Eine aktuelle Übersichtsarbeit und Metaanalyse (MA) [2], nach der 33,1% aller depressiven Erkr. und 25,6% aller Angsterkr. mit Autoimmun-Thyreoiditis (AIT) assoziiert seien, belebte die Diskussion um den Einfluss von AIT und Schilddrüsen(SD)-Autoantikörpern auf psychische Erkrankungen.
T. Bschor erläutert pathophysiologische Zusammenhänge und definiert die Begriffe (euthyreote) AIT und latente/manifeste Autoimmun-Hypo-/Hyperthyreose, deren unscharfe Verwendung zu Verzerrungen führt. Er stellt prospektive Studien zu SD-Hormonen in der Behandlung affektiver Erkrankungen dar, hierunter auch eine eigene unveröffentlichte doppelblinde RCT zum Vergleich von Thyroxin-Hochdosis mit Thyroxin-T3-Kombination.
G. Schwarzer stellt methodische Probleme dar [1]. Zu berücksichtigen ist, dass in der aktuellen MA [2] 85 % der Studienteilnehmer aus einer einzigen (negativen) Studie kamen, dass der große Anteil sehr kleiner Studien eine (zusätzliche) Fixed-effects-Analyse rechtfertigt und dass eine Verzerrung durch unveröffentlichte Studien wahrscheinlich ist (mit einer Trim-and-fill-Analyse lässt sich eine Korrektur berechnen). Große epidemiologische Studien bieten ein realistischeres Bild des Zusammenhangs; kleine Fall-Kontroll-Studien aus Spezialambulanzen (die einen weit höheren Zusammenhang zeigen) sollten nicht überbewertet werden. Unter Berücksichtigung dieser Faktoren zeigt sich keine statistisch signifikante Assoziation zwischen AIT und Depressionen/Angsterkrankung.
C. Baethge stellt neue und eigene systematische MA zum Thema vor. Die in [2] ermittelte Odds ratio von über 3 stellt sich unter Berücksichtigung adäquater Studien zwischen 1 und 2 dar. Die hohen Prozentzahlen affektiver Störungen, die mit Hypothyreose in Verbindung gebracht wurden, erscheinen in diesem Licht nicht plausibel. Es könnte ein Irrweg sein, beide Erkrankungsgruppen automatisch zusammenzudenken.
1. Baethge C (2018) JAMA Psychiatry 75:1204
2. Siegmann EM et al. (2018) JAMA Psychiatry 75:577-584
13:00 Uhr
Schilddrüse und affektive Erkrankungen: pathophysiologische Zusammenhänge und Therapiestudien mit SD-Hormonen
Tom Bschor, Berlin (Germany)
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Autor:in:
Tom Bschor, Berlin (Germany)
Thyroxin (L-T4) und Trijodthyronin (T3) entfalten ihre Wirkung im gesamten Körper inkl. ZNS. Ihre Wirkung ist unspezifisch stoffwechselaktivierend, vermutlich auch auf pharmakologische Effekte. Das durch das zentralnervöse TRH gesteuerte TSH der Hypophyse ist der entscheidende Stimulus zur Ausschüttung von L-T4 und T3, die wiederum durch negative Rückkopplung die TRH- und TSH-Ausschüttung bremsen. Autoimmun-Thyreoiditiden (AIT) sind eine häufige Form der Störung dieses Regelkreises. Sie werden durch den Nachweis von Autoantikörpern (Ak) gegen Antigene dieses Regelkreises diagnostiziert. Wenn durch kompensatorische TSH-Erhöhung bzw. -Erniedrigung L-T4 und T3 noch im Normbereich gehalten werden können, spricht man von latenter, bei L-T4- oder T3-Abweichungen von manifester oder klinischer Hypo-/Hyperthyreose.
Als euthyreote AIT wird der Nachweis von Ak bezeichnet, wenn SD-Hormone und TSH normwertig sind. Auch hier kann klinische Symptomatik bestehen, was darauf hinweist, dass die Ak nicht nur an SD-Gewebe wirksam sind. Beispiele sind die Hashimoto-Enzephalitis, die auch bei Euthyreose symptomatisch sein kann, und die Orbitopathie beim M. Basedow. Zu fragen ist daher nach dem Zusammenhang von AIT und psychischen Erkrankungen.
Besonders intensiv wurden affektive Erkrankungen und Angsterkrankungen untersucht. Einige Studien fanden ein gehäuftes Auftreten latenter Hypothyreosen oder von AIT und ein Abfall der SD-Hormone unter verschiedenen antidepressiven Behandlungsformen. Kontrollierte und nicht-kontrollierte Therapiestudien mit T3, mit supraphysiologischen L-T4-Dosierungen und mit T3/ L-T4-Kombinationen ergaben teilweise positive Effekte, in manchen Studien vor allem bei Frauen. Neben größeren und methodisch rigoroseren Therapiestudien ist die statistisch präzise Auswertung der epidemiologischen Studien entscheidend, um den Zusammenhang von psychischen Erkrankungen und AIT besser zu verstehen.
13:30 Uhr
Neue Daten und systematische Metaanalysen zum Zusammenhang von Autoimmun-Thyreoiditis/Schilddrüsen-Autoantikörpern und affektiven und Angsterkrankungen
Christopher Baethge, Köln (Germany)