Der Einsatz telemedizinischer Behandlungskonzepte rückt zunehmend in den Fokus unterschiedlicher Forschungsansätze und gewinnt auch in der psychotherapeutischen Praxis immer mehr an Zulauf, aktuell in besonderem Ausmaß zur Sicherstellung der Patientenversorgung in Zeiten von Corona. Angesichts der hohen Hemmschwelle vieler Patienten, Hilfe vor Ort in Anspruch zu nehmen, sowie der begrenzten Verfügbarkeit kompetent ausgebildeter TherapeutInnen können telemedizinische Behandlungen geographische Barrieren überwinden und somit einen ressourcenschonenderen, benutzerfreundlicheren und kostengünstigeren Zugang zu evidenzbasierter Hilfe bei psychischen Erkrankungen bieten. Das Symposium stellt unterschiedliche Ansätze telemedizinischer psychotherapeutischer Behandlungen von Kindern und Jugendlichen vor. Katharina Allgaier präsentiert einen Review zu randomisiert-kontrollierten Therapiestudien unter Nutzung von telemedizinischen Verfahren, wie Computerbasierter Therapie oder die Nutzung von Apps oder Emails, bei unterschiedlichen psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter vor. Die Bedeutsamkeit zwischenmenschlicher Interaktion wird herausgearbeitet. Gudmundur Skarphedinsson und Carolin Hohnecker stellen einen telemedizinschen Ansatz der Behandlung von Zwangsstörungen im Kindes-und Jugendalter und eine Therapiestudie vor. Jan Kühnhausen ergänzt diesen Ansatz mit der Vorstellung einer Studie zur telebasierten Reintegration von Kindern aus tagesklinischer psychiatrischer Behandlung in den Schulalltag vor. Christopher Hautmann präsentiert Daten zu einem telefongestützten Selbsthilfe-Elterntraining bei Kindern mit expansiven Störungen. All diese Studien zeigen deutlich auf, dass telemedizinische Ansätze gut funktionieren. Im Rahmen des Symposiums werden aber auch Herausforderungen dieser neuen Ansätze zur Sprache kommen, sowie Ansätze für zukünftige Forschungsstrategien.
14:30 Uhr
Der Einfluss von menschlicher Interaktion auf die Effektivität digitaler E-Health-Behandlungsansätze: ein systematischer Review
Katharina Allgaier, Tübingen (Germany)
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Autor:in:
Katharina Allgaier, Tübingen (Germany)
Psychische Erkrankungen sind unter Kindern und Jugendlichen weit verbreitet. Da diese frühen Erkrankungen den weiteren Lebensweg der Heranwachsenden stark beeinflussen, aber auch auf das Umfeld einen großen Einfluss haben, sind rasche und effektive Behandlungen notwendig. Effektive Behandlungen existieren, sind jedoch aufgrund struktureller und individueller Barrieren nur für eine Minderheit der Betroffenen erreichbar. E-Health-Behandlungsansätze beinhalten das Potential, einer Vielzahl von Patient*innen und deren Familien, Interventionsangebote zur Verfügung zu stellen. Sie reichen von Videotherapie über PC-basierte Trainings bis hin zu alltagsbegleitenden Smartphone-Applikationen. Erste Metaanalysen zeigen die therapeutischen Erfolge dieser Ansätze. Jedoch ist die Effektivität unterschiedlich. Wenig ist bisher darüber bekannt, was eine erfolgreiche E-Health-Intervention ausmacht. Ausgehend von der Wirksamkeitsforschung zum Beziehungsaufbau in traditioneller Psychotherapie ist naheliegend, dass die menschliche Unterstützung im Rahmen von digitalen Interventionen ein entscheidender Faktor ist. Digitale Interventionen unterscheiden sich deutlich in dieser Unterstützung, z.B. hinsichtlich Umfang, Ausmaß, Zweck und Art von Interaktion zwischen dem Anbieter der Intervention (z.B. dem/der Therapeut*in) und dem/der Patient*in. Das Review untersucht bestehende RCT zu E-Health-Interventionen hinsichtlich dieser interaktioneller Aspekte und bringt sie in Zusammenhang mit deren Effektivität. Dazu wurden N=5544 Studien einem Titel- und Abstract-Screening und N=707 Studien einem Volltext-Screening unterzogen. N=96 Studien entsprachen den Einschlusskriterien und wurden analysiert. Es zeigte sich eine große Heterogenität in Bezug auf die Interaktionsaspekte. Auch die Zusammenhänge zu der Effektivität sind von einem gemischten Bild geprägt. Diese Ergebnisse sollen vorgestellt und hinsichtlich ihrer praktischen Relevanz zur Behandlung von jungen Patient*innen diskutiert werden.
14:40 Uhr
Internet-based CBT for children and youths with obsessive-compulsive disorder
Gudmundur Skarphedinsson, Reykjavik (Iceland)
Carolin Hohnecker, Tübingen (Germany)
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Autor:innen:
Gudmundur Skarphedinsson, Reykjavik (Iceland)
Carolin Hohnecker, Tübingen (Germany)
Pediatric obsessive-compulsive disorder (OCD) is a severe mental disorder that causes distress and impaired functioning. Accumulating evidence shows that cognitive behavioral therapy (CBT) is an effective treatment for this group. However, there are several barriers for patients to seek help, such as fear of stigmatization and limited availability of qualified therapists, especially in remote areas. Internet-based treatments can overcome geographical borders and offer an alternative, more resource-efficient access to evidence-based help for OCD. Previous studies have found that remote CBT shows promising response rates for OCD patients.
1) Remote CBT for youths with OCD, Iceland:
Our aim is to develop and implement a manualized CBT with exposure and response prevention (ERP), using an inhibitory learning approach as a core element. Patients receive video-teleconference (VTC) sessions which will be enhanced by a smartphone app including psychoeducational materials, assistance for OCD mapping and symptom hierarchy, exposure exercises registration and follow-up. All exposures will be guided and monitored by the therapist through the app. We will examine the feasibility, acceptability, and the effects of this treatment.
2) Internet-based CBT for youths with OCD, Germany:
Both in our pilot study (iCBT-I) and in the follow-up project (iCBT-II), a decrease in obsessive-compulsive symptoms is shown as a result of the internet-based interventions. 14 video therapy sessions are conducted using a CBT manual especially created for the treatment. The therapy is accompanied by a wristband to record physiological parameters, and an internally developed app on the smartphone with daily questionnaires regarding the course and severity of symptoms.
14:50 Uhr
Telemedizinisch gestützte Reintegration von Kindern aus einer psychiatrischen Tagesklinik in den Schulalltag
Jan Kühnhausen, Tübingen (Germany)
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Autor:in:
Jan Kühnhausen, Tübingen (Germany)
Ungeachtet einer im Rahmen stationärer psychiatrischer Behandlungen häufig erzielten substantiellen Symptomreduktion, werden Kinder und Jugendliche meist mit Residualsymptomen entlassen. Der Umgang mit diesen Symptomen und den damit verbundenen alltäglichen Anforderungen stellt für die Betroffenen selbst, aber auch für direkte Bezugspersonen, eine große Herausforderung dar. Als Ursache für die hierbei häufig wahrgenommene Überforderung liegen fehlendes fachliches Wissen über die Anforderungen des Reintegrationsprozesses, sowie mangelnde Gelegenheiten zum zeitnahen Austausch mit geschultem Fachpersonal nahe. Im ersten Teil dieses Beitrags wird diese Vermutung mit den Ergebnissen einer Befragung von Lehrkräften empirisch fundiert.
Mit dem im zweiten Teil dieses Beitrags vorgestellten Forschungsprojekt DigiPuR soll die Reintegration von psychisch erkrankten Kindern und Jugendlichen nach einer stationären Behandlung zurück in den (Schul-)Alltag verbessert werden. Hierzu halten die während des vorherigen Klinikaufenthalts behandelnden Therapeuten mit den teilnehmenden Patienten der Interventionsgruppe, sowie Lehrkräften und Eltern, über einen Zeitraum von zehn Wochen regelmäßige Videotelefonkonferenzen ab, in denen gezielt Hilfestellung bei Problemen mit der Wiedereingliederung in den (Schul-)Alltag und der Stabilisierung von Therapieerfolgen gegeben wird. Eine smartphonebasierte Anwendung bietet den Teilnehmenden zudem die Möglichkeit, kurzfristig Unterstützungsbedarf beim Therapeuten anzuzeigen, sowie täglich über unter anderem ihr Wohlbefinden zu berichten. Die Therapeuten nutzen diese Einschätzungen zur individuellen Planung der darauffolgenden Videotelefonkonferenzen. Es wird erwartet, dass durch dieses umfangreiche digitale Nachsorgeangebot Behandlungserfolge besser in den (Schul-)Alltag übertragen, krisenhafte Zuspitzungen frühzeitig vermieden, Rehospitalisierungen verringert und eine verbesserte psychische Befindlichkeit aller Beteiligten erreicht werden können.
15:00 Uhr
Angeleitete Selbsthilfe für Eltern auf der Grundlage von Verhaltenstherapie und humanistischer Therapie: Analyse zur Indikationsstellung bei Kindern mit expansiven Störungen
Christopher Hautmann, Köln (Germany)
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Christopher Hautmann, Köln (Germany)
Hintergrund
Für die Behandlung von Kindern mit expansiven Verhaltensstörungen existieren verschiedene Selbsthilfeprogramme für Eltern mit unterschiedlicher theoretischer Ausrichtung (z. B. verhaltenstherapeutisch, humanistisch). Gegenwärtig gibt es nur wenige Indikationsempfehlungen, welche Programme für welche Familien in besonderem Maße geeignet sind. Ziel der Untersuchung war es, in einer Moderatoranalyse sowohl kindliche wie auch elterliche Faktoren auf ihren Vorhersagewert hin zu untersuchen.
Methode
Es handelt sich um eine randomisierte Kontrollgruppenstudie mit 149 Eltern von Kindern (4 bis 11 Jahre) mit einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) oder einer Störung mit Oppositionellem Trotzverhalten. Die Teilnehmer/innen wurden per Zufall einem von zwei angeleiteten Selbsthilfeprogrammen entweder auf verhaltenstherapeutischer oder humanistischer Grundlage zugeordnet (je 8 Elternhefte und 10 Telefonberatungen).
Ergebnisse
In der Per-Protkoll-Stichprobe zeigte sich (n = 110), dass insbesondere Kinder mit hoher negativer Emotionalität (Temperamentsmerkmal als Disposition für aggressiv-dissoziales Verhalten) stärker von dem verhaltenstherapeutischen als von dem humanistischen Programm profitierten (Ergebnismaß externalisierendes Verhalten). Ansonsten konnten keine Moderatoren identifiziert werden, die neben der statistischen Signifikanz zugleich auch eine praktische Bedeutung hatten.
Schlussfolgerung
Bei externalen Verhaltensstörungen können Selbsthilfeprogramme für Eltern auf verhaltenstherapeutischer Grundlage insbesondere dann empfohlen werden, wenn Kinder sich leicht und intensiv aufregen. Eine Vermutung könnte sein, dass in der Verhaltenstherapie problemreduzierende Erziehungsstrategien vermittelt werden, die sich für Kinder mit Schwierigkeiten in der Gefühlsregulation in besonderem Maße eignen.