert.
Versicherte, die am 01.01.2017 Leistungen der vollstationären Pflege oder der Pflege in vollstationären Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen erhalten haben, wurden als Pflegeheimbewohnern/Innen definiert. Es wurde die fachärztliche Versorgung von Pflegeheimbewohnern vor (Jahr 2017) und nach der Einführung der genannten Gebührenordnungspositionen (Jahr 2015 als Referenz) mittels Wilcoxon- und Mann-Whitney U-Test verglichen.
Ergebnisse
1,35 % (57.427/4.262.470) aller Versicherten der AOK Baden-Württemberg waren Pflegeheimbewohner.
Die geringste Abrechnungshäufigkeit der Pflegeheimpauschale wurde bei Ärztinnen und Ärzten im Bereich Augenheilkunde gemessen. Hier rechneten von den 866 tätigen Augenärzt/Innen in Baden-Württemberg 16 (1,9 %) mindestens für einen Fall eine Betreuung im Pflegeheim im Jahr 2017 ab. In der Hals-Nasen-Ohren Heilkunde lag der Anteil bei 4,4% (24/560), im Bereich Dermatologie rechneten 13,0 % (71/548) mindestens einmal eine Betreuung im Pflegeheim ab. Der höchste Anteil an abrechnenden Ärzten wurde im Bereich Urologie gemessen. Hier lag der Anteil bei 36,6 % (149/406).
In allen untersuchten Fachdisziplinen wurden signifikante Unterschiede im Anteil der betreuten Pflegeheimbewohner in den Gruppen der Ärzt/tinnen mit Abrechnung der Pflegeheimpauschale im Vergleich zur Gruppe derer, die keine Pflegeheimpauschale abrechneten gemessen: Fachärzte mit Abrechnung der „Vor-Ort“-Pflegeheimpauschale hatten einen um 0,3% bis 1,0% (absolut, p ≤ 0.006) höheren Anteil an Seniorenheimbewohnern unter ihren Patienten
Im Vergleich zu vor der Einführung der Vergütung für die Betreuung im Pflegeheim zeigt sich bei den abrechnenden Fachärzten/innen eine Zunahme der betreuten Pflegeheimbewohner (Augenheilkunde: 0,87% auf 1,23%, p < 0,001; Dermatologen: 1,44 % auf 1,77 %, p = 0,04; HNO-Ärzte: 1,79 % auf 2,30 %, p = 0,07; Urologie: 2,47 % auf 2,85 %, p < 0,001).
Aber auch bei der Betrachtung aller jeweiligen Fachärzte (unabhängig von der Abrechnung der Vergütungspauschale für Pflegeheimbesuche) zeigt sich über den Zeitverlauf eine Zunahme des Anteils an Pflegeheimbewohnern (Augenärzte: 0,52 % auf 0,93 %, Dermatologen: 0,69 % auf 0,72 %, Urologie: 1,56 % auf 1,97 %, alle p < 0,001), mit Ausnahme der HNO-Ärzte (0,92 % auf 0,79 %, p < 0,001). Im gleichen Zeitraum nahm der Anteil an Pflegeheimbewohner an allen Versicherten nur um 0,03% zu.
Diskussion
Die Analyse der Abrechnungsdaten der AOK BW zeigen, dass deutliche Unterschiede in der Abrechnungshäufigkeit der Gebührenordnungsposition zur Förderung der ärztlichen „Vor-Ort“-Versorgung in stationären Pflegeheimen zwischen den Facharztgruppen bestehen. Während nur 2% der Augenärzte in Baden-Württemberg dies abrechneten, waren es in der Urologie 37%.
Eine Begründung für diese Unterschiede könnte im Technisierungsgrad der jeweiligen Fachgruppe liegen, sowie in der Möglichkeit tragbare Untersuchungsgeräte zu besitzen. Zudem zeigt sich über die vier Facharztgruppen hinweg, dass Fachärzte/Innen, die Seniorenheimbewohner vor Ort betreuen, durchschnittlich mehr Seniorenheimbewohner unter ihren Patienten haben. Einschränkend ist anzuführen, dass vermutlich viele Fachärzte/Innen von der Möglichkeit dieser Vergütung keine Kenntnis haben und ein gewisser Anteil dies daher nicht abrechnet. Positiv zeigt sich, dass im Jahr 2017 mehr Pflegeheimbewohner fachärztlich betreut wurden als 2015.
Hintergrund: Die beiden häufigsten Formen der Spondylarthritis, die Spondylitis ankylosans (SPA) und die Psoriasisarthritis (PSA) verlaufen progressiv, sind mit einer Prävalenz von >1% relativ häufig, mit unterschiedlichen Komorbiditäten assoziiert und führen oft zu Arbeitsunfähigkeit und verminderter Produktivität der Betroffenen. Aufgrund der damit einhergehenden funktionellen Einschränkungen und Schmerzen sind die betroffenen Patienten häufig massiv in ihrer Lebensqualität und ihrer Funktionalität eingeschränkt.
Fragestellungen: Wie hoch ist die geschätzte Jahresprävalenz und -inzidenz der PSA und SPA in der Routineversorgung? Welche medikamentöse Therapie erhalten Patienten mit PSA und SPA in der Routineversorgung? Welche kardiovaskulären, psychischen und andere Komorbiditäten haben Patienten mit PSA und SPA in der Routineversorgung? Ist das relative Erkrankungsrisiko hier in den Patientenkohorten höher als in der Kontrollkohorte?
Methoden: Es handelt sich um eine longitudinale Kohortenstudie basierend anonymisierten ambulanten und stationären GKV-Routinedaten sächsischer Versicherter der AOK PLUS der Jahre 2008 bis 2014. Die Patientenkohorte bilden dabei Personen mit SPA bzw. PSA – Diagnose (M2Q-Kriterium), alle anderen Personen sind der Kontrollgruppe zugeordnet. Die Kohorte der PSA-Patienten wird dabei noch stratifiziert in Patienten mit und ohne komorbider Psoriasis vulgaris (PSA+PSV). Prävalenzen und Inzidenzen wurden über den Beobachtungszeitraum auf Basis der Inanspruchnahme stationärer und ambulanter medizinischer Leistungen geschätzt. Des Weiteren wurden Häufigkeitsanalysen hinsichtlich der erfolgten medikamentösen Therapie bei Patienten mit PSA und SPA durchgeführt. Hinsichtlich der Komorbiditäten wurden multivariate Poissonregressionsmodelle gerechnet, um das relative Risiko (RR) des Auftretens dieser Erkrankungen in den Patientenkohorten im Vergleich zur Kontrollkohorte zu berechnen.
Ergebnisse: Die Gesamtprävalenz für beide Arthritisformen zusammen lag im Gesamtbeobachtungszeitraum von 2009 bis 2014 bei 0,77%. Dabei war die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen bei Männern höher als bei Frauen, bei PSA war es umgekehrt. Sowohl Prävalenz- als auch Inzidenzraten erhöhen sich innerhalb der Altersstrata. Hinsichtlich der systemischen Therapie erhielten fast alle Patienten mindestens einmal ein Basistherapeutikum aus der Gruppe der Nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR), fast die Hälfte erhielt weiterhin Corticosteroide sowie Immunsuppressiva. Etwa 12% (SPA) bzw. 17% (PSA) und 19% (PSA+PSV) der Patienten erhielten darüber hinaus mindestens einmal ein Biologikum. Die multivariate Poissonregression ergab fast durchgängig eine erhöhte Krankheitshäufigkeit bei Patienten mit SPA und PSA gegenüber der Kontrollkohorte innerhalb aller drei Komorbiditätsgruppen (psychische, kardiovaskuläre und andere somatische Komorbiditäten).
Diskussion: Vergleiche der Prävalenzraten mit Angaben aus der Literatur zeigen, dass Schätzungen auf Basis von GKV-Routinedaten plausibel und valide sein können. Bei den geschätzten Inzidenzraten hängt die Genauigkeit maßgeblich vom definierten krankheitsfreien Vorlauf ab, also der Zeitraum, den ein Patient vor erstmaligem Kodieren der Krankheit diagnosefrei abgebildet werden kann. Hier könnten Datenlimitationen, die die mögliche Vorbeobachtungszeit beschränken zur Überschätzung der Inzidenzraten führen. Bei der systemischen Therapie findet sich eine Häufigkeitsverteilung in der Verschreibung der Medikamente, die in etwa die Bedeutung der Wirkstoffe in der Behandlung widerspiegelt. Eine Besonderheit ist die gleichzeitige Verschreibung von TNF-Blockern und Immunsuppressiva. Studien legen hier nahe, dass die durch Immunsuppressiva unterdrückte Antikörperbildung die therapeutische Wirkung dieser Biologika verbessert werden kann. Hinsichtlich der Komorbiditätsraten müssen hinsichtlich der fast durchweg signifikant erhöhten Risiken Überlegungen zur Bedeutung dieser Effekte angestellt werden. Gerade in großen Datensätzen können auch kleine Effekte die Signifikanzschwelle schnell überschreiten. Weitergehende Analysen (Netzwerkmodelle) könnten Aufschluss darüber geben, ob die Effekte beispielsweise insbesondere durch eine kleine Subgruppe multimorbider Patienten hervorgerufen werden.
Praktische Implikationen: Klinische Studien und Register sind bezüglich der Übertragbarkeit auf die Versorgungsroutine begrenzt. Die vorliegende Studie bietet die Möglichkeit die medizinische Versorgung und Behandlung gerade im niedergelassenen Bereich, der mehrheitlich oft nicht in Studien oder Registeraktivitäten involviert ist, zu untersuchen. Dies stellt einen entscheidenden Vorteil in der Beantwortung der Frage dar, ob und inwieweit beispielsweise Leitlinienempfehlungen und Evidenz aus Studien von Klinikern in der alltäglichen Praxis umgesetzt werden und dort zu einen Mehrwert für die behandelten Patienten führen.
Hintergrund
In Deutschland erkranken pro Jahr rund 64.000 Menschen erstmalig an Darmkrebs, ca. 26.000 sterben pro Jahr daran. 210.000 Patienten leben mit einer bis zu fünf Jahre zurückliegenden Darmkrebsdiagnose.
Durch Vorsorgeuntersuchungen wie die Koloskopie können gutartige Vorstufen von Darmkrebs (Polyen) erkannt und direkt entfernt werden. Daher kann die Darmkrebsentstehung durch rechtzeitige Vorsorgeuntersuchungen drastisch vermindert werden. Seit 2002 ist die Früherkennungskoloskopie, auf die ca. 20 Mio. Versicherte Anspruch haben, Bestandteil des GKV-Leistungskatalogs.
Etwa bei der Hälfte der Männer und einem Drittel der Frauen, die zur Darmspiegelung gehen, werden Polypen gefunden. Wenn nur ein einzelner, kleiner und unauffälliger Polyp entdeckt wird, besteht erst nach 10 Jahren ein erneuter Anspruch auf eine (Kontroll-) Koloskopie. Wurde hingegen ein auffälliger oder größerer Polyp entdeckt oder wurden mehr als drei Polypen entfernt, ist die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass in den nächsten Jahren weitere Polypen entstehen. Deshalb wird dann die nächste Koloskopie bereits nach 3-5 Jahren empfohlen (3 Jahre nach fortgeschrittenem Adenom, 5 Jahre nach nicht-fortgeschrittenem Adenom).
Andererseits legen Untersuchungen nahe, dass eine wiederholte Inanspruchnahme von Koloskopien stattfindet, die oft über den medizinischen Bedarf hinausgeht. Hier zeigt sich einerseits, dass Kon-troll-Koloskopien, die innerhalb von 3 Jahren nach der initialen Koloskopie durchgeführt wurden, auf Personen entfallen, deren initialer Befund zu dem Zeitpunkt keine Kontrolle erforderte. Umgekehrt gibt es Hinweise, dass bei Personen mit erhöhtem Risiko keine Kontroll-Koloskopie durchgeführt wird.
Fragestellung
Es wurde die Fehlversorgung hinsichtlich zu früher Kontroll-Koloskopien analysiert. Hierzu wurde der Frage nachgegangen, inwiefern Kontroll-Koloskopien bei der Darmkrebsfrüherkennung über den medizinischen Bedarf hinausgehen, d.h. zu früh nach dem Befund der initialen Koloskopie erfolgen.
Methodik
Datenbasis sind sektorenübergreifende TK-Routinedaten im Zeitraum 2014-2018, in denen ein Ausgangskollektiv von 1,26 Mio. Versicherten mit einer Koloskopie identifiziert wurde. Dieses wurde dann so zugeschnitten, indem auf die Durchführung der Erstkoloskopie in 2016 (d.h. 2 Jahre vorher war keine Koloskopie erfolgt) in Verbindung mit spezifischen Leistungen (EBM-GOP und ICD-Codes) für die Darmkrebsfrüherkennung fokussiert wurde (n = 71.070). Dieses Kollektiv wurde in Versicherte mit einer Koloskopie (n = 67.780) und Versicherte mit mehreren Koloskopien geteilt (n = 3.290). Alle Ko-loskopien, die in einem Zeitraum von 6 Monaten nach der Erstkoloskopie erfolgten, wurden zur Erstkoloskopie dazu gezählt. Bei der Subgruppe der Versicherten mit mehr als einer Koloskopie wurde untersucht, aus welchem Grund die Kontrollkoloskopie erfolgte bzw. bei welcher Anwendungsindikationen die Re-Endoskopie durchgeführt worden ist.
Ergebnisse
Bei n = 2.747 Versicherten (83,5%) mit einer Koloskopie innerhalb von zwei Jahren nach Erstkoloskopie ließ sich in den Abrechnungsdaten (mind.) eine medizinische Indikation zuordnen. Dabei ist der Großteil auf Adenome und Polypen (42,7%) und Polypektomien (21,0%) zurückzuführen. Die anderen Indikationen verteilen sich auf unterschiedlich (kleinere) Krankheitsentitäten: u.a. 3,4% Leistungen der Krebsfrüherkennung (u.a. GOP 01741), 5,6% gastro-intestinale Blutung (u.a. ICD D62 als akute Blutungsanämie), 4,6% abdominelle Operationen, 2,% Morbus Chron / Colitis ulcerosa, 3,7% sonstige nichtinfektiöse Gastroenteritiden und Kolitiden, 3,1% Reizdarmsyndrom (ICD K58), 2,0% im Zusammenhang mit medizinischen Komplikationen (u.a. Peritonitis) und 1,2% Darminfektionen (u.a. Salmonelleninfektionen).
Diskussion
Obwohl wir eine Karenzzeit von 6 Monaten nach Erstkoloskopie berücksichtigt haben, existiert eine relevante Anzahl von Kontroll-Koloskopien, die nach Abgleich mit potentiellen Anwendungsindikationen über den medizinischen Bedarf hinauszugehen scheinen (Überversorgung).
Grundsätzlich kann man mit GKV-Routinedaten sämtliche Ereignisse im Zeitverlauf erfassen, die mit medizinischen Leistungsinanspruchnahmen einhergehen. Hierbei ist aber zu berücksichtigen, dass aufgrund unzureichender Detaillierungen von ICD-Diagnosen oft die Trennung zwischen Ursache und Wirkung im Leistungsverlauf nicht immer eindeutig möglich ist. Die exakte zeitliche Abfolge der erforderlichen klinischen Informationen findet sich in den Abrechnungsdaten des klinischen Behandlungs-falls zum Teil nur eingeschränkt wieder.
Praktische Implikationen
GKV-Routinedaten sind geeignet, Fehlversorgung durch zu frühe Kontroll-Koloskopien in der Versorgungsrealität zu quantifizieren. Vor der vertieften Interpretation dieser Ergebnisse sind aber noch weitere methodische Differenzierungen i.S. von Homogenisierung der Indikationen und Spezifizierung der Operationalisierung zu leisten.
Hintergrund
Multiple Sklerose (MS) ist die häufigste neurologische Erkrankung von jungen Erwachsenen in Deutschland. Sie geht mit signifikanten medizinischen, sozialen und ökonomischen Folgen für die Betroffenen und die Gesellschaft einher.
Fragestellung
Ziel dieser Studie war die Abbildung der Versorgungsrealität von MS-Patienten in Deutschland sowie die Darstellung der gesundheitsökonomischen Aspekte der Erkrankung aus Sicht der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) im Vergleich zu einer Kontrollgruppe ohne MS im Jahr 2013.
Methode
Abrechnungsdaten der DAK-Gesundheit aus den Jahren 2010 bis 2015 bildeten die Grundlage dieser retrospektiven Krankenkassendatenanalyse. Prävalente MS-Patienten wurden anhand des ICD-10-GM Codes G35.- im stationären oder ambulanten Sektor (eine stationäre Diagnose oder zwei ambulante gesicherte Diagnosen oder eine ambulante gesicherte Diagnose und eine Verschreibung eines MS-spezifischen Arzneimittels) in 2010-2013 identifiziert.
Über ein 1:1 Matching wurden die MS-Patienten mit einer Kontrollgruppe verglichen, die im Studienzeitraum keine MS-Diagnose aufwiesen. Die Matchingparameter beinhalteten Alter, Geschlecht, Versichertenstatus, Elixhauser Comorbidity Index Score, Bundesland und Wohnort im städtischen/ländlichen Raum.
Demographische Charakteristika, der Ressourcenverbrauch in den einzelnen Sektoren und die Kosten wurden für das Jahr 2013 bestimmt. Unterschiede zwischen den Gruppen wurden mithilfe des gepaarten t-Tests, Wilcoxon-Vorzeichen-Rang-Tests, Chi²-Tests oder McNemar-Tests auf statistische Signifikanz geprüft.
Ergebnisse
Im Jahr 2013 wurden 24.150 prävalente MS-Patienten identifiziert. Die für Deutschland alters- und geschlechtsstandardisierte Prävalenzrate betrug 416,6 pro 100.000 Versicherten. Hochgerechnet für Deutschland ergeben sich daraus 335.440 MS-Erkrankte.
93,1% der MS-Patienten konnte ein Matchingpartner zugewiesen werden. 80,3% der Betroffenen waren weiblich und das mittlere Alter betrug 52,7 Jahre (±13,6 Jahre). In Bezug auf die verschiedenen Krankheitsformen der MS wurde bei 4,8% der MS-Patienten der primär-chronische Verlauf allein oder in Kombination mit einer unspezifischen Kodierung für eine nicht näher bezeichnete MS innerhalb der Jahre 2010 bis 2013 kodiert. Für den sekundär-chronischen Verlauf traf dies auf 3,7% MS-Patienten zu.
Bei der Betrachtung der einzelnen Sektoren wurde deutlich, dass 32,6% der MS-Patienten und 22,0% der Kontrollen in 2013 mindestens einen Krankenhausaufenthalt hatten (p < 0,001).
Kortikosteroide wurden in der MS-Gruppe deutlich häufiger verschrieben (20,2% vs. 8,2%, p < 0,001). Ein ähnliches Bild zeigte sich für Antidepressiva (27,5% vs. 20,9%, p < 0,001) und Antiepileptika (16,0% vs. 6,6%, p < 0,001). 32,3% der MS-Patienten wiesen im Jahr 2013 eine Verschreibung für krankheitsmodifizierende Therapien (DMT) auf.
Zu den häufigsten Hilfsmitteln in der MS-Gruppe mit einem signifikanten Unterschied zur Kontrollgruppe zählten Inkontinenzhilfen (18,2% vs. 2,1%, p < 0,001) und Krankenfahrzeuge wie Rollstühle (13,9% vs. 0,7%, p < 0,001). Auch Heilmittel wie Physiotherapie (55,9% vs. 29,1%, p < 0,001) wurden signifikant häufiger in der MS-Gruppe verschrieben.
Der größte Unterschied in der Inanspruchnahme zeigte sich in der Pflege (24,6% der MS-Patienten vs. 3,8% der Kontrollgruppenpatienten, p < 0,001). Auch die häusliche Krankenpflege wurde von den MS-Patienten häufiger in Anspruch genommen (7,5% vs. 1,7%, p < 0,001).
Insgesamt betrugen die Kosten im Jahr 2013 aus Sicht der GKV 14.240€ pro MS-Patient und 4.214€ pro Kontrollpatient. Demnach wies die MS-Gruppe um 10.026€ (+238%) höhere Gesamtkosten auf als die Kontrollgruppe (p < 0,001). Dieser Unterschied war v.a. auf Arzneimittelkosten (7.336€ vs. 1.075€, p < 0,001) und Pflegekosten (2.143€ vs. 241€, p < 0,001) zurückzuführen.
Diskussion
Die in dieser Studie ermittelte alters- und geschlechtsadjustierte Prävalenz liegt deutlich über bisher publizierten Ergebnissen. Die Alters- und Geschlechtsverteilung stimmt mit Angaben aus anderen Studien überein. Die Analyse des Ressourcenverbrauchs zeigt, dass MS-Patienten in Deutschland im Vergleich zu nicht von MS Betroffenen auf deutlich mehr Leistungen vor allem im stationären Sektor, der Pflege sowie Arzneimittelsektor angewiesen sind. Die erhöhte Inanspruchnahme spiegelt sich auch in den deutlich erhöhten Kosten pro Patient wider.
Praktische Implikationen
Die Prävalenz der MS wird höher eingeschätzt als bisher berichtet. Zudem verdeutlicht die Studie die mit MS einhergehende Belastung für die einzelnen Betroffenen und die Gesellschaft. Neben den Arzneimitteln spielt vor allem die Pflege eine wichtige Rolle in der Versorgung. Für die Praxis bedeutet dies, dass eine frühzeitige und umfassende Versorgung der MS-Patienten über alle Gesundheitssektoren hinweg unabdingbar ist und verbessert werden muss, um Krankheitsaktivität zu vermeiden. Dies würde mittelfristig auch zu einer Kostenreduktion führen.
Background: Although it is widely acknowledged that long acting injectables (LAIs) are superior to oral medications in treating patients with schizophrenia in terms of re-hospitalizations (Kishimoto et. al 2013), there is limited data available for Germany. Therefore, we aim to analyze the impact of LAI treatment initiation on outcome measure such as number of hospitalizations, lengths of stay (LoS), outpatient office visits and associated costs.
Methods: Utilizing a large German claims data base, we adopt a mirror image study design to compare costs and resource utilization for the 12 months before the index date (first initiation of LAIs) and the 12 months after the index date. Patients were included who were diagnosed with schizophrenia in the period between 2012 and 2015. The database covers 5 million patients of the German statutory health insurance with an age and sex distribution that resembles that of the general population insured with statutory health insurance. To be eligible for the study cohort patients had to have an ICD-10 F20.x diagnosis in the quarter of index date or in the preceding quarter, be 18 years of age or older at the index date, had at least 365 days of continuous enrollment prior to the index date, and at least 365 days of continuous enrollment after the index date. We excluded patients with comorbidities of ADHD, epilepsy, and dementia in quarter of the index date or in a preceding quarter. We did so, because patients with those diagnoses often receive off-label antipsychotic medications.
Results: We identified 850 patients who switched from an oral medication to a LAI with mean age of 45 years. 54% of the patients were male. The following LAIs were prescribed: Haloperidol (n=96), Flupentixol (n=129), Zuclopenthixol (n=19), Fluspirilen (n=76), Olanzapin (n=76), Risperidon (n=176), Aripiprazol (n=66), Paliperidon (n=230). Overall, total annual treatment costs were reduced from 13,776 EURO in the pre-index period to 10,418 EURO after the initiation of LAIs indicating net savings of 3,358 EURO for the German healthcare system. While the acquisition costs of antipsychotics increased from 508 EURO to 3,458 EURO, we observed a considerable decrease in hospitalization costs (from 11,908 EURO to 5,345 EURO). This cost reduction was due to a decrease of days spent in hospitals (from 73 to 59 days). Costs for outpatient service slightly increased from 581 EURO to 789 EURO.
Conclusions: This is the first claims data base analysis for Germany that studied the cost impact of a treatment initiation with LAIs in a large cohort of schizophrenia patients. In line with results from other countries we found significant savings from a health insurance point of view that calls for a wider use of LAIs in Germany. A notable limitation of this study is that disease severity is not observable in claims data sets and for this reason, we are not able to fully control for potential confounders.
Hintergrund
Das Multiple Myelom (MM) gehört zu den hämatologischen Neoplasien. Innerhalb dieser heterogenen und facettenreichen Krankheitsgruppe ist das MM die zweithäufigste Erkrankung (1). Es gibt verschiedenen Therapieansätze zur Behandlung des MM, dabei wird insbesondere dahin gehend unterschieden, ob die Patienten für eine autologe Stammzelltransplantation (ASZT) in Frage kommen oder nicht.
Fragestellung
Im Rahmen einer Krankenkassendaten Analyse wurde der Fragestellung nachgegangen wie groß der Anteil der ASZT geeigneten bzw. ASZT ungeeigneten Patienten beim neudiagnostizierten MM (NDMM) ist. Aufgrund der interessanten Ergebnisse hinsichtlich unbehandelter NDMM-Patienten wurde anschließend eine vertiefende Analyse durchgeführt, um genauer zu differenzieren, warum diese Patienten nicht behandelt wurden und welcher Anteil tatsächlich zur Gruppe der watch & wait Patienten zählt.
Methoden
Auf Basis von Abrechnungsdaten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) wurde eine retrospektive Datenanalyse der InGef Forschungsdatenbank durchgeführt. Patienten mit NDMM wurden anhand von ICD-10-GM Codes im Zeitraum 01. Januar 2013 bis 31. Dezember 2014 identifiziert. Die Analysepopulationen wurden hinsichtlich Alter und Geschlecht, Medikamente in der Erstlinie und Mortalität untersucht. Zur Identifizierung der Erstdiagnose der NDMM Patienten wurde ein Vorbeobachtungszeitraum von zwei Kalenderjahren gewählt (Wash-out Periode). Die Analyse der MM-Patienten hinsichtlich ihrer Erstlinientherapie (ASZT geeignet vs. ungeeignet), Alters und Geschlechtsverteilung sowie Zeit bis zum Tod nach Diagnosestellung erstreckte sich auf einen individuellen Nachbeobachtungszeitraum von zwei Jahren folgend auf den Zeitpunkt der Erstdiagnose.
Die weitere Analyse der unbehandelten MM-Patienten erfolgt in drei Analyseschritten (Patienten ohne Ausschlussdiagnose, Patienten mit mehreren MM Diagnosen und nicht-verstorben innerhalb der Nachbeobachtungszeit), so dass nur noch Patienten in der Analyse verbleiben, die nach Meinung der Autoren auch tatsächlich als Watch & Wait Patienten gezählt werden können. Im Rahmen dieser erweiterten Untersuchung wurde für jede Analysepopulation unter anderem untersucht, welche weiteren onkologischen Erkrankungen die Patienten haben, welche Arztgruppe die MM-Diagnose gestellt hat und Zeit bis zum Tod nach Diagnosestellung.
Ergebnisse
Insgesamt wurden im Studienzeitraum 1.101 NDMM Patienten identifiziert. Von diesen waren 57,1% Männer und 42,9% Frauen. 39,3% (n=433) der analysierten Patienten erhielten eine systemische anti-MM-Behandlung. In 83,8% der Fälle (n=363) konnte aufgezeigt werden, dass die Patienten entweder nur eine systemische anti-MM-Therapie oder zusätzlich auch eine ASZT-Therapie erhielten. Von den 363 Patienten erhielten 34,2% eine ASZT- und 65,8% keine ASZT-Behandlung. Bei 16,2% der Patienten war keine spezifische Zuordnung zu einer ASZT- bzw. keiner ASZT-Behandlung möglich, da sie im Beobachtungszeitraum verstarben, oder die Nachbeobachtungzeit zu kurz war um eine gesicherte Aussage zu treffen. 60,7% der NDMM Patienten erhielten keine systemische anti-MM-Behandlung. 33,3% der therapierten Patienten erhielten eine MM-Erstdiagnose im stationären Setting, 20,1% bzw. 14,8% der Patienten erhielten diese durch den Hausarzt bzw. einen Onkologen, alle weiteren von anderen Arztgruppen. Die durchschnittliche Mortalität der NDMM Patienten betrug 27,4% in den ersten zwei Jahren nach Diagnosestellung, wobei sich zwischen den Analysepopulationen jedoch deutliche Unterschiede zeigten. Nach den drei Analyseschritten der unbehandelten Patienten können 318 von 668 Patienten als W&W eingestuft werden. Die mediane Zeit bis zum Tod der Patienten ohne eine systemische anti-MM-Behandlung, betrug 193 Tage.
Diskussion
Die Aussagekraft von Krankenkassendaten ist eingeschränkt, da diese Daten zu Abrechnungszwecken und nicht zu Analysezwecken erhoben werden. Dennoch bieten diese Daten Einblicke, um ein tieferes Verständnis hinsichtlich der Patientencharakteristik.
Praktische Implikation
Die Analyse zeigt, dass der Anteil an nicht unmittelbar mit einer anti-Myelom Therapie behandelbaren Patienten höher ist als in der gängigen Literatur bisher beschrieben (2,3).
Literatur:
(1) RKI. Robert Koch Institut. Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Zentrum für Krebsregisterdaten (GEKID). Krebs in Deutschland 2011/2012. 11. Ausgabe 2015. 2015.
(2) Kyle, R.A., et al., Clinical course and prognosis of smoldering (asymptomatic) multiple myeloma. N Engl J Med, 2007. 356(25): p. 2582-90.
(3) Rajkumar, S.V., What's new in multiple myeloma? Hematological Oncology, 2015. 33: p. 101.
Hintergrund: Allergische Atemwegserkrankungen betreffen Menschen aller Alters- und Gesellschaftsschichten und führen zu Einschränkungen im Alltag der Betroffenen. Da allergische Atemwegserkrankungen häufig bereits im Kindes- und Jugendalter entstehen und bei den meisten Patienten über die gesamte Lebensdauer bestehen bleiben, ist aus gesellschaftlicher und ökonomischer Perspektive eine optimale Versorgung wichtig. Die Behandlung bei allergischen Atemwegserkrankungen besteht zum einen aus der Allergenkarenz, die jedoch häufig nicht vollständig umgesetzt werden kann und/oder nicht zu vollständiger Symptomkontrolle führt, sowie der medikamentösen Behandlung der Symptome. Den einzigen kausalen Therapieansatz, mit der Fähigkeit den natürlichen Krankheitsverlauf zu ändern, stellt die spezifische Immuntherapie (SIT) dar. Neben einer über die Therapiedauer hinaus bestehenden Linderung der Symptomlast und somit des Medikationsbedarfs sowie ggf. Produktivitätsverlustes können durch die SIT auch die Entstehung von Asthma bei Rhinitikern sowie neue Sensibilisierungen verhindert werden. Die bisher für Deutschland berichteten Behandlungsraten für die SIT werden im internationalen Vergleich als niedrig bewertet. Eine Einordnung wird jedoch dadurch erschwert, dass der Anteil an für die SIT geeigneten Patienten in Deutschland bislang nicht untersucht wurde. Eine optimale Versorgung von allergischen Atemwegserkrankungen kann nur durch die Verabreichung der SIT bei geeigneten Patienten erfolgen.
Fragestellung: Das Ziel der Studie ist eine Analyse der Versorgungssituation von Patienten mit allergischen Atemwegserkrankungen mit Fokus auf die SIT. Primäre Arbeitshypothese ist die Annahme einer Über- und Unterversorgung von Patienten mit allergischen Atemwegserkrankungen im Hinblick auf das Vorliegen einer Indikation zur SIT. Sekundäre Arbeitshypothesen sind, dass Über- und Unterversorgung verstärkt in bestimmten Patientengruppen auftreten und dass es Merkmale gibt, die eine indikationsgerechte SIT signifikant begünstigen oder verhindern.
Methode: Um die Versorgungssituation der SIT bei allergischen Atemwegserkrankungen darzustellen wird eine retrospektive, querschnittliche, kohortenbasierte Versorgungsanalyse auf der Basis von Patientenangaben und Routinedaten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) durchgeführt. Für die Stichprobe werden auf Basis der Routinedaten einer großen bundesweit tätigen Krankenkasse Versicherte mit den ICD-Codes J30.1, J30.2, J30.3, J30.4 sowie J45.0 und J45.8 selektiert. Für die Indikation allergisches Asthma erfolgt eine zusätzliche Validierung über indikationsspezifische Arzneimittelverordnungen. In der Analyse werden die Studienteilnehmer in vier Gruppen unterteilt: a) SIT mit Indikation, b) SIT ohne Indikation, c) keine SIT bei Indikation zur SIT, d) keine SIT und keine Indikation zur SIT. Die Patientenangaben werden über eine postalische Befragung der Versicherten der Krankenkasse mittels standardisiertem Fragebogen erhoben, der soweit möglich validierte Instrumente zur Erhebung von Aspekten wie Erkrankungsschwere und Lebensqualität enthält. Es werden die folgende statistische Analysen durchgeführt: Quantifizierung der Über- und Unterversorgung und damit des Optimierungspotentials basierend auf der Gruppeneinteilung, deskriptive Darstellung der Symptomschwere, Lebensqualität und Krankheitskosten bei allergischen Atemwegserkrankungen allgemein und in den oben genannten Gruppen. Ein positives Ethikvotum liegt vor.
Ergebnisse: Während die Routinedaten umfassende und sektorübergreifende Informationen zu Diagnosen und Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen geben werden, liefern die Primärdaten aus den Patientenfragebögen Informationen zur aktuellen Versorgungssituation, Erkrankungsschwere, Therapiehistorie, Lebensqualität, Verwendung von nicht rezeptpflichtigen Medikamenten und soziodemographische Merkmale. Auf dieser Basis wird es möglich prädiktive Faktoren für Über- und Unterversorgung zu identifizieren, in denen sich die Gruppen signifikant unterscheiden. Dabei geht es zum einen darum prädiktive Faktoren für eine indikationsgerechte Versorgung und zum anderem prädiktive Faktoren für die Durchführung einer SIT zu ermitteln.
Diskussion:
praktische Implikationen: Mit VerSITA wird eine fundierte Grundlage für zukünftige Forschung und zur Information von Entscheidungsträgern geschaffen, um Maßnahmen zur Optimierung der Versorgung zu entwickeln.