Im psychiatrischen Kontext kommt es, analog zum gesellschaftlichen Diskurs, vermehrt zur Debatte über den Umgang mit Gewalt und Aggressionen und zu einem steigenden Bedürfnis nach Sicherheitsmaßnahmen. Obwohl Studien andere Befunde liefern, nimmt die subjektive Wahrnehmung von Gewalt psychiatrischer Patient*innen gegenüber Mitarbeitenden und anderen Personen zu. Deshalb werden u.a. Sicherheitsdienste auf psychiatrischen Stationen eingesetzt und restriktive psychiatrische Konzepte umgesetzt. Hintergrund ist eine steigende gesellschaftliche Sensibilisierung für die Themen Gewalt und Aggression. In diesem Symposium werden Hintergründe des zunehmenden Sicherheitsbedürfnisses, daraus abgeleitete Maßnahmen für die psychiatrische Versorgung sowie Konsequenzen für die therapeutische Grundhaltung Mitarbeitender, die Wahrnehmung der Patient*innen, das Stationsmilieu und die Behandlungsverläufe diskutiert. D. Richter beleuchtet anhand empirischer und theoretischer Analysen das gewandelte Erleben von Sicherheit und Aggressionsrisiken über die letzten Jahrzehnte im Kontext gesellschaftlicher Veränderungen. L. Mahler diskutiert anhand aktueller Studien Risikofaktoren für Gewalteskalationen und Zwangsmaßnahmen sowie Konzepte und Maßnahmen, die Gewalt, Aggressionen und Zwangsmaßnahmen reduzieren und zur größeren Sicherheit im akutpsychiatrischen Bereich beitragen. M. Jäger diskutiert Haltungen und Einstellungen psychiatrischer Fachpersonen gegenüber dem Gefährdungspotential psychiatrischer Pat. und stellt Risikoassessment sowie Sicherheitsmaßnahmen anhand von Konzepten und Studienergebnissen dar. Mit A. Nienaber reflektiert die Perspektive der psychiatrischen Pflege. Gerade für Pflegende, die häufig mit Gewaltsituationen konfrontiert sind, ebenso wie für Patient*innen und deren Angehörige ist Sicherheit ein wichtiges Thema. Der Vortrag beschäftigt sich damit, was Sicherheit für die jeweils Beteiligten bedeutet und wie sie in der psychiatrischen Versorgung hergestellt werden kann.
10:00 Uhr
Sicherheitserleben im gesellschaftlichen Wandel
Dirk Richter, Bern (Switzerland)
Details anzeigen
Autor:in:
Dirk Richter, Bern (Switzerland)
Im gesamten Gesundheitswesen wird seit längerem eine verstärkte Nachfrage nach Sicherheitsleistungen registiert. Viele Mitarbeitende fühlen sich zunehmender Aggression und körperlicher Gewalt durch Nutzende, Angehörige und Besuchende ausgesetzt. Die Datenlage entspricht dieser Wahrnehmung interessanterweise nicht. Der Beitrag berichtet über verschiedene Studien und diskutiert das Auseinanderklaffen des Erlebens und der Datenlage. Es wird die Hypothese vertreten, dass sich eine verstärkte subjektive Verletztlichkeit durch verschiedene gesellschaftliche Entwicklungen eingestellt hat.
10:20 Uhr
Sicherheitsrisiko: Wie Stigma die Stationstüren schließt
Matthias Jäger, Liestal (Switzerland)
Details anzeigen
Autor:in:
Matthias Jäger, Liestal (Switzerland)
Die Haltung der in der Psychiatrie tätigen Fachpersonen prägt zu einem wesentlichen Teil den Umgang mit psychisch akut erkrankten Menschen sowie mit Risiken, Aggressivität und fremdgefährdendem Verhalten. Die Überzeugung, dass von schwer psychisch erkrankten Personen eine erhöhtes Gefährdungsrisiko ausgeht, dass impulsives und unvorhersehbares Verhalten droht, führt zu risikoaversiven Massnahmen. Eine bedürfnisorientierte Grundhaltung, die versucht nachzuvollziehen, aus welcher Motivation dysfunktionales Verhalten entsteht, kann zu einer risikoneutraleren bzw. gelasseneren Haltung in dieser Hinsicht führen und dabei helfen, Sicherheits- und Zwangsmassnahmen zu reduzieren. Hierdurch kann auch im akutpsychiatrischen Setting ein deeskalatives Milieu geschaffen und dem therapeutischen Aspekt in diesen oft herausfordernden Interaktionen den ihm zustehenden prioritären Raum gegeben werden. Stetige Reflexion über die eigenen Einstellungen sowie latente Stigmatisierung bei den Mitarbeitenden, Professionalität und Erfahrung im interprofessionellen Team sind notwendige Voraussetzungen für eine solche Arbeitsweise in der Akutpsychiatrie.
In diesem Beitrag werden konzeptuelle Überlegungen und Studienergebnisse zu Haltungen und Einstellungen psychiatrischer Fachpersonen gegenüber Gefährdungspotential, Risikoassessment und Sicherheitsmaßnahmen im akutpsychiatrischen Setting diskutiert.