Nach konservativen Schätzungen wachsen in Deutschland etwa ein Drittel der Kinder und Jugendlichen mit mindestens einem Elternteil auf, der während des Elternseins an einer psychischen und Suchterkrankung leidet. Mit diesen elterlichen Erkrankungen geht ein erhöhtes Risiko der betroffenen Kinder und Jugendlichen für Entwicklungsprobleme, chronische Erkrankungen oder Kindeswohlgefährdung einher. Diese Familiensysteme stellen somit eine bedeutende Zielgruppe für den präventiven Kinderschutz dar.
Unter Federführung der DGKiM wurde durch ein repräsentatives Gremium aus 82 Fachgesellschaften (u.a. der DGPPN) und Organisationen aus Pädagogik, Jugendhilfe und Sozialer Arbeit, die S3 (+) Kinderschutzleitlinie im Februar 2019 verabschiedet. Die Kinderschutzleitlinie soll zum einen helfen, eine Kindesmisshandlung, -vernachlässigung und/oder einen sexuellen Missbrauch frühzeitig zu erkennen und festzustellen und zum anderen Ärzte und andere Fachkräfte aus dem Gesundheitswesen dabei unterstützen, fachlich qualifiziert mit diesen Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung umzugehen.
Eine Kernbotschaft der Leitlinie ist es, dass der positiv prädiktive Wert für die Erkennung von Kindeswohlgefährdungen in Notaufnahmen durch ein Screening von Erwachsenen mit 0,91 deutlich höher liegt als über ein Screening der Kinder (0,03). So beinhaltet die Leitlinie u.a. Empfehlungen für Psychiater, um eine mögliche Kindeswohlgefährdung anhand der Belastungen der Eltern frühzeitig zu erkennen. Zudem verfolgt sie das Ziel, eine Vernetzung innerhalb des Gesundheitswesens und insbesondere mit der Kinder- und Jugendhilfe zu verbessern.
2020 wurde durch den DGKiM Arbeitskreis Prävention ein neuer Leitfaden für Fachkräfte im Gesundheitswesen für den Präventiven Kinderschutz bei Kindern psychisch und suchtkranker Eltern veröffentlicht. Bezugnehmend werden in diesem Beitrag frühzeitig (d.h. prä- und postnatal) ansetzende Handlungsmöglichkeiten aus der Perspektive der Gesundheitsberufe betrachtet. Im Zentrum der Betrachtung stehen dabei die Auswirkungen elterlicher psychischer und Suchterkrankungen auf die Kinder in unterschiedlichen Alters- und Entwicklungsphasen.
Kinderschutz ist nicht nur ein Thema für Kinder- und Jugendärzte. Das Erkennen von Belastungen, das aktive Ansprechen und das Anbieten von individuellen Unterstützungsangeboten für Familiensysteme durch Fachkräfte im Gesundheitswesen sollten regelhaft verankert sein. Ärzte, Psychologen sowie weitere Fachkräfte der Gesundheitsberufe sind oft erste Anlaufstellen für Eltern mit psychischen und Suchterkrankungen und ihre Kinder.