Referatesymposium Referat Gerontopsychiatrie mit Referat Psychiatrische Pflege
Das Symposium beginnt mit dem Appell einer Vertreterin von Angehörigen, die Erfahrungen zu erlebter offener, versteckter Gewalt und einer Gewalt, die durch Unterlassung entsteht, zusammenfasst. Sie appelliert daran, dass viele Formen der Gewalt an alten Menschen im Altersheim vermeidbar wären, wenn ethische und fachliche Standards in den Mittelpunkt des öffentlichen und wissenschaftlichen Interesses Eingang fänden. Diesen Punkt greift der nächste Vortragende auf und beschreibt die Entwicklung in und die Möglichkeiten der psychiatrischen Pflege gerade im Hinblick auf die Koordinierung von aufsuchenden Hilfeangeboten, Kommunikation in Augenhöhe, partizipativer Entscheidung und Respekt vor der Individualität des einzelnen alten Menschen. Dennoch sprechen die gegenwärtigen Zahlen dafür, dass Zwangsmaßnahmen im Heimbereich nach wie vor angewendet werden. Im Hinblick darauf werden die Ergebnisse der IMPRINT-Studie vorgestellt. Auch akute klinische Aufnahmen von alten Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen sind mit einer erhöhtem Gefahr von Zwangsanwendung und Erfahrungen verbunden: das beginnt mit der Einweisung gegen den Willen der Betroffenen über die Zwangsmedikation, bis hin zur Isolierung oder gar Fixierung. Auch hier zeigt sich, dass die Umsetzung von wissenschaftlicher Evidenz und Expertenempfehlungen, wie Schaffung eines sicherheitsgebenden Milieus und nichtpharmakologischen Interventionen, zu einer Minimierung von Zwang im Krankenhaussetting führen kann. Diese Maßnahmen bedürfen jedoch einer großen Expertise der Behandler und einer Haltung, die dazu führt, dass es dem Team ein zentrales Anliegen ist, Zwang zu vermeiden.
Aktive Beteiligung der psychiatrischen Pflege als eine wichtige Voraussetzung für eine gelingende Umsetzung schweregradgestufter, multiprofessioneller Behandlungsmodelle
Nora Bötel, Buchenbach (Germany)
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Autor:in:
Nora Bötel, Buchenbach (Germany)
In den letzten Jahren rückte die Notwendigkeit ethischer Standards in den Fokus innerhalb der Versorgung von älteren, gerontopsychiatrisch beeinträchtigten Menschen in pflegerischen Einrichtungen bzw. Krankenhäusern. Mit wachsenden Fallzahlen steigt in der Versorgung das Vorkommen von herausfordernden Situationen, denen auf fachlicher Ebene begegnet werden muss, um sowohl Gewalt jeglicher Form gegenüber den Betroffenen zu verhindern, wie auch zum Schutze der zumeist pflegerischen Mitarbeitenden dieser Einrichtungen.
Wenngleich ein fachlicher Diskurs entstanden ist, fühlen sich gerade in Altenhilfeeinrichtungen Betroffene, Angehörige, wie auch Mitarbeitende oftmals allein und überfordert. Dennoch hat eine Entwicklung stattgefunden. Es gibt gerontopsychiatrische Fachpflegende und seit einiger Zeit spezifische, häufig multiprofessionell angelegte Studiengänge, die sich der Thematik annehmen.
Hierbei geht es vor allem auch um die Koordination aufsuchender Angebote zu Hause. Das bedeutet, dass das aktuell nicht flächendeckend vorhandene, multiprofessionelle, ambulante Versorgungsangebot perspektivisch breiter ausgebaut werden muss.
Neben der Herausforderung diese Flächendeckung personell abdecken zu können, bedarf es der inhaltlichen Auseinandersetzung, mithilfe welcher Konzepte Versorgung nach dem derzeitigen Wissenstand gestaltet werden kann oder auch muss.
Im gerontopsychiatrischen Setting ist seit vielen Jahren die Personenzentrierung ein wichtiger Ansatz, um individuellen Bedürfnissen von Menschen begegnen zu können. Übergeordnet geht es um die Haltung, von der aus Umgang und Begegnung innerhalb professioneller Beziehung stattfindet. Es geht um gemeinsames Handeln im Sinne des/r Einzelnen und Respekt gegenüber der Stimme und Entscheidung dieser. Das Zusammenbringen verschiedener Interessen, gerade in multiprofessionellen Behandlungsmodellen braucht gut abgestimmte Ideen für die Entwicklung und eine gelingende Umsetzung in der Praxis.
Vermeidung von freiheitseinschränkenden Maßnahmen im Pflegeheim
Jens Abraham, Halle (Saale) (Germany)
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Autor:innen:
Jens Abraham, Halle (Saale) (Germany)
Ralph Möhler, Düsseldorf (Germany)
Gabriele Meyer, Halle (Saale) (Germany)
Sascha Köpke, Köln (Germany)
Hintergrund
Freiheitseinschränkende Maßnahmen (FEM) werden in Pflegeheimen häufig angewendet, meist zur Vermeidung von Stürzen und zur Kontrolle von herausforderndem Verhalten. Belege für ihre Wirksamkeit fehlen, Hinweise auf negative Folgen liegen jedoch vor. In einer Wirksamkeitsstudie führte eine Leitlinien-basierte Intervention zur Reduktion von FEM, ohne unerwünschte Effekte, wie eine Zunahme an Stürzen oder einer vermehrten Verordnung von psychotrop wirksamen Medikamenten. Eine Implementierungsstudie unter pragmatischen Bedingungen stand aus.
Ziel
Implementierung und kontrollierte Überprüfung von zwei Varianten der Intervention.
Methode
Eine aktualisierte Fassung der Intervention (IG1) und eine optimierte Fassung (IG2) wurden in einer dreiarmigen cluster-randomisierten Studie mit 120 Pflegeheimen in vier Regionen (Schleswig-Holstein, Hamburg, Halle (Saale) und Nordrhein-Westfalen) im Vergleich zu einer optimierten Standardversorgung (KG) untersucht (Reg-Nr. NCT02341898). Hauptzielgröße war der Anteil der Bewohner*innen mit > 1 FEM nach 12 Monaten. Sekundäre Endpunkte waren die Anzahl der Stürze, sturzbedingten Frakturen und die Lebensqualität.
Ergebnisse
Die FEM-Prävalenz zu Studienbeginn lag bei 17,4% (IG1), 19,6% (IG2) und 18,8% (KG) (n=8.800), zu Studienende bei 14,6% (IG1), 15,7% (IG2) und 17,6% (KG) (n=8.841). Die Unterschiede zwischen den Gruppen waren mit -2,0% (97,5% KI -5,8 bis 1,9) (IG1 vs. KG) und -2,5% (97,5% KI -6,4 bis 1,4) (IG2 vs. KG) nicht statistisch signifikant. Es zeigten sich ausgeprägte Unterschiede bzgl. der FEM-Prävalenz zwischen den Einrichtungen. Es gab keine signifikanten Unterschiede bei den sekundären Endpunkten.
Schlussfolgerung
Beide Interventionen zeigten keinen klaren Vorteil im Vergleich zur Kontrolle. Es zeigten sich weiter starke Zentrumsunterschiede, die nahe legen, dass einrichtungsspezifische Merkmale den Nutzen einer Leitlinien-basierten Intervention stark beeinflussen können. Hierzu ist weitere Forschung nötig.