Hintergrund:
Über die letzten Jahre scheinen die Phänomene des sexualisierten Substanzgebrauchs und des „Chemsex“ zunehmend um sich zu greifen. Bei Ersterem handelt es sich um den Konsum von Substanzen, zu Bahnung, Beeinflussung oder Förderung von Sexualität. „Chemsex“ ist eine Unterform des sexualisierten Substanzkonsums, bei welcher der Konsum von Methamphetamin, Mephedron, GHB oder GBL im Vordergrund steht. Nach aktuellem Wissensstand betrifft das Phänomen hauptsächlich Männer, die Sex mit Männern haben (MSM). „Chemsex“ ist im Speziellen mit hohen Risiken bezüglich der körperlichen (v.a. sexuell übertragbare Erkrankungen, Hepatitis) und der seelischen Gesundheit (Abhängigkeitserkrankungen, Depression, Suizidalität) verbunden. Aufgrund der Komplexität der Thematik ergeben sich somit neue Herausforderungen für Diagnostik und Therapie dieser dementsprechend sehr gefährdeten Betroffenen. Die Erfahrung und Versorgung anhand interdisziplinärer und individualisierter Therapiekonzepte sind zum aktuellen Zeitpunkt begrenzt.
Inhalt des Symposiums:
Nach einem Überblick über die Grundlagen und Hintergründe, erfolgt die beispielhafte Vorstellung von unterschiedlichen, sich teils komplementierenden, konkreten, ambulanten und stationären Modellen aus dem ganzen Bundesgebiet, von der Etablierung bis zur Versorgung.
Ergebnis:
Das deutsche Gesundheitssystem scheint zum aktuellen Zeitpunkt keine ausreichende Antwort, auf dieses Phänomen zu haben, wobei sich auf lokaler Ebene durch verschiedene Initiativen bereits interdisziplinäre Versorgungsstrukturen sowohl für das ambulante, als auch für das stationäre Setting aufzubauen scheinen.
Ausblick:
Perspektivisch ist die Bedeutung der Etablierung eines standardisierten und validierten Therapiemanuals sowie der Ausbau von Therapiekapazitäten sowohl für den ambulanten, als auch den stationären Sektor zu betonen. Darüber hinaus erscheint eine bundesweite Vernetzung der einzelnen Versorgungsinstitutionen sinnvoll.
10:00 Uhr
Grundlagen – die Chemsexambulanz München
Marcus Gertzen, München (Germany)
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Autor:in:
Marcus Gertzen, München (Germany)
Bei „Chemsex“, einer Unterform des sexualisierten Substanzkonsums, handelt es sich um die bewusste Aufnahme von psychoaktiven Substanzen im sexuellen Kontext, speziell durch Männer, die Sex mit Männern (MSM) haben. Bei den am häufigsten verwendeten Substanzen handelt es sich um Gamma-Hydroxybutyrat (GHB), Gamma-Butyrolacton (GBL), Mephedron und Methamphetamin. Es besteht ein deutlich erhöhtes Risiko für die körperliche Gesundheit, vor allem in Bezug auf die Übertragung von sexuell übertragbaren Erkrankungen (STI). Allerdings besteht auch ein deutlich erhöhtes Risiko für die seelische Gesundheit, speziell in Bezug auf die Entwicklung von Suchterkrankungen, substanzinduzierten Psychosen sowie Depression und Angsterkrankungen. National und international scheint Chemsex ein zunehmendes Phänomen zu sein, woraus sich die Bedeutung zur weiteren wissenschaftlichen Erforschung dieser Thematik sowie für die Versorgung der Patienten ergibt.
Dieser Vortrag soll einen Überblick über die Grundlagen der Thematik, speziell in Bezug auf die bisherige Literatur (Substanzen, Lifestyle und Komorbiditäten) bieten sowie die therapeutische Versorgungsstruktur mit Stärken und Herausforderungen in den Städten München und Augsburg darstellen.
10:10 Uhr
Aufbau und Konzept der Chemsexambulanz Tübingen
Carsten Käfer, Tübingen (Germany)
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Autor:in:
Carsten Käfer, Tübingen (Germany)
Nach der Gründung der ersten "ChemSex Ambulanz“ in Baden-Württemberg am Universitätsklinikum Tübingen im Dezember 2019, wollen wir über unsere ersten Erfahrungen aus der Ambulanz berichten.
Hauptsächlich soll es jedoch um den Aufbau und das Konzept einer solchen Ambulanz und unsere Herangehensweise und Umsetzung gehen und wie dieser gelingen kann.
Zum Schluss wollen wir einen Ausblick über geplante Projekte geben.
10:30 Uhr
Erfahrungen aus einem stationären Entwöhnungsprogramm für Chemsex-Patienten (Hürth bei Köln)
Anne Iking, Hürth (Germany)
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Autor:in:
Anne Iking, Hürth (Germany)
In der salus klinik Hürth/bei Köln werden seit Mitte 2015 homo- und bisexuelle Männer (MSM) mit abhängigem Chemsex-Konsummuster behandelt, zuletzt in 2019 insgesamt 37 Patienten mit im Durchschnitt 20 Behandlungswochen. Die klinische Erfahrung zeigt, dass in dieser Gruppe die explizite Funktionalisierung von Substanzkonsum in der Sexualität ein besonderes Rückfallrisiko darstellt.
Für eine entsprechende Spezifizierung der Behandlung versuchten wir Unterschiede zwischen den MSM-Patienten mit abhängigem Chemsex-Konsummuster und einer männlichen Vergleichsgruppe zu ermitteln und daraus ableitend das Behandlungskonzept anzupassen. Bei allen männlichen Suchtpatienten der Entlass-Jahrgänge 2015 – 2017 wurden die soziodemographischen Daten sowie die suchtspezifischen und komorbiden Erkrankungen erhoben. Außerdem durchliefen alle innerhalb der ersten zwei Behandlungswochen eine Eingangsdiagnostik zur Erfassung der psychischen Belastungsfaktoren.
Im Vergleich der MSM-Chemsex-Gruppe mit der Vergleichsgruppe sind die Patienten der MSM-Chemsex-Gruppe etwas älter, haben eine höhere Schulbildung, sind eher in Arbeit. Im Vergleich der psychischen Belastungen zu Beginn der Behandlung erreicht die MSM-Chemsex-Gruppe signifikant höhere Belastungswerte. Unsere Ergebnisse unterstützen die These, wonach MSM und andere sexuelle Minderheiten im Vergleich mit der Allgemeinbevölkerung besondere und zusätzliche Krankheitsrisiken haben (Sander, 2017). In der Gesamtbetrachtung verdeutlichen die Ergebnisse die besondere Notwendigkeit einer Kombination spezifischer psychotherapeutischer, suchttherapeutischer und lebensweltbezogener Interventionen bei der Behandlung von MSM mit Chemsex-Konsummuster, welche im Vortrag vorgestellt werden.
Literatur: • Sander, D. (2017) Die besondere Vulnerabilität schwuler und bisexueller Männer. Wie Diskriminierung die Gesundheitschancen