Ausgehend von Engels biopsychosozialem Modell von Erkrankungen (illness) wird Schmerz als ein solch bedingtes Phänomen verstanden. Engels Grundansatz sagt, dass sich kleinere Einheiten zu größeren Systemen zusammenfügten, die immer weitere, komplexere Systeme (biologische Mechanismen, psychische Prozesse und soziale Kontexte) bilden. Um Schmerzen zu verstehen, bedarf es daher übergreifender Forschung, ausgehend von einzelnen Systemen, aber immer auch in Berücksichtigung von deren Interaktion in Bezug auf darauf aufbauende Systemkomplexe. Ziel des Symposiums ist eine solche integrative Sicht auf Schmerzerleben, das sich therapeutisch anwenden lässt.
In Untersuchungen zu zerebralen Prozesse von Nozizeption, Schmerzwahrnehmung und der körpereigenen Schmerzmodulation zeigte sich, dass nozizeptive Reize kein singuläres Gehirnzentrum aktivieren, sondern dass eine schmerzhafte Stimulation zur Aktivierung eines ausgedehnten Netzwerkes von kortikalen und subkortikalen Strukturen führt, welches substantiellen kontextabhängigen Modulationen unterliegt und deren Bestandteile als wichtige Knotenpunkte eines dynamischen neuronalen Netzwerkes verstanden werden. Einzelne Areale innerhalb dieses Netzwerkes tragen zu unterschiedlichen Aspekten der Schmerzempfindung bei. Demgegenüber zeigen Studien in Bezug auf chronisches Schmerzerleben, dass dieses durch eine distinkte zentrale Repräsentation gekennzeichnet ist, welches (wenn auch überlappend) von der typischen bekannten „Schmerzmatrix“ abweicht. Mit anhaltender Schmerzdauer ist die individuelle Schmerzintensität weniger in sensorischen, zunehmend in Arealen des medialen Schmerzsystems repräsentiert.
Diese Ergebnisse spiegeln sich auch in den Schilderungen von Patienten zu chronischem Schmerzerleben wider: Im Rahmen von Fokusgruppenerhebungen (n=46, Patienten einer schmerztherapeutischen Einrichtung) wurden Patienten befragt, wie sie unterschiedliche Schmerzzustände charakterisieren würden. In der Exploration zeigte sich, dass dieses Erleben durch biopsychosoziale Aspekte beschrieben und im Wesentlichen distinkt in Bezug auf zunehmendes Schmerzerleben unterschieden wird. Insbesondere Aspekte emotionaler Verarbeitung, des Beeinträchtigungserlebens sowie des Erlebens von Kontrolle und Autonomie waren maßgeblich für die Beschreibung von chronischem Schmerzerleben und gingen über eine reine Beschreibung von Schmerzintensität hinaus.
Dabei spielten auch soziale Aspekte eine wesentliche Rolle. Aus wissenschaftlicher Sicht wird der Begriff „sozialer Kontext“ in der Schmerzforschung eher weitgefasst und schließt sehr unterschiedliche Konstrukte (z.B. „soziale Unterstützung“) und Theorien (z.B. operantes Modell) ein. Der Einfluss von Reaktionen des Umfeldes auf Schmerzerleben ist jedoch unstrittig, sei es in der (unbewussten) Entscheidung, ob Menschen Schmerzen eher verbal oder nonverbal äußern oder inwieweit der Kontext die Beurteilung von Schmerzen mitbestimmt.