In der Alltagssprache werden die Begriffe und „traumatisiert“ und „Trauma“ häufig genutzt, um die Erschütterung durch ein stattgehabtes Erlebnis zu verdeutlichen. Der umgangssprachliche Gebrauch des Begriffes Trauma unterschlägt aber, dass selbst nach einem potentiell traumatischen Erlebnis nur ein kleinerer Teil Betroffener (Männer 8 %, Frauen 20 %) an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) erkrankt. Das Risiko, eine PTBS zu verursachen, beträgt gemessen an allen Traumaarten nach einer WHO Studie lediglich 4% (Liu 2017). Prägende Vorerfahrungen, soziale Bedingungen oder Beistand nach der potentiellen Traumatisierung haben genauso Einfluss darauf, ob und wie jemand erkrankt (Perkornigg 2000, Werner 2012) wie Art, Anzahl und Ausmaß des Erlebten. Traumatische Vorerfahrungen sind im psychiatrischen Kontext allerdings häufig. Bei Psychosen, Suchterkrankungen und Depressionen findet sich nicht selten Komorbidität mit PTBS. Der Umgang mit traumaspezifischer Diagnostik und das Wissen um traumafokussierte Versorgungsmöglichkeiten sollte somit Standard im psychiatrischen Alltag sein. Im Symposium setzt sich Julia Schellong mit dem Traumabegriff im historischen Bedeutungswandel sowie mit dessen Einordnung in wissenschaftliche Interpretationsmuster und aktuelle Klassifikationssysteme auseinander. Ingo Schäfer differenziert welche psychischen Störungen aktuell als „Traumafolgen“ verstanden werden und welche Bedeutung Traumatisierungen bei weiteren Erkrankungen haben, Gustav Wirtz beschreibt die empfohlene Diagnostik von Traumatisierungen in psychiatrischen Settings und Ulrich Frommberger legt den Behandlungsbedarf von Traumatisierungen und dessen Implikationen für die ambulante und stationäre psychiatrische Versorgung dar.
14:30 Uhr
Der Traumabegriff
Julia Schellong, Dresden (Germany)
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Autor:in:
Julia Schellong, Dresden (Germany)
Hintergrund: Der Begriff „psychisches Trauma“ entfacht seit seiner Einführung Mitte des 19. Jahrhunderts kontroverse Diskussionen. Innerhalb der aktuellen Klassifikationssysteme ist ein Wandel in der Begriffsdefinition zu beobachten. Oft wird bei nachwirkenden seelischen Erschütterungen nicht beachtet, zwischen dem Ereignis selbst und dessen Folgeerscheinung zu differenzieren.
Methode: Nach einem Überblick über die historischen Bewegungen im Einsatz des Traumabegriffs und psychischer Folgestörungen wird der Traumabegriff in den aktuellen Klassifikationssystemen sowie die aktuelle Literatur zu möglichen Folgen unterschiedlicher Traumaarten beleuchtet.
Ergebnis: Die Zuschreibung eines Erlebnisses als „traumatisch“ war von Beginn an eng mit kulturellen sowie gesundheits- und sozialpolitischen Gegebenheiten verwoben. Auch psychische Folgen von Kindesmisshandlung und Kindesmissbrauch wurden bereits früh beschrieben, doch bis zur Anerkennung als Entität mit pathogenem Krankheitswert bedurfte es erst der wiederholten Eröffnungswellen Betroffener und der neurowissenschaftlichen Forschung der letzten Jahre. Das Risiko eine PTBS zu verursachen, ist gemessen an allen Traumaarten im Überblick nicht hoch. Es wird beeinflusst von prägenden Vorerfahrungen, sozialen Bedingungen sowie von Art, Anzahl und Ausmaß des Erlebten. Aktuelle medizinische Klassifikationssysteme grenzen auslösende Ereignisse, die zu einer PTBS führen können, streng ein.
Schlussfolgerung: Traumatisch im Sinne eines seelischen Schocks oder psychischen Nachhalls wird ein Erlebnis durch die individuelle Reaktion darauf. Für das klar abgegrenzte Krankheitsbild der Posttraumatischen Belastungsstörung stehen gut evaluierte Diagnosekriterien auch bezüglich des auslösenden Ereignisses zur Verfügung.
14:40 Uhr
Welche psychischen Störungen sind Traumafolgen?
Ingo Schäfer, Hamburg (Germany)
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Autor:in:
Ingo Schäfer, Hamburg (Germany)
Einleitung: In den aktuellen Revisionen der Klassifikationssysteme bilden Erkrankungen wie die Posttraumatische Belastungsstörung die Kategorie der „Trauma- und stressassoziierten Störungen“. Auch bei schweren dissoziativen Störungen stehen frühe Traumatisierungen im Mittelpunkt der gängigen Krankheitsmodelle. Inzwischen konnte jedoch gezeigt werden, dass traumatische Erlebnisse, besonders interpersonelle Traumatisierungen in Kindheit und Jugend, auch für die Entstehung und den Verlauf weiterer psychischer Erkrankungen relevant sind. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche psychischen Erkrankungen als Traumafolgestörungen konzeptualisiert werden sollten.
Methode: Im Vortrag werden empirische Befunde zum ätiologischen Beitrag traumatischer Erfahrungen zu unterschiedlichen psychischen Erkrankungen sowie zum Einfluss auf deren Symptomatik präsentiert und Konsequenzen für die psychiatrische Praxis diskutiert.
Ergebnisse/Diskussion: In epidemiologischen Untersuchungen zeigen sich Zusammenhänge zwischen frühen Traumatisierungen und der Entstehung der meisten psychischen Erkrankungen, die auch nach Kontrolle weiterer Risikofaktoren bestehen bleiben. Ätiologische Modelle verweisen unter anderem auf die neurobiologischen Folgen früher Traumatisierungen, sowie auf kognitive und emotionale Prozesse. Über alle Störungsbilder hinweg finden sich bei Betroffenen typische Folgen früher Traumatisierungen, etwa ein höheres Ausmaß an Depressivität, Ängstlichkeit, dissoziativer Symptomatik und Substanzkonsum, die zu komplexeren Syndromen und schweren Verläufen beitragen. Aufgrund dieser Zusammenhänge kann ein Teil schwerer psychischer Erkrankungen unabhängig von der Primärdiagnose als Traumafolgestörungen interpretiert werden. Therapeutische Konzepte für die betroffenen Patientinnen und Patienten sollten durch Ansätze aus dem Bereich der Traumatherapie ergänzt werden, die inzwischen an verschiedene Störungsbilder adaptiert wurden.