Dissoziative Symptome wie Amnesie, Flashbacks, Abgestumpftheit und Depersonalisation/Derealisation sind in der psychiatrischen Praxis häufig anzutreffen. Bei Patienten mit traumabezogenen psychischen Erkrankungen wie der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) wurden Prävalenzen von bis zu 30% berichtet. Dissoziation ist ein komplexer psychophysiologischer Prozess mit einer Störung oder Veränderung in den normalen integrativen Funktionen der Identität, des Gedächtnisses und des Bewusstseins (Putnam 1997). Vor allem bei der PTBS, der Borderlinestörung und der Schizophrenie, aber auch bei Abhängigkeitserkrankungen und Erkrankungen mit somatischen Komorbiditäten ist die Belastung durch dissoziative Symptome hoch und dies stellt häufig eine Hürde und Herausforderung in der Behandlung dar. Dissoziative Symptome sind bei vielen Patienten gut behandelbar und die Reduktion dieser Symptome kann die Effektivität der Behandlung erhöhen. Im Symposium sollen aktuelle Forschungsergebnisse zum Thema Dissoziation und deren Behandlung in der psychiatrischen Arbeit vorgestellt und diskutiert werden. Dabei wird es sowohl um die Behandlung von Dissoziation mittels Mentalisierung gehen (A. Lampe), als auch um die Effektivität der Behandlung dissoziativer Symptome. Dazu werden Ergebnisse der Behandlung von Dissoziation bei Geflüchteten (M. Böttche), Abhängigkeitserkrankungen (I. Schäfer) und zur interdisziplinären Behandlung von Dissoziation und somatischer Komorbidität (J. Schellong) vorgestellt.
17:30 Uhr
Dissoziativer Subtyp der PTBS bei traumatisierten Kriegs- und Folteropfern
Maria Böttche, Berlin (Germany)
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Autor:in:
Maria Böttche, Berlin (Germany)
Hintergrund: Aus der Praxis wird häufig berichtet, dass der dissoziative Subtyp der Posttraumatischen Belastungsstörung vor allem in der Gruppe der geflüchteten Menschen aufzutreten scheint. Diese Beobachtung soll in einer Studie zum dissoziativen Subtyp der PTBS in der Gruppe geflüchteter traumatisierter Kriegs- und Folteropfer explorativ untersucht werden. Ebenso sollen potentielle Unterschiede bzgl. soziodemographischer und traumaspezifischer Merkmale, sowie komorbider Störungen in den Gruppen PTBS mit dissoziativem Subtyp (PTBS_Diss+) und PTBS ohne dissoziative Symptomatik (PTBS_Diss) untersucht werden.
Methode: Für die Gruppenvergleiche zwischen PTBS_Diss+ und PTBS_Diss- wurden je nach Datenniveau t-Tests für unabhängige Stichproben und Mann-Whitney-Tests gerechnet. Die klinische Stichprobe bestand aus 34 PTBS Patient*innen (M = 39.12 Jahre, 67.6 % männlich) eines psychosozialen Zentrums für Kriegs- und Folteropfer in Deutschland.
Ergebnisse: Der dissoziative Subtyp der PTBS zeigte sich bei 62 % der Patient*innen
(n = 21). Ein signifikant höherer Schweregrad der posttraumatischen Belastungsstörung (U = 193.5, p < .05) und ein signifikant häufigeres Erleben von sexueller Gewalt im Erwachsenenalter (𝜑 = 0.71, p < .01) wurden in der Gruppe mit PTBS_Diss+ festgestellt. Signifikante Unterschiede bezüglich Alter, Geschlecht, Anzahl traumatischer Ereignisse und komorbider depressiver Störung konnten nicht festgestellt werden.
Diskussion: Der dissoziative Subtyp der PTBS nach DSM-5 tritt in der Stichprobe von traumatisierten Kriegs- und Folteropfern anscheinend vermehrt auf. Dabei konnten erste Erkenntnisse darüber gewonnen werden, dass die Schwere der PTBS sowie die Art der Traumatisierung einen Zusammenhang in der Entwicklung der PTBS_Diss+ darstellt.
17:45 Uhr
Trauma und Dissoziation bei Suchtkranken
Ingo Schäfer, Hamburg (Germany)
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Ingo Schäfer, Hamburg (Germany)
Einleitung: Patientinnen und Patienten mit substanzbezogenen Störungen berichten hohe Raten körperlicher und sexueller Gewalt in der Kindheit. Dementsprechend weist ein bedeutsamer Anteil von ihnen komorbide Traumafolgestörungen auf. Besonders zu komorbiden Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS), die häufig die Kriterien für eine komplexe PTBS erfüllen, liegen bei Suchtkranken inzwischen zahlreiche Befunde vor. Seltener wurde die Bedeutung von dissoziativen Syndromen untersucht, einer weiteren häufigen Folge chronischer Traumatisierungen in frühen Lebensabschnitten.
Methode: Im Vortrag werden die Ergebnisse einer selektiven Literaturrecherche zu dissoziativen Symptomen und Störungen bei Patientinnen und Patienten mit substanzbezogenen Störungen präsentiert, sowie die Daten eigener Studien bei Patienten mit drogen- bzw. alkoholbezogenen Störungen. Konsequenzen für die Suchtbehandlung werden diskutiert.
Ergebnisse/Diskussion: Zur Prävalenz dissoziativer Symptome bei Suchtkranken liegen uneinheitliche Befunde vor. Aufgrund niedriger Raten in manchen Untersuchungen wurde von einigen Autoren angenommen, dass Substanzgebrauch - insbesondere von Alkohol - als „chemische Dissoziation“ an die Stelle dissoziativer Symptome trete. Andere Studien berichten klinisch relevante Raten dissoziativer Störungen. Insgesamt deuten die existierenden Befunde darauf hin, dass dissoziative Symptome bei Suchtkranken signifikante Zusammenhänge mit bestimmten Patientenmerkmalen aufweisen. Dabei kommt weiblichem Geschlecht, jüngerem Alter, (zusätzlicher) Drogenabhängigkeit und einer hohen Belastung mit frühen Traumatisierungen besondere Bedeutung zu. Aufgrund der hohen Raten früher Traumatisierungen sollte auch bei Suchtkranken dissoziativen Symptomen bzw. Störungen Beachtung geschenkt werden. In integrativen Konzepte zur Behandlung von Traumafolgestörungen bei Suchtkranken sollten diese, falls notwendig, gesondert berücksichtigt werden.
18:00 Uhr
"Kommt mir nicht zu nahe": interdisziplinäre und interprofessionelle Behandlung bei dissoziativer Störung und somatischer Komorbidität
Julia Schellong, Dresden (Germany)