Für die psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung und Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen in Deutschland ergeben sich aus dem Umstieg von ICD-10(GM) auf ICD-11 verschiedene Vorteile, aber auch individuelle, systembezogene, therapeutische, gesundheitsökonomische und versorgungsbezogene Herausforderungen, welche in dem Symposium an klinischen Beispielen analysiert werden. Mögliche Herausforderungen betreffen u.a. das Mapping von diagnostischen Kategorien in ICD-10(GM) auf ICD-11 (und umgekehrt), Änderungen in Diagnosekriterien, neue diagnostische Kategorien, veränderte Prävalenzraten, erhöhten Kodieraufwand durch mögliches Komplexcoding und evtl. hiermit verbundene Kosten, Konsequenzen fehlender longitudinaler Diagnosekonsistenz für Schließlich Versorgungskonzepte, sowie erhöhten Trainingsbedarf bzgl. Diagnostik und Kodierung. Chancen liegen insbesondere in einer kategorial stärker präzisierten und dimensional individualisierten Klassifikation (z.B. durch Verlaufs-, Symptom- und Traitqualifier). Der Umstieg auf ICD-11 kann somit zu einer differenzierteren Symptom- und Verlaufsbeurteilung sowie - durch damit ermöglichte gezieltere Zusatzdiagnostik und therapeutische Indikationsstellung - zu einer optimierten Behandlungs- und Versorgungsqualität beitragen.
Im Rahmen einer allgemeinen Einführung zur Entwicklung der ICD-11, zur Metastruktur des neuen Kapitels 6 „Mental, Behavioural or Neurodevelopmental Disorders“ sowie störungs- übergreifenden wie -spezifischen Änderungen gegenüber Kapitel V(F) der ICD-10(GM) Psychischer und Verhaltensstörungen mit möglichen Auswirkungen auf die diagnostische Konsistenz (caseness) im Übergang der beiden Klassifikationsversionen und die Methoden zur Übergangsanalyse, wird Ulrich Vogel (Köln) Chancen und Herausforderungen der ICD-11 darstellen. Andreas Heinz (Berlin) wird aus Perspektive der DGPPN auf mögliche Auswirkungen auf die Versorgung in Deutschland am Beispiel Psychischer und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen in ICD-11 gegenüber ICD-10(GM) eingehen. Mit dem Kapitel der Affektiven Störungen in ICD-11, u.a. mit Einführung der Bipolar Type II Disorder, und resultierenden Chancen und Herausforderungen beschäftigt sich der Beitrag von Peter Falkai (München). Am Beispiel des Kapitels Schizophrenie und anderer primärer psychotischer Störungen der ICD-11 stellt Wolfgang Gaebel (Düsseldorf) neue diagnostische Kriterien und Leitlinien sowie Merkmale zur Symptom-, Schweregrad- und Verlaufscharakterisierung und deren Konsequenzen für Therapie und Versorgung vor.
14:30 Uhr
Umstieg von ICD-10-GM auf ICD-11 für Psychische und Verhaltensstörungen: Chancen und Herausforderungen
Ulrich Vogel, Köln (Germany)
14:40 Uhr
Der Umstieg auf ICD-11 aus Sicht der DGPPN am Beispiel Psychischer und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen
Andreas Heinz, Berlin (Germany)
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Autor:innen:
Andreas Heinz, Berlin (Germany)
Stefan Gutwinski, Berlin (Germany)
Beim geplanten Umstieg auf ICD-11 verändern sich zentralen Kriterien der Diagnostik der Abhängigkeit von psychotropen Substanzen. Mussten bisher 3 von 6 Kriterien erfüllt werden, um eine Abhängigkeitserkrankung zu diagnostizieren, sind dies künftig nur 2 Kriterien von 3, wobei die bisherigen 6 Kriterien paarweise zu diesen neuen 3 Kriterien zusammengefasst wurden. Grundsätzlich bleiben dabei die bisherigen Kriterien erhalten, d.h. Toleranzentwicklung und Entzugssymptomatik bilden ein neues Kriterienpaar, das starke Verlangen nach der Substanz und die Kontrollminderung bilden das zweite Paar, und das dritte Kriterienpaar ist etwas heterogen aus dem schädlichen Gebrauch und der Interferenz mit sonstigen Aktivitäten zusammengesetzt. Die Diagnoseschwelle könnte aber durch die neue Kombination sinken, sodass weniger schwer betroffene Personen künftig eine Abhängigkeitsdiagnose erhalten. Eine weitere relevante Änderung betrifft die Klassifikation von Coffein, das zukünftig nur noch bezüglich seiner Entzugssymptomatik und nicht mehr als abhängig machende Substanzen aufgelistet wird. Auch hier ergeben sich epidemiologisch relevante Konsequenzen. Neue werden im ICD-11 pathologisches Glücksspielen und pathologisches Spielen aufgeführt, sowie eine vermutlich vage und dadurch möglicherweise problematische Kategorie des gefährlichen Substanzgebrauchs, die außerhalb des psychiatrischen Diagnosekataloges aufgeführt wird.
14:50 Uhr
Affektive Störungen im Umstieg auf ICD-11: Was ist neu, was sind Chancen und Herausforderungen?
Peter Falkai, München (Germany)
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Autor:in:
Peter Falkai, München (Germany)
Aus dem Umstieg von ICD-10(GM) auf ICD-11 ergeben sich für die psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung und Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen in Deutschland verschiedene Vorteile aber auch Herausforderungen, welche in diesem Symposium an klinischen Beispielen analysiert werden. Dieser Beitrag beschäftigt sich mit den Affektiven Störungen in ICD-11, u.a. mit Einführung der Bipolar Type II Disorder als neuer Diagnosekategorie, und beleuchtet u.a. Kriterien wie Analysebedarf oder praktische Relevanz.
15:00 Uhr
Schizophrenie und andere primäre psychotische Störungen in der ICD-11: Konsequenzen in Therapie und Versorgung?
Wolfgang Gaebel, Düsseldorf (Germany)
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Autor:in:
Wolfgang Gaebel, Düsseldorf (Germany)
Einführung veränderter diagnostischer Symptomkriterien (de-emphasis of 1st rank symptoms), von Symptomqualifika-toren (positive, negative, depressive, manic, psychomotor, cognitive symptoms), mit Schweregradgewichtung (0-3) und Verlaufsqualifikatoren (first/multiple episode(s)/continuous, currently symptomatic, in partial/full remission) für Schizophrenie (und alle weiteren Kategorien des Subkapitels) sowie Verzicht auf Subtypen, die in Übereinstimmung mit dem aktuellen update der nationalen S3-Leitlinie Schizophrenie (unter Federführung der DGPPN) und den aktuell in Entwicklung durch IQTIG/GBA begriffenen Qualitätsindikatoren fuer die Versorgung von Menschen mit Schizophrenie (und anderen primären psychotischen Störungen) zu einer stärker (dimensional) individualisierten und besser (kategorial) qualifizierten Dokumentation beitragen und damit eine bessere Behandlungs- und Versorgungsqualität durch differenzier-tere Verlaufsbeurteilung und Prognostik sowie durch damit verbundene gezieltere Zusatzdiagnostik und therapeutische Indikationsstellung i.S. der Leitlinienempfehlungen und Qualitätsindikatoren ermöglichen. Potentielle Problembereiche durch neue Diagnose-, Symptom- und Verlaufskriterien, wie:
- ggf. veränderte (höhere?) Prävalenz der Indexdiagose(n) mit resultierenden Problemen der "Caseness" (Mapping von ICD-10GM auf ICD-11)?
- höherer Dokumentationsaufwand (mögliches Komplexcoding) trotz digitalem ICD-11 Coding Tool zur automatisierten post-coordination?
- resultierende höhere Kosten: diagnostisch durch Prävalenzveränderung, codiertechnisch durch höheren Zeitaufwand?
- sowie weitere Problembereiche aus den Ergebnissen der deutschen Online-Feldstudien der DGPPN (Gaebel et al. 2018, Fortschr Neurol Psychiatr 86:163–171);
werden hinsichtlich erforderlicher Analyseschritte und Maßnahmen zum Umstieg auf ICD-11 vorgestellt und diskutiert.