Die Abhängigkeit von Opioiden setzt die Betroffenen erheblichen medizinischen und psychosozialen Risiken aus. Die Anzahl der Hochrisikokonsumenten in Deutschland wird auf über 160.000 Menschen geschätzt, von denen sich nur etwa die Hälfte in Substitutionstherapie befindet. Die SARS-CoV-2-Pandemie hat die Situation verschärft, nicht nur für die therapeutisch nicht Erreichten, sondern auch für Personen in laufender Substitution.
Ausgangsbeschränkungen und Kontaktsperren haben die Nutzung langfristiger therapeutischer Angebote beeinträchtigt, niedrigschwellige Harm-Reduction-Ansätze wurden vielerorts ausgesetzt. Dies erfolgte vor dem Hintergrund der hohen krankheitsimmanenten Risiken und Folgen der Opioidabhängigkeit, wie soziale Ausgrenzung, somatische und psychische Komorbidität, hohe Mortalität, wodurch neben den Betroffenen auch die Solidargemeinschaft erheblich belastet wird.
Da die zu erwartende längerfristige Ausbreitung von SARS-CoV-2 die Therapielandschaft für Hochrisikogruppen nachhaltig beeinflussen wird, ist es von gesellschaftlicher und suchttherapeutischer Relevanz bisherige Erfahrungen zusammenzufassen, um proaktiv Therapie- und Präventionsangebote auf neue Krankheitswellen ausrichten zu können.
Im vorgeschlagenen Symposium sollen verschiedene Projekte und Strategien dargestellt und erörtert werden:
- Wie hat sich die Suchtszene vor dem Hintergrund der SARS-CoV-2-Pandemie verändert?
- Welchen Einfluss hatten die staatlichen Maßnahmen gegen die Virusausbreitung auf Drogenmarkt, Zugang zur Therapie und Hilfsangebote?
- Durch welche Maßnahmen kann eine Substitutionsbehandlung auch unter Bedingungen von Kontaktbeschränkungen und Abstandsregeln regelrecht und medizinisch verantwortungsvoll aufrechterhalten werden?
- Wie kann in der aktuellen Situation nicht erreichten Drogenkonsumenten ein Einstieg in das Suchthilfesystem geboten werden und lassen sich Harm-Reduction-Ansätze, wie Naloxon-Take-home-Programme effizient schulen?
14:30 Uhr
Auswirkungen der Pandemie und behördlicher Maßnahmen auf die Suchttherapie
Norbert Wodarz, Regensburg (Germany)
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Norbert Wodarz, Regensburg (Germany)
Opioidabhängigkeit ist eine schwere chronische Krankheit mit häufigen psychischen und/oder somatischen Begleit-/Folgeerkrankungen, die unbehandelt zu einer erheblichen vorzeitigen Mortalität führen. Viele dieser Begleit-/Folgekrankheiten sind auch Risikofaktoren im Rahmen einer SARS-CoV-2-Erkrankung.
Eine Opioidabhängigkeit bedarf in der Regel einer lebenslangen Behandlung, bei der körperliche, psychische und soziale Aspekte gleichermaßen zu berücksichtigen sind. Die substitutionsgestützte Behandlung ist eine wissenschaftlich gut evaluierte Therapieform und stellt für die Mehrheit der Patienten die Therapie der Wahl dar. Aktuell schätzt man, dass ca. 2/3 der Opioidabhängigen in Deutschland in einer Substitutionsbehandlung sind.
Bei der Substitution Opioidabhängiger handelt es sich um ein besonders streng reglementiertes Behandlungsverfahren. Diese strengen Vorgaben im Rahmen der BtMVV und die gleichzeitigen hohen Anforderungen an den Infektionsschutz im Rahmen der Pandemie bei dieser potentiell besonders gefährdeten Klientel stellten und stellen alle Seiten vor enorme Herausforderungen.
So war das primäre Ziel, die Substitutionsbehandlung mit ihren notwendigen häufigen, meist täglichen Behandlungskontakten auch während der Phasen ausgeprägter Kontaktbeschränkungen aufrecht zu erhalten. Dabei musste die Gefährdung für PatientInnen und MitarbeiterInnen so weit wie möglich begrenzt werden. Wichtig war auch die Vorbereitung auf eventuelle Ausfälle (bei MitarbeiterInnen und/oder anderen Substitutionspraxen) bzw. auf eventuellen zusätzlichen Bedarf nach Substitutionsplätzen. Die SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung vom 20.4.20 ermöglichte zumindest einige Erleichterungen bzw. Rechtssicherheit bei den dringend notwendigen Anpassungen der Substitutionsbehandlung an die Bedingungen einer Pandemie.
Die Erfahrungen mit einigen der o.a. Veränderungen / Vorbereitungen, sowie mit ergänzenden Maßnahmen, z.B. telemedizinischen Angeboten werden dargestellt.
14:40 Uhr
Aufrechterhaltung der Substitutionstherapie unter Ausgangs- und Kontaktbeschränkung
Oliver Pogarell, München (Germany)
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Oliver Pogarell, München (Germany)
Die ambulante Substitutionsbehandlung ist in den größeren Schwerpunkteinrichtungen gekennzeichnet durch die tägliche Behandlung meist hoher Fallzahlen in umschriebenen Zeitfenstern, wodurch Gruppen- und Pulkbildung in den Wartebereichen vorgezeichnet sind.
Eine zeitliche Entzerrung ist aus organisatorischen Gründen vielfach schwierig, die Reduktion der Kontakte durch die regulatorischen Vorgaben des Sichtbezugs eingeschränkt.
Bei Personen mit Suchterkrankungen, insbesondere mit Opioidabhängigkeit, handelt es sich um eine in besonderem Maße durch Komorbiditäten belastete Gruppe. Bei vielen Patient*innen zeigen sich neben der Substanzkonsumstörung weitere psychische Erkrankungen wie affektive Störungen, Psychosen oder Traumafolgestörungen und zusätzlich in hohem Umfang somatische Begleiterkrankungen, hierunter v.a. kardiovaskuläre Krankheiten, Atemwegsprobleme oder chronische Infektionen.
Im Kontext der SARS-CoV-2-Pandemie haben diese Patient*innen somit als Risikogruppe zu gelten - aufgrund der Spezifika der Substitutionsbehandlung mit hochfrequenten Patientenkontakten sind ebenso die Belastungen des therapeutischen Personals unter infektiologischen und hygienischen Aspekten besonders zu berücksichtigen.
Die Entwicklung der Pandemie im Frühjahr 2020 mit einem Lockdown ab Mitte März führte zu erheblichen Herausforderungen für die Organisation und Sicherstellung der Substitution. Hierbei waren zunächst Schutzmaßnahmen für die Betroffenen zu erarbeiten, aber auch Aspekte des Mitarbeiterschutzes zu berücksichtigen. Hierzu gehören neben der Beachtung allgemeiner Regeln (AHA-Formel), erweiterte Maßnahmen wie mechanische Barrieren (Trennwände), Lenkung der Patientenströme, SARS-CoV-2-Teststrategien und organisatorische Maßnahmen zur Begrenzung der Kontaktzahlen und -zeiten. Am Beispiel einer Substitutionsambulanz mit psychiatrischem Schwerpunkt werden verschiedene Möglichkeiten zur Diskussion gestellt, die ein Ausbruchsgeschehen bislang erfolgreich verhindern konnten.
14:50 Uhr
Niedrigschwellige Hilfen und Harm-reduction-Ansätze
Norbert Wittmann, Nürnberg (Germany)
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Norbert Wittmann, Nürnberg (Germany)
Herausforderungen und Umgang mit SARS-CoV-2 bei niedrigschwelligen Hilfsangeboten
Norbert Wittmann, Nürnberg
Abhängigkeitserkrankte, insbesondere Menschen aus den offenen Opioidszenen, gehören zu den am meisten stigmatisierten Randgruppen unserer Gesellschaft. Eine Opioidabhängigkeit geht in der Regel mit dem Verlust von sozialen Bezügen einher. Betroffene Menschen sind existentiell abhängig von der Unterstützung durch Ämter und soziale Institutionen.
Niedrigschwellige Hilfen versuchen den Kontakt zu diesen Menschen herzustellen und ihnen den Zugang zu Hilfen zu erleichtern. Schadensminimierende Interventionen sind dabei wichtige Angebote der Überlebenshilfe und Gesundheitsförderung, aber auch der Vertrauensbildung und Motivation für weiterführende Unterstützung. Nicht selten bilden die Kontakte zur Drogenhilfe den einzigen konstanten und positiven sozialen Bezug für betroffene Menschen.
Covid-19 und der Lockdown im Frühjahr 2020 waren für die Drogenszenen eine harte Zäsur mit in vielerlei Hinsicht hoch belasteten Herausforderungen. Sucht kennt keinen Lockdown. Die Sorge um die betroffenen Menschen, angesichts von Kontaktverboten und Zugangsbeschränkungen zu existentiell notwendigen Hilfssystemen, hat die Sucht- und Drogenhilfe von Beginn an massiv gefordert. Vielerorts entstanden und intensivierten sich regionale und überregionale Netzwerke und Kooperationen im Sinne der Klientel und deren Versorgung. Kreative und schnelle Hilfsangebote wurden entwickelt und ausgetauscht. Nach über einem halben Jahr Pandemiegeschehen soll ein erstes Zwischenfazit versucht und Entwicklungen und Erkenntnisse markiert werden. Dabei gilt es den Blick nicht davor zu verschließen, dass sich die zurückliegenden einschneidenden Maßnahmen noch langfristig belastend bemerkbar machen werden, und die Pandemie noch lange nicht überwunden ist.
Ebenfalls soll andiskutieren werden, wie die gewonnen Erkenntnisse für die weitere Entwicklung von Hilfen nutzbar sein können.
15:00 Uhr
Naloxon-Take-home-Programme vor und während der Pandemie
Heike Wodarz-von Essen, Regensburg (Germany)
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Heike Wodarz-von Essen, Regensburg (Germany)
Opioidüberdosierungen sind die häufigste Todesursache von Opioidabhängigen. Riskanter Konsum, ausgelöst z.B. durch die Verknappung des Zugangs zu (illegalen) Opioiden durch Ausgangskontrollen wie während des SARS-CoV-2 - Lockdown, kann zu vermehrten Überdosierungssituationen führen.
Ein Harm Reduction Baustein zur Vermeidung tödlicher Überdosierungen ist die Vergabe von (nasalem) Naloxon an Personen, die eine hohe Wahrscheinlichkeit haben bei einer Überdosierung anwesend zu sein. Dieses sogenannte Take home Naloxon (THN) sollte jedoch immer in Verbindung mit einer Schulung weitergegeben werden. Das seit 10/2018 laufende bayerische Modellprojekt zu Take-Home-Naloxon (BAY THN) evaluiert in 5 Modellregionen unter welchen Schulungs- und Umgebungs-Bedingungen Schulungen mit anschließender THN Vergabe regelhaft in der Drogenhilfe implementiert werden können. Während der Zeit des Lockdown, und durch die anhaltenden Hygiene-Maßnahmen, wurden und werden THN-Schulungen sehr erschwert, sind jedoch unter bestimmten Bedingungen nicht unmöglich.
In diesem Vortrag wird zunächst das BAY THN Projekt kurz skizziert und erste Ergebnisse berichtet. Anschließend wird dargestellt, wie sich die anhaltende SARS-CoV-2 Pandemie auf THN Schulungen inkl. Naloxonvergabe in den Modellregionen ausgewirkt haben, und welche Lösungen für die THN-Vergabe für die verschiedenen Zielgruppen (z.B. Szene, Inhaftierte, Substituierte) unter den erschwerten Bedingungen der jetzigen Pandemie gefunden wurden.
Auch soll ein Ausblick erfolgen durch welche Vorgehensweise die Herausforderungen einer neuen Krankheitswelle, und der damit verbundenen notwendigen (Hygiene-)Maßnahmen, eine stabile THN-Vergabe möglich sein könnte.
Conflict of Interest: Honorare für Vortrags- und Schulungstätigkeiten (mundipharma)