1979 gründete Jon Kabat-Zinn an der Massachusetts Medical School in Worcester/USA die Stress Reduction Clinic. Dort entwickelte er in den folgenden Jahren das Training der Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR) und unterrichtete seine Schüler und später auch Patienten.
Im Laufe der Entwicklung des MBSR (deutsch: Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion) -„Konzepts“ wurde die Methode in den USA an tausenden von Schülern, Klienten, Patienten, Ärzten und andere in der Verantwortung für Menschen Tätige erprobt. Es entstanden zahlreiche Einrichtungen an verschiede¬nen Kliniken sowie Zentren und Forschungsinstitute.
Nach Europa gelangte MBSR vor etwa 16 Jahren. In Deutschland gibt es inzwischen „Institute für Achtsamkeit“, u.a. in Köln und Essen, Freiburg, Frankfurt sowie zahlreiche Forschungsschwerpunkte, z.B. an den Universitätskliniken Freiburg, München, Hamburg und Berlin. Weitere medizinische Einrichtungen und wissenschaftliche Arbeitsbereiche bestehen in Köln, Erfurt, Erlangen sowie im Klinikum Essen Mitte in der Klinik für Naturheilkunde und Integrati¬ve Medizin. Ein Europäisches Zentrum für Achtsamkeit (EZfA) hat in Freiburg seinen Sitz. Deutschlandweit geben MBSR-Lehrer Kurse in Kliniken, Schulen und Einrichtungen des Öffentlichen Lebens. Zunehmend interessiert sich auch die Industrie für das Thema (Google, SAP…). Im therapeutischen Bereich sind weitere Angebote entstanden, so MBCT (Mindfulness-Based Cognitive Therapy), MBE (Mindfulness-Based Eating) oder MBAT (Mindfulness-Based Addiction Therapy). Begriffe wie Mitgefühl, Empathie, Gleichmut und Mitfreude sind essentielle Bestandteile von Angeboten wie MBCL (Mindfulness-Based Compassionate Living) oder MSC (Mindful Self Compassion), in Sachen Schmerz gibt es ein am englischen Vorbild „Breathworks“ angelehntes Angebot namens MBPM (Mindfulness-Based Pain Management), das in Kursform auch in Deutschland angeboten wird.
Was Achtsamkeit nicht ist: Achtsamkeitsübungen (nach MBSR) sind nicht etwa ein „neues Konzept“. Es handelt sich nicht um eine Therapie im eigentlichen Sinne, spirituell-religiöse Ausrichtungen sind für das Training nicht erforderlich und MBSR hat nicht primär mit buddhistischen Praktiken zu tun. Andererseits wurzeln wesentliche Bestandteile im Zen und in der Vipassana-Meditation. Achtsamkeit hat nicht vor al¬lem mit Konzentration zu tun - es handelt sich eben nicht nur um eine Fokussierung von Aufmerksamkeit und damit eine Begrenzung, Beschränkung oder Zuspitzung. Es geht auch nicht darum, die Übungen richtig oder falsch zu machen.
Was Achtsamkeit ist: Achtsamkeit ist eine (geistige) Einstellung und Haltung, in der man sich um ein breites und gleichmütig annehmendes Achten und Annehmen aller Phänomene bemüht. Dies bedeutet, alle aufkom¬menden Empfindungen und Wahrnehmungen mit einer gelassenen Akzeptanz zu „betrachten“, ohne sie verändern, beeinflussen oder auch loslassen zu wollen. Es geht um Wahrnehmung, um das Registrieren von Aspekten, die „im Bewusstsein“ auftauchen und wieder verschwinden und darum, diese Eindrücke im Geist kommen und gehen zu lassen. Hierzu zählen Gedanken aller Art, Emotionen, Erinnerungen, Bilder, auch direkte Sinneswahrnehmungen aus der Umgebung oder dem Körperinneren, emotionale Vorgänge und die Grundsinne Hören, Riechen, Tasten/Fühlen, Sehen und Schmecken. Regelmäßiges Üben ermöglicht ein offenes Wahrnehmen von Phänomenen und letztlich im Optimalfall ein beständiges Gewahrsein nach dem Grundsatz: Ein Buddha ist ein Mensch, der 24 Stunden am Tag in Achtsamkeit lebt (Thich Nhat Hanh). Der tibetische Lama Chögyam Trungpa hat die¬se Geisteshaltung als Panoramabewusstsein bezeichnet. In der buddhistischen Praxis ist Achtsamkeit das siebte Glied des achtfachen Pfades, die dritte der fünf Fähigkeiten und der erste Aspekt der sieben Faktoren des Erwachens.
Achtsamkeitsbasierte Verfahren erfahren im klinischen Kontext eine wachsende Anwendung z.B. als Bestandteile psycho-therapeutischer Verfahren und sind wissenschaftlich gut untersucht. Aspekte der Mind-Body-Medicine, die dialektisch-behaviorale Therapie und die aus England stam¬mende Mindfulness-Based Cognitive Therapy (MBCT) sind Teil psychotherapeutischer Thera-piekonzepte. Die sog. 3.Welle der Verhaltenstherapie kennt u.a. die Achtsamkeitsbasierte Psychotherapie, Achtsamkeitsaspekte sind Teil der Schematherapie und anderer störungsspezifischer Angebote, z.B. CBASP (Cognitive Behavioural Analyzed System of Psychotherapy).
Achtsamkeit in der Schmerztherapie: In der Schmerztherapie haben sich Verfahren wie MBSR u.a. im schulme¬dizinischen Umfeld inzwischen gut durchsetzen können. Nach Kabat-Zinn besteht Schmerz aus physischen, seelisch/geistigen und kognitiven Anteilen, von denen der physische Anteil am schlechtesten zu beein¬flussen sei, wir hingegen mit Hilfe des Achtsamkeitstrainings lernen können, seelische und kognitive Fak¬toren zu erfassen und mit ihnen umzugehen, um dadurch den eigenen Leidensdruck des „körperlichen Schmerzes“ zu vermindern. Es gibt zahlreiche interessanten Studien (s.u.) zur Wirksamkeit des Achtsamkeitstrainings vor allem bei funktionellen Schmerzsyndromen wie chronischen Rücken¬schmerzen, dem Fibromyalgiesyndrom, bei Migräne und Kopfschmerzen vom Spannungstyp, aber auch zu Krebserkrankungen und zur Polyneuropathie liegen valide Daten vor. Dabei kommt es neben dem „Training“ vor allem auf den achtsamen Umgang mit Phänomenen und Erscheinungen im Alltag an. Weitere Informationen können auch einschlägigen Weblinks unter dem Kürzel „MBSR“ ent¬nommen werden. Ein spezielles Training wird in Form des MBPN (Mindfulness-Based Pain Management) für Ärzte und Therapeuten angeboten.
Achtsamkeit als Praxis: Ein Achtsamkeitstraining nach Kabat-Zinn besteht aus einem Acht-Wochen-Kurs, der in Form von Zwei-bis Drei-Stunden-Übungen einmal wöchentlich sowie einem mehrstündigen Achtsamkeitstag abgehalten wird. Angeboten werden darüber hinaus Jahrestrainings und Blockseminare.
Ein Achtsamkeitskurs hat drei inhaltliche Schwerpunkte:
1. Den sogenannten Bodyscan, eine angeleitete Körpermeditation
2. Verschiedene Übungen zur achtsamen Körperarbeit, die der Tradition des Hatha-Yoga entlehnt sind. Auch QiGong oder TaiQi eignen sich gut.
3. Die dritte Praxis, welche sich an Zen-Übungen und der hinduistisch-buddhistischen Vipassana-Tradition orientiert. Hierbei handelt es sich um eine Sitzmeditation, die bei Bedarf im Wechsel mit Geh¬- und Stehmeditationen durchgeführt werden kann.
----------------------------------------------------------------------------------
Der Workshop wird Sie in die Kunst der achtsamen Wahrnehmung im Jetzt anhand einer Präsentation und einiger praktischer Übungen (Atmen, Sitzen, Rosinenübung) einführen. Sie können die wunderbare Erfahrung von Stille machen, wenn der Geist zur Ruhe kommt. Darin liegt eine große Kraft, ein Potential, das uns befähigt, mit dem täglichen Stress besser umzugehen, Schmerzen zu ertragen und den Anforderungen des Lebens gelassener zu begegnen und sie zu bewältigen, ohne an ihnen zu zerbrechen. Das Ergebnis ist ein Mehr an Gelassenheit und Lebensfreude, welches uns und unseren Patienten zugute kommt.
Achtsam zu sein, bedeutet, wach zu sein. Es bedeutet zu wissen, was wir tun
(Jon Kabat-Zinn)
Weblinks: www.achtsamkeit-sh.de
www.mbsr-deutschland.de www.institut-fuer-achtsamkeit.de www.achtsamkeitsinstitut-ruhr.dewww.umassmed.edu/cfm/mbsr/ www.mbsr-freiburg.de www.mbsr-schleswig.de www.mbsr-verband.org www.breathworks.uk_
Buchtipps zum Einlesen:
1 Gesund durch Meditation, Jon Kabat-Zinn, Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2006
2 Im Alltag Ruhe finden, Jon Kabat-Zinn, Herder Verlag, Freiburg 1998
3 Zerbrochen und doch ganz – die heilende Kraft der Achtsamkeit, Saki Santorelli, Arbor Verlag,
Freiamt/Schwarzwald 2006
4 Gut leben trotz Schmerz und Krankheit, Vidyamala Burch, Goldmann/Arkana 2009
5 Meditation für Skeptiker, Ulrich Ott, O.W. Barth 2015
6 Flourishing - welches Glück hätten Sie gern?, Peter Malinowski, Irisana Verlag 2010
7 Die Neurobiologie des Glücks, Tobias Esch, Thieme Verlag 2013
8 Achtsamkeit üben, Johannes Michalak, Petra Meibert, Thomas Heidenreich, Hogrefe Verlag 2017
Wiss. Lit.: - Mindfulness intervention in the management of chronic pain and psychological
comorbidity: A meta-analysis, Y. Song et al., Nursing Sciences (2014)
- Mindfulness-based stress reduction and health benefits:
A meta-analysis, Grossmann, P. et al., JPsychos Res 57(2004), 35-43
Dr. med.Harald Lucius, Arzt für Neurologie und Psychiatrie, spez. Schmerztherapie, Chirotherapie, Akupunktur MBSR-MBCT Lehrer,
Leiter der Schmerzambulanz an der HELIOS-Fachklinik GmbH, Am Damm 1, 24837 Schleswig,
www.helios-kliniken.de/schleswig, www.schmerztherapie-schleswig.de