Hintergrund: Angesichts der steigenden Zahl an Demenzerkrankungen gewinnt die Debatte zur Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf zunehmend an sozialpolitischer Brisanz. Informelle Pflegepersonen von Menschen mit Demenz (MmD) sind physischen und psychischen Belastungen und, wenn sie im erwerbsfähigen Alter sind, zudem finanziellen Einbußen ausgesetzt. Doch wie die gleichzeitige Erwerbstätigkeit erlebt wird, hängt von verschiedenen sozialen und individuellen Faktoren ab. Ziel dieser mixed methods-Studie (QUAL-quan-Design) ist es, die Vereinbarkeit der Pflege bei Demenz mit Familie und Beruf genauer zu ergründen, indem wir die Netzwerke und die persönliche Charakteristika der informellen Pflegepersonen von MmD eingehend betrachten.
Fragestellung: Forschungsleitende Fragestellungen für den QUAL-Teil der Studie sind: Wie erleben die Mitglieder informeller, pflegerischer Netzwerke die Übernahme der Pflegeverantwortung für einen MmD? Wie nehmen sie die Aufgabenverteilung wahr? Wie erleben sie mögliche Veränderungen im privaten, familiären, beruflichen Leben durch die Pflege? Wie werden mögliche Bedingungen erlebt, die die wahrgenommenen Veränderungen beeinflussen?
Zur Anreicherung des QUAL-Studienmaterials werden im Rahmen des quan-Studienteils soziodemo- und psychographische Daten der Pflegepersonen erhoben.
Methode: In dieser mixed methods-Studie (simultaneous qualitatively driven mixed methods-design) wurden qualitative und quantitative Daten von informellen Pflegenetzwerken erhoben. Diese bestehen aus familialen und nicht-familialen Pflegepersonen von zuhause lebenden MmD. Narrative Interviews, in denen die Pflegepersonen frei ihr Erleben der Pflege erzählen, werden mithilfe der Dokumentarischen Methode interpretiert. Über Netzwerkkarten werden die Struktur der einzelnen Netzwerke und deren Bedeutung für die Pflegepersonen sichtbar. Die pflegebedingte Belastung, Gesundheit, Persönlichkeitseigenschaften, Selbstwirksamkeit und Coping-Fähigkeiten der Pflegepersonen werden mithilfe validierter Fragebögen gemessen (CarerQol, EQ-5D, NEO-FFI-30, ASKU, PCI).
Ergebnisse: Insgesamt konnten 19 Pflegepersonen aus 7 Netzwerken eingeschlossen werden. Das Durchschnittsalter beträgt 51 Jahre und der Großteil (79 %) der Pflegepersonen ist weiblich. Mit 47 % stellen die pflegenden Kinder die größte Gruppe dar und in dieser Studie sind sie, bis auf eine Ausnahme, berufstätig. Insgesamt sind 73,7 % des Samples erwerbstätig und weitere 10,5 % bereits berentet.
Die Interpretation des qualitativen Studienmaterials beschränkt sich zum aktuellen Zeitpunkt auf die Netzwerke der pflegenden Kinder. Es zeigen sich Geschwister-Netzwerke, die sich entweder an geteilter Pflegeverantwortung und Kooperation unter den Netzwerkmitgliedern oder an ungleich verteilter Pflegeverantwortung orientieren, wodurch das Netzwerk ein hohes Konfliktpotenzial birgt. Auslöser der Konflikte, die augenscheinlich um die Pflege ausgetragen werden, liegen nicht nur in der gegenwärtigen Pflegesituation, sondern sind auch auf frühere Ereignisse in den Biographien der pflegenden Geschwister zurückzuführen. Zur weiteren Interpretation können die Geschwister-Netzwerke mit anderen Netzwerken verglichen werden (z.B. pflegende Eheleute).
Nur wenige Pflegende berichten von Auswirkungen der Pflege auf den Beruf und niemand wäre bereit, die Berufstätigkeit für eine intensivere Pflegetätigkeit aufzugeben. Der Beruf wird teilweise als willkommene Ablenkung von der Pflege gesehen. Die Pflegenden entwickeln Strategien, ihren Tagesablauf effizient zu strukturieren. Weiterhin nehmen sie externe Hilfsangebote in Anspruch, die ihnen mehr Flexibilität im Alltag verschaffen. Durch den Einbezug nicht-familialer Pflegepersonen konnte eine bisher wenig untersuchte Personengruppe, ehrenamtlich Tätige in der Betreuung von MmD, identifiziert werden.
Diskussion: Die Kombination beider Forschungsstränge wird auf dem Level der Interpretation erfolgen und dazu dienen, die qualitativen Studienergebnisse anhand der quantitativen Befunde zu kontextualisieren und Hypothesen zu generieren. Angesichts des kleinen Samples können keine Rückschlüsse auf Zusammenhänge gezogen werden.
Praktische Implikationen: Unsere Studie wird die Debatte um die Vereinbarkeit der Pflege bei Demenz mit Familie und Beruf erstmalig mit Ergebnissen bereichern, die die Sicht von verschiedenen informellen Pflegepersonen widerspiegeln und vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Charakteristika und dem Netzwerk, dem sie angehören, entstanden sind. Basierend auf dem rekonstruierten Erleben der Pflege lassen sich Typen entwickeln, die verschiedene Wege der Vereinbarkeit aufzeigen können. Implikationen zur Unterstützung der informellen Pflegenetzwerke von MmD werden abgeleitet werden. Schon jetzt zeigt sich dringender Bedarf nach psychologischer Begleitung der nahen, mit der Pflege betrauten Angehörigen der MmD – vor allem derjenigen, die zu einem Netzwerk mit ungleich verteilter Pflegeverantwortung gehören.
Hintergrund
Derzeit leben rund 1,7 Mio. Menschen mit Demenz (MmD) in Deutschland. Im Jahr 2050 werden aufgrund der steigenden Lebenserwartung bundesweit drei Mio. MmD erwartet. Da zwischen 50 und 80 Prozent vollstationäre Versorgung bedürfen, ist eine langfristig wirksame Umstellung von Pflege und Betreuung anzustreben (DAK, 2018).
‚TiP.De – Theater in der Pflege von Menschen mit Demenz‘ erforscht als Pilotprojekt den Einfluss theaterpädagogischer Methoden auf die Lebensqualität von MmD im Setting der Altenpflege. Das Projekt findet von April 2017 bis März 2020 unter finanzieller Förderung des Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung und das Land Niedersachsen (EFRE, ZW 6-85003210) statt.
Fragestellung
Die Fragestellung, inwieweit theaterpädagogische Interventionen Einfluss auf die Lebensqualität und agitiertes Verhalten von MmD nehmen, wird verfolgt (Seeling, Cordes & Höhn, 2018).
Das Ziel des Projektes ist es, ein theaterpädagogisches Interventionskonzept zu entwickeln und in zwei Altenpflegeeinrichtungen zu implementieren, um Ergebnisse über die Wirksamkeit zu generieren und die Versorgung von MmD zu individualisieren.
Methode
In der experimentellen Interventionsstudie wird der Effekt des theaterpädagogischen Konzeptes auf MmD erforscht. Der Mini-Mental-Status-Test misst den Grad der Erkrankung. Lebensqualität wird durch das QUALIDEM 2.0 erhoben. Agitiertes Verhalten bildet das Cohen-Mansfield Agitation Inventory ab. Die emotionale Skala des Heidelberger Instruments zur Erfassung der Lebensqualität Demenzkranker wird während des Angebots angewendet, um emotionale Regungen auf unterschiedliche Reize zu registrieren. Die Daten werden im Prä-Post-Vergleich gegenübergestellt. In die Studie werden 40 Teilnehmende mit der Diagnose Demenz, mindestens zwei Pflegediagnosen nach den European Nursing Care Pathways und gesicherter Mobilität aufgenommen.
Das jeweils zehn Einheiten umfassende Interventionskonzept wurde im Jahr 2018 mit vier unterschiedlichen Gruppen in zwei Altenpflegeeinrichtungen angeboten. Es fügte sich in die Lebenswelt der Teilnehmenden und den Alltag der Einrichtungen ein, da eine inhaltliche Orientierung an der Landwirtschaft bestand, welche die Region und die Biografie der Teilnehmenden bis in die 1970er Jahre prägte (Seeling, Cordes & Höhn, 2018).
Als Spielleitung gibt die Theaterpädagogin Impulse zur Aktivierung in die Interventionsgruppe, während eine Betreuungskraft als Spielbegleitung die Impulse verstärkt und sich um die persönlichen Bedürfnisse der Teilnehmenden während der Intervention kümmert (Höhn, Seeling & Cordes, 2018).
Ergebnisse
Studien zur Theaterarbeit mit älteren Menschen zeigen, dass Theaterspielen die Lebensqualität erhalten und verbessern kann (Seeling & Cordes, 2017), weshalb erwartet wird, dass ein messbar positiver Effekt der Theaterinterventionen auf Lebensqualität, agitiertes Verhalten und Krankheitsgrad der MmD zu verzeichnen ist.
Diskussion
Mit Methoden der Theaterpädagogik werden in der Pflege von MmD neue Wege erschlossen, um die Versorgung zu individualisieren, die Lebensqualität zu verbessern und die Beziehungsgestaltung sicherzustellen. Somit kann der anfangs geschilderten Forderung nach einer Anpassung der pflegerischen Versorgung von MmD Folge getragen werden.
Praktische Implikationen
Das theaterpädagogische Interventionskonzept wird als Methodenkoffer veröffentlicht, um das Betreuungsangebot mit dem Ziel der Beziehungsgestaltung in das Setting der Altenpflege zu integrieren. Dies zielt auf eine Verbesserung der Versorgungssituation und der Lebensqualität, sowie die im Expertenstandard des DNQP geforderte Beziehungsgestaltung in der Pflege von MmD ab (DNQP, 2018). Das Konzept schafft ein neues Arbeitsfeld für Theaterpädagogen/innen und trägt zu einer positiv empfundenen Arbeitssituation und –belastung für Pflegende bei (Seeling, Cordes & Höhn, 2018).
Literatur
Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) (2018). Expertenstandard Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz. Osnabrück. Hochschule Osnabrück.
Höhn, J., Seeling, S. & Cordes, F. (2018). Der Kreis als Bühne theatraler Erinnerungen. Theater in der Pflege von Menschen mit Demenz. Zeitschrift für Theaterpädagogik 34 (73), 53-56.
DAK-Gesundheit (DAK) (Hrsg.) (2018). Pflegereport 2018. Pflege von Ort – gelingendes Leben mit Pflegebedürftigkeit. Abgerufen von https://www.dak.de/dak/download/pflegereport-2018-2041452.pdf am 12.03.2019.
Seeling, S. & Cordes, F. (2017). TiP.De – Theater in der Pflege von Menschen mit Demenz. Eine Literaturrecherche zum Start des interdisziplinären Forschungsprojektes in der Altenpflege. Pflegewissenschaft 19 (9/10), 433-439.
Seeling, S., Cordes, F. & Höhn, J. (2018). Das interdisziplinäre Forschungsprojekt TiP.De – Theater in der Pflege von Menschen mit Demenz. Der Effekt der Theaterpädagogik auf die Lebensqualität von Menschen mit Demenz – ein interdisziplinäres Forschungsprojekt. Pflegewissenschaft 20 (7/8), 296-303.
Hintergrund
Die meisten Menschen mit Demenz leben in der eigenen Häuslichkeit und werden dort maßgeblich von Angehörigen versorgt. Im Verlauf der Demenz ist das Herstellen und Aufrechterhalten einer stabilen häuslichen Versorgungssituation ein handlungsleitendes Motiv versorgender Angehöriger und auch ein Ziel staatlicher Sozial- und Gesundheitspolitik. Während es einigen Angehörigen gelingt, die Versorgung für sich und den Menschen mit Demenz über einen langen Zeitraum gut zuhause zu gestalten, schaffen es andere Angehörige nicht das Versorgungsarrangements zu stabilisieren, was häufig mit einem Umzug des Menschen mit Demenz in ein anderes Versorgungssetting verbunden ist. Ziel der vorgestellten Studie ist es den Prozess der Herstellung der Stabilität häuslicher Versorgung zu konzeptualisieren. Im Rahmen dieses Beitrags wird darüber hinaus die Typenbildung versorgender Angehöriger als eine Möglichkeit der Unterscheidung stabiler und instabiler Versorgungsarrangements diskutiert.
Fragestellung
Was konstituiert die Stabilität häuslicher Versorgungsarrangements für Menschen mit Demenz? Wie werden Typen versorgender Angehöriger methodisch gebildet? Welchen Beitrag kann die Typenbildung zu einem besseren Verständnis von Stabilität häuslicher Versorgungsarrangements leisten?
Methode
Bestehende Evidenz zum Phänomen Stabilität häuslicher Versorgungsarrangements wurde im Rahmen einer Meta-Studie synthetisiert. Durch eine systematische Datenbankrecherche (Medline, CINAHL, PsycINFO), die mit einem theoretisches Sampling und Forward-/Backward-Citation-Tracking kombiniert wurde, wurden relevante Studien identifiziert und anhand vordefinierter Kriterien ausgewählt. Sowohl quantitative und qualitative Studien als auch mixed-methods Studien und Reviews wurde in die Meta-Studie eingeschlossen. In einem analytischen Dreischritt wurden sowohl Forschungsergebnisse (Meta-Data) als auch Theorien (Meta-Theory) und Methoden (Meta-Method) der eingeschlossenen Studien analysiert und schließlich einer gemeinsamen Synthese (Meta-Synthesis) zugeführt. Zentrale Auswertungsmethode war die thematische Synthese.
Ergebnisse
Das Ergebnis der Meta-Studie ist eine Theorie mittlerer Reichweite, die Stabilität häuslicher Versorgungsarrangements als die Folge des Handelns versorgender Angehöriger konzeptualisiert. Zentrale Konzepte der Theorie sind der Versorgungsverlauf und die mit ihm verbundenen Veränderungen, die Bedürfnisse des Menschen mit Demenz und des Angehörigen, die Beziehung zwischen Menschen mit Demenz und Angehörigen, ihre Ressourcen, das Rollenverständnis des Angehörigen sowie das Gesundheitssystem und die Gesellschaft. In vier in der Meta-Studie eingeschlossenen Studien werden Typen von versorgenden Angehörigen gebildet. In zwei Studien werden quantitative Verfahren und in zwei Studien qualitative Verfahren für die Typenbildung genutzt. In den quantitativen Studien werden Typen aufgrund statistischer Ähnlichkeit von Merkmalen wie beispielsweise Alter, Verwandtschaftsgrad oder subjektiver Belastung gebildet. In den qualitativen Studien werden Typen aufgrund von ähnlichen Handlungsstrategien (z. B. passiv-reagierende und aktiv-antizipierende Typen) der Angehörigen konstruiert. Trotz unterschiedlicher methodischer Vorgehensweise werden in qualitativen und quantitativen Studien Typen unterschieden, die als stabil oder wenig stabil bezeichnet werden können.
Diskussion
Die Stabilität häuslicher Versorgung von Menschen mit Demenz ist durch eine Vielzahl von Faktoren abhängig und erklärbar. Darüber hinaus weist die in der Meta-Studie entwickelt Theorie auf die Dynamik und Komplexität der Herstellung von Stabilität hin. Eine Typenbildung könnte ein geeignetes methodisches Vorgehen zu sein, um diese Komplexität zu reduzieren und typische Versorgungssituationen in Hinblick auf ihre Stabilität zu identifizieren. Inwiefern quantitativ gebildete Typen mit qualitativ gebildeten Typen in einem Zusammenhang stehen, ob mit spezifischen sozialstrukturellen und psychosozialen Merkmalen also spezifische Handlungsmuster korrespondieren, wird Gegenstand weiterer empirischer Forschung sein.
Praktische Implikationen
Die entwickelte Theorie zur Stabilität häuslicher Versorgungsarrangements von Menschen mit Demenz kann als Framework für weitergehende empirische Forschung genutzt werden. Außerdem bietet sie durch das Nennen zentraler Einflussfaktoren auf das Herstellen von Stabilität Ansatzpunkte für die Entwicklung von Versorgungsstrukturen und -interventionen, die auf eine Stabilisierung häuslicher Versorgungsarrangements abzielen. Bei deren Entwicklung könnte darüber hinaus die Typenbildung ein geeignetes Mittel sein, um zielgruppenspezifische Angebote zu entwickeln.
Hintergrund: Im Rahmen einer vom Innovationsfond geförderten Studie wurden die Einstellungen von Hausärzten (HÄ) und Pflegefachpersonen (PFP) zur Übertragung ärztlicher Tätigkeiten auf Pflegefachpersonal in der ambulanten Demenzversorgung mit einem neu entwickelten standardisierten schriftlichen Fragebogen erfasst. In diesem Rahmen sollten auch Menschen mit Demenz (MmD) zum Thema befragt werden. Auf Grund kognitiver Einschränkungen durch das Krankheitsbild Demenz wurden besonders hohe Anforderungen an den zu entwickelnden Patientenfragebogen gestellt.
Fragestellung: Ziel der vorliegenden Untersuchung war es, einen Fragebogen zu entwickeln, der in Struktur und Umfang so aufgebaut ist, dass es speziell MmD möglich ist, die Fragen und Antwortoptionen zu verstehen und diesen in einem angemessenem Zeitrahmen auszufüllen.
Methode: Grundlage für die Fragebogenentwicklung bildete der für HÄ und PFP erstellte Fragebogen zur Übertragung ärztlicher Tätigkeiten auf nicht-ärztliches Personal. Die Modifizierung des Fragebogens für MmD basierte dabei auf Expertengesprächen mit speziell ausgebildeten Dementia Care Managern (DCM). Zur Überprüfung der modifizierten Fragebogenversion auf Verständlichkeit und Praktikabilität erfolgten qualitative Einzelinterviews mit MmD (N=10) aus Pflegeeinrichtungen und privaten Haushalten. Zudem wurde die Ausfülldauer gemessen.
Ergebnisse: Aus den Expertengesprächen mit den DCMs geht hervor, dass im Besonderen darauf geachtet werden muss, dass der Fragebogen kurze prägnante Sätze enthält, Satzverbindungen mit „oder“ vermieden werden, die Antwortkategorien einfach (Ja/Nein) gestaltet werden, der Umfang so gering wie möglich gehalten wird sowie die Schriftgröße altersentsprechend angepasst werden muss. Die qualitativen Einzelinterviews mit MmD ergaben, dass bereits eine leichte Demenz ein Ausfüllen des Fragebogens erschwert, da z.B. Fragen nicht verstanden werden. Aufgrund dessen wurde neben einer Selbstausfüllerversion eine zusätzliche Proxyversion (Fremdausfüller) entwickelt. Darüber hinaus wurde der Umfang der finalen Fragebogenversion deutlich reduziert sowie strukturelle Anpassungen (z.B. Änderung der Antwortformate) vorgenommen. Die durchschnittliche Ausfüllzeit des Fragebogens lag bei 17 Minuten. Der finale Fragebogen für MmD besteht aus 37 Items. Die Items verteilen sich dabei wie folgt: Akzeptanz gegenüber einer Aufgabenneuverteilung ärztlicher Aufgaben an Pflegefachpersonen: 34 Items, Qualifikationsbedarf einer Pflegefachperson: 1 Item und Arzt-Patienten-Beziehung: 2 Items sowie Fragen zum Geschlecht und Geburtsjahr. Im Rahmen der Hauptstudie wurde der Fragebogen bei N=211 Menschen mit Demenz (51,4% männlich, Ø 81,5Jahre alt) eingesetzt. Es zeigte sich, dass der Fragebogen von einer Großzahl der Probanden durchgängig und konsistent ausgefüllt (Missing Values < 6%) wurde. Dies deutet auf eine hohe Praktikabilität und Akzeptanz des Instruments durch die Probanden hin. Lediglich ein Item, welches Bezug auf die Fahrtauglichkeit der MmD nahm, wurde von > 6% der Befragten nicht beantwortet.
Diskussion: Die Fragebogenerstellung für MmD wurde durch das hohe Alter der Probanden ( > 65 Jahre) sowie deren kognitive Einschränkungen erschwert. Dennoch ist es gelungen, einen Fragebogen zu entwickeln, der die subjektiven Einstellungen von MmD im Hinblick auf eine künftige Aufgabenübertragung von ärztlichen Aufgaben auf nicht-ärztliches Personal in der ambulanten Demenzversorgung erfasst. Da inhaltsähnliche Fragebogenergebnisse für die an der Versorgung von MmD beteiligten Professionen und Akteure vorliegen, ist es möglich, die Einstellung aller an der Versorgung von MmD beteiligten Personen und der Patienten selbst zu erfassen. Somit kann ein umfassender Überblick über ärztliche Tätigkeiten gegeben werden, die künftig an Pflegefachpersonen übertragen werden könnten, um die Versorgung von MmD weiter zu verbessern.
Praktische Implikation: Der Fragebogen wurde im Besonderen an die Situation älterer Menschen (>65 Jahre) mit altersbedingten neurologischen Erkrankungen angepasst. Mit geringer Modifikation kann der Fragebogen an weitere Krankheitsbilder der ambulanten Versorgung von Menschen mit höherem Alter adaptiert werden. Dies kann genutzt werden, um Vergleiche über unterschiedliche Versorgungsbereiche hinweg herzustellen.
HINTERGRUND: Da eine kurative Behandlung von Demenz bis dato nicht möglich ist, kann diese in der Regel als lebenslimitierende Erkrankung betrachtet werden. Dennoch fehlen bisher evidenzbasierte Leitlinien für eine angemessene Palliativversorgung von Menschen mit Demenz (MmD) [1]. Gründe hierfür sind ein Fokus der Palliativversorgung auf Menschen mit Krebs und ein Mangel an qualitativ hochwertigen empirischen Daten zur Versorgungssituation und Symptomlast von MmD in der letzten Lebensphase [1].
FRAGESTELLUNG: Ziel dieser Untersuchung ist daher, Symptombelastung, Inanspruchnahme des Gesundheitssystems in der letzten Lebensphase sowie Todesumstände von MmD zu beschreiben.
METHODE: Der Bayerische Demenz Survey (BayDem) ist eine multizentrische Längsschnittstudie, die an drei Standorten (Dachau, Erlangen, Kronach) in Bayern durchgeführt wurde. Teilnehmende waren MmD (nach ICD-10), sowie deren pflegende Angehörige. Die Verlaufsdaten wurden in standardisierten persönlichen Interviews in enger Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren vor Ort erhoben. Es wurden psychische und Verhaltensauffälligkeiten (Neuropsychiatrisches Inventar, NPI-Q) [2], körperliche Komorbiditäten (Charlson-Index) [3] und die Inanspruchnahme des Gesundheitssystems (Resource Utilization in Dementia, RUD) [4] erhoben. Es erfolgte ein 1:1-Propensity Score Matching zwischen verstorbenen und nicht verstorbenen MmD. Für die statistischen Analysen wurden McNemar-Tests sowie t-Tests für verbundene Stichproben verwendet.
ERGEBNISSE: Im Rahmen von BayDem wurden 58 im Studienzeitraum von 3 Jahren verstorbene MmD und 58 vergleichbare, nicht verstorbene MmD untersucht (n=116). In den meisten Fällen sind MmD zuhause, im Krankenhaus oder im Alten-/Pflegeheim verstorben, nie jedoch im Rahmen einer Palliativversorgung. Todesursachen waren meist Komplikationen des respiratorischen Systems und kardiovaskuläre Komplikationen. MmD in der letzten Lebensphase wiesen stärker ausgeprägte körperliche Komorbiditäten auf als die nicht verstorbenen MmD (p=0,030) und wurden dementsprechend häufiger in ein Krankenhaus eingewiesen (p < 0,001) oder in einer Notaufnahme behandelt (p=0,007). Psychische und Verhaltensauffälligkeiten waren am Lebensende zwar stark ausgeprägt, die Nutzung ambulanter medizinischer Angebote sowie professioneller Unterstützungsleistungen jedoch gering.
DISKUSSION: Die Ergebnisse stehen im Einklang mit bisherigen Befunden zur Symptombelastung [5], Inanspruchnahme des Gesundheitssystems [6] und Sterbeorten [5] sowie Todesursachen [6]. Palliative Versorgungsangebote, ambulante medizinische Angebote sowie professionelle Unterstützungsleistungen wurden trotz der starken Symptombelastung in der letzten Lebensphase zwar nur selten genutzt, allerdings kam es sehr häufig zu Krankenhausaufenthalten. Doch gerade letztere gehen bei MmD am Lebensende mit starken psychischen sowie physischen Belastungen einher [7].
PRAKTISCHE IMPLIKATIONEN: Es sollten evidenzbasierte Leitlinien für eine angemessene, den speziellen Bedürfnissen von MmD in der letzten Lebensphase entsprechende Palliativversorgung entwickelt werden. Diese sollten die starke Ausprägung psychischer und Verhaltensauffälligkeiten sowie körperlicher Komorbiditäten bei MmD in der letzten Lebensphase berücksichtigen. Angesichts häufiger Krankenhausaufenthalte sollten fachliche Empfehlungen zudem einen Fokus auf die Versorgung im stationären Bereich (Akutkrankenhaus, Palliativstation) legen.
Förderhinweis: Das Projekt BayDem wurde durch das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege (StMGP) gefördert (Förderkennzeichen: G42b-G8092.9-2014/10-7).
Literatur
1. van der Steen JT, Radbruch L, Hertogh CM et al. White paper defining optimal palliative care in older people with dementia: a Delphi study and recommendations from the European Association for Palliative Care. Palliat Med 2014; 28: 197-209.
2. Cummings JL, Mega M, Gray K et al. The Neuropsychiatric Inventory: comprehensive assessment of psychopathology in dementia. Neurology 1994; 44: 2308-2314.
3. Charlson ME, Pompei P, Ales KL et al. A new method of classifying prognostic comorbidity in longitudinal studies: development and validation. J Chronic Dis 1987; 40: 373-383.
4. Wimo A, Gustavsson A, Jonsson L et al. Application of Resource Utilization in Dementia (RUD) instrument in a global setting. Alzheimers Dement 2013; 9: 429-435.
5. Pinzon LCE, Claus M, Perrar KM et al. Todesumstände von Patienten mit Demenz–Symptombelastung, Betreuungsqualität und Sterbeort. Dtsch Arztebl 2013; 110: 195-202.
6. Sampson EL, Candy B, Davis S et al. Living and dying with advanced dementia: a prospective cohort study of symptoms, service use and care at the end of life. Palliat Med 2018; 32: 668-681.
7. Aminoff BZ, Adunsky A. Dying dementia patients: too much suffering, too little palliation. Am J Hosp Palliat Med 2005; 22: 344-348.