Advance Care Planning (ACP) beschreibt einen Prozess, bei dem PatientInnen bei der Abfassung von Patientenverfügungen und Behandlungsvereinbarungen begleitet und unterstützt werden. Solche Vorausverfügungen ermöglichen es einwilligungsfähigen PatientInnen für den Fall ihrer Einwilligungsunfähigkeit schriftlich festzuhalten, in welche medizinischen Maßnahmen sie einwilligen und welche sie ablehnen.
ACP wird seit längerem als eine Möglichkeit zur Stärkung der Patientenselbstbestimmung angesehen. Leitlinien fordern, Vorausverfügungen auch in der Psychiatrie vermehrt in der Praxis einzusetzen. Empirische Studien zeigen jedoch, dass eine umfassende Implementierung von ACP nur langsam voranschreitet und die Anwendung von Vorausverfügungen im klinischen Alltag bislang noch selten ist. Professionelle berichten zudem, dass die Anwendung von Vorausverfügungen zu ethischen Konfliktsituationen führen kann. Auch Unsicherheit bezüglich rechtlicher Fragen, z.B. zur Verbindlichkeit von Patientenverfügungen und Behandlungsvereinbarungen, trägt in der Praxis zu einer nur zögerlichen Implementierung von ACP bei.
Das interdisziplinäre Symposium thematisiert ethische und rechtliche Herausforderungen bei der Anwendung von Vorausverfügungen in der Psychiatrie und verfolgt das Ziel, Hindernisse für die Implementierung von Vorausverfügungen zu identifizieren und Lösungsansätze aufzuzeigen. Aus medizinethischer Perspektive werden zunächst ethische Grundlagen zur Patientenselbstbestimmung und zum Konzept der Vorausverfügungen vermittelt. Ein weiterer Beitrag beschäftigt sich mit offenen Fragen und Schwierigkeiten bei der Anwendung von Vorausverfügungen in der Psychiatrie aus rechtlicher Perspektive. Zwei empirische Beiträge stellen Ergebnisse einer qualitativen und einer quantitativen Studie dar, in denen die Sichtweisen von Klinikpersonal und von Professionellen zur Anwendung von Vorausverfügungen in der Psychiatrie untersucht wurden.
11:30 Uhr
Patientenverfügungen in der Psychiatrie aus juristischer Perspektive
Tanja Henking, Würzburg (Germany)
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Autor:in:
Tanja Henking, Würzburg (Germany)
Patientenverfügungen stellen ein Instrument zur Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrechts dar, mit dem der/die einzelne Einfluss auf seine/ihre zukünftige medizinische Behandlung nehmen und damit seine/ihre Rechte als Patient/in sichern kann. Dass eine wirksam errichtete Patientenverfügung rechtlich bindend ist, ist grundsätzlich unstreitig und gesetzlich in § 1901a BGB geregelt. Gleichwohl sind Patientenverfügungen in der psychiatrischen Praxis weniger verbreitet als im somatischen Bereich. Gründe hierfür mögen die komplexeren Fragestellungen sein, die sich mit einer Patientenverfügung im Kontext freiheitsentziehender und freiheitsbeschränkender Maßnahmen stellen. Der Vortrag wird diese Schwierigkeiten beleuchten und zugleich ermuntern, das Instrument häufiger einzusetzen und als Bestandteil eines Vorausplanungsprozesses zu verstehen.
11:45 Uhr
Implementierung von Vorausverfügungen in der Psychiatrie und der Umgang mit ethischen Konfliktsituationen – Ergebnisse einer qualitativ-empirischen Interviewstudie
Astrid Gieselmann, Bochum (Germany)
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Astrid Gieselmann, Bochum (Germany)
Die Abfassung von Vorausverfügungen, also beispielsweise Patientenverfügungen oder Behandlungsvereinbarungen, ermöglicht es einwilligungsfähigen Patientinnen und Patienten für den Fall ihrer Einwilligungsunfähigkeit schriftlich festzuhalten, in welche medizinischen Maßnahmen sie einwilligen und welche sie ablehnen. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass auch viele Patientinnen und Patienten in der Psychiatrie großes Interesse an der Erstellung einer Vorausverfügung haben. Psychische Störungen gehen häufig mit Situationen von Einwilligungsunfähigkeit einher. Dennoch werden Vorausverfügungen bisher in der Psychiatrie nur selten abgeschlossen. Diese Diskrepanz war bereits Gegenstand mehrerer quantitativer und qualitativer Studien, in denen insbesondere Patientinnen und Patienten zu möglichen Ursachen bezüglich dieser Diskrepanz befragt wurden.
Die Bochumer SALUS-Forschungsgruppe konzentriert sich in der hier vorgestellten qualitativen Interviewstudie auf die Erfahrungen und Einschätzungen von Expertinnen und Experten (Ärzt*innen, Psycholog*innen, Pfleger*innen, Sozialarbeiter*innen, Genesungsbegleiter*innen) aus der Psychiatrie bezüglich der Implementierung von Vorausverfügungen. Ziel der Studie ist es, die Sichtweise verschiedener Berufsgruppen auf die Implementierung von Vorausverfügungen zu ermitteln und erlebte Schwierigkeiten bei der Anwendung zu identifizieren. Zudem ist Inhalt der Studie, welche ethischen Konflikte aus Sicht von klinisch Tätigen bei der Anwendung von Patientenverfügungen und Behandlungsvereinbarungen entstehen können. Im Vortrag werden die Ergebnisse von 14 Einzelinterviews mit in der Psychiatrie Tätigen vorgestellt. Es soll zudem diskutiert werden, welche Konsequenzen sich aus den Ergebnissen für eine weitere Implementierung von Vorausverfügungen in der Psychiatrie ergeben.
12:00 Uhr
Erwartungen, Erfahrungen und Inhalte – Ergebnisse einer Auswertung abgeschlossener Behandlungsvereinbarungen und einer Umfrage unter Klinikpersonal
Katrin Radenbach, Göttingen (Germany)
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Autor:in:
Katrin Radenbach, Göttingen (Germany)
Psychiatrische Behandlungsvereinbarungen sind ein Ansatz, um für einen psychiatrischen Krisenfall Vorsorge zu treffen und um auch im Falle fehlender Einwilligungsfähigkeit Patientenautonomie zu realisieren. Behandlungsvereinbarungen werden zwischen einwilligungsfähigen Patient*innen und einer behandelnden Klinik geschlossen. Mit Hilfe einer Behandlungsvereinbarung kann auch außerhalb einer Krisensituation ein Dialog zwischen Ärztin/Arzt und Patient*in angeregt werden, der zu vorausgeplanten Entscheidungen im Sinne des Patient*innenwillens führt.
An der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Göttingen wurde in einem trialogischen Prozess eine psychiatrische Behandlungsvereinbarung entwickelt und seit 2013 im Rahmen eines Pilotprojekts in der Klinik angewendet. Seitdem wurden mehrere Behandlungsvereinbarungen abgeschlossen, und diese Vereinbarungen wurden im Jahr 2020 quantitativ und qualitativ ausgewertet. Mit dem Ziel, den Implementierungsprozess der Behandlungsvereinbarung zu evaluieren, erfolgte außerdem im Jahr 2018 eine Befragung unter allen Mitarbeitenden der Klinik. Hierbei zeigten sich, dass die Mitarbeitenden überwiegend positive Erfahrungen mit der Behandlungsvereinbarung gemacht hatten. Es ergaben sich jedoch auch einige Unklarheiten mit Präzisierungsbedarf bzgl. des Einsatzes dieses Vorausplanungsinstruments.
Die Ergebnisse der Auswertung der bisher abgeschlossenen Behandlungsvereinbarungen sowie der der Befragung der Mitarbeitenden werden in diesem Vortrag präsentiert.