Auch, wenn die Hypothese einer entzündlichen Beteiligung bei zumindest Subgruppen psychisch kranker Patienten nicht neu ist, so können doch mit neueren Forschungsansätzen vermehrt Belege für diese Hypothese gefunden werden. Daher wollen wir die neuesten Befunde auf diesem Gebiet beleuchten. Mittlerweile gibt es gute Evidenz, dass es zumindest Subgruppen sowohl bei der unipolaren Depression als auch der bipolaren Störung gibt, die mit gesteigerten Inflammationsmarkern einhergehen, welche aktuell aber klinisch noch nicht identifiziert werden können. Aktuell werden verschiedene Studien mit medikamentösen und nicht-medikamentösen (wie z.B. Hyperthermie) Verfahren zur augmentativen antidepressiven Therapie bei unipolar depressiven Patienten und auch bipolaren Patienten durchgeführt mit zum Teil vielversprechenden Ergebnisse. Ein weiteres interessantes Thema ist die milde Encephalitis Hypothese, hiernach kommen Fälle von schweren psychischen Erkrankungen vor, welchen eine leichtgradige Encephalitis zugrunde liegt, ohne dass neurologische Symptome vorliegen. Schlüssel zur Diagnose einer psychiatrisch-klinisch relevanten milden Neuroinflammation ist die Liquordiagnostik und bildgebende Verfahren sowie Antikörperbestimmungen und andere Möglichkeiten, über die ein Überblick gegeben werden soll. Sowohl aus Kandidatengenstudien als auch aus hypothesen-freien genomweiten Assoziationsstudien Hinweise auf eine Beteiligung von Genvarianten aus inflammatorischen Signalwegen an der Risikoerhöhung für psychische Erkrankungen wie Schizophrenie, bipolare Störung und unipolarer Depression. Ein weiterer interessanter Aspekt ist die Möglichkeit genetischer Prädiktion von Therapieresponse, z.B. für Lithium bei der bipolaren Störung gibt es inflammatorische Kandidatengene.
11:30 Uhr
Immunmodelle der unipolaren Depression
Martin Schäfer, Essen (Germany)
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Martin Schäfer, Essen (Germany)
Hypothesen zu immunologischen Mechanismen bei der Entstehung von Depressionen und stressassoziierten psychischen Erkrankungen haben in den letzten 10 Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen. Als wichtige Grundlagen für den Zusammenhang zwischen dem Immunsystem und Stimmungsveränderungen gelten die Ähnlichkeiten zwischen dem sog. „sickness syndrom“ (Krankheitssyndrom) bei Infektionserkrankungen und depressiven Symptomen, die Häufung depressiver Störungen bei Autoimmunerkrankungen und die hohe Inzidenz von Depressionen im Rahmen von Immuntherapien wie Interleukin-2 und Interferon-alpha. Aktuelle Studien zeigen zunehmend eine Assoziation zwischen affektiven Störungen und einem erhöhten hochsensitiven CRP sowie Interleukin-6 und TNF-alpha.
Gerade bei der Therapie mit Interferon-alpha können in einem typischen Zeitverlauf depressive Symptome bis hin zu vollständigen schweren Depressionen (Major Depression nach DSM5) künstlich erzeugt werden. Im früheren Einsatz bei der Behandlung der chronischen Hepatitis C oder beim malignen Melanom entwickelten 20-30 Prozent der Patienten schwere depressive Syndrome und bis zu 70% leicht bis mittelschwere depressive Episoden. Aber auch andere psychiatrische Symptome wurden im Rahmen der Therapie mit Interferon-alpha beobachtet, wie Ängste, kognitive Störungen, Manien oder Psychosen. Vorbestehende Depressionen oder Konzentrationsstörungen sowie ein aktiviertes Immunsystem gelten unter anderem als Risikofaktoren für Zytokin-induzierte Depressionen. Neben der Induktion pro-inflammatorischer Zytokine wurden subklinische Bluthirnschrankenstörungen und möglicherweise dafür verantwortliche Anstiege von Zelladhesionsmolekülen wie ICAM-1 ursächlich diskutiert. Auch im Tiermodell konnten Verhaltensänderungen mittels Interferon-alpha erzeugt werden. Der Vortrag gibt einen kurzen Überblick über Zytokininduzierte Depressionen und mögliche Konsequenzen für die Entstehung und den Verlauf affektiver Störungen.
11:40 Uhr
Inflammation bei der bipolaren Störung
Sarah Kittel-Schneider, Würzburg (Germany)
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Sarah Kittel-Schneider, Würzburg (Germany)
Inflammation bei der bipolaren Störung
Bei bipolar affektiven Patienten gibt es zunehmend Hinweise, ähnlich wie bei der unipolaren Depression, dass es Subgruppen von Patienten gib, welche eine prominente Dysregulation in Immunprozessen haben bzw. bei denen eine chronische leichte Entzündung vorliegt, die entweder kausal Krankheitsepisoden auslösen kann oder auch im Folge einer akuten Episode auftritt bzw. sich verschlechtert. Eigene Daten konnten z.B. eine CRP Erhöhung bei manischen Patienten im Vergleich zu depressiven und euthymen Patienten zeigen und Unterschiede im Kynurenin-Stoffwechsel. In der klinischen Routine gibt es allerdings noch keine Biomarker, die zur Identifizierung von z.B. Subgruppen mit einer so genannten „low grade inflammation“ eingesetzt werden könnten oder inflammatorische Marker zur Prädiktion von neuen Krankheitsepisoden und genereller Prognose der Erkrankung. Aktuell werden einige Studien mit additivem anti-inflammatorischen Substanzen zur stimmungsstabilisierenden Medikation durchgeführt, so dass ein Ausblick auf zukünftige personalisierte Therapieoptionen möglich ist.
11:50 Uhr
Differentialdiagnostische Abgrenzung von milder Neuroinflammation
Karl Bechter, Günzburg (Germany)
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Karl Bechter, Günzburg (Germany)
Nach der milden Encephalitis Hypothese kommen Fälle von schweren psychischen Erkrankungen vor, welche auf eine leichtgradige Encephalitis, deshalb “mild“ genannt, zurückzuführen sind, ohne dass "harte" neurologische Symptome vorliegen ( Bechter NPBR 2001 & Progr NP& BP 2013). Eine so beschriebene milde Neuroinflammation ist aber durchaus von klinischer und vor allem psychiatrischer Relevanz, wie zum Beispiel in frühen Krankheitsphasen von Autoimmunenzephalitiden leicht festzustellen. Die kürzlich im internationalen Konsensus beschriebene neue Diagnose der Autoimmunpsychose (Pollak et al Lancet Psychiatry 2020), im Verlauf ohne Übergang in eine Autoimmunenzephalitis, stellt eine derartige milde Encephalitis dar. Eine derartige ZNS - spezifische Autoimmunität kann durch verschiedene Faktoren ausgelöst werden, zB. Neoplasien und Virusinfektionen, bleibt ursächlich meist aber noch ungeklärt. Schlüssel zur Diagnose einer psychiatrisch-klinisch relevanten milden Neuroinflammation ist die Liquordiagnostik und bildgebende Verfahren sowie Antikörperbestimmungen und andere. Ein aktueller und kritischer Überblick über Möglichkeiten und Grenzen der (Differential-) Diagnostik milder Neuroinflammation wird gegeben ( Bechter , Frontiers Psychiatry 2020). Die Weiterentwicklung geeigneter und verfeinerter klinischer Begriffe und Kategorien, einschliesslich Parainflammation und Neuroprogression, wirft viele Fragen auf (Bechter, Frontiers Psychiatry, February 2019).