Gewalt, Vernachlässigung, Misshandlung und Missbrauch in Kindheit und Jugend haben dramatische Folgen für die Betroffenen, unter denen sie meist ein Leben lang leiden. Dies ist einer der Gründe, weshalb das Bundesministerium für Bildung und Forschung Forschungsverbünde fördert, die evidenzbasierte Konzepte zur Prävention, Erkennung und Therapie der Folgen sexuellen Missbrauchs entwickeln und in der Praxis erproben.
Das Forschungsprojekt „@myTabu“ hat sich darum zum Ziel genommen, eine therapeutengestützte Online-Intervention zur Rückfallprävention bei Personen, die aufgrund eines Kindesmissbrauchsdelikts oder aufgrund von Konsum, Besitz, Verbreitung oder Herstellung von Missbrauchsabbildungen verurteilt wurden, zu entwickeln und zu prüfen. Dafür forscht die Schwerpunktprofessur für Forensische Psychiatrie der Universitätsmedizin Göttingen (Dr. P. Fromberger, Prof. Dr. J. L. Müller) zusammen mit der Kriminologischen Zentralstelle (Prof. Dr. M. Rettenberger), dem Institut für Sexualforschung, Sexualmedizin und Forensische Psychiatrie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (Prof. Dr. P. Briken, Dr. S. Tozdan), der Deutschen Hochschule der Polizei (Prof. Dr. A. Schiemann) und dem Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (Assoc. Prof. Dr. D. Ebert, Dr. C. Buntrock). Die Evaluation der Intervention findet in Zusammenarbeit mit den Bewährungshilfen der Länder Niedersachsen und Baden-Württemberg statt. Dabei werden in einer placebo-kontrollierten Add-On Wirksamkeitsstudie die individuellen Veränderungen des Rückfallrisikos, welches mit eigens entwickelten Rückfallrisikoprognoseinstrumenten im Selbstbericht erfasst wird, sowie offizielle Daten zur Rückfälligkeit aus dem Bundeszentralregister untersucht. Darüber hinaus findet nach Abschluss der klinischen Studie eine gesundheitsökonomische Evaluation der Intervention statt. Zudem werden juristische und ethische Richtlinien für eine mögliche Routine-Anwendung der Maßnahme entwickelt. Bei erfolgreichem Nachweis der Wirksamkeit der Online-Intervention wird diese unentgeltlich allen interessierten Institutionen zur Verfügung gestellt.
14:30 Uhr
@myTabu – Online-Intervention zur Senkung der Rückfälligkeit bei verurteilten Kindesmissbrauchstätern und Konsumenten von Kindesmissbrauchsabbildungen während der Bewährungs- oder Führungsaufsicht
Safiye Tozdan, Hamburg (Germany)
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Autor:in:
Safiye Tozdan, Hamburg (Germany)
Die Online-Intervention @myTabu wurde für Straftäter entwickelt, die wegen sexuellem Kindesmissbrauch oder dem Konsum von Missbrauchsabbildungen verurteilt wurden. Ziel der Online-Intervention ist es, die sexuelle Rückfälligkeit zu senken. In sechs Modulen (1. Motivation, 2. Bewährungshilfe und Beziehungen, 3. Deliktfördernde Kognitionen, 4. Problemlösung, 5. Emotions-Management, 6. Sexualität), die über einen Zeitraum von sechs Monaten bearbeitet werden, werden empirisch belegte Risikofaktoren adressiert. Die Entwicklungsgrundlage der Module sind etablierte Behandlungsmanuale aus der klinischen Praxis. Die Inhalte der Module werden durch psychoedukative Elemente (Videos, Texte), Erfahrungen fiktiver ehemaliger Teilnehmenden sowie selbstständige Übungen vermittelt. Vertieft wird das Wissen zudem durch Übungen, die von einem Online-Coach angeleitet werden. Dieser begleitet die Teilnehmenden während der gesamten Online-Intervention. Angelehnt an das Good Lives Model spiegeln sowohl Online-Intervention als auch Online-Coach eine wertschätzende und positive therapeutische Haltung wider.
14:40 Uhr
Placebo-kontrollierte Add-On Wirksamkeitsstudie zur Evaluation der therapeutengestützten Online-Intervention @myTabu
Sonja Schröder, Göttingen (Germany)
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Autor:innen:
Sonja Schröder, Göttingen (Germany)
Louisa Bauer, (Germany)
Bruno Siegel, (Germany)
Jürgen L. Müller, Göttingen (Germany)
Peter Fromberger, Göttingen (Germany)
Das Ziel der Wirksamkeitsstudie ist es zu untersuchen, ob eine therapeutengestützten Online-Intervention (@myTabu) einschlägige Rückfälligkeit und Rückfallrisikofaktoren bei Personen, die aufgrund eines Kindesmissbrauchs oder dem Konsum von Kindesmissbrauchsabbildungen verurteilt wurden, reduzieren kann. Hierfür wird eine Placebo-kontrollierte Add-On Studie mit N = 582 Personen, die verurteilt wurden nach §§ 176, 176a, 176b und/oder 184b StGB und sich in der Bewährungszeit oder Führungsaufsicht (§§ 56, 57, 68 ff. StGB) in Baden-Württemberg oder Niedersachsen befinden, durchgeführt. Probanden werden anhand von Randomisierungs-Faktoren der Intervention oder einer Placebo-Bedingung, welche der Intervention in Dosis und Modus gleicht, zugeteilt. Die Teilnahme an @myTabu erfolgt dabei als Add-on zu individuellen Maßnahmen, die seitens des Gerichts als notwendig und hinreichend für den Schutz der Öffentlichkeit erachtet werden, und nimmt auf diese keinen Einfluss. Die klinische Studie wurde vor Beginn der Datenerhebung (geplant zum 01.01.2021) im Deutschen Register Klinischer Studien (DRKS 00021256) registriert und von der Ethikkommission der Universitätsmedizin Göttingen zustimmend bewertet. Das methodische Design der klinischen Studie wird vorgestellt und die Umsetzung der Studie beschrieben.
14:50 Uhr
Beurteilung akut-dynamischer Risikofaktoren anhand von onlinebasierten Selbstbeschreibungsverfahren
Katharina Nitsche, Wiesbaden (Germany)
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Autor:in:
Katharina Nitsche, Wiesbaden (Germany)
Das Verbundprojekt @myTabu beinhaltet die Entwicklung und Evaluation einer therapeutengestützten Online-Intervention für Personen, die wegen sexuellen Kindesmissbrauchs und/oder Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften verurteilt wurden. Zu diesem Zweck werden Messverfahren benötigt, die Rückfallrisikofaktoren und Therapieeffekte online erfassen können. Selbstbeschreibungsverfahren haben für diesen Anwendungsbereich entscheidende Vorteile, wie u. a. eine ökonomische Anwendung.
In der vorliegenden Studie werden deswegen drei Onlinefragebögen zur Erfassung des Rückfallrisikos entwickelt und validiert. Das erste Verfahren, der ACUTE-2007-SR erfasst akut-dynamische Rückfallrisikofaktoren (z. B. emotionale Krisensituation), das zweite Verfahren erfasst stabil-dynamische Konstrukte (z. B. Problembewältigungsstrategien), die in einer Intervention üblicherweise angesprochen werden und das dritte Verfahren erfasst allgemein und sexuell deviante und kriminelle Verhaltensweisen (z. B. Bedrohung).
Die Validierung aller drei Verfahren erfolgt anhand einer Stichprobe von Probanden, die wegen sexuellen Kindesmissbrauchs und/oder Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften verurteilt wurden und unter Bewährungs- oder Führungsaufsicht stehen. Im Rahmen einer Längsschnittstudie finden zu drei Messzeitpunkten Online-Befragungen statt. Darüber hinaus werden auch die jeweils zuständigen Bewährungshelfer*innen bzw. Therapeut*innen der teilnehmenden Probanden zu zwei Zeitpunkten um eine Online-Fremdbeurteilung gebeten. Zuletzt dient eine umfangreiche Aktenanalyse, die wir vor Ort in den teilnehmenden Einrichtungen durchführen, als zusätzliche Informationsquelle. Die Auswertung konzentriert sich auf die psychometrischen Kennwerte der Verfahren sowie auf umfangreiche Analysen zur Validität.
15:00 Uhr
Wirtschaftlicher Nutzen einer Online-Intervention für verurteilte Kindesmissbrauchstäter und Konsumenten von Kindesmissbrauchsabbildungen während der Bewährungs- oder Führungsaufsicht
Claudia Buntrock, Erlangen (Germany)
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Autor:in:
Claudia Buntrock, Erlangen (Germany)
Hintergrund: Angesichts der Evidenz für die Wirksamkeit von KVT-Behandlungsprogrammen scheint es wahrscheinlich, dass diese auch zu erheblichen Kosteneinsparungen führen. Bisher hat jedoch noch keine Studie den wirtschaftlichen Nutzen einer Online-Intervention für Kindesmissbrauchstäter und Konsumenten im Hinblick auf die Reduzierung von Rückfallraten bewertet. Wir stellen die Hypothese auf, dass der gewonnene tangible Nutzen (z.B. Einsparungen bei den opfer- und täterbezogenen Kosten) und der intangible Nutzen (z.B. gewonnene Lebensqualität) die Kosten für die Durchführung der Online-Intervention von @myTabu überwiegen.
Methode: Die gesundheitsökonomische Evaluation basiert auf analytischen Modellierungstechniken. Die Daten werden aus der klinischen Studie (d.h. Rückfallraten auf der Grundlage dynamischer Risikofaktoren), der Literatur und experimentellen Verfahren abgeleitet. Die Ergebnisse der Analysen werden in Form einer Schätzung des Nettonutzens (NB) und eines Kosten-Nutzen-Verhältnisses dargestellt. Der NB wird berechnet als NB = tangibler Nutzen + intangiblen Nutzen - Interventionskosten. Die Intervention wird im Verhältnis zur Kontrollbedingung als kosteneffektiv betrachtet, wenn die NB positiv und das Nutzen-Kosten-Verhältnis > 1 ist. Da viele Kostenparameter erst nach dem Beobachtungszeitraum auftreten, werden wir das Kosten-Nutzen-Verhältnis der Intervention für einen Zeitraum von 5 Jahren modellieren. Die Auswirkungen der Variabilität auf das Kosten-Nutzen-Verhältnis, die sich aus der Diversität und Heterogenität in der Zielpopulation ergeben, werden in Subgruppenanalysen untersucht, sofern die Daten dies zulassen.
Ergebnisse: Liegen 2022 vor.
Diskussion: Nach unserem Wissenstand werden die Ergebnisse zum ersten Mal Informationen über den wirtschaftlichen Nutzen einer Online-Intervention für entlassene Kindesmissbrauchstäter und Konsumenten von Kindesmissbrauchsabbildungen während der Bewährungs- oder Führungsaufsicht abbilden.