Neue Erkenntnisse zu den neurobiologischen Grundlagen von Alkoholproblemen wurden vor allem im Bereich der Neuropsychologie und der akuten und chronischen Alkoholwirkungen auf die relevanten Neurotransmittersysteme gewonnen. Sie begründen ein vertieftes Verständnis der Krankheitsentstehung und des Krankheitsverlaufs. Die Behandlung besteht in einer individuell konzipierten Kombination ambulanter, teilstationärer oder stationärer Maßnahmen. Sie reichen vom ärztlichen Ratschlag über die „Qualifizierte Entzugsbehandlung“ zur pharmakologischen und psychotherapeutischen Rückfallprophylaxe und der stationären Langzeit-Rehabilitationsbehandlung. Hierzu liegen inzwischen umfangreiche S3 Leitlinien vor. Unter den aktuellen Therapiebedingungen lassen sich Abstinenzquoten von 50 - 60% über ein Jahr erzielen. Allerdings stellt sich aufgrund neuer Befunde die Frage, ob Abstinenz immer das einzige Therapieziel sein muss. Eine Reduktion wurde bereits früher mittels verhaltenstherapeutischer Verfahren beschrieben und kann auch pharmakologisch unterstützt werden.
Das Diagnostische und Statistische Manual (DSM-5) der amerikanischen Psychiatriegesellschaft hat die Diagnosen im Bereich der Sucht wesentlich verändert: Die Begriffe Abhängigkeit und Abusus bzw. schädlicher Gebrauch werden aufgegeben; die neue Diagnose „Alkoholbezogene Störungen“, umfasst beides in einem dimensionalen Ansatz. Über die Anzahl der diagnostischen Kriterien wird eine Schweregradeinteilung möglich.
Zusammengefasst bilden die genannten Fortschritte die Grundlage für ein intensiviertes Engagement der in die Suchtbehandlung einbezogenen Therapeuten. Gegenstand des Symposiums sind die neurobiologischen Grundlagen und die neuen praktischen Aspekte für die Umsetzung aktueller Erkenntnisse.
08:30 Uhr
Entwicklung und Aufrechterhaltung der Alkoholabhängigkeit
Andreas Heinz, Berlin (Germany)
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Autor:in:
Andreas Heinz, Berlin (Germany)
Wesentliche neurobiologische Korrelate der wichtigsten Symptome der Alkoholabhängigkeit konnten identifiziert werden, die Einfluss auf unsere Therapiekonzepte haben. Genetische Untersuchungen im Tiermodell und beim Menschen weisen darauf hin, dass ein erniedrigter Serotonin- und ein erhöhter Glutamatumsatz zur Empfindlichkeit gegenüber der akuten Alkoholwirkung, zur Aggressivität unter Alkohol und zum erhöhten Konsum beitragen können. Chronische Alkoholeinnahme ist von einer veränderten Zusammensetzung der erregend wirkenden, glutamatergen NMDA Rezeptoren und der hemmend wirkenden GABA-A Rezeptoren begleitet, die zur Toleranzentwicklung führen und bei plötzlichem Absetzen der Droge Alkohol Entzugssymptome auslösen. Tiermodelle und Untersuchungen beim Menschen belegen die wichtige Rolle des dopaminerg innervierten, sogenannten „Belohnungssystems“ bei alkoholbedingten Störungen, aber auch bei anderen Suchterkrankungen sowie bei Adipositas. Hier zeigt sich ein verstärktes Ansprechen auf die unmittelbare, alkohol-assoziierte Belohnung und eine verminderte Aktivierung bei anderen, z.B. sozialen Verstärkern. Eine verringerte Interaktion zwischen Kernregionen des Belohnungssystems wie dem ventralen Striatum und dem dorsolateralen präfrontalen Kortex, der für die Handlungssteuerung zuständig ist, korreliert mit einer verringerten Lerngeschwindigkeit bei positivem und negativem Feedback und erschwert es entgifteten Patienten, alternative, nicht suchtbezogene Verhaltensweisen zu erlernen. Die alkoholbezogenen Veränderungen tragen zu einem weitgehend „gewohnheitsmäßig“ ablaufenden Alkoholkonsum bei und können durch neue verhaltenstherapeutische Trainingsprogramme und einzelne Medikamente gezielt beeinflusst werden.
09:00 Uhr
Evidenzbasierte Therapie der Alkoholabhängigkeit
Falk Kiefer, Mannheim (Germany)
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Autor:in:
Falk Kiefer, Mannheim (Germany)
Die psychiatrische und psychotherapeutische Betreuung von Patienten mit Alkoholproblemen bietet neue Chancen für niedergelassene Kolleginnen und Kollegen. Angesichts der Prävalenzzahlen mit ca. 4 Mio. Betroffenen ist der Beratungs- und Behandlungsbedarf enorm hoch und kaum gedeckt. Da sich zugleich die Therapiemöglichkeiten in den letzten Jahren entscheidend erweitert haben, bieten sich im Bereich der Behandlung der Alkoholabhängigkeit große Herausforderungen und Chancen.
Aufbauend auf den neurobiologischen Befunden in Zusammenhang mit dem Rückfallgeschehen und den evidenzbasierten Behandlungsleitlinien lassen sich Therapiestrategien für die Pharmakotherapie und für die Psychotherapie ableiten. Therapeutisches Ziel ist weiterhin die Abstinenz, allerdings zunehmend in differenten Patientengruppen ergänzt durch das Therapieziel der Trinkmengenreduktion. Dies wird im Lichte der aktuellen Versorgungssituation diskutiert.
Die Psychotherapie stützt sich insbesondere auf die „motivierende Gesprächsführung“. Dabei wird der häufig vorhandene Ambivalenzkonflikt des Patienten aufgegriffen mit dem Ziel einer Verhaltensänderung. Psychotherapieverfahren wie das Reizexpositionstraining oder die kognitive Verhaltenstherapie zeigen positive Effekte zumindest in Untergruppen der Patienten.