Psychische Erkrankungen sind als komplexes Krankheitsgeschehen zu verstehen; psychologische, biologische und soziale Aspekte müssen zusammengedacht werden, um psychische Erkrankungen besser verstehen zu können. Biologisch-psychiatrische Behandlungsansätze werden von Psychiatrie-Erfahrenen jedoch oft abgelehnt. In der öffentlichen Wahrnehmung dominieren Kritik und Ablehnung von Psychiatrie-Erfahrenen gegen „die“ biologische Psychiatrie. Daneben gibt es Ängste und Sorgen, aber auch Hoffnungen in Bezug auf Behandlungsansätze, in denen somatische Aspekte mit einbezogen werden. Dieses Symposium will die Sichtweisen von Psychiatrie-Erfahrenen in den Mittelpunkt stellen und einerseits ihre Kritik, Ängste und Sorgen in Bezug auf die biologische Psychiatrie aufgreifen. Andererseits sollen Potenziale und Chancen der biologischen Psychiatrie dargestellt und der Patientennutzen an konkreten Beispielen aus der akutstationären psychiatrischen Behandlung verdeutlicht werden.
08:30 Uhr
Die Biologische Psychiatrie aus der Sicht von Psychiatrie-Erfahrenen
Eva Buchholz, Rüdersdorf (Germany)
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Autor:in:
Eva Buchholz, Rüdersdorf (Germany)
Die biologische Psychiatrie besteht aus einer Vielzahl an Forschungsrichtungen und Behandlungsansätzen, deren gemeinsamer Nenner es ist, die körperliche Ebene bei Ursachenforschung und Auswahl von Behandlungsmöglichkeiten psychischer Störungen in den Blick zu nehmen. Insofern gibt es nicht „die“ biologische Psychiatrie, und es gibt auch nicht „die“ Psychiatrie-Erfahrenen. Betroffene haben individuell unterschiedliche Erfahrungen mit biologisch-psychiatrischen Ansätzen gemacht; diese Erfahrungen sind bislang aber nicht systematisch untersucht worden. In diesem Vortrag möchte ich – als selber psychisch und körperlich beeinträchtigte, psychiatrieerfahrene Person – auf verschiedene Sichtweisen eingehen, die ich aus dem Austausch mit anderen Betroffenen und aus der organisierten psychiatrieerfahrenen Bewegung kenne: 1. die Abwehr biologisch-psychiatrischer Denkansätze und hiermit verbundene Einstellungen und Ängste und 2. die Hoffnungen, die manche Betroffenen mit der Abklärung körperlicher Ursachen ihrer psychischen Beschwerden verbinden. Am Beispiel der somato-psychiatrischen Differentialdiagnostik möchte ich deutlich machen, dass die „Translation“ noch einen weiten Weg vor sich hat: Biologisch-psychiatrische Erkenntnisse werden erst dann in der Versorgung ankommen, wenn diese ihren Weg in Policy-Dokumente (z.B. Leitlinien, DMP-Programme, Programme der integrierten Versorgung), Diagnostik- und Therapiemanuale gefunden haben. Betroffene, die eine körperliche Abklärung ihrer psychischen Beschwerden wünschen (z.B. bei chronischer Depression), finden bislang kaum niedergelassene Ärzt*innen, die sich hiermit auskennen. Schließlich plädiere ich für eine stärkere Einbeziehung von Psychiatrie-Erfahrenen in die klinische Forschung, um Mitsprache, Akzeptanz und Wissen der Betroffenen im Bereich der biologischen Psychiatrie zu stärken.
08:40 Uhr
Biologische Psychiatrie und Sucht: Was konnten wir in der Therapie bewegen und was nicht?
Sabine Müller, Berlin (Germany)
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Autor:innen:
Sabine Müller, Berlin (Germany)
Andreas Heinz, Berlin (Germany)
Biologische Forschung bei Suchterkrankungen dient zwei Zielen, einerseits dem medizinischen Verständnis der Krankheitssymptome und einer darauf zielenden Behandlung und andererseits der Entstigmatisierung von Menschen mit Suchterkrankungen. Bezüglich des ersten Ziels wurde in den vergangenen zwei Jahrzehnten viel erreicht, so gibt es ein tiefgreifendes Verständnis neurobiologischer Korrelate des Drogenverlangens und der damit verbundenen Minderung der Kontrolle über den Substanzmittelgebrauch, auch Toleranzentwicklung im Sinne der Gewöhnung an die Droge und Absetz- bzw. Entzugserscheinungen bei plötzlich eintretender Abstinenz lassen sich neurobiologisch gut verstehen und medikamentös behandeln. Bezüglich des starken Verlangens und der Kontrollminderung wurden neben medikamentösen Ansatzpunkten insbesondere Verhaltenstrainings entwickelt, die auf die Gewohnheitsbildung einschließlich ihrer neurobiologischen Korrelate zielen und damit neben die traditionellen Verfahren der Psychotherapie und der Unterstützung durch Selbsthilfegruppen treten. Aktuell werden gesundheitsfördernde Maßnahmen wie sportliche Betätigung verstärkt in Bezug auf ihre therapeutischen Effekte untersucht. Bezüglich der Entstigmatisierung war die biologische Forschung nur teilweise erfolgreich. Einerseits können die gefundenen neurobiologischen Korrelate argumentativ dazu dienen, Patientinnen und Patienten vor dem Vorwurf zu schützen, sie würden ihre Problematik selbstverschuldet verursachen. Andererseits treten solche diskursiv positiven Effekte nur dann auf, wenn der Aspekt der fehlenden Selbstverschuldung gezielt thematisiert und der Vorstellung einer genetischen Determination entgegengetreten wird; der Nachweis biologischer Korrelate per se wirkt nicht entstigmatisierend. Hier sind verstärkte Bemühungen in Interaktion mit Betroffenen und Angehörigen notwendig.
08:50 Uhr
Kontroverse um „die“ Biologische Psychiatrie – richtig ist, was hilft
Jurand Daszkowski, Hamburg (Germany)
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Autor:in:
Jurand Daszkowski, Hamburg (Germany)
Der Begriff „biologische Psychiatrie“ ist sehr umstritten und wird von vielen Psychiatrie-Erfahrenen kritisch und sogar ablehnend bewertet.
„Die“biologische Psychiatrie wird mit einseitiger Sichtweise auf die Entstehung und Vererbbarkeit der psychischen Störungen, und auch mit organischen Veränderungen,oder zumindest mit Stoffwechselstörung im Gehirn assoziiert.Bei der psychiatrischen Diagnose sollen aber doch somatische Komorbiditäten und ihre Auswirkung auf psychiatrische Symptomatik berücksichtigt werden.
Bei vielen psychischen Störungen, wie beispielsweise Depressionen, wurden zwar bisher keine eindeutige biologische Parameter gefunden., aber anderseits gibt es organische, insbesondere internistische und neurologische Erkrankungen mit psychiatrischer Symptomatik, wie z.B. Schilddrüsen Unterfunktion.mit Symptomen einer Depression.
Auch die Behandlung der psychischen Störungen auf biologischer Basis,beispielsweise durch Psychopharmaka trotz nicht zu Ende bekannten Wirkungsmechanismen, hat oft ihre Berechtigung.Die medikamentöse Behandlung reduziert oftmals die akute Symptomatik und
schafft dann die Bereitschaft sich längerfristig psychotherapeutisch zu behandeln und auch aktiv an einer medizinischen, sozialen und beruflichen Rehabilitation mitzuwirken.
Es besteht meiner Meinung nach auch kein großer Gegensatz zwischen einer biologischen und einer sozialen Psychiatrie,sondern beide Richtungen ergänzen sich in dem biopsychosozialen Modell
der Entstehung der psychischen Störungen.
Die Menschen mit eigener Psychiatrie-Erfahrungen sind dabei,insbesondere bei Folgeerkrankungen,
meistens Experten in eigener Sache und sollen im Rahmen eines partizipativen Prozesses mitentscheiden, was für sie am meisten hilfreich ist.
09:00 Uhr
Wichtige Ansätze der Translation in der Biologischen Psychiatrie
Peter Falkai, München (Germany)
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Autor:in:
Peter Falkai, München (Germany)
Trotz der enormen gesundheitspolitischen Bedeutung von psychischen Erkrankungen wie der Schizophrenie, Depression und bipolaren Störung, und großer Forschungsanstrengungen auch der deutschen Psychiatrie, gelingt der Transfer von neuem Wissen aus der Grundlagenforschung zu krankheits- und patientenorientierter klinischer Forschung nur unzureichend.
In den letzten Jahren gab es jedoch signifikante methodische Fortschritte auf den Gebieten der Genomik und Epigenomik, Molekularbiologie, der Darstellung und Manipulation von neuronalen Kreisläufen im Tiermodell, und durch physiologische Untersuchungen am Menschen, der strukturellen und funktionellen bildgebungsbasierten Analyse, sowie der Extraktion von Biomarkern aus hochdimensionalen biologischen Daten mittels maschineller Lernverfahren.
Ein wesentliches Problem ist das Fehlen von qualifizierten Forschern, die als ausgebildete Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie eine ausreichend Forschungskompetenz haben um grundlagenwissenschaftliche Ergebnisse zu verstehen und ihre Translation in die krankheits- und patientenorientierte klinische Forschung voranzutreiben.