Leitlinien sind systematisch entwickelte Empfehlungen zur Unterstützung der Entscheidungsfindung von Ärzten sowie Patient*innen für eine angemessene Vorgehensweise bei der Behandlung in spezifischen Versorgungssituationen. Sie beruhen auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und in der Praxis bewährten Verfahren. Ob die Empfehlungen einer Leitlinie in der Regelversorgung umgesetzt werden hängen von verschiedenen Faktoren ab. Neben patientenindividuellen Gründen, die eine andere Behandlung als in der Leitlinie empfohlen notwendig machen, existieren auch verschiedene andere Faktoren, die für die Umsetzung einer Leitlinie hinderlich, oder fördernd sein können. Die in dieser Session vorgestellten Projekte beleuchten Förderfaktoren und Barrieren bei der Umsetzung von Leitlinien. Zudem werden Aspekte der Leitlinienerstellung, wie die finanzielle Förderung analysiert.
Hintergrund. Zur Förderung einer evidenzbasierten Versorgung von Personen mit alkoholbezogenen Störungen wurde im Jahr 2014 die S3-Leitlinie „Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezogener Störungen“ herausgegeben (1). Die Entwicklung, Veröffentlichung und Disseminierung einer Leitlinie reichen jedoch nicht aus, damit die Empfehlungen im Versorgungsalltag umgesetzt werden. In der Literatur benannte Barrieren für die Umsetzung umfassen dabei Barrieren in Inhalten, Umfang und Darstellung von Leitlinien, Barrieren in der Versorgungsstruktur und Barrieren aufseiten potentieller Anwender (Behandler*innen) (2).
Fragestellung. Ziel dieser Studie war es, Barrieren und Umsetzungsstrategien für eine Implementierung der S3-Leitlinie „Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezogener Störungen“ aufseiten der Behandler*innen zu identifizieren und der Perspektive Betroffener gegenüber zu stellen.
Methode: Als Teil des vom Bundesministerium für Gesundheit geförderten Projekts Implementierung und Evaluation der S3-Leitlinie zu Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezogener Störungen (IMPELA) wurden Barrieren und Umsetzungsstrategien der Leitlinienempfehlungen in einer zweistufigen Befragung für die Stadt Bremen als Modellregion erfasst. Sowohl Behandler*innen aus der allgemeinen Gesundheitsversorgung und der Suchthilfe als auch die Betroffenen wurden zunächst schriftlich befragt. Die Behandler*innen wurden gebeten, ihre Patient*innen zur Befragung einzuladen. Ergänzend wurde der Fragebogen online über an der Leitlinienentwicklung beteiligte Fachgesellschaften und Patientenorganisationen überregional verbreitet.
Ergebnisse: Es konnten Datensätze von 263 Behandler*innen einbezogen werden, davon kamen 163 (62%) aus der Modellregion Bremen und 100 (38%) Personen aus anderen Bundeländern. Sie waren im Durchschnitt 51,5 Jahre alt (SD = 10,7) und hatten 23,2 Jahre Berufserfahrung (SD = 10,4). Weiblich waren 147 (55,9%), der Großteil der Befragten waren Ärzte (n = 152; 57,8%). Auch wenn nur ein geringer Teil angab, die Leitlinie zu kennen (n = 93; 35,4%), wurden die Inhalte der Leitlinie insgesamt als bedeutsam für den eigenen Arbeitskontext eingeschätzt (Angaben für einzelne Kapitel variieren zwischen 35% und 69%). Fehlendes Wissen (n = 154; 58,6%), mangelnde Verbreitung der Leitlinie (n = 160; 60,8%) sowie fehlende Ressourcen (n = 163; 61,9%) wurden am häufigsten als Umsetzungsbarrieren benannt. Präferierte Umsetzungsstrategien waren die Entwicklung sog. fact sheets (n = 95; 36,1%), Information der Fachöffentlichkeit (n = 94; 35,7%), sowie Kitteltaschenversionen (n = 88; 33,4%).
Aus der Befragung Betroffener (57,7% männlich; Alter M= 44,7 Jahre; SD = 14,3) liegen auswertbare Datensätze von 94 Personen vor, die meisten davon aus Bremen (N = 84; 89%). Von diesen gaben 51 Personen an, bereits selber eine Suchtbehandlung in Anspruch genommen zu haben (54,3%). Als Schwierigkeiten für die Versorgung wurde am häufigsten benannt, dass Betroffene aus Angst vor Konsequenzen keine Hilfe suchen (n = 51; 54%), ihre Probleme nicht wahrhaben wollen (N = 49, 52,1%), sowie zu lange Wartezeiten auf Behandlungsplätze (n = 45; 47,8%). Verbesserungspotential sahen die Betroffenen v.a. in den Bereichen Screening („Ansprechen des Alkoholkonsums“; n = 44; 46,8%) und einem nahtlosen Übergang zwischen Behandlungen (n = 42; 44,6%).
Diskussion: Die fehlende Bekanntheit und Verbreitung der Leitlinie stellt aus Sicht der Behandler*innen die größte Barriere für eine Umsetzung von Leitlinienempfehlungen dar. Umsetzungsstrategien sollten sich am Bedarf der Behandler*innen in den unterschiedlichen Sektoren (allgemeine Gesundheitsversorgung, Suchthilfe) orientieren. Die Perspektive der Betroffenen betont die Bedeutung von Screening und einer guten Versorgungsorganisation.
Praktische Implikationen. Die Ergebnisse der Befragung werden im Rahmen des Gesamtprojekts IMPELA dazu verwendet, gemeinsam mit regionalen Kooperationspartner*innen konkrete Umsetzungsstrategien für eine Implementierung auszuwählen und modellhaft umzusetzen.
1. Mann K, Hoch E, Batra A. S3-Leitlinie “Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezogener Störungen.” Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie e.V., Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie Psychosomatik und Nervenheilkunde, Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften, editors. Vol. 1. Heidelberg: Springer; 2016.
2. Fischer F, Lange K, Klose K, Greiner W, Kraemer A. Barriers and Strategies in Guideline Implementation—A Scoping Review. Healthcare. 2016;
Hintergrund: Gute Leitlinien geben Empfehlungen, welche diagnostischen oder therapeutischen Maßnahmen für Patienten infrage kommen. Sie zielen darauf ab, Entscheidungen in der medizinischen Versorgung auf eine rationalere Basis zu stellen und die Stellung des Patienten als Partner im Entscheidungsprozess zu stärken. Der Gebrauch von Leitlinien im Behandlungsalltag kann jedoch schwierig sein: Beispielsweise sind Leitlinien unbekannt oder die vorhandenen Angebote nicht zielgruppengerecht. Daher soll diese Evaluation Hinweise zu ihrer Bekanntheit und Anwendbarkeit liefern. Im Fokus steht dabei das Programm für Nationale VersorgungsLeitlinien (NVL). Dafür entwickeln Expertengruppen nach höchsten methodischen Standards Leitlinien zu häufigen Krankheiten. Diese NVL sind in verschiedenen Formaten frei verfügbar, wie Langfassung, Kurzfassung oder Patienteninformation.
Fragestellung: Welche Rolle spielen Leitlinien für den Versorgungsalltag? Wo informieren sich Ärzte und Therapeuten? Wie bekannt und praxistauglich sind die Angebote aus dem NVL-Programm?
Methode: Die Evaluation erfolgte mit einem Mixed-Methods-Design. Die gesamte Datenerhebung fand von Juli bis Oktober 2018 statt. Sie richtete sich an Ärzte und Psychotherapeuten. Zuerst erfolgte eine breit gestreute Online-Umfrage mit einem eigens konzipierten Fragebogen. Dieser diente dazu, allgemeine Informationen zur Leitlinienanwendung und zum NVL-Programm zu erfassen sowie interessierte Personen für Einzelinterviews zu gewinnen. Die Umfragedaten wurden deskriptiv ausgewertet. Anschließend wurden in leitfadengestützten Telefoninterviews vertiefende Erkenntnisse zur Praktikabilität der NVL zu Kreuzschmerz, Herzinsuffizienz und zur unipolaren Depression gewonnen. Dafür bekamen die Teilnehmenden im Vorfeld eine NVL in allen Formaten. Die Interviews wurden aufgezeichnet, transkribiert und inhaltsanalytisch ausgewertet.
Ergebnisse: Von den 667 Umfrage-Teilnehmenden füllten 558 den Fragebogen vollständig aus. Die Mehrzahl war männlich (61%) und über 40 Jahre alt (78%). Am häufigsten waren Ärzte (85%), ambulant Tätige (48%) und Großstädter (51%) vertreten. 93% der Befragten gaben an, dass sie Leitlinien verwenden. Davon schätzen nur knapp ein Viertel Leitlinien als teils oder kaum hilfreich ein. 41 Personen nutzen keine Leitlinien. Als Gründe nennen sie, dass nutzerfreundliche Formate fehlen (29%), Informationen in den Leitlinien nicht zu finden sind (27%) sowie die Dokumente unverständlich oder zu lang sind (24%). Über neue Studienergebnisse informieren sich die Befragten in Fachpublikationen (78%) und in Fort- und Weiterbildungen (75%). Leitlinien als Quelle nennen 41%. 80% nutzen Patienteninformationen. Diese wählen sie nach Verständlichkeit (66%), Evidenzbasierung (58%) und kostenlose Verfügbarkeit (49%) aus.
64% der Befragten kennen das NVL-Programm. Davon sind viele über Fachgesellschaften oder Berufsverbände (30%) darauf aufmerksam geworden. Diejenigen, denen das NVL-Programm bekannt ist, kennen und nutzen meist eine NVL-Langfassung (bekannt 86%, genutzt 78%) oder NVL-Kurzfassung (bekannt 93%, genutzt 87%). Die Patienteninformationen sind weniger verbreitet (54%) und angewandt (59%).
Von den 47 geführten Interviews sind 21 analysiert (Stand 15. April 2019). Die Interviewten waren zu 48% weiblich und durchschnittlich 44 Jahre alt. 76% haben die zugeschickte NVL-Langfassung genutzt oder können sich die Anwendung vorstellen. Sie wird bei spezifischen Fragestellungen oder für Hintergrundwissen gelesen. Bevorzugt wird von vielen jedoch die Kurzfassung. Über 70% halten sie für hilfreich. Allerdings wird sie als zu lang bewertet. Besonders Algorithmen, Checkboxen und Empfehlungen sind in der Kurzfassung gewünscht. Auch den NVL-Patienteninformationen wird eine Bedeutung zugemessen: So halten 81% die Patientenleitlinie für interessierte Patienten als geeignet und 67% würden sie empfehlen. Angegebene Barrieren sind der Umfang, die Leitlinieninhalte und eine mangelnde Gesundheitskompetenz. Den Äußerungen nach sollten Patienteninformationen auf Patientenportalen, bei Fachgesellschaften oder bei der Ärztlichen Selbstverwaltung zu finden sein.
Diskussion: Die hohe Teilnahmebereitschaft und die Ergebnisse lassen auf ein Interesse an Leitlinien schließen. Zudem liefert diese Evaluation erstmals Erkenntnisse über die Akzeptanz und Praxistauglichkeit eines der größten Leitlinienprogramme in Deutschland: Die meisten Befragten bewerten die NVL positiv. Dennoch besteht Verbesserungsbedarf, z. B. für die Kurzfassung und bei der Verbreitung der Patienteninformationen. Eine Limitation ist eine Teilnehmerselektion. Zudem sollten in weiteren Projekten Patientenvertreter und Angehörige anderer Gesundheitsberufe befragt werden.
Praktische Implikationen: Leitlinien haben eine große Bedeutung im praktischen Versorgungsalltag. Die Evaluation gibt Impulse für die Weiterentwicklung der NVL-Formate, um allen Nutzerbedürfnissen gerecht zu werden und deren Anwendung zu vereinfachen.
Hintergrund: Vor dem Hintergrund einer immer noch zu hohen Rate an Antibiotikaverordnungen bei akuten, unkomplizierten Infektionen im ambulanten Versorgungssetting in Deutschland verfolgt die vorgestellte Studie das Ziel den indikationsgerechten Einsatz von Antibiotika bei diesen Infektionen zu fördern. Hierfür werden verschiedene Maßnahmen, wie eine online Schulung oder Qualitätszirkel, im Praxisalltag eingesetzt und erprobt.
Fragestellung: Üben die eingesetzten Interventionsmaßnahmen einen Einfluss auf Motive aus, welche eine nicht-indizierte Verordnung von Antibiotika bei akuten, unkomplizierten Infekten in der ambulanten Versorgung begünstigen können?
Methode: Im Rahmen der Prozessevaluation einer randomisiert, kontrollierten Studie wurden schriftliche Befragungen unter 303 teilnehmenden Ärzten aus 193 Praxen in 14 Arztnetzen durchgeführt. Die Auswertung der Charakteristika der Teilnehmer und die Inanspruchnahme der eingesetzten Interventionsmaßnahmen erfolgte deskriptiv. Potentielle Einflüsse der Maßnahmen auf Motive, die eine nicht-indizierte Verordnung von Antibiotika bei akuten, unkomplizierten Infekten begünstigen können, wurden mit Hilfe entsprechender Regressionsmodelle analysiert. Die betrachteten Motive einer nicht-indizierten Antibiotikaverordnung basieren auf den Erkenntnissen der Übersichtsarbeiten von Tonkin-Crine et al. (2011) und Germeni et al. (2018).
Ergebnisse: Die Rücklaufquote der ersten schriftlichen Befragung der Ärzte lag bei 75% (n=229) und bei 66% (n=200)in der zweiten Befragungswelle. Vorgestellt werden die Ergebnisse der Analysen bezüglich des potentiellen Einflusses eingesetzter Interventionsmaßnahmen auf Motive, welche eine nicht-indizierte Verordnung von Antibiotika bei akuten, unkomplizierten Infekten von Ärzten im ambulanten Versorgungssetting begünstigen können.
Diskussion: Der potentielle Einfluss der eingesetzten Interventionsmaßnahmen zur Förderung des rationalen, indikationsgerechten Antibiotika-Einsatzes bei akuten, unkomplizierten Infekten auf Motive, welche eine nicht-indizierte Verordnung von Antibiotika begünstigen können, sowie sich daraus ergebende Erkenntnisse für zukünftige Interventionen sollen diskutiert werden.
Praktische Implikationen: Die vorgestellten Ergebnisse können zum Verständnis möglicher Effekte eingesetzter Interventionsmaßnahmen auf das Verordnungsverhalten von Ärzten bei akuten, unkomplizierten Infekten im ambulanten Setting beitragen. Darüber hinaus kann eine spätere, tiefergehende Interpretation der Ergebnisevaluation der Verordnungsdaten der betrachteten Studie unterstützt werden.
Quellen:
Germeni, Evi; Frost, Julia; Garside, Ruth; Rogers, Morwenna; Valderas, Jose M.; Britten, Nicky (2018): Antibiotic prescribing for acute respiratory tract infections in primary care. An updated and expanded meta-ethnography. In: The British journal of general practice: the journal of the Royal College of General Practitioners 68 (674), e633-e645. DOI: 10.3399/bjgp18X697889.
Tonkin-Crine, Sarah; Yardley, Lucy; Little, Paul (2011): Antibiotic prescribing for acute respiratory tract infections in primary care. A systematic review and meta-ethnography. In: The Journal of antimicrobial chemotherapy 66 (10), S. 2215–2223. DOI: 10.1093/jac/dkr279.
Hintergrund:
Leitlinien sind eine der wichtigsten Informationsquellen zur Unterstützung der klinischen Entscheidungsfindung und enthalten Handlungsempfehlungen, die auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen. Diese Handlungsempfehlungen sollten im Sinne der Wissenschaft frei von Verzerrungen sein und ausschließlich darauf abzielen, das Patientenwohl zu maximieren. Um dies zu gewährleisten, sollten die Handlungsempfehlungen nicht von Interessenkonflikten (hier definiert als eine finanzielle Zuwendung in Höhe von über 500 USD) beeinflusst sein oder, falls potenzielle Interessenkonflikte bestehen, diese transparent dargelegt werden.
Fragestellung:
Ziel dieser Arbeit war die Analyse der finanziellen Unterstützung von Leitliniengruppen-Mitgliedern (LGM) durch die Pharma- und Medizinproduktindustrie. Darüber hinaus sollte die Vollständigkeit der Angaben der LGM untersucht werden. Das wesentliche Forschungsvorhaben beschäftigt sich mit der Frage, ob Leitliniengruppen-Mitglieder frei von Interessenkonflikten sind und falls nicht, diese zumindest kenntlich gemacht sind.
Methodik:
Es wurde eine Handrecherche nach internationalen Leitlinien auf der Internetseite des National Guideline Clearinghouse, einer im Jahre 1997 gegründeten Initiative der Agency for Healthcare Research and Quality, durchgeführt. Alle verfügbaren und im Jahr 2017 publizierten Leitlinien wurden eingeschlossen und die Namen sämtlicher Leitliniengruppen-Mitglieder extrahiert. Für jedes Mitglied wurden die finanziellen Zuwendungen von der Industrie, die in den vorangegangenen vier Jahren (2013-2016) vor der Publikation der Leitlinien erfolgten, aus „Open-Payments“ extrahiert. Open-Payments ist eine Datenbank, in der sämtliche finanzielle Zuwendungen der Industrie an Ärzte, die in der öffentlichen US-amerikanischen Gesundheitsversorgung (Medicare, Medicaid) tätig sind, offengelegt werden. Die erhaltenen Zuwendungen wurden anschließend mit den Angaben in den entsprechenden Leitlinien überprüft: Eine Verneinung eines Interessenkonflikts trotz des Bestehens wurde als Meinungsverschiedenheit (Disagreement) deklariert. Das Bestehen eines Interessenkonflikts bei keiner Angabe wurde als verborgener Interessenkonflikt (Hidden CoI) betitelt. Alle Extraktionen wurden von einer Person vorgenommen und von einer zweiten Person verifiziert. Die Daten wurden insgesamt und nach Fachrichtung getrennt deskriptiv aufbereitet und anschließend ausgewertet. Die Analysen wurden mit Microsoft Excel und R Version 3.0.2. durchgeführt.
Ergebnisse:
Es wurden insgesamt 81 Leitlinien aus 11 Fachbereichen identifiziert. Von diesen konnte für 543 LGM, Angaben aus Open-Payments extrahiert werden. Für 34% der LGM konnte keine Erklärung zu individuellen Interessenkonflikten in den Leitlinien oder assoziierten Dokumenten gefunden werden. Die Gesamtsumme der Zuwendungen aller Mitglieder in den letzten vier Jahren vor den Leitlinien Publikationen belief sich auf 10.844.938 USD. 62% der LGM erhielten mindestens 500 USD. Von diesen gaben 17% an, keine Interessenkonflikte zu haben. Im Durchschnitt erhielt ein LGM 19.972 USD und im Median 1.328 USD. Die medianen finanziellen Zuwendungen waren mit 4.113 USD in der Onkologie und mit 25.971 USD in der Chirurgie am höchsten. Am niedrigsten waren die medianen finanziellen Zuwendungen im Bereich der Rehabilitation/Physiotherapie mit 745 USD sowie in der Geriatrie mit 656 USD. Die durchschnittlichen Zuwendungen waren in den Bereichen Chirurgie mit 40.133 USD und Kardiologie mit 33.847 USD am höchsten. In den Fachbereichen Geburtshilfe/Gynäkologie mit 7.161 USD und Geriatrie mit 6.105 USD am geringsten.
Diskussion:
Die Höhe der finanziellen Zuwendungen vieler LGM ist erheblich und variiert stark zwischen den Fachbereichen. Der Vergleich der medianen und durchschnittlichen Zuwendungen deckt zudem eine schiefe Verteilung innerhalb und unter den Fachbereichen auf. Dies deutet darauf hin, dass vor allem einzelne Personen einen immens hohen Betrag an Zuwendungen erhalten haben. Die Zuwendungen sind oftmals nicht oder nicht transparent dargelegt. Dieses stellt die Objektivität von Leitlinien-Empfehlungen infrage.
Einige der Leitliniengruppen-Mitglieder konnten nicht in der Open Payments Datenbank gefunden werden. Mögliche Gründe dafür sind, dass diese nicht der amerikanischen Staatsbürgerschaft angehören oder nicht als Ärzte in der Gesundheitsversorgung tätig sind.
Praktische Implikationen:
Eine ähnliche Analyse ließe sich nicht auf Deutschland übertragen, da finanzielle Zuwendungen aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden dürfen.
Auf der einen Seite helfen die finanziellen Beziehungen zwischen Wissenschaft und Industrie bei der medizinischen Forschung, auf der anderen Seite können sie aber auch zu Verzerrungen der Leitlinien führen. Das Augenmerk bei der Erstellung von Leitlinien sollte daher auf der Umsetzung klarer, einheitlicher Standards liegen und durch Richtlinien reguliert werden.
Hintergrund: PatientInnen mit Schlaganfall erhalten im Anschluss an ihre Akutversorgung häufig eine stationäre Rehabilitation und benötigen eine ambulante therapeutische Nachsorge. Der Bedarf und Umfang der ambulanten logopädische, physio- und ergotherapeutische Versorgung dieser PatientInnen ist bisher wenig erforscht. Im Interesse einer Erhöhung der Versorgungsqualität erscheint die Schaffung von Transparenz über das Versorgungsgeschehen als erster Schritt hilfreich.
Fragestellungen: Wie werden therapeutische Leitlinien und Empfehlungen in der post-stationären Versorgung von PatientInnen mit Schlaganfall umgesetzt? Können Routinedaten gesetzlicher Krankenversicherungen genutzt werden um vulnerable Patientengruppen zu identifizieren, deren Versorgung weniger häufig leitlinienorientiert erfolgt?
Methode: Systematische Recherche von medizinischen und therapeutischen, nationalen und internationalen Leitlinien und Empfehlungen zur Rehabilitation von Sprach- und Sprechstörungen, sowie Gang- und Mobilitätsstörungen, Lähmungen und Inkontinenz nach Schlaganfall. Extraktion und Ableitung von Parametern, deren Umsetzung in der Versorgung anhand von Abrechnungsdaten gesetzlicher Krankenkassen messbar sind. Deskriptive Analyse für definierte Subgruppen (Alter, Geschlecht, Schwere des Schlaganfalls, Schlaganfall im Vorjahr). Datengrundlage bilden die Abrechnungsdaten von PatientInnen mit Schlaganfallereignis im Jahr 2014 von vier gesetzlichen in der Region Berlin tätigen Krankenkassen (n=6.900).
Ergebnisse: In den selektierten Leitlinien findet sich eine geringe Zahl für die Überprüfung mit Abrechnungsdaten geeigneter Empfehlungen. Im Bereich der Sprach- und Sprechstörungen wurden 4 im Bereich der Gangstörungen, Lähmung und Inkontinenz 3 geeignete Prüfparameter identifiziert. Knapp 10% der PatientInnen erhalten trotz diagnostiziertem logopädischen Therapiebedarf keine weitere ambulante Versorgung, wobei die Anteile für Frauen und ältere PatientInnen noch darüber liegen. Nach Krankenhausentlassung erfolgt die Aufnahme der Rehabilitation im Durchschnitt innerhalb von 6 Tagen. Männer, jüngere PatientInnen und weniger schwer Betroffene weisen eine geringere Versorgungskontinuität auf. Die mittlere Dauer zwischen zwei Therapiesitzungen betrug ca. 5 Tage und widerspricht damit der empfohlenen hochfrequenteren Therapie von 2 bis 3 Sitzungen pro Woche. Knapp 18% der PatientInnen mit diagnostiziertem physio- und ergotherapeutischen Versorgungsbedarf erhalten keine ambulante Therapie.
Diskussion: Therapeutische Leitlinien zur Rehabilitation der definierten Störungsbilder weisen eine geringe Anzahl konkreter Therapieempfehlungen aus. Die Überprüfung der Versorgung mithilfe von Routinedaten ist daher nur bedingt möglich. Ursachen hierfür sind in der ausstehenden Akademisierung und dem Aufbau hinreichender Forschungsstrukturen in der therapeutischen Nachsorge zu vermuten. Der den Leitlinien inhärente Mangel an verfügbarer Evidenz sollte Inhalt künftigen Forschungsaktivitäten sein. Die beobachteten Ergebnisse sind ohne Berücksichtigung der Limitationen der Datenquelle nicht sinnvoll interpretierbar. Eine Betrachtung des objektiven Versorgungsgeschehens lässt die Angemessenheit der Maßnahmen für die einzelne PatientIn sowie deren Präferenzen unberücksichtigt. Weiterführende Forschung zu den Ursachen geringer Leitlinienorientierung in der Versorgung einzelner Patientengruppen erscheint notwendig.
Praktische Implikationen: Leitlinien erhöhen die Qualität in der Versorgung. Grundlage für gute Leitlinien ist das Vorhandensein evidenter und konkreter Therapieempfehlungen. Detaillierte Empfehlungen in Leitlinien ermöglichen darüber hinaus eine Analyse des Versorgungsgeschehens mithilfe von Routinedaten und sollten auch vor diesem Hintergrund regelhaft bei der Entwicklung von Leitlinien Berücksichtigung finden.
Background
The concepts of Clinical Research and Health Services Research are well known. Clinical Research investigates and describes effects under Experimental Study Conditions (ESC) while Health Services Research investigates and describes effects under Real World Conditions (RWC). The effects under ESC are known as efficacy and the effects under RWC are known as effectiveness.
There is a consensus on the appropriate tool for assessment of efficacy, but not for assessment of effectiveness. The most likely reason for the lack of the later is the focused perspective of many researchers on randomization only. The 2008 version of the CONSORT statement recommended RCTs for completion of both explanatory and pragmatic studies (1). However, RCT is not a good match for pragmatic studies since, by definition, the allocation of treatment in RCT must be at random (which doesn't happen in the real world). This sole focus on RCTs would exclude all pragmatic studies that are essential for health services research.
Aim of study
In this study we aim to investigate the distinction between efficacy and effectiveness in the medical literature and to demonstrate the impact on the establishment of guidelines when the distinction is not clear.
Methods
To achieve our aims we completed three projects and a conscientious analysis of the 2008 CONSORT Statement (1).
In the first project we analyzed five corresponding pairs of terms recommended in six reviews on the reporting on outcomes of clinical trials (1-6). These five pairs were 1. efficacy/effectiveness outcome, 2. experimental/observational trial, 3. explanatory/pragmatic attitude, 4. randomized/non-randomized allocation of intervention, and 5. analytical/descriptive trial.
In the second project we analyzed four corresponding triplets of terms used in 100 published quality of life (QoL) studies (7). The four triplets of terms were 1. explanatory/pragmatic/not defined attitude, 2. randomized/non-randomized/not defined allocation of intervention, 3. primary/ secondary/not defined endpoint, and 4. efficacy/effectiveness/not defined outcome.
In the third project we analyzed the congruence of recommendations from 24 treatment guidelines (of eleven countries on three types of cancer) in 330 scenarios. A recommendation was considered congruent (or not defined) when at least 66% of corresponding recommendations of all countries were congruent (or were not defined) (8).
Results
The first project demonstrated that none of the six reviews included all six pairs of terms. The pairs explanatory/pragmatic, and randomized/non-randomized were included in five of six reviews (1,2,3,5,6). The pair efficacy/effectiveness was included in four of six reviews (1,2,3,6). The two pairs experimental/observational and analytical/descriptive were included in two reviews (4,5). The review by Schwartz & Lellouch (2) included only the pair of explanatory/pragmatic and discussed efficacy but not effectiveness. The 2008 CONSORT statement (1) included the pairs of explanatory/ pragmatic, randomized/not randomized, and efficacy/effectiveness but did not discuss the meaning of efficacy/effectiveness. Each of the three remaining reviews (3,4,6) included three pairs of terms, but not the same pairs.
The results of the second project showed that an experimental study design (RCT) was used in 91% of the investigated 100 QoL studies implying that the effect was investigated mainly under experimental conditions, which is not a good fit for QoL studies. QoL was the primary endpoint in only 29% of the trials. Furthermore, 60% of the studies did not state whether they were assessing efficacy or effectiveness. Only 14% of the studies claimed to assess efficacy and 25% to assess effectiveness. With an endpoint of QoL, however, most clinicians would agree that effectiveness is more important than efficacy in a study on the effects of different treatments. Only 6% of the studies were classified as pragmatic trials (9).
The third project revealed that 15% of the corresponding guidelines were congruent, 60% were incongruent and 25% were not defined (8).
Discussion
Our results confirm the problem in describing efficacy and effectiveness in clinical studies and review articles. This lack of congruence is likely to confound the authors of clinical guidelines. The CONSORT recommendations utilize the term "randomized pragmatic studies". This decision is not supported by appropriate evidence and is unlikely to promote health services research because health services research depends on pragmatic rather than randomized trials. In view of this an update of CONSORT has to be considered.
Practical Implications
We propose two solutions. First, a consensus on the clear definition of the structural and functional criteria of efficacy and effectiveness should be reached. Second, new proposals for the assessment of effectiveness under real world conditions such as Pragmatic Controlled Trials (PCTs) should be discussed (10,11).