Zentrale Sensibilisierung (ZS), erstmals von Woolf 1983 1 als eine aktivitätsabhängige Form der Plastizität im dorsalen Horn des Rückenmarks beschrieben, spiegelt heute ein breites Konzept der zentral vermittelten Schmerzverstärkung wieder, die als wichtiger beitragender Faktor der Schmerzchronifizierung gilt 2. Die zugrunde liegenden Mechanismen sind vielfältig und umfassen u. a. Steigerung und Inhibition der neuralen Erregung durch molekulare phänotypische Veränderungen, veränderte Expression und Funktion von Ionenkanälen und Transmitterrezeptoren, Kollateralbildung, Änderungen der Transmitterfreisetzung oder Verlust von Interneuronen 2. Auch wenn davon ausgegangen wird, dass zur Aufrechterhaltung von ZS ein peripherer Input wie Entzündung oder Nervenverletzung erforderlich ist, gibt es eine Untergruppe von Patienten, bei denen eine anhaltende Schmerzverstärkung auch bei Fehlen eines solchen peripheren Inputs auftritt, wie etwa bei Migräne, Fibromyalgie oder chronischen unspezifischen Rückenschmerzen 2.
Viele Patient_innen mit muskuloskelettalen Schmerzen zeigen Zeichen und Symptome einer ZS 3, und es ist aus verschiedenen Gründen wichtig, ZS bei diesen Patient_innen zu identifizieren 4. Erstens bietet ZS eine plausible physiologische Erklärung des Schmerzproblems und der daraus resultierenden Einschränkungen, auch in Abwesenheit spezifischer pathologischer Befunde. Zweitens sollte das Vorhandensein von ZS praktische Auswirkungen haben auf die Gestaltung medizinischer und therapeutischer Interventionen 5.
Trotzdem wird die klinische Bedeutung der ZS kontrovers diskutiert, insbesondere in Hinblick auf die valide Identifikation der ZS in Klinik und Forschung sowie deren Translation in wirksame mechanismenbasierte Therapie. Im Rahmen des Symposiums wird ein Update aus der Pathophysiologie vorgestellt, mit Fokus auf einem möglichen kausalen Zusammenhang zwischen klinischen Zeichen und Symptomen, QST 6 und ZS (Prof. Rolf Treede). Im zweiten Teil wird die Bedeutung des Konzepts der ZS für die Physiotherapie diskutiert, insbesondere unter Berücksichtigung der Möglichkeiten der Erfassung von ZS mittels klinischen Zeichen und Fragebögen wie dem CSI 7 sowie den sich daraus ergebenden Konsequenzen für die physiotherapeutische Intervention, wie etwa abgestufte Aktivitätsexposition und kognitive funktionelle Therapie, die eine maßgeschneiderte und stufenweise Aktivierung und Desensibilisierung ermöglichen (Prof. Axel Schäfer). Am Ende steht eine kritische Diskussion der Bedeutung der ZS in der Schmerzmedizin, der Relevanz des Konzeptes für die Schmerztherapie und der mögliche Nutzen für Patient_innen mit chronischen muskuloskelettalen Schmerzen (Prof. Frank Petzke).