Das Symposium zu aktuellen Aspekten der Konsiliar- und Liaison-Psychiatrie fokussiert dieses Jahr die Diagnosen Anpassungsstörung, Belastungsreaktion und peripartale Depression. Der erste Beitrag (Michael Brinkers, Magdeburg) thematisiert die nach uneinheitlichen Kriterien vergebene Diagnose der Anpassungsstörung. Anhand von Daten aus einer universitären Schmerzambulanz, die an Tumorpatienten erhoben wurden, werden die differentialdiagnostische Abgrenzung zur F3-Depression, Unterschiede im Outcome sowie ein Diagnosewechsel mit zunehmendem zeitlichem Abstand zur somatischen Schädigung dargestellt. Der zweite Vortrag (Tanja Zimmermann, Hannover) beschreibt die psychosozialen Belastungen von Krebserkrankten und ihren Angehörigen, die daraus resultierenden Stressoren für die Partnerschaft sowie die Inanspruchnahme psychoonkologischer Unterstützungsangebote. Vorgestellt werden die Ergebnisse zweier Studien, in denen 1869 Patienten zu ihrer Belastung im Rahmen des stationären Aufenthalts und 859 Patienten zum Einfluss der Krebserkrankung auf die Stabilität der Partnerschaft befragt wurden. Der dritte Beitrag (Marcel Reich, Berlin) beschäftigt sich mit Patienten einer interdisziplinären Notaufnahme, die vom psychologischen Bereitschaftsdienst gesehen werden und bei denen die Diagnose einer Belastungs- bzw. Anpassungsstörung gestellt wurde. Nach entsprechenden Kurzinterventionen musste nur 1 Person stationär aufgenommen werden, die verbleibenden Patienten konnten ambulant weiterversorgt werden. Das Abschussreferat (Susanne Simen, Nürnberg) stellt ein Screening für peripartale Depressionen vor, die bei 10-20% aller Schwangeren und Entbundenen auftreten, jedoch häufig zu spät einer Behandlung zugeführt werden. Präsentiert werden die ersten Ergebnisse eines Nürnberger Modellversuchs, an dem alle geburtshilflichen und neonatologischen Kliniken vor Ort sowie niedergelassenen Gynäkologen und Kinderärzte teilnehmen.
14:30 Uhr
Anpassungsstörungen bei Tumor: Daten aus einer universitären Schmerzambulanz
Michael Brinkers, Magdeburg (Germany)
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Autor:in:
Michael Brinkers, Magdeburg (Germany)
Im atheoretisch ausgerichteten ICD-10 wird die Stellung der Diagnose „Anpassungsstörung“ im klinischen Alltag unterschiedlich gehandhabt.
Dies reicht von Ausschlussdiagnose bis depressives Syndrom im Anschluss an ein für den Patienten belastendes Ereignis. Auch subsyndromale Störungen können wie die Anpassungsstörungen der ICD-10 selber unter demselben Begriff der „minor depression“ subsummiert werden.
Einerseits zeigen eigene Arbeiten an Tumorpatienten, dass auch und vor allem im Bereich des unauffälligen psychischen Befundes Tumorpatienten depressive Symptome angeben.
Andererseits besteht für das Outcome von Patienten mit somatischen Grundkrankheiten ein erheblicher Unterschied, ob es sich um eine F3-Depression vor der somatischen Störung oder nach der somatischen Störung handelt. Für Herzinfarkte ist dies schon seit > 20 Jahren bekannt. In letzter Zeit gilt dies auch für Tumore: Psychische Störungen können eine Lebensverkürzung bewirken - zusätzlich zu der des Tumors.
Dabei ändert sich das Spektrum psychischer Störung mit der Überlebenszeit von Tumoren: in den ersten 2 Jahren nach Tumordiagnose ist der Anteil an Anpassungsstörungen deutlich größer als der der F3- Depressionen (34% zu 6%). Dies ändert sich bei den Langzeitüberlebern = Tumordiagnose seit mindestens 5 Jahren (24,6% zu 14,8%).
Die weitere Beschäftigung mit den Anpassungsstörungen bei Tumorpatienten zeigt, dass die psychosoziale Beeinträchtigung für die Überlebenden eine Rolle spielt und zu Symptomen führt, die derzeit ebenfalls unter Anpassungsstörung subsummiert werden - mangels Alternative. Im Vortrag soll dies vor allem an zwei Begriffen verdeutlicht werden: Disgregationsangst und Progredienzangst.
14:40 Uhr
Psychosoziale Belastungen bei Krebserkrankten und ihren Angehörigen sowie die Inanspruchnahme psychoonkologischer Unterstützungsangebote
Tanja Zimmermann, Hannover (Germany)
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Tanja Zimmermann, Hannover (Germany)
Ca. 50% alle Krebserkrankten erleben eine klinisch bedeutsame psychosoziale Belastung durch die Krebserkrankung. Im Rahmen der stationären Behandlung ist das Ausmaß der Belastung sogar noch höher. In einer Studie mit N = 1.869 stationären Patienten und Patientinnen zeigten ca. 66% eine klinisch signifikante Belastung, wobei das weibliche Geschlecht, ein fortgeschrittenes Krankheitsstadium und ein jüngeres Alter als Risikofaktoren identifiziert werden konnten. Darüber hinaus wurden am häufigsten Ängste, Sorgen und Fatigue als Belastungsbereiche berichtet, deren Vorhandensein das Risiko für hohe Belastung um das 24fache erhöht. Eine Krebserkrankung stellt nicht nur für die Erkrankten, sondern auch für die Angehörigen eine psychosozial belastende Situation dar. Insbesondere die Partner oder Partnerinnen Krebserkrankter können ein vergleichbares Ausmaß an psychosozialer Belastung erleben wie die Erkrankten. Darüber hinaus stellt eine Krebserkrankung auch einen Stressor für die Partnerschaft dar. Wie oft es dadurch zu einer Trennung kommt, ist bisher wenig untersucht. In einer weiteren Studie mit N = 866 Krebserkrankten wurde der Einfluss der Krebserkrankung auf die Stabilität der Partnerschaft untersucht. Es fand sich zwar keine erhöhte Trennungsrate, allerdings eine reduzierte Partnerschaftszufriedenheit. Eine Krebserkrankung kann somit eine Belastung für die eigene psychische Funktionsfähigkeit sowie für die Partnerschaft sein, so dass psychosoziale Unterstützungsprogramme sinnvoll erscheinen. Allerdings zeigt sich, dass eine hohe psychische Belastung nicht automatisch zu einer Inanspruchnahme psychoonkologischer Unterstützungsangebote führt. Der Umgang mit Hindernissen und Barrieren stellt somit auch ein wichtiges Ziel in der Psychoonkologie dar.
14:50 Uhr
Konsile bei Anpassungs-/Belastungsstörungen in der interdisziplinären Notaufnahme
Marcel Reich, Berlin (Germany)
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Autor:in:
Marcel Reich, Berlin (Germany)
Aufgrund hoher Prävalenzraten psychischer Störungen in interdisziplinären Notaufnahmen ermöglichen nichtärztliche, psychiatrisch geschulte Berufsgruppen eine Entlastung der dort tätigen ärztlichen KollegInnen. Im Rahmen eines Pilotprojekts zum Einsatz von PsychologInnen in der interdisziplinären Notaufnahme des KEH Berlin wurden im Zeitraum von Juni-Oktober 2019 88 PatientInnen durch den psychologischen Bereitschaftsdienst gesehen. Es wurden unter anderem Daten zu Einsatzzeiten, gestellten Diagnosen, Interventionen und Weiterbehandlung erfasst. Elf der gesehen PatientInnen wiesen die Symptome einer akuten Belastungsreaktion auf, zwölf PatientInnen die einer Anpassungsstörung. Nach entsprechenden Kurzinterventionen wurde nur eine Person stationär aufgenommen. Die restlichen PatientInnen konnten nach konsiliarisch-psychologischer Klärung der Akutsituation und Anwendung psychologischer Kurzinterventionen in die ambulante Versorgung übergeleitet werden. Durch den psychologischen Bereitschaftsdienst konnte die psychiatrische Arbeit in der Notaufnahme unterstütz und zu einer besseren Versorgung der PatientInnen mit psychischen Störungen beigetragen werden.
15:00 Uhr
Screening für peripartale Depression – sinnvoll machbar?
Susanne Simen, Nürnberg (Germany)
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Autor:in:
Susanne Simen, Nürnberg (Germany)
Einleitung: Peripartale depressive Erkrankungen finden sich bei 10-20 % aller Schwangeren und Entbundenen. Aufgrund von Unwissen und Stigmatisierung kommen noch immer viele Frauen nicht oder zu spät in Behandlung. Unbehandelt neigen peripartale Depressionen jedoch zu Chronifizierung und können damit auch die kindliche Entwicklung beeinträchtigen. Mit dem EPDS (Edinburgh Postpartum Depression Scale) liegt ein valides und international etabliertes Screening Instrument zur Verfügung. Was bedeutet ein solches Screening für die interdisziplinäre Zusammenarbeit und für das Wohl unserer Patienten? Dies soll an ersten Ergebnissen und Fallberichten dargestellt werden.
Methode: Seit März 2020 screenen in Nürnberg zwei Praxen und eine Klinik systematisch mit dem EPDS, werten die Daten aus und überweisen Betroffene an unsere Spezialambulanz.
Ergebnis:. Eine Punktzahl von ≥ 10 Punkten weist auf eine Depression hin. Die Korrelation zum BDI und zum STAI ist hoch., In der Frauenarzt-Praxis wurden in einem Zeitraum von 3 Monaten 99 Frauen gescreent, 17% hatten im EPDS einen Score von ≥ 10 Punkten Innerhalb von 4 Monaten konnte die Frauenklinik n=925 Frauen pränatal screenen. Hier wiesen im EPDS 12% der Befragten ≥10 Punkte auf. Die aktualisierten Werte der Kinderarztpraxis folgen. Alle teilnehmenden Frauen- und Kinderärzte nahmen in der Folge affektive Erkrankungen der Mütter deutlich sensibler wahr und waren dankbar, sie an Beratungsstellen und unsere psychiatrische Mutter-Kind-Ambulanz weiterleiten zu können und bei Schwierigkeiten beraten zu werden. Die Betroffenen empfanden die Fragebögen als hilfreich.
Diskussion: Wir halten ein Screening für Depressionen in der Peripartalzeit für sinnvoll, notwendig und machbar. Die Arbeit im Netzwerk ist für alle Beteiligten fruchtbar und erleichtert allen Seiten die Arbeit. Die Patienten kommen häufiger und schneller in Behandlung .