Begutachtung der Berufsunfähigkeit betrifft nur wenige Antragsteller. Hintergrund sind offene Fragen zur beruflichen Leistungseinschränkung. Diese gelten den manchmal komplexen Krankheitsbildern, häufiger unvollständiger oder widersprüchlicher medizinischer Dokumentation.
Ziel der Begutachtung ist eine gleichwertige Behandlung aller Parteien durch objektive Ermittlung des medizinischen Sachverhalts. Der Antragsteller hat Anspruch auf eine faire Behandlung auch im Vergleich mit den anderen Versicherten. Auch der Versicherer benötigt eine objektive Einschätzung der Leistungsfälle. Die Schwelle der Leistungserbringung liegt in der Regel bei 50%-iger Berufsunfähigkeit. Der Grad der Berufsunfähigkeit ist nachvollziehbar zu beurteilen – weder zu tief (= Fehlendes Erkennen von objektiv Kranken, also niedrige Sensitivität) noch zu hoch (niedrige Spezifität).
Dieser Erkenntnisbildung stehen mehrere Umstände im Wege.
Der Versicherte versucht in der Gutachtensituation, sein Krankheitsbild zu verdeutlichen, um.einen Rentenanspruch durchzusetzen.
Der Gutachter hat in nur begrenzter Zeit den Krankheitsfall vollständig ermitteln, dabei übertriebene oder untertriebene Beschwerdeschilderungen zu erkennen.
Die Unterlagen aus früherer Behandlung wurden für andere Zwecke erstellt und berichten fast immer nur Teilaspekte der Krankengeschichte.
Manchmal liegen Fremdanamnesen eines Lebenspartners oder Familienangehörigen vor. Aber welche Motivation hat dieser bezogen auf das Gutachten? Auch Angehörige profitieren fast immer vom materiellen Ausgang des Versicherungsfalles.
Im Gutachten müssen alle verfügbaren Erkenntnisquellen gewürdigt werden, auch neuropsychologische Testung einschließlich der Symptomvalidierung, aktuelle Plasmaspiegel von Medikamenten. Z.B. Drogentests aus früheren Behandlungen können andere Ergebnisse zur Anamnese ergeben als Angaben des Probanden in der Gutachtensituation.
Im Symposium werden Beispiele aus der Praxis interaktiv analysiert.
08:45 Uhr
Qualität der Begutachtung aus der Sicht der Gesellschaftspsychologin
Kathrin Schulz, Oberursel (Germany)
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Autor:in:
Kathrin Schulz, Oberursel (Germany)
Psychische Erkrankungen sind in der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung die häufigste Ursache für Berufsunfähigkeit (BU). Unter den psychischen Erkrankungen ist die depressive Episode die prozentual häufigste Diagnose wegen der Leistungen geltend gemacht werden.
Entscheidend für die Beurteilung der BU sind die konkreten Leistungs- und Funktionseinschränkungen, die sich für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit ergeben. Bei der Beurteilung der BU wird bei uneindeutiger oder widersprüchlicher Aktenlage eine Begutachtung nötig. Dann muss der Gutachter entscheiden, inwiefern die beklagten Dysfunktionen authentisch sind und ob und in welcher Weise sie die Berufsfähigkeit des Probanden beeinflussen.
Leistungs- und Funktionseinschränkungen bei psychischen Erkrankungen betreffen Kognition, Motivation, Emotion und Verhalten. Kognitive Einschränkungen und zum Teil auch motivationale und emotionale Dysfunktionen können im Rahmen einer neuropsychologischen Zusatzbegutachtung beurteilt werden. Dabei sollen vorrangig leistungsdiagnostische Tests eingesetzt werden. Es ist sinnvoll, die Auswahl der Testverfahren an die vom Probanden geklagten Beschwerden und Beeinträchtigungen und an seine beruflichen Anforderungen anzupassen.
In der Begutachtungspraxis wird die neuropsychologische Zusatzbegutachtung oft pauschal herangezogen um Kongruenzen und Diskrepanzen in der Beschwerdeschilderung zu beurteilen. Eine differenzierte Interpretation der Testergebnisse ist aber ebenso wichtig, insbesondere wenn sich isolierte Leistungsdefizite oder widersprüchliche Testergebnisse zeigen. Leistungsdefizite sollten auf die konkreten beruflichen Anforderungen bezogen werden.
Anhand von Praxisbeispielen wird dargestellt, inwiefern eine neuropsychologische Leistungsdiagnostik im Rahmen einer psychiatrischen oder psychosomatischen Begutachtung die differenzierte Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit bei psychischen Erkrankungen ergänzen kann.
09:00 Uhr
Herausforderungen und Schwierigkeiten in der Gesamtbeurteilung der Berufsunfähigkeit
Maike Fliegner, Hamburg (Germany)
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Autor:in:
Maike Fliegner, Hamburg (Germany)
Die Berufsunfähigkeit eines Kunden kann in der Regel vom Versicherer bereits anhand der angeforderten Arztunterlagen bewertet werden. Bei widersprüchlicher und komplexer Informationslage wird die Heranziehung eines medizinischen Sachverständigen jedoch notwendig.
Grundlage eines Gutachtens sind das Aktenstudium und die Untersuchung, welche den Beschwerdevortrag, Anamnese, Befund sowie im besten Fall weitere apparative, laborchemische sowie testpsychologische Ergebnisse umfasst. Jeder Abschnitt birgt Fehlerquellen, insbesondere die Beurteilung im letzten Abschnitt des Gutachtens stellt hohe Anforderungen an den Sachverständigen. Die Leitlinien der AWMF sowie die einschlägige Fachliteratur verlangen, den diagnostischen Prozess und die Beurteilung transparent und nachvollziehbar darzustellen und dabei kriterienorientiert vorzugehen. Es ist ferner vom Sachverständigen darzulegen, inwieweit er davon überzeugt ist, dass die geklagten Leistungseinschränkungen tatsächlich bestehen und wie er zu dieser Einschätzung gelangt. Alle im gutachterlichen Prozess erlangten Informationen sind zu diesem Zwecke einer Konsistenz- und Plausibilitätsprüfung zu unterziehen. Der Gutachter ist dabei angehalten Unsicherheiten zu benennen und logische Fehler zu vermeiden. Oft ist die abschließende Integration nicht einfach, da das Material Lücken oder (scheinbare) Widersprüche enthält. Der Gutachter soll zu Einschätzungen kommen, aber auch transparent darstellen, wenn eine Beurteilung nicht möglich ist.
Zudem ist die Ausbildung zum Gutachter ist nicht formalisiert, es gibt mitunter wenig Austausch zwischen Sachverständigen und Rückmeldung des Auftraggebers erfolgt nur in den wenigsten Fällen. Im Rahmen des Symposiums sollen daher Schwierigkeiten und Lösungsmöglichkeiten anhand von Praxisbeispielen veranschaulicht und im Anschluss diskutiert werden.