Autor:innen:
Dr. Carolin Fleischmann-Struzek | Universitätsklinikum Jena | Germany
Dr. Anna Mikolajetz | Universitätsklinikum Jena | Germany
Prof. Konrad Reinhart | Charité – Universitätsmedizin Berlin | Germany
Prof. Randall Curtis | University of Washington | United States
Dr. Ulrike Haase | Charité – Universitätsmedizin Berlin | Germany
Dr. Daniel Thomas-Rueddel | Universitätsklinikum Jena | Germany
Prof. Dr. Christiane Hartog | Charité – Universitätsmedizin Berlin | Germany
Hintergrund: Durch den demografischen Wandel wird bis 2050 wird ein Zuwachs der Todesfälle in Deutschland um 26% erwartet (1). Mit lebensbedrohlicher Erkrankung konfrontiert, wünschen sich die meisten Menschen, zuhause zu versterben (2). Im Gegensatz dazu nimmt in Industrieländern wie den USA die Zahl von älteren, multimorbiden Patienten, die unter Nutzung intensivmedizinischer Ressourcen am Lebensende im Krankenhaus versorgt werden, kontinuierlich zu (3). Für Deutschland ist bisher unbekannt, wie hoch der Anteil von Menschen ist, die im Krankenhaus unter Nutzung von Intensivtherapie versterben.
Fragestellung: Wieviele Menschen verstarben zwischen 2007 und 2015 in Deutschland im Krankenhaus und erhielten im Rahmen des terminalen Krankenhausaufenthaltes eine intensivmedizinische Behandlung? Gibt es altersgruppenspezifische Trends?
Methode: Auswertung von terminalen Krankenhausaufenthalten mit und ohne Intensivbehandlung auf Basis der Fallpauschalenbezogenen Krankenhausstatistik (DRG-Statistik) des Statistischen Bundesamtes für 2007-2015. Die Identifikation von Intensivbehandlungen erfolgte auf Basis der OPS-Codes für Intensivmedizinische Komplexbehandlung (8-980, 8-98c, 8-98d, 8-98f). Ausgeschlossen wurden Patienten mit unbekanntem Alter und Geschlecht. Die Datenanalyse erfolgte mit SAS® (Version 9.4; SAS Institute, Cary, NC, USA) and R (Version 3.4.0; R Core Team, Wien, Austria). Die Daten wurden deskriptiv unter Angabe von absoluten Fallzahlen, prozentualen Anteilen und Inzidenzraten ausgewertet. Die beobachteten Inzidenzraten wurden auf Basis der vom Statistischen Bundesamt angegebenen nationalen Bevölkerung zum 31.12.2007 entsprechend der Bevölkerungsstruktur alters- und geschlechtsadjustiert.
Ergebnisse: 47,6% der 2007 bzw. 45,9% der 2015 in Deutschland Verstorbenen starben im KH. Dies entspricht einer alters- und geschlechtsstandardisierten Rate von 4,8 bzw. 4,4 Todesfällen im KH pro 1.000 Einwohner pro Jahr. Absolut nahm die Zahl von Patienten, die im KH verstarben, von 393.388 auf 425.073 zu, was einem durchschnittlichen jährlichen Zuwachs von 1,0% entspricht. In 2007 wurden 20,6% der Verstorbenen intensivmedizinisch behandelt. Dieser Anteil stieg bis 2015 auf 25,6% (durchschnittlich Zuwachs von 2,8% pro Jahr). Gleichzeitig nahm die Zahl von im KH Verstorbenen, die während des terminalen Krankenhausaufenthaltes intensivmedizinisch behandelt wurden, von 1,0 auf 1,2 pro 1.000 Einwohner pro Jahr zu. Dies entspricht einem Anteil von 9,8% bzw. 11,8% aller 2007 bzw. 2015 in Deutschland Verstorbenen. Der Zuwachs an Intensivstationsbehandlungen im Rahmen terminaler Krankenhausaufenthalte war besonders in den Altersgruppen >65 Jahre ausgeprägt. Hier nahm die Zahl von im Krankenhaus Verstorbenen mit Intensivstationsbehandlung um jährlich durchschnittlich 3,9% zu, während die Zahl aller im Krankenhaus verstorbenen Menschen um durchschnittlich 1,2% zunahm. In der Altersgruppe der über 85-Jährigen war der Zuwachs von terminalen Krankenhausbehandlungen mit Intensivstationsbehandlungen mit jährlich durchschnittlich 7,0% am stärksten, während die terminalen Krankenhausaufenthalte insgesamt um jährlich durchschnittlich 3,6% anstiegen.
Diskussion: Während der Anteil von Menschen, die in Deutschland im Krankenhaus verstarben, zwischen 2007 und 2015 sank, nahm die Rate Intensivmedizinischer Behandlungen im Rahmen terminaler Krankenhausaufenthalte zu. Insbesondere ältere Menschen werden am Lebensende zunehmend intensivmedizinisch behandelt. Die Zunahme intensivmedizinischer Therapien in terminalen Krankenhausaufenthalten blieb auch nach Alters- und Geschlechtsstandardisierung nachweisbar und damit nicht nur auf Veränderungen der Bevölkerungsstruktur zurück zu führen. Auch wenn auf Basis der DRG Statistik nicht nachvollzogen werden kann, ob die Patienten auf Intensivstation verstarben oder nur während des terminalen Krankenhausaufenthaltes intensivmedizinisch behandelt wurden, zeigt sich hier eine relevante Entwicklung der medizinischen Versorgung am Lebensende mit Implikationen für Patienten, Angehörige, medizinisches Personal und Politik.
praktische Implikationen: Patientenpräferenzen hinsichtlich medizinischer Therapien am Lebensende müssen umfassender untersucht und umgesetzt werden. Es müssen strukturelle und personelle Voraussetzungen geschaffen werden, um dem steigenden Bedarf von palliativmedizinischen bzw. end-of-life Therapien auf Intensivstationen begegnen zu können.
Literatur:
(1) Simon ST, Gomes B, Koeskeroglu P, et al. Public Health 2012; 126(11):937-946
(2) Gomes B, Calanzani N, Gysels M, et al. BMC Palliat Care 2013; 12(7)
(3) Teno JM, Gozalo PL, Bynum JP, et al. JAMA 2013; 309(5):470-477