Die Bedeutung der routinemäßigen Durchführung psychoedukativer Gruppen in der psychiatrischen Behandlung als TAU (treatment as usual) wurde sowohl in den Leitlinien für schwer psychisch Kranke (Riedel-Heller, et al, 2013/2019) als auch für schizophren erkrankte Patienten (Falkai et al, 2005/2019) mit der Zuerkennung des Levels A nochmals besonders unterstrichen. Insbesondere die Einbeziehung der Angehörigen wird in beiden LL als selbstverständliche Routinemaßnahme betrachtet.
Während in den achtziger und neunziger Jahren die Psychoedukation überwiegend von Ärzten und Psychologen durchgeführt wurde, hat sich das Therapeutenspektrum in den letzten beiden Jahrzehnten auf nahezu alle in der Psychiatrie tätigen Berufsgruppen bis hin zu den Peers ausgeweitet (Berninger, et al, 2016). Die damit einhergehende Kompetenzerweiterung bei den Akteuren hat zu einer erheblichen Bereicherung des therapeutischen Angebotes in vielen stationären, tagesklinischen, und vor allem komplementären Einrichtungen beigetragen und auch die Angebote der Selbsthilfeorganisationen ergänzt (Bäuml et al, 2016).
In diesem Symposium werden die Ergebnisse einer großen Umfrage (n>1000) unter allen psychiatrischen Berufsgruppen hinsichtlich ihres eigenen psychoedukativen Rollenverständnisses erläutert sowie kooperative Behandlungsmodelle bei der Durchführung psychoedukativer Gruppen für unterschiedliche Diagnosegruppen vorgestellt.
11:30 Uhr
Stellenwert und Umsetzung der Psychoedukation bei den verschiedenen psychiatrischen Berufsgruppen: Ergebnisse einer Fragebogen-Untersuchung
Josef Bäuml, München (Germany)
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Autor:in:
Josef Bäuml, München (Germany)
Einführung:
Psychoedukative Gruppen gelten zwar schon lange als klinische Selbstverständlichkeit in der psychiatrischen Behandlung von schizophren erkrankten Patienten. Die Implementierung in die TAU (treatment as usual) erfolgte aber erst vor Kurzem durch die Erstrangempfehlung sowohl in den Leitlinien für schwer psychisch Kranke (Riedel-Heller, et al, 2013/2019) als auch für schizophren erkrankte Patienten (Falkai et al, 2005/2019) mit der Zuerkennung des Levels A.
Die Bedeutung der Angehörigeneinbeziehung als wesentlicher Wirkfaktor wurde schon vor langem wissenschaftlich nachgewiesen (Pitschel-Walz et al, 2001). Die Identifizierung weiterer Wirkfaktoren – Einzel- oder Gruppensetting, Zahl der Sitzungen, Häufigkeit von Wiederholungen, subjektive versus objektive Teilnahmequalität (Bäuml et al, 2012) etc. – bedarf noch weiterer Erforschung.
Fragestellung:
Patienten der COGPIP-Studie (n=97) erhielten nach jeder PE-Sitzung STEPP-Bögen zur Selbstbeurteilung, parallel Teilnahmequalitäts-Bogen über jeden Patienten durch Gruppenleiter (Bäuml et al, 2012; Baumgärtner et al, 2013). Analyse der einzelnen Sitzungen, inwiefern biografische, psychopathologische, krankheitsbezogene Daten und das Fremdrating durch den Gruppenleiter mit dem subjektiven Selbstrating der Teilnehmer korrelieren.
Ergebnisse:
14 Gruppen mit 97 Teilnehmern von 2004 bis 2006. N=97. Durchschnittlich 6,9 Gruppenteilnahmen bei 8 Sitzungen. 43% Frauen, Alter 33,9 Jahre. Bisherige KH-Dauer 8,4 Jahre. PANSS-Gesamtwert vor PE bei 97, CGI bei 4,01. Gute KHE vor PE 38,1%, nach PE 69,1%.
STEPP-Mittelwert bei 25,9; Range von 0-35. “Mäßiges“ Gruppenrating (0-20) bei 22 (22,7%) der Patienten, ein „gutes“ (21-30) bei 51 (52,7%) und ein „sehr gutes“ (>30) bei 24 (27,7%). Eine positive Selbstbeurteilung der PE-Gruppen korrelierte mit dem weiblichen Geschlecht, höherem Alter, geringerer Depressivität, geringerem PANSS-Score, guter Compliance und guter KHE. Die Selbstbeurteilung der Patienten und das Fremdrating des Gruppenleiters korrelierten ebenfalls hochsignifikant.
Fazit:
Insgesamt zeigten 75,3% der Patienten ein gutes bis sehr gutes Gruppenrating. Jüngere, männliche, weniger krankheitseinsichtige und insgesamt kränkere Patienten zeigten eine negativere Selbstbeurteilung. Für diese Patientengruppe sollten u. a. individuelle Einzelsitzungen mit KVT-Ausrichtung entwickelt werden.
11:50 Uhr
Psychoedukation als klinikübergreifendes Gesamtkonzept für alle Berufsgruppen: systematische Erfassung in einer Versorgungsklinik
Matthias Bender, Kassel (Germany)
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Matthias Bender, Kassel (Germany)
Psychoedukation als klinikübergreifendes Gesamtkonzept für alle Berufsgruppen:
Systematische Erfassung in einer Versorgungsklinik
12:00 Uhr
Peer-to-peer Psychoedukation in Klinik und Selbsthilfeorganisationen
Gabriele Pitschel-Walz, München (Germany)
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Gabriele Pitschel-Walz, München (Germany)
In den Zeiten, in denen es noch nicht üblich war, Patienten mit psychischer Erkrankung und deren Angehörige ausreichend zu informieren und in die Entscheidungsprozesse bezüglich der Behandlung einzubeziehen, entstanden die Selbsthilfeorganisationen der Angehörigen psychisch Kranker und die Betroffenenselbsthilfe, um sich in Eigenregie zu informieren, Erfahrungen auszutauschen und sich gegenseitig zu unterstützen. Durch die Psychoedukation wurde dann von professioneller Seite eine Möglichkeit geschaffen, Fachwissen an die Betroffenen und ihre Angehörigen weiterzugeben und sie mit deren Erfahrungen entsprechend zu verknüpfen, damit diese aus einer informierten Warte selbstbewusst an den Therapieentscheidungen mitwirken und dadurch den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen können. Für die meisten psychischen Erkrankungen liegen mittlerweile Psychoedukations- Programme und - Manuale zur strukturierten Umsetzung vor (Bäuml et al. 2016). Allerdings sind sie meist darauf ausgelegt, von geschulten Fachpersonen durchgeführt zu werden.
In den letzten zwei Jahrzehnten wurde die Kooperation auf Augenhöhe zwischen den Selbsthilfeorganisationen und den in der Psychiatrie Tätigen vorangetrieben und im Zuge dessen auch gemeinsame Projekte zur Peer-to-peer Psychoedukation initiiert. Gruppenmoderation durch geschulte Betroffene bietet den Vorteil, dass das Fachwissen sehr glaubwürdig und authentisch, mit den eigenen Erfahrungen verzahnt, vermittelt werden kann.
Vor diesem Hintergrund wird das Stufenmodell zur Etablierung von Peer-to-peer Psychoedukation von Rummel-Kluge et al. (2008) vorgestellt, das sich in Pilotstudien im Bereich Schizophrenie bereits als durchführbar und erfolgreich erwiesen hat. Berichtet wird über neue Forschungsergebnisse einer Pilotstudie zur Wirksamkeit und Durchführbarkeit von Peer-to-peer Psychoedukationsgruppen zum Thema Angst, die in Zusammenarbeit mit der Angst-Hilfe München e.V. durchgeführt wurde.