Die Psychopathie im Sinne der angloamerikanischen Psychopathy besitzt weiterhin eine herausragende Bedeutung in Theorie und Praxis der forensischen Disziplinen. Fortschritte der letzten Jahre betreffen die neurowissenschaftlichen Grundlagen der Störung und ihre reliable Erfassung, die -ausgehend von der Konzeption von Hare- Eingang in das dimensionale Modell der Persönlichkeitsstörungen von DSM-5 gefunden hat. Offene Fragen betreffen dagegen die Prognose und die Behandlung von Straftätern mit dieser Störung sowie die forensischen Konsequenzen hinsichtlich Schuldfähigkeit und Unterbringung. Einen kriminologisch wichtigen Sonderaspekt stellt die Bedeutung psychopathischer Merkmale für den Risikobereich der Sexualdelikte dar. Diese Themen sollen von den international anerkannten Experten dieses Symposions diskutiert werden.
Begutachtung bei Psychopathie – Normierung, Prognose, Therapierbarkeit
Elmar Habermeyer, Zürich (Switzerland)
Details anzeigen
Autor:in:
Elmar Habermeyer, Zürich (Switzerland)
Der Vortrag gibt Hinweise zur Begutachtung von Fällen, bei denen sich der Verdacht auf eine Psychopathie sensu Hare ergibt oder eine solche Konstellation vorliegt. In Anlehnung an die Vorgaben des deutschsprachigen Manuals wird hinsichtlich kriminalprognostischer Aussagen vorgeschlagen, sich nicht ausschliesslich am Grenzwert, sondern an insgesamt 5 Gruppen unterschiedlicher Merkmalsausprägung zu orientieren. Eine differenzierte Betrachtung der Psychopathie empfiehlt sich auch in Hinblick auf weitere gutachterliche Problemstellungen, z.B. Aussagen zu Alterseinflüssen oder zur Therapierbarkeit.
Psychopathie und Sexualdelinquenz
Andreas Mokros, Hagen (Germany)
Details anzeigen
Autor:in:
Andreas Mokros, Hagen (Germany)
Psychopathie ist eine Variante der Antisozialen bzw. Dissozialen Persönlichkeitsstörung, die von manipulativem Geschick, Gemütlosigkeit und Grandiosität geprägt ist. Als Risikofaktor für allgemeine und Gewaltdelinquenz spielt Psychopathie sowohl in der kriminologischen Forschung als auch in der forensisch-psychiatrischen Risikoprognostik eine wichtige Rolle. Im theoretischen Kontext hat bspw. Malamuth (2003) mit dem Hierarchical Confluence-Modell ein Rahmenwerk vorgelegt, in dem psychopathische Merkmale sowohl Bestandteil eines proximalen Entwicklungspfades sind (i.S. von kognitiven Verzerrungen und Dominanzstreben) als auch zugehörig sind zu einem distalen Entwicklungspfad (der allgemein delinquente Verhaltensbereitschaften abbildet). Vor diesem Hintergrund sollen im Vortrag relevante Forschungsergebnisse zu Psychopathie und Sexualdelinquenz referiert werden. Neben Studien an Personen aus der Allgemeinbevölkerung stehen Befunde aus Straftäterstichproben im Vordergrund. Danach ergibt sich bei Vorliegen von sowohl Psychopathie als auch sexuellen Präferenzstörungen ein besonders hohes Rückfallrisiko. Anhand eigener Untersuchungen unter Verwendung österreichischer Daten wird verdeutlicht, dass Psychopathie per se einen geeigneten Prädiktor für allgemeine und Gewaltdelinquenz, weniger jedoch für Sexualdelinquenz darstellt. Der Verweis auf internationale Befunde zur Behandelbarkeit von Sexualstraftätern in Abhängigkeit von psychopathischen Eigenschaften rundet den Vortrag ab.
Psychopathie, Schuldfähigkeit und der Oberste Gerichtshof in den USA
Alan Felthous, St. Louis/Mississippi (United States)
Details anzeigen
Autor:in:
Alan Felthous, St. Louis/Mississippi (United States)
In den USA stellt die "insanity defense", also die Verteidigung unter Geltendmachung von Geisteskrankheit, die einzige Verteidigungsform unter Berufung auf psychische Erkrankungen dar, die bei einem psychotischen Straftäter zu einem kompletten Freispruch wegen seiner psychischen Erkrankung führen und auch die Möglichkeit zu einer adäquaten Behandlung eröffnen kann.
Dabei basiert der Prüfungsstandard für die "insanity" in den meisten der Bundesstaaten auf der "moral incapacity", d.h., der Beschuldigte wusste nicht, dass sein Handeln moralisch falsch war. Bei psychotischen Erkrankungen beruht diese "moral incapacity" in aller Regel auf der "rational incapacity", also dem Ausfall der vernunftgemäßen Verstandeskräfte. Wegen der psychotischen Störung des Denkens, etwa beim Wahn , fehlt es dem Beschuldigten an moralischem Urteilsvermögen. Eine Psychopathie dagegen wird in den USA nicht als eine psychische Erkrankung angesehen, die für die "insanity defense" qualifiziert, weshalb viele Bundesstaaten sie in den Bestimmungen für die "insanity defense" ausdrücklich nicht zulassen.
Ein Problem ist nun dadurch entstanden, dass der Bundesstaat Kansas in 2016 eine "insanity defense, die auf einer "moral incapacity" beruht, abgeschafft hat. Diese Entscheidung wurde im vergangenen Jahr vom Obersten Gerichtshof der USA auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüft. Das Ergebnis lautete, dass die Abschaffung der "insanity defense" in Kansas keinen Verstoß gegen die Verfassung der USA darstelle, wodurch gleichzeitig auch für andere Bundesstaaten der Weg eröffnet wurde, ihre "insanity defenses" abzuschaffen.
Zu den Argumenten des Obersten Gerichtshofes für seine Entscheidung gehörte, dass ja in vielen Bundesstaaten die psychopathischen Störungen, bei denen es nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes an moralischer Urteilskraft fehlt, sowieso von der "insanity defense" ausgeschlossen sind, weshalb "insanity defenses" beruhend auf "moral incapacity" nicht mehr erforderlich seien.
Allerdings liegt der fundamentale und auch gefährliche Irrtum bei dieser bedauerlichen Entscheidung des Obersten Gerichtshofes darin, dass nicht unterschieden wird zwischen einer "moral incapacity", wie sie bei Psychosen als Folge der rationalen Urteilskraft besteht, und den vielfältigen Formen amoralischen Verhaltens bei Psychopathie, ohne dass eine Störung der rationalen Fähigkeiten vorliegt.