Wenn es um die Reduktion von Zwang in psychiatrischen Kliniken geht, werden häufig kontextuelle Einflussfaktoren untersucht und komplexe Interventionen entwickelt, die auf Team- oder Klinikebene ansetzen. Individuelle Faktoren aufseiten der psychiatrischen Professionellen stellen in diesem Kontext hingegen einen häufig vernachlässigten und unbekannten Faktor dar. Dabei ist davon auszugehen, dass (explizite oder implizite) Einstellungen, Persönlichkeitseigenschaften oder auch persönliche Erfahrungen der psychiatrischen Professionellen eine zentrale Rolle beim Umgang mit gefährdenden Personen und bei der Entscheidung für oder gegen die Anwendung von Zwang spielen. Die „Haltung“ der psychiatrischen Professionellen wird häufig als relevanter Ansatzpunkt zur Reduktion von Zwangsmaßnahmen in psychiatrischen Institutionen angesehen.
Vor diesem Hintergrund widmet sich dieses Symposium gezielt dem Zusammenhang von individuellen Faktoren aufseiten der psychiatrischen Professionellen und der Anwendung von Zwang. Dabei sollen verschiedene Aspekte sowohl aus theoretischer Perspektive als auch hinsichtlich aktueller empirischer Erkenntnisse beleuchtet werden. Hierbei geht es zum einen darum zu untersuchen, inwieweit Einstellungen neben Persönlichkeitseigenschaften die Entscheidung über die Anwendung von Zwangsmaßnahmen beeinflussen, aber auch wie sich solche Einstellungen entwickeln und möglicherweise verändert werden können.
14:30 Uhr
Inwieweit werden Einstellungen zu Zwang von persönlichen Erfahrungen beeinflusst?
Matthias Jäger, Liestal (Switzerland)
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Autor:in:
Matthias Jäger, Liestal (Switzerland)
Die fachliche Diskussion um die Reduktion von Zwang und Gewalt in der Psychiatrie verläuft aufgrund zunehmender Versachlichung und verfügbaren Forschungsergebnissen und daraus abgeleiteten Leitlinien in den letzten Jahren etwas weniger polarisiert und emotional. Die Haltung, dass Zwangsmassnahmen inhärent zur psychiatrischen Behandlung gehören wird in dieser verallgemeinerten Haltung kaum noch angetroffen. Gleichwohl ist ein grosser Teil der in der Psychiatrie tätigen Fachpersonen der Meinung, dass Zwang nicht vollständig vermeidbar ist. Die Einstellung zu verschiedenen, sowohl formeller, rechtlich geregelter, als auch informeller Zwangsmassnahmen variiert zwischen verschiedenen Berufsgruppen sowie zwischen Betroffenen, Angehörigen und Fachpersonen. Die Gepflogenheiten in der Anwendung von Zwangsmassnahmen in verschiedenen Regionen scheinen dabei eine wesentliche Rolle zu spielen. Ebenso sind persönliche Erfahrungen bei Fachpersonen mit der Einstellung zu Zwangsmassnahmen assoziiert. In diesem Beitrag werden Studienergebnisse aus der Schweiz und anderen Ländern zu diesem Themenkomplex dargestellt und diskutiert.
14:45 Uhr
Der Einfluss von Einstellungen und Persönlichkeitseigenschaften auf die Entscheidung für oder gegen Zwang – Ergebnisse einer empirischen Studie mit psychiatrischen Professionellen
Simone Agnes Efkemann, Bochum (Germany)
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Simone Agnes Efkemann, Bochum (Germany)
Hintergrund: Trotz gesetzlicher Regelungen verfügen psychiatrische Professionelle über einen gewissen Entscheidungsspielraum bei der Anwendung von freiheitsentziehenden Maßnahmen. Bisher ist wenig über Aspekte bekannt, die diesen Entscheidungsprozess beeinflussen. Einige individuelle Faktoren, wie persönliche Erfahrungen, Persönlichkeitseigenschaften und Einstellungen, scheinen jedoch einen Einfluss auf die Entscheidung der psychiatrischen Professionellen in bestimmten Situationen zu haben.
Ziel: Die Untersuchung des Einflusses von verschiedenen Persönlichkeitseigenschaften und Einstellungen zur Anwendung von Zwang auf die klinische Entscheidungsfindung hinsichtlich freiheitsentziehender Maßnahmen.
Methodik: Nach einer Validierung einer deutschsprachigen Version der “Staff Attitudes towards Coercion Scale” (SACS) wurde diese eingesetzt, um kognitive Einstellung zur Anwendung von Zwang zu erheben. Zudem wurden verschiedene Persönlichkeitseigenschaften wie die Big Five, die Wahrnehmung von Aggression sowie das Bedürfnis nach kognitiver Geschlossenheit erfasst. Die Entscheidungen der psychiatrischen Professionellen für oder gegen die Anwendung von Zwangsmaßnahmen wurden mittels Fallvignetten abgefragt.
Ergebnisse: Im Vortrag werden vorläufige Ergebnisse hinsichtlich des Zusammenhangs aus Einstellungen zur Anwendung von Zwang, Persönlichkeitseigenschaften und der klinischen Entscheidungsfindung präsentiert. Zudem werden daraus folgende Implikationen für die klinische und ethische Praxis sowie Möglichkeiten zur Veränderung der Einstellungen von Mitarbeitern diskutiert.