Viele Geflüchtete haben menschengemachte Gewalt überlebt. Einigen gelingt es diese Erfahrungen alleine zu verarbeiten, doch ein großer Teil entwickelt manifeste Traumafolgestörungen (z.B. PTBS, depressive oder andere Angsterkrankungen, Somatisierungsstörungen). Die notwendige psychosoziale Unterstützung ist durch strukturelle und individuelle Hindernisse erschwert. Gerade in der Corona-Krise werden, diese Ausgrenzungsstrukturen noch sichtbarer und die Lebensbedingungen für Geflüchtete verschlechtern sich massiv.
Im 1. Vortrag werden diskriminierende Versorgungsstrukturen und Zugangsbarrieren zum Gesundheitssystem mit denen Geflüchtete und Behandler*innen konfrontiert sind, aufgezeigt. Darüber hinaus erschwert auch individueller Rassismus die Behandlung. Wie dieser in der psychiatrisch-psychotherapeutischen Praxis durch Bildungsarbeit enttabuisiert und die individuelle Kompetenz zur Handlungsfähigkeit gestärkt werden kann, wird im 2. Vortrag eingeführt.
Um die, aufgrund der strukturellen Diskriminierung bestehende Versorgungslücke zu überbrücken, gibt es seit über 25 Jahren Psychosoziale Zentren für Geflüchtete und Folteropfer. Am Beispiel eines solchen Zentrums in Berlin, wird in Vortrag 3 aufgezeigt, wie auf die komplexen Bedarfe Geflüchteter adäquat eingegangen werden kann.
Im 4. Vortrag werden, auf der Basis von Beobachtungen und Erfahrungen mit psychosozialer Versorgung in Flüchtlingslagern und urbanen Arrival Cities im globalen Süden (z.B. Libanon, Südafrika, Mexiko, etc.) problematische und hilfreiche Ansätze vorgestellt. Diskutiert wird die Frage, ob Resilienzanforderungen und Sicherheitsinteressen in psychosozialen Versorgungsansätzen Ausgrenzungsdynamiken und eine Zwei-Klassen Versorgung strukturell vertiefen und wie solidarische Formen der Begleitung auch unter schwierigen Bedingungen aussehen können.
10:10 Uhr
Rassismus überwinden durch Stärkung der Problemlösungskompetenz
Amma Yeboah, Köln (Germany)
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Autor:in:
Amma Yeboah, Köln (Germany)
Rassismus beinhaltet strukturelle, kulturelle, interpersonelle und individuelle Aspekte, die sich historisch und kontextuell verändern. Rassistisches Handeln, sowie rassistische Diskriminierungserfahrungen im Alltag geschehen meistens unbewusst und gehören insbesondere in der therapeutischen Arbeit zur Kategorie racial microaggressions.
Bildungsarbeit zu Rassismus in der psychiatrischen psychotherapeutischen Praxis kann dann die Kompetenz zur Handlungsfähigkeit stärken, wenn sie Sachbildung, Affektbildung und Sozialbildung (vgl. Mitscherlich 1973, S.26 ff) zur Bedeutung von Rassismus in der therapeutischen Arbeit berücksichtigt. Workshops und Trainings zu Critical Whiteness in der therapeutischen Praxis basieren auf diesen Erkenntnissen aus dem deutschen Kontext:
Professionelle in der therapeutischen Arbeit sollten in der Lage sein, Rassismus zu erkennen und ihre eigene Position in Bezug zu Rassismus zu reflektieren. Sie sollten ein Verständnis von Rassismus als Ergebnis geschichtlicher, wissenschaftlicher und sozialer Prozesse haben. Des Weiteren sollten sie wissensbasiert und kompetent über Rassismus sprechen, und vor allem einen professionellen Umgang mit Menschen pflegen können, die als "Andere" oder „Minderheiten“ definiert werden. In der therapeutischen Beziehung sollten sie in der Lage sein, diesen zuzuhören, ohne sie abzuwerten oder zu idealisieren. In der Behandlung sollten sie die Realität und Bedeutung von Rassismus erfassen können, anstatt diese zu leugnen. Die Überwindung von Rassismus stellt somit ein Bildungsprozess dar, der Menschen unter realen Lebensbedingungen fokussiert und sie bzgl. Historizität, Kontext und Sozialisation ernst nimmt.
10:20 Uhr
Wie kann die Behandlung komplexer Bedarfe trotzdem gelingen? Interdisziplinäre Behandlung Geflüchteter in einem psychosozialen Zentrum
Christiane Weber-Nelson, Berlin (Germany)
Dorothee Bruch, Berlin (Germany)
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Autor:innen:
Christiane Weber-Nelson, Berlin (Germany)
Dorothee Bruch, Berlin (Germany)
Direkte Rassismuserfahrungen in den unterschiedlichen Bereichen gesellschaftlichen Lebens sowie die Auswirkungen von strukturellem Rassismus prägen den Alltag von Geflüchteten. Seit der Aufarbeitung der NSU Morde, den Anschlägen in Halle und Hanau und Vorwürfen zu rassistischer Polizeigewalt, spätestend seit der black lives matter Demonstrationen im Sommer dieses Jahres, ist das Thema Rassismus auch im bundesdeutschen Diskurs angekommen.
Ernstzunehmende strukturelle Veränderungen in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen, in denen sich Rassismus manifestiert, finden jedoch sehr langsam statt bzw. fehlen ganz. Die Auseinandersetzung zu strukturellem Rassismus und der Notwendigkeit von Diversity im Gesundheitswesen, das Beleuchten von Machtverhältnissen im eigenen Arbeitskontext sowie im direkten Behandlungssetting zwischen Therapeut*innen/Berater*innen und Klient*innen, findet sich lediglich punktuell. Dieses Themenfeld ist jedoch nicht in den Lehrplänen und Ausbildungsmodulen der medizinischen, psychotherapeutischen und psychosozialen Arbeitsfelder verankert. Dabei können Erfahrungen von Rassismus die psychische Gesundheit nachhaltig beeinträchtigen.
Die Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer, mit ihrem Anspruch neben der psychosozial-/psychotherapeutischen Versorgung als Menschenrechtsorganisation zu agieren, versuchen konzeptionell und auf Ebene der Beziehungsgestaltung rassistischen Strukturen und Erfahrungen gegenüber sensibel zu sein sowie diesen aktiv entgegen zu treten. Gleichwohl stehen die Psychosozialen Zentren hier in noch am Anfang einer notwendigen Entwicklung.
Durch den Austausch von Erfahrung und Wissen soll unser Input auf diesem Panel ein Versuch sein, Ängste vor der Konfrontation eigener Rassismen abzubauen, um Veränderungen des eigenen Arbeitskontextes im Sinne von Diversity und Antirassismus anzustoßen.
10:30 Uhr
Resilienztraining und Gefahrenabwehr oder solidarische Begleitung bei anhaltenden Erfahrungen von Ausgrenzung und Gewalt – globale Perspektiven auf die psychosoziale Versorgung von Geflüchteten
Usche Merk, Frankfurt am Main (Germany)