Die stationsäquivalente Behandlung (StäB), als innovative Versorgungsform aufsuchender Behandlung, ist in Deutschland seit Anfang 2018 gesetzlich leistbar und bietet die Möglichkeit zur Behandlung schwer erkrankter Patient*innen, welche eine stationäre Aufnahme bislang ablehnten, obwohl eine intensive Behandlung dringend indiziert wäre. Erste Hürden bezüglich Implementierung und Umsetzung sind inzwischen überwunden und einige Kliniken sind mit fast drei Jahren Erfahrung in der Durchführung in einer gewissen Routine angelangt, wobei Raum für die Diskussion inhaltlicher Fragestellungen entsteht.
Durch die im aufsuchenden Setting stattfindenden intensiven Patientenkontakte, sehen sich die multiprofessionellen Behandler-Teams täglich vor große Herausforderungen gestellt. Die individuellen Behandlungsbedürfnisse einzelner Krankheitsbilder gehen oftmals weit auseinander. Die Behandlung unterschiedlicher Diagnosegruppen erfordert somit eine hohe Kompetenz und Flexibilität der Behandler*innen. Die Herausforderung in der Behandlung vielfältiger Diagnosegruppen aus einem Team heraus, schätzen viele Mitarbeitenden sehr. Doch auch die Etablierung diagnosespezifischer StäB-Teams hat sich in der Praxis vielerorts bewährt. In diesem Symposium sollen Erfahrungen einzelner StäB-Teams mit spezialisiertem Fokus auf bestimmte Diagnosegruppen, wie die Schizophrenie oder mit dem Fokus auf Kinder- und Jugendpsychiatrisches oder gerontopsychiatrisches Klientel, zusammengetragen werden. Ebenso möchten wir auf Chancen in der Behandlung einzelner Diagnosegruppen, zum Beispiel mit akuten Suchtpatienten, fokussieren. Ein Erfahrungsaustausch soll auf mögliche Schwierigkeiten im Behandlungsverlauf vorbereiten und einen Beitrag dazu leisten vorhandene Vorbehalte in Bezug auf die Ausgrenzung einzelner Diagnosegruppen in StäB zu verringern. Mit dem Angebot von StäB kann also eine individuelle und leitliniengerechte Behandlung aller Diagnosegruppen im häuslichen Umfeld ermöglicht werden.
10:00 Uhr
StäB für Patienten mit psychotischen Erkrankungen
Dirk Wildgruber, Tübingen (Germany)
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Dirk Wildgruber, Tübingen (Germany)
Seit Januar 2019 wird in der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Tübingen eine stationsäquivalente Behandlung (StäB) für Menschen mit psychotischen Erkrankungen angeboten. Die Patient*innen werden dabei mit hoher Therapieintensität, äquivalent zur stationären Behandlung und entsprechend der aktuellen Empfehlungen der S3-Leitlinie „Schizophrenie“ (DGPPN, 2019) zuhause behandelt. Durch die Versorgung im häuslichen Umfeld besteht die Chance, alltagsrelevante Funktionseinschränkungen besser zu erkennen und zu behandeln. Darüber hinaus entstehen mehr Möglichkeiten, vorhandene Ressourcen zu erkennen und Angehörige einzubeziehen. Weiterhin wird eine verbesserte Versorgung für Patienten*innen ermöglicht, die bislang eine stationäre Behandlung ablehnten oder gegen ärztlichen Rat verkürzten (z.B. aufgrund von krankheitsbedingtem Misstrauen, Ängsten, Versorgung von Angehörigen und Haustieren) oder die in der Vorgeschichte bereits häufig in stationärer Behandlung waren, ohne dass eine nachhaltige Stabilität im häuslichen Umfeld erreicht wurde.
Die Behandlung wird durch ein mobiles multiprofessionelles Team durchgeführt (aktuell 225% Pflege, 100% Ärztin, 100% Psychologische Psychotherapeutin, 50% Ergotherapeutin, 25% Physiotherapeutin, 15% Sozialberatung). Die StäB-Patient*innen werden täglich (Montag – Sonntag) ein bis zweimal zuhause besucht. Bei der Behandlung von schwer- und schwerstkranken Patient*innen mit psychotischen Erkrankungen bestehen sehr komplexe Problemstellungen bei der Behandlungsplanung (z.B. bezüglich der Pharmakotherapie, der Psychotherapie sowie der sozialpsychiatrischen Hilfen). Dies macht eine besondere Expertise des Behandlungsteams erforderlich, um eine multimodale leitlinienkonforme Therapie erfolgreich umsetzen zu können. Aus diesen Gründen arbeiten wir mit einem spezialisierten Behandlungsteam mit störungsspezifischer Ausrichtung.
In dem Beitrag wird über den Aufbau des Teams und unsere Erfahrungen der ersten zwei Jahre berichtet.
10:12 Uhr
StäB in der Gerontopsychiatrie: Chancen und Herausforderungen?
Stefan Spannhorst, Stuttgart (Germany)
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Stefan Spannhorst, Stuttgart (Germany)
Seit 2018 ist es nach einer Novellierung des SGB V psychiatrischen Kliniken möglich, stationäre aufsuchende Behandlung (StäB) im Lebensumfeld psychiatrisch Erkrankter zu realisieren. Aus fachpsychiatrischer Sicht bietet die Behandlung gerontopsychiatrischer Patienten in ihrem Wohnumfeld und damit in ihren sozialen Kontexten viele Vorteile. Potentiell - gerade bei Demenz - delirogen wirkende Ortswechsel werden vermieden. Das Umfeld kann in Genesungsprozesse psychoedukativ besser eingebunden werden als in der Klinik. Viele akut behandlungsbedürftige Patienten mit Ablehnung einer psychiatrischen Klinikbehandlung können erreicht werden. Voraussetzung für ein Gelingen dieses Ansatzes ist ein auch in somatischen Erkrankungen erfahrenes und logistisch hoch flexibles multiprofessionelles Behandlungsteam. In den Jahren 2018 und 2019 konnten fast 200 Patienten, vornehmlich mit Demenz, durch StäB in der Gerontopsychiatrie am Klinikum Stuttgart, Zentrum für seelische Gesundheit, behandelt werden. In über der Hälfte der Fälle erfolgte die Behandlung im Pflegeheim. Mit unter 16 Tagen durchschnittlicher Verweildauer lag die Behandlungszeit unter der unserer vollstationär behandelten Patienten. Die zeitgleiche Behandlung von aktuell bis zu 10 Patienten stellt jedoch an eine effiziente Logistik und an die Auswahl geeigneter Settings besondere Herausforderungen.
10:36 Uhr
StäB bei Kindern, Jugendlichen, und Adoleszenten – Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Isabel Böge, Ravensburg (Germany)
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Isabel Böge, Ravensburg (Germany)
Stationsäquivalente Behandlung bei Kindern und Jugendlichen - die strukturellen Bedingungen sind gleich und doch stellen sich unterschiedliche Behandlungsansätze, Behandlungselemente und Problemlagen dar. Gerade im Bereich der Kinder- und Jugendpsychitrie ist der Einbezug der Familie und noch wichtiger der Geschwister und Peers in eine psychiatrische Behandlung essentiell für die Nachhaltigkeit des langfristigen Behandlungserfolgs. Ebenso ist die Möglichkeit der Beschulung/Integration in der Arbeitsalltag in der Behandlung für die langfristige Prognose psychisch erkrankter Kinder- und Jugendlicher essentiell, was über die Klinikschule, aber auch über aufsuchende Behandlung in der Heimatschule idealtypisch in StäB darstellbar ist. Bei psychischen Erkrankungen der Eltern können zudem Synergien zwischen StäB KiJu und StäB Allgemeinpsychiatrie hergestellt werden. In diesem Vortrag werden die Unterschiede des Behandlungsansatzes von StäB in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in der Altersgruppe 5 bis 21 Jahren auf der Basis von Erfahrungswerten seit 2017 dargestellt und in den Kontext der Grundbedingungen gestellt. Worauf liegt der Focus? Wie werden soziale Kompetenzen geschult? Gilt Angehörigenarbeit als Kontakt? Ist das Behandlunsgergebnis dem einer stationären Behandlung vergleichbar? Welche Kompetenzen braucht es im Team? Diese und anderen Fragen sollen beantwortet werden.