Die AGATE ist ein länderübergreifender Verbund aus Kliniken, Praxen und Apotheken, der sich der Förderung und Unterstützung einer rationalen und rationellen Pharmakotherapie verschrieben hat. Das Symposion stellt klinisch relevante Forschungs- und Entwicklungsdaten (F&E-Daten) vor, die exemplarisch demonstrieren, wie eine solche Kooperation für eine Abstimmung der Arzneimitteltherapie auf die individuellen Bedürfnisse eines einzelnen Patienten genutzt werden kann. In diesem Jahr wollen wir die zunehmenden Meldungen zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) im Bereich der Sexualfunktionen mit einem Beitrag von Herrn Prof. Dr. Tillmann Krüger (MHH Hannover) zur Sprache bringen. Die Beratung zu den Risiken von Medikamenten in der Schwangerschaft stellt der Gynäkologe und Geburtshelfer Dr. Wolfgang Paulus vom Beratungszentrum Reprotox an der Universitätsfrauenklinik Ulm mit neuen Daten zur mütterlichen Langzeiteinnahme der kombiniert-selektiven Serotonin- und Noradrenalin Wiederaufnahmehemmern (SSNRI) vor. Ein besonders wichtiges Thema für psychisch Kranke ist die Abstimmung der Pharmakotherapie auf ihre individuellen Bedürfnisse: Frau Apothekerin Katharina Endres (AG Klinische Pharmakologie, Pharmakologie/Psychiatrie der Universität Regensburg) erfasst hierfür die individuelle Pharmakokinetik der Patienten. Die gegenwärtige Coronavirus-Pandemie stellt auch die Psychiatrie vor unbekannte Herausforderungen, die Frau Dr. Monika Singer (kbo-Lech-Mangfall-Klinik Agatharied) diskutieren wird.
08:40 Uhr
Kinderwunsch unter mütterlicher Langzeittherapie mit kombiniert-selektiven Serotonin- und Noradrenalin Wiederaufnahmehemmern (SSNRI)
Wolfgang Paulus, Ulm (Germany)
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Wolfgang Paulus, Ulm (Germany)
Einleitung: Etwa 10% aller Schwangeren erfüllen die Kriterien einer Major Depression, bis zu 18% zeigen zumindest eine depressive Verstimmung. Depressive Patientinnen neigen erwiesenermaßen zu einem riskanteren Lebensstil mit Alkohol- und Tabakkonsum, ungesunder Ernährung und dem Vernachlässigen der Vorsorgeuntersuchungen. Darunter kann die kindliche Entwicklung in der sensiblen Phase der Organogenese im 1. Trimenon leiden.
Bei Frauen im fertilen Alter spielt die Einnahme der kombiniert-selektiven Serotonin- und Noradrenalin Wiederaufnahmehemmern (SSNRI) eine zunehmende Rolle. Tritt eine Schwangerschaft unter Einnahme von Venlafaxin oder Duloxetin ein, wird über eine Zunahme kindlicher Fehlbildungen diskutiert (Anderson et al 2020).
Methode: Im Rahmen einer prospektiven Followup-Studie wurden von unserem Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum zwischen 1997 und 2019 709 Schwangerschaftsausgänge nach Anwendung von SSNRI (Venlafaxin: n=565, Duloxetin: n=144) in der Frühgravidität dokumentiert. Die Befunde wurden mit den Daten eines Kontrollkollektives aus demselben Zeitraum verglichen, das nicht oder unproblematisch exponiert war.
Ergebnisse: Die Spontanabortrate nach Einnahme von SSNRI übertraf mit 15,4% (99/642) signifikant den Anteil im Kontrollkollektiv von 9,7% (62/642). Die Rate schwerer Fehlbildungen nach den EUROCAT-Kriterien (15/539=2,8%) entsprach dem Befund im Kontrollkollektiv (10/578=1,7%; relatives Risiko 1,61; 95%-Konfidenzintervall 0,69 – 3,82). Ein homogenes Fehlbildungsmuster fiel nicht auf. Allerdings lag die Rate der Schwangerschaftsabbrüche aus psychosozialen Gründen nach Therapie mit SSNRI im I.Trimenon (67/709=9,4%) signifikant (p<0,0001) über dem Anteil in der Kontrollgruppe (15/657=2,3%).
Schlussfolgerung: Unsere prospektive kontrollierte Followup-Studie konnte keine Zunahme schwerer Fehlbildungen unter mütterlicher Therapie mit SSNRI nachweisen. Eine Fortsetzung der Behandlung mit Venlafaxin oder Duloxetin wäre unter strenger Indikationsstellung vertretbar. Das Weglassen oder extreme Unterdosieren erprobter Antidepressiva in der Schwangerschaft sollte unterbleiben, um Schäden einer unzureichend behandelten Depression bei Mutter und Kind zu vermeiden.
08:50 Uhr
Individualisierung der Pharmakotherapie in der Psychiatrie: Ausnutzen der individuellen Pharmakokinetik des einzelnen Patienten
Katharina Endres, Regensburg (Germany)
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Katharina Endres, Regensburg (Germany)
Ziel einer Arzneimitteltherapie ist stets eine effektive und sichere Behandlung. Oft sprechen jedoch nicht alle Patienten optimal auf eine Standarddosis an. Dies ist auf zahlreiche inter- sowie intraindividuelle Einflussfaktoren zurückzuführen. Durch eine Dosisindividualisierung kann, und unter Umständen muss, auf diese Patientenunterschiede eingegangen werden. Zur Dosisindividualisierung stehen verschiedene Strategien zur Verfügung. Bei der Therapie psychiatrischer Erkrankungen spielt heutzutage insbesondere die Berücksichtigung der individuellen Pharmakokinetik des einzelnen Patienten eine Rolle. Therapeutisches Drug Monitoring und Genotypisierung stellen Methoden zur effizienten Dosisindividualisierung dar.
09:00 Uhr
Psychopharmakotherapie psychiatrischer Patienten in Corona-Zeiten
Monika Singer, Hausham (Germany)
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Monika Singer, Hausham (Germany)
Die Psychopharmakotherapie seit Auftreten des Coronavirus SARS-CoV-2 hat uns vor diverse Herausforderungen gestellt.
Die Angst vor der Erkrankung Covid-19 und Einschränkungen des sozialen Lebens durch Quarantänemaßnahmen belasten Menschen zunehmend.
Seit Ausbruch der Pandemie werden laut europäischer Arzneimittelagentur EMA über 150 bereits bekannte Substanzen auf ihre Wirksamkeit abhängig vom Stadium der Erkrankung untersucht.
Die bei Covid-19 eingesetzten Medikamente (antivirale Substanzen, Immunmodulatoren und symptomatisch wirksame Arzneimittel) haben verschiedene Wirkansätze und Risiken.
Beispielhaft werden Besonderheiten von Remdesivir, Chloroquin/Hydroxychloroquin, Tocilizumab besprochen; hierbei ist z. B. auf QTc-Verlängerungen, Blutbildstörungen, Medikamentenspiegelveränderungen bei Kombinationstherapien zu achten.
Des Weiteren wird bei zwei Medikamenten mit geringer therapeutischer Breite, Lithium und Clozapin, auf Besonderheiten der Psychopharmakotherapie in „Corona-Zeiten“ eingegangen.
Lithium hat Hemmeffekte auf die Virus-Replikation. Der mit Lithium behandelte Patient ist jedoch bei einer Infektionskrankheit wie Covid-19 besonders gefährdet durch potenzielle Dehydratation, Elektrolytstörungen und kardiale Risiken und muss daher besonders gut klinisch und laborchemisch überwacht werden.
Der Spiegel von Clozapin kann durch Cytokin-Effekte, Rauchstopp oder Kombination mit Antibiotika steigen. TDM sollte unbedingt erfolgen. Pharmakodynamisch kann das Agranulozytose-Risiko steigen bei Kombination von Clozapin mit z. B. Metamizol, das bei fieberhaften Erkrankungen eingesetzt wird. Aufgrund der QTc-Zeit-Verlängerung können kardiale Risiken steigen. Nicht zuletzt ist unter vielen Antipsychotika wie auch Clozapin das Pneumonie-Risiko erhöht. Sedierende Effekte von Clozapin und Begleitmedikationen können Patienten durch Entwicklung einer Atemdepression gefährden.
Eine sichere Arzneimitteltherapie ist im interdisziplinären Austausch anzustreben.