Für Patient*innen geeignet.
In den letzten Jahren ist in Deutschland eine Zunahme an palliativer Versorgung und Versorgungsformen zu verzeichnen. In dieser Session werden in zwei Beiträgen die Versorgung und die Versorgungsverläufe anhand von GKV-Routinedaten analysiert. Anhand von qualitativen Methoden stellen sich drei Beiträge der Frage zur Verbesserung der Versorgung, möglichen Einflussfaktoren auf die Unzufriedenheit und den Auswirkungen der palliativen Versorgung auf Patient*innen und Angehörige. Darüber wird die Kenntnis über die Spezifikationen der verschiedenen Versorgungsformen seitens der Hausärzte in einem Beitrag dargestellt.
Hintergrund: Die meisten Menschen wünschen sich zu Hause zu sterben. Dabei kommt Hausärzten eine besondere Bedeutung zu. Ziel des Projektes „Allgemeine ambulante Palliativversorgung in der hausärztlichen Praxis“ (ALLPRAX, BMBF - FK01GY1610) ist es, mit einem interdisziplinären Bottom-up-Ansatz Ideen und Konzepte zu entwickeln, um die hausärztliche Palliativversorgung zu verbessern. In der ersten Projektphase wurde der Frage nachgegangen, welche Faktoren die Palliativversorgung durch Hausärzte fördern und hemmen. Die im Feld gewonnenen Erkenntnisse dienen in der zweiten Projektphase (Gegenstand dieses Abstracts) dazu, Ideen für die Weiterentwicklung allgemeiner ambulanter Palliativversorgung (AAPV) zu erarbeiten.
Fragestellung: Welche Lösungen und Handlungsoptionen sehen Leistungserbringer für die Verbesserung der AAPV?
Methode: Im April 2018 wurden im Rahmen partizipativer Forschung 9 Gruppendiskussionen mit Haus- und Klinikärzten, Pflegefachpersonen und Medizinischen Fachangestellten (MFAs) durchgeführt. Die insgesamt 28 Teilnehmenden wurden nach Kriterien basiertem Sampling ausgewählt, um möglichst heterogene Erfahrungen und Perspektiven aus der Hospiz- und Palliativversorgung zu integrieren. Kriterien für die Auswahl betrafen die Versorgung im ländlichen oder städtischen Raum, Orte der Versorgung von Patienten (zu Hause, Krankenhaus, Pflegeheim, Hospiz), Arbeit von Hausärzten und MFAs in Einzel- oder Gemeinschaftspraxen und das Ausmaß der Erfahrung in palliativer Versorgung.
In der Erhebung wurden Ergebnisse aus 28 Themen- und Problemfeldern der ersten Projektphase vorgestellt und durch die Teilnehmenden diskutiert. Ziel der Gruppendiskussionen war es, gemeinsam Lösungen zu entwickeln, um die AAPV zu verbessern. Die Auswertung der Gruppendiskussionen erfolgte inhaltsanalytisch.
Ergebnisse: Aus Sicht der Leistungserbringer könnten Entwicklungen in fünf zentralen Bereichen die Erbringung von AAPV erleichtern und verbessern:
1) Übergeordnete Rahmenbedingungen (strukturelle, rechtliche, finanzielle Aspekte der Versorgung): Versorgende befürworten z.B. den Aufbau einer spezifischen Abteilung für Palliativpatienten in Krankenkassen, um eine schnelle Bearbeitung von Anträgen für die Kostenübernahme von Pflegediensten und Hilfsmitteln zu ermöglichen. Auch eine rechtliche Erlaubnis für Pflegefachpersonen Hilfsmittel verordnen zu dürfen, erscheint den Teilnehmenden vorteilhaft, um Versorgung effizienter und zielgruppenorientierter zu gestalten.
2) Bildung und Wissen: Hausärzte sehen die Versorgung von Patienten und die Zusammenarbeit in der Praxis verbessert, wenn z.B. Lehrinhalte zur Palliativversorgung und Kommunikation in der Ausbildung von MFAs größeren Raum fänden. Versorgende wünschen sich auch bessere Informationen über die Qualität von Fort- und Weiterbildungsangeboten, z.B. durch den Zugang zu öffentlichen Bewertungen von Kursen.
3) Praxisorganisation: Eine effizientere Nutzung von Praxissoftware mit Erinnerungsfunktionen, die Dokumentation von MFA-Patienten-Gesprächen oder die aktive Einleitung erster Behandlungsschritte durch MFAs könnte aus Sicht der Leistungserbringer die Versorgung von Patienten erleichtern.
4) Koordination und Kooperation: Versorgende regen an, für die AAPV eine ‚Koordinationskraft‘ (z.B. Hausarzt oder MFA) zu benennen, die Versorgungsleistungen für Patienten in der ambulanten Palliativversorgung organisiert und koordiniert. Für eine erleichterte Zusammenarbeit in der AAPV nennen Leistungserbringer auch die Idee, dass Hausärzte standardisiert vor Vertretungszeiten unter einander Übergaben durchführen.
5) Versorgende Aufgaben: Für eine vorausschauende Versorgungsplanung sehen Leistungserbringer als mögliche Handlungsweise, vor dem Wochenende zu Patienten in palliativen Situationen proaktiv Kontakt aufzunehmen. Versorgende empfehlen z.B. auch, Notfallmedikamente in der Häuslichkeit zu hinterlegen. Dies könnte Patienten und ihren Angehörigen Sicherheit geben und Notfallkontakten vorbeugen.
Diskussion: Die genannten Ideen sind zum Teil durch Hausärzte und ihre Praxisteams umsetzbar, betreffen aber auch übergeordnete Rahmenbedingungen und andere Akteure, wie z.B. Krankenkassen. Zudem sind einige der erarbeiteten Handlungsstrategien vermutlich eher in bestimmten Kontexten (z.B. Gemeinschaftspraxen) durchführbar. Inwiefern die Ideen, die sich an Hausärzte und Praxisteams richten, in den Praxisalltag integriert werden können, wird im nächsten Projektabschnitt konkret erprobt, einschließlich einer Erprobung der Effekte im jeweiligen Kontext.
Praktische Implikationen: Ziel der kommenden Projektphase ist es, i) gemeinsam mit Hausärzten und MFAs aus dem generierten Ideenmaterial diejenigen Ansätze auszuwählen, die sie in ihrer Praxis für machbar erachten und ii) diese Ansätze so zu schärfen, dass sie in die Praxisroutinen implementiert werden können. Die Evaluation erfolgt mittels ethnographischer Methoden und Fragebogenerhebungen.
Hintergrund: Die Verfügbarkeit palliativer Versorgung (PV) hat in Deutschland in den letzten Jahren stark zugenommen. Die Versorgungsformen umfassen u.a. die (allgemeine) ambulante Palliativversorgung (AAPV) durch Hausärzte und niedergelassene Spezialisten, die spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) durch SAPV-Teams, aber auch die palliative Versorgung in Krankenhäusern und Hospizen. Verfügbare amtliche Quellen liefern Zahlen zu SAPV-Erst- und Folgeverordnungen (SAPV-Frequenzstatistik der KBV) bzw. für SAPV-Abrechnungsfälle (KG 3 Statistik); die tatsächliche Anzahl an Versicherten, die SAPV erhalten, kann daraus jedoch nicht abgeleitet werden. Sowohl für die AAPV als auch für die SAPV gibt es KV-spezifische sowie selektivvertragliche Abrechnungsziffern, ohne deren Berücksichtigung die Versorgung nur unvollständig abgebildet wird. Die hier vorgestellten Ergebnisse sind im Rahmen eines Teilprojekts des GBA-Innovationsfonds-geförderten Projekts SAVOIR (FKz: 01VSF16005) entstanden, das die palliativmedizinische Versorgungslandschaft Deutschlands genauer untersucht, um Empfehlungen zur Überarbeitung der SAPV-Richtlinie und zukünftigen Ausgestaltung der palliativmedizinischen Versorgung abzuleiten.
Fragestellung: Anhand von GKV-Routinedaten einer bundesweit agierenden Krankenversicherung (BARMER) soll ermittelt werden, welcher Teil der Versicherten am Lebensende wie palliativmedizinisch versorgt wird und welche Unterschiede diesbezüglich zwischen den KV-Regionen bestehen.
Methode (Studiendesign, Datenerhebung und -auswertung): Auf der Basis von im Wissenschaftlichen Datawarehouse (WDWH) der BARMER zur Verfügung gestellten pseudonymisierten Routinedaten wurde eine retrospektive Kohortenstudie durchgeführt. Primäre Einschlusskriterien für die Studienpopulation waren ein Sterbedatum in 2016, ein Alter von mindestens 19 Jahren zum Zeitpunkt des Todes sowie eine mindestens zwei Jahre vor dem Tod durchgängige Versicherung. Für die Ermittlung der Art der palliativmedizinischen Versorgung wurden über bundesweit gültige EBM-Ziffern (GOPen 03370, 03371, 03372, 03373, 01425, 01426) hinaus erstmals KV-spezifische und selektivvertragliche Abrechnungsziffern für palliative Leistungen (inkl. SAPV-Leistungsabrechnungen) in die Analysen einbezogen. Die Datenauswertung erfolgte mittels SAS Enterprise Guide 7.1. Auf der Basis der in den letzten sechs Monaten vor dem Tod abgerechneten Leistungen wurden die Versicherten den Versorgungsformen AAPV, SAPV, stationäre PV, Hospiz sowie keine PV zugeordnet. Versicherte, die Leistungen aus verschiedenen Versorgungsformen erhalten haben wurden in jeder zutreffenden Versorgungsform gezählt. Die Auswertung erfolgt sowohl für das gesamte Bundesgebiet als auch differenziert nach KV-Regionen der Versicherten.
Ergebnisse: Nach Anwendung der Einschlusskriterien stand eine Studienpopulation von 95.962 Versicherten für die Auswertungen zur Verfügung. Im Bundesdurchschnitt erhielten 33,1% der Versicherten mindestens eine Form von PV, wobei der Anteil bezogen auf die einzelnen KVen zwischen 26,1% (Bremen) und 41,4% (Bayern) schwankt. Leistungen der AAPV wurden bei 24,9% der Versicherten abgerechnet, mit Schwankungen zwischen 17,3% (Brandenburg) und 34,8% (Bayern). SAPV-Leistungen erhielten 13,1% aller Verstorbenen, auf KV-Ebene mit Schwankungen zwischen 6,1% (Rheinland-Pfalz) und 23,3% (Westfalen-Lippe). Hospizleistungen wurden im Bundesdurchschnitt für 3,4% der Versicherten abgerechnet: 1,7% (Bremen) bis 5,7% (Berlin). 8,0% der Versicherten wurden stationär palliativmedizinisch versorgt, mit Schwankungen zwischen 6,7% (Schleswig-Holstein) und 13,3% (Thüringen).
Diskussion: Die Berücksichtigung KV-spezifischer und selektivvertraglicher Abrechnungsziffern für palliative Leistungen über die bundesweit gültigen palliativen EBM-Ziffern hinaus liefert ein deutlich umfassenderes Bild der palliativmedizinischen Versorgungslage in Deutschland. Es zeigt sich u.a., dass mit 13,1% der Verstorbenen des Jahres 2016 deutlich mehr BARMER-Versicherte SAPV-Leistungen erhalten, als dies unter ausschließlicher Verwendung der Verordnungsziffern darstellbar war (7,0% vgl. Präsentation DKVF 2018). Letztere erfassen z.B. keine SAPV-Verordnungen im Krankenhaus, die für bis zu sieben Tage ausgestellt werden können. Dabei ist anzumerken, dass die Zahlen aufgrund von Verfügbarkeitseinschränkungen bei den SAPV-Abrechnungsziffern (z.B. für Berlin) vermutlich noch unterschätzt sind. Die Einschränkungen für eine Übertragung der Inanspruchnahme von BARMER-Versicherten auf die gesamte GKV-Population sind zu berücksichtigen.
Praktische Implikationen: Eine möglichst vollständige und regional differenzierte Abbildung der palliativmedizinischen Versorgungslage ist eine wichtige die Voraussetzung dafür, die Palliativversorgung in Deutschland bedarfsgerecht und wirtschaftlich weiterzuentwickeln.
Hintergrund
Neben der palliativen hausärztlichen Regelversorgung und der allgemeinen ambulanten Palliativversorgung (AAPV), die durch Hausärzte mit entsprechender Fortbildung geleistet wird, ist die spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) eine weitere ambulante Versorgungsform, die Hausärzte verordnen können. Mit Einführung der SAPV besteht für im hohen Maße von medizinischer Versorgung abhängigen Palliativpatienten die Möglichkeit für ein Versterben in häuslicher Umgebung. Patienten mit einem besonders komplexen Symptomgeschehen, profitieren von der SAPV durch ein multidisziplinäres Team, welches ihren besonderen Versorgungsanforderungen gerecht wird. Die SAPV ist speziell für diese komplexen Fälle gedacht, die Auslegung der Anspruchsvoraussetzungen jedoch offen [1]. Sowohl nicht als auch zu spät erkannte Bedarfe für eine SAPV können zu einer Unterversorgung des Patienten führen [2]. Eine SAPV-Verordnung, die erfolgt, obwohl der Patient auch gut mit der AAPV oder in der Regelversorgung versorgt wäre, führt zu Ineffizienzen im Gesundheitswesen [3].
Fragestellung
Es stellt sich die Frage, ob Hausärzte Probleme bei der Differenzierung der Versorgungsformen haben. Darüber hinaus sollen Determinanten identifiziert werden, die die Einschätzung der passenden Versorgungsform erleichtern.
Methode
Basierend auf Experteninterviews und einer Fokusgruppe wurde ein Fragebogen zur ambulanten Palliativversorgung entwickelt (2018). Dieser wurde an alle 2.154 Hausärzte in der KV-Region Nordrhein gesendet. Insgesamt wurden 445 Fragebögen zurückgesendet und eine Rücklaufquote von 20 % erreicht. Die Befragten wurden gebeten, auf einer vierstufigen Likert-Skala anzugeben, ob ihnen die Abgrenzung zwischen SAPV, AAPV und Regelversorgung leicht fällt. Mittels ordinal logistischer Regressionsmodelle und unter Kontrolle struktureller und soziodemografischer Variablen werden Einflussfaktoren auf die Fähigkeit zur Abgrenzung zwischen den Versorgungsformen identifiziert.
Ergebnisse
Etwa die Hälfte der Befragten gibt an, dass ihnen die Abgrenzung der Versorgungsformen nicht leicht fällt, obwohl die Mehrheit angibt, (eher) zu wissen, wann die SAPV für den Patienten profitabel ist (96%) und der Meinung ist, SAPV ist nur in komplexen Fällen notwendig (59%). Die multivariate Analyse zeigt, dass zum einen das Wissen um die Vorteile der SAPV für den Patienten (OR: 3,2, p>0,000; KI [2,1;4,7]) sowie die Einstellung, SAPV ist nur in komplexen Fällen notwendig (OR: 1,6, p>0,000; KI [1,6;2,1]) hilft, die Versorgungsformen abgrenzen zu können. Zum anderen fällt es Palliativmedizinern leichter als Hausärzten ohne palliativmedizinische Ausbildung, die Versorgungsformen zu unterscheiden (OR: 3,5, p>0,000; KI [1,7;7,0]). Zwischen Ärzten mit und ohne Basisfortbildung gibt es keine signifikanten Unterschiede und auch Berufserfahrung oder die Anzahl an SAPV-Verordnungen führen nicht zu einer leichteren Abgrenzungsentscheidung.
Diskussion
Die Analyse zeigt, dass es vielen Hausärzten schwer fällt, zwischen den verschiedenen Versorgungsformen die adäquate auszuwählen. Zwar gibt die Mehrheit an zu wissen, wann eine SAPV für den Patienten Sinn macht, dennoch sind sie insbesondere bei der Auslegung der Anspruchsvoraussetzungen gespalten. Auch unter Einbezug basispalliativmedizinischer Qualifikation oder der Anzahl an SAPV-Verordnungen lässt sich kein Unterschied zwischen den Befragten feststellen. Einzig Palliativmediziner stufen die Abgrenzung eher als für sie leicht ein. Ebenfalls ist es für Ärzte, die Vorteile der SAPV für den Patienten sehen, wie für Ärzte, die SAPV als Versorgungsform für Palliativpatienten mit komplexem Symptomgeschehen ansehen, einfacher eine Entscheidung zu treffen.
Praktische Implikationen
Die Ergebnisse zeigen, dass die Verordnungsentscheidung zwischen den ambulanten palliativen Versorgungsformen nicht trivial ist. Dennoch hat die offene Auslegung der Richtlinie Vorteile und bietet den Versorgern die Möglichkeit nach den individuellen Bedürfnissen ihres Patienten eine adäquate Entscheidung zu treffen. Um Versorgern die Entscheidung zwischen den Versorgungsformen zu erleichtern, könnten Handlungsempfehlungen bereitgestellt werden, die keinen bindenden Charakter haben, und somit eine offene Auslegung wahren.
Referenzen
[1] Gemeinsamer Bundesausschuss (2007). Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Verordnung von spezialisierter ambulanter Palliativversorgung. Berlin.
[2] Rusche H, Kreimendahl F, Huenges B, Becka D & Rychlik R (2016): Medizinische Versorgung und Kosten im letzten Lebensjahr. Dtsch Med Wochenschrift, 141: e203-e213.
[3] Radbruch L, Andersohn F, Walker J (2015): Palliativversorgung Modul 3: Überversorgung kurativ – Unterversorgung palliativ? In: Bertelsmann Stiftung, Editor. Analyse ausgewählter Behandlungen am Lebensende, in Faktencheck Gesundheit. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung.
Hintergrund
Die häufig komplexen und multidimensionalen Bedarfs- und Problemlagen von Patient*innen im letzten Lebensjahr führen zu einer erhöhten Inanspruchnahme von Versorgungsleistungen verschiedener Professionen und Versorgungsstrukturen. Die subjektiven Erfahrungen, die Patient*innen und Nahestehende mit der Gesamtversorgung sammeln, gelten international als wichtige Quelle zur Verbesserung der Versorgung. Dabei ist insbesondere die Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit mit den in Anspruch genommenen Versorgungsleistungen ein zentrales Outcome in der Erfassung der Versorgungsqualität.
Fragestellung
Wie erleben Patient*innen und Nahestehende die Versorgung im letzten Lebensjahr in einer städtischen Region in Deutschland mit flächendeckenden palliativen Strukturen und welche Faktoren determinieren die Unzufriedenheit?
Methode
Zwischen November 2017 und August 2018 wurde eine Querschnittsbefragung von Nahestehenden von im Großraum Köln kürzlich verstorbenen Personen durchgeführt. Der postalisch verschickte Fragebogen umfasste eine übersetzte, adaptierte Version des in England entwickelten VOICES-SF (Views of Informal Carers-Evaluation of Services-Short Form) zur Erfassung der Inanspruchnahme sowie subjektiven Bewertung der Versorgungsleistungen im letzten Lebensjahr. Die Auswertung erfolgte mit SPSS und R. Mittels logistischer Regressionsanalyse wurde der Einfluss von organisatorischen (Zusammenarbeit der Versorgenden), physischen (Symptomkontrolle) und psychosozialen (emotionale Unterstützung, respekt- und würdevoller Umgang, Unterstützung der Nahestehenden) Aspekten der Versorgung im letzten Lebensjahr auf eine berichtete Unzufriedenheit untersucht. Des Weiteren wurden das Vorliegen ungelöster Probleme sowie die Versorgungsqualität in der Sterbephase (14 Items, Antwortskala: 1=gut bis 4=schlecht) in das Modell eingeschlossen.
Ergebnisse
Angaben von 351 Nahestehenden (72 % weiblich; Alter: x̅ 61,9 Jahre (SD 12,2 Jahre)) wurden analysiert. 43 % waren der/die (Ehe)-Partner*in und 39 % der Sohn/die Tochter der verstorbenen Person. Die im Fokus der Analyse stehenden Patient*innen waren in Hinblick auf das Geschlecht (52 % weiblich) und das Alter (x̅ 76,5 Jahre (SD 13 Jahre)) repräsentativ für die im Jahr 2017 verstorbenen Kölner*innen. Neben dem Hausarzt/der Hausärztin nahm das Krankenhaus eine zentrale Rolle in der Versorgung ein. 91 % hatten im letzten Lebensjahr mindestens einen stationären Krankenhausaufenthalt, wobei die Mehrheit der Einweisungen in den letzten drei Lebensmonaten erfolgte. Dies spiegelt sich im Sterbeort wider, welcher für 42 % das Krankenhaus war. Krankenhausärzt*innen in allgemeinen und intensivmedizinischen Abteilungen wurden durch die Nahestehenden am schlechtesten bewertet (n = 208: 41,3 % gut, 36,5 % eher gut, 12,5 % eher schlecht, 9,6 % schlecht). Die besten Bewertungen erhielt die Versorgung im Hospiz (n = 64: 89,1 % gut, 7,8 % eher gut, 0 % eher schlecht, 3,1 % schlecht). Neben dem Hospiz wurden außerdem der SAPV-Dienst, die Palliativstation, der ambulante Hospizdienst und die Hausärzt*innen im Vergleich zum Krankenhaus signifikant besser bewertet (jeweils p < 0.05, Wilcoxon-Test für verbundene Stichproben). Im Rahmen der logistischen Regressionsanalyse (Chi2 (4) = 92.94, p < 0.001, n = 199) wurden vier signifikante Einflussfaktoren auf eine berichtete Unzufriedenheit mit der Gesamtversorgung im letzten Lebensjahr identifiziert: die Versorgungsqualität in der Sterbephase (OR = 7,8, p = 0.004;), eine unzureichende Unterstützung der Nahestehenden (OR = 5.7, p < 0.001), das Empfinden vom Krankenhausarzt/von der Krankenhausärztin nicht respekt- und würdevoll behandelt zu werden (OR = 2.8, p = 0.011) und das Vorliegen ungelöster Probleme (OR = 2.3, p = 0.027).
Diskussion
Die vorliegende Analyse von Erfahrungsberichten Hinterbliebener zeigt, dass neben der Versorgung in der Sterbephase besonders die psychosoziale Unterstützung sowohl der Patient*innen als auch der Nahestehenden im gesamten letzten Lebensjahr als Determinante für Unzufriedenheit dient. Für Betroffene ist es ein zentrales Anliegen, dass durch die Versorgenden respektvoll auf ihre individuellen Bedarfs- und Problemlagen eingegangen wird. Die Sterbephase kennzeichnet sich in der Regel durch einen dynamischen Prozess, welcher zu unterschiedlichen Belastungen bei Patient*innen und Nahestehenden führen kann. Der Versorgung im Krankenhaus kommt hierbei eine besondere Rolle zu, da es zum einen eine zentrale Rolle in der Versorgung nahezu aller Menschen im letzten Lebensjahr einnimmt und zum anderen den häufigsten Sterbeort darstellt.
Praktische Implikation
Die größte Unzufriedenheit wurde mit der Versorgung in allgemeinen und intensivmedizinischen Krankenhausabteilungen berichtet. Es empfiehlt sich, die Haltung und das Arbeitsverständnis der Palliative Care in die allgemeine Krankenhausversorgung zu integrieren. Wichtig ist, dass dabei auch die Nahestehenden mehr in den Fokus der Versorgung rücken.
Hintergrund
Die SAPV [1] zielt auf die Verbesserung der Versorgung unheilbar Kranker am Lebensende und umfasst medizinische und pflegerische Leistungen, Koordination und Beratung von Betroffenen. Ihre Ziele sind die Förderung von Lebensqualität und Selbstbestimmung schwerstkranker Menschen, ein menschenwürdiges Leben bis zum Tod im häuslichen Umfeld sowie die Setzung eines Schwerpunktes auf palliativer anstatt kurativer Versorgung.
Fragestellung
Untersucht werden die Versorgungsverläufe von Verstorbenen im letzten Lebensjahr, sowie Inanspruchnahme und Beginn palliativer Versorgung. Des Weiteren werden zwei über Routinedaten operationalisierbare Ziele der SAPV (Wechsel von kurativ zu palliativ und Leben bis zum Tod im häuslichen Umfeld) ausgewertet.
Methode
Die Analyse beruht auf Routinedaten von Versicherten (18 Jahre und älter) der AOK Rheinland/Hamburg in der Region Nordrhein, die in den Jahren 2014 bis 2016 verstorben sind (N = 90.797). Es wurden Versorgungsverläufe gebildet, die die Abfolge der Inanspruchnahme aller Gesundheitsleistungen im letzten Lebensjahr abbilden. Versicherte wurden dann nach maximaler Intensität in Anspruch genommener Palliativleistung (von pall. Leistungen der ambulanten Regelversorgung (pall. RV) über AAPV bis SAPV) gruppiert und ausgewertet.
Ergebnisse
Insgesamt weisen rund 30% der Versicherten Verläufe mit palliativer Inanspruchnahme im letzten Lebensjahr auf. 9,4% erhalten maximal pall. RV Leistungen, 12% AAPV Leistungen und 5,9% SAPV Leistungen. Die Inanspruchnahme von SAPV stieg von 5,1% im Jahr 2014 auf 7,1% im Jahr 2016. Pall. RV begann im Median 95 Tage, AAPV 74 Tage und SAPV 22 Tage vor dem Tod.
Zum Wechsel von kurativer zu palliativer Versorgung und der Zielsetzung des Symptom- und Schmerzmanagements zeigen die Daten, dass rund 60% der nicht-palliativen Verstorbenen in den letzten 30 Lebenstagen einen Krankenhausaufenthalt hatten, im Vergleich zu 51% für pall. RV, 46% für AAPV und 42% für SAPV. Der Anteil von SAPV-Patient*innen mit Krankenhausaufenthalt nach Beginn der SAPV lag bei 28%. Der Anteil von Kosten für allgemeine Arzneimittel nahm im Vergleich zu dem für palliative Arzneimittel (vgl. [2]) nach Beginn der Palliativversorgung ab (für SAPV: 81,5% vorher, 45,2% nachher).
Zum Verbleib in der Häuslichkeit zeigten die Daten für 58% der nicht-palliativen Verstorbenen das Krankenhaus als Sterbeort, verglichen mit 38% für pall. RV, 28% für AAPV und 15% für SAPV. Bei SAPV-Patient*innen kann für 53% ein Versterben in der Häuslichkeit angenommen werden (da keine stationären Leistungen am Todestag in Anspruch genommen wurden).
Diskussion
Die Zahlen zur Inanspruchnahme sind ähnlich denen vergleichbarer Studien [3], wobei sich ein bereits für den Zeitraum 2010 bis 2014 gezeigter Anstieg von SAPV-Patient*innen in den vorliegenden Daten fortzusetzen scheint. Auch die Daten zum Beginn der SAPV-Versorgung vor Tod sind in anderen Studien ähnlich [3, 4]. Bezüglich der Zielerreichung ist der von [4] ermittelte Anteil von SAPV-Patient*innen mit Krankenhausaufenthalt nach Beginn der SAPV niedriger als in der vorliegenden Population, wohingegen ein vergleichbarer Anteil in der Häuslichkeit verstarb.
Praktische Implikationen
Insgesamt ergeben sich in den vorliegenden Daten Hinweise darauf, dass ambulante Palliativversorgung (und insb. die SAPV) die hier analysierten Ziele erreichen kann. Angesichts der durchaus kritischen Diskussion über einen späten Beginn von Palliativversorgung vor Tod und über das Verhältnis von palliativem Bedarf und bestehendem Versorgungsangebot (vgl. [3, 5, 6]) ist allerdings zu fragen, ob dieses Potential bereits ausgeschöpft ist bzw. ob ein Ausbau der Versorgungsstrukturen zur Verbesserung der Zielerreichung beitragen kann.
Das dieser Veröffentlichung zugrundliegende Projekt wurde mit Mitteln des Innovationsausschusses beim Gemeinsamen Bundesausschuss unter dem Förderkennzeichen 01VSF16007 gefördert.
Literatur
1. GBA, Richtlinie des GBA zur Verordnung von spezialisierter ambulanter Palliativversorgung. 2007: Berlin.
2. Rémi, C., S3-Leitlinie Palliativmedizin, in Arzneimittel in der Palliativversorgung., Landeszentrum Gesundheit NRW, Editor. 2017, LZG.NRW: Bielefeld.
3. Radbruch, L., et al., Palliativversorgung, Modul 3. Überversorgung kurativ – Unterversorgung palliativ?, in Faktencheck Gesundheit, Bertelsmann Stiftung, Editor. 2015: Gütersloh.
4. Heckel, M., et al., Retrospektive Datenanalyse von Patienten in der Spezialisierten Ambulanten Palliativversorgung (SAPV)–Vergleich zwischen Stadt und Landkreis. Das Gesundheitswesen, 2016. 78(07): p. 431-437.
5. Dasch, B., et al., Abschätzung des ambulanten palliativmedizinischen Versorgungsgrades regionaler palliativmedizinischer Konsiliardienste in Westfalen-Lippe. Gesundheitswesen, 2015.
6. Radbruch, L. and S. Payne, White paper on standards and norms for hospice and palliative care in Europe: part 1. European journal of palliative care, 2009. 16(6): p. 278-289.
Hintergrund
Das letzte Lebensjahr von Patient*innen ist häufig von komplexen Behandlungsbedürfnissen und einer Vielzahl von involvierten Versorgenden gekennzeichnet. Es finden vermehrt Übergänge zwischen Versorgungsorten statt, die eine Diskontinuität im Versorgungsverlauf erzeugen und zu starker Belastung für Patient*innen und Nahestehende führen können. In der Literatur werden belastende Übergänge in der Regel häufigkeitsbasiert definiert – beispielsweise durch das Auftreten von mehreren Hospitalisierungen in den letzten 3 Monaten oder einem Übergang in den letzten 3 Tagen. Wenige Studien kombinieren eine Analyse von quantitativen Mustern von Übergängen im Verlauf des letzten Lebensjahres mit qualitativen Berichten zu diesen Übergängen sowie deren Hintergründe und Auswirkungen auf Patient*innen und Nahestehende.
Fragestellung
Wie viele und welche Übergänge finden im letzten Lebensjahr von Menschen in einer städtischen Region in Deutschland mit flächendeckenden palliativen Strukturen statt und welche Auswirkungen haben diese für Patient*innen und deren Nahestehende?
Methode
Zwischen November 2017 und August 2018 wurde eine Querschnittsbefragung von Nahestehenden von im Großraum Köln kürzlich verstorbenen Personen in zwei sequenziellen Phasen durchgeführt: 1) quantitativ mittels Fragebogen (postalisch, n=351) nach der Versorgung im letzten Lebensjahr (Zeitpunkt und Art der Mitteilung über begrenzte Lebenszeit, Versorgungsverläufe und Details zu allen Versorgungsstationen), 2) qualitativ mittels Interviews (n=41), per stratifizierter Stichprobenziehung absichtsvoll ausgewählt. Auf Basis der individuellen Fragebogenergebnisse wurden spezifische Leitfäden zur Vertiefung der Ergebnisse entwickelt. Eine Integration der beiden Phasen fand auf drei Ebenen statt: Design, Methode und Interpretation.
Ergebnisse
Bei der Mehrheit der Übergänge (>85%) ist das Krankenhaus involviert, wobei am häufigsten von Übergängen von zu Hause ins Krankenhaus (42,6%) und zurück (28,8%), vom Pflegeheim ins Krankenhaus (5,6%) und zurück (5,5%) sowie von Krankenhaus zu Krankenhaus (5,2%) berichtet wird (N = 305 Probanden). Für N = 255 Personen konnte der Versorgungsverlauf inklusive Aufenthaltsdauern vollständig rekonstruiert werden. Die Übergänge nehmen im Verlauf des letzten Lebensjahres stetig zu (von durchschnittlich 0,1 Übergängen pro Person pro Monat ein Jahr vor Versterben zu 0,86 Übergängen im letzten Monat vor Versterben bei N = 255 Fällen). In den letzten drei Monaten zeigt sich ein starker Anstieg von Übergängen – insbesondere von Hospitalisierungen. In diesem Zeitraum erleben 33% mindestens zwei Hospitalisierungen und 7,8% mindestens drei Hospitalisierungen, was neben einem Übergang in den letzten drei Lebenstagen (bei 8,2% vorhanden) in der Literatur als belastend definiert wurde. Hinsichtlich dieser Übergänge wird in den Interviews zwar anschaulich von Belastungen berichtet, jedoch werden auch einige dieser Versorgungsort-Wechsel als notwendig und erfolgreich beschrieben. Potenzial zur Reduktion dieser Übergänge zeigt sich vor allem in frühzeitiger Kommunikation: je früher Versorgende ein mögliches Versterben der Patient*innen thematisieren, desto weniger Hospitalisierungen treten in den letzten 3 Monaten auf (r(s) = -0,28, p=0,001). Dies wird in den Interviews durch Berichte von Übergängen als Resultat von fehlender rechtzeitiger und transparenter Kommunikation illustriert. Weiterhin wurde im Zusammenhang mit positiv erlebten Übergängen die Kooperation zwischen Versorgungseinrichtungen sowie Flexibilität beim Zeitpunkt des Transfers erwähnt. Probleme in Übergängen wurden außerdem in Fällen berichtet, bei denen der Sozialdienst nicht involviert war, Hilfsmittel nicht rechtzeitig bereitgestellt wurden oder die nachfolgende Versorgung nicht ausreichend geplant wurde.
Diskussion
Mit Eintreten des letzten Lebensjahres nimmt die Relevanz einer Untersuchung der Bedeutung von Übergängen zu. Durch die Reihenfolge des sequenziellen Mixed-Methods Designs (QUANT – QUAL) lassen sich die Interviews direkt auf die Muster zu Übergängen, die sich in der Fragebogenerhebung gezeigt haben, beziehen und Gründe und Notwendigkeiten für Wechsel untersuchen. Es konnte gezeigt werden, dass eine häufigkeitsbasierte Definition von belastenden Übergängen nicht ausreicht, um die erlebte Realität in der Versorgung abzubilden.
Praktische Implikationen
Die frühzeitige Kommunikation einer unheilbaren Erkrankung sowie der rechtzeitige Einbezug weiterer Dienste (u.a. Sozialdienst) zeigen Möglichkeiten auf, belastende Übergänge für den Patienten (und Nahestehende) am Lebensende zu reduzieren und besser zu gestalten.