Hintergrund
In Deutschland hat die prekäre Beschäftigung durch die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes in den 1990er und 2000er Jahren erheblich zugenommen. Im Rahmen der vorliegenden Studie werden Trends im Zusammenhang zwischen unterschiedlichen Formen prekärer Beschäftigung und subjektiver Gesundheit nach Geschlecht in Deutschland zwischen 1995 und 2015 untersucht. Vor diesem Hintergrund werden verschiedene Perioden von Arbeitsmarktreformen und der Großen Rezession berücksichtigt und ihr Stellenwert für die Gesundheit prekär Beschäftigter diskutiert.
Methoden
Die Analysen basierten auf Daten des deutschen Sozioökonomischen Panels 1995-2015. Alle Erwerbstätigen im Alter von 18 bis 67 Jahren, die in privaten Haushalten leben, wurden für die Analysen herangezogen, um die Risiken einer schlechten subjektiven Gesundheit auf Basis unterschiedlicher Formen prekärer Beschäftigung (Einkommensarmut, Niedriglohn, Arbeitsplatzunsicherheit, atypische Beschäftigung) empirisch zu erklären. Marginale Wahrscheinlichkeiten, Adjusted Risk Ratio (ARR), Adjusted Risk Difference (ARD) und Trends wurden mittels gepoolter Intervall-Logistikregression mit geclusterten Standardfehlern untersucht.
Ergebnisse
Die Beziehung zwischen Arbeitsplatzunsicherheit und einer schlechten subjektiven Gesundheit (relativ wie absolut) hat im Zeitverlauf lediglich für Männer zugenommen. Eine signifikante Zunahme der relativen und absoluten Ungleichheiten in der subjektiven Gesundheit auf Basis erwerbsarmer Beschäftigung konnte nur für Frauen beobachtet werden. Atypische Beschäftigungsformen waren zu keinem Zeitpunkt signifikant mit der subjektiven Gesundheit assoziiert, während der Niedriglohn zwar signifikant mit der subjektiven Gesundheit von Männern assoziiert war, aber keinen Trend im Zeitverlauf aufwies.
Diskussion
Die Ergebnisse zeigen, dass die Beziehung zwischen verschiedenen Formen prekärer Beschäftigung und der subjektiven Gesundheit im Rahmen der Einführung verschiedener Arbeitsmarktreformen der Flexibilisierung in Deutschland für Frauen und Männer unterschiedlich stark zugenommen haben. Ihre geschlechtsspezifische Wirkung muss daher weiter untersucht und diskutiert werden. Besondere Relevanz hatte vor diesem Hintergrund die Einführung der Hartz Reformen, die von einem Anstieg der Ungleichheiten in der Gesundheit begleitet wurde.
Hintergrund
Am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) hat sich seit 2006 mit der Gründung des Center for Health Care Research (CHCR) die Versorgungsforschung (VF) als einer von fünf vom Wissenschaftsrat empfohlenen Forschungsschwerpunkten etabliert. Das CHCR ist ein Kooperationsverbund des UKE und der Universität Hamburg. Sein Ziel liegt in der Förderung und der Unterstützung der VF. Das CHCR war an zahlreichen BMBF-Förderungen der letzten Jahre mit Einzel- und Verbundprojekten beteiligt. All diesen Vorhaben lag eine enge regionale, überregionale und internationale Vernetzung mit Kooperationspartnern zugrunde. Trotz der zahlreichen Initiativen gibt es bis heute Verbesserungspotentiale hinsichtlich eines systematischen und nachhaltigen Austauschs in der Region. Eine hochwertige und praxisnahe VF, welche die Gesundheitsversorgung in der Metropolregion Hamburg substantiell und nachhaltig verbessern soll, erfordert kontinuierliche und verlässliche Austausch- und Kommunikationsstrukturen zwischen allen am Versorgungsgeschehen Beteiligten.
Strukturausbau
Diese Erfahrungen und Erfordernisse führten zur Idee und Initiierung des „Hamburger Netzwerks für Versorgungsforschung (HAM-NET)“. Die BMBF-Förderung wurde mit Hilfe zahlreicher Unterstützer in der Hamburger Region federführend durch das CHCR eingeworben. Das übergeordnete Ziel von HAM-NET ist die Stärkung vorhandener und die Schaffung neuer Versorgungsforschungsstrukturen in der Metropolregion Hamburg. Daraus ergeben sich für das Netzwerk folgende Aufgaben:
1) Initiierung nachhaltiger Zusammenarbeit und Verknüpfung der VF mit allen relevanten Akteuren,
2) Synergien zwischen Forschung und Versorgern,
3) Förderung von Forschungsaktivitäten und Eröffnung neuer Forschungsfelder,
4) Nutzung methodi-scher und klinischer Expertise sowie Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses.
HAM-NET umfasst bereits über 30 Institutionen aus den Bereichen Forschung, Versorgung, Krankenkassen, Politik, Gesundheitswirtschaft und Patientenorganisationen. Das Netzwerk wird von zwei Sprechern und einem Vorstand geleitet und durch einen Koordinator unterstützt. Die regelmäßig einberufene Mitgliederversammlung gibt Gelegenheit zum Austausch und zur Beratung. Neben klaren Strukturen und stetigen Austauschtreffen wird die netzwerkinterne Kommu-nikation durch einen Mailverteiler und einen Newsletter befördert. Nach Außen präsentiert sich das Netzwerk zum einen via Webseite und Logo (www.ham-net.de), zum anderen durch die Ausrichtung wiederkehrender Veranstaltungen (z.B. HAM-NET Symposien 2017, 2018 und 2019) und die Teilnahme an nationalen und internationalen Kongressen sowie Netzwerken der VF (z.B. DNVF e.V.).
Im Rahmen der ersten Förderphase des Netzwerks wurde ein übergreifendes Forschungsprojekt „Collaborative and Stepped Care in Mental Health by Overcoming Treatment Sector Barriers (COMET)“ entwickelt. COMET ist eine klinische Studie, die die Versorgung psychisch erkrankter Patienten in der ambulanten Versorgung, die unter komorbiden depressiven, Angst-, somatoformen und/oder alkoholbezogenen Erkrankungen leiden, verbessern will.
Zukünftig sollen die geschaffenen Strukturen und Angebote ausgebaut und nachhaltig etabliert werden. Neben der Stärkung der Patientenstimme im Netzwerk soll dabei vor allem die Förde-rung des wissenschaftlichen Nachwuchses im Vordergrund stehen. Zudem sind sowohl die gemeinsame Entwicklung von praxisnahen Forschungsprojekten mit den Partnern in der Region als auch das Thema des Transfers von Forschung in die Praxis zentrale Anliegen von HAM-NET. Hierbei spielt der initiierte und erfolgreiche Austausch mit den administrativen und politischen Gremien eine wichtige Rolle.
Darüber hinaus gehört die BMBF-geförderte Nachwuchsgruppe „Assessment of Patient-Centeredness through Patient-Reported Experience (ASPIRED)“ zum Netzwerk. Sie wird in den kommenden fünf Jahren individuelle Messverfahren entwickeln, mit denen der Grad der patientenzentrierten Versorgung aus Sicht von chronisch erkrankten Patienten besser beurteilt werden kann.
Fazit & Ausblick
All diese Initiativen dienen dem Ausbau einer leistungsfähigen Infrastruktur in der VF. HAM-NET stellt mit der Gründung eines offenen Forums für alle relevanten Institutionen die Weichen für die Bündelung der Interessen und Bedarfe in der VF und die Förderung und Durchführung innovativer, effizienter, bedarfs- und patientenorientierter Projekte in der Region, um so eine verbesserte und bedarfsgerechte VF und Gesundheitsversorgung in der Hamburger Region zu gewährleisten. Großen Auftrieb erhält die Hamburger Metropolregion diesbezüglich auch durch die zahlreichen Antragserfolge im Rahmen des Innovationsfonds. Allein aus der ersten Förderperiode 2016-18 wurden über 40 Projekte mit Hamburger Konsortialführung oder Beteiligung bewilligt. Die Hamburger Region stärkt damit ihre Position als eines der führenden Zentren für Versorgungsforschung.
Hintergrund
Die bisherige projektbezogene Zusammenarbeit zwischen einem in kommunaler Trägerschaft befindlichen Anbieter quartiersnaher Unterstützungsleistungen für ältere Menschen (Praxiseinrichtung) und einer Forschungseinrichtung (Versorgungsforschung) war vor allem dadurch charakterisiert, dass die Entwicklung von Forschungsprojekten nicht immer gemeinsam mit dem Praxispartner erfolgte. Um dem zu begegnen, wurden verschiedene Initiativen – insbesondere mit Blick auf eine translationale Zusammenarbeit – begonnen.
Fragestellung
Wie lässt sich eine translationale Zusammenarbeit zwischen einer Praxis- und einer Forschungseinrichtung etablieren?
Methode
Eine Einrichtung, die den Prinzipien translationaler Forschung folgt, ist gefordert, eine andere Art der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Stakeholdern (z. B. verschiedene Berufsgruppen oder auch Pflegebedürftige) zu etablieren. Daraus folgt auch, sich mit Prinzipien der partizipativen Forschung auseinanderzusetzen. Vor diesem Hintergrund wurde von Mitarbeitenden einer Praxis- und einer Forschungseinrichtung gemeinsam ein Konzept zur translationalen Zusammenarbeit entwickelt. Auf Grundlage dieses Konzeptes sind regelmäßige Sitzungen, Hospitationen (u. a. in Nijmegen und Maastricht), Trainings und Workshops vorgesehen bzw. teilweise schon realisiert. Eine an translationalen Prinzipien ausgerichtete Zusammenarbeit wird darüber hinaus auch in gemeinsam zu initiierenden Projekten angestrebt. Eine Weiterentwicklung des Konzeptes ist basierend auf den bei der Umsetzung gesammelten Erfahrungen vorgesehen.
Ergebnisse
Eine erste gemeinsame Aktivität war die Etablierung eines Praxis-Forschungs-Forums. Weitere Aktivitäten in 2019 sind unter anderem: (1) Die kritische Reflexion eines Interviewleitfadens für Kurzzeitpflegegäste der Praxiseinrichtung; (2) Der Austausch bezogen auf das in die deutsche Sprache übersetzten „Environmental Audit Tool – EAT“ in Vorbereitung auf die psychometrische Testung (Nutzen für die Forschungseinrichtung) sowie hinsichtlich der (Um-)Gestaltung eines spezialisierten Demenzwohnbereichs basierend auf dem EAT (Nutzen für die Praxiseinrichtung). (3) Gemeinsame Vorbereitung von Interviews mit Pflegebedürftigen bzw. Angehörigen. (4) Gemeinsame Veranstaltung mit Auszubildenden der Praxiseinrichtung zum Thema „Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz“.
Diskussion
Die ersten im Rahmen des Praxis-Forschungs-Forums für das Jahr 2019 gemeinsam entwickelten und z. T. bereits umgesetzten Aktivitäten zur Etablierung translationaler Prinzipien zeigen neben Herausforderungen vor allem, dass das methodische Vorgehen geeignet erscheint, um ein translationales Verständnis von Versorgung und Versorgungsforschung zu etablieren, von dem alle direkt und indirekt Beteiligten profitieren.
Praktische Implikationen
Über eine Zusammenarbeit, die translationalen Prinzipien folgt, besteht die Möglichkeit – besser als zuvor – gegenwärtig bestehende ungedeckte Bedarfe in der Gesundheitsversorgung zu identifizieren, innovative Versorgungskonzepte und Interventionen gemeinsam zu entwickeln und unter Realbedingungen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen sowie insbesondere eine nachhaltige Implementierung in die Routineversorgung zu leisten.
Hintergrund
Patientensicherheit ist unter anderem auf das Verhalten und die Einstellungen der Mitarbeitenden im Krankenhaus zurückzuführen. Häufig müssen Mitarbeitende spontan entscheiden, ob sie ihre Bedenken im Klinikalltag (z. B. hinsichtlich einer bestimmten Behandlung) offen äußern und damit tradierte Handlungsweisen oder Vorgesetzte in Frage stellen. Wenn Mitarbeitende fürchten, dass ihre Äußerungen für sie selbst negative Konsequenzen haben können und daher potenzielle Mängel in der Versorgung nicht ansprechen, gefährdet dies die Patientensicherheit. Für Krankenhäuser ist es daher zunehmend wichtiger „psychologische Sicherheit“ (Psychological Safety) unter Mitarbeitenden zu fördern und diese zu nutzen, um Mängel in der Patientensicherheit frühzeitig zu erkennen und auszuräumen. Dies gilt insbesondere auf der Intensivstation, in der die Schwere der Konsequenzen von Fehlern durch komplexe medizinische Prozesse und vulnerable Patienten besonders hoch sein kann.
Das Ziel dieser Studie ist es, Faktoren auf der Ebene des Individuums sowie der Intensivstation zu identifizieren, die die Wahrnehmung von psychologischer Sicherheit unter Pflegekräften beeinflussen.
Fragestellung
Welche individuellen und organisatorischen Faktoren hängen mit der Wahrnehmung von Psychological Safety unter Pflegekräften zusammen?
Methode
Auf 86 deutschen neonatalen Intensivstationen wurde zwischen September 2015 und August 2016 eine Fragebogenbefragung unter Pflegepersonal und ärztlichem Personal sowie unter den pflegerischen und ärztlichen Leitern/innen durchgeführt. Insgesamt wurden Daten von 1.211 Pflegekräften auf 76 neonatologischen Intensivstationen analysiert. Aufgrund der hierarchischen Struktur der Daten wurde eine Mehrebenenanalyse angewendet.
Ergebnisse
Das Nullmodell zeigte, dass 18.8 % der individuell wahrgenommenen psychologischen Sicherheit durch die Zugehörigkeit einer Organisation erklärt werden können. Auf individueller Ebene sind ein junges Alter ( < 25 Jahre), die Weiterbildung zur Stationsleitung sowie ein laufendes oder bereits abgeschlossenes Studium positiv mit der wahrgenommenen psychologischen Sicherheit einer Pflegekraft verbunden. Pflegekräfte, die eine Ausbildung in pädiatrischer Intensivpflege absolviert hatten, gaben jedoch signifikant niedrigere Werte auf der Skala an. Als organisationaler Faktor wurden formalisierte Handlungsanweisungen (SOPs) als positive Prädiktoren identifiziert, die die Wahrnehmung der psychologischen Sicherheit einer Pflegekraft positiv beeinflussen können.
Diskussion
Unsere Ergebnisse zeigen, dass auf individueller Ebene Pflegeaus- und Weiterbildungen eine essentielle Rolle in Bezug auf die individuell wahrgenommene psychologische Sicherheit spielen. Der positive Effekt eines Studiums bzw. auch einer Weiterbildung zur Stationsleitung kann möglicherweise durch den Abbau sozialer Hierarchien erklärt werden. Auf der anderen Seite sind auch negative Effekte von Weiterbildungen auf die psychologische Sicherheit möglich. Vor allem Pflegekräfte mit einer Ausbildung zur pädiatrischen Intensivpflege berichteten eine geringere psychologische Sicherheit. Dieses Ergebnis ist möglicherweise durch ein vertieftes Wissen über mögliche Konsequenzen eines Fehlers zu erklären.
Praktische Implikation
Nebst der Erkenntnis, dass SOPs vermehrt etabliert werden sollten, unterstützen unsere Ergebnisse die formalisierte Professionalisierung der Pflegekräfte. Sie deuten aber gleichzeitig darauf hin, dass nicht jede Weiterbildung sich positiv auf die psychologische Sicherheit auswirkt. Ausbildende sollten sich bewusst sein, dass neben fachlichem Wissen auch der professionelle Umgang mit Bedenken und Fehlern gelehrt werden sollte. In zukünftigen Studien sollte untersucht werden, wie das Fachwissen und die Berufserfahrung der Pflegekräfte ihre psychologische Sicherheit beeinträchtigen können. Darauf aufbauend können Maßnahmen entwickelt werden, die die Kontrolle über diese unbeabsichtigten Auswirkungen übernehmen.
Hintergrund
Der Pflegefachkraftmangel in Deutschland ist derzeit eines der meist diskutierten Themen. Im Hinblick auf die zukünftige pflegerische Versorgung ist ein „weiter so“ nicht möglich [1]. Dabei geht es nicht nur um die Belastung und Gesundheit der Fachkräfte. Nur mit einer qualitativ/quantitativ ausreichenden Personalausstattung kann eine pflegerische Versorgung gewährleistet werden, die den fachlichen Standards ebenso entspricht wie den Bedarfen und Bedürfnissen der Pflegeempfänger*innen. Um eine pflegerische Versorgung gemäß state of the art perspektivisch sicherzustellen, werden daher Kenntnisse relevant, wie der Personalmangel sich schon jetzt auf die pflegerische Versorgung auswirkt. Eine zentrale Rolle spielt dabei der Zusammenhang zwischen Fachkraftsituation und Kompetenzentwicklung beruflich Pflegender, da die Qualifikation der Pflegekräfte, neben einer angemessenen Fachkräfteausstattung, einen maßgeblichen Einfluss auf die Versorgungsqualität hat [2].
Fragestellung
Welche Auswirkungen hat der Fachkräftemangel in der Pflege aktuell und perspektivisch auf die (pflegerische) Versorgung? Welche Handlungsansätze lassen sich zur Verbesserung der Situation ermitteln?
Methode
Im Rahmen des Teilprojekts eines interdisziplinären Forschungsverbunds wurden zunächst in explorativen Interviews Schlüsselthemen zur Fachkraftgewinnung/-bindung identifiziert. Aufbauend wurden in einer Delphi-Befragung Aktivitäten zur Fachkraftsicherung und erforderliche Rahmenbedingungen aus Sicht pflegefachlicher Einrichtungs- und Schulleitungen erhoben. In multiperspektivischen Betriebsfallstudien wurden Aktivitäten rund um Strategien der Fachkraftgewinnung/-bindung untersucht.
Ergebnisse
Den Ansprüchen an eine professionelle Pflege können die Pflegefachkräfte in Zeiten des eklatanten Fachkräftemangels häufig nicht gerecht werden. Das Arbeiten im Krisenmodus ist zum Normalzustand geworden, was sich in einem mitunter institutionalisierten Ausfallmanagement zeigt. Die Kompensation von Personalausfall führt bei den verbleibenden Fachkräften an die Belastungsgrenze. Daraus resultiert nicht nur eine Überforderung des Pflegepersonals, sondern auch eine Gefährdung der Patient*innen/Bewohner*innen. Wie die Ergebnisse zeigen, werden aufgrund fehlender Ressourcen Personalentwicklungsstrategien auf ein Mindestmaß reduziert und damit (Weiter-)Qualifizierungen der Fachkräfte nicht konsequent gefördert. Die als Erfolg versprechend eingeschätzte Strategie der betriebsinternen Ausbildung erfordert aufgrund der geringen Bewerber*innenzahlen eine Absenkung der Zugangsvoraussetzungen, auch die Anleitung in der Praxis leidet unter der angespannten Fachkraftsituation. Mittelfristige Konsequenz ist ein sinkendes Qualifikationsniveau. Das Risiko einer Deprofessionalisierung besteht, bei steigenden Erwartungen und Anforderungen, wie sie bspw. im neuen Pflegeberufegesetz definiert sind.
Deutlich wird weiterhin, dass die Einrichtungen trotz einer hohen Aktivität zur Personalgewinnung/-bindung häufig keine zufriedenstellende Fachkraftausstattung erreichen. Konsequent strategisches Handeln auf Einrichtungsebene ist aufgrund des Krisenmanagements erschwert. Eine Möglichkeit, dem Fachkräftemangel zu begegnen, könnte die Vertretung von gemeinsamen Interessen über die Mitwirkung von Leitungspersonen in Gremien und Netzwerken sein. Es zeigt sich allerdings, dass sich diese nur in geringem Maße zielgerichtet vernetzen und gemeinsam mit relevanten Schlüsselpersonen Lösungen aushandeln. Stattdessen kann von einer Konkurrenzsituation unter den Einrichtungen im Ringen um Fachkräfte gesprochen werden. Es werden also Lösungsmöglichkeiten relevant, die in den jeweiligen Betrieben ansetzen und dabei die Wettbewerbssituation berücksichtigen.
Diskussion
Die Ergebnisse zeigen, dass ein Großteil der personalplanerischen Ressourcen in das Aufrechterhalten betrieblicher Abläufe bei dauerhaftem Personalmangel fließt. Folglich wird ein Zusammenhang zwischen Personalmangel und einer Gefährdung des Qualifikationsniveaus in der Pflege deutlich. Dies hat längerfristig negative Folgen für die pflegerische Versorgung ebenso wie für die Professionalisierung des Pflegeberufs und somit auch seiner Attraktivität.
Praktische Implikationen
Erforderlich wäre ein konzertiertes strategisches Handeln der gesamten Pflegebranche oder settingbezogener Bereiche, um die Rahmenbedingungen für das betriebliche Personalmanagement zu verbessern. Bedarfsgerechte Qualifikation von der Ausbildung bis zur Fort- und Weiterbildung wird benötigt, um eine gute pflegerische Versorgung zu garantieren. Dabei ist ein Austarieren von betrieblichen und branchenweiten Interessen ebenso entscheidend wie das Ausloten der Anforderungen an ein geeignetes Schnittstellenmanagement zwischen den beteiligten Akteur*innen.
Literatur
[1] Rothgang, H. et al. 2012. Themenreport „Pflege 2030“. Bertelsmann Stiftung. Gütersloh
[2] Aiken, L. et al. 2012. Patient safety, satisfaction, and quality of hospital care. In: BMJ 344, S. e1717
Hintergrund: Vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung und der damit zusammenhängenden veränderten Zusammensetzung der Belegschaften gewinnt die Wiedereingliederung chronisch- bzw. langzeitkranker Beschäftigter zunehmend an Bedeutung. Mit dem Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) hat der Gesetzgeber 2004 ein Instrument geschaffen, die Arbeits- bzw. Beschäftigungsfähigkeit von Erwerbstätigen zu erhalten bzw. wiederherzustellen. Die gesetzliche Grundlage findet sich in §167 Abs. 2 SGB IX: „Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, klärt der Arbeitgeber […] wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann.“ Damit ist das BEM integraler Bestandteil eines umfassenden betrieblichen Gesundheitsmanagements und müsste flächendeckend implementiert sein. Allerdings gibt es hierzu nur sehr wenige Studien. Vor diesem Hintergrund wurden im Herbst 2017 Thüringer Unternehmen u. a. nach der Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben im Hinblick auf die Implementierung bzw. das Angebot eines BEMs befragt.
Fragestellung: Zielsetzung des Beitrags ist die Analyse der Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben im Hinblick auf die Implementierung bzw. das Angebot eines BEMs in Thüringer Betrieben. Ferner interessierten die in dem Prozess beteiligten Personengruppen sowie die Gründe bei fehlender bzw. mangelhafter Umsetzung.
Methode: Die Befragung ist Teil eines großangelegten Versorgungsforschungsprojekts in Thüringen. Ziel des Projekts ist die Verbesserung des betrieblichen Gesundheitsmanagements in kleinen und mittleren Betrieben in ländlichen und strukturschwächeren Regionen. Befragt wurden Thüringer Unternehmen aus allen Wirtschaftszweigen und über alle Unternehmensgrößen hinweg. Die Umfrage richtete sich an die Geschäftsleitung bzw. deren Vertretung. Die Erhebung war als Querschnittsstudie konzipiert und wurde überwiegend online durchgeführt. Ergänzend fanden standardisierte Telefonbefragungen statt. Der Fragebogen bestand überwiegend aus quantitativen sowie vereinzelt qualitativen Items. Die Daten wurden mittels deskriptiver Statistik in SPSS bzw. mittels verschiedener Verfahren der qualitativen und quantitativen Sozialforschung ausgewertet. Die Auswertung basiert auf 761 vollständig ausgefüllten Fragebögen.
Ergebnisse: Knapp 40% befragten Betriebe gaben an, ihren Mitarbeitern ein BEM anzubieten, 33% der Betriebe haben kein BEM implementiert. 12% bzw. 15% der Befragten konnten die Frage nicht beantworten bzw. wollten sich diesbezüglich nicht weiter äußern. Dabei zeigen sich signifikante Unterschiede nach Unternehmensgröße (K*=0,676***): Während nur knapp 18% der Kleinstbetriebe ihren Mitarbeitern ein BEM anbieten, sind es bei den Kleinbetrieben 51%. Bei den mittleren bzw. Großbetrieben gaben 75% respektive 82% an, ihren Mitarbeitern ein BEM anzubieten. Als Grund für die fehlende bzw. mangelhafte Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben wurde am häufigsten angeführt, dass dafür kein Bedarf bestünde. Knapp 10% bzw. 5% der Befragten gaben an, dass ihr Betrieb zu klein für eine derartige Maßnahme sei bzw. dies in ihrer Branche nicht umsetzbar wäre. Vereinzelt fanden sich Nennungen, die darauf hindeuten, dass den Befragten der Begriff nicht klar war bzw. man kein BEM betreibe, da dies nicht erfolgsversprechend sei. Einem Großteil der Befragten (78%) sind die Unterstützungsangebote seitens der verschiedenen Sozialversicherungsträger im Hinblick auf die Implementierung und Durchführung des BEMs nicht oder nur teilweise bekannt. Den Angaben der Befragten zufolge sind üblicherweise der betroffene Mitarbeiter sowie die Geschäftsleitung in den Prozess involviert. Der Betriebsarzt wird hingegen eher selten hinzugezogen.
Diskussion: Die Ergebnisse deuten auf eine unzureichende Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben im Rahmen des BEMs sowie ein Wissens- bzw. Informationsdefizit der Geschäftsleitungen hin. Teilweise zeigte sich auch eine gewisse negative Grundhaltung bzw. Skepsis bezüglich der Sinnhaftigkeit des Verfahrens. Die Ergebnisse decken sich dabei größtenteils mit der vorhandenen Literatur. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass das BEM mittlerweile seit 15 Jahren gesetzlich vorgeschrieben ist sowie der demographischen Entwicklung und den damit zusammenhängenden Herausforderungen, zeigen die Ergebnisse einen dringlichen Handlungsbedarf.
Praktische Implikationen: Zum Wohle der Gesundheit der erwerbstätigen Bevölkerung gilt es, unabhängig von der gesetzlichen Verpflichtung, Arbeitgeber für die Thematik zu sensibilisieren und die Sinnhaftigkeit des Verfahrens herauszustellen. Das Modellvorhaben „Gesund arbeiten in Thüringen (GAIT)“ bietet hierzu eine gute Plattform.