Autor:innen:
B. Roth (Garmisch-Partenkirchen, DE)
L. Höfel (Garmisch-Partenkirchen, DE)
A. Schramm (Garmisch-Partenkirchen, DE)
J. Mattei (Garmisch-Partenkirchen, DE)
H. Johannes-Peter (Garmisch-Partenkirchen, DE)
Hintergrund
Das komplexe regionale Schmerzsyndrom (CRPS) ist eine Schmerzerkrankung unklarer Ätiologie, die üblicherweise eine Extremität betrifft. CRPS tritt meist nach einem Trauma auf, kann jedoch, vor allem bei Kindern, auch spontan auftreten. Hauptsymptom ist ein außergewöhnlich starker Schmerz. Es kommt zu Veränderungen in Sensorik, Vaso- und Sudomotorik, Trophik und Motorik. Körperwahrnehmungsstörungen und die Ablehnung des betroffenen Körperteils können folgen.
Betroffene haben oft starke Berührungsängste und vermeiden zunehmend, die Extremität anzuschauen, anzufassen oder zu berühren.
Am Zentrum für Schmerztherapie junger Menschen werden in der Behandlung zwei Konzepte eingesetzt, welche je nach Persönlichkeit und therapeutischer Zielsetzung gemeinsam mit den PatientInnen erarbeitet und durchgeführt werden (Garmischer Therapiekonzept mit aktivierenden und desensibilisierenden Schwerpunkten; Graded Motor Imagery mit imaginativen Anteilen und Spiegeltherapie).
Desensibilisierungsmaßnahmen durch den Pflege- und Erziehungsdienst
Der Pflege- und Erziehungsdienst (PED) nimmt im Garmischer Therapiekonzept eine zentrale Rolle ein. Mehrmals täglich werden desensibilisierende Maßnahmen durchgeführt (z.B. mit dem Handtuch „rubbeln“, Igelballmassage, Eincremen, Wechseldusche, kühlende/wärmende Öle). Diese Herangehensweise erfordert primär einen Vertrauensaufbau, damit sich die Kinder und Jugendlichen darauf einlassen können. Nur auf der Grundlage einer stabilen Beziehung kann die Therapie durchgeführt werden. Die Desensibilisierung ist in unterschiedliche Stufen eingeteilt (1: leichte; 2: mittlere; 3: normale Berührung; Einteilung in ½ Stufen). Sollte Stufe 1 noch nicht möglich sein, wird auf Stufe 0,5 begonnen, welche lediglich kurzes Tupfen beinhaltet.
Fragestellung und Methodik
Von Interesse ist, ob die Berührungsempfindlichkeit über einen Zeitraum von 3-4 Wochen stationärer interdisziplinär-multimodaler Schmerztherapie abnimmt.
Verglichen wurde der Desensibilisierungsscore zu Beginn und am Ende des Aufenthalts von 38 PatientInnen (Mittel 13,3 J.; Spanne 6,3 – 17,9; 4 ♂; 8 obere, 30 untere Extremität), die im Jahr 2020 mit dem Garmischer Therapiekonzept behandelt wurden.
Ergebnisse
Die Desensibilisierungsmaßnahmen als Maß für abnehmende Berührungsempfindlichkeit konnten deutlich gesteigert werden (p < .00001), die Schmerzstärke nahm signifikant ab (p = .02).
Diskussion
Basierend auf einer stabilen und vertrauensvollen Beziehung ist es möglich, mithilfe von desensibilisierenden Maßnahmen die Berührungsempfindlichkeit bei CRPS zu reduzieren, was einen großen Beitrag zur Abnahme der Schmerzstärke und dem Zulassen weiterer Therapien leistet. Aufgrund der räumlichen Nähe, der Alltagsbegleitung und ständigen Präsenz des geschulten PEDs ist die wertvolle therapeutische Aufgabe der Desensibilisierung in dieser Berufsgruppe am besten verortet. Dies sollte in der interdisziplinär-multimodalen Schmerztherapie junger Menschen eingeplant werden.